Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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XII.

Karg und kühl, wie Stilicho erwartet hatte, fiel der Dank des Imperators aus. Gar seltsam war der Widerspruch seiner Würdigung der durch die Belagerung drohenden Gefahr vor und nach dem Entsatz: noch gestern war er nahe daran gewesen, die Feste und sich zu ergeben: nur mit äußerster Mühe hatten Eucherius, Adalger und übrigens auch Carinus und Heraclian ihn davon zurückgehalten, obwohl Mangel bisher nur die Bevölkerung, kaum noch das Heer und gar nicht den Palast getroffen hatte: unerträglich fand er schon den nun Wochen hindurch währenden Waffenlärm, die Aufregung der Belagerung. Das dringe bis in seinen Hühnerhof und hindere die fleißigsten Hennen am Legen: Alarich habe ihm ja ehrenvolle Haft zugesichert.

Aber nach dem Einzug Stilichos in die Stadt meinte er achselzuckend, man übertreibe die Gefährlichkeit der Einschließung und daher das Verdienst des Entsatzes, vielmehr müsse er Rechenschaft fordern für die unverantwortliche Entblößung der Rhein- und der Donau-Grenzen. Und als Stilicho auf die beiden zu Mark-Wächtern gewonnenen Könige hinwies, erwiderte er giftig, daß der ›Vandale‹ gar nicht genug Germanen in das Reich ziehen könne. Stilicho entzog sich diesem Undank und diesen Vorwürfen so rasch er konnte. Schon am folgenden Tage nahm er mit allen in Mailand vorhandenen und von ihm herangeführten Truppen die Verfolgung der weichenden Goten auf.

Alarich, den die Seinen, ausgestreckt in einem Fischerkahn, den Ataulf steuerte, auf das linke Ufer gerettet hatten, leitete, sobald er sich aus seiner Betäubung erholt hatte, mit Umsicht den Rückzug nach Ligurien, um, falls er sich mit den stark geschwächten Wehrfähigen des Volkes gegen den jetzt übermächtigen Sieger in Italien nicht sollte halten können, über die Cottischen Alpen nach Gallien abzuziehen und in diesem nun von Truppen entblößten Lande für sein wandermüdes Volk die lang gesuchte ruhige Heimat – »quieta patria« sagte man – zu finden. Zwar ward der schwerfällige Wagenzug schon bei Asti am Tanarus von den raschen Reitern des Sarus und des Saul eingeholt und die schwache Nachhut nach Süden zu die Hügel hinab gedrängt: allein es gelang dem König gleichwohl, das ganze Volk auf den schwierigen Wegen auf dem linken Flußufer in Sicherheit bis Pollentia zu führen, vor welchem Städtlein in guter Stellung zwei befestigte Lager geschlagen wurden: ein kleineres etwas weiter südlich, ein größeres, zumal für die Waffenunfähigen, weiter nördlich. Hier mußte er den ermüdeten Menschen und noch mehr den erschöpften Gespann-Tieren des Zuges einige Tage Erholung gönnen. Hier konnte man den Angriff der Verfolger in Deckung abwarten, von hier aus im Notfall, das heißt bei weiterem Rückzug nach Westen rasch die schirmenden Wasserläufe der Stura und des Po zwischen sich und Stilichos Geschwader legen, etwa bei Susa die Pässe nach Gallien gewinnen und unter dem Schutz der Dora riparia unverfolgt überschreiten.

Aber es kam anders: nicht damals schon und nicht unter Alarich sollte das Wandervolk nach Gallien gelangen. Der Ostersonntag fiel in diesem Jahr auf den sechsten April: am Abend des Karfreitags, des vierten Aprils, stieg das Heer Stilichos von Aquae Statiellae (Acqui), von Nordosten, her, dem Lauf des Tanarus entgegen, die Höhen im Osten von Pollentia herab und schlug dort Lager.

Alarich hatte keinen Versuch gemacht, es aufzuhalten: kam es zum Angriff, wollte er ihn vor und in dem stark besetzten Pollentia erwarten. Allein er hoffte, weiteren Kampf zu vermeiden. Er verlangte und erhielt ohne weiteres zugesagt eine Unterredung mit Stilicho für den fünften April auf einer kleinen von Pinien beschatteten Anhöhe in der Mitte der beiden feindlichen Lager.

Als die Sonne im Mittag stand, ritten gleichzeitig je zwei Reiter den sandigen Hang hinan: es waren Alarich und Ataulf von Westen, von Osten Stilicho und sein Sohn. Alle sprangen auf dem Gipfel von den Gäulen, die sie im Schatten der Pinien an deren Stämme banden. Nun schritten die vier Männer einander entgegen; treuherzig reckte Stilicho dem Balten die Rechte hin. Aber dieser ergriff sie nicht: finstern Blickes sprach der sonst so freudige Held: »Nein. Nicht fass' ich diese Rechte, die meinem Volk so blutige Wunden schlug, weil sie es verschmähte, zu antworten – auf vier Briefe!« Und zürnend nickte Ataulf. – »Vier Briefe?« staunte Stilicho. »Nicht einen hab' ich erhalten.« – »Und meine Boten, die mündlich das Wichtigste – das unter uns beiden Geheimste! – antragen, deine Antwort zurücktragen sollten? Du hast sie gefangen gesetzt!« – »Nicht einen hab' ich gesehn.«

»Vater,« sprach Eucherius, – »Boten und Briefe, – frage nach ihnen bei Olympios.« – »Wahrscheinlich,« grollte der Magister militum.

»Dann – deine Hand!« rief Alarich mit entwölkter Stirn. – »Ja, diese Hand,« sprach Ataulf, »obzwar rot von dem Blut der Unsern.« – »Es blieb unvergossen – wie viel Römisches –! erhieltst du meine Botschaften.« – »So hoffen wir wenigstens,« fügte Ataulf bei. »Rede nun, König! Sag' ihm, was wir suchen in Italien. Hoffentlich erspart das weiteres Schild- und Schädel-Spalten.«

»In Italien?« erwiderte Stilicho kopfschüttelnd. »Ich sagte dir längst: nichts hast du zu suchen in meinem Italien.« – »Als ein Grab, denkst du jetzt,« meinte der Balte. »Das such' ich nun freilich – noch! – nicht. Sondern ich suche in Italien: – Afrika.«

Vater und Sohn staunten. »Wie meinst du das?« forschte Stilicho. – »Nicht anders als ich's sage. In Europa ist unsres Bleibens nicht mehr: nicht im Ostreich . . . –« – »Und nicht im Westreich,« ergänzte Ataulf. »Wir haben's bitter gelernt.« – »Im Westreich duldet uns Freund Stilicho nicht –« – »Niemals! Warum bliebt ihr nicht, wo ihr wart? Du warst Herr und Meister von Epirus. Aus den Waffenhäusern des Arcadius bezogst du die trefflichen Helme, Schilde, Brünnen, Schwerte, die ihr gegen uns führt. Schatzung an Gold zahlte euch Byzanz, Land zum Ackerbau . . .« – »Hatten sie damals versprochen, haben's nie gegeben!« – »Nun denn – statt dessen Lieferungen Getreide . . .« – »Haben's nie geliefert!« brach der König zornig los. »Verhungert wäre da drüben mein ganzes Volk: – sollte verhungern nach der Griechen Meinung. Nun was tun? Byzanz angreifen? Ei, dann rief es wieder nach dem treuen Helfer Stilicho, dem törichtsten aller Helden. Und der kam auch wieder, trotz dem Undank von Pholoë und half wieder. Nicht?« – »Ohne Zweifel!« nickte Stilicho ernsthaft. – »Ah, Wahnsinn der Treue! Und Treue gegen wen? Gegen denselben Arcadius, – will sagen: Olympios – will sagen Eudoxia, die mir goldene Berge versprachen, schickt' ich des vielgetreuen Stilicho Kopf nach Byzanz, die mir ganz Italien, ja jedes Land des Westreichs preiszugeben, ja feierlich zu verleihen gelobten, entriß ich es dem Vandalen, dem Lebenden oder – lieber! – dem Toten.«

Stilicho furchte die hohe Stirn. Aber Eucherius sprach fest: »Nicht jenen Menschen, – dem Römerreich hat mein Vater Treue und Schutz versprochen.«

Der König fuhr fort: »Was also tun? Byzanz kann ich nicht zwingen: – Dank Freund Stilicho.« – »Wir wollen nicht noch einmal nach Pholoë,« grollte Ataulf. – »Italien oder sonst ein Stück des Westreichs gibt mir Freund Stilicho weder in Güte . . .« – »Noch durch Gewalt, – die Adda sah's,« nickte Ataulf. – »Da kam mir der Gedanke: ›Afrika!‹ Die Kornkammer des Reichs! Unberührt von Feindeshand! Blühend, reich genug, zwei Völker wie das meine zu nähren. Und unbehütet: zum Ostreich gehörig, nicht Stilichos.« – »Nicht des Honorius willst du sagen,« verbesserte jener. – »Das ist dasselbe! Afrika hilft uns allen. Aber von Osten her, über das Ionische Meer, das die Trieren von Byzanz beherrschen – ich habe nicht ein Segel – kommen wir nie nach Afrika: nur von Italien, von Rom aus, über Sizilien. Deshalb nur brach ich in dieses Land. Nur Durchzug verlangte ich, durch Briefe, – durch die Boten an dich – friedlichen Durchzug bis Rom: – nach Rom, nach Rom ruft mich seit lange eine innere Stimme! – dann Einschiffung in Rhegium, in Lilybäum – nach Karthago!«

Staunend blickten Vater und Sohn auf den hoch Erregten.

»Ich schrieb so dringend: galt es doch unser aller Heil! Ja bittend: denn es galt meinem Volk! – Keine Antwort von dem Jugendfreund!« – »O doch! Brennende Katapulte, stürzende Türme!« zürnte der Vetter. – »Jetzt aber schauen wir uns Aug' in Auge. Jetzt kann alles noch gut werden. Du siehst wie ich erglühe in dem Wunsch, mein Volk zu retten und du weißt, was sein Volk dem Manne ist!« – »Ach nein, er weiß es ja nicht!« rief Ataulf mit bittrem Mitleid. »Wie sollte er auch? Der arme Sieger hat nie ein Volk gehabt. Das er hatte, – er hat's abgeschüttelt, wie fremden Staub! Schau nur, wie kalt er blickt bei deiner schönen Wärme. Wie sollte er sie verstehen!« – »Ataulf!« warnte Eucherius.

Aber sein Vater sprach eisig: »Laß den Barbaren reden, mein Sohn. Was weiß er von der ewigen Roma!« – »Daß sie nicht ewig ist,« brach Alarich los. »Ich werd es zeigen!« – »Das wart' ich ab. – Einstweilen aber mäßige dich. Dein Gedanke zwar ist kühn: nicht umsonst heißest du der Balte.« – »All meine Ahnen hießen so!« – »Aber du vergaßest: Afrika gehört zum Reich der Römer.« – »Nicht zu deinem, nicht zum Westreich.« – »Gleichviel: das ganze Reich des Theodosius zu schützen hab' ich versprochen, jedem der Brüder das Erbteil zu wahren, das der Vater ihnen abgegrenzt.« – »Auch diesem Hofe zu Byzanz? So wiss' es denn: sie haben dort – insgeheim! – hohen Preis auf deinen Kopf gesetzt!« – »Das war unklug. Denn dieser Kopf denkt, so lang er denkt, für sie.« – »Das ist die Treue des – . . .« schalt Ataulf. – »Des Stilicho, wolltest du sagen,« unterbrach Eucherius, drohend sich aufrichtend und stolz auf den Vater blickend.

Der König zuckte die Achseln und wandte sich seinem Pferde zu. Aber noch einmal machte er Halt: »Stilicho, alter Genoss'! Nur Durchzug – friedlichen Durchzug.« Der Feldherr schüttelte stumm das hochbehelmte Haupt mit dem purpurnen Helmbusch auf dem geschweiften römischen Kamm. »Gut denn! Also nochmal Kampf! Allein morgen . . .« – »Am heiligen Ostertag . . .« ergänzte der Vetter. – »Ruhn die Waffen jedes Christen, das versteht sich,« nickte Stilicho. – »Also am Montag!« rief zornig Ataulf, in den Sattel des Weißrosses springend. »Aber am hellen Tag, nicht bei Nacht und Nebel wie vor Mailand, in offner Schlacht, nicht in tückischem Überfall. Weh euch! Jetzt gibt es keinen Frieden mehr zwischen uns.« Und sausend sprengten beide Goten davon. Ernsten Blickes sah ihnen Stilicho nach: »Vielleicht doch,« sprach er dann bedächtig. »Komm, mein Sohn, zurück ins Lager, allen für morgen die Waffenruhe zu befehlen.«

 


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