Marie von Ebner-Eschenbach
Die Totenwacht
Marie von Ebner-Eschenbach

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Georg wetzte auf seinem Platze hin und her, machte einen immer runderen Rücken und blickte zur Seite, indes sie fortfuhr:

«Weißt noch, wie du mir am nächsten Tag wieder nachg'stiegen bist, und auch später die ganze Zeit, und wie ich mich hab einsperren müssen vor dir, wenn ich allein war im Haus? Und wie ich mein Unglück erkannt hab, weißt noch, wie ich da gekommen bin und dir's g'sagt hab und wie du mich ausg'lacht hast und mir ausg'wichen bist von dem Tag? Und wie ich mir am End keinen Rat mehr g'wußt und deinen Vater um Hilf ang'rufen hab, da hat er gleich ungläubig g'schmunzelt, und du hast alles g'leugnet mir ins G'sicht!»

Er griff sich an den Kopf: «Ich hab halt so viel Angst g'habt vor mein Vatern; er war gar streng.»

«Angst? Das gibt's, daß einer so eine Kraft hat und doch Angst? Aus Angst hat der Schandbub g'sagt: ‹Ich weiß nix von ihr!...›»

Sie preßte die Wange auf die Brust der Mutter: «Hörst du mich, ich schwör dir's, meine Hand liegt auf dein'm Kopf, mein G'sicht liegt auf dein'm Herzen. Ich bin ganz unschuldig g'wesen; du kannst auf mich herabschaun vom Himmel und brauchst dich nicht kränken. Tu's nur, schau auf mich herab! Jetzt kann ich zu dir sprechen und werd nicht einmal mehr rot. Wie du g'lebt hast, konnt ich nur sagen: 's is g'schehn, und der Georg hat's getan. – Mehr konnt ich nicht sagen; und du hast g'sehn, wie ich mich herunterkränk, und warst voll Angst, daß ich mir was antu, wenn d' viel fragst... Und der Vater, der...» Sie hob den Kopf, verbiß ein Schimpfwort und sprach mit bitterem Hohne: «Dem war's eher recht; er hat einmal einen ordentlichen Grund g'habt, mich durchzupeitschen, und is dann gar nimmer aus'm Wirtshaus gekommen, wo er sich Trost g'holt hat für mein Unglück... Mein Unglück, das der da verschuldet hat... O Mutter!» brach sie leidenschaftlich aus, «einmal, ein einzig's Mal noch mach deine Augen auf und schau den an! Sieht er nicht aus wie's böse G'wissen? Nimm deine Verzeihung z'ruck und fluch ihm, wie er's verdient!»

Er bückte sich unwillkürlich unter der Verdammung, die sie auf ihn niederrief.

«Schweig einmal!» sprach er. «Warum mußt mich so niederdonnern? Ich will alles gutmachen, wie g'sagt. Ich nehm dich. Ich hätt dich schon lang g'nommen; aber hatt's denn sein können? Ich hab warten müssen, bis dein Vater nimmer is. Wie der war, hätt er uns an den Bettelstab 'bracht. Dein Vater hat halt zu lang g'lebt.»

Ganz versunken in ihre Gedanken, hatte sie ihn reden lassen, ohne hinzuhören. Bei den letzten Worten wurde sie aufmerksam und nickte zustimmend: «Zu lang g'lebt, wie alle bösen Leut. Dein Vater, der hat's g'schwinder g'macht, der hat sich ganz stat wegg'stohlen, wie du das Alter g'habt hast, Herr zu sein im Haus. Oh!» begann sie nach kurzem Schweigen wieder, «nur ein paar Jahr früher, wenn der meine g'storben wär, wir hätten uns hinaufgebracht, meine Mutter und ich. Wir waren fleißige Arbeiterinnen; um uns is immer ein G'riß g'wesen. Aber Elend und Not und die letzte schwere Pfleg! An der is die Mutter zugrund gegangen. Den ganzen Tag schaffen, die ganze Nacht wachen, das hat sie nicht ausg'halten.»

Georg räusperte sich so gewiß ablehnend und überlegen: «No ja, freili. Jetztunter aber sein's beide tot, und ich nehm dich also. Der Herr Pfarrer verkündigt uns am nächsten Sonntag zum erstenmal, und in drei Wochen hol ich dich zur Trauung. 's is höchste Zeit, daß d' fortkommst. Der Gersthofer, der den Krempel» – er sah sich geringschätzig um – «gekauft hat, kann's eh nit erwarten, daß er leer wird und daß er ihn niederreißen kann.»

«Ich weiß ohnehin», erwiderte sie. «Ich werd ihm auch nit lang zur Last fallen. Meinem Mutterl geb ich noch 's G'leit, wenn sie's hinaustragen dann geh ich, gleich vom Friedhof weg.»

Ein Geflunker und eine Drohung erschienen ihm diese Worte, und er brummte verdrießlich: «Such dir einen andern, den d' zum Narren halten kannst! Gehn wirst? Wohin denn? Hast keine Seel auf der Welt, hast nix und niemanden.»

«Da irrst. Zwei gute Freund hab ich – die da!» Stolz und selbstbewußt streckte sie ihre kräftigen Arme aus. «Solang mich die nicht verlassen, bin ich nicht verlassen. Bei uns kommt, Gott sei Dank, noch jeder durch, der nix will und verlangt als Arbeit.»

Er zuckte die Achseln: «Was wirst anfangen? In Taglohn gehn? Oder suchst dir 'en Dienst?»

«Hab schon einen. Heut nacht schlaf ich schon drüben in St. Egyden. Die Weberbäuerin, bei der ich im Sommer im Schnitt g'wesen bin, hat erst gestern wieder um mich g'schickt.»

«Und bei der stehst ein?»

«Bei der steh ich ein.»

«Ich gratulier!» rief Georg, «bei der wirst's gut haben.»

«Wie ich's schon einmal g'habt hab. Streng is sie, das is wahr – was liegt mir dran? Ich bin selber streng, und grad deswegen haben wir uns so gut vertragen miteinander. Die Weberbäuerin is nur verschrien, wie heutzutag jedes, das verlangt, daß seine Dienstleut ihre Schuldigkeit tun.»

Georg hörte ihr aufmerksam zu. Was sie da sagte, gefiel ihm über die Maßen; er ging ja seit einiger Zeit ganz im stillen mit dem Gedanken um, einen Knecht aufzunehmen. Aber nicht nur, was sie sagte, sie selbst, das schöne, tüchtige, kreuzbrave Weib, gefiel ihm, hatte ihm von jeher gefallen. Er hatte sie einmal gern, lieber als alle andern zusammen, die sich um seine Gunst bemühten; er war sich's nie so deutlich bewußt gewesen wie in diesem Augenblick, nie auch hatte ihre verächtlich herbe Art ihn so bitter beleidigt und gereizt. Aus diesem Aneinanderprallen widerstreitender Empfindungen entwickelte sich in ihm ein heißes, heftiges Verlangen nach dem Besitze der – doch wohl nur zum Schein – seiner Bewerbung Widerstrebenden.

«Mach ein End!» herrschte er sie an. «Dich zu bedanken hast, nix andres. Ich nehm dich, wie d' bist; Schulden wirst ja keine haben», fügte er vorsichtshalber bei, beruhigte sich aber selbst: «Und wenn auch, viel wird's nit austrag'n. Was kriegt denn ein Arm's z' leihn?»

«Hast recht», sprach sie. «Ob's aber jetzt ein Guldenzettel is oder ein Kreuzer, dich trifft's nicht; ich nehm dich und nehm dein Geld nicht.»

«Du nimmst mich nicht? Für so dumm wirst mich doch nicht halten, daß ich dir das glaub!»

«Ich seh schon, du hast nit g'nug an mein'm einfachen Nein», erwiderte sie, wurde leichenblaß, und ihre Augen funkelten. Sie brachte die Worte anfangs entsetzlich mühsam hervor; dann sprach sie rasch und leise, mit gewaltig niedergehaltenem und dennoch aufloderndem Zorn, und warf dabei einen ehrfurchtsvollen, um Verzeihung bittenden Blick auf die Tote.

«Weißt was? Wie das Kind gekommen is, das arme, unglückselige, hab ich, trotz Schand und allem, eine Freud an ihm gehabt. Ich hab nix, hab ich mir gedacht, aber dich hab ich, und dir zulieb will ich leben und mich plagen, und meine Plag soll von jetzt an meine Freud sein. Und mit jedem Tag is meine Lieb zu dem armen Wurm g'wachsen und g'stiegen. Aber es hat schon zu viel g'litten g'habt, bevor's noch g'wußt hat, was leiden heißt. Eh 's Jahr um war, is 's g'storben... Da liegt mein Mutterl auf dem Schragen, mein altes, liebes Mutterl. Mein ganzes Inwendige is nur eine Wunden, und doch sag ich – wie mein Kind g'storben is, war mir ärger, und ich hab Gott verklagt: Hast mir's gegeben gegen meinen Willen in Not und Verzweiflung, und jetzt, nachdem's mein einzig's Glück worden is, reißt mir's weg! Unbarmherzig hab ich ihn g'scholten, den Höchsten, vor dem ich heut auf die Knie fall und zu dem ich ruf: Barmherziger! Allgütiger, du weißt, was du tust! Sei gelobt und gepriesen!... Du hast mein Kind zu dir g'nommen, es ist ein Engel im Himmel, und ich darf – Gott sei Lob und Dank! -, ich darf zu dem Menschen dort sagen: Ich nehm dich nicht; lieber in die Höll als in dein schönes Haus!»

Georg starrte zu ihr hinüber; es lief ihm kalt über den Rücken. Sie saß vor ihm so ruhig wie aus Stein, und doch lebte alles an ihr. Ihre Brust hob und senkte sich, ihre Lippen glühten, es ging eine Macht von ihr aus, die ihn, den sie verwarf, unwiderstehlich anzog, ihn, den Starken, beugte, seinen Willen brach und seinen Hochmut überwand.

«Verschwör's nit!» rief er. «Schau, Annerl, grad deswegen, weil ich immer g'meint hab, heiraten wer'n wir doch einmal, hab ich g'meint, ich muß dir beizeiten den Herrn zeigen. Verzeih mir's, Annerl, und gib mir ein gutes Wort und sei wieder gut!»

«So? – So?» Sie riß die Augen auf und betrachtete ihn mit einem Staunen, wie wenn er das größte Wunder wäre.

«Wieder gut?» sprach sie kaum hörbar. «Nach all'm, was ich ihm g'sagt hab, sagt der Mensch: ‹Sei wieder gut!› Merkst denn nicht, daß ich nicht könnt, auch wenn ich wollt?... Verzeihn tu ich dir – in Gottes Namen. Ich bin ja fertig mit'm Leben hier daheim; was vorbei is, is vorbei. Wie wenn eins die Tür von sein'm Haus absperrt, eh's in die Fremd geht, so mach ich's. Abg'sperrt! Aus is mit jeder Lieb und Freundschaft, und mit unserer Feindschaft auch. Du hast's g'hört, jetzt steh auf und geh!»

Georg stieß einen wilden Schrei aus. «Fangst schon wieder an mit dein'm Geh!'... Sei g'scheit; ich rat dir's, sonst gibt's ein Unglück!»

«Droh du nur!» Sie zuckte verächtlich die Achseln. «Tot g'macht werden bei der Leich meiner Mutter, das wär mir grad recht.»

Er griff sich in die Haare, stöhnte und schnaubte:

«Ich hab dich aber lieb über alles! Ich wär glücklich, wenn ich dich hätt. Ich bitt dich, kniefällig bitt ich dich: werd wieder gut und werd mein Weib!»

«Ich kann nicht», sprach sie. «Jeder Bissen, den ich aus einer Schüssel mit dir essen müßt, schwellet' mir im Mund; ich könnt nicht schnaufen neben dir, und vieltausendmal lieber sterben tät ich, als dulden, daß d' mir in die Näh kommst.»

«Wird sich schon geben, da is mir nit bang», erwiderte der Mann, und ein häßliches Lächeln bog seine Lippen.

Anna warf ihm einen Blick voll Verachtung und kühner Herausforderung zu: «'Sie haben Ohren und hören nicht', hat der Herr Pfarrer neulich gepredigt. So einer bist du. Geh! Wie oft soll ich's noch sagen? Geh!»

Georg sprang auf. Lichterloh flammte Wut ihm aus den Augen. Mit hoch erhobenen Fäusten stürzte er auf die Närrin zu, die es wagte, ihn so zu reizen, und die jetzt, ohne ein Zucken, ohne einen Laut, seine drohende Gebärde mit einer kalt abwehrenden beantwortete.

Er ließ die Arme sinken. In ihm war ein schwerer Kampf, ein Auf- und Abwogen der widersprechendsten Gefühle. Plötzlich stürmten sie über ihn herein und ergriffen ihn alle mit der gleichen Kraft. Dicht neben dem Sarge war er stehengeblieben; sein Blick glitt unwillkürlich über die Tote. Ein Schauer durchrieselte ihn, aber er wandte die Augen nicht ab. Es war kein Bild des Schreckens, zu dem er niedersah, es war ein verklärtes Bild der Duldung und Versöhnung. Ein tiefes Rühren erwachte in ihm.

«Mutter Theres!» schrie er auf.

Alle seine Härte war verschwunden, zerschmolzen, sein ganzes starres Wesen in Fluß geraten. Wie niedergeworfen, stürzte er auf seine Knie und rief die Tote an.

«Mutter Theres, bitt's für mich! Ihr seid's so gut g'wesen und habt's mir, was Ihr g'wußt habt, verziehn. Verzeiht's mir auch das andre! Ihr wißt's jetzt alles, Ihr wißt's auch, wie gern ich die Anna hab. Bitt's für mich, daß sie mich nimmt! Ein Totes kann sich melden; meld't Euch, Mutter Theres, gebt's ein Zeichen von Euch, daß sie weiß, 's is Euch recht, wenn sie mich nimmt!»

Er beugte sich über die Leiche, er horchte, er blickte mit unaussprechlicher Spannung in ihr stilles Angesicht. Aber das Zeichen, das er erflehte, blieb aus.

«Sie antwortet dir nicht», sprach Anna mit ernstem Triumphe. «Sie rührt sich nicht. Schau, wie sich's nicht rührt, mein armes Mutterl; horch zu, wie's still is; es weiß schon, was gut is für mich. – Und jetzt...» Sie hielt einen Augenblick inne, dann setzte sie gelassen hinzu: «Jetzt zwing mich nicht, daß ich noch einmal sagen muß, was du nicht hören willst. Ich möcht die letzten Stunden allein bleib'n mit meinem Mutterl.»

Georg erhob sich langsam; er begriff endlich, daß alles aus und vorbei war.

Ein rasendes Schluchzen brach aus seiner Brust. Unsicher und fragend streckte er dem Weibe seine Rechte entgegen. Mit abgewandtem Gesichte legte sie die ihre hinein.

«B'hüt dich Gott!» sagte er, und sie antwortete:

«B'hüt dich Gott!» so unwiderruflich abschließend, mit einem solchen Ausdruck seliger Erlösung, daß dem hartnäckigen Werber der letzte Hoffnungsschimmer erlosch.

Er entschloß sich denn, er ging; sie hörte ihn über die Straße schreiten, die Tür des Gartengitters öffnen und ins Schloß werfen. Da atmete sie auf und stieß ein freudiges «So!» aus befreiter Brust hervor.

Der Nachtwächter war schlafen gegangen und hatte den Hunden die weitere Sorge für die Sicherheit des Dorfes überlassen. Fahl und kahl drang die Morgendämmerung durch die Fensterluke, die Kerze erlosch und mit ihr der rötliche Schimmer und der letzte Schein von Leben auf dem Gesichte der Entschlafenen. Anna blickte lange in die teueren Züge. Unauslöschlich sollte die Erinnerung an sie sich ihr einprägen.

«So, mein Mutterl, so, jetzt haben wir beide Frieden», flüsterte sie und küßte die Stirn der erlösten Dulderin und küßte die heiligen Hände, die nur geruht hatten, um sich zum Gebet zu falten oder um sich zum Segen auf das Haupt der Tochter zu legen.


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