Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Neunzehntes Kapitel.

Adrian's Thätigkeit für diese Nacht war noch nicht am Ende, denn sein Vater hinderte ihn nicht, ihm zum Rathhause zu folgen. Er gab ihm dort den Auftrag, der Mutter mitzutheilen, daß er bis zum Morgen in Anspruch genommen sein werde, und daß der Knecht alle Leute, welche ihn nach ein Uhr zu sprechen begehren sollten, zum Holzmarkt am Rhein senden möge. Die Mutter sandte sodann den Knaben wieder zum Rathhause zurück, um den Vater zu fragen, ob er nicht den Mantel, einen Imbiß, Wein oder dergleichen zu haben wünsche.

Der Knabe erfüllte diese Aufträge mit großem Eifer, denn er fühlte sich, während er sich durch die Menge, welche sich in den schmaleren Gassen eng zusammendrängte, Bahn brach, so wichtig wie nie zuvor; hatte er doch ein Amt zu verwalten, und das in der Nacht, der Schlafenszeit anderer Knaben und besonders seiner Kameraden, welche jetzt gewiß nicht aus dem Hause gelassen wurden. Zudem durfte man eine ereignisreiche, bunte Zeit voll Trommelschlag, Trompetenruf, Musketengeknatter und Kanonengebrüll erwarten. Es war ihm, als sollte das Spiel »Holland gegen die Spanier« im Ernst und im Großen fortgesetzt werden. Die volle Lebenslust seiner Jahre kam über ihn, und wenn er sich mit den Ellbogen zu unbelebteren Stellen Bahn gebrochen hatte, jagte er eilig dahin und schmetterte so lustig, als gälte es eine Freudenbotschaft zu verbreiten, in die Nacht hinein: »Sie kommen,« »die Spanier« oder »Hannibal ante portas«.

Nachdem er bei seiner Rückkehr in's Rathhaus erfahren hatte, daß der Vater nichts bedürfe, und daß er, wenn es an etwas fehlen sollte, den Gerichtsdiener schicken werde, hielt er seine Aufträge für erledigt und fühlte sich berechtigt, seiner Neugier Genüge zu leisten.

Zuerst zog es ihn zu den englischen Reitern. Das Zelt, in welchem diese ihre Vorstellungen gegeben hatten, war von der Erde verschwunden, und kreischende Männer und Weiber rollten große Leinwandstücke auf, schnürten Ballen und koppelten fluchend Pferde zusammen. Dabei vermischte sich düsterer Fackelschein mit dem Licht des Mondes und zeigte ihm auf den schmalen Stufen, welche zu einem großen vierräderigen Wagenhause führten, ein kleines Mädchen in dürftiger Bürgerkleidung, das bitterlich weinte. Konnte das der rosenfarbene Engel sein, welcher ihm, während er auf dem schneeweißen Rößlein geschwebt hatte, wie ein glückseliges Wesen aus schöneren Welten erschienen war? Jetzt hob eine keifende Alte das Kind in den Wagen, er aber folgte den drängenden Menschen und sah den Doktor Morpurgo auf einem dürren Klepper, nicht mehr im Scharlach, sondern in dunklem Tuch neben seinem Karren dahinreiten. Der Mohr trieb das Maulthier vor diesem Fuhrwerk ingrimmig an, sein Herr schien indessen im Vollbesitz der ihm eigenen Ruhe geblieben zu sein. Sein Kram war wenig werth, und die Herren Spanier hatten keinen Grund, ihm den Kopf und die Zunge zu nehmen, mit denen er mehr erwarb, als er brauchte.

Adrian folgte ihm bis zu der langen Budenreihe in der breiten Straße, und dort bekam er Dinge zu sehen, welche seinen Uebermuth brachen und ihn nach und nach zur Erkenntniß brachten, daß es sich hier um ernste, herzbekümmernde Dinge handle. Er hatte noch lachen können, als er dem Pfefferküchler und Garnhändler zuschaute, welche handgemein geworden waren, weil sie im ersten Schreck ihre Waarenpakete, wie es gerade kam, in die offenen Kisten des Einen und Andern zusammengeworfen hatten und ihre Habe nun nicht mehr zu sondern vermochten; aber die Delfter Steingutverkäuferin dort an der Ecke that ihm von Herzen leid, denn ein mit großen Ballen bepackter Wagen aus Gouda hatte ihre leichte Bude umgerissen, und nun stand sie neben ihrem zerschlagenen Kram, durch den sie sich und ihren Kindern das Leben gefristet, und rang die Hände, während der Fuhrknecht, ohne sie zu beachten, die Gäule mit knallendem Peitschenschlag antrieb. Ein kleines Mädchen, das von seinen Eltern abgekommen war und von einer mitleidigen Bürgersfrau fortgezogen wurde, heulte so gar jammervoll kläglich. Ein armer Seiltänzer, dem ein Dieb im Gedränge das blecherne Büchslein mit den eingesammelten Pfennigen gestohlen, lief händeringend umher und suchte die Sicherheitswache. Ein Schuster stampfte die Reiterstiefel und Frauenpantoffeln bunt durch einander in eine hölzerne Kiste mit Griffen von Hanfschnur, sein Weib aber raufte sich das Haar und schrie, statt ihm zu helfen: »Ich hab' es vorausgesagt, Du Hansnarr, Du Besserwisser, Du Dummkopf! Sie kommen und nehmen uns Alles.«

Am Eingang der Gasse, welche beim Assendelftschen Hause zur Liebfrauenbrücke führte, hatten mehrere hochbepackte Wagen sich ineinander gefahren, und in der Angst hieben die Fuhrleute, statt abzusteigen und Hülfe zu schaffen, aufeinander los und trafen dabei die Frauen und Kinder, welche sich auf den Ballen niedergelassen. Weithin scholl ihr Jammern und Zetern, aber es sollte noch übertönt werden; denn am Nordende hatte sich ein Tanzbär losgerissen, und Alles, was sich in seiner Nähe befand, in die Flucht gejagt. Kreischend und heulend drängten die von dem Thier geängstigten Leute die Straße hinunter, rissen Andere mit fort, welche nicht mehr wußten, um was es sich handelte, und durch die am nächsten liegende Besorgniß irregeleitet: »die Spanier! die Spanier!« brüllten. Was sich diesem geängstigten Haufen in den Weg stellte, ward niedergerissen. Das Kind eines Siebhändlers gerieth neben dem umgestürzten Karren seines Vaters unter die Füße der Menge, dicht neben Adrian, welcher sich in eine Hausthür gestellt hatte. Aber der Knabe vermochte dem Kleinen nicht beizuspringen, denn er wurde fest in seinen Schlupfwinkel eingedrängt, und seine Aufmerksamkeit fand ein neues Ziel, als Janus Dousa hoch zu Roß erschien. Er ritt der geängstigten Menge entgegen. In das Geschrei: »die Spanier! die Spanier!« rief er mit weithin gellender Stimme: »Ruhe, Ruhe, ihr Leute! Noch ist der Feind nicht gekommen! Zum Rhein, zum Rhein! Es warten dort Schiffe für alle Fremden. Zum Rhein! Kein Spanier ist da, hört ihr, kein Spanier!«

Der Junker hielt dicht vor Adrian, denn sein Roß konnte nicht mehr vorwärts und schnaubte und zitterte unter seinem Reiter. Des Edelmanns Mahnung trug nur spärliche Früchte, und erst nachdem Hunderte an ihm vorbeigeeilt waren, verminderte sich die geängstigte Schaar. Der Bär, vor dem sie geflohen, hatte sich längst durch Brauknechte aufhalten und zu seinem Besitzer zurückführen lassen. Jetzt erschienen auch die Stadtwaibel unter Führung seines Vaters, und der Knabe folgte ihnen unbemerkt bis zum Holzmarkt am südlichen Ufer des Rheins. Da empfing ihn ein anderes Getümmel, denn dorthin waren viele Krämer geeilt, um ihr Gut in die Schiffe zu bergen. Männer und Frauen drängten sich an Ballen und Waaren vorüber, welche man über die schmalen Stege in die Fahrzeuge wälzte. Eine Frau, ein Kind und der Karren eines Seilers waren in's Wasser gedrängt worden, und an dieser Stelle erhob sich der wildeste Lärm. Aber der Bürgemeister war zur rechten Zeit auf dem Platze, leitete die Rettung der Ertrinkenden und setzte dann Alles daran, Ordnung in die Verwirrung zu bringen. Die Waibel erhielten Befehl, die Fliehenden nur in diejenigen Fahrzeuge zu lassen, welche nach den Orten, in die sie gehörten, bestimmt waren; an jedes Schiff wurden zwei Stege, einer für die Waaren und ein anderer für die Menschen, gelegt, die Rathsboten riefen aus, daß – wie es ohnehin das Gesetz gebot, sobald die Sturmglocke geläutet wurde – alle einheimischen Bürger in die Häuser treten und die Straße bei schwerer Pön räumen sollten. Sämmtliche Thore wurden für das Fuhrwerk geöffnet, nur aus dem Hohenort'schen, welches nach Leyderdorp führte, blieb der Ausgang versagt. So lichteten sich denn die Straßen, es kam Ordnung in das Gedränge, und als Adrian in der Morgendämmerung den Heimweg antrat, erschienen die Straßen nur wenig belebter, als in anderen Nächten.

Die Mutter und Barbara waren besorgt um ihn gewesen, er aber erzählte ihnen von dem Vater, und in welcher Weise er vor seinen leiblichen Augen dem Wirrwarr Einhalt gethan.

Während er sprach, ließen sich von ferne Musketenschüsse vernehmen, und diese erweckten in ihm solche Erregung, daß er von Neuem hinaus wollte; doch die Mutter hielt ihn zurück, und er mußte sich bequemen, in seine Kammer zu steigen. Aber er ging nicht zu Bette, sondern kletterte auf den obersten Boden im Giebel des Hinterhauses und schaute von dort aus durch die Luke, zu der man die Lederballen hinauf zu winden pflegte, nach Osten, denn von dort her ließen sich immer noch Musketenschüsse vernehmen. Doch er sah nichts als das Morgenroth und leichte Rauchwölkchen, welche sich rosig gefärbt in die Höhe kräuselten. Als gar nichts Neues erscheinen wollte, fielen die Augen ihm zu, und er entschlummerte neben der geöffneten Luke und träumte von einer blutigen Schlacht und den englischen Reitern.

Sein Schlaf war so fest, daß er das Rädergerassel nicht hörte, welches sich auf dem stillen Hofe unter ihm vernehmen ließ. Die Karren, von denen es ausging, gehörten Krämern aus benachbarten Städten, welche es vorzogen, ihre Waaren in der bedrohten Stadt zu lassen, als sie den heranziehenden Spaniern entgegenzuführen. Meister Peter hatte einigen von ihnen gestattet, ihr Gut bei ihm niederzulegen. Die Fuhrwerke mußten durch das Hintergebäude mit den Werkstätten, und diejenigen Waaren, welche von der Witterung leiden konnten, sollten im Laufe des Tages in dem weiten Bodenraum seines Hauses geborgen werden. Die Bürgemeisterin war um Mitternacht zu Henrika gegangen, um sie zu beruhigen, aber die Genesende zeigte sich frei von jeder Besorgniß, und als sie erfuhr, daß die Spanier im Anzug seien, leuchteten ihre Augen freudig auf. Maria bemerkte es und wandte sich von ihrem Gaste ab; auch hielt sie die scharfen Worte, welche sich ihr auf die Lippen drängen wollten, zurück, bot dem Fräulein eine gute Nacht und verließ das Zimmer.

Henrika schaute ihr sinnend nach und richtete sich dann auf, denn an Schlaf war in dieser Nacht gewiß nicht zu denken. Das Sturmgeläut vom Pankratiusthurm nahm kein Ende, und mehr als einmal gingen die Thüren, ließen sich Stimmen und von ferne her Schüsse vernehmen. Mancherlei Töne und Geräusche, deren Ursprung und Wesen sie sich nicht zu erklären vermochte, drangen an ihr Ohr, und als der Morgen tagte, wurde es in dem sonst so stillen Hofe unter ihren Fenstern lebendig. Wagen rasselten, laute Reden klangen erregt durcheinander, und eine tiefe Männerstimme schien das, was da unten vorging, zu leiten. Ihre Neugier, ihre Unruhe wuchsen von Minute zu Minute. Sie lauschte mit solcher Spannung, daß der Kopf ihr von Neuem zu schmerzen begann, aber sie konnte nur einzelne Worte und auch diese nur undeutlich verstehen. War die Stadt den Spaniern übergeben worden, hatten Soldaten des Königs Philipp in dem Bürgemeisterhause Quartier gefunden? Ihr Blut wallte unwillig auf, wenn sie an den Triumph der Kastilianer und die Demüthigung ihres Vaterlandes dachte, aber bald erfüllte sie wieder die freudige Erregung von vorhin, denn sie sah wieder in den ihres Schmuckes beraubten, nackten Räumen der Leydener Kirchen die Kunst einziehen, singende Prozessionen durch die Straßen wallen und an dem neuverzierten Tabernakel bei schönem Gesang, Weihrauchduft und dem Läuten des Glöckleins den Priester im reichen Ornat die heilige Messe celebriren. Sie erwartete von den Spaniern eine Stätte zurückzuempfangen, an der sie in ihrer Weise beten und sich die Seele frei beichten konnte. In ihrer früheren Umgebung hatte nichts ihr einigen Halt gewährt, als ihre Religion. Ein würdiger Priester war zugleich ihr Lehrer und eifrig bestrebt gewesen, ihr darzulegen, daß die neue Lehre die mystische Weihe des Lebens, die Sehnsucht nach dem Schönen, jede ideale Regung der Menschenseele und somit auch die Kunst zu vernichten drohe, und darum wünschte Henrika ihr Vaterland lieber spanisch und katholisch, als frei von den Fremden, welche sie haßte, und calvinisch zu sehen.

Nach und nach wurde es ruhiger im Hof, aber als die ersten Morgenstrahlen ihre Fenster streiften, begann das Leben in demselben wiederum lebendiger und lauter zu werben. Schwere Sohlen schlugen auf das Pflaster, und unter den Stimmen, welche sich nun unter diejenigen mischten, welche sie schon früher vernommen, glaubte sie auch die Maria's und Barbara's zu erkennen. Ja, sie irrte sich nicht. Dieser Schreckensruf konnte nur aus dem Munde ihrer Freundin kommen, und ihm folgten schmerzliche Klagelaute von bärtigen Lippen und lautes Schluchzen. Eine schlimme Post mußte in das Haus ihres Gastfreundes gelangt sein, und die ungestüm weinende Frau da unten war doch wohl die gute »Babetta«.

Es trieb sie vom Lager. Auf dem Tischchen neben demselben stand zwischen einigen Flaschen und Gläsern neben dem Licht und der Zunderbüchse die kleine Klingel, auf deren leisen Ruf sonst eine von ihren Pflegerinnen unfehlbar herbeizueilen pflegte. Henrika schwang sie dreimal und wieder und nochmals, aber Niemand erschien. Da wallte ihr rasches Blut heftig auf, und halb von Ungeduld und Verdruß, halb von Neugierde und Theilnahme getrieben, schlüpfte sie in die Schuhe und warf das Morgenkleid über. Dann ging sie zu dem Stuhl, welcher in der Nische auf dem Tritt stand, stieß das Fenster auf und schaute zu der dicht unter ihr versammelten Gruppe nieder.

Niemand bemerkte sie, denn die Männer, welche dort trauernd beisammenstanden, und die verweinten Frauen, unter denen sich Maria und Barbara befanden, folgten mit manchen Zeichen der Theilnahme der lebhaften Rede eines jungen Mannes und hatten nur für diesen Auge und Ohr. Henrika erkannte in dem Erzähler den Musiker Wilhelm, aber nur an der Stimme, denn die Sturmhaube auf seinen Locken und der mit Blut befleckte Panzer verliehen dem anspruchslosen Künstler ein kriegerisches, ja ein heldenhaftes Ansehen.

Er war schon weit in der Erzählung fortgeschritten, als Henrika ungesehen seine Zuhörerin wurde.

»Ja, Herr,« gab er auf eine Frage des Bürgemeisters zurück, »wir waren ihnen gefolgt, aber dann verschwanden sie wieder im Dorfe, und Alles blieb still. Einen Sturm auf die Häuser zu wagen, wäre Tollheit gewesen. So hielten wir uns denn ruhig, aber gegen zwei Uhr hörten wir in der Gegend von Leyderdorp schießen. ›Der Junker von Warmond wird ausgebrochen sein‹ sagte der Hauptmann und führte uns in die Richtung des Feuers. Das hatten die Spanier gewollt, denn lange bevor wir am Ziel waren, stieg im Dämmerlicht ein Fähnlein Kastilianer mit weißen Todtenhemden über der Rüstung aus einem Graben hervor, warf sich auf die Kniee, murmelte ein ›Pater noster‹, rief sein San Jago und drang dann auf uns ein. Wir hatten sie zeitig genug bemerkt, und so konnten die Hellebardiere noch die Spieße strecken und die Musketiere sich niederlassen und die Lunten auf's Kraut legen. So wurden denn die Spanier übel empfangen, und vier von ihnen sind bei diesem Angriff gefallen. Wir waren ihnen an Zahl überlegen, und ihr Kapitän führte sie in guter Ordnung in den Graben zurück. Da blieben sie liegen, denn ihre Aufgabe war wohl keine andere, als uns aufzuhalten und uns dann von einem größeren Korps abschneiden zu lassen. Wir waren zu schwach, sie aus ihrer Stellung zu treiben, als es aber im Osten zu dämmern begann und sie immer noch nicht hervortreten wollten, schritt ihnen der Hauptmann mit einem weißen Tuche und dem Trommler entgegen und rief ihnen auf Italienisch zu, denn das hatte er in Wälschland ein wenig gelernt, er wünsche den Herren Kastilianern einen guten Morgen, und wenn sich unter ihnen ein Offizier mit Ehre im Leibe befinde, so möge er sich einem Hauptmann stellen, der mit ihm den Degen zu kreuzen begehre. Er gebe sein Wort zum Pfande, daß seine Leute dem Zweikampf unbetheiligt zusehen würden, möge sich nun der Ausgang so oder so wenden. Da fielen zwei Schüsse aus dem Graben, und die Kugeln sind wohl hart genug an dem armen Meister vorübergeflogen. Wir riefen ihm zu, sein Leben zu schonen, er aber rührte sich nicht und schrie ihnen entgegen, sie seien Memmen und Meuchelmörder grad' wie ihr König.

»Inzwischen war es ziemlich hell geworden – wir hörten sie aus dem Graben hin und wider reden, und gerade als Allertssohn sich wenden wollte, sprang ein Offizier auf die Wiese und rief: ›Bleib' stehen, Prahlhans, und hol' Dir das Deine.‹

»Da zog der Hauptmann seine Brescianer Klinge, verneigte sich vor dem Gegner, wie auf dem Fechtboden, bog den Stahl und band ihn mit dem des Kastilianers. Der war ein hagerer Mann von stattlicher Größe und vornehmer Haltung, und wie es sich bald zeigen sollte, ein gefährlicher Fechter. Wie ein Wirbelwind umkreiste er den Hauptmann mit Sprüngen, Stößen und Finten, aber Allertssohn bewahrte seine Ruhe und beschränkte sich zuerst auf geschickte Paraden. Dann stieß er mit einer prächtigen Quart an, und als der Andere sie aufhob, ließ er die Terz folgen und dieser, welche abgedrängt wurde, blitzschnell eine Seitensekunde, wie nur er sie zu führen vermochte. Der Kastilianer fiel auf die Kniee, denn die Brescianerin hatte ihm die Lunge durchbohrt. Er ist eines schnellen Todes gestorben.

»Sobald er im Grase lag, stürzten die Spanier von Neuem auf uns ein, aber wir schlugen sie wieder zurück und nahmen die Leiche des Offiziers in unsere Mitte. So stolz und froh, wie in dieser Stunde, hatt' ich den Hauptmann niemals gesehen. Ihr, Junker von Warmond, könnt die Ursache leichtlich errathen. Er hatte nun in einem echten und rechten Zweikampf gegen einen ebenbürtigen Gegner seine Suite zu Ehren gebracht, und er sagte mir auch, dieß sei sein glücklichster Morgen, und befahl dann, den Graben zu umgehen und den Feind von der Seite zu fassen. Aber kaum hatten wir uns in Bewegung gesetzt, als das erwartete Korps aus Leyderdorp vordrang. Weithin tönte sein lautes San Jago, und zu gleicher Zeit erhoben sich die alten Feinde aus dem Graben und griffen uns an. Allertssohn stürmte ihnen entgegen, aber er erreichte sie nicht. – Ach, ihr Herren! – das werde ich niemals vergessen, eine Kugel riß ihn an meiner Seite zu Boden. Sie hat ihn wohl mitten in's Herz getroffen, denn er rief nichts mehr als die Worte: ›Denkt an den Jungen!‹ und dann streckte er den gewaltigen Leib und war todt. Wir wollten ihn mit uns führen, aber die Uebermacht drang auf uns ein, und es kostete Mühe genug, in leidlicher Ordnung bis in die Schußweite der Freiwilligen des Junkers von Warmond zu kommen. So weit wagten sich die Spanier nicht vor. Da sind wir. Die Leiche des Kastilianers liegt im Thurm am Hohenort'schen Thore. Hier sind die Papiere, welche wir in dem Wammse des Todten gefunden, und dieß ist sein Ring; er hat mit einem stolzen Wappen gesiegelt.«

Peter van der Werff nahm die Brieftasche des Verstorbenen in die Hand, durchblätterte sie und sagte: »Don Luis d'Avila war sein Name.«

Er sprach nicht weiter, denn seine Gattin hatte Henrika's weit vorgestrecktes Haupt am Fenster des Krankenzimmers bemerkt und rief erschrocken, mit lauter Stimme: »Fräulein, um Gottes willen, Fräulein – was thut Ihr!«


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