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Fünftes Kapitel.

Avitus.

Ein unmittelbarer Zeitgenosse des Dracontius, und der auch Theile des ersten Buchs Mose zum Gegenstand einer poetischen Behandlung machte, war in Gallien Alcimus Ecdicius Avitus Aviti opera cura et studio I. Sirmondi. Paris 1643. – * Alc. Ecd. Aviti Viennensis episc. opera quae supersunt rec. Peiper. Berlin 1883 ( Monum. German. hist. Auctor. antiquiss. Tom. VI. Pars 2). – – Parizel, St. Avite, sa vie et ses écrits. Löwen 1859. – Cucheval, De S. Aviti operibus commentarius. Paris 1863.– Charaux, St. Avite, évêque de Vienne, sa vie, ses oeuvres. Thèse histor. et littér. Paris 1876. – Guizot, Histoire de la civilisation en France, 18 e leçon. – Ampère, a. a. O. T. II, p. 178 ff. – Binding, Geschichte des burgundischen Königreichs. Leipzig 1868, S. 168 ff., welcher, aus einer senatorischen Familie der Auvergne stammend, den Bischofssitz von Vienne um 490 einnahm, den schon sein Vater, vielleicht auch dessen Vater und Grossvater innegehabt; er war die Hauptsäule der katholischen Kirche in dem burgundischen Reiche, die er nicht bloss gegen die Häresien mit orthodoxem Eifer vertheidigte: vielmehr machte er für sie auch die erfolgreichste Propaganda, selbst mit Mitteln, die auf seinen Charakter ein zweifelhaftes Licht werfen. Er gehörte zu denen, die, indirect wenigstens, den Weg zur Eroberung Südgalliens Chlodwig bahnten, dessen Taufe er schon in einem schmeichlerischen Schreiben an ihn feierte, worin er ihn als den von der göttlichen Fürsorge für seine Zeit gesandten Schiedsrichter über den wahren christlichen Glauben hinzustellen wagt, der durch seine Erwählung des Katholicismus diesem den Sieg 394 über die Secten verleihe. Invenit quippe tempori nostro arbitrum quendam divina provisio. Dum vobis eligitis, omnibus iudicatis: vestra fides nostra victoria est. Ep. 36 (bei Sirmond 41). Avitus überlebte noch den burgundischen König Sigismund, der 523 starb; er scheint noch 525 gelebt zu haben. S. Binding, S. 260, der eingehend Leben, Charakter und politische Bedeutung des Avitus behandelt.

Von den poetischen Werken des Avitus sind nur zwei überliefert, ja aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt allein von ihm edirt worden. Dies ergibt sich, wenn man die Vorreden der beiden Werke liest und mit einander vergleicht; aus dem Vorwort des ersten ersieht man, dass keine andere Dichtung früher von ihm publicirt worden, obwohl er noch manche kleinere Gedichte geschrieben, die er aber zum Theil verloren, zum andern Theil wenigstens nicht ediren wollte; die Vorrede des zweiten aber besagt, dass er dies unmittelbar nach dem andern und zwar zunächst nur für den engen Kreis näher Stehender publicirte, und sie gibt am Schluss die Erklärung, dass er das Versemachen, das schon lange nicht für sein Amt, jetzt auch für sein Alter nicht mehr passe, nunmehr aufgeben wolle, es müsste denn ein sehr dringender Grund ihn zur Abfassung eines Epigramms (im eigentlichen Sinne des Wortes) nöthigen. Das bedeutendere und ältere ist eine Dichtung in Hexametern in fünf Büchern, die Avitus selbst in einem Briefe nur ganz allgemein De spiritalis historiae gestis betitelt Ep. 51 (bei Sirmond 45): scribebatis placuisse vobis libellos, quos de spiritalis historiae gestis etiam lege poematis lusi. Diese Epistel ist vor 507 geschrieben (vgl. Binding, S. 296), später also ist die Dichtung nicht edirt worden; aber auch nicht viel früher, da die zweite Dichtung unmittelbar nach der ersten edirt worden, und in deren Vorrede (s. die vorige Anmerkung) die Hinweisung auf das Alter des Verfassers sich findet; verfasst aber war sie längere Zeit vorher (s. ihre Praef.), also wohl im letzten Decennium des 5. Jahrhunderts. während nach Isidor De vir. ill. c. 23. – In einer Anzahl Handschriften finden sich dieselben Ueberschriften, nur mit dem Unterschied, dass die des ersten Buchs De mundi initio lautet. die einzelnen Bücher die folgenden Ueberschriften hatten: lib. I De origine mundi, lib. II De originali peccato, lib. III De sententia dei, lib. IV De diluvio mundi, lib. V De transitu maris rubri. Wie schon diese Titel zeigen stehen die drei ersten Bücher in einer nähern Beziehung zu einander; und dasselbe ist mit den zwei letzten der Fall, so dass man zwei Abtheilungen des ganzen Werkes unterscheiden kann, von denen die erstere ganz den Charakter einer selbständigen Dichtung hat. Und sie ist mindestens in Hinsicht der 395 Anlage die bedeutendste Leistung in der poetischen Behandlung der Bibel überhaupt in der ältern christlichen Poesie. Hier begegnen wir wirklich einer freien dichterischen Conception, der die Bibel nur den Stoff liefert, welcher zu einer einheitlichen, wohl gegliederten Composition verarbeitet wird. Das verlorene Paradies ist in der That der Gegenstand, derselbe, den ein grösserer Dichter so viele Jahrhunderte später behandelte, nicht ohne in einzelnen Zügen mit Avitus zusammenzutreffen. Wie Guizot a. a. O. zuerst zeigte.

Die Ueberschrift des ersten Buchs (325 V.) ist falsch gewählt, sie müsste lauten von der Schöpfung des Menschen. Der Dichter hebt damit an, dass er die Sündhaftigkeit des Menschen, trotz aller individueller Schuld, Adam, dem ersten Vater, zuschreibt, worauf er in aller Kürze (nur 30 V.) die Schöpfung der Welt, ohne an die biblische Ordnung sich streng zu halten, erzählt. Dies ist nur der Eingang. Nach ihm wird nun die Schöpfung des Menschen in aller Ausführlichkeit geschildert: was nützt die Welt ohne Bebauer, ruft Gott aus; ›damit kein langer Müssiggang die neue Erde trübselig mache‹, will er den Menschen bilden; und nun malt der Dichter ganz im einzelnen aus, wie Gott gleich einem Bildhauer den Menschen aus Thon formt, den er dann in Fleisch und Blut verwandelt. Die Schöpfung der Eva aber erfolgt in der Nacht vom sechsten zum siebenten Tage. Sie wird als Typus der Kirche hingestellt, welche in dem Wasser aus der – durchbohrten – Seite Christi so entsprang, wie Eva aus der Adams, dessen Schlaf auf den Todesschlaf Christi hinweist (v. 160 ff.). Ja, Gott weiht mit dem dem ersten Paare ertheilten Segensspruch auch figürlich die Verbindung der Kirche und Christi. v. 170 f. Die Engel singen das Hochzeitslied des ersten Paares, dessen Ehebett das Paradies, dessen Mitgift die Welt ist, während die Sterne mit fröhlichen Flammen leuchten. Hier geht nun der Dichter zu der Beschreibung des Paradieses über, die, durch ein paar Episoden erweitert, fast den ganzen Rest des Buches einnimmt (v. 193–299): so wird hier bei Erwähnung des Nils unter den Flüssen des Paradieses seiner fruchtbaren Ueberschwemmung in Aegypten in ausführlicherer poetischer Schilderung gedacht (v. 264 ff.), sowie des Phönix, der sich durch seinen Tod verjüngt (v. 239 ff.). Den Schluss des Buches bildet dann das erste Verbot, das Gott den Menschen gibt.

396 Im zweiten Buche (423 V.) wird nun die Uebertretung desselben, der Sündenfall, erzählt. Es eröffnet eine Schilderung des glücklichen Lebens im Paradiese, ein Glück, das durch Satan zerstört wird. Diesen charakterisirt zunächst der Dichter (v. 38 ff). Er fiel in seinem Hochmuth, indem er glaubte, sich selbst geschaffen zu haben, er, unter den Geschöpfen im Range der erste, empfing die erste Strafe. Aber von seiner englischen Natur blieb ihm die Eigenschaft, das Verborgene und Zukünftige zu erkennen. Er vermag die verschiedensten Gestalten anzunehmen, die eines Vogels ( ales ) wie einer schönen lüsternen Jungfrau v. 62 ff. – Gemälde des Mittelalters stellen ihn denn auch halb Jungfrau, halb Vogel (d. i. geflügelter Drache) dar, und gerade in der Scene der Verführung der Eva. S. z. B. Heider, Beiträge zur christlichen Typologie aus Bilderhandschriften des Mittelalters. Wien 1861. Tafel VII.; oder auch die von glänzendem Geld, das bei der Berührung der Habgierigen verschwindet. Wie er nun das Glück des Menschenpaares sieht, erfasst ihn ein grimmiger Neid und der Schmerz um den verlorenen Himmel. In einer trefflich ausgeführten Rede gibt er diesen Gefühlen Ausdruck (v. 89 ff.). Wenigstens die höchste Kraft zu schaden, blieb ihm: tröstet er sich. Er will das erste Menschenpaar zu Falle bringen, indem er ihnen den Weg zeigt, der ihn selbst zum Sturze führte, den des Hochmuths ( iactantia ). Wird auch ihnen der Himmel verschlossen, werden sie die Genossen seiner Strafe, so wird das doch ein Trost sein. Und ohne Verzug sei zum Werke geschritten, so lange noch ihre erste Einfalt dauert und sie noch kein unsterbliches Geschlecht erzeugt haben. – In der ›furchtbaren Schönheit‹ einer jungen Schlange, die der Dichter poetisch lebendig schildert, sucht sie Satan auf, ›die vielleicht gerade Aepfel pflückten‹. Mit Schmeicheleien führt er sich bei Eva ein, und weiss ihre Einwendungen zu besiegen: was nützt es die Welt zu schauen, ruft er, den blinden Geist in elendem Gefängniss eingeschlossen (v. 189 ff.)! Die ›Erkenntniss‹ erst unterscheide den Menschen von dem Thiere; hierdurch wird er Gott gleich. Der Dichter schildert dann gut, wie Eva erst längere Zeit mit dem Apfel spielt, Nase und Mund damit berührt, ehe sie ihn kostet. Es ist das Spiel mit der Sünde, das ihr selbst so oft vorausgeht. Schlecht motivirt vom Dichter ist dagegen das rasche Zugreifen Adams. Es folgen nun zwei längere Episoden, von denen wenigstens die zweite gleich einem 397 blossen Füllsel erscheint. In ihr (v. 326–407) wird das Schicksal von Lots Frau, die auch ihre Neubegier ins Verderben brachte, aber ihren Mann nicht besiegte, erzählt, indem der Dichter hier seiner Lust und auch Begabung zu schildern recht genugthun konnte, namentlich ist die Erstarrung des Weibes trefflich gemalt.         Vix primo in visu restrictis motibus haesit,
        Cernere desistens cum coeperat: inde gelato
        Sanguine marmoreus perfudit viscera torpor,
        Diriguere genae, pallor novus inficit ora.
        Lumina non clausit, non saltim concidit illo
        Pondere quo pulsant demissa cadavera terram;
        Sed stetit horrendo perlucens massa nitore.
v. 387 ff.
Die andere, dieser vorausgehende Episode (v. 277–325) enthält eine unpoetische Diatribe gegen die Astrologie und Magie. Aber beachtenswerth ist, wie oft in der Literatur dieses Zeitalters diese Polemik wiederkehrt, s. oben S. 372 und vgl. weiter unten. – Das Buch schliesst aber wirkungsvoll mit einer triumphirenden höhnischen Rede Satans an die Erzeltern, worin er ihnen ankündigt, dass er nun soviel Recht als Gott selbst an ihnen habe: dieser schuf sie, er lehrte sie, und dem Meister verdankten sie noch mehr als dem Schöpfer.

Das dritte Buch endlich (425 V.), ›der Urtheilsspruch Gottes‹, erzählt die Vertreibung aus dem Paradies. Die Scham, die die Blicke von ›dem mit dem Stigma der Sünde bezeichneten Fleische‹ abwendet, treibt die Erzeltern sich zu bekleiden. In der Angst, sich vor Gott zu verbergen, hätten sie den Tod selbst suchen mögen: wie es auch die Sünder beim jüngsten Gericht vergeblich thun – von dem eine kurze Schilderung episodisch eingeschaltet wird (v. 42 ff.) – ihre Angst wird durch jene vorausgesagt. Adam, dann vor Gott zur Rechenschaft gezogen, fleht nicht mit Gelübden und Thränen, sondern stolzen Sinnes klagt er, dass Gott ihm das Weib zur Genossin gegeben, die die Quelle des Bösen, von der das Verbrechen ausging. Ista mali caput est, crimen surrexit ab ista. v. 102. Wäre er doch unvermählt geblieben! (v. 98 ff.). – Nach dem Urtheilsspruch Gottes – der hier in ausführlichen Reden gegeben wird, den Mittelpunkt des Buches bildend, – auf die Erde hinabgeschleudert, finden die Erzeltern diese trotz all ihrer Schönheit nach dem Paradiese hässlich: so eng begrenzt, und der Tag so trüb, der Himmel so fern mit seinen Gestirnen! Zum ersten Mal empfinden sie den Schmerz, der sich in Thränen, 398 die sie noch nicht kannten, auflöst. So beklagt der Geist nach dem Tode die Sünde. Und hier schaltet der Dichter die, wie wir sahen, so oft in der christlichen Dichtung behandelte Parabel des Lucas von dem reichen Manne und Lazarus in einer langen Episode (v. 220–310) ein. Dann schildert er noch, von welchen Plagen nach dem Sündenfall die Erde heimgesucht wurde, und wie viel schlimmere noch Adams Nachkommen zu ertragen haben; in dem letztern Bilde gibt er offenbar ein Gemälde seiner eigenen Zeit, so wenn er daran erinnert, wie die berühmtesten Städte in Einöden verwandelt, die Herren zu Dienern, die Diener zu Herren werden, und der durch Kriege zerrissene Erdkreis sich entvölkert. Christus der Töpfer figulus‹ v. 363. Hiernach wird auch die Parabel vom verlorenen Sohn eingeflochten. kann allein das Zerbrochene wieder herstellen. Ihn fleht hier zum Schluss der Dichter an, dass er seinen Dienern zurückgebe, was Adam verlor; – ›dass die, welche der Neid des Feindes aus dem Paradiese vertrieb, seine stärkere Gnade zu dem alten Sitze zurückführe!‹         Livida quos hostis paradiso depulit ira,
        Fortior antiquae reddat tua gratia sedi.

Mit diesen Versen schliesst das Buch.

Die hier angeführten Schlussverse dieses Buches bestätigen recht, wie die drei Bücher eine einheitliche Dichtung bilden, die den Verlust des Paradieses zum Gegenstand hat; sie ist von einer blossen Versification oder Paraphrase der Bibel schon weit entfernt. Der Dichter waltet über den biblischen Stoff mit aller Freiheit, wie er sich denn auch nicht scheut, selbst den Inhalt der Reden Gottes durch Zusätze zu erweitern. Solche Freiheit aber zeigten auch schon andere, wie Victor: was Avitus mehr auszeichnet, ist die poetische Composition, welche eine einige, den Stoff beherrschende Idee zur Voraussetzung hat: wie die Analyse leicht erkennen lässt, ist der Stoff in der Vertheilung auf die drei Bücher wohl gegliedert und in den einzelnen seine Darstellung gut abgerundet. Das zweite, auch in seiner Ausführung das bedeutendste, schildert die Katastrophe, die in dem ersten vorbereitet, in dem dritten in ihren Folgen gezeigt wird.

Weit bedeutender ist diese erste Abtheilung des Werkes als die zweite, die vom vierten und fünften Buch gebildet wird. 399 Wenn auch diese beiden Bücher unter einander in einer nähern Beziehung stehen, so bilden sie doch kein organisches Ganze; die Beziehung aber ist allerdings nicht die bloss stoffliche, die Vernichtung sündiger Menschen durch das Wasser, sondern vielmehr eine ideelle, die: dass die Sündfluth wie der Durchzug der Juden durch das rothe Meer beide als vorbildliche Hindeutungen auf die Taufe betrachtet werden; und durch dieselbe Beziehung wird denn auch die zweite Abtheilung selbst mit der ersten verknüpft, wie der Dichter am Schlusse des fünften Buches anzeigt. Die letzten Verse desselben zeigen ganz offenbar, dass die fünf Bücher ein Werk bilden:
        – – Quas pius explicuit per quinque volumina vates,
        Nosque tubam stipula sequimur, numerumque tenentes
        hoc tenui cumbae ponemus litore portum.

Nach andern Mss.: Ponimus hoc tenui cumbae nunc litore portum .
Seinen Sinn für typologische Auffassung der Bibel gibt er ja an manchen einzelnen Stellen, wie wir schon Gelegenheit hatten nachzuweisen, durch das ganze Werk kund.

Das vierte Buch (658 V.) bietet übrigens noch manches interessante und anziehende. So wird im Eingang die sittliche Verwilderung der Welt, die bis zur Menschenfresserei geht, mit scharfen Strichen gezeichnet, und in ihrer Entstehung sowie gewaltigen Zunahme durch zwei weit ausgeführte Vergleichungen illustrirt, entnommen von dem wüste gelassenen Feld, das sich mit der Zeit mit undurchdringlichem Gestrüpp bedeckt, und von der kleinen Quelle, die zum reissenden Strome wird. Aus dem Folgenden hebe ich als besonders bemerkenswerth nur hervor, dass an der Stelle von Gott, der bei Moses selbst Noah die Arche bauen heisst, hier der ›höchste Erzengel‹ (v. 213) erscheint – Gabriel ist gemeint (s. v. 206) – und den Befehl Gottes überbringt, nachdem vorher von dem Dichter die Engel als Vermittler oder Boten der Bitten, Gelübde und selbst Wohlthaten der Gerechten, sowie als ihre Beschützer geschildert worden sind (v. 190 ff.). Noah bittet denn auch um Gabriels Beistand (v. 291). Und der Engel schliesst die Arche zu (v. 422 f. vgl. Genes. 7, v. 16), als die Sündfluth hereinbricht, deren Schilderung keineswegs ohne Kunst durch allmähliche Steigerung das Interesse zu fesseln vermag; ebenso lebendig ist der verschiedenartige Tod der Menschen durch die Fluthen gemalt (v. 477 ff.). Auch in diesem Buche finden wir Einzelheiten typologischer Natur wieder, so 400 wird die dem Anprall der Wogen trotzende Arche mit der Kirche wenigstens verglichen (v. 493 ff.), ingleichen, was eigenthümlicher ist, mit dem von dem Fleische der Ertrunkenen festgehaltenen, der Rückkehr vergessenden Raben das Judenthum, welches das Fleisch liebend, die Treue seinem Herrn nicht zu bewahren weiss (v. 569). Der Regenbogen wird geradezu als Typus Christi bezeichnet v. 640 ff. – Noch sei erwähnt, dass in einer längern Episode (v. 357 ff.) die Geschichte des Jonas behandelt wird.

Das letzte Buch, das längste (721 V.), enthält am wenigsten eigenthümliches und lobenswerthes: nur sei bemerkt, dass der Dichter sich keineswegs auf eine Schilderung des Durchzugs der Juden durch das rothe Meer beschränkt, vielmehr, indem er ihn motivirt, ebenso ausführlich die Leiden der Juden, die Anstrengungen Moses' zu ihrer Erlösung, die von Gott über Aegypten gesandten Plagen, die Einsetzung des Passahmahls erzählt, so dass Exodus c. 5–14 den Inhalt bildet. Auch hier finden sich manche Typen wieder, so wird, von dem Passahlamm abgesehen Beachtenswerth ist die Ausführung, v. 247 ff.:
        Sic nos, Christe, tuum salvet super omnia signum
        Frontibus impositum: sic sanguis denique sanctus,
        Tunc praemonstrati dudum qui funditur agni,
        Oribus infusus postes lustrasse tuorum
        Inter labentis ferventia funera mundi
        Credatur casuque tuos discernat ab omni.
, der Fels, aus dem Moses das Wasser schlägt, auf Christus gedeutet (v. 462 ff.); auch finden sich noch einzelne hübsche oder doch sehr lebendige Schilderungen.

Wenn die malerische Tendenz aber, die uns in diesem Werke entschieden entgegentritt, überhaupt nur ein Zeichen des Verfalles der epischen Dichtung ist, wie er in diesem Epigonenzeitalter (so zu nennen in formeller Beziehung) schon lange sich kundgab, so weist ein anderer Zug in diesen Gedichten, der sich allerdings nur hier und da zeigt, eine geistlose Wortspielerei z. B. II, v. 397 f. und V, v. 1 f., auf ein noch tieferes Sinken des Geschmackes hin.

Das zweite poetische Werk des Avitus steht sehr weit hinter dem ersten zurück. Es ist das Gedicht: De consolatoria laude 401 castitalis ad Fuscinam sororem So nennt das Gedicht Avitus selbst in dem an seinen Bruder gerichteten Vorwort. In manchen Handschriften und danach in der neusten Ausgabe wird es einfach De virginitate betitelt. von 666 Hexametern. Diesem Titel entsprechend tröstet der Verfasser darin die Schwester, welche, von der Geburt an dem Nonnenstande geweiht, ihn schon als Kind ergriffen hatte, durch einen Panegyricus auf die Jungfräulichkeit, worin er zugleich das Ungemach, die Leiden und Gefahren, welche die Ehe mit sich bringe, in einem sittlich wie ästhetisch verletzenden Bilde schildert (v. 163 ff.), eine Schilderung, welche unter Berücksichtigung der Person des Schreibers und der der Adressatin recht offenbart, wie weit selbst in den höchsten Kreisen der romanischen Bevölkerung feinere Sitte und guter Geschmack sich verloren hatten, – ganz abgesehen davon, dass die Ehe in dieser Darstellung nur aus dem Gesichtspunkt des Concubinats betrachtet wird. Worauf schon der Ausdruck consolatoria im Titel hinweist, so lässt sich aus dem Inhalt überhaupt leicht erkennen, dass die Schwester manche Anfechtungen in ihrem Innern zu bekämpfen hatte: an einer Stelle spricht es der Verfasser auch direct aus, wo er denn auf Prudentius' Psychomachie und seine Schilderung des Kampfes der › Virginitas‹ – wie Avitus hier sagt – mit der Libido hinweist (v. 370 ff.). – Dies Gedicht, dessen Umfang durch die Einschaltung mancher längern Episoden von biblischen Parabeln und Erzählungen sowie Legenden so angeschwellt ist So die Parabeln von dem anvertrauten Pfund, und von den zehn Jungfrauen; die Erzählung von der Susanna, die Legende von der Eugenia (v. 503 ff.)., fand, so wenig geniessbar, ja hier und da widerwärtig es uns erscheint, in jener Zeit, wo die Askese so hoch geschätzt wurde, einen ausserordentlichen Beifall, wie es denn noch Isidor (a. a. O.) als ein pulcherrimum carmen bezeichnet. Kulturhistorisch ist es indess von mannichfachem Interesse. So u. a. in Betreff der Bildung der Nonnen: Fuscina hat die ganze Bibel gelesen und die lateinischen geistlichen Dichter, v. 379 ff., v. 409.

Ein solches besitzen in noch höherm Grade die in grosser Zahl uns erhaltenen Briefe des Bischofs, welche zugleich die wichtigsten Beiträge zu der politischen und kirchlichen Geschichte seiner Zeit darbieten. Auch sie bekunden in ihrem Stile, wie viel rascher die Sprache der Prosa als der Poesie 402 verfiel. – Von seinen Homilien sind nur wenige, namentlich ein paar der an den in Vienne zuerst eingeführten Tagen der Bittgänge ( rogationes ) gehaltenen, vollständig, alle übrigen nur fragmentarisch überliefert. Sie beweisen aber die bedeutende Thätigkeit, die Avitus auch als Prediger entfaltet hat.

 


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