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Siebentes Kapitel.

Der Mönch von St. Gallen.

Wir haben in unserem Zeitraum zwar nicht wie in dem vorigen eine profane Biographie, die sich den Heiligenleben gegenüber stellen liesse, aber doch ein Werk ähnlicher Art, das durch manche sagenhafte Züge, in welchen die Phantasie des Volks die Thatsachen umgestaltet hat, recht zu einem Seitenstück von jenen wird. Es ist das Buch des Mönchs von St. Gallen über Karl den Grossen, De gestis Caroli magni. In: Monum. German. histor., Scriptores. T. II, p. 726 ff. – Monachus Sangallensis, De Carolo magno in: Bibliotheca rerum Germanic. ed. Jaffé. T. IV ( Monum. Carolina) p. 628 ff. – – Uebersetzt von Wattenbach in den Geschichtschreibern der deutschen Vorzeit. Zweite Ausg. Berlin 1877. – Simson, Bemerkungen zum Monachus Sang. in: Jahrbücher des fränk. Reichs unter Karl d. Gr. Bd. II. Excurs VII (p. 612 ff.). eine Anekdotensammlung, die auch von nicht geringem literarhistorischen Interesse ist. Grösstentheils aus mündlicher Ueberlieferung geschöpft, zeigt sie, wie das Bild des grossen Kaisers in der Phantasie des Volkes fortlebte – die ersten Anfänge der Karlsage, in denen bereits Keime der poetischen Gestaltungen der französischen Volksepik des zwölften Jahrhunderts sich finden. Das Werk ist in der Zeit von 884 bis 887 entstanden, auf den Wunsch Karls III., der im December des Jahres 883 in St. Gallen 215 einige Tage sich aufhielt. Der Verfasser, ein alter Mönch, Er bezeichnet sich selbst so, indem er sich l. II, c. 17 balbus et edentulus nennt. hatte damals ohne Zweifel den Kaiser mit manchen dieser Anekdoten unterhalten. Er verdankte sie theils einem dortigen Priester, seinem Lehrer Werinbert, theils dessen Vater Adalbert, einem alten Kriegsmann, bei dem der Verfasser aufgewachsen war. Adalbert, der mit seinem Herrn, dem Grafen Gerold, die Feldzüge gegen die Hunnen, Sachsen und Slaven mitgemacht, hatte dem Knaben, oft selbst wider seinen Willen, die Geschichten erzählt.

Das Werk war auf drei Bücher angelegt, von welchen jedes seinen besondern Gewährsmann ( auctor ) hatte; aber nur die beiden ersten, das zweite nicht einmal ganz beendet, sind uns erhalten; vielleicht ist auch gar nicht mehr von dem Verfasser ausgeführt worden. Er vertheilte den Stoff so, dass das erste Buch, dessen Quelle Werinbert, »von der Religiosität Karls und seiner Sorge für die kirchlichen Angelegenheiten«, das zweite, das aus den Mittheilungen Adalberts geschöpft war, »von den kriegerischen Dingen« handeln sollte, S. l. I, c. 34 fin. das dritte, dessen » Auctor« nicht genannt wird, hatte offenbar die Aufgabe, das tägliche häusliche Leben des Kaisers zu schildern. S. l. II, c. 16: Sed si bellicis rebus ab eo gestis aliquid non subtraxerimus, nunquam ad cottidianam eius conversationem revolvendam perducimur. Der » Auctor« war wohl hier ein Buch, vielleicht Einhards Vita. Sehr zu bedauern ist, dass die Vorrede verloren, Auf sie verweist der Verfasser am Schlusse des ersten Buchs. die wohl weitere Auskunft gegeben hätte.

Die stoffliche Disposition innerhalb der einzelnen Bücher ist allerdings keine strenge, doch lässt sich eine gewisse Ordnung im grossen keineswegs verkennen.

Der Anfang ist bemerkenswerth. Der Verfasser beginnt seine Erzählung mit dem Satze, dass, nachdem das Weltreich der Römer in Stücke gegangen, Gott durch Karl den Grossen ein neues, nicht weniger wunderbares, der Franken errichtet habe. Nachdem so in der Kürze die weltgeschichtliche Bedeutung Karls bezeichnet ist, geht der Verfasser zu den Bemühungen desselben um die Hebung der wissenschaftlichen Bildung über, indem er zunächst eine Anekdote von der Landung zweier gelehrten Schotten aus Hibernien an der Küste Galliens erzählt, 216 die, von dem Volke täglich mit der Frage bestürmt, womit sie handelten, endlich die Weisheit als ihre Waare bezeichneten. Der Ruf von ihnen dringt zu Karl, der sie mit Freuden aufnimmt, den einen, Clemens, in Gallien lässt, den andern nach Italien sendet. Diese Aufnahme der Gelehrten durch Karl lockt denn auch Alcuin zu ihm (c. 2). Offenbar irrt der Verfasser in der Annahme, dass Alcuin erst Clemens gefolgt sei. So urtheilt auch Simson, Ludwig d. Fr. Bd. II, S. 257. Der Verfasser illustrirt dann durch Anekdoten, wie Karl persönlich sich um das Schulwesen kümmerte, und wie er bei der Besetzung der Bisthümer nur nach der wissenschaftlichen Bildung frug, und aus solchem Grunde die Geringen vor den Vornehmen bevorzugte (c. 3 ff.); namentlich wurden deshalb auch die Schüler Alcuins befördert (c. 9). Episodisch wird hier auch (c. 10) der Hebung des Kirchengesangs im Frankenreiche durch die Berufung von römischen Singlehrern gedacht. Sehr abweichend von Ekkehards Darstellung (s. oben S. 145 f.) erzählt; vgl. Meyer v. Knonau in seiner Ausg. des Ekkeh. Anm. 603, S. 170. Das Verhältniss Karls zu den Bischöfen, vornehmlich wie er die demüthigen erhöhte und die stolzen erniedrigte, bildet dann weiter den Gegenstand einer Reihe von Erzählungen, die allerdings eine gewisse Animosität des Mönchs gegen die hohe Geistlichkeit verrathen, sodass er selbst die Besorgniss ausspricht, dieselbe sich zum Feinde zu machen (c. 18). Denn die meisten dieser Geschichten zeigen sie in einem schlechten Lichte. In ein paar derselben spielt auch der Teufel eine Rolle. So versucht er einen Bischof, der zu seiner Busse die Armen und Unreinen am Osterabend selbst badet, in der Gestalt eines scheusslichen Aussätzigen (c. 21); so stiehlt er einem andern den Wein (c. 23); so verwandelt er sich in ein Maulthier, um einen der Eitelkeit der Welt sehr ergebenen Bischof zu prellen (c. 24). Mit der letzteren Erzählung geht der Verfasser, wie er selbst sagt, zu den Italienern über; und nachdem er noch ein Scandalosum von einem dortigen Bischof berichtet, kommt er auf die Feindseligkeit der Römer gegen die Päpste zu reden und behandelt das gegen Leo vollbrachte Attentat, Beachtenswerth ist, dass hier von dem Wunder, das sich dabei zugetragen haben sollte (s. oben Bd. II, S. 60), nicht die Rede ist. Es heisst da: contigit, ut quidam – – eum cecare fuissent aggressi; sed divino nutu conterriti sunt et retracti, ut nequaquam oculos eius eruerent, sed rasoriis per medios inciderent. Vgl. übrigens über die verschiedenen Berichte Simson, Karl d. Gr. Excurs I, S. 583 ff. welches Karl nach Rom zu der Kaiserkrönung führte 217 (c. 26). Von Kapitel 28 bis 31 bilden die Bauten Karls und die Betrügereien, die ihm dabei gespielt wurden, aber ihre Bestrafung vom Himmel fanden, den Gegenstand. Nachdem dann der Verfasser noch zwei Geschichtchen von Geistlichen eingeschaltet, schliesst er seltsamer Weise das erste Buch mit einer Schilderung der alten fränkischen Kleidung, wie sie der Kaiser trug und der Mönch selbst sie noch an König Ludwig dem Deutschen und seinen Söhnen in dem Kloster St. Gallen gesehen hat.

Das zweite Buch, welches die militärischen Angelegenheiten behandeln soll, ist zugleich aber auch den diplomatischen gewidmet. Es beginnt mit einer Erinnerung an die ersten Hunnenzüge und einer Schilderung der eigenthümlichen Befestigung ihres Landes, worauf der Verfasser kurz ihrer Besiegung durch Karl gedenkt (c. 1); nachdem er dann noch ein paar Anekdoten aus dem Sachsenkriege erwähnt, geht er zu Karls Beziehungen zu den auswärtigen Mächten über (c. 5) und zwar zunächst zu Byzanz. In der Erzählung von den wechselseitigen Gesandtschaften des fränkischen und oströmischen Reiches wird der Hochmuth des Basileus und die Herrschaft der Etiquette an seinem Hofe, sowie die stolze Erwiederung, die sie von Karl fanden, durch phantastisch ausgeführte Gemälde geschildert, die nicht des Reizes lebendiger Anschaulichkeit entbehren. Im Eingang dieses Kapitels (7) gedenkt der Verfasser der Antiphonen, welche die griechischen Gesandten bei ihrem Gottesdienst sangen, und die dem Kaiser so sehr gefielen, dass er den Text ins lateinische übertragen liess. Kap.  8 wird dann von einer Gesandtschaft der »Perser«, Kap. 9 von einer »des Königs der Afrikaner« erzählt, und wie durch eine eigene Botschaft Karl die Geschenke des »Kaisers der Perser,« Harun – der bekannte Kalif ist gemeint – erwiedert, bei welcher Gelegenheit der Muth der Franken das höchste Erstaunen der Orientalen erregt. Um Karl zu ehren, schenkt Harun ihm damals das heilige Land, nur als sein Vogt will er es verwalten. Noch zu Ludwigs des Deutschen Zeiten wurden deshalb Steuern zum Zweck der Auslösung der das Land der Verheissung bewohnenden Christen erhoben. Indem der Autor so auf den Vater Karls III. zu reden kam, fängt er nunmehr 218 von ihm zu erzählen an (c. 10). Er theilt eine Anekdote aus den Knabenjahren Ludwigs des Deutschen mit, welche bezeugen soll, wie viel Karl der Grosse selbst von ihm erwartete. Im folgenden Kapitel gibt er dann ein Porträt und eine ausführlichere Charakterzeichnung Ludwigs. Dass er, wie der Autor erwähnt, die Vogtei des Klosters St. Gallen übernahm, erklärt die Begeisterung des Mönchs für ihn leicht.

Mit Kap. 12 kehrt der Verfasser nach den langen Abschweifungen zu den Kriegen Karls des Grossen zurück, indem er in dunkler Weise einen Feldzug Karls gegen die Hunnen erwähnt und die Grausamkeit, womit er geführt wurde, durch die Sage illustrirt, dass alle Feinde, deren Grösse das Mass eines Schwertes übertraf, getödtet worden wären. Dieselbe Sage wurde von den Königen der Franken, Chlotar und Dagobert erzählt. S. J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer S. 104. An diese Sage knüpft er eine andre von einer Empörung der Grossen an. Nach dem Tode des avus Karls III. (unter welchem avus aber Karl der Grosse zu verstehen, weshalb atavus zu lesen ist) hätten quidam gigantes spiritu superbiae inflati versucht, mit Verachtung der Nachkommenschaft die Krone zu usurpiren; da hätten sich einige von den mittleren (Adligen) dem widersetzt, indem sie, auf jene Schwertprobe Karls verweisend, erklärten, dass so lange von seiner Nachkommenschaft einer von Schwerteslänge sich finde, der auch über die Franken, ja über ganz Germanien herrschen müsse. Und diese Geschichte führt seine Gedanken auf die Verschwörung Pippins des Buckligen gegen Karl, die auch in sagenhafter Weise erzählt wird. Nun erst kommt er zu dem Hunnenkriege wieder, indem er eine scherzhafte Anekdote von der Renommisterei eines riesenhaften Recken mittheilt. Unternehmungen Karls gegen die Normannen folgen (c. 13 f.), dann gegen die Langobarden (c. 17), nachdem vorher der Hülfe, welche Pippin gegen dieselben dem Papste geleistet, gedacht ist. Hierbei werden Sagen von Pippins Muth im Kampf mit einem Löwen und mit dem Teufel erzählt (c. 15). Karls Feldzug gegen Desiderius wird schon ganz sagenhaft geschildert; der Hauptheld der Chansons de geste dieses Theils der Karlsage, Ogier erscheint bereits hier als Flüchtling bei dem Langobardenkönig, indem »Otkerus« als einer von den ersten Fürsten Karls bezeichnet wird. Eine Anekdote, die der Verfasser von der Einfachheit Karls in Bezug auf die Kleidung – namentlich im Gegensatz zu dem Luxus seines Gefolges – erzählt, führt 219 ihn wieder auf Ludwig den Deutschen, der dem Beispiele seines Grossvaters folgte, und der auch, wie dieser, seine Freude an dem Eisen hatte, was er denn auch den Gesandten der Normannen gegenüber bewiesen haben soll (c. 18). »Weil aber einmal der Normannen Erwähnung gethan wurde«, fährt der Verfasser (c. 19) fort – und dies charakterisirt die Composition des Werkes – »will ich durch ein paar Geschichten aus der Zeit Eueres Grossvaters zeigen, wie hoch sie den Glauben und die Taufe achteten.« Nun berichtet er, wie sie nur der Pathengeschenke wegen unter Ludwig dem Frommen sich taufen liessen und dieselben Leute zu wiederholten Malen, sodass einer nach seiner eignen Erklärung sich zwanzigmal hätte taufen lassen. Erzählungen von der Güte und Wohlthätigkeit desselben Kaisers folgen dann (c. 20 f.), Hierbei wird auch der scurrae des Kaisers gedacht (c. 21). und mitten in der letzten bricht das Buch ab.

Die vorstehende Analyse wird die umherschweifende Erzählungsweise des Buches gelehrt haben. Wie in einer gemüthlichen Unterhaltung bei einem Becher Wein werden die Anekdoten aufgetischt. Aber bei allen Sprüngen, die der alte Mönch in seiner Erzählung macht, ist doch, so zeigte ich, zu erkennen, wie er von der einen Geschichte auf die andre geführt wurde. Obgleich er die gewöhnliche Schulbildung des Klerus besass, wie er denn seinen Virgil zu citiren und auch weniger allgemein bekannte Namen der antiken Mythologie auszuspielen weiss, So in dem cellarium Bromii vel Ditis l. I, c. 23. auch mehr geographisches Wissen, als man erwarten sollte, zeigt, S. l. I, c. 27. so ist doch seine historische Kenntniss eine sehr schwache: um so eher konnte er zum Dolmetscher der Volkssage werden, die er indessen in seiner Art gewiss auch mit subjectiver Freiheit behandelte, war sie doch selbst noch im flüssigen Stadium der Entwicklung. Hiermit soll aber nicht gesagt sein, dass der Mönch keine historischen Werke gelesen, noch benutzt hätte: Simson hat dies in Betreff der Vita Caroli des Einhard, sowie der Schriften des Severus über den heiligen Martin sehr wahrscheinlich gemacht; Beda's Kirchengeschichte und Paulins Leben des Ambrosius führt unser Autor selbst an. Auch möchte ich glauben, dass die Briefe Alcuins ihm bekannt waren, im Hinblick auf die Stelle l. I, c. 2, wo es von diesem heisst: Cuius in tantum doctrina in discipulis suis fructificavit, ut moderni Galli sive Franci antiquis Romanis vel Atheniensibus equarentur, verglichen mit Brief 110 (ed. Jaffé), wo es heisst: si, plurimis inclitum vestrae (Caroli) intentionis studium sequentibus, forsan Athenae nova perficeretur in Francia, immo multo excellentior. Aber seine 220 Hauptquelle war die mündliche Ueberlieferung, die sich selbstverständlich nicht auf die von ihm genannten » Auctores« beschränkt haben wird. So gedenkt er, von Alcuin redend (c. 8), seines domnus G. (Grimald, Abt von St. Gallen 841–872), der auch dessen Schüler gewesen sei. Es liegt nahe anzunehmen, dass der Mönch von ihm selbst manche Erzählungen, die sich auf Alcuin und dessen Schüler beziehen, gehört habe, und nicht erst durch Werinberts Vermittelung erhalten.

Was die Bedeutung des Buchs für die französische Epik der Karlsage anlangt, so hat Gaston Paris bereits darauf hingewiesen, Hist. poét. de Charlemagne pag. 40. dass der Kampf Pippins mit dem Löwen in der Dichtung Berte au grand pié und sonst noch sich wieder finde. Noch wichtiger aber ist, dass wir in unserem Werk bereits der Identification Karls mit Karl Martell, zugleich der Normannen mit den Sarazenen, So erzählt der Mönch l. II, c. 14, wie Karl d. Gr. unerwartet in eine Küstenstadt Südgalliens gekommen sei, als gerade normannische Fahrzeuge eingelaufen als Kundschafter für einen Seeräuberzug. Karl habe sie erkannt, darauf seien die Normannen entflohen, comperto quod ibidem esset, ut ipsi eum nuncupare solebant, Martellus Karolus, ne omnis armatura sua in illo aut retunderetur aut in minutissimas resoluta particulas disperiret. also der Uebertragung der Sagen von dem letzteren Helden auf den ersteren begegnen, und hierbei schon die Keime zu der Entwicklung des Cyklus des Guillaume von Orange entdecken. So namentlich zu dem Gedicht Couronnement Louis. So erklärt sich nämlich die merkwürdige oben S. 218, Anm. 2 erwähnte Erzählung. In derselben ist auch eine Sage von Karl Martell auf Karl den Grossen übertragen, denn der Nachkomme, der wenigstens eines Schwertes Länge hat, ist offenbar Pippin der Kurze, den der Dichter l. II, c. 15 auch deshalb mit David vergleicht, wie der Zusammenhang der Stelle zeigt; Pippin sagt da selbst: Videtur vobis, utrum dominus vester esse possim? Non audistis, quid fecerit parvus David ingenti illi Goliath vel brevissimus Alexander procerissimis satellitibus suis? Dagegen lassen sich kaum, wie Wattenbach und Paris wollten, Beziehungen zu der Dichtung von der Reise Karls nach Jerusalem und Byzanz annehmen. Denn diese Dichtung ruht doch, wie wir im folgenden Buche zeigen, auf einer andern stofflichen Grundlage.

221 Nicht geringer als die literarhistorische ist die politisch geschichtliche Bedeutung des Werks, insofern es als ein lebendiger Ausdruck der öffentlichen Meinung jener Zeit, des Volksbewusstseins erscheint. Der vollständige Niedergang der karolingischen Macht, trotz der Wiedervereinigung des Reichs unter einem kaiserlichen Scepter, ein Verfall, der es die Beute normannischer Piraten werden liess, wird auf das tiefste empfunden, und indem der Autor seine Hoffnung nur auf einen Sohn, den er Karl III. wünscht, Hierin wie auch in anderm stimmt mit unserm Verfasser das Breviarium Erchanberti überein, wie Simson zeigt a. a. O. S. 614 f. setzt, zeigt er zur Genüge, wie wenig man von diesem selbst erwartete. Dagegen schätzt er Arnolf hoch, der nur »wegen Mangels an Vermögen und der Beschränktheit seines Gebiets« nichts auszurichten vermag (l. II, c. 14). Dieses Bewusstsein von dem gänzlichen Verfall der karolingischen Macht liess andrerseits die Begründer derselben, die Heroen der Vorzeit, einen Pippin und Karl den Grossen dem Volke, dessen Dolmetsch unser Verfasser ist, damals in um so glänzenderem Lichte erscheinen, so dass ihnen selbst wunderbare Thaten persönlicher Kraft und Tapferkeit zugeschrieben wurden. Je kläglicher die Gegenwart war, desto herrlicher erschien die Vorzeit. Dass aber unser Verfasser die wahre weltgeschichtliche Bedeutung Karls zu erkennen und zu würdigen wusste, zeigt recht der Anfang seines Werks.

Am wenigsten zu loben ist der Stil: die gesuchte und verschnörkelte und dadurch nicht selten dunkle Ausdrucksweise entsprach am wenigsten dem populären Inhalt. Wie Paris A. a. O. p. 41. wohl nicht mit Unrecht meint, hat vielleicht der Gedanke an den kaiserlichen Leser den Verfasser verführt, dem Kothurn vor dem Soccus den Vorzug zu geben. 222

 


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