Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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III.
Gurnemans.

Das Vorwort, nicht das Vorwort des ganzen Gedichts, denn die zwei ersten Bücher scheinen später hinzugedichtet (s. Anm. zu 744, 19), enthält einen beschönigenden Widerruf dessen, was der Dichter in der Erbitterung wider Eine von den Frauen überhaupt zu Anfange dieses Abschnittes gesagt hatte: es lebe nun kein Weib mehr, die wie Herzeleide die weltlichen Freuden um der himmlischen willen hingeben würde. Herzeleide hat sich, ihren Kronen entsagend, mit wenigen Leuten in die Wüste von Soltane zurückgezogen, wo sie ihren Knaben in bäurischer Einfalt erzieht und ihn sorgfältig vor aller Kunde des Rittertums zu bewahren sucht. Doch schnitzt er sich Bogen und Bolzen und schießt nach den Vögeln, deren Tod er gleichwohl beweint, weil ihr Gesang ihm die Brust schwellt. Da will die Mutter alle Vögel fangen und tödten laßen; er aber bittet für sie, und sie gedenkt, daß es auch Gottes Geschöpfe sind. Er fragt sie nach Gott, und sie beschreibt ihn lichter als der Tag, und er sollte ihn anflehen, dagegen den schwarzen Höllenwirth so wie den Zweifel meiden. Er übt sich auch mit dem Wurfspieß und erlegt viel Wild. Einst begegnen ihm auf seiner Jagd vier Ritter in glänzenden Rüstungen, welche den Jungfernräuber Meljakanz (vgl. 343, 25 ff.) verfolgen. Er hält sie für Engel; sie bescheiden ihn aber, daß sie nur Ritter seien, und weisen ihn, da er auch Ritter zu werden verlangt, zu König Artus. Seinem Verlangen dahin kann die Mutter nicht widerstehen; sie giebt ihm aber Thorenkleider und Lehren auf den Weg, die er allzuwörtlich befolgt. Sein Abschied bringt ihr den Tod. Im Walde Briziljan kommt er zu Orilus prächtigem Gezelte, dessen Gemahlin Jeschute er, nach der Mutter Rath, Fingerring und Fürspann (Halsschmuck) raubt. Er findet Sigunen mit dem eben von Orilus (von dem auch Galoes gefallen ist) erschlagenen Schionatulander. Sie sagt ihm seinen Namen und weist ihn gen Bretagne. Ein Fischer, dem er den Fürspann schenkt, geleitet ihn bis in die Nähe von Nantes, der Hauptstadt des Artus. Hier begegnet ihm Ither, der rothe Ritter, der auf Artus Krone Anspruch erhebt und mit seinen Rittern zu kämpfen draußen hält. Mit dessen Aufträgen kommt er an den Hof, wo sein Aufzug wie seine Schönheit Alles in Verwunderung setzt. Kunneware, des Orilus Schwester, die nicht eher lachen wollte, bis sie den Ritter des höchsten Preises ersähe, lacht, und Antanor, der nicht eher reden wollte, bis sie lachte, bricht sein Schweigen. Beide werden von Keien gezüchtigt, welche Misshandlung Parzival zu rächen gedenkt. Mit dem Wurfspieß erschlägt er Itheren und bemächtigt sich seiner Rüstung, die ihm Artus auf seine Bitte geschenkt hatte. So kommt er zu Gurnemans, dem Hauptmann der wahren Zucht (feinen höfischen Sitte), wo er seine kindische Einfalt ablegt. Gurnemans wünscht ihm seine Tochter zu vermählen und entläßt ihn so ungern, als verlöre er in ihm den vierten seiner Söhne.

 

        5   Wer nun von Frauen beßer spricht,
Fürwahr, ich haß ihn darum nicht;
Ich vernehme gern, was sie erfreut.
Nur Einer bin ich unbereit
Hinfort zu dienstlicher Treu,
10   Ihr ist mein Zorn immer neu;
Ihr Fehltritt schafft mir Ungemach.
Ich bin Wolfram von Eschenbach,
Nicht unerfahren im Gesange,
Und halte fest wie eine Zange
15   Meinen Zorn wider ein Weib,
Denn sie hat mir Seel und Leib
Betrübt durch solche Missethat,
Sie zu haßen, anders ist kein Rath.
Trifft mich darum der Andern Haß,
20   O weh, warum denn thun sie das?

Sei mir auch ihr Haßen leid,
Es beweist doch ihre Weiblichkeit,
Da sich mein Mund versprochen hat
Und mir selber Schaden that;

25   Es geschieht auch wohl so leicht nicht mehr.
Doch mögen sie sich nicht zu sehr
Beeilen, mir das Haus zu stürmen:
Ich weiß mich wehrlich zu schirmen.
Auch hab ichs nicht vergeßen,
Ich kann noch wohl ermeßen,
115   Wie ihre Zucht und Sitte sei:
Wohnt einem Weibe Reinheit bei,
Deren Kämpe will ich sein,
Mich jammert herzlich ihre Pein.

5  

An der Krücke hinkt sein Ruhm,
Der das ganze Frauentum
Schmäht um seiner Frauen Schmach.
Die mich recht beachten mag,
Zugleich mit Schaun und Hören,

10   Die werd ich nicht bethören.
Zum Schildesamt bin ich geboren:
Sind Kraft und Muth an mir verloren
Die mich um Sang will minnen,
Dünkt mich nicht kluger Sinnen.
15   Trag ich edler Frau Begehr,
Mag ich nicht mit Schild und Sper
Erwerben ihrer Minne Sold,
So sei sie mir mit Nichten hold.
Es ist doch hoch genug gespielt,
20   Wer mit Ritterschaft nach Minne zielt.

Schiens Schmeicheln nicht den Frauen,
Ich ließ euch ferner schauen
An dieser Märe Neues viel
Bis an der Aventüre Ziel.

25   Wer deren Kunde will empfahn,
Der rechn es für kein Buch mir an:
Ich kenne keinen Buchstaben.
An Büchern mag, wer will sich laben:
Diesen Abenteuern
Sollen Bücher nicht steuern.
116   Eh man sie hielte für ein Buch,
Lieber wär ich ohne Tuch116, 2–4. »Wenn man meine Erzählung für ein Buch hielte und darnach Ansprüche an sie stellte, so müste ich mich schämen. Lieber wäre ich nackend ohne Tuch, wenn ich im Bade säße; nur müste ich freilich des Laubbüschels (questen) nicht vergeßen haben, um mich doch einigermaßen bedecken zu können.« M. Haupt a. a. O. 1853. Die eigentliche Bestimmung des Laubbüschels im Schwitzbade ist zwar, sich damit zu streichen und zu peitschen: doch konnte er auch zur notdürftigsten Bedeckung verwendet werden.
Nackt, wenn ich im Bade säße,
Des Büschels freilich nicht vergäße.
———
5   Es betrübt mir Seel und Leib,116, 5–14. Diese Worte wären es nach Lachmann S. IX. vgl. Haupt Zeitschr. XI. 49, welche dem Dichter, des Tadels der Frauen wegen, übel genommen wurden, und wegen deren er sich in dem diesem Abschnitte vorausgeschickten Worte rechtfertigt. Er gesteht darin, sich im Zorne gegen Eine, die sich an ihm vergangen hat, und die er nicht aufhören will zu haßen, versprochen zu haben, was ihm nicht wieder begegnen solle. Doch dürften ihm die Frauen darum das Haus nicht stürmen: denn er wiße sich zu wehren, Frauen zu loben und zu tadeln, die guten von den bösen zu unterscheiden, und nur die besonnenen achte er für gut. Ueberdieß verlange er seines Gesangs wegen nicht geliebt zu werden: nur durch Ritterschaft werbe er um Minne: auch sei seine Aventüre nicht etwa ein Buch, denn er kenne keinen Buchstaben und pflege sein Gedicht nicht vorzulesen, sondern frei vorzutragen. Eine ähnliche Aeußerung Willehalm 2, 19 ff.
Daß so Manche heißet Weib.
Die Stimme lautet Allen hell,
Doch Viele sind zum Falle schnell,
Andre frei von falschem Wandel:
10   So theilt sich dieser Handel.
Daß die mit gleichem Namen prangen,
Das hat mein Herz mit Scham befangen.
Weibheit, dein ordentlicher Brauch,
Treue hielt und hält der auch.

15  

Viele sprechen, Armut
Sei zu keinem Dinge gut;
Wer sie um Treu will leiden,
Mag doch die Hölle meiden.
Die trug ein Weib um Treue.

20   Da ward ihr stäts aufs Neue
Im Himmelreich gegeben.
Nun werden Wenge leben,
Die jung der Erde Reichtum
Ließen um des Himmels Ruhm.
25   Ich kenne keinen, der das will,
Mann und Weib sind mir gleichviel,
Sie gleichen Alle sich darin.
Frau Herzeleid die Königin
Floh ihren dreien Landen fern:
Sie trug der Freuden Mangel gern.
117   Aller Fehl so ganz an ihr verschwand,
Daß ihn nicht Ohr noch Auge fand.
Ein Nebel war ihr die Sonne;
Sie mied die weltliche Wonne.
5   Auch war die Nacht ihr wie der Tag,
Ihr Herz nur stäten Jammers pflag.

Sie zog sich vor des Grams Gewalt
Aus ihrem Land in einen Wald
In der Wildniss von Soltane:

10   Nicht um Blumen auf dem Plane:
Ihr Herz erfüllte Leid so ganz,
Sie kehrte sich an keinen Kranz,
Ob er roth war oder fahl.
Sie flüchtete dahin zumal
15   Des werthen Gachmuretes Kind.
Leute, die da bei ihr sind,
Müßen reuten und pflügen.
Ihre Pflege konnte wohl genügen
Dem Sohn. Eh der Verstand gewann,
20   Rief sie ihr Volk zu sich heran,
Wo sie Mann und Weib zumal
Bei Leib und Leben anbefahl,
Daß von Rittern schwieg' ihr Mund:
»Denn würd es meinem Herzlieb kund,
25   Was ritterliches Leben wär,
So hätt ich Kummer und Beschwer.
Nun legt die Zunge klug in Haft
Und hehlt ihm alle Ritterschaft.«

Das schuf den Leuten Sorgen.
Der Knabe ward verborgen

118   In der Wüste von Soltan erzogen,
Um königlichen Brauch betrogen
Außer in dem Einen Spiel:
Bogen und Bolzen viel
5   Schnitt er sich mit eigner Hand
Und schoß die Vögel, die er fand.

Wenn er jedoch das Vöglein schoß,
Dem erst Gesang so hold entfloß,
So weint' er laut und strafte gar

10   Mit Raufen sein unschuldig Haar.
Sein Leib war klar und helle:
Aus dem Plan an der Quelle
Wusch er sich alle Morgen.
Ihm schuf nichts anders Sorgen
15   Als über ihm der Vöglein Sang,
Der ihm das Herz so süß durchdrang:
Das dehnt' ihm seine Brüstlein aus.
Mit Weinen lief er in das Haus.
Die Köngin sprach: Wer that dirs an?
20   Du warst ja draußen auf dem Plan.«
Da wust er ihr kein Wort zu sagen.
So gehts Kindern noch in unsern Tagen.

Das macht' ihr viel zu schaffen.
Da sah sie einst ihn gaffen

25   Nach einem Baum, von dem es scholl.
Sie ward wohl inne, wie ihm schwoll
Von dem Gesang die junge Brust;
In seiner Art lag solch Gelust.
Frau Herzleid trug den Vögeln Haß
Seitdem, sie wuste nicht um was:
119   Sie sandte Knecht und Enken
Ihr Singen zu beschränken,
Vöglein mit Netz und Stangen
Zu würgen und zu fangen.
5   Die Vöglein waren gut beritten,
Daß sie den Tod nicht all' erlitten:
Etliche blieben wohl am Leben,
Die hört man neuen Sang erheben.

Der Knabe sprach: »Bei eurer Huld,

10   Was giebt man doch den Vöglein Schuld?«
Er erbat ihnen Frieden gleich zur Stund.
Seine Mutter küsst' ihn auf den Mund.
Sie sprach: »Was brech ich sein Gebot,
Der doch ist der höchste Gott?
15   Sollen Vöglein trauern meinethalb?«
Der Knappe sprach zur Mutter bald:
»Höre Mutter, was ist Gott?«
»Das sag ich, Sohn, dir ohne Spott:
Er ist noch lichter denn der Tag,
20   Der einst Angesichtes pflag
Nach der Menschen Angesicht.
Sohn, vergiß der Lehre nicht
Und fleh ihn an in deiner Noth,
Dessen Treu uns immer Hülfe bot.
25   Ein Andrer heißt der Hölle Wirth,
Der schwarz Untreu nicht meiden wird:
Von dem kehr die Gedanken
Und auch von Zweifels Wanken.«

Seine Mutter unterschied ihm gar,
Was finster ist, was licht und klar.

120   Dann eilt' er wohl waldein zu springen,
Das Gabilot120, 2. Gabilot, fr. Javelot, leichter Wurfspieß, keine ritterliche Waffe. Vgl. 157, 20. auch lernt' er schwingen,
Womit er manchen Hirsch erschoß,
Davon der Mutter Volk genoß.
5   Ob man Grund sah oder Schnee,
Dem Wilde thät sein Schießen weh.
Hört aber fremde Märe:
Wenn er erschoß das schwere,
Einem Maulthier wär die Last genug,
10   Die er unzerlegt nach Hause trug.

Er kam auf seinem Waidegang
Eines Tages einer Hald entlang
Und brach zum Blatten manchen Zweig.
In seiner Nähe ging ein Steig:

15   Da vernahm er Schall von Hufschlägen:
Er begann sein Gabilot zu wägen.
»Was hab ich da vernommen?
Daß nun der Teufel kommen
Wollte grimm und zorniglich!
20   Ich bestünd ihn sicherlich.
Meine Mutter Schrecken von ihm sagt;
Mich dünkt, sie ist auch zu verzagt.«

So stand er da in Streits Begehr.
Seht, da traben dortenher

25   Drei Ritter in der Rüstung Glanz
Von Haupt zu Fuß gewappnet ganz.
Der Knappe wähnte sonder Spott,
Jeglicher wär ein Herregott.
Wohl stand er auch nicht länger hie,
Er warf sich in den Pfad aufs Knie;
121   Mit lauter Stimme rief er gleich:
»Hilf Gott, Du bist wohl hilfereich!«

Der Vordre zürnte drum und sprach,
Als ihm der Knapp im Wege lag:

5   »Dieser täppische Waleise
Wehrt uns schnelle Weiterreise.«
Ein Lob, das wir Baiern tragen,
Muß ich von Waleisen sagen:
Sie sind täppischer als Bairisch Heer
10   Und leisten doch gleich tapfre Wehr.
Wen dieser Länder Eins gebar,
Wird der gefüg, ists wunderbar.

Da kam einher galoppiert,
An Helm und Harnisch wohl geziert

15   Ein Ritter, welchem Zeit gebrach:
Streitgierig ritt er jenen nach,
Die ihm schon voraus gekommen.
Zwei Ritter hatten ihm genommen
Eine Frau aus seinem Lande:
20   Das dauchte diesen Schande.
Der Jungfrau Leid betrübt' ihn schwer,
Die erbärmlich ritt vor ihnen her.
Die Dreie sind ihm unterthan.
Er ritt ein schönes Kastilian;
25   An seinem Schild war wenig ganz.
Er hieß Karnachkarnanz,
Le Comte Ulterleg.121, 27. d. h. der Graf von jenseits des Sees.
Er sprach: »Wer sperrt uns hier den Weg?«
So fuhr er diesen Knappen an;
Dem schien er wie ein Gott gethan:
122   Er sah noch niemals lichtre Schau.
Sein Wappenrock benahm den Thau.
Mit goldrothen Schellen klein
Waren an jedwedem Bein
5   Ihm die Stegereif' in Klang gebracht
Und zu rechtem Maße lang gemacht.
Sein rechter Arm von Schellen klang,
Wenn er ihn rührt' oder schwang;
Er war von Schwertschlägen hell.
10   Der Degen war zur Kühnheit schnell.
Also diesen Wald durchstrich
Der Fürst gerüstet wonniglich.

Aller Mannesschöne Blumenkranz,
Den fragte da Karnachkarnanz:

15   »Knapp, saht ihr hier vorüberfahren
Zwei Ritter, die nicht können wahren
Das Gesetz der Rittergilde?
Sie tragen Raub im Schilde
Und sind an Würdigkeit verzagt:
20   Sie entführten eine Magd.«
Was er auch sprach, doch hielt ihn noch
Der Knapp für Gott: so malt' ihn doch
Die Königin Frau Herzeleid,
Die vom lichten Schein ihm gab Bescheid.
25   Da rief er laut sonder Spott:
»Nun hilf mir, hilfreicher Gott.«
Niederwarf sich zum Gebet
Le Fils dü Roi Gachmuret.
Da sprach der Fürst: »Ich bin nicht Gott;
Doch leist ich gerne sein Gebot.
123   Vier Ritter möchtest du hier sehn,
Wenn du beßer könntest spähn.«

Der Knappe fragte fürbaß:
»Du nennest Ritter: was ist das?

5   Hast du selbst nicht Gotteskraft,
So sage, wer giebt Ritterschaft?«
»Die theilt der König Artus aus.
Junker, kommt ihr in sein Haus,
So mögt ihr Ritters Namen nehmen,
10   Daß ihrs euch nimmer habt zu schämen.
Ihr seid wohl ritterlicher Art.«
Von den Helden er beschauet ward:
Da sahn sie Gottes Kunst und Fleiß.
Von der Aventür ich weiß,
15   Die mich mit Wahrheit des beschied,
Daß Mannesantlitz nie gerieth
So schön wie seins von Adams Zeit:
Drum lobten Fraun ihn weit und breit.

Da hub der Knappe wieder an,

20   Daß sein zu lachen der begann:
»Ei Ritter gut, was soll dies sein?
Du hast so manches Ringelein
An den Leib gebunden dir,
Dort oben und auch unten hier.«
25   Der Knapp befühlte mit der Hand,
Was er eisern an dem Fürsten fand.
»Laßt mich den Panzer schauen:
Meiner Mutter Jungfrauen
Wohl an Schnüren Ringlein tragen,
Die nicht so aneinander ragen.«
124   Noch sprach der Knappe wohlgemuth
Zum Fürsten: »Wozu ist dieß gut,
Was sich so wohl will schicken?
Kanns nicht herunterzwicken.«

5  

Da wies der Fürst ihm sein Schwert:
»Nun sieh, wer Streit mit mir begehrt,
Des erwehr ich mich mit Schlägen;
Gegen seine muß ichs an mich legen:
Dieß und der Schild behütet mich

10   Vor dem Schuß und vor dem Stich.«
Wieder sprach der Knappe schnell:
Trügen die Hirsche solches Fell,
Sie versehrte nicht mein Gabilot;
So fällt doch mancher vor mir todt.«

15  

Die Ritter zürnten, daß er sprach
Mit dem Knappen, welchem Sinn gebrach.
Da sprach der Fürst: »Gott hüte dein!
O wäre deine Schönheit mein!
Dir hätte Gott genug gegeben,

20   Besäßest du Verstand daneben;
Nun halte Gott dir Kummer fern.«
Da ritt er weiter mit den Herrn.
Sie gelangten alle bald
Zu einem Feld im tiefen Wald.
25   Da fand er an der Pflugschar
Frau Herzeleidens Bauernschar.
Dem Volke nie so leid geschah.
Die man künftig ernten sah,
Sie mußten sän und egen,
Starken Ochsen dräun mit Schlägen.

125  

Der Fürst ihnen guten Morgen bot
Und frug sie: »Sahet ihr nicht Noth
Eine Jungfrau leiden?«
Da konnten sie's nicht meiden,

5   Sie sagten ihm, was er gefragt:
»Zwei Ritter und eine Magd
Sahn wir reiten heute Morgen.
Das Fräulein schien in Sorgen.
Kräftig mit den Sporen rührte
10   Die Pferde, der die Jungfrau führte.«
Es war Meliakanz,125, 11. Meljakanz lernen wir unten als Jungfrauenräuber noch näher kennen. Vgl. zu 343, 26.
Dem nachritt Karnachkarnanz
Und ihm im Kampf die Jungfrau nahm:
Sie war an aller Freude lahm.
15   Sie hieß Imäne
Von der Bellefontäne.

Die Bauern waren sehr verzagt,
Da diese Helden sie befragt.
Sie sprachen: »Wie ist uns geschehn!

20   Hat unser Junker ersehn
An diesen Rittern schartges Eisen,
So dürfen wir das Glück nicht preisen.
Uns trifft darum mit Recht fürwahr
Der Zorn der Königin immerdar,
25   Weil er mit uns zu Walde lief
Heute früh, da sie noch schlief.«
Gleich galts dem Knappen, wer nun schoß
Im Wald die Hirsche klein und groß;
Heim zur Mutter lief er wieder
Und sagt' es ihr. Da fiel sie nieder,
126   Seiner Worte sie so sehr erschrak,
Daß sie bewußtlos vor ihm lag.

Als darauf die Königin
Bewußtsein wieder fand und Sinn,

5   Wie sie zuvor auch war verzagt,
Doch sprach sie: »Sohn, wer hat gesagt
Dir von ritterlichem Orden?
Wie bist dus inne geworden?«
»Mutter, ich sah vier Männer licht,
10   Lichter ist Gott selber nicht:
Die sagten mir von Ritterschaft.
Artusens königliche Kraft
Soll nach ritterlichen Ehren
Mich Schildespflichten lehren.«
15   Das war ihr neuen Leids Beginn.
Die Königin sann her und hin,
Wie sie eine List erdächte
Und ihn von solchem Willen brächte.

Der einfältge Knappe werth

20   Bat die Mutter um ein Pferd.
Das begann sie heimlich zu beklagen.
Sie gedacht: »Ich will ihm nichts versagen;
Aber grundschlecht muß es sein.
Es giebt noch Leute,« fiel ihr ein,
25   »Die gar lose Spötter sind.
Thorenkleider soll mein Kind
An seinem lichten Leibe tragen:
Wird er gerauft und geschlagen,
So kehrt er wohl in kurzer Frist.«
O weh der jammervollen List!
127   Sie wählt' ein grobes Sacktuch aus
Und schuf ihm Hemd und Hosen draus,
Aus Einem Stück geschnitten
Zu des blanken Beines Mitten;
5   Eine Kappe dran für Haupt und Ohren:
So trugen damals sich die Thoren.
Zwei Ribbalein statt Strümpfen auch
Aus Kalbshäuten frisch und rauch
Maß man seinen Beinen an.
10   Da weinten Alle, die es sahn.

Die Königin mit Wohlbedacht
Bat ihn zu bleiben noch die Nacht:
»Du darfst dich nicht von hinnen heben,
Ich muß dir erst noch Lehren geben:

15   Du sollst auf ungebahnten Straßen
Dich nicht auf dunkle Furt verlaßen;
Ist sie aber seicht und klar,
So hat der Durchritt nicht Gefahr.
Du sollst auch Sitte pflegen,
20   Jeden grüßen auf den Wegen.
Will dich ein grauweiser Mann
Zucht lehren, wie ein Solcher kann,
So folg ihm gerne mit der That
Und zürn ihm nicht, das ist mein Rath.
25   Eins laß dir, Sohn, befohlen sein:
Wo du guter Frauen Ringelein
Erwerben mögest und ihr Grüßen,
Da nimms: es kann dir Leid versüßen.
Magst du ihren Kuss erlangen
Und herzend ihren Leib umfangen,
128   Das giebt dir Glück und hohen Muth,
Wenn sie keusch ist und gut.

»Deinen Fürsten, wiße, Sohn mein,
Hat der stolze kühne Lähelein

5   Zwei Länder abgefochten,
Die dir sonst nun zinsen mochten:
Waleis und Norgals.
Deiner Fürsten Einer, Turkentals,
Den Tod von seiner Hand empfing:
10   All dein Volk er schlug und fing.«
»Das räch ich Mutter, will es Gott,
Ihn verwundet noch mein Gabilot.«

Da Morgens schien des Tages Licht,
Der stolze Knappe säumte nicht:

15   Artus ihm im Sinne lag.
Sie küsst' ihn oft und lief ihm nach.
Der gröste Jammer da geschah,
Als sie den Sohn nicht länger sah.
Der ritt hinweg: wen mag das freun?
20   Da fiel die Fraue Falsches rein
Zur Erde, wo sie Jammer schnitt,
Bis sie den Tod davon erlitt.

Ihr getreulicher Tod
Bewahrt sie vor der Hölle Noth.

25   O wohl ihr, daß sie Mutter ward!
So fuhr die lohnergiebge Fahrt
Diese Wurzel aller Güte,
Aus der das Reis der Demuth blühte.
Weh uns, daß uns nicht verblieb
Ihre Sippe bis zum eilften Glied!
129   Drum muß man so viel Falschheit schaun.
Doch sollten die getreuen Fraun
Heil erwünschen diesem Knaben,
Den sie hier sehen von ihr traben.

5  

Da fuhr der Knappe wohlgethan
In den Wald von Briziljan.
Er kam an einen Bach geritten,
Den ein Hahn hätt überschritten.
Da stunden Blumen hell und klar;

10   Doch weil sein Fluß so dunkel war,
Fiel seiner Mutter Rath ihm bei:
Er ritt tagüber dran vorbei,
Wie es ihm denn im Haupt nicht sonnte.
Die Nacht verbracht er wie er konnte;
15   Doch als der lichte Tag erschien,
Hub er zu einer Furt sich hin,
Die lauter war und wohlgethan.
Auf jener Seite war der Plan
Mit herlichem Gezelt geschmückt;
20   Viel Reichtum ward daran erblickt.
Das Zelt war hoch und weit dabei,
Der Samt von Farben dreierlei;
Auf den Näten lagen Borten gut.
Von Leder hing dabei ein Hut,
25   Den man drüber ziehen sollte,
Immer wenn es regnen wollte.

Dük Orilus de Lalander,
Des Weib darunter fand er
Wonniglich ruhen, wie es schien,
Eine reiche Herzogin,

130   Ihres Ritters liebstes Pfand;
Jeschute war sie genannt.

Entschlafen ward die Fürstin werth.
Sie trug der Minne schärfstes Schwert:

5   Einen Mund durchleuchtig roth,
Verliebten Ritters Herzensnoth.
Während die Schöne schlief,
Der Mund ihr von einander lief:
Das schuf der Minne Glut und Feuer.
10   So lag das schönste Abenteuer.
Schneeweiß, wie von Elfenbein,
Zusammen dicht gefügt und klein,
So standen ihr die lichten Zähne.
Mich gewöhnt man nicht, ich wähne,
15   An so hochgelobten Mund;
Solch Küssen wird mir selten kund.

Von Zobel eine Decke fein
Sollt ihr verhüllen Hüft und Bein,
Die sie vor Hitze von sich stieß,

20   Wenn sie der Wirth alleine ließ.
Sie war geschmückt nach Hofes Art,
An ihr ward keine Kunst gespart:
Gott selber schuf den süßen Leib.
Es trug das minnigliche Weib
25   Langen Arm und blanke Hand.
Ein Ringlein dran der Knappe fand,
Das ihn nach dem Bette zwang,
Wo er mit der Fürstin rang.
Ihm rieth ja die Mutter sein
Zu der Frauen Ringelein.
131   Schnell sprang der Knappe wohlgethan
Von dem Teppich an das Bett heran.

Das reine Weib unsanft erschrak,
Da der Knapp ihr in den Armen lag:

5   Sie muste wohl erwachen.
Beschämt und sonder Lachen
Sprach, die man keusche Zucht gelehrt:
»Wer ist es, der mich so entehrt?
Jungherr, es ist euch allzuviel:
10   Wählt euch doch ein ander Ziel.«

Wie laut sie sich beklagte,
Er frug nicht, was sie sagte,
Ihren Mund er an den seinen zwang.
Auch bedacht er sich nicht lang,

15   Er drückt' an sich die Herzogin,
Ihr ein Ringlein abzuziehn;
Eine Spange sah er ihr am Hemd:
Die brach er nieder ungehemmt.
Die Frau war nur ein Weib zur Wehr,
20   Seine Kraft war ihr ein ganzes Heer;
Sie wandt ihn doch mit Ringen ab.
Seinen Hunger klagte jetzt der Knapp:
Da war sie frei der schweren Pflicht.
Sie sprach: »Mich eßen sollt ihr nicht.
25   Wärt ihr ein wenig weise,
Ihr nähmt euch andre Speise.
Dahinten steht Brod und Wein
Und zwei Rebhühner obenein,
Die eine Jungfrau brachte,
Nicht euch sie zugedachte.«
132   Er frug nicht, wo die Wirthin saß:
Einen guten Kropf er aß.
Darnach er schwere Trünke trank.
Die Frau bedauchte gar zu lang
5   Sein Weilen in dem Pavillon.
Sie wähnt', er wär ein Garzon,
Dem Verstand und Sinn entkam.
Der Angstschweiß brach ihr aus vor Scham.
Doch sprach zu ihm die Fürstin rein:
10   »Jungherr, ihr sollt mein Ringelein
Hier laßen und den Fürspann.
Hebt euch hinweg: denn kommt mein Mann,
So müßt ihr Zorn erleiden,
Den ihr lieber möchtet meiden.«

15  

Da sprach der Knappe wohlgeborn:
»Was fürcht ich eures Mannes Zorn?
Doch kränkts euch an den Ehren,
So will ich hinnen kehren.«
Da schritt er zu dem Bett heran:

20   Ein andrer Kuss war da gethan;
Gar leid war das der Herzogin.
So ritt er ohne Urlaub hin;
Er sprach jedoch: »Gott hüte dein,
Denn also rieth die Mutter mein.«

25  

Der Knappe war des Raubes froh;
Eine gute Weile ritt er so,
Nicht fehlt' ihm an der Meile viel:
Da kam, von dem ich sprechen will.
Bald erspürt' er an dem Thau
Den Besuch bei seiner Frau;

133   Der Schnüre hatt ein Theil gelitten:
Da war der Knapp durchs Gras geschritten.
Der werthe Herzog auserkannt
Sein Weib im Zelte traurig fand.
5   Da sprach der stolze Orilus:
»Wie hab ich, Frau, um euern Kuss
Meine Dienste schlecht verwendet;
Gelästert und geschändet
Ist all mein ritterlicher Preis:
10   Einen Buhlen habt ihr: ich weiß.«
Sie schwur, was mocht ihrs taugen?
Mit waßerreichen Augen
Daß sie unschuldig wäre:
Denn er glaubte nicht der Märe.

15  

Sie sprach jedoch mit Angst und Pein:
»Es kam ein Thor zu mir herein:
Was jemals meine Augen sahn,
Nie erblickt ich schönern jungen Mann.
Mein Ringlein und den Fürspann hier

20   Nahm er wider Willen mir.«
»Ei, wie er euch so wohl gefällt:
Gewiss, ihr habt euch ihm gesellt.«
Da sprach sie: »Das verhüte Gott!
Seine Ribbalein, sein Gabilot
25   Sind mir schon zu nah gekommen.
Wie mag die Red euch frommen?
Es missstünde Königinnen,
So niedrig zu minnen.«

Der Herzog wieder begann:
»Frau, nähmt ihr guten Rath nur an,

134   So ließt ihr Eine Sitte fahren:
Statt der Köngin Namen zu bewahren,
Hießt ihr nach mir nun Herzogin.
Mir bringt der Handel Ungewinn.
5   Meine Mannheit ist doch wohl so keck,
Daß euer Bruder Ereck,134, 6. In Ereck und Enite, dem Jugendgedicht Hartmanns von Aue, kommt das Turnier von Prurin vor: Orilus de Lalander (franz. l'Orgueilleux de la Lande), der hier der hochfährtige Lando heißt (2575), wird von Ereck abgestochen; daß er aber hernach Erecken vor Karnant abgestochen habe, finde ich nicht. Zwar verliegt sich Ereck zu Karnant, d. h. er wird träge zur Ritterschaft; aber Niemand sticht ihn ab; auch widerfährt ihm dieß späterhin nur, da er ganz wundenmatt ist, von Guivreiz, den er früher besiegt hatte. Wahrscheinlich folgte hier Wolfram seiner Quelle, wie auch die gleich folgenden Anspielungen sich auf kein deutsches Gedicht beziehen.
Mein Schwager, Fils dü Roi Lak,134, 7. Den König Lach (Roi Lac) kennen wir schon aus 73, 22.
Euch wohl deswegen haßen mag.
Auch erkennt der Degen weis,
10   Wohl ist mein ritterlicher Preis
Von jedem andern Flecken rein,
Als daß er mich vor Prurein
Im Tjoste hat bezwungen.
Doch hab ich an ihm errungen
15   Hohen Preis vor Karnant.
In rechter Tjost stach meine Hand
Ihn vom Ross und heischte Fianze.
Durch den Schild hat meine Lanze134, 18. Vgl. zu 32, 14.
Ihm euer Kleinod gebracht.
20   Eure Huld, hätt ich da nicht gedacht,
Käm' Andern je zu Gute,
Meine Herrin Jeschute.

»Ueberzeugt auch seid ihr des,
Frau, daß der stolze Galoes,

25   Fils dü Roi Gandein,
Im Tod erlag der Tjoste mein.
Ihr selber hieltet nah dabei,
Wo mir Plihopliherei
Entgegen tiostierend ritt
Und mich im Streite da bestritt.
135   Hinters Ross mein Sper ihn zückte,
Daß kein Sattel mehr ihn drückte.
So hab ich manchen Preis errungen,
Viel Ritter hinters Ross geschwungen.
5   Das kam mir nicht zu Gute hier:
Die höchste Schande wehrt' es mir.

»Sie haßen mich mit Grunde,
Die von der Tafelrunde.
Ihrer achte stach ich nieder da,

10   Wo es manche Jungfrau sah,
Bei dem Sperber dort zu Kanedig.135, 11. Mit diesem Sperber hatte es wohl dieselbe Bewandtniss wie in Hartmanns Ereck, wo der Herzog Imain alljährlich einen Sperber auf eine silberne Stange setzte, welcher dem Ritter bestimmt war, der es im Kampf wider die übrigen zu bewähren wuste, daß seiner Geliebten der Preis der Schönheit gebühre (186–215).
Ich behielt euch Preis und mir den Sieg,
Wie ihr bei Artus wohl ersaht,
Der meine Schwester bei sich hat,
15   Die Süße, Kunnewaren.
Ihr Mund kann nicht gebahren
Mit Lachen, eh sie den ersehn,
Dem den höchsten Preis sie zugestehn.
Ach käm mir doch derselbe Mann!
20   So würd ein Streiten hier gethan,
Wie heute Morgen, da ich kämpfte
Und eines Fürsten Hochmuth dämpfte,
Der mir sein Tiostieren bot:
Da gab ihm meine Tjost den Tod.«

25  

»Ich will von solchem Zorn nichts sagen,
Daß mancher hat sein Weib geschlagen
Um geringere Schuld.
Sollt ich euch verliebte Huld
Im Ritterdienst noch bieten,
So gewännt ihr nur die Nieten.

136   Ich will nicht mehr erwarmen
In euern blanken Armen,
Wo ich wohl sonst in Minne lag
Manchen wonniglichen Tag.
5   Ich mach euch bleich den rothen Mund,
Euern Augen thu ich Röthe kund;
Eurer Freude will ich wehren,
Euer Herze Seufzer lehren.«

Die Fürstin sah den Fürsten an,

10   Ihr Mund da jämmerlich begann:
»Nun ehrt an mir die Ritter all.
Weis und getreu seid ihr zumal
Und wohl auch so gewaltig mein,
Ihr könnt mir schaffen hohe Pein;
15   Nur geht erst weislich zu Gericht.
Bei allen Fraun, versäumt es nicht!
Verdien ichs, trag ich gern die Noth.
Fänd ich von andrer Hand den Tod,
Daß es euch nicht Schmach erwürbe,
20   Wie gern ich dann erstürbe!
Das wär mir eine süße Zeit,
Da ihr mir doch erzürnet seid.«

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