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Rudolf Virchow

Geboren am 13. Oktober 1821 in Schivelbein (Pommern), gestorben am 5. September 1902 in Berlin. – Als Zögling der Pepinière wurde er mit 23 Jahren Prosektor; 1849 ging er nach Würzburg und kehrte 1856 nach Berlin zurück, wo er ebenfalls die Professur für pathologische Anatomie übernahm. Dem Programm, das er im 1. Band von seinem »Archiv« aufstellte, ist er bis an sein Lebensende treu geblieben: Der Satz omnis cellula a cellula ist die anerkannte Signatur der biologischen Zellularpathologie geworden. – Seine Werke verzeichnet die von J. Schwalbe herausgegebene Virchow-Bibliographie 1843-1901 (Berlin 1901); sie umfaßt außer Medizin, Hygiene, Allgemeines (Philosophisches, Standesfragen usw.), Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte; die auf die innere und praktische Medizin bezüglichen Werke verzeichnet W. Ebstein: R. Virchow als Arzt. Stuttgart 1903.

 

Charité, am 9ten Mai 1845.

Lieber Vater!

... Mittlerweile ist Görcke's Geburtstag am 3ten Mai Joh. Goercke (1750-1822) begründete 1795 die »Pepinière«, die er 1811 als med.-chirurgische Akademie wieder ins Leben rief. gefeiert und meine Rede Über das Bedürfnis und die Richtigkeit einer Medizin vom mechanischen Standpunkt. gehalten worden. Wie ich Dir schon geschrieben zu haben glaube, enthielt sie ein förmliches medicinisches Glaubensbekenntniß, mit oft nicht kraftlosen Angriffen auf die Gegner der heutigen Richtung...

 

Charité, am 27ten August 1845.

... Die alten Militärärzte wollten aus der Haut fahren ob so neuer Weisheit; daß das Leben so ganz mechanisch construirt werden sollte, schien ihnen vollkommen umwälzerisch, wenigstens ganz unpreussisch; da müßte doch noch so eine Art von Heiligenschein drumbleiben, damit man ein wenig geblendet würde und die Dinge nicht klar ansehen könne ...

 

Charité, 20. Dezbr. 1846.

... Endlich habe ich mit meinem Freunde, dem Dr. Reinhardt, den Beschluß gefaßt, eine medicinische Zeitschrift herauszugeben; der Buchhändler Reimer, die bekannte alte Firma, hat den Verlag derselben übernommen u. wir werden im Laufe des Winters noch, so hoffen wir, das erste Heft herausgeben. Eine Zeitschrift der Art, wie wir sie intendiren, ist ein Bedürfniß der Zeit, u. was Berlin insbesondere angeht, so habe ich ihr den Boden schon geebnet. Ich habe in mehreren medicinischen Gesellschaften Vorträge gehalten, von denen einer direkt die Gesichtspunkte unserer Richtung feststellte, der mit allgemeinem, lauten Beifall aufgenommen wurde. Gemeint ist das sog. »Virchows Archiv« für pathol. Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin, seit Reinhardts Tode (1852) von Virchow allein herausgegeben bis an sein Lebensende. Kürzlich ist dann noch eine Kritik eines großen Werkes von Rokitansky Betrifft dessen Handbuch der patholog. Anatomie, in Med.-Zeitung des Vereins für Heilkunde in Preußen. Nr. 48. 50. in Wien erschienen, welche die Haltlosigkeit dieser Richtung nachweist. Darüber ist nun ein großer Aufruhr ausgebrochen: die einen, besonders die älteren Herrn, von der Universität und Praxis, sind entzückt darüber, während die jüngerem Herrn von der Wiener Schule wüthen. Da ergehen nun die widersprechendsten Urtheile über mich. Ich lasse es mir gefallen und denke, es wird wohl vorübergehen, und die nachhaltige Wirkung die sein, daß man künftig vorsichtig ist.

 

Charité, 17. Juni 1847.

... Neben diesen großen Ereignissen arbeite ich ruhig fort und bin in diesem Augenblick namentlich mit dem 2ten Heft unseres Archivs lebhaft beschäftigt. Ich experimentire namentlich viel an Hunden und hoffe dadurch wieder ein gutes Stück weiter in der Entwicklung vernünftiger pathologischer Ansichten zu kommen. Ich schrieb Dir wohl schon, daß ich neben meinem gewöhnlichen Cours noch einen zweiten für praktische Ärzte halte, in dem Geheime Räthe, Medicinalräthe und eine Reihe alter und junger Praktiker sich befinden; das macht mir viel Spaß. Es gehört nun einmal eine gewisse Popularität dazu, um eine junge medicinische Schule zur Geltung zu bringen. Daß es jetzt geht, ist klar, und ich habe davon zuweilen recht kuriose Beispiele. Eines der seltsamsten ist folgendes: Vor einiger Zeit bin ich auf einem Balle bei Madame Crelinger, ich tanze mit einer jungen Dame Contretanz, der ich eben zuvor vorgestellt war. In einer Pause sagte sie: »Habe ich recht gehört, sind Sie der Dr. Virchow?« Als ich bejahte, fragt sie weiter: »V – i – r – c – h – o – w?« Im höchsten Grade erstaunt, bejahte ich auch dieses. Darauf sie: »Ach, da ist das gewiß Ihr Herr Vater, der die Vorlesungen über pathol. Anatomie hält?« ...

Was machen die Saaten? Im allgemeinen scheinen die Aussichten ja günstig zu sein, so daß die geleerten Vorrathskammern sich wieder etwas füllen können ...

Viele Wünsche für Deine Fluren
Dein Rudolf.

 

Berlin, am 28. April 1858.

Lieber Vater!

... Heute ist der letzte Tag der Ferien; in einer Stunde wird er verflossen sein und von morgen ab muß ich Morgens um 7 Uhr wieder regelmäßig in der Charité sein. Indeß habe ich von den Ferien nicht viel gehabt. Meine Zeit ist jetzt noch so in Anspruch genommen, daß ich kaum schriftstellerische Arbeiten leisten kann. In dem Cours für praktische Ärzte, den ich während der Ferien gehalten, habe ich durch einen Stenographen nachschreiben lassen, und seine Reinschrift wandert, nachdem sie corrigirt ist, sofort in die Druckerei. Den Ertrag des Buches Die Cellular-Pathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Zwanzig Vorlesungen, gehalten während der Monate Februar, März und April 1858 im pathologischen Institut zu Berlin von Rudolf Virchow. Berlin 1858 (Aug. Hirschwald). wollen wir theilen ...

Und nun lebe recht herzlich wohl, bleibe recht gesund und lasse bald etwas Gutes von Dir hören.

Dein Dich herzlich liebender Sohn
Rudolf.

 

An Carl Vogt:

[Schivelbein] 28. Dezember 1864.

»Ihr Brief hat mich hier erst spät erreicht, aber, obwohl der eben erfolgte Tod meines Vaters meine Gedanken nach ganz anderen Richtungen in Anspruch nimmt, entspreche ich doch gern Ihrem dringlichen Wunsche, da ich die von Ihnen genannten, bis auf Weber, Theodor Weber (1829-1904), Kliniker in Halle. sämtlich zu meinen Schülern zählen kann und daher ein genaueres Urteil habe. Was zunächst Biermer Anton Biermer (1827-1892), Kliniker in Zürich und Breslau. anlangt, so möchte ich glauben, daß er Ihren Bedürfnissen am meisten entspricht. Er ist von entschiedener Natur, ein einflußreicher Lehrer, in den Schweizer Verhältnissen erprobt und von hoher wissenschaftlicher und praktischer Vorbildung. Er war längere Zeit in Würzburg Assistent, ist früh an den Unterricht gewöhnt, hat eine gute praktische Methode, selbständiges Urteil und ganz ungewöhnliche Rührigkeit.

Von den anderen von Ihnen genannten würde ich Kußmaul Adolf Kußmaul (1822-1902), zuletzt als Kliniker in Straßburg. den Vorzug geben. Er ist eine überaus liebenswürdige Persönlichkeit, in der wissenschaftlichen Arbeit von fast philologischer Genauigkeit, guter Experimentator und von feiner Beobachtung. Unter den Aufgeführten ist er wohl derjenige, welcher die größte Originalität mit der angenehmsten Bestimmtheit verbindet. Wenn ich ihn nicht in erster Linie stelle, so geschieht es, weil er eine mehr stille Wirksamkeit liebt, und ich denke mir, daß für den Studenten eine, ich möchte sagen, derbere Persönlichkeit den Vorzug verdient.

Gerhardt Karl Gerhardt (1833-1902), Kliniker in Würzburg und Berlin. und Ziemßen H. v. Ziemßen (1829-1902), Kliniker in München. sind sehr empfehlenswürdige Kandidaten, vortrefflich vorgebildet und überall als Lehrer beliebt gewesen. Aber sie haben nicht dasjenige Maß von Initiative, wie Biermer und Kußmaul, und würde sie daher erst in dritter Linie setzen. Weber, den ich sehr wenig kenne, und der in Halle überaus geschätzt ist, ist mir gar zu wenig produktiv; auch scheint es mir, daß ihm die große Hospitalpraxis zu fern liegt. Haben Sie gar nicht an die Möglichkeit gedacht, Friedreich Nicolaus Friedreich (1825-1882), Kliniker in Heidelberg. zu gewinnen? Ich dachte das große Spital müßte ihn locken, und ich wenigstens würde ihn für eine Person erster Linie halten.«

Herzlichen Gruß!

Ihr ergebenster
R. Virchow.

 

Schivelbein, am 29sten Decembr. 1864.

Mein lieber Schatz!

Wieder ist ein Tag herum und es ist noch einsamer um mich her geworden. Nur noch die Kanarienvögel, die über mir schlafen, sind als lebende Zeugen dessen, der hier so viele Jahre gewirkt hat, zurückgeblieben.

Um mich her liegen wüste Haufen von Papier, die Erinnerungen von mehr als 50 Jahren, und die Geschichte des menschlichen Herzens, wie es jung fühlt und im Alter empfindet, ist mir selten so schroff vor die Seele getreten. Welchen Kummer bereiten sich die Leute, die sich doch am liebsten haben sollten und die sich auch am liebsten gehabt haben, in der Verfolgung ihrer oft eingebildeten Interessen! Welch' ein Bild des Unfriedens und des Zankes ist mir aus diesen Bergen von Aktenstücken und Briefschaften entgegengetreten, welche ich nun endlich heute zu Ende durchgelesen habe! Wie wächst das Mißtrauen aus den unscheinbarsten Dingen, wenn die Leute erst aufgehört haben, sich gegenseitig auszusprechen! Ach! es ist mir oft recht weh um's Herz geworden, wenn ich Papiere nur deshalb zum Feuer verurtheilen mußte, weil ich mir sagen mußte, es sei besser, wenn sie nie geschrieben worden wären.

Nun ist auch das zu Ende ...

Nun adieu, mein Schatz! Ich will meine einsame Lagerstätte suchen. Hilf' Dir inzwischen durch. Grüße die Kinder und die Deinen und behalte lieb Deinen

Rudolf.

 

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