Hans Dominik
Befehl aus dem Dunkel
Hans Dominik

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Marian war auf die Jagd gegangen. Georg saß bei Jan in dessen Zimmer. Der Radioapparat war auf Kurzwelle Köln eingestellt. Rheinische Volkslieder erfüllten den Raum, gespielt, gesungen in der fernen Heimat.

In Gedanken versunken, lauschten sie den alten, bekannten Weisen. Da hörte die Musik jäh auf. Der Ansager rief: »Meine Damen und Herren, wir unterbrechen das Konzert wegen einer wichtigen politischen Meldung. Soeben trifft die Nachricht ein, daß Japan an England den Krieg erklärt hat. Die englische Seefestung Singapore an der Malakkastraße wird von japanischen Luft- und Seestreitkräften bombardiert.«

Mit einem schweren Fluch sprang Jan auf. »Also hatte Dale doch recht, wenn er immer wieder sagte, in Singapore werde es zuerst losgehen.«

Georg stand einen Augenblick wie betäubt . . . Singapore . . . Anne! . . . Dann eilte er zum Telephonapparat, um Clennan und Dale anzurufen. Doch vergeblich, keiner der beiden war zu erreichen. Mißmutig legte er den Hörer wieder auf, da schrillte der Apparat.

»Hier Flugplatz Canberra. Dale und Clennan. Haben Sie die Nachricht von Singapore gehört? . . . Ja? . . . Wir starten jetzt. In einer Stunde sind wir mit einer ausgesuchten Maschine bei Ihnen. Bereiten Sie alles zum Einbau Ihres Verstärkers vor. Wir wollen mit Ihnen nach Singapore!«

In Georgs Augen blitzte es auf. Nach Singapore?! Zu Anne! . . . Eine rasende Flut von Gedanken, Überlegungen überstürzte sich in ihm. Sein Verstärker sollte dort Rettung bringen . . . eine Aufgabe, deren ungeheure Schwierigkeiten ihm sofort bewußt wurden . . . Würde es glücken? . . . Vergeblich zwang er sich zu ruhigem Denken. Wenn es gelingen sollte, mußte doch nach einem vorher genau festgelegten Plan gearbeitet werden. Wo da den Anfang machen? Die kämpften doch auch schon zu Lande mit den englischen Streitkräften. Was war der gefährlichste Teil der japanischen Angriffsmacht? . . . Die Richtung seiner Wellenstrahlen . . . die eisernen Schiffe und ihre Kommandotürme boten denen stärkste Abschirmung . . . die Landstreitkräfte, durch die Stahlhelme stark geschützt . . . von oben schwer angreifbar . . .

Jans Stimme riß ihn aus diesem Gedankenwirbel.

»Komm, Georg! Wir wollen den Verstärker und die Batterie herunter in den Kraftwagen bringen. Da man noch nicht genau wissen kann, wo Dales Flugzeug aufsetzen wird, lassen wir den Wagen mit den Apparaten ruhig so lange in der Garage stehen. In ein paar Minuten können wir dann da sein, wo das Flugzeug landet.«

Während sie die Sachen aus dem Laboratorium in die Garage brachten, fragte Georg: »Wo bleibt nur Marian?«

»Willst du den etwa mitnehmen, Georg?«

»Das wird wohl nicht möglich sein«, meinte der bedauernd. »Sicherlich müssen wir die Besatzung des Flugzeuges nach Möglichkeit einschränken, um desto mehr Brennstoff mitnehmen zu können. Denn müßten wir unseren Kampf mit den Japanern aus Brennstoffmangel unterbrechen, würde vielleicht der ganze Erfolg in Frage gestellt.« –

Sie waren wieder in Jans Wohnzimmer gegangen und saßen am Radioapparat, den Jan auf gut Glück auf die Welle von Batavia einstellte. Er meinte dabei: »Vielleicht bekommt man von den nahegelegenen Neutralen bessere Nachrichten.«

Kaum war der Apparat auf Batavia eingestellt, kaum drangen die ersten Worte aus dem Lautsprecher, da erstarrten sie in sprachlosem Staunen, in fiebernder Überraschung. Was war das da in dem Apparat? Das klang ja, als wenn der Gang einer Manöverschlacht in einer erstklassigen Funkreportage berichtet würde! Diese Fülle von Bildern . . . ihre Schilderung so aufregend, nervenpeitschend . . . die ganze Darstellung von solch packender Lebendigkeit . . .

Wie war das möglich? Und dazu die Sprache des Mannes deutsch?! Und jetzt . . . War's nicht, als hörte man das Pfeifen von Kugeln, Krachen von Granaten . . . Der Berichterstattende sprach – wie zu sich selbst: »Verfluchter Japs! Laß mich in Ruhe! Scher dich weg! Ich tu dir ja gar nichts. Was? Noch eine Ladung . . . ich muß mich schwach machen, 's wird ungemütlich . . . So, Herrschaften, kleine Pause –, gleich werde ich aus dem Dicksten 'raus sein . . .«

»Meine Damen und Herren«, klang es jetzt in holländischer Sprache, »während der kurzen Unterbrechung möchten wir den neu hinzugekommenen Hörern noch mitteilen, daß ein glücklicher Zufall uns in die Lage versetzt hat, ihnen einen authentischen Bericht von dem Gang der Schlacht bei Singapore zu bringen. Der deutsche Flieger Bölhofen, auf einem Ostasienflug begriffen, war heute nachmittag in Penang aufgestiegen, um nach Batavia zu fliegen. Während er sich auf der Höhe von Singapore bei unserem Flugplatzleiter anmeldete, begann gerade der japanische Angriff. Dem kühnen Deutschen, der, wie ja schon mitgeteilt, unter großer Lebensgefahr – einige Male mußte er vor japanischen Kampffliegern flüchten – der Schlacht als Zuschauer beiwohnt, verdanken wir diesen Bericht. Achtung, wir schalten auf sein Flugzeug um.«

Wieder lauschten sie in atemloser Spannung der packenden, hinreißenden Schilderung von der furchtbaren Schlacht. Nur ab und zu dröhnte die Stimme Jans dazwischen: »Das ist der Gipfel! Ein Bravo unserem Landsmann!«

Vollkommen im Banne der Reportage wandte er sich mit drohender, wegscheuchender Gebärde zu dem Chauffeur, der ins Zimmer kam. Doch der ließ sich nicht abweisen, schrie:

»Herr Valverde, ein Flugzeug landet eben auf der Koppel.«

Georg sprang sofort auf und eilte hinaus.

»Herrgott, ja! Das hatte ich ganz vergessen!« brummte Jan und stürmte hinter Georg her. »Hoffentlich hat Dales Maschine auch eine Senderanlage! Ich werde jedenfalls nicht von meinem Empfänger weichen.«

Er war noch so benommen, daß er gar nicht auf die letzten Worte Georgs achtete, der ihm beim Hinauslaufen zurief: »Komm mit dem Auto nach!« Mit seinen langen Beinen hatte er Georg eingeholt, als er gerade Dale und Clennan begrüßte, die ihm ein Stück entgegengekommen waren.

»Aber Jan! Du solltest doch mit dem Auto kommen.« Er machte eine ärgerliche Bemerkung und wandte sich ab. »Nun, da werde ich den Wagen selbst holen.«

Eilig lief er dem Hause zu. Da . . . da kam ja Marian. Georg winkte, rief ihm von weitem zu. Doch der . . . Georg wunderte sich, warum bleibt er nicht stehen? Was hat er? Er sah ihn um die Hausecke gehen und dann verschwinden . . .

Merkwürdig! dachte Georg. Er hatte das Haus erreicht und wollte zur Garage abbiegen, da hörte er aus dem Schuppen krachende Schläge. Sekundenlang durchschoß ihn glühende Angst. Was war das? Was bedeutete das . . .?

Noch ein paar Schritte – er konnte durch die offene Tür das Innere der Garage sehen – er stutzte, stand wie angewurzelt, seine Augen quollen über in tödlichem Schrecken und Entsetzen . . . Marian . . . was machte der da? Jetzt wieder . . . krachend fiel das Beil in dessen Hand auf den schon halb zertrümmerten Verstärker nieder. Georg wollte schreien, doch die Stimme versagte ihm. Nur ein unartikulierter Laut kam aus seiner Kehle. Stolpernd, stürzend eilte er auf Marian zu . . . da blickte der auf, sah Georg.

Was jetzt geschah, kam Georg kaum zum Bewußtsein . . . das Jagdgewehr in Marian Hand . . . ein Schuß daraus . . . die Kugel scharf an seinem Kopf vorbei. Der wollte noch einmal schießen, da war Georg über ihm. Ein wilder Kampf entspann sich, bis es Georg gelang, Marian die Waffe zu entreißen . . . noch im letzten Augenblick löste sich ein zweiter Schuß. Dann warf er sich erneut auf Marian, der das Gewehr wieder ergreifen wollte, schlang seine Arme um den und drückte ihn zu Boden.

»Marian! Marian!!« kam es keuchend, stöhnend aus Georgs Mund, »was hast du getan? . . . Mich ermorden?! . . . Bist du wahnsinnig?! . . .«

Der wandte den Kopf zu Georg empor. Der trübe, glasige Glanz in seinen Augen schwand. Mit verständnislos fragendem Blick sah er Georg an.

»Was sagst du, Georg? . . . Dich ermorden? . . . Wer will dich ermorden? . . .«

»Marian! Was ist mit dir? Weißt du nicht, was du getan hast?«

Unter dem drängenden, beschwörenden Ton Georgs wandelte sich Marians Gesicht immer stärker, sein Blick wurde klarer, seine Züge straffer.

»Marian! Ist es möglich? Du weißt wirklich nicht, was du eben getan hast? Daß du auf mich schossest? Daß du unser Heiligtum . . . den Verstärker, vernichtet hast? . . .«

Marian starrte Georg mit entsetzten Augen, zitternden Lippen wie ein Gespenst an.

»Ich . . . ich . . .« Er stützte sich auf die Hände und schob den Oberkörper in die Höhe. Sein Blick folgte Georgs Arm, der auf den zertrümmerten Verstärker deutete. »Ich . . . ich war das?!« Er schloß die Augen, fiel zurück. Ein letzter Schrei aus seinem Munde: »Turi Chan!«, dann umfing ihn tiefe Ohnmacht. –

»Aber wo bleibst du, Georg? Wir warten! Was ist denn mit dem Karren? Warum . . .« Wie zur Salzsäule erstarrt stand Jan. Seine Augen irrten wie geistesabwesend über die Szene.

Da stand Georg leichenblaß, schwer atmend gegen die Wand gelehnt. Vor ihm auf dem Boden Marian ausgestreckt . . . wie ein Toter. Neben ihm das abgeschossene Gewehr. Dort der Verstärker . . . ein Trümmerhaufen . . . Noch war kein Wort gefallen, da kamen auch Dale und Clennan herein. Ein Blick . . . dann dasselbe Bild . . . sprachlos, zum Tode erschrocken verharrten sie . . .

Dale war es, der sich zuerst aufraffte. »Herr Astenryk, was . . .?«

Da hob der wie mit Mühe langsam den Kopf, sprach wie ein zum Tode Getroffener: »Turi Chan!« –

In dem Wäldchen an der Straße nach Georgetown lag ein Mann auf den Knien. Den Gebetkranz in den Händen, murmelte der Dankgebete zum Himmel. Doch nur schlecht paßten die demütigen Worte, in denen er den Göttern dankte, zu den in wildem Triumph glühenden Augen. Während seine Lippen Gebete sprachen, waren seine Gedanken dort drüben in der Autohalle . . . jetzt der Leichenhalle seines Feindes . . . Der Verstärker zertrümmert! Oh, wie wohlig war ihm das Krachen der Schläge von weitem her an sein Ohr gedrungen. Das so empfindliche, leicht zerstörbare Gebilde unter Axtschlägen . . . was konnte übrig sein als ein Haufen nutzloser Splitter! . . . Fortan war jede Gefahr aus der Welt geschafft. Georg Astenryk hatte ja in seinem Banne eingestanden, daß es nicht möglich wäre, einen zweiten derartigen Verstärker zu bauen . . . Und dann der Schuß. Wie dieser Knecht wohl seinen Herrn getroffen haben mochte? Ob er ihn tödlich verwundet? . . . Und der zweite Schuß, mit dem er sich selbst den Tod geben sollte . . . ob auch der tödlich getroffen? . . .

Mögen die Himmlischen mein Werk auch weiter segnen! Jetzt will ich zurück zu Jemitsu, will nicht Tag, nicht Nacht rasten, ihm zu helfen. Mir ist, als wenn sich meine Kräfte verdoppelt hätten, seit ich weiß, daß ich diesen stärksten aller Gegner vernichtet habe.

Weh euch, ihr Weißen! Nicht lange mehr sollt ihr euch eurer Kolonien erfreuen, dieses Raubes an den Kindern der Sonne!

Er erhob sich und sprang in den starken Kraftwagen, der ihn nach Brisbane führte. Mit grimmem Behagen, mit triumphierender Freude vernahm er auf dem Flugplatz die Nachrichten vom Fortgang der Schlacht bei Singapore . . . überall die Japaner im Vorteil. Wie lange noch, dann war sie über, die stolze Feste. –

Es war ein ganz anderer Mann, der am nächsten Morgen Jemitsu gegenüberstand. Nicht der Turi Chan, der mit aller Kraft seines Geistes bemüht sein mußte, seine Mutlosigkeit, die quälenden Sorgen, die in seinem Innern wühlten, vor dem Freunde zu verbergen. In fester Zuversicht ging er auf Jemitsu zu und legte ihm die Hände auf die Schulter. So standen sie sich gegenüber. In wessen Augen brannte wohl stärkeres Feuer, leuchtete stolzeres Siegesbewußtsein?

»Der Sieg wird unser sein!« Fast gleichzeitig kamen die Worte von ihren Lippen. –

In kurzer, gedrängter Darstellung gab Jemitsu dem Freunde einen Bericht von dem bisherigen Verlauf der Schlacht.

»Wie werden sie überall in der Welt erstaunen, erzittern!« kam es fast jauchzend aus Turi Chans Munde. »Mit Neid und Schrecken werden sie unsere Siege erleben.«

Einen Augenblick huschte ein dunkler Schatten über Jemitsus Gesicht. »Die Vereinigten Staaten . . .« kam es langsam aus seinem Munde, »die Stimmung dort ist nicht unbedenklich. Presse und Publikum drängen die Regierung einzugreifen. Wenn die doch nachgiebig würde? . . .«

Turi Chan machte eine verächtliche Handbewegung.

»Laß sie kommen! Früher oder später wird das Sternenbanner das Schicksal des Union Jack teilen.«

»Du vergißt die anderen großen weißen Staaten der Welt«, warf Jemitsu ein. »Ein Zusammenschluß . . .«

». . . wird niemals kommen«, vollendete Turi Chan den Satz. »Ihre Uneinigkeit ist zu groß, als daß sie sich zu einer solchen Tat aufraffen könnten. Ganz abgesehen davon, daß das starke Frankreich mit uns durch enge freundschaftliche Bande verbunden ist.

Wann erwartest du den Fall Singapores, Jemitsu?«

Der wiegte nachdenkend den Kopf. »Wäre ein anderer Mann als Sir Reginald Wegg Kommandant von Singapore, ich würde sagen in drei Tagen. Wegg ist ein zäher, tapferer Krieger, ein echter Repräsentant seiner Rasse, er wird bis zum letzten Blutstropfen ausharren. So wird es länger dauern.«

Turi Chan runzelte die Brauen. »Das wird doch wohl nicht bedeuten, daß die Transporte nach Australien sich verzögern?«

Jemitsu verneinte. »Wir werden nicht warten, bis Singapore gefallen ist. Aber ehe wir nicht den Fall der Festung sicher erwarten können, wird unsere Australienflotte nicht auslaufen.«

Turi Chan ging mit unruhigen Schritten durch das Zimmer. »Unerträglich die kommenden Stunden untätigen Harrens! Ich vermag nicht, hier länger müßig zu sitzen. Laß Weisung geben, das nächste Großflugzeug, das an die Front geht, solle mich mitnehmen.«

Er wollte sich verabschieden, wandte sich noch einmal um und fragte: »Wie steht's in Sibirien, Jemitsu?«

Der ging zu einer Wandkarte und deutete darauf. »Nachdem auch Nikolajewsk zu Borodajew übergegangen ist, ist das ganze Land bis zum Jablonoigebirge in seiner Hand.«

Turi Chan nickte befriedigt. »Borodajew hat in kurzer Zeit viel erreicht«, sagte er anerkennend.

»Gewiß, Turi Chan. Doch vergiß nicht, daß ihm dazu der Abfall der russischen Garnisonen sehr geholfen hat. Ich möchte noch hinzufügen – ich weiß es aus sicherer Quelle –, daß er dabei auch viel dem Rat und der Hilfe seiner schönen Geliebten zu verdanken hat . . . übrigens: hier habe ich einen interessanten Bericht von Oberst Macoto über Boradajews Freundin. Sie war in russische Gefangenschaft geraten. Wie das kam und wie sie sich dann befreite, kannst du hier lesen. Ich gehe, um den Befehl für deinen Flug nach Singapore zu geben.« –

Als Turi Chan nach einigen Stunden im Flugzeug saß, gingen seine Gedanken immer wieder zu Helene Forbin – welch wunderbares Weib! Zehn Männer wiegt sie auf in Rat und Tat.

*

Es war der dritte Tag der Belagerung von Singapore. Dale kam im Flugzeug nach Paulinenaue. Am Haustor empfing ihn Jan, doch nicht in seiner gewöhnten polternden Art. Still, gedrückt reichte er ihm die Hand.

»Gut, daß Sie kommen. Jetzt werden die drei da oben im Laboratorium mal 'raus aus ihrer Höhle müssen. Mit Mühe habe ich durchgesetzt, daß sie jetzt in Schichten arbeiten. Die ersten Tage und Nächte sind sie nicht aus den Kleidern, viel weniger aus dem Laboratorium gekommen.«

»Was macht Marian, der Unglückliche?« fragte Dale.

Jan machte eine bedauernde Handbewegung. »Nicht besonders, Herr Dale. Es ist gut, sehr gut, daß er so scharf arbeiten kann. Das lenkt ihn von seinen Gedanken ab, zwingt ihn zu anderer, stärkster Konzentration. Wäre das nicht, er würde sich vielleicht ein Leid antun.«

»Das ist doch Unsinn, Herr Valverde. Habt ihr nicht alle unter dem Bann des gelben Teufels gestanden, willenlos tun müssen, was er wollte?«

»Gewiß!« erwiderte Jan. »Und doch, wenn man bedenkt . . . Marian, Freund, Bruder Georgs von Jugend auf, zerstört dessen Werk, will Georg ermorden . . . welch furchtbare Verstrickung!«

»Wissen Sie jetzt die näheren Umstände, wie Turi Chan ihn in seinen Bann zwang?«

»Ja. Man kann sich wenigstens ein ungefähres Bild aus den Mitteilungen machen, die Georg vorsichtig bruchstückweise aus Marian herauslockte. Danach hat es sich wohl so zugetragen: Marian, auf der Jagd, hatte sich, um zu ruhen, im Schatten eines Busches niedergelegt und war eingeschlafen. Als er erwachte, stand Turi Chan vor ihm. Er zwang Marian, einen Becher zu trinken, in den er irgendein teuflisches Medikament getan hatte. Georg vermutet, das wäre ein Pulver gewesen, um die Empfänglichkeit für Gedankenstrahlungen stark zu erhöhen. Nachdem er Marian so völlig in seinen Bann gebracht hatte, gab er ihm den Befehl, den Verstärker zu zerstören und Georg zu erschießen.

Er muß dann Marian, der nach Hause ging, bis in die unmittelbare Nähe des Gutshofes gefolgt sein. In Turi Chans Bann tat dann Marian das Ungeheuerliche . . .

Kommen Sie, Herr Dale. Ich gehe mit nach oben. Clennan schläft. Georg und Marian sind bei der Arbeit. Mit vereinten Kräften werden wir sie 'rausholen, ob sie wollen oder nicht.« –

Eine halbe Stunde später saßen alle – Clennan hatte man inzwischen geweckt – in einer schattigen Laube des Gartens. Jan konnte den Blick nicht von Marian lassen – welche glückliche Veränderung war mit dem vorgegangen! . . . Dale hatte, kaum ins Laboratorium gekommen, Marian unter den Arm gegriffen und war mit ihm ins Freie gegangen. Was er da mit ihm gesprochen hatte, wußte man nicht. Jedenfalls hatte er es überraschend verstanden, den Unglücklichen durch verständiges Zureden von seinen selbstquälerischen Wahnideen zu befreien und seelisch aufzurichten.

»Ehe ich Ihnen über die Lage bei Singapore berichte, geben Sie mir, bitte, Herr Astenryk, noch einmal ein genaues Bild von dem Stand Ihrer Arbeiten. Sie glauben nicht, wie froh, erleichtert ich aufgeatmet habe, als ich von Clennan hörte, daß der Verstärker wiederhergestellt werden könne. Von dem Augenblick an habe ich die Hiobsnachrichten aus Singapore leichter genommen.«

Ehe Georg begann, nickte er Marian zu. Beglückte es ihn doch noch viel mehr als die anderen, daß Dales freundlicher Zuspruch auf Marian so heilsam gewirkt hatte.

»Ein gütiges Geschick, stärker als der bannende Haß Turi Chans, lenkte Marians Arm. Gewiß, der Apparat wurde völlig zerstört.

Aber völlig . . . das ist nicht ganz richtig. Seine Seele, die Allgermissenschen Kristalle, blieben unversehrt. Die beiden kleinen Kristalle, die ich zunächst vermißte und für verloren hielt, fanden sich Gott sei Dank später weitab zur Seite geschleudert unter Jans Wagen.

Als ich die Kristalle sämtlich beisammen hatte, war ich vollkommen beruhigt. Jetzt handelte es sich für mich nur darum, in planvoller, systematischer Arbeit in kürzester Zeit einen neuen Verstärker herzustellen, um dann die unersetzlichen Kristalle Allgermissens darin einzubauen. Einen Teil des nötigen Materials hatten wir ja schon von jener Zeit her, da ich die Absicht hatte, mit Clennan einen zweiten Verstärker zu bauen. Das mißlang, weil wir die richtigen Kristalle dafür nicht fanden. Was an Einzelteilen noch fehlte, brachte Clennan, der mit Ihrer Maschine nach Canberra flog, schon am nächsten Morgen herbei. Daß wir seit diesem Tage nicht müßig gewesen sind, können Sie sich denken.«

»›Nicht müßig‹ ist gut gesagt, Georg, geschuftet habt ihr wie die Wilden«, unterbrach ihn Jan. »Hätte ich nicht die Schichtarbeit eingeführt, wärt ihr längst am Ende eurer Kräfte.«

»Und wie lange noch . . .?« fragte Dale, zu Georg gewandt.

»Genau läßt sich das nicht sagen, Herr Major. Ich hoffe aber spätestens in einer Woche fertig zu sein.«

Dale nickte erfreut. »Oh, das ist ja schneller, als ich hoffte. Aber schonen Sie Ihre Kräfte. Die Arbeit, die danach Ihrer wartet, ist nicht minder schwer. Jetzt will ich Ihnen den versprochenen Bericht über die Lage in Singapore geben.

Wie ich Ihnen schon vorher sagte, ist die Nachricht vom Tode des Gouverneurs falsch. Er lebt. Wie es mit seiner Familie steht, weiß ich natürlich nicht. Ich nehme aber an, daß sie sich in Sicherheit befindet . . .

Wie lange sich Singapore halten wird, ist . . . ungewiß. Wir hoffen natürlich das beste. Irgendein glückliches Ereignis, wie es ja im Kriege oft vorzukommen pflegt, kann noch eine Wendung zum Besseren bringen. Ohne etwas Derartiges . . .« er zuckte die Achseln.

»Aber wie ist das möglich, Herr Major? Singapore, die gewaltige Feste . . .« warf Jan ein.

»Ja . . . da muß ich auf ein in der Geschichte unglücklicher Kriege mit Vorliebe gebrauchtes Wort ›Verrat‹ zurückgreifen. Die schnellen, überraschenden Erfolge der Japaner am ersten Tage sind einfach undenkbar, wenn man nicht annimmt, daß Verrat ihr Bundesgenosse war.

Über Einzelheiten will ich mich nicht auslassen. Der Feind muß im Besitz zuverlässigster Pläne aller Anlagen gewesen sein, muß über ein fast mathematisch genaues Bild aller unterirdischen Verbindungswege, Kabelleitungen und Kraftzentralen verfügt haben.

Anders ist es nicht zu erklären, daß schon die ersten Geschosse und Bomben Volltreffer auf verteidigungswichtige Punkte waren.

Um Ihnen einen Begriff zu geben, wie ernst die Lage zur Zeit in Singapore ist, möchte ich vorweg bemerken, daß gestern die Befestigungen auf der Insel Blakan Mali und nach den heutigen Nachrichten wahrscheinlich auch die Werke auf der Insel Brani aufgegeben werden mußten. Der Kampf wird also in der Hauptsache von den Küstenforts geführt.

Ich will Ihnen kurz die bisherigen Aktionen skizzieren, wie sie bis jetzt hier bekannt sind. Wenn ich dabei auch einige noch geheimzuhaltende Dinge erwähne, so glaube ich das verantworten zu können. Sind Sie doch alle seit langem unserer Sache aufs engste verbunden.

Vor drei Tagen, kurz vor Sonnenuntergang, erschien ein japanisches Geschwader, bestehend aus drei modernen Kreuzern, zwei Flugzeugmutterschiffen, zwei Torpedobootflottillen und einer größeren Zahl von U-Booten, von Südosten her vor Singapore. Es steht fest, daß dies Geschwader, schon vor längerer Zeit in Marsch gesetzt, den Weg südlich um Java durch die Sundastraße genommen hat.

Die Kreuzer, stark vernebelt, näherten sich ungesehen Blakan Mali, während die Torpedo- und U-Boote einen überraschenden Angriff auf die auf der Außenreede liegenden englische Schiffe, drei Schwere und zwei Leichte Kreuzer, eröffneten.

Während des Kampfes griffen die japanischen Kreuzer von Süden her ein. Überraschend schnell war das englische Geschwader vernichtet. Die englischen Flottenteile, die im Hafen von Singapore zusammengezogen waren, verließen diesen sofort und griffen die japanischen Streitkräfte an. Nach kurzer Zeit waren die drei sich opfernden Kreuzer der Japaner erledigt, während ihre übrigen Schiffe nach Osten zurückwichen. Bei der Verfolgung der japanischen Kräfte trafen unsere Kreuzer auf ein Geschwader japanischer Schlachtschiffe, das von Formosa her, auch stark vernebelt, vorgestoßen war.

Bei der Überlegenheit des Feindes brach der englische Admiral das Gefecht ab und zog sich auf Singapore zurück, wobei jedoch leider zwei unserer Schiffe auf japanische Streuminen liefen.

Drei japanische U-Boote, denen es gelungen war, durch unsere Minensperren in den inneren Hafen zu gelangen, sind zwar nicht wieder herausgekommen, aber sie versanken, nachdem sie unter den englischen Schiffen schlimmes Unheil angerichtet hatten.

Doch all dies war eigentlich nur Beiwerk zu nennen im Vergleich zu dem furchtbaren Luftangriff. Von den beiden Flugzeugmutterschiffen stieg ein Geschwader nach dem anderen auf, wobei sich der Gegner wiederum stärkster Vernebelung bediente. Ehe man noch auf englischer Seite die Größe der Gefahr ganz begriffen hatte, belegten die Geschwader unter dem Schutz ihrer Kampfflieger die Befestigungswerke mit schweren Bomben und zerstörten die wichtigsten Anlagen und Verbindungen. Auch von Penang wird ein Gefecht mit japanischen Kreuzern berichtet, doch scheint es sich da mehr um eine Demonstration zu handeln.«

»Aber die Indienflotte«, warf Clennan ein, »wird sie . . .?«

Dale machte ein zweifelndes Gesicht.

»Von ihr wäre nur dann etwas zu hoffen, wenn sie rechtzeitig genug kommt, um Teile der japanischen Flotte von Singapore abzuziehen. Ein Angriff unserer indischen Fluggeschwader in der vergangenen Nacht brachte eine vorübergehende Entlastung. Die heut morgen neu eintreffenden japanischen Luftgeschwader haben jedoch die unsrigen zurückgeschlagen.

Sie sehen also, daß die Japaner trotz ihrer Verluste stark im Vorteil sind. Von außen her hat Singapore, abgesehen von dem indischen Geschwader, in den nächsten Tagen keine Hilfe zu erwarten.«

Eine Weile herrschte ein drückendes Schweigen.

»Und wie betrachten Sie die Lage hier in Australien?« fragte Jan. »Ich weiß, daß viel oder alles davon abhängen wird, ob und wie lange Singapore noch standhalten kann. Vielleicht haben Sie Nachrichten, die . . .«

»Ja! Wir haben solche Nachrichten. In verschiedenen Hafenstädten der japanischen Ostküste sind große Truppenmassen versammelt, die ihrer Einschiffung harren. Die ersten Vortransporte mit Kriegsmaterial sind bereits auf den Karolinen ausgeladen worden.

Daß man in dem Pakt von Versailles den Deutschen die Karolinen abnahm und sie Japan gab, war auch eine der vielen genialen Leistungen dieses Friedensvertrages. Wie sich England diese Laus in den Pelz setzen konnte, ist und bleibt unbegreiflich. Man gab es den Gelben damit ganz in die Hand, dort Massen von Kriegsmaterial aufzuhäufen und nach Belieben weiterzuverwenden. Die Befestigungen auf der Insel Jap sind nicht zu unterschätzen.«

»So dürfen wir vielleicht schon bald japanische Truppenlandungen in Australien erwarten?« fragte Jan.

»Damit ist mit unbedingter Sicherheit zu rechnen, Herr Valverde . . . es müßte denn sein, daß sich die Lage in Singapore mehr zu unseren Gunsten wendet. Aber . . .«

»Haben Sie nicht irgendwelche Anhaltspunkte, wo man solche Landungsversuche der Japaner erwarten könnte?« fragte Georg.

»Nein. Es ist uns trotz aller Bemühungen nicht gelungen, hinter die Pläne der Gelben zu kommen. Wir haben ja darüber schon des öfteren gesprochen. Der westliche Teil unseres Landes scheidet aller Wahrscheinlichkeit nach aus. Im Osten . . . doch lassen wir dies unfruchtbare Herumraten. Mögen sie landen, wo sie wollen. Wir werden an keinem Punkte Widerstand bis zum Äußersten leisten.

General Scott hat es, im Vertrauen auf Ihre Hilfe, gegen stärkste Opposition der anderen Kommandanten durchgesetzt, daß den japanischen Landungsmanövern nur so lange Widerstand geleistet wird, als es sich mit der Schonung der Zivilbevölkerung und des privaten Eigentums verträgt. Wir denken nicht daran, unsere großen Küstenstädte nutzlos in Trümmer schießen zu lassen. Je weiter die gelandeten Truppen in das Innere vordringen, desto besser für sie, Herr Astenryk.«

Eine kurze Weile herrsche Schweigen am Tische. Dann sagte Jan: »Ihren Schlachtbericht in Ehren, Herr Dale. Jammerschade, daß es den famosen deutschen Flieger doch noch erwischt hat! Gott sei Dank ist seine Verwundung nicht so schwer. Der letzte Bericht aus Batavia sagt, daß man die japanische Kugel, die in seinem Arm saß, entfernt hat. Was war das für eine prachtvolle Reportage! Ich bin nicht vom Radio weggekommen, solange Bölhofen seine Berichte gab. Diese lebendige Schilderung all der Vorgänge mitten aus der Schlacht heraus war doch prachtvoll . . . von höchster Spannung. Viel . . .«

». . . schöner als mein Bericht«, sagte Dale lachend. »Das glaube ich Ihnen gern, Herr Valverde. Es ist übrigens eine interessante Frage . . . Waren die Japaner berechtigt, den vollständig neutralen Beobachter anzugreifen? Es steht doch fest, daß Bölhofens Flugzeug deutsche Heimatszeichen trug. Weiter steht auch fest, daß es sich bei seinem Flug stets über holländischem Gebiet gehalten hat. Vielleicht gibt es darüber später noch eine diplomatische Auseinandersetzung. Deutschland wie Holland haben doch allen Grund zur Beschwerde.«

»Überlassen wir dies der Weisheit des Völkerbundes«, sagte Jan. »Drei Hauptkommissionen und ein Dutzend Unterkommissionen werden die Sache so gründlich zu klären versuchen, daß unsere Enkel vielleicht das Resultat erleben.«

»Wie lauten denn die Nachrichten vom Kriegsschauplatz in Sibirien?« fragte Elennan. »Anscheinend macht die Armee des Generals Borodajew gute Fortschritte.«

»Allerdings«, sagte Dale, »fragt sich nur, ob sich die Abfallbewegung in demselben Maße fortsetzen wird wie bisher. Nach den neuesten Meldungen konzentriert die Moskauer Regierung starke Truppenmassen östlich des Baikalsees. Da Borodajew sich anschickt, das Jablonoigebirge nach Westen zu überschreiten, ist in absehbarer Zeit mit den ersten größeren Kämpfen zu rechnen. Alles hängt davon ab, wie die ausfallen werden. Wird Borodajew geschlagen, dürfte sein Unternehmen erledigt sein. Denn ohne die japanische Unterstützung wird er sich nicht auf die Dauer in dem Küstengebiet halten können. Und . . .«, setzte er nach einer Pause hinzu, »die dürfte doch wohl bald illusorisch werden.«

»Das hoffen wir alle!« rief Jan und hob sein Glas. Freudig stießen die anderen mit ihm an.

*

Das Riesenflugzeug des japanischen Oberbefehlshabers zog in mächtigen Schleifen ruhig seine Bahn über Singapore. Von den Fliegerabwehrgeschützen der Engländer war nur noch die Hälfte in Tätigkeit. Kein englischer Flieger mehr am Horizont.

Unter dem japanischen Flugschiff das grausige Bild des Schlachtfeldes. Im Hafen die Trümmer der stolzen englischen Schiffe. Am Morgen des Tages waren die letzten Außenwerke gefallen. Ein Regen von Bomben ergoß sich über die Reste der Verteidigungsstellungen.

Von dem Gros der japanischen Flotte lagen nur noch die schweren Schlachtschiffe vor Singapore, während die übrigen durch die Malakkastraße bis auf die Höhe von Penang vorstießen, um der Indienflotte entgegenzutreten, falls England diesen letzten Einsatz wagen sollte. In der Hauptsache blieb es den Bombengeschwadern überlassen, der niedergekämpften Festung den Gnadenstoß zu geben.

»Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, dann geht da unten die weiße Flagge hoch«, sagte Turi Chan mit einem etwas höhnischen Unterton zu Admiral Chamura, dem Höchstkommandierenden.

Der gab keine Antwort, schaute in ernstem Nachdenken auf die Festung. Wäre es nicht Jemitsu gewesen, der Turi Chan zu ihm beordert, würde er ihn nicht in sein Flugzeug aufgenommen haben. Chamura wußte sehr genau, welche Rolle Turi Chan in der japanischen Regierung spielte. Wußte auch, was der alles getan. Und da war sehr vieles, was den geraden, tapferen Charakter Chamuras abstieß. Vor allem war es die Versenkung der »Brisbane«, die ihm als schmachvolle Tat für immer in der Seele brannte. Die näheren Umstände dieses Anschlags waren ihm wohlbekannt. Er wußte, daß es Turi Chans Werk war.

Auch das mißfiel Chamura in höchstem Grade an Turi Chan, daß der so unverhüllt einen starken persönlichen Haß gegen den Gouverneur von Singapore zur Schau trug. Er erweckte manchmal den Eindruck, als liege ihm weniger an der Eroberung der Festung als an der Demütigung Sir Reginald Weggs.

Chamura war zu Beginn seiner Laufbahn Militärattache in London gewesen. So manches aus Turi Chans Leben dort war ihm gelegentlich zu Ohren gekommen. Bei sich nannte er ihn wohl ein verächtliches Mischblut, einen Renegaten in doppeltem Sinne.

»Ich glaube, es würde nichts schaden, wenn jetzt auch die Stadt mit einigen Bomben belegt würde. Das könnte General Wegg nachgiebiger machen.«

»Das wäre gegen meine Instruktion, Turi Chan. Ich habe den ausdrücklichen Befehl, die Zivilbevölkerung nach Möglichkeit zu schonen. Außerdem glaube ich nicht, daß Wegg sich dadurch in seinen Entschlüssen beeinflussen ließe. Er wird so oder so kämpfen, solange Widerstand noch möglich.«

Turi Chan warf Chamura von der Seite her einen schiefen Blick zu. Er fühlte nur zu wohl, wie wenig der ihm geneigt war.

»Nun, da können wir vielleicht noch bis morgen warten, ehe Singapore kapituliert.«

»Das ist durchaus denkbar«, sagte Chamura kühl, »aber ich glaube es nicht. Ich halte die aufgefangene Nachricht von einer leichten Verwundung des Gouverneurs für irreführend. Wegg ist nicht der Mann, von einer leichten Verletzung viel Wesens zu machen. Ein anderer wird die Meldung gegeben haben, und das bedeutet für mich, daß der Fall ernster liegen muß. Ohne Wegg ist Singapore . . .«

»Ah! Wegg schwer verwundet . . . Das wäre unangenehm.«

»Warum, Turi Chan?«

»Wollte es der Teufel, daß er nicht transportfähig wäre, entginge uns der Triumph, ihn gefangen nach Japan zu bringen.«

Ein verächtliches Lächeln zuckte über Chamuras Gesicht. So, dachte er, das wäre für dich das Höchste, den unterlegenen tapferen Feind auch noch zu demütigen.

In diesem Augenblick verstummte plötzlich das Feuer. Ein Adjutant kam in Chamuras Kabine. »Die weiße Flagge, Exzellenz! Singapore kapituliert!«

Chamura eilte zum Fenster und sah zur Stadt hinüber. Auf dem Dach des Gouverneurspalastes, dessen helle mächtige Mauern unversehrt im Sonnenschein ragten, war eine weiße Fahne gehißt. –

Die Sonne stand im Zenit, da war die Übergabe der Festung vollendet. Die Reste der englischen Besatzung waren in ihren Kasernen interniert. Auf den Trümmern der zerschossenen Verteidigungswerke wehte die japanische Flagge. –

Aus der Kommandantur kam Chamura, gefolgt von einigen höheren englischen Offizieren. Die letzten Anordnungen über den Abtransport der gefangenen Engländer waren getroffen. Der Admiral bestieg seinen Wagen und fuhr zum Lazarett, um dem verwundeten Gouverneur einen Besuch abzustatten. Er folgte dabei seinem ritterlichen Gefühl, einem tapferen, im offenen Kampf unterlegenen Gegner die gebührende Ehrung zu erweisen. Den Arzt, der mit Rücksicht auf den schlimmen Zustand Weggs den Besuch ablehnen mußte, beauftragte er, den Gouverneur seiner persönlichen Hochschätzung und Teilnahme zu versichern. –

Der einzige, der mit den letzten Ereignissen unzufrieden, war Turi Chan.

Nicht allein, daß ihm der persönliche Triumph, Wegg als Besiegten vor sich zu sehen, unmöglich wurde, auch Chamuras Verhalten gegenüber der Gattin des Gouverneurs paßte ihm wenig. Der Admiral hatte Lady Evelyn mit Rücksicht auf ihren leidenden Zustand gestattet, ihre Räume im Gouverneurspalast mit ihrer persönlichen Bedienung zu behalten.

Wie wohl ein Jäger ein erlegtes seltenes Wild mit höchster Genugtuung und Interesse betrachtet, durchstreiften Turi Chans Augen mit grausamer Befriedigung die zerschossenen Werke der Festung. Überall da, wo die Verbindungsadern in furchtbaren Wunden klafften, verweilte er in selbstgefälligem Triumph. Ihm . . . ihm war das alles zu verdanken! . . .

Die Sonne sank nieder, noch immer konnte er sich nicht von den grausigen Bildern der Zerstörung losreißen. Dabei steigerte sich das Gefühl, daß nur seine Kraft, geschärft durch Allgermissens Kunst, dies alles vollbrachte . . . War es sein übersteigertes Selbstgefühl, waren es seine überreizten Nerven . . . er begann laut zu sprechen. Erst langsam, dann immer schneller entströmten seinem Munde wirre Sätze . . . Worte. Dabei wurde seine Stimme immer lauter, bis sie weithin über die stummen Trümmerfelder in die stille Nacht erklang.

Ein japanischer Offizier, der mit einer Patrouille vorüberkam und Turi Chan nicht kannte, nahm ihn mit und schaffte ihn trotz seines Widerstandes in ein japanisches Lazarett.

Ein Adjutant Chamuras, der gerade dort weilte, benachrichtigte sofort den Admiral. –

Nachdenklich saß Jemitsu vor der Depesche, die ihm die Erkrankung Turi Chans meldete. Ein bitterer Tropfen in den Becher der Freude! dachte er. Es wäre nicht gut, wenn uns Turi Chans Hilfe in der kommenden Zeit fehlte. Seine Krankheit . . . möge es das Schicksal verhüten, daß ihn die Götter strafen! . . . wie sie Allgermissen gestraft haben. –

Obwohl man allgemein nach dem Verlauf der Belagerung den Fall Singapores erwartet hatte, machte die Nachricht von der Kapitulation überall in der Welt einen ungeheuren Eindruck. Es war nicht allein das, daß sich dieser aufs modernste befestigte Platz in so kurzer Zeit ergeben mußte. Jedermann wußte, daß jetzt Ereignisse folgen würden, die das ganze Weltbild im Osten von Grund auf ändern könnten.

In allen weißen Staaten, mit Ausnahme Frankreichs, stärkste Entladungen der öffentlichen Meinung. Aller Augen waren auf die Vereinigten Staaten gerichtet. Konnten, durften die noch länger zögern?

Doch die amerikanische Regierung ließ sich nur Schritt für Schritt zu energischeren Maßnahmen drängen. Ein ziemlich lahmer Notenwechsel zwischen Washington und Tokio führte zu keinem auch nur einigermaßen befriedigenden Ergebnis. Die japanische Regierung verschanzte sich hinter ihrer alten Forderung, Australien müsse die japanische Einwanderung gestatten; dann wäre sofort aller Konfliktstoff beseitigt. Als ein gewisser Erfolg wurde es verbucht, daß Senator Harob von einer zweistündigen Unterredung mit dem Präsidenten in anscheinend guter Stimmung zurückkehrte.

Die englische Diplomatie arbeitete in allen Teilen der Welt mit Hochdruck. Man scheute sich sogar nicht, der Moskauer Regierung die verlockendsten Angebote zu machen, falls sie zu einem wirklich großzügigen Vorgehen im Fernen Osten bereit wäre. Die Stimmung gegen Frankreich nahm bedrohliche Formen an. Obgleich es doch weniger das französische Volk war als die Regierung, die mit dem japanischen Vorgehen sympathisierte, kam es häufiger vor, daß französische Reisende in England in schlimmster Weise belästigt wurden.

In allen Teilen des britischen Reiches begann ein fieberhaftes Rüsten. Sämtliche Dominions stellten sich mit Menschen und Mitteln bedingungslos hinter das Mutterland. In Australien benutzte die Regierung ein paar Fälle von Sabotage, um über das ganze Land den Belagerungszustand zu verhängen. Gleichzeitig wurde die Einberufung aller Reserven angeordnet. Sämtliche Industrien, die sich mit der Herstellung von Kriegsmaterial beschäftigten, wurden unter staatliche Kontrolle gestellt. Zur Bildung einer Freiwilligenarmee wurden im ganzen Lande Werbebüros eröffnet. –

Mit ungeheurer Spannung sah die Welt den kommenden Ereignissen entgegen. Ein Heer von neutralen Berichterstattern in Flugzeugen war unterwegs, um authentische Meldungen von den zu erwartenden Kriegshandlungen zu geben. Die japanische Regierung ließ daraufhin durch ihre diplomatischen Vertreter in allen Ländern ein Kommunique verbreiten, sie werde es nicht dulden, daß neutrale Berichterstatter im Kriegsgebiet von Ereignissen und militärischen Bewegungen Nachrichten verbreiteten, die vielleicht geeignet wären, den Gang der Operationen störend zu beeinflussen. Sie betrachte eine solche Berichterstattung, besonders von Flugzeugen aus, als eine Verletzung der Neutralität und werde mit schärfsten Mitteln dagegen vorgehen.

Der Entrüstungssturm, der sich in allen neutralen Ländern auf diese Erklärung hin erhob, blieb wirkungslos. –

Inzwischen häuften sich von allen Seiten die Meldungen über kriegerische Vorbereitungen der anderen im Fernen Osten interessierten Kolonialmächte. Die amerikanische Flotte wurde im Pazifik zusammengezogen. Auf den holländischen Inseln und den Philippinen herrschte Hochspannung.

Da kam die Meldung von einem neuen Zusammenstoß. Ein nächtlicher Angriff japanischer U-Boote auf die im Hafen von Sydney ankernden Kriegsschiffe wurde unter schwersten Verlusten der Angreifer abgeschlagen. Dieser kleine Erfolg wurde aber schon am nächsten Tage durch eine schlimme Nachricht überholt. Die Annahme, daß die englische Indienflotte die Ankunft der Streitkräfte aus dem Mittelmeer abwarten würde, bevor sie in Aktion träte, erwies sich als falsch. Diese Flotte hatte sich mit Südostkurs in Marsch gesetzt, um sich mit den englisch-australischen Streitkräften zu vereinigen. Südlich der Sundastraße traf sie auf das japanische Kreuzergeschwader. Die Schlacht drohte für die englischen Kräfte verhängnisvoll auszugehen, da kam ihnen einer der in jenen Gegenden häufigen Taifune mittelbar zu Hilfe. Im Aufruhr der Elemente gelang es einem Teil der englischen Schiffe, sich vom Gegner zu lösen und die Fahrt fortzusetzen.

In den folgenden Tagen überstürzten sich die Nachrichten. Ein aus schnellen englisch-australischen Kreuzern zusammengestelltes Geschwader stieß von der Torresstraße her gegen japanische Aufklärer vor und trieb sie nach Norden zurück. Die Funkstelle Neuguinea gab Fliegermeldungen weiter, daß große japanische Truppentransporte von Norden her im Anmarsch wären. In atemloser Spannung erwartete alle Welt weitere Nachrichten von der japanischen Invasionsflotte, die den Äquator bereits überschritten hatte. Inzwischen liefen ständig Meldungen von kleineren Zusammenstößen auf der Höhe der Torresstraße ein.

*

Georg und Clennan waren auf dem Weg zum Kriegsministerium.

»Das wird ein harter Kampf mit denen werden, Herr Clennan.«

»Fürchte ich auch! Der Plan Trenchhams hat auf den ersten Blick viel für sich. Die Idee, daß Sie mit Ihren Wellen einfach die ganze japanische Invasionsflotte auf die Riffe des Korallenmeers jagen, ist sehr bestechend.«

»Gut, daß uns Dale schon vorher etwas davon erzählte«, meinte Georg. »So konnten wir uns für unsere Ablehnung gut vorbereiten. Ich bin froh, daß ich Sie bei mir habe. Es ist doch eine alte Geschichte: zweien glaubt man mehr als einem. Nun, wir werden sehen.«

Georg überdachte noch einmal alles, was er mit Clennan besprochen hatte. Was ihm von vornherein hauptsächlich gegen den Plan Trenchhams einnahm, war die Tatsache, daß dabei unendlich viele Menschen zu Tode kommen mußten. Ein Militär mochte darüber anders denken. Er konnte sich nicht mit dem Gedanken abfinden, von sicherer, unangreifbarer Position aus unzählige Wehrlose zu vernichten, indem er die Schiffsführer einfach beeinflußte, in voller Fahrt auf die Riffe zu jagen. Eine Tat, die für alle Zeiten mit seinem Namen verbunden sein würde.

Da er aber voraussah, daß er mit solchen Erwägungen bei Scott und Trenchham nicht durchkommen würde, hatte er sich mit Clennan einen Plan gemacht, wie sie die Militärs aus mehr oder weniger begründeten physikalischen Erwägungen heraus von ihrer Idee abbringen könnten. Er wollte sich auf Argumente stützen, die, wenn auch vielleicht etwas übertrieben, doch keineswegs eines realen Kerns entbehrten.

Es war ja durchaus denkbar, daß seine Strahlungen bei den japanischen Kampffliegern nur wenig wirkten. Die metallische Umhüllung dieser Flugzeuge konnte vielleicht so abschirmen, daß der Pilot unbeeinflußt blieb. Ein feindlicher Treffer konnte sein eigenes Flugzeug zum Absturz bringen, und dann wäre alles verloren gewesen. Auch bei den Wasserfahrzeugen war es hinsichtlich der Kriegsschiffe wahrscheinlich, hinsichtlich der Transportschiffe möglich, daß die ganze oder teilweise metallische Ummantelung der Führerstände die Wirkung der Gedankenstrahlung zunichte machte. –

Damals, als er mit Dale nach Singapore fliegen sollte, hatte er sich solcher Bedenken, die ja zweifellos nicht unbegründet waren, in dem Gedanken an Anne entschlagen. Jedenfalls wäre es da möglich gewesen, sich nachts einen Weg durch die Flieger zu bahnen. Von einer sicheren, gut geschützten Stelle hätte er dann seine Wellen wohl mit Erfolg spielen lassen können. Die Überraschung, die Plötzlichkeit von Dales Vorschlag und die Sorge um Anne hatten ihn damals kurzerhand ja sagen lassen.

Anne! . . . »Anne Escheloh befindet sich wohl, ist bei Lady Wegg. Läßt grüßen. Clifton.« – Diese wenigen Worte auf einer Postkarte waren am Tage vorher in seine Hände gelangt. Die Karte trug den Poststempel »Bintan, Riouw« und war mit der Luftpost Batavia-Canberra gekommen. Georg wußte aus Briefen Annes, daß Clifton Adjutant bei Gouverneur Wegg war.

Wie war es Hauptmann Clifton gelungen, aus Singapore herauszukommen? Offenbar war er aus der Gefangenschaft entflohen und hatte sich auf die nahegelegene holländische Insel Riouw gerettet.

Einige Wochen später sollte Georg die Lösung dieses Rätsels aus Annes Munde erfahren. Clifton war, wie sie erzählte, nachts aus dem Lager der gefangenen Offiziere entkommen und hatte sich durch einen Nebeneingang in den Gouverneurspalast geschlichen. Hier hatte er sich bei den Frauen Kleider der eingeborenen Dienerinnen verschafft und war in dieser Vermummung unbehindert aus der Stadt gelangt. –

Major Dale saß schon in Erwartung Georgs mit General Scott in Trenchhams Arbeitszimmer.

»Sie meinen also, Herr Major, daß unsere Pläne bei Herrn Astenryk keinen Anklang finden werden?«

»So ist es, Herr Oberst. Er sowohl wie Clennan haben aus physikalischen Gründen Bedenken.«

Oberst Trenchham schob die mit vielen Fähnchen besteckte Karte vor sich unmutig zur Seite. Sein schmales, scharfes Gesicht zuckte in verhaltenem Ärger. Er warf dem General einen fragenden Blick zu. Der wandte sich an Dale.

»Herr Astenryk war aber doch bereit, mit Ihnen nach Singapore zu fliegen? Ich sehe kaum einen Unterschied zwischen den japanischen Belagerungstruppen vor Singapore und den jetzigen Transporten.«

»Gewiß, Herr General«, sagte Dale zögernd, »der Unterschied ist nicht groß.« Im Stillen dachte er, wie stark wohl damals die Anwesenheit von Anne Escheloh in Singapore Georg beeinflußt haben mochte. Aus seiner Verlegenheit riß ihn das Eintreten einer Ordonnanz, welche die Herren Astenryk und Clennan meldete. –

Der General stand auf und ging den Eintretenden entgegen. Georg mußte, wie immer, wenn er mit den beiden zusammentraf, an ein bekanntes Komikerpaar aus Filmen seiner Jugendzeit denken. Der Anblick der langen, hageren Gestalt des Generalstabschefs neben der untersetzten, behäbigen Figur des Generals wirkte unwillkürlich erheiternd. Und das, obwohl beide hervorragend tüchtige Offiziere waren, vor denen man in militärischen Kreisen höchste Achtung hatte. –

Die Unterhaltung der fünf Männer dauerte bis tief in die Nacht hinein. Georg beglückwünschte sich, Clennan bei sich zu haben. Der unterstützte all die vielen Einwände, die er zu machen hatte, aufs nachdrücklichste.

Als sie sich trennten, hielt Trenchham Georg bei der Hand fest. »Seien Sie froh, daß es Ihnen gelungen ist, General Scott auf Ihre Seite zu bringen. Daß der Teufel Sie reiten mußte, zu allerletzt noch dem gutherzigen General mit ihren Humanitätsduseleien zu kommen! Aber denken Sie nicht, mein Lieber . . .«, er lachte Georg versöhnlich zu, »daß Sie gleich wieder nach ihrem geliebten Paulinenaue zurückfahren können. Dafür, daß Sie Ihren Willen durchgesetzt haben, sollen Sie jetzt auch was tun.

Wir können natürlich nicht genau voraussehen, wo die Japaner landen werden. Aber wir dürfen immerhin aus guten Gründen einige Orte als wahrscheinlich ins Auge fassen.

Kommen Sie bitte morgen früh wieder hierher. Wir werden dann an Hand von Spezialkarten geeignete Stellen suchen, von wo aus Sie mit Ihrem Apparat wirksam und dabei ungefährdet operieren können.« –

In den nächsten Tagen waren die Nachrichten vom Kriegsschauplatz sehr spärlich. Nur kleine, unbedeutende Zusammenstöße wurden gemeldet. In der Welt zerbrach man sich den Kopf über diese Passivität der australischen Waffen. Aus London wiederholten sich energische Anfragen und Vorhaltungen bei der australischen Heeresleitung. –

Die allgemeine Spannung wurde unterbrochen und in eine andere Richtung gelenkt . . . Sibirien. Ziemlich unerwartet hatte General Borodajew in Eilmärschen das Jablonoigebirge überschritten, die noch im Aufmarsch befindliche Moskauer Armee überrascht und unter schweren Verlusten zurückgeschlagen. Der Weg zum Baikalsee stand ihm offen. –

Die Nachrichten von Borodajews Sieg fanden in der Welt starken Widerhall.

Die Zeitungen ergingen sich in kühnsten Kombinationen. Man begann jetzt, Borodajew nicht mehr nur als einen starken Stein auf dem japanischen Schachbrett zu betrachten.

In Japan und Frankreich herrschte eitel Freude. Nur in Tokioter Regierungskreisen sah man Borodajews große Erfolge mit gemischten Gefühlen an. Immerhin bedeutete sein Sieg eine absolute Sicherung der japanischen Stellung nach Westen. –

Es war schon spät in der Nacht, als Jemitsu aus dem Gebäude des Ministeriums kam und den Weg zu Turi Chans Wohnung einschlug. Die Freunde begrüßten sich in langer Umarmung. Immer wieder betrachtete Jemitsu mit banger Sorge das verfallene Gesicht Turi Chans. Die großen dunklen Augen weit in ihre Höhlen zurückgesunken, tiefe Schatten um sie herum. Das starke, schmale Kinn schob sich leise zitternd auf und nieder, als könnten die Muskeln den Kiefer nicht mehr halten.

»Ja, ja, Jemitsu . . . ein anderer Turi Chan, den du vor Monden in Gartok trafst, ein anderer, den du heute siehst.«

Jemitsu griff dessen Hand und drückte sie. »Ich kann es begreifen, Turi Chan. Der Anfall in Singapore, deine Krankheit sind es, die deine Seele bedrücken. Du bist niedergeschlagen, daß du, der immer Starke, schwach wurdest . . . verzweifelst gar, deine Kraft wiederzugewinnen, der Alte zu werden. Doch da täuschest du dich. Warte, bis der Sieg, der uns winkt, fest in unserer Hand ist. Dann wirst du anders denken, wirst gesunden . . . Zuviel war es, was du in dieser langen Zeit tatest . . . dachtest . . . für unsere Sache. Körper und Geist opfertest du Tag und Nacht unserem Werk. Wo wären wir ohne dich!«

Bei Jemitsus Worten hatte es in Turi Chans Augen ein paarmal kurz aufgeblitzt in Freude, Stolz. Dann lagen sie wieder unter dem trüben, dunklen Schleier.

»Ich danke dir, Jemitsu. Ob deine Worte sich erfüllen werden, steht bei den Himmlischen. Ob die mir verzeihen, daß ich mich an ihrer Macht vergriff? Ich fürchte« – er ließ den Kopf tief sinken –, »ich gehe Allgermissens Bahn.«

»Turi Chan!« Jemitsus Hand umschloß die Rechte des Freundes in angstvollem Griff. »Du fürchtest die Strafe der Götter?! . . .«

Der richtete sich auf und warf den Kopf zurück . . . rief mit starker Stimme:

»Mögen sie mich strafen, die Götter! Mögen sie mich in geistigen . . . körperlichen Tod schicken! Ich will ihre Strafe annehmen, will alles dulden, was sie über mich verhängen, wenn sie's mir nur vergönnen, den Triumph der Sonnenkinder zu erleben.«

»Du wirst es, Turi Chan . . . und an unserm Sieg wirst du genesen. Nimm meinen Rat an. Unsere Flotte steht auf der Höhe von Brisbane. Morgen schon wird die Nachricht kommen, daß der Hafen von Brisbane blockiert ist. Drei Tage später werden auch Sydney und Melbourne unser sein. Laß dir raten und nimmt ein gutes, schnelles Flugzeug. Fahre selbst dorthin. Sei Zeuge unseres Triumphs, dann wirst du neue Kraft schöpfen, wirst du genesen.«

Turi Chan schaute sinnend in die Weite.

»So mag es sein!« Er richtete sich auf, reckte seine Gestalt, die schmal und hager geworden war.

»Ich fahre, Jemitsu. Mögen mir die Götter gnädig sein!« –

Mit unbeschreiblichen Gefühlen hatte Turi Chan die Landung der Zwanzigtausend hart südlich von Melbourne erlebt. Nach kurzem, schwächlichem Widerstand waren die australischen Truppen zurückgewichen. Melbourne war jetzt fest in japanischer Hand. Man wartete nur noch auf den bevorstehenden Fall von Sydney, um auf Canberra vorzustoßen.

In Sydney leisteten die Fortifikationen noch heftigen Widerstand. Um ihn zu brechen, waren nördlich der Stadt Truppen gelandet, die sie nach Süden umgehen sollten. Die in dieser Seefestung stationierten englisch-australischen Seestreitkräfte hatten vor der Ankunft der japanischen Schlachtschiffe den Hafen verlassen und waren nach Süden entwichen. Man war darüber erstaunt, denn der Widerstand der Landbefestigungen wäre bei Gegenwart dieser Schiffe viel wirkungsvoller gewesen.

Im japanischen Hauptquartier erklärte man sich das Verhalten der australischen Heeresleitung dahin, daß überhaupt keine längere Verteidigung beabsichtigt war. In dieser Annahme wurde man bestärkt, als die Befestigungswerke, noch ehe die Umgehung der Stadt vollendet war, ihr Feuer einstellten und deren Besatzungen zurückgenommen wurden. –

Es war am Abend nach der Besetzung Sydneys. In Gegenwart des Oberstkommandierenden, des Marschalls Takamori, fand an Bord des Flaggschiffs »Jimmu« eine militärische Besprechung statt, an die sich eine kleine Siegesfeier anschloß.

Takamori, der Jemitsu sehr nahestand, begegnete dessen Freund Turi Chan mit besonderer Auszeichnung. Der war nicht wiederzuerkennen. Jemitsus Rat war gut gewesen. Der Anblick der siegreich vordringenden japanischen Truppen, der fast widerstandslos sich ergebenden reichen Riesenstädte, schien seinen Augen den alten Glanz, seinem Körper die alte Kraft wiedergegeben zu haben. Dazu die Ehrung durch den Marschall. Er schwelgte im Höchstgefühl des Triumphes. In wenigen Tagen würde die japanische Flagge über Canberra wehen. War die Ostküste mit ihren großen, stark bevölkerten, industriereichen Städten in japanischer Hand, mußte auch das übrige Land sich in kurzer Zeit der japanischen Herrschaft fügen.

Unaufhörlich liefen Glückwunschdepeschen ein aus Japan und aus vielen anderen Ländern, wo gelbe Menschen wohnten. Das besondere Telegramm Jemitsus an Turi Chan machte bei den meisten großen Eindruck. Wußten doch nur wenige, wie Turi Chan zu den leitenden japanischen Staatsmännern stand. –

In der übrigen Welt, besonders in den angelsächsischen Staaten, wirkten die überraschend großen Erfolge der Japaner niederschmetternd. Die europäischen Besitzungen im Fernen Osten wurden allgemein als verloren betrachtet, früher oder später mußten sie dem japanischen Expansionsdrang zum Opfer fallen. Unkontrollierbare Gerüchte gingen dahin, daß man von englischer Seite bemüht sei, eine Abwehrkoalition aller im Fernen Osten interessierten Mächte zusammenzubringen. Häufige Besprechungen des amerikanischen Botschafters im Haag mit der holländischen Regierung gaben solchen Vermutungen Nahrung.

In gewissem Gegensatz dazu stand es, daß die amerikanische Regierung sich in ihren Äußerungen zu dem Konflikt sehr reserviert verhielt. Immerhin wurde es in Europa als günstiges Zeichen betrachtet, daß die gesamte amerikanische Flotte an der pazifischen Küste marschbereit versammelt war. Über diese eigenartige Politik der Vereinigten Staaten kursierten die verschiedensten Gerüchte. Die Meinung der meisten ging dahin, in Washington wolle man die Schwierigkeiten Englands erst noch größer werden lassen, ehe man ihm die Hand reiche. Dabei mochte wohl der Gedanke mitspielen, daß man in der Union das wenig freundliche Verhalten Englands in dem amerikanisch-französischen Konflikt nicht vergessen hätte. –

Inzwischen nahmen die Ereignisse in Australien ihren Lauf. Die australisch-englische Flotte, die sich auf Adelaide zurückgezogen hatte, wich einer Blockade aus und zog sich kämpfend nach Westen zurück. Damit waren die volkreichsten Teile Australiens in japanischer Gewalt. –

Die in Sydney und Melbourne gelandeten Truppen traten den Vormarsch an, um alles Gebiet östlich der Linie Darling–Murray von feindlichen Kräften zu säubern. Dabei mußte ihr Augenmerk in erster Linie darauf gerichtet sein, die zerstörten Eisenbahnen so schnell wie möglich wiederherzustellen. Vom Widerstand der australischen Truppen war wenig zu spüren. Er beschränkte sich auf kleine Plänkeleien, die den Vormarsch kaum ernstlich zu verzögern vermochten. Die japanischen Flieger wußten nur von stärkeren australischen Truppenkonzentrationen westlich von Canberra zu melden.

Da wurde die Welt durch einen überraschenden Erfolg der australischen Truppen in Staunen gesetzt. Eine japanische Brigade, die von Melbourne aus das Gebirge überschritten hatte, wurde beim Austritt aus den Bergen von verhältnismäßig schwachen australischen Kräften überrumpelt und gefangen.

Im japanischen Hauptquartier in Sydney herrschte starke Verwirrung. Man stand vor einem Rätsel. Das Auffälligste war, daß dabei überhaupt keine Fliegermeldungen nach rückwärts gekommen waren. Die dieser Brigade zugeteilten Flieger mußten von starken feindlichen Geschwadern überraschend angegriffen und restlos vernichtet worden sein. Auch aus den australischen Berichten war nichts Genaueres über die Einzelheiten dieser Aktion zu entnehmen. Sie sprachen nur kurz von dem Sieg, der mit ganz geringen Verlusten errungen sei.

Die unmittelbare Folge dieser Schlappe war, daß die übrigen japanischen Abteilungen nur langsam und unter Beobachtung größter Vorsichtsmaßregeln vorrückten.

Da traf den japanischen Kommandierenden in Melbourne ein neuer schwerer Schlag. Auf die Nachricht von der Gefangennahme der Brigade und der Vernichtung von deren Fliegerabteilung hatte der General ein starkes Flugzeuggeschwader ausgeschickt. Der Führer des Geschwaders hatte den Befehl, die australischen Flieger aufzusuchen, sie, wo er sie fände, zu vernichten. Außerdem sollte er nach Möglichkeit Nachrichten über die Ereignisse bringen, die zu der Gefangennahme der Brigade geführt hatten.

Von den zwanzig Flugzeugen dieses Geschwaders kehrten nur vier zurück. Es war jedoch nicht möglich, aus den Aussagen der Flieger ein Bild zu gewinnen, was eigentlich den übrigen Flugzeugen zugestoßen wäre. Nach ihren übereinstimmenden Meldungen hatten fünfzehn Flugzeuge der Staffel plötzlich ein Ackerfeld angesteuert und waren dort gelandet.

Nach der Landung waren sie von australischen Soldaten gefangengenommen worden. Der Führer des Geschwaders, der auf dem rechten Flügel flog, war sofort herbeigeeilt, um irgendwie die Ursachen dieser verhängnisvollen Landung festzustellen. Dabei hatte er plötzlich sein Flugzeug abgedreht, war ebenfalls niedergegangen und gefangen worden.

Einem scharfen Verhör unterworfen, konnten die vier Zurückgekommenen nichts anderes sagen, als daß sie durch das rätselhafte Schicksal ihrer Kameraden derartig verwirrt worden wären, daß sie nichts anderes tun konnten, als nach Melbourne zurückzufliegen.

Die Nachricht von diesem unerklärlichen Ereignis kam zu Marschall Takamori, als er mit Turi Chan und mehreren hohen Offizieren auf dem Deck des Flaggschiffs »Jimmu« eine Besprechung abhielt.

Der Marschall las die Meldung und erbleichte. Auch die Offiziere um ihn standen gelähmt wie von einer Furcht vor etwas Unfaßbarem, Unheimlichem. Sie schraken zusammen, als Turi Chan mit kreischender Stimme aufschrie: »Der Verstärker!«, dann in schwerem Fall zu Boden stürzte.

*


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