Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XVIII.

In diesem Augenblick erreichte Cerialis das entgegengesetzte, das Ostthor der Stadt; sein edles Tier brach hier, sowie es halten mußte, zusammen – tot. Dem Reiter gelang es, im selben Augenblick abzuspringen; so blieb er unverletzt. Er donnerte mit dem Schwertgriff an das Thor: »Auf! Auf das Thor! Ich bin's, Cerialis. Ich komme.«

Aber mißtrauisch, ängstlich blickten die wenigen hier aufgestellten Mauerwachen von der Zinne: in dem fast nackten Mann, ohne Helm, Panzer, Schild und Feldherrnmantel wollten sie nicht sofort ihren gewaltigen Führer erkennen: – sie argwöhnten eine List der Feinde; sie zögerten.

Da schrie er in Verzweiflung hinauf: »So leuchtet doch hierher! Ich bin ja ganz allein, ihr Memmen! Erkennt mich! Öffnet! oder ich laß' euch kreuzigen!«

Die Krieger erkannten ihn nun – an der Stimme, am Zorn. Sie fürchteten ihn mehr als die Barbaren. Sie zogen die Thorkette zurück: er sprang herein. »Ein Pferd! Sogleich ein Pferd!« befahl er, an ihnen vorbei in die Stadt hineinrennend. »Hier bin ich, Cerialis und der Sieg!«

Er erreichte noch zu Fuß den Marktplatz: hier stand die ganze Legionsreiterei, aufgesessen, in acht Gliedern. Der Führer des ersten Geschwaders erkannte ihn: »O Cerialis!« rief er, »Du kommst zu spät! Schiffe, Brücke, beide Lager sind verloren.«

»Das weißt du, Hund,« donnerte Cerialis, »und hälst mit allen deinen Gäulen hier? warte, ich will dich Pflicht des Reiters lehren!«

Und er stach ihn vom Gaul, daß er aus den Bügeln stürzte, und schwang sich auf das scheuende Pferd. »Vorwärts!« gebot er. »Mir nach! Zum Sieg!«

Und er jagte davon auf das Westthor zu: – willig folgten ihm die ehern rasselnden Geschwader.

Nun angelangt an dem Westthor, fand er auf dem Wall und hinter demselben zwei Legionen aufgestellt: – es waren die abgefallenen und reuig zurückgekehrten, die I. unten auf dem Platz und die IV. oben auf der Mauer.

»O Feldherr,« rief ihn der Legat der I. Legion an, »alles ist verloren!«

»Nichts ist verloren. Denn ich bin da!«

»Wir haben die Thore unsern Flüchtigen nicht geöffnet. – Hörst du, wie sie draußen jammern und schreien? – Aber die Feinde wären mit eingedrungen.«

»Recht habt ihr gethan – bis jetzt: – aber nun: – auf mit dem Thor! Ihr Reiter, mir nach! Dann die I. Legion.«

»Bei allen Göttern!« flehte der Legat. »Thu's nicht! Thu's nicht! Sie sind tief entmutigt. Meine Manipel wanken. Sie stieben vor Civilis auseinander! Sie folgen dir gar nicht!«

»Das wollen wir sehen! – Römer der ersten Legion! Wollt ihr mich verraten, mein Blut auf euer Haupt nehmen, wie des Hordeonius und des Vocula? Oder wollt ihr heute gut machen, was ihr gefehlt? – So folgt mir! Sonst speit euch Rom auf immer von sich aus! Auf mit dem Thor und nieder die Barbaren!«

Und siehe da: – alle folgten ihm, Reiter und Legionäre. Der erste Stoß traf die Gallier: – ihre vordersten Reihen, im Halbdunkel völlig überrascht von dem unerwarteten Anprall von Reiterei, wurden über den Haufen geritten: die nächsten wankten.

»Haltet!« schrie Tutor. »Wollt ihr die Schlacht wieder verlieren, welche die Germanen gewonnen? Steht! Oder ihr könnt nie wieder euren Frauen in die Augen schau'n.«

Und die Gallier standen: der Ruf an die Ehre hatte gewirkt: – sie boten dem Feind die Stirn.

Aber schon brachen da auch in ihre beiden offenen Flanken die römischen Panzergeschwader: sie wichen aufs neue, anfangs noch langsam.

»Bleibt! Bleibt! Verlaßt die Fahne nicht!« rief Classicus, dem fliehenden Bannerträger die bunte Standarte mit dem Flittergold aus der Hand reißend und hoch im Mondlicht schwingend.

Und sie standen nochmal. Aber sofort fiel das glänzende Zeichen: Cerialis hatte es erreicht und mit sausendem Schwert den Schaft durchhauen. Da war kein Halten mehr. Sie wandten sich zu wilder Flucht, sie rissen die Führer mit sich fort, sie rannten auch die ersten Reihen der nun anrückenden Bataver über den Haufen.

Schon hieben die römischen Reiter auf diese wie auf die Gallier ein. Brinno, der durchaus nicht von der Stelle wollte, erhielt in die Schulter einen Schwerthieb von Cerialis selbst: da trugen ihn Katwald und die Seinen zurück.

»Ach schändlich,« hatte er geflucht. »Bluten – zurückmüssen – und wieder ohne einen Adler!«

Civilis sah den argen Rückschlag.

»Unsere Reiter! Die Reiter herbei! Wo sind die Tubanten? Hole sie, Brinnobrand!«

Aber bevor dieser hinwegeilen konnte, sprengte deren Führer herbei: »O Civilis, es ist nicht meine Schuld. Sie sind fort!« – »Wohin?« – »Ins Lager! Sie hörten das Jauchzen und Johlen der Plünderer –« – »Wer plündert dort?« fragte Civilis, bleich vor Zorn. »Nun – die Überrheiner. Alle! Sie trinken und schmausen und rauben. Das konnten meine Leute nicht mit ansehen. Sie trinken mit.«

Civilis blickte stumm auf das Lager zurück: lärmendes Geschrei, Trinklieder, das Brüllen von Berauschten drang ihm entgegen.

»Alle? Alle?« fragte Civilis tonlos. »Wo ist Sido?«

»Hier,« antwortete dieser, hinter ihm auftauchend, mit matter Stimme, »hier bring ich dir meine Markomannen. Ich wollte die andern, da sie nicht hörten, zur Ordnung zurückbringen, mit Gewalt sie abhalten: aber wir waren zu schwach gegen die vielen Tausende.«

»Du blutest,« bemerkte Brinnobrand.

»Nur wenig: – sie rannten mich nieder, als ich unter sie sprang. Tubanten, Usipier, Tenchterer – alles außer Rand und Band! Sie raufen unter einander um die Weinfässer. Nur die Meinen gehorchten.«

»Die wackeren Markomannen!« rief Civilis. – »Wie viele?«

»Dreihundert.«

»Das sind zu wenige,« antwortete Civilis traurig, »Die Schlacht ist verloren.«

»Ja,« lachte Brinnobrand bitter, »Wodans Geist hat sie gewonnen und Riesen-Dummheit hat sie verloren. Komm, Wodan, wende! Es werden der Feinde um dich zu viel.«

Und er riß des Civilis Pferd herum, und zog es, voran springend, am Zügel mit sich fort.

In dem brennenden, von betrunkenen und sich balgenden Germanen gefüllten Lager war kein Halten: die ledigen Rosse der Tubanten rannten von selbst in die Flammen. Durch die eigenen, sinnlos berauschten, tobenden Waffengenossen mußten sich die weichenden Bataver, Kannenefaten, Friesen, Brukterer und Markomannen mit dem Schwerte blutige Bahn brechen; da die Gallier das Gleiche thaten, kam es zu einer förmlichen Schlacht in den Lagergassen zwischen ihnen und den Plünderern und Säufern, bis Cerialis an der Spitze seiner Reiter erschien und in beide Parteien einhieb: da war alles aus!

Unter ungeheurem Blutvergießen wurden die betrunkenen Germanen und die von ihnen aufgehaltenen Gallier aus dem Lager hinaus in den Fluß geworfen, wo ihrer viele Tausende ertranken.

Civilis hatte Befehl gegeben, die Brücke um jeden Preis zu halten. Er selbst und Ulemer, in der vordersten Reihe kämpfend, – den schon umzingelten und nochmal verwundeten Sido hatte Brinnobrand herausgehauen und auf seinen Schultern bis auf die Ostseite der Brücke getragen, – wiesen den ersten Angriff der verfolgenden Reiter zurück.

Ein zweiter folgte. Cerialis, der den Seinen dabei voransprengte, hatte sich zwar eine kleine Tartsche – den runden Reiterschild – aufdringen lassen: – aber er trug noch immer weder Helm noch Panzer: – das ersah Ulemer: er zog sein spitzes Friesenmesser und warf's und traf ihn in die rechte Schulter: er wankte im Sattel. Das Schwert entfiel seiner Faust. Seine Reiter jagten mit ihm zurück und erneuten den Anritt nicht mehr.

Civilis warf prüfend das Auge über die ihm noch verbliebenen Streitkräfte: er erwog, ob nicht ein neuer Versuch doch noch . . .

Da sprengte Classicus von Osten auf die Brücke zurück. Finster sprach er: »da siehst du nun, Bataver, die Folge davon, daß ich dir den Alleinbefehl überließ. Nicht die Römer, deine viehisch besoffenen Barbaren haben meine Gallier hingeschlachtet. Ich künde dir den Gehorsam: wir ziehen ab.«

Eine zornige Antwort drängte sich auf des Gescholtenen Lippe: – aber da sprengte Tutor heran: »Hör' ihn nicht, Civilis! Nicht er spricht, – die Eitelkeit. Sie macht so toll wie Wein. – Wir müssen zurück! Auch du: – denn soeben melden flüchtige Gallier aus Divodurum zwei, drei neue Legionen sind im Anzug: – morgen sind sie hier.«

»Zurück denn!« befahl Civilis seufzend. »Wo keine Zucht, da ist kein Sieg.«


Der Rückzug der Germanen und Gallier ward von Trier aus nicht verfolgt. Dazu fehlte es den empfindlich geschwächten Römern an frischen Kräften: und ihr ungestümer Feldherr war durch Wundfieber niedergeworfen und gelähmt.

Gleich am frühesten Morgen nach der Schlacht schickte er, da er selbst sich nicht vom Lager erheben konnte, eine Schar gegen Obringadunum mit der Weisung, durch den Erdgang einzudringen, alle Männer niederzumachen und alle Frauen ihm gefangen zuzuführen.

Allein sehr bald kehrte die Streifschar zurück mit der Meldung, die Felsenburg sei leer und von der abziehenden Besatzung selbst durch Feuer zerstört: offenbar hatten die Gallier da oben, nachdem sie von ihrer hohen Warte aus die Niederlage der Verbündeten wahrgenommen, die Flucht ergriffen, vorher aber das Heiligtum zerstört, es nicht in die Hände der Feinde fallen zu lassen. Die Römer brachten nur eine Gefangene ein, ein Mädchen, das, im Buchenwalde versteckt, von selbst auf sie zugelaufen war und gebeten hatte, zu Cerialis geführt zu werden.

Boadicea war's, die Sklavin. Sie berichtete ihm mit Schaudern ihrer Herrin fürchterliches Ende. Diese habe ihr vertraut, sie werde in die Bildsäule des Gottes schlüpfen und durch die Fallthüre zu dessen Füßen und den Erdgang darunter das Freie gewinnen. Offenbar habe Gutruat den für Cerialis bestimmten Zettel gelesen, die Frau ungestört in die Bildsäule eintreten, aber vorher die Fallthüre verschließen lassen und dann die Öffnung in dem Rücken des Gottes verriegelt, so daß die Gefangene weder nach unten entfliehen noch nach oben aus dem Erzbild entkommen konnte, bevor dasselbe glühend gemacht ward.

Cerialis fuhr vom Stuhl empor.

»Hm! Hm! Wie schade um das Weib! – Nur einmal hab' ich sie geküßt! – Schon viele sind zu Grunde gegangen, weil sie mich geliebt. Aber so, – so übel doch noch keine! – – Schad' um Claudia Sacrata! – Kleine, du? . . . Du kannst im Lager bleiben – hier – in meinem Zelt. Bist viel zu zierlich für die rohen Centurionen.«

 


 


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