Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Zwölftes Kapitel

Das Schiffslager war unter ganz besonderem Menschenverlust der Römer genommen worden. Einen Lagerwall und Graben hatte man in den wenigen Stunden nach der Ankunft nur der Form nach aufgeworfen, weil es einmal die alte gute Römerregel vorschrieb und weil Nannienus auf der Einhaltung bestand. Aber er selbst drückte ein Auge zu über der lässigen Ausführung. Sollte doch schon morgen bei Tagesanbruch dies Lager verlassen und dessen Mannschaft zur Besetzung des Idisenhanges und zum Marsch gegen die Barbaren verwendet werden. So war der Graben nur wenige Fuß tief ausgehoben, der Wall nur wenige Fuß aufgeschüttet worden: weitere Befestigungen unterblieben. Daher drangen die Alamannen sofort von allen Seiten in das von Schlaf und Wein zugedeckte Lager. Und der alte Herzog hatte ihnen einen Rat gegeben, den er aufgegriffen hatte aus den Liedern eines wandernden Sängers, der in des Gaugrafen Halle zur Harfe alte Vorzeitsgeschichten seines eigenen Stammes vorgetragen hatte. Der Mann war ein Bataver und hieß – in seltsamer Mischung! – Julius Claudius Civilis Chlodomer. Wandernd zog er von Stamm zu Stamm, soweit man nur irgend seine Mundart noch verstand, und sang und erzählte die alten Lieder und Sagen. Und so berichtete er denn auch, wie vor drei Jahrhunderten sein Volk, das wasservertraute, geführt von seinem Ahnherrn, der, obwohl Germane, die gleichen römischen Namen trug wie nun der Spätenkel, grimmig gegen das römische Joch gekämpft und manchen Sieg erfochten hatten, begeistert von Veleda, einer weissagenden Jungfrau der Brukterer.

Und er sang, wie sie einmal am Rheinstrom in mond- und sterneloser Nacht ein römisches Schiffslager überfielen: die Schiffe ankerten im Strom, am Ufer standen viele Zelte. Da durchschnitten die eingedrungenen Bataver vor allem die Haltseile, die, um die Pfosten geschlungen, die Zelte aufspannten: von ihren eigenen auf die Häupter der Schläfer niederstürzenden Zelten begraben, verwickelt und gefangen, wurden die Wehrlosen leicht überwältigt:

»Wie Fische gefangen
In nächtlichen Netzen
Sie zappelten zeternd in ihren Zelten.«

Diese Siegstäbe des Batavers hatte sich der alte Herzog scharf eingeprägt: – das hatte ihm am besten gefallen an der ganzen Dichtung, – und nun wandte er an, was er gelernt hatte.

Die Überfallenen wurden erst geweckt durch die über ihnen zusammenbrechenden Zelte, durch Flammenschein von allen Seiten und – dann erst – durch das Siegesgeschrei der Germanen. Ohne Widerstand stoben sie auseinander, sahen auch die Schiffe, die nächste Zuflucht, brennen, wollten nun zu dem Kugellager emporeilen, sahen aber auch da oben Feuergarben aufsteigen und flohen nun, planlos, ziellos, links und rechts am Seeufer hin, wenig verfolgt von den Siegern, die sich vielmehr vor allem der römischen Kleinschiffe bemächtigten und in diesen ihren Waffenbrüdern beistanden, die stolzen Biremen zu entern. Jene römischen Kleinschiffe faßten immerhin mehr Mannschaft und waren viel hochbordiger, zum Erklettern der Wandungen der gewaltigen Kriegsschiffe viel mehr geeignet, als die kleinen, niedrigen Fischerkähne – fast lauter Einbäume – der Alamannen. So kam es, daß alsbald gar mancher germanische Nachen, völlig leer, an das Ufer trieb, dessen Bemannung in römischen Kleinschiffen die römischen Großschiffe verfolgte oder bereits geentert hatte. –

Als Decius mit seinem kleinen Häuflein von Illyriern und Batavern, die er um den verwundeten Feldherrn und um Ausonius zusammengehalten hatte, das brennende Schiffslager erreichte, erkannte sogar Saturninus, die in vollen Flammen stehenden Biremen vor Augen, – widerwillig genug, – daß auch hier alles verloren und an Fortsetzung des Kampfes nicht zu denken war. Er willigte zögernd ein, jetzt nur mehr an rettende Flucht zu denken. Rignomer zuerst, der schon im Seethor sich dem Feldherrn angeschlossen hatte, entdeckte, am Ufer hin- und herspähend, mehrere verlassene, in der Nähe treibende Kähne der Alamannen. Er sprang ins Wasser, erreichte, watend und schwimmend, den ersten, stieg hinein, fand die Ruder uneingezogen in den Weidenwieden steckend, ergriff sie, ruderte auf die nächsten drei leeren Kähne los, knüpfte sie mit den am Gransen in das Steueröhr geschlungenen Stricken aneinander und brachte rasch sein kleines Geschwader so nah an das Land, daß in den größten Kahn der verwundete Feldherr gehoben und das ganze Häuflein der Flüchtigen – zu je fünf oder sechs – in die drei andern Nachen aufgenommen werden konnte. Auf seinen Rat legten sie alle die weithin kenntlichen, hochragenden Römerhelme und auch die glänzenden Römerpanzer ab. Sie trennten sich auf seinen Vorschlag – dem segelkundigen Bataver folgte auch Decius gern, – um die Augen der Feinde nicht so leicht auf sich zu ziehen: so hoffte man unvermerkt, vereinzelt, das Südufer – Arbor – zu gewinnen.–

Als Hariowald mit den Seinen an das Ufer herab gelangte, fand er nur mehr die Aufgabe vor, rasch alle erreichbaren römischen wie germanischen Schiffe, die etwa unbenutzt am Ufer lagen, mit seinen Männern zu besetzen und die Verfolgung der Kriegsschiffe über den See hin fortzusetzen. Er sprang in einen römischen Transportnachen und ließ sich an das Feldherrnschiff des Nannienus rudern, dessen Brand die Enterer nach Bewältigung der Besatzung gelöscht hatten. Ein Mann warf ihm von dem hohen Bord eine Strickleiter in den Nachen und reichte ihm die Hand, ihm an Bord zu helfen. Es war nun Morgendämmerung: der Herzog erkannte Fiskulf, den Fischer. Erstaunt sprach der Alte: »Wie? Hat dich Wodan wirklich gerettet! Dann ist er noch mächtiger – und noch gütiger! – als ich geahnt.« »Muß wohl sein,« lachte der andere vergnügt. »Ich war der erste hier oben, warf den ersten Brand in das Hauptsegel und schwang den Walenfürsten steuerbord-über, wie einen Seelachs aus dem Eisloch. Das schöne Schiff aber habe ich dann retten, löschen lassen. Ich dachte: nehmen ist doch noch besser als verbrennen. Hab' ich mein Wort erfüllt?« – »Übertroffen. – Und du bliebst unversehrt?« – »Nicht ganz: ein Ohr trag' ich fortan zu wenig. Das muß man sagen: – scharf schleifen sie ihre Kurzschwerter, diese Walen, und kräftig hauen sie! Schau' her: nicht die Mutter, die mich geboren mit zwei Ohren, sollte glauben, daß hier je ein Ohr aus dem Haare gelugt: so glatt und haarscharf hat er mir's abgehauen.« Der Herzog gab ihm die Hand: »Du trittst in meine Gefolgschaft, Fiskulf! Du hast jetzt gelernt, auf mich zu hören und mir zu gehorchen!« – »Ja, Herr, auch mit einem Ohr! Vermiss' ich künftig das zweite, werd' ich mir immer sagen, weshalb ich's eingebüßt.« – »Und wie der Hohe dir das ihm verwirkte Leben geschenkt: – vergiß das nie! – Jetzt aber wollen wir die Walen mit ihrem eigenen Prachtschiff über den See nach Arbor jagen! Zieht alle Segel auf!« – »Herr, woher nehmen? Sind alle verbrannt.« – »So spannt eure Mäntel als Segel auf: der Wunschwind hilft sie blähen: ein frischer Westnordwest springt ein um Sonnenaufgang. Seht ihr, wie sich bereits die Wellen kräuseln? Da bricht der erste Strahl des Morgenrots aus dem Gewölk! Hurtig, ihr Männer, faßt die römischen Ruder, – die Morgensonne muß uns auf dem Südufer grüßen! Ha, seht ihr, dort drüben? In Arbor steigen mächtig Rauch und Flammen auf! Unsere Ostleute, die Hermunduren und die – jetzt freien! – Stammgenossen, bisher unterm Joch der Fremden, haben Wort gehalten! Auf! Hinüber nach Arbor, den dritten Sieg der einen Nacht zu feiern!« Er selbst ergriff das Steuer, und majestätisch rauschte das stolze Admiralschiff der Römer, den Hintergransen der Nordküste zukehrend, nun von den Siegern gerudert, über den See.

Die Mäntel, braun, blau, gelb, rot, blähten sich in einer frisch blasenden Nordwestbrise: und sausend schoß das gut gebaute Schiff durch die Flut, die schon unter dem hellen Morgendämmer, den heitern Himmel wiederstrahlend, ihr wunderschönes Blau gewann. Vor dem mächtigen Bug brachen sich weißschaumig die Wellen und spritzten hoch den Gischt empor: und leichte rosige Wölklein spiegelten sich, von Osten her, in der Flut. –

Vom dunkeln Mantel umwallt, vom weißen Haar umflattert, vom weißglänzenden Helme gekrönt, hob sich prachtvoll vom Himmel ab die hohe Gestalt, die unbeweglich am Steuer saß, den Speer über die Schulter gelehnt. So verschwand allmählich Schiff und Steuermann den Augen, die ihm vom Nordufer nachspähten.

Auch Rignomer sah ihn, hinter seinem Segel versteckt, vorlugend und erkannte ihn genau. »Sie können mich schelten, soviel sie wollen!« brummte er. »Wo ist Brinno geblieben, der ihm trotzen wollte? – Sie können sagen, was sie wollen! Ob auch in Menschengestalt – er ist es doch!«

 


 


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