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Die kulturellen Zustände der Deutschamerikaner während der Kolonialzeit.

Wie aus allen früheren Abschnitten unserer Geschichte hervorleuchtet, bestand das große Heer der während des 17. und 18. Jahrhunderts in die englischen Kolonien einwandernden Deutschen aus Ackerbauern und Handwerkern. Unter ihnen bildeten die Landwirte die Mehrheit. Das Leben, welches ihrer in dem neuen Weltteil wartete, war keineswegs leicht und behaglich, sondern voller Mühseligkeiten und Entbehrungen. Galt es doch zunächst, einen förmlichen Kampf gegen die das ganze Land bedeckenden Urwälder zu führen, ehe man Raum für Hütten und Felder gewann. Denn meist drängten sich die dichten Wälder bis hart an die, die bequemsten Verkehrswege darstellenden Ströme und Seen, deren Ufer aus mancherlei Gründen zur Anlage von Niederlassungen bevorzugt wurden. Die Klagen der Ansiedler von Germantown über die »grausam dicken Wälder« ertönten auch von den Lippen aller späteren Nachkömmlinge, welche in dem östlich vom Mississippi gelegenen Gebiet neue Heimsitze schufen.

Nebenher gab es Gefahren der verschiedensten Art zu bestehen. Außer Angriffen seitens wilder Tiere drohten solche seitens der Urbewohner des Landes, die das Vordringen der Bleichgesichter keineswegs mit freundlichen Blicken beobachteten.

Diese Indianer erwiesen sich ebenso kühn und verschlagen in der Art ihrer Kriegsführung, als grausam in der Behandlung ihrer Gefangenen. Das waren für die Ansiedler Gründe genug, um auf ihre Sicherheit bedacht zu sein. Deshalb bildeten ihre Hütten stets kleine, mit großem Scharfsinn für die Verteidigung hergerichtete Festungen.

Wenn möglich, erbaute man sie auf den Rücken abgeholzter Hügel, von wo Feinde schnell bemerkt und ihre Annäherung verhindert werden konnte. Fanden sich keine zum Bau verwendbaren Steine in der Nähe, so glätteten die Ansiedler die Stämme einiger gefällter Bäume und fügten dieselben, einen Stamm über den anderen legend, in sinnreicher Weise zu äußerst festen Hütten zusammen. Die Tür- und Fensteröffnungen wurden später ausgehauen, der festgestampfte Fußboden bisweilen mit Dielen bedeckt und die Feuerstelle ausgemauert oder mit Lehm verschmiert, um das Übergreifen der Flammen auf die Holzwände zu verhüten. Besaß das Blockhaus ein oberes Stockwerk, so hatte das Erdgeschoß außer dem durch eine schwere Tür verschlossenen Eingang keine Fenster, sondern nur schmale Schießscharten. Im Innern des Hauses führte eine emporziehbare Leiter durch eine Falltür in das obere Stockwerk, welches auf allen Seiten mehrere Fuß über das Erdgeschoß vorragte. Im Boden dieses vorspringenden Teils befanden sich kleine Luken, durch welche man die Feinde von oben herab beschießen oder mit kochendem Wasser übergießen konnte, wenn sie versuchten, die Türe einzustoßen oder das Haus anzuzünden.

Eine befestigte Niederlassung des 18. Jahrhunderts.

Um zu verhüten, daß das Dach durch feurige Pfeile in Brand gesetzt werde, bedeckte man es häufig mit einer dicken Lehmschicht, durch welche das Feuer sich nicht durchfressen konnte. Obendrein standen im Innern des Gebäudes überall Behälter mit Wasser zum Löschen bereit. Ein Brunnen befand sich entweder in einer Ecke des Hauses oder in direkter Nähe desselben, damit während einer Belagerung den Eingeschlossenen niemals das unentbehrliche Wasser fehle. Bisweilen lagen unter dem Boden des Blockhauses geheime Keller, welche in Augenblicken größter Not als letzte Zuflucht dienten.

Da die um jene Zeit benutzten Kugeln die Wände eines solchen Blockhauses nicht zu durchschlagen vermochten, so entsprachen diese einfachen Befestigungen ihrem Zweck vollkommen, besonders wenn sie von heldenmütigen Männern verteidigt wurden. Wohl das glänzendste Beispiel einer solchen Verteidigung ist die in einem anderen Abschnitt erzählte des Pfälzers Christian Schell, dessen im Mohawktal gelegene Hütte im Jahre 1780 von 48 Indianern und 16 Engländern belagert wurde.

Angriff auf eine befestigte Ansiedlung.

Wo man häufig von solchen feindlichen Überfällen bedroht war, rückten die Ansiedler ihre Behausungen so zusammen, daß sie ein Parallelogramm, ein Vier- oder Fünfeck bildeten, wie beispielsweise die Ansiedlung Germanna in Virginien oder das von dem Trapper Daniel Boone in Kentucky angelegte Boonesborough. Dann stießen die einzelnen Hütten mit ihren Schmalseiten derart aneinander, daß die mit Türen und Fenstern versehenen Vorderseiten gemeinschaftlich einen Hof bildeten, während die zehn bis zwölf Fuß hohen, nur mit Schießscharten versehenen Rückwände die Außenseite der Befestigungen darstellten. Häufig waren solche Bollwerke obendrein mit Palisaden und Wassergräben umzogen. An den Ecken der Palisadeneinfassung erhoben sich turmartige Blockhäuser, von denen aus das vor der Niederlassung liegende Land sowie die Palisaden bestrichen werden konnten. Bisweilen stand ein besonders starker Holzturm im Mittelpunkt der Ansiedlung, um, wenn alle anderen Gebäude den Feinden in die Hände gefallen waren, als letzte Zuflucht zu dienen.

Die beständige Unsicherheit an der sogenannten Indianergrenze nötigte die Ansiedler zu unablässigem Kundschafter- und Wachtdienst. Zur Teilnahme an demselben war jeder waffenfähige Mann verpflichtet. Obwohl betreffs solcher militärischen Leistungen keine bestimmten Gesetze bestanden, so erwartete man doch von jedem, daß er der Allgemeinheit gegenüber seine volle Schuldigkeit tue.

Da die Sicherheit aller auf der Schlagfertigkeit jedes einzelnen beruhte, so galten Mängel in der Ausrüstung, das Fehlen eines Ladestocks oder Feuersteins, Knappheit an Munition als äußerst schimpflich. Wer sich gar ohne triftige Entschuldigung um den Wacht- oder Kundschafterdienst herumdrückte, erfuhr nicht nur die scharfe Verurteilung aller anderen, sondern fand sich auch in sämtlichen Gefahren und Arbeitsverrichtungen allein und wurde aus der Gegend förmlich herausgeekelt.

Bemerkten die Kundschafter oder Wachtposten das Nahen einer Gefahr, so gaben sie sofort Warnungssignale. Ihre Art wurde stets genau verabredet. So bedeutete im Schoharietal ein vom Fort aus abgefeuerter Kanonenschuß, daß die Ansiedler dorthin zu flüchten hätten. Zwei aufeinanderfolgende Schüsse verständigten die Ansiedler, daß sie auf dem Weg zum Fort auf Feinde stoßen könnten; drei Schüsse hingegen verkündigten, daß das Fort belagert sei, weshalb die Ansiedler sich in den Wäldern verbergen müßten.

Während einer Belagerung fiel der Befehl über die im Fort versammelten Männer demjenigen zu, welcher im Kampf mit Indianern die meisten Erfahrungen besaß. Er wies auch jedem seine Stellung an einer bestimmten Schießscharte an.

So einfach wie die ersten Behausungen, so einfach war auch ihre innere Ausstattung. Ein Tisch, eine Bank, mehrere Binsenstühle und die Betten bildeten das ganze Mobiliar. Einige eiserne Töpfe, Gabeln und Messer brachte man aus dem Osten mit. Getrocknete Schalen von Kürbissen dienten als Schüsseln, Teller, Becken und Wasserbehälter. Oder man schnitzte sie aus Holz, um sie später bei Gelegenheit durch solche aus Zinn oder Steingut zu ersetzen. In den Ecken lehnten die Äxte und Ackerbaugeräte; an den Wänden hingen an Holzpflöcken die Kleider, Hüte, Flinten und Pulverhörner; auf dem Bordbrett lagen Bibel und Gesangbuch; neben dem Feuerherd stand das Spinnrad, an welchem die Frauen in den Abendstunden sich zu beschäftigen pflegten.

Die Kleider fertigte man aus selbstgesponnenen derben Zeugen, dem sogenannten »home spun«; für die Beinkleider und Jagdröcke der Männer und Knaben verwendete man mit Vorliebe gegerbtes Wildleder, da solche Gewänder für das Leben in Busch und Wald große Vorzüge besaßen.

Die allgemein getragenen losen Jagdröcke reichten bis zur Mitte der Oberschenkel und wurden um die Lenden durch einen Gürtel zusammengehalten. Der häufige Verkehr mit den Indianern führte dazu, solche Gewänder nach indianischer Weise mit bunten Stickereien zu schmücken. Desgleichen versah man die Säume der Ärmel und Beinkleider mit langen Lederfransen, welche nicht bloß als Verzierung, sondern im Notfall als Ersatz für Bindfaden dienten.

Da die Männer sich auch der äußerst bequemen, leicht herzustellenden Mokassins bedienten und anstatt der Hüte Mützen aus Fuchsfell trugen, so entbehrten diese mit Büchsen, Kugeltaschen, Pulverhörnern, Jagdmessern und Handbeilen ausgerüsteten Gestalten sicher nicht eines malerischen Anstrichs. Manche Hinterwäldler fanden so große Vorliebe für die bequeme indianische Tracht, daß sie alle Eigenheiten derselben nachahmten und anstatt der Hosen die den Oberschenkel teilweise freilassenden Leggins, ferner das Breechcloth, ein zwischen den Beinen durchgezogenes, vorn und hinten über den Gürtel fallendes Schamtuch trugen.

Geschicklichkeit im Gebrauch der Waffen stand, wie an so bedrohten Orten nicht anders zu erwarten, bei den deutschen Ansiedlern in höchstem Ansehen. Bereits zwölfjährige Knaben führten Büchse, Kugeltasche und Jagdmesser. Auch erhielten sie im Fort bestimmte Schießscharten zugewiesen, die sie während einer Belagerung verteidigen mußten. Mit Bogen und Pfeilen wußten sie vortrefflich umzugehen. Gleich den Männern betrieben sie auch allerhand Leibesübungen, die ihnen in dem steten Kampf ums Dasein von Nutzen sein konnten: Wettlaufen, Weit- und Hochspringen, Schwimmen, Klettern und Ringen.

Von den Indianern adoptierte man die Kunst, mit Messern zu werfen und die Handbeile zu schleudern. Man beobachtete im Walde aufs sorgfältigste die Tierstimmen und übte sich im Unterscheiden und Nachahmen derselben, um solche Fertigkeiten während der Jagd zum Anlocken der Tiere, im Krieg zu Signalzwecken zu verwenden.

Aus der Geschichte der Deutschen im Mohawktal wissen wir, daß sie an die Bewohner des Schoharietals häufig Herausforderungen zu öffentlichen Wettrennen und Ringkampfspielen ergehen ließen, um während derselben ihre persönliche Kraft und Geschicklichkeit zu erproben. Aus allen benachbarten Ansiedlungen stellten sich dann Zuschauer ein, um solchen Wettkämpfen beizuwohnen.

Eine der beliebtesten Unterhaltungen bildeten Preisschießen. Sie wurden veranstaltet, so oft die Vorräte an Munition dies gestatteten. In bezug auf Treffsicherheit waren die meisten Deutschen ihren Nachbarn irischer, schottischer und englischer Abkunft weit überlegen, da sie fast ausschließlich Flinten mit gezogenen Läufen, die sogenannten Rifles, führten, während ihre Nachbarn nur solche mit glatten Läufen besaßen. Manche genossen als Meisterschützen großen Ruf. Aus ihnen rekrutierten sich im Befreiungskriege jene »minute men«, deren Hauptaufgabe es war, die feindlichen Offiziere wegzuschießen.

Die Verteidigung einer verpalisadierten Ansiedlung im 18. Jahrhundert. Nach einem gleichzeitigen Stich.

Als diese aus Pennsylvanien und Maryland zusammengezogenen deutschen Scharfschützen sich in Fredericktown und Lancaster versammelten, setzten sie die dortigen Bewohner durch Proben ihrer Meisterschaft in Staunen. Auf der Brust, den Seiten und dem Rücken liegend fehlten sie ebensowenig ihr Ziel, als im Freihandschießen und während des Laufens. Einer der Männer klemmte ein fünf Zoll breites, mit einem weißen Stückchen Papier in Größe eines Silberdollars beklebtes Brettchen zwischen seine Beine, worauf ein anderer Schütze aus einer Entfernung von 150 Fuß aus freier Hand acht Kugeln durch das Papier jagte. Ein anderer Mann hielt zwischen seinen Fingern einen hölzernen Ladestock, der darauf von einem Schützen aus der gleichen Entfernung Zoll für Zoll weggeschossen wurde. Mehrere Männer waren bereit, sich Äpfel vom Kopf schießen zu lassen. Die anwesenden ehrsamen Bürger weigerten sich aber, Zeuge so gefährlicher Kunststücke zu sein.

Eine befestigte Ansiedlung zur Winterzeit.

Wie die Frauen beim Aufschlagen und Herrichten der Heimstätten, bei den Feldarbeiten und der Sorge für das Vieh den Männern als treue Helferinnen zur Seite standen, so erwiesen sie sich auch in den Stunden der Gefahr meist als mutige Bundesgenossinnen. Bestürmten Feinde das Haus, so luden die Frauen die Flinten und reichten sie den Männern dar, um es ihnen zu ermöglichen, rascher zu feuern. Ging der Vorrat an Kugeln zur Neige, so gossen sie neue; in den Augenblicken, wo das Gefecht ruhte, labten sie die Verteidiger mit Wasser und Nahrung, pflegten die Verwundeten und beruhigten die angsterfüllten Kinder. Ja, wenn es nottat, griffen sie gleichfalls zu den Büchsen und halfen die Angreifer durch wohlgezielte Schüsse zurücktreiben.

Den Frauen lag auch die Verteidigung der Hütten ob, wenn die Männer der Feldarbeit nachgingen. Dann stiegen sie oft mit ihren Büchsen zu den zwischen den Kronen freistehender hoher Bäume angelegten Beobachtungsposten empor, um Ausschau nach Feinden zu halten und beim Ansichtigwerden derselben die Männer durch Alarmschüsse zu warnen. Die aus der Pionierzeit stammenden vergilbten Chroniken der Staaten New York, Pennsylvanien, Virginien, Ohio und Kentucky erzählten Dutzende von Beispielen, wo wackere Frauen beim Ausüben ihres schweren Amtes wahre Heldentaten verrichteten.

In ihrer Lebensweise waren die deutschen Grenzwächter höchst genügsam. Kartoffeln, Mais, Bohnen, Erbsen, Kürbisse und Kohl bildeten die Hauptnahrung. Dazu aß man Speck und Wildbret. Als Getränke dienten Wasser, Milch, selbstbereitetes Bier oder Apfelwein.

Kinderzuwachs wurde freudig begrüßt, bedeutete doch jeder neugeborene Knabe eine künftige Hilfe für den Vater bei der Feldarbeit und Jagd; jedes Mädchen eine Stütze der Mutter im Haushalt.

Eine entstehende Ansiedlung.

Große Fürsorge ließen die deutschen Ansiedler ihren Pferden und dem Vieh angedeihen. Beide hielt man nur in beschränkter Zahl, bemühte sich aber, ihre Leistungs- und Ertragsfähigkeit durch gute Pflege, ausreichendes Futter und saubere Stallungen zu erhalten. Gleiche Sorgfalt beobachtete man beim Anlegen und Instandhalten der Felder. Schon durch die Art, wie die Deutschen den Boden klärten, unterschieden sie sich von ihren englischen, schottischen und irischen Nachbarn. Während jene die abgehackten Stämme und das Unterholz an Ort und Stelle vermodern ließen, verbrannten die Deutschen alles überflüssige Holz, wodurch das gerodete Land schon im zweiten Jahre zur Bepflanzung geeignet wurde.

Von der Heimat her an eine sorgfältige Ausnützung des Bodens gewöhnt, blieben die Deutschen auch stets darauf bedacht, seine Ertragsfähigkeit durch regelmäßiges Düngen zu erhalten. Sie betrieben nie jenen unseligen Raubbau, der die Ländereien der anglo-amerikanischen Farmer so schnell erschöpfte, daß diese sich nach wenigen Jahren genötigt sahen, neue Gebiete aufzusuchen. Während dadurch die Yankeefarmer zu einem unsteten Element wurden, kannten die seßhaften, die sie nährende Scholle liebenden Deutschen keinen größeren Wunsch, als ihre unter so schweren Mühen der Wildnis abgerungenen Heimstätten auf die Nachkommen zu vererben, damit diesen der volle Ertrag der von den Vätern geleisteten Arbeit zugute komme. Infolge dieser Pflege liefern die von den Deutschen bewirtschafteten Güter in Pennsylvanien und im Mohawktal noch heute, nach nahezu 200 Jahren, ebenso große Erträgnisse, wie zu der Zeit, wo ihr Boden zuerst gebrochen wurde. Ein sehr günstiges Urteil über die deutschen Bauern Pennsylvaniens lieferte der berühmte französische Botaniker Michaud. Er schreibt in seinem Reisewerk beim Besuch des Ligonier Tales:
»Die höhere Kultur des Ackerlandes und der bessere Zustand der Zäune, die das Land abtrennen, beweisen zur Genüge, daß hier eine Ansiedlung Deutscher ist; denn bei ihnen kündigt alles jenen Wohlstand an, der ein Lohn des Fleißes und der Arbeit ist. Sie helfen einander bei der Ernte aus, heiraten untereinander, sprechen stets Deutsch und bewahren soviel wie möglich die Sitten ihrer europäischen Vorfahren. Sie leben viel besser als die amerikanischen Nachkommen der Engländer, Schotten und Irländer, sind geistigen Getränken nicht so sehr ergeben und besitzen nicht einen so unsteten Geist wie diese, der oftmals der nichtigsten Beweggründe halber sie bestimmt, mehrere hundert Meilen weiter zu wandern, in der Hoffnung, auf fruchtbareres Land zu stoßen.«

Stets achteten die Deutschen darauf, daß sich neben dem Waldland auch ein beträchtliches Stück Wiesengrund befand, wo das Vieh weiden und Obstbäume gepflanzt werden könnten. Die Felder waren immer durch hohe Zäune gegen den Einbruch größerer Tiere geschützt. Diese Maßregel erstreckte sich oft auch auf die Wälder, um jungen Bäumen Gelegenheit zum Wachstum zu geben und dadurch den Abgang des zu verschiedenen Zwecken benötigten Holzes zu ersetzen.

Waren die Bewohner der Wildnis in den Stunden der Gefahr aufeinander angewiesen, so unterstützten sie einander auch bei allen schweren Verrichtungen. Von jedem Manne erwartete man, daß er seinen Nachbarn beim Hausbau, bei der Ernte und dem Einfahren des Holzes hilfreiche Hand biete. Die Frauen und Mädchen kamen zusammen, um die Vorräte für den Winter herzurichten.

Im Herbst, wenn die Ernte vorüber, rüsteten die benachbarten Familien gemeinschaftlich eine aus mehreren bewaffneten Männern und einer entsprechenden Anzahl von Packtieren bestehende Karawane aus, welche das im Laufe des Jahres gesammelte Pelzwerk nach den größeren Handelsplätzen, wie Albany, Lancaster, Hagerstown, Frederick und anderen Orten brachten, wo man es gegen Salz, Pulver und Blei, Eisen, Vieh, Mehl, Lebensmittel oder andere notwendige Dinge vertauschte.

Trotz der Abgeschiedenheit, in welcher diese Kulturpioniere lebten, war ihr Dasein keineswegs eintönig. Waren die Felder bestellt oder die Ernten eingeheimst, so schlug man die gewaltigen Urwaldstämme nieder, oder man begab sich auf die Jagd, um den Tisch mit Fleisch zu versorgen und Pelzwerk zu gewinnen. Herbst und Winter brachten mancherlei Unterhaltungen, bei denen die deutsche Frohnatur zum Durchbruch kam. Besonders beim Gewinnen des Ciders oder Apfelmosts.

»Un wann die Geig noch gange isch,
War'n ganse Nacht ken Ruh;
D'r Seider hot uns ufgewacht,
Die Geig die hot uns danze g'macht,
In Schtiffel oder Schuh;
Wann Schuh und Schtiffel war'n v'rranzt
Dann hen m'r in die Schtrümp gedanzt« – –

Und daß es auch beim Einholen der Ernten, beim Enthülsen der Maiskolben, dem »Welschkorn-Baschte« heiter zuging, ergibt sich aus folgendem Verslein:

»Am Welschkorn-Baschte war's die Rule (Regel)
So bei die junge Leut:
Hot ein'r 'n roten Kolwe (Kolben) g'funne,
Dann hot'r a'h'n Schmuzer (Kuß) g'wunne
Vom Mädel bei d'r Seit;
Die rote Kolwe hen m'r g'schpaart
Vor Soome (Samen) – S' war so'n gute Art.« –

Hinsichtlich ihrer Gastlichkeit standen die deutschen Grenzbewohner unübertroffen. »In Pennsylvanien könnte man,« so schreibt Mittelberger, »ein ganzes Jahr herumreisen, ohne einen Kreuzer zu verzehren, denn es ist in diesem Lande gebräuchlich, daß, wo man samt dem Pferd an ein Haus kommt, man den Reisenden fragt, ob er was zu essen haben wolle? Worauf man allzeit ein Stück kalt Fleisch, welches gemeiniglich nach Tisch übrig geblieben, dem Fremden vorlegt; dazu giebt man noch schön Brod, Butter oder Käß, nebst Trinken genug. Will einer über Nacht bleiben, so wird er wieder sammt dem Pferd frey gehalten. Kommt Jemand zu Essenszeit in ein Haus, so muß man gleich zum Tisch sitzen und mitessen, wie man's trifft.« Bot man so dem Fremden alles zu seinem Behagen Nötige, so geschah dies in der Zuversicht auf gleiches Entgegenkommen, wenn man selbst weite Reisen unternehmen müsse.

Saßen deutsche Ansiedler in genügender Zahl beisammen, um eine Gemeinde bilden und einen Seelsorger unterhalten zu können, so schritten sie zunächst zum Bau eines Gotteshauses. Das Äußere wie seine innere Ausstattung entsprachen fürs erste natürlich durchaus dem rauhen Charakter der Umgebung. Da die Kirchen zur Aufnahme einer größeren Zahl von Menschen von vornherein geeignet waren, so dienten sie bei feindlichen Überfällen oft auch als Zufluchtsstätten. Deshalb waren sie stets aus starken Baumstämmen oder Steinen erbaut und die Wände mit Schießscharten versehen. Der Fußboden bestand aus festgestampftem Lehm oder war mit Planken belegt. An Stelle des teuren Glases verklebte man die Fensteröffnungen mit Ölpapier oder sie blieben, wie in der Kirche zu Waldoburg in New England, offen und wurden nur im Winter durch vorgespannte Schafhäute geschlossen. Abschnitte hohler Baumstämme vertraten bisweilen Kanzel und Taufstein. Drei bis vier schräg gegeneinandergestellte Bäume ersetzten den Turm, von dem die Glocke zur Andacht rief.

Ein solcher Urwaldtempel war die berühmte, von Pastor Stöver in der jetzigen Grafschaft Libanon in Pennsylvanien erbaute Bergkirche. Sie war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das einzige Gotteshaus auf hundert Meilen in der Runde. Pastor Lochmann schrieb über sie im Jahre 1732: »Der Hunger nach dem Wort Gottes und der Eifer für den Gottesdienst war in jener Zeit groß, denn die Zuhörer kamen von weit und breit zusammen und ließen sich durch keine Gefahren abschrecken. Man nahm die Flinte mit zur Kirche, um sich unterwegs nicht nur gegen die wilden Tiere, sondern auch gegen die noch weit wilderen Indianer zu verteidigen. So lange man Gottesdienst hielt, standen mehrere Männer mit geladenen Gewehren vor der Kirche Schildwache, denn man war gewarnt durch den Überfall, den eine deutsche Gemeinde durch die Indianer erfahren und wobei, außer einem Knaben, alle die in der Kirche waren, schrecklich gemordet wurden.«

Eine Waldkirche.

Solche urwüchsigen, dem Charakter der Wildnis entsprechende Kirchenbauten wurden mit der Zeit durch bessere ersetzt, wenn die Gegend sich bevölkerte und Sitten und Lebensweise der Ansiedler kultivierter wurden.

Natürlich schleppten sich manche in der einsamen Lage der Ansiedlungen begründete Unbequemlichkeiten lange hin, wie wir beispielsweise aus der folgenden Schilderung Mittelbergers ersehen: »Manche Leute haben zwei, drei, vier, fünf bis zehn Stund Weges zur Kirche zu kommen; jedermann aber, männlich und weiblich, reitet zur Kirche, wann man auch nur etwa eine halbe Stunde weit dahin hätte, welches auch bey denen Hochzeiten und Begräbnissen gebräuchlich ist. Man kann zu Zeiten auf dem Land bey ermeldten Hochzeiten oder Leichenbegängnissen bis 500 reitende Personen zählen. Man kann sich leicht vorstellen, daß hiebey so wie auch bey Communionen kein Mensch in schwarzen Kleidern, Floren oder Mänteln erscheint. Wann jemand, sonderheitlich auf dem Lande gestorben, wo man wegen den darzwischen liegenden Plantagen und Waldungen weitläufig von einander wohnt, so wird die bestimmte Zeit der Begräbniß allzeit nur bey denen nechsten vier Nachbarn angezeigt; darnach sagt solches jeder wieder seinen nechsten Nachbar an. Auf solche Art wird die Leichbestellung in 24 Stunden mehr denn 50 Englische Meilen im Umkreiß bekannt. Es findet sich dann womöglich von jedem Hause eine, wo nicht mehr Personen zur Leiche auf die bestimmte Zeit reitend ein. So lang sich nun die Leute versammeln, so reicht man denen Anwesenden auf einem großen Zinn einen in Stücke zerschnittenen guten Kuchen; nebst diesem giebt man jeder Person in einem Kelch einen wohlgewärmten West-Indischen Rum, worunter man Citronen, Zucker und Wachholderbeeren thut, welche darinnen kostbar gehalten werden. Nach diesem präsentirt man auch einen warmen und süß gemachten Most zum trinken. Wann nun die Leute beynahe versammelt, und die Zeit der Begräbniß heran rücket, so trägt man den Todten auf den gewöhnlichen allgemeinen Begräbnißplatz oder, wo man zu weit davon abwohnet, begräbt man solchen etwa nur auf seinem eigenen Felde. Die zuvor versammelte Leute reiten alle in der Stille hinter dem Sarge nach, da man manchmal ein-, zwei-, drei-, vier- bis fünfhundert reitende Personen zehlen kann. Die Todten-Särge werden alle von schönem Wallnusholz und mit einem Glanz-Fürniss ganz Braun gemacht. Vermögende Leute lassen an demselben vier mit Messing schön gearbeitete Handgefäße schlagen, woran man die Särge hält und zur Gruft traget. Wenn die verstorbene Person ein Jüngling gewesen, wird solcher von vier Jungfern, hingegen eine verstorbene Jungfer von vier ledigen Gesellen zu Grabe getragen.«

So war das Leben der Deutschen an den Grenzen der Wildnis während des 18. Jahrhunderts ein seltsames Gemisch alter, aus der Heimat mitgebrachter Sitten und neuer, dem Charakter der Wildnis angepaßter, vielfach direkt den Indianern und Trappern entlehnter Gewohnheiten. Die gleiche seltsame Mischung zeigte sich auch in den Lebensanschauungen. Von dem mittelalterlichen Glauben an Hexen und Bezauberung, an das Besprechen der Krankheiten, an die Möglichkeit, durch allerlei Mittel und Sprüchlein sich »kugelfest«, d. h. unverwundbar machen zu können, hatte man sich noch nicht losgemacht.

Die Abgeschiedenheit ihrer Wohnstätten, die Unkenntnis der englischen Sprache nötigte die Deutschen zum Zusammenhalt, so daß sie gewissermaßen eine einzige große Familie, ihre Kolonien förmliche Eilande bildeten, die, als sie später von der Flut anglo-amerikanischer Ansiedler umbrandet wurden, die deutschen Eigentümlichkeiten lange Zeit bewahrten. Am konservativsten erwiesen sich die deutschen Bauern der pennsylvanischen Grafschaften Berks, Bucks, Lancaster, Libanon, York, Adams, Schuylkill, Lehigh, Union, Munroe u. a. Diese sogenannten »Deutsch-Pennsylvanier« bedienen sich noch heute eines Dialekts, der ein Gemisch pfälzischer, schwäbischer und schweizerischer Mundarten mit einem Einschlag englischer Worte und Wendungen ist und als »Pennsylvanisch-Dutch« eine gewisse Berühmtheit erlangte.

Im übrigen ergibt sich aus allen geschriebenen und mündlichen Quellen, daß die an den Grenzen der Zivilisation lebenden Deutschen ehrliche, offne, tatkräftige Menschen waren, die sich bestrebten, den von ihren Vätern empfangenen reinen sittlichen Lehren nach allen Richtungen hin gerecht zu werden. Für die zu ertragenden Mühseligkeiten und Gefahren entschädigte das Gefühl völliger Unabhängigkeit. Weder war man von Standesinteressen und Kastengeist beengt, noch von despotischen Behörden bevormundet. Da gab's keine Steuereintreiber, die, falls man außerstande war, zu zahlen, den Angehörigen mitleidslos die Betten unter den Leibern wegrissen, damit aus dem Erlös der Landesherr die Kosten seiner Hoffeste, Jagden und Maitressen bestreiten könne. Da gab es auch keine geistlichen Zeloten, die Andersgläubigen mit den Schreckbildern einer ewigen Verdammnis und Strafe in einem flammenerfüllten Höllenpfuhl zusetzten.

Man kannte »neither law nor gospel«, sondern richtete sich nach den ungeschriebenen, allgemein gültigen Menschheitsgesetzen. In vollen Zügen atmete man die in breiten Wellen aus den jungfräulichen Wäldern und von den Gebirgen herniederflutende Freiheit, die um so berauschender und köstlicher schien, weil man sich ihrer in der alten Heimat niemals erfreut hatte.

War man dort bedrückt und auf engen Raum beschränkt gewesen, so stand hier die weite Welt offen. Man brauchte nur zuzugreifen, um das schönste Stück sein eigen zu nennen. Majestätische Ströme, silberne Bäche, murmelnde Quellen traf man überall. Zwischen dichten Wäldern dehnten sich samtgrüne, mit tausenden von Blumen durchwirkte Matten. Die Gewässer wimmelten von Fischen aller Art, die Forste von Wild jeder Gattung. Die Lüfte wurden bisweilen verfinstert durch unabsehbare Züge von Wandertauben; wilde Truthühner, und andere wohlschmeckende Waldvögel gab es in Menge.

Diese Reichtümer auszunützen, die Freiheit auszukosten, war freilich nur solchen kühnen Männern vorbehalten, die in dem Verzicht auf die Bequemlichkeiten des zivilisierten Lebens kein Opfer erblickten, Widerwärtigkeiten gelassen ertrugen und den Gefahren kühn ins Auge blickten. Die deutschen Hinterwäldler erwiesen sich als solche starke Herzen. Sie, die im alten Vaterland an das Regiertwerden gewöhnt gewesen und vor Fürsten und Beamten in alleruntertänigster Demut erstorben waren, verwandelten sich auf dem Boden der Neuen Welt in kraftvolle, stolze, ihren Wert erkennende Persönlichkeiten, die nichts Knechtisches mehr besaßen, sondern sich durch Entschlossenheit, Wagemut und Tatkraft auszeichneten, die Daseins- und Gleichberechtigung ihrer Mitmenschen anerkannten und dadurch zur Gründung solcher neuer Gemeinwesen fähig wurden, deren Losung lautete: »Einer für alle, alle für einen!«

*

Die Handwerker ließen sich natürlich vorzugsweise in den Städten und Ortschaften nieder, wo sie infolge ihrer Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit überall lohnende Beschäftigung fanden.

Dr. Benjamin Rush, einer der hervorragendsten Männer in Pennsylvanien, der im Jahre 1789 ein überaus wertvolles Werkchen über die Deutschen jenes Staates schrieb, rühmt ihnen nach, daß sie sparsam, fleißig und pünktlich seien und es darum überraschend schnell zu gutem Auskommen und Wohlstand brächten. Ein eigenes, schuldenfreies Haus zu besitzen, sei ihr höchster Stolz und erstes Ziel. Er lobt ferner an ihnen, daß sie darauf bedacht wären, neben ihren von Deutschland mitgebrachten Gewerben sich mancherlei mechanische Kenntnisse anzueignen, die in einem neuen Lande nützlich und nötig seien.

Die in den Kolonien obwaltenden Zustände, die den einsamen Ansiedler häufig auf seine eigene Findigkeit verwiesen, zwangen auch den Handwerker zur Vielseitigkeit. Er mußte imstande sein, in mancherlei Verrichtungen auszuhelfen. So wurde er ein »Jack of all Trades«, der sich überall nützlich zu machen verstand und dem guter Lohn nicht fehlte.

Zur Verwertung der erworbenen Kenntnisse boten sich tausend Gelegenheiten, zumal die Ausübung der Handwerke nicht wie in Europa strengen, von Innungen oder Zünften erlassenen Vorschriften und Beschränkungen unterworfen war. Solche Verbindungen von Berufsgenossen kannte man in Amerika nicht. »Keine Profession« so schreibt der im Jahre 1750 nach Pennsylvanien gekommene Lehrer Gottlieb Mittelberger »oder Handtirung ist zünftig. Jedermann kann handeln oder treiben was er will. So Jemand wollte oder könnte, kann er zehnerlei Profession anlegen und darf demselben es niemand wehren.« Diese Freiheit des Gewerbes hatte große Vorzüge. Sie gestattete jedermann, seine Neigungen und Fähigkeiten in solchen Berufen zu betätigen, die ihm am meisten zusagten und den besten Lohn verhießen.

Die Bewohner mancher Ortschaften bevorzugten bestimmte Gewerbe. In Germantown und Bethlehem beispielsweise die Leineweberei, die Strumpfwirkerei, die Herstellung von Kleiderstoffen und Töpferwaren. In Virginien und Pennsylvanien waren Deutsche als Berg- und Hüttenleute tätig. An anderen Orten widmeten sie sich der Seidengewinnung oder dem Herstellen von Hanf, Terpentin und Teer. Bereits im Jahre 1684 berichtete William Penn von den in Germantown wohnenden Handwerkern: »These Germans have already fallen upon flax and hemp.«

Deutsche Handwerker waren es, welche den Grund zu manchen, heute hochentwickelten Industrien legten. Sie bauten die ersten Schmelzhütten, Hochöfen, Papiermühlen, Öfengießereien und Gewehrfabriken.

Der im Jahre 1717 aus Hilspach bei Heidelberg eingewanderte Kaspar Wistar gründete bei Salem in New Jersey die erste Glasfabrik. Eine zweite, die sich ausschließlich mit der Herstellung von Glasflaschen beschäftigte, entstand in Germantown, (Braintree) Massachusetts. Daß die Glasfabrikation fast ausschließlich von Deutschen betrieben wurde, ergibt sich aus einem Brief des Lord Sheffield, in dem er über die Glaswerke in Pennsylvanien und New Jersey schreibt: »Hitherto these manufactures have been carried on there by German workmen.« –

Der deutsche Grobschmied Thomas Rutter oder Rütter aus Germantown errichtete im Jahre 1716 am Matawny-Bach in der Grafschaft Berks die erste Eisenhütte in Pennsylvanien. Zehn Jahre später begann der Mennonite Kurtz am Octorora-Bach in der Grafschaft Lancaster Eisen herzustellen. Diesen Beispielen folgten im Jahre 1745 mehrere Pfälzer zu Tulpehocken. Sie legten die Eisenhämmer am Oley- und Tulpehocken-Bach an. Johann Huber erbaute im Jahre 1750 bei Brinkersville in der Grafschaft Lancaster einen Hochofen, den er zu Ehren seiner schönen Tochter »Elisabeth-Hochofen« taufte. Derselbe trug die stolze Aufschrift:

»Johann Huber ist der erste Mann,
Der das Eisenwerk vollführen kann.«

Das traf zu, wenn damit die Herstellung von Gußwaren gemeint war.

Der Hochofen war erst kurze Zeit im Betrieb, als eine der interessantesten Persönlichkeiten der damaligen Zeit auf der Bildfläche erschien: der deutsche Baron Friedrich Wilhelm von Stiegel. Derselbe stammte aus Mannheim. Über ein Vermögen von mehreren hunderttausend Talern verfügend, hatte er sich aufgemacht, die Welt zu sehen. In Pennsylvanien verliebte er sich in die schöne Tochter Hubers, heiratete diese und kaufte gleichzeitig von seinem Schwiegervater den »Elisabeth-Hochofen«. Der Baron wurde nun zum Industriellen. In der Nähe des Hochofens gründete er den Ort Mannheim, wo auf seine Einladung zahlreiche deutsche Schmiede und Handwerker sich niederließen, mit deren Hilfe er großartige Gießereien und Glaswerke anlegte. Die hier hergestellten Ofenplatten waren mit allerhand biblischen Bildern wie »Adam und Eva«, »Kain und Abel«, »David und Goliat« geschmückt. Dabei trugen sie die Inschrift:

»Baron Stigel ist der Mann,
Der die Oefen machen kann.« –

Anfangs warfen die Unternehmungen glänzenden Gewinn ab. Stiegels eigner Angabe zufolge belief sich sein jährliches Einkommen auf 5000 Pfund Sterling. Aber er führte auch eine sehr verschwenderische Lebensweise, die im Verein mit den dem Unabhängigkeitskrieg vorausgehenden schlechten Geschäftsjahren seinen Zusammenbruch herbeiführten.

Unter den pennsylvanischen Eisenhüttenbesitzern der Kolonialzeit finden wir ferner die Deutschen Stedmann, Georg Rock, Georg Ege, Peter Grubb, Peter Dicks u. a.

Den im Jahre 1765 in der Kolonie New York auftretenden Eisenfabrikanten Peter Hasenclever kann man kühn den ersten Großindustriellen Amerikas nennen.

Hasenclever – ein Andrew Carnegie der Kolonialzeit – war im Jahre 1716 in Remscheid geboren, einem Hauptsitz der Eisenindustrie des Herzogtums Berg. Es war ihm nicht unbekannt geblieben, daß England jährlich über 40 000 Tonnen Stangeneisen aus fremden Ländern bezog, daß aber auch die englischen Kolonien in Nordamerika sehr reich an Eisenerzen seien und unermeßliche Waldungen besäßen, welche die zum Schmelzen der Erze nötigen Holzkohlen liefern könnten. Sein der englischen Regierung vorgelegter Plan, jene Eisenlager auszubeuten, so daß England statt des fremden Eisens solches aus den Kolonien beziehen könne, fand Anklang. Es bildete sich eine Gesellschaft, mit deren Unterstützung Hasenclever im Jahre 1765 nach Amerika übersiedelte, um seine Pläne auszuführen. Nach sorgfältigen Untersuchungen entschied er sich für den Ankauf eines bedeutende Eisenlager enthaltenden Landstrichs in der Kolonie New York. Derselbe lag auf dem Nordufer des Mohawkflusses unweit der Pfälzeransiedlung German Flats.

Mit erstaunlicher Tatkraft schritt Hasenclever dann zur Verwirklichung seiner Ideen. Aus Deutschland ließ er 550 Bergleute und Schmiede kommen, mit deren Hilfe er Holzkohlenbrennereien, Stampfwerke, Schmelzöfen, Schmieden und Potaschsiedereien errichtete. Um seinen Arbeitern gute Unterkunft zu bieten, ließ er ferner 200 Häuser erbauen. Desgleichen sorgte er durch Aufstauen mehrerer Bäche für billige und gleichmäßige Wasserkraft; endlich auch durch Anlage mehrerer Brücken für gute Verkehrswege.

Bereits nach sechs Monaten war das Unternehmen imstande, das erste Stangeneisen nach England zu liefern. An Güte übertraf dasselbe alles ausländische Eisen.

Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die junge Anlage zu einer vielversprechenden Industriestätte, deren Zukunft in glänzendem Licht erschien. Leider wurde das Unternehmen gerade in diesem Augenblick von einer Katastrophe betroffen, die ihm den Todesstoß versetzte. Die englischen Teilhaber Hasenclevers entpuppten sich als unehrliche Leute. Durch die günstigen Ergebnisse der ersten Jahre ließen sie sich zu luxuriösem Leben verleiten und belasteten zur Bestreitung desselben, als die Einkünfte aus dem amerikanischen Unternehmen nicht mehr ausreichten, das letztere mit so kolossalen Schulden, daß Hasenclever trotz größter Anstrengungen nicht imstande war, den Zusammenbruch aufzuhalten. Um seinen guten Namen zu retten, sah er sich genötigt nach England zu eilen, wo er der Regierung eine Rechtfertigungsschrift überreichte und zugleich einen Prozeß gegen seine Teilhaber anstrengte. Derselbe zog sich zwanzig Jahre lang hin. Erst nach Hasenclevers Tode (er starb am 13. Juni 1793 in Schlesien, wo er andere industrielle Anlagen gegründet hatte) fällten die Gerichte die Entscheidung, daß die früheren Teilhaber Hasenclevers verurteilt seien, an seine Erben eine Million Taler als Entschädigung auszuzahlen.

Was aus den von Hasenclever nach Amerika gezogenen Bergleuten und Schmieden geworden, ist unbekannt. Vermutlich wandten sie sich anderen Industriestätten zu und trugen dadurch zur Fortentwicklung derselben bei.

Ein ähnlicher Großindustrieller der Kolonialzeit war Johann Jakob Faesch aus Basel. Er baute im Jahre 1772 in New Jersey die Mount Hope Hochöfen. Außerdem kaufte er zahlreiche Eisenhütten, darunter die bedeutenden Hibernia-Werke. Als der Krieg mit England ausbrach, lieferten diese einen großen Teil der von den Freiheitskämpfern benötigten Kanonen und Geschosse. General Washington besuchte einst mit seinem Stab den Meister Faesch auf dessen Mount Hope-Werken. Als Faesch im Jahre 1799 starb, galt er als der größte Hüttenbesitzer und zugleich als einer der reichsten und loyalsten Bürger der Vereinigten Staaten.

Ein besonderer Industriezweig der in Pennsylvanien lebenden Deutschen war die Herstellung von Flinten mit gezogenen Läufen. Solche Gewehre waren gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Wien von Kaspar Zöllner erfunden worden. Um der Kugel beim Abfeuern der Büchse eine gradere Richtung und dadurch größere Treffsicherheit zu geben, versah Zöllner die Innenwände der Rohre mit mehreren von der Mündung bis zum Ansatz führenden Kanälen. Diese »gezogenen« Flinten wurden in der Folge erheblich verbessert, indem man statt der geraden Kanäle spiralförmige anwandte, wodurch die Kugeln eine rotierende Bewegung erhielten und die Stetigkeit ihrer Richtung erhöht wurde. Obendrein war es ein wesentlicher Vorzug, daß die Pulvergase nicht wie bei glattläufigen Flinten zum Teil verloren gingen, sondern voll ausgenutzt wurden, wodurch auch die Tragweite der gezogenen Flinten eine erhebliche Steigerung erhielt. Während gezogene Büchsen in den Neu-England-Kolonien beim Ausbruch der Revolution tatsächlich noch unbekannt waren, hatten die Deutschen Pennsylvaniens längst mit deren Herstellung begonnen. Der erste Büchsenmacher, von dem wir mit Bestimmtheit wissen, daß er gezogene Büchsen lieferte, war der Deutsch-Schweizer Martin Meylin. Er eröffnete in der Grafschaft Lancaster eine Bohrmühle. Andere waren Heinrich Albrecht, Deckhardt, Matthäus Roeser, Johan Vonderschmitt und Philipp La Fevre.

Ein Hauptsitz deutscher Büchsenmacher war der Ort Lancaster. Der berühmte französische Botaniker Michaux, welcher im Jahre 1801 diesen Ort besuchte, schreibt in seiner »Voyage a l'ouest des monts Alleghany, dans les Etats de l'Ohio, du Kentucky et du Tennessee« über Lancaster: »Die Bevölkerung besteht aus 4-5000 Einwohnern, die fast sämtlich deutscher Abstammung sind, jedoch verschiedenen religiösen Bekenntnissen angehören. Die meisten Einwohner sind Büchsenschmiede, Hutmacher, Sattler und Küfer. Die Büchsenmacher von Lancaster sind bereits seit langem berühmt, und die von ihnen angefertigten Büchsen sind die einzigen, deren sich sowohl die Bewohner des Innern des Landes als auch die Indianerstämme an den Grenzen des Landes bedienen.«

Und ein späterer Reisender, Herzog Bernhard zu Sachsen-Weimar-Eisenach fügte diesem Urteil hinzu: »Lancaster steht in dem Ruf, daß hier die besten Rifles – Kugelbüchsen – in den Vereinigten Staaten gemacht werden. Ich kaufte eine für 11 Dollars, um sie als Kuriosität mit nach Hause zu nehmen.«

Deutsche waren es auch, die sich zuerst mit dem Bau musikalischer Instrumente beschäftigten. Die erste Kirchenorgel Amerikas wurde im Jahre 1703 von dem Orgelbauer Heinrich Neering in New York für die dortige St. Trinitygemeinde erbaut. Um das Jahr 1737 lebte der Orgelbauer Mathias Zimmermann in Philadelphia. Dorthin brachte auch der deutsche Lehrer Gottlieb Mittelberger im Jahre 1748 die erste größere, in Heilbronn gebaute und nach Amerika ausgeführte Kirchenorgel. Sie wurde in der lutherischen St. Michaels-Kirche zu Philadelphia aufgestellt und unter großen Feierlichkeiten eingesegnet.

»Zu diesem Fest«, so schreibt Mittelberger, »erschienen fünfzehn Lutherische Prediger nebst dem gesammten Kirchen-Rath von allen Evangelischen Kirchen. Die Menge der Zuhörer war unbeschreiblich groß, viele Leute kamen von ferne aus dem Lande, solches Orgelwerk zu sehen und zu hören.«

Harttafel und Klein schufen eine Orgel für die Kirche der Herrnhuter in Bethlehem. In diesem betriebsamen Städtchen lebte auch die Familie Tanneberger, deren Mitglieder während der Jahre 1740 bis 1760 als Orgelbauer florierten. Adam Geib, welcher im Jahre 1760 in New York seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, schuf die Orgel der dortigen Gnadenkirche. Seine Söhne befanden sich unter den ersten Pianofabrikanten Amerikas.

In den Städten fand man schon lange vor dem Unabhängigkeitskriege zahlreiche deutsche Kaufleute, welche Gegenstände der verschiedensten Art, Spezereien, Schnitt- und Eisenwaren, landwirtschaftliche Geräte, musikalische Instrumente, Bücher, Kleider usw. feilhielten.

In Philadelphia, wo die Deutschen etwa ein Drittel der ganzen Bewohnerschaft ausmachten und ein besonderes, im nordöstlichen Teil der Stadt gelegenes Quartier innehatten, bestanden auch mehrere deutsche Apotheken und Gasthäuser. Unter den letzteren genossen »Der schwarze Adler«, »Das weiße Lamm« und »Der König von Persien« großen Ruf.

Obwohl die Deutschen sich in ihrer Tracht der allgemeinen Bevölkerung rasch anpaßten, hielten sie doch zäh an ihrer geliebten Sprache und den aus der Heimat mitgebrachten Gewohnheiten fest. Für die Erhaltung der ersten sorgten sowohl die Kirchengemeinden und Schulen, wie die an verschiedenen Orten gegründeten deutschen Zeitungen.

Daß deutsche Drucker sich schon früh in den englischen Kolonien niederließen, daß Benjamin Franklin im Jahre 1732 in Philadelphia die erste deutsche Zeitung in Amerika herausgab und daß Christoph Saur im Jahre 1739 mit seinem »Hochdeutsch-Pennsylvanischen Geschichtsschreiber« folgte, wurde bereits in einem früheren Abschnitt erwähnt. Über die weiteren Erzeugnisse der deutsch-amerikanischen Presse während der Kolonialzeit möge bemerkt werden, daß im Jahre 1743 auch der Drucker Joseph Crellius in Philadelphia eine deutsche Zeitung gründete. Ebendaselbst ließ Johann Böhm im Jahre 1751 die »Fama« erscheinen. In Gemeinschaft mit Anton Armbrüster veröffentlichte Franklin im Jahre 1755 die »Deutsche Zeitung«, welcher sich Im Jahre 1762 noch der von dem Herrnhuter Heinrich Miller hergestellte »Staatsbote« zugesellte. In Lancaster erschien seit 1751 bei Miller und Holland die »Lancastersche Zeitung«. Christoph Saur der Jüngere veröffentlichte im Jahre 1764 in Germantown die erste periodische Zeitschrift in Amerika, das »Geistliche Magazin«.

Aus Franklins Aufzeichnungen wissen wir, daß die Deutschen außerdem viele Bücher aus dem alten Vaterlande einführten und an dem dortigen, geistigen Leben regen Anteil nahmen.

Außer Kalendern und Zeitungen verlegten die deutschen Drucker auch zahlreiche Bücher. Man kennt die Titel von etwa 2000 deutschen Werken, die während des 18. Jahrhunderts in den englischen Kolonien gedruckt wurden. Die Mehrheit besteht aus religiösen Erbauungs- und Gesangbüchern. Lehrbücher aller Art sind ebenfalls zahlreich.

Wissenschaftliche Bildung stand besonders bei den in den Städten lebenden Deutschen in hohem Ansehen. Die deutschen Prediger, deren sich in dem von 1745 bis 1770 reichenden Zeitraum über fünfzig nachweisen lassen, galten allgemein als die gelehrtesten Männer Amerikas. Die Studenten der Havard-Hochschule wunderten sich nicht wenig, daß jeder dieser Prediger Latein ebensogut wie seine Muttersprache reden konnte, was diejenigen nicht überrascht, welche wissen, daß die Prediger ihre Bildung auf deutschen Universitäten empfingen, wohin sie auch ihre Söhne mit Vorliebe schickten.

Unter diesen Theologen finden wir auch die ersten Gelehrten Amerikas, z. B. den hochgebildeten Peter Miller, den letzten Vorsteher des Klosters Ephrata, welcher auf Ersuchen Jeffersons die amerikanische Unabhängigkeitserklärung in sieben fremde Sprachen übersetzte und das großartigste in Amerika hergestellte Buchdruckerwerk des 18. Jahrhunderts, den berühmten »Märtyrerspiegel« herstellte.

Ihm reihte sich der berühmte David Rittenhausen aus Germantown an, der sich sowohl als Philosoph wie als Mathematiker, Astronom und Landvermesser auszeichnete und während des Unabhängigkeitskrieges seine mannigfachen Fähigkeiten in der patriotischsten Weise in den Dienst der großen Sache stellte. Man schreibt ihm das Verdienst zu, als erster die annähernde Entfernung der Erde von der Sonne festgestellt, sowie als erster in Amerika den Durchgang der Venus beobachtet zu haben. Nach Franklins Tode wurde er Vorsitzer der Philosophischen Gesellschaft von Philadelphia; auch war er der erste Münzdirektor der Vereinigten Staaten. Die Sage erzählt, Rittenhausen habe zusammen mit einem andern Deutsch-Pennsylvanier namens Henri lange vor Fulton ein kleines Dampfboot verfertigt, das auf dem Conestogafluß bis Lancaster gefahren sei. Fulton habe damals als Lehrling in Lancaster gelebt und aus jenen Versuchen der beiden Deutsch-Pennsylvanier die Anregung zu seinem späteren Dampfschiff »Clermont« empfangen. Rittenhausen verbesserte auch den von Thomas Gottfried (Godfrey) bereits vervollkommneten Schiffsquadranten, so daß man die Längen- und Breitengrade mit Sicherheit bestimmen konnte.

David Rittenhausen.

Ein Zeitgenosse Rittenhausens war der gleichfalls in Germantown lebende Dr. Christoph Witt. Er beschäftigte sich mit Uhren- und Orgelbau, ferner legte er in Germantown den ersten, in Amerika existierenden botanischen Garten an.

Von anderen deutschen Gelehrten jener Zeit sind Wilhelm Craemer, Johann Christoph Kuntze und Helmuth hervorzuheben. Der erstgenannte erteilte während der Jahre 1753 bis 1775 am College der Stadt Philadelphia außer lateinischem und französischem auch deutschen Unterricht. Kuntze und Helmuth waren von Beruf Theologen, wirkten später aber gleichfalls an dem genannten College mit großem Erfolg als Sprachlehrer.

Bis auf die Lichtgestalt des edlen Pastorius zurück, reichen auch die ersten Anfänger einer deutsch-amerikanischen Dichtkunst. Der Patriarch von Germantown liebte es, seine Lebensanschauungen und Erfahrungen in kurzen Epigrammen und Sprüchen niederzulegen. Den lärmenden Nichtigkeiten des weltlichen Lebens gegenüber pries er die Schönheit seines blumengeschmückten Gartens, er zeigte sich als Philosoph, über dessen Seele beschaulicher Friede ausgegossen lag.

»Ich finde in der weiten Welt
Nichts denn nur Aufruhr, Krieg und Streit;
In meinem engen Gartenfeld,
Lieb, Friede, Ruh und Einigkeit.
Mein' Blümlein fechten nimmermehr,
Was alles ihnen auch geschieht;
Sie wissen nichts von Gegenwehr
Kein Waffen man dar jemals sieht.
Drumb' acht ich ihr Gesellschaft hoch
Und bin bei ihnen gern allein,
Gedenke oft, daß Christi Joch
Will ohne Rach' getragen sein.«

Johann Kelpius und Konrad Beissel, die beiden Halbmönche vom Wissahickon und dem Kloster Ephrata ließen dagegen in den Urwäldern Pennsylvaniens glaubensbrünstige Lobes- und Liebesgesänge auf den himmlischen Bräutigam und die Himmelsbraut erschallen. So bekennt Beissel:

»Ich bin verliebt, ich kann's nicht hehlen,
O reine, keusche Himmelsbraut!
Ich will von deiner Lieb' erzählen,
Die sich mit mir im Geist vertraut.
Denn deine Treu hat mich bewogen,
Daß ich dir gebe alles hin:
Du hast mich ganz in dich gezogen
Und hingenommen meinen Sinn.«

Und weiter:

»Ruft, ihr Sterne, überlaut, daß ich liebe!
Und ihr Wasser, rufet nach, daß ich liebe!
Alles, was nur Stimmen hat, sag dem Lamme,
Viel von meiner Flamme.« –

Aus fast allen Poesien dieses Mystikers klingt ungeduldige Sehnsucht nach Zion und dem Gotteslamm.

»Wann werd' ich doch dies ein anschauen und empfinden?
Wann werd' ich ganz zerfließen und entschwinden?
Wann fällt mein Fünklein Gas in sein Lichtfeuer ein?
Wann wird mein Geist mit ihm nur eine Flamme sein?« –

Überschriften einzelner Hymnen, wie z. B. »Das paradoxe und seltsame Vergnügen der göttlich Verliebten«, »Ein verliebtes Girren der trostlosen Seele in der Morgendämmerung« und »Bittersüße Nachts-Ode der sterbenden jedoch sich vergnügenden Liebe« lassen erkennen, daß die religiöse Schwärmerei dieses Einsiedlers einen bedenklich hohen Grad erreicht hatte.

Weitaus gesunder muten die Kirchenlieder an, welche von den beiden Professoren Johann Christian Kunze und Helmuth gedichtet und in Philadelphia von den Druckern Saur verlegt wurden. Auch die Liederbücher der Schwenkfelder und Herrnhuter enthalten gute Dichtungen, wenngleich auch diese von dem mystisch-pietistischen Geist jener Zeit durchtränkt sind.

Neben solchen kirchlichen Liedern finden wir bei den Herrnhutern auch bereits lyrische Poesien, die das rauhe Leben dieser Kulturpioniere und den wilden Charakter ihrer Umgebung reflektieren. Die Majestät des Urwalds, der Hinterhalt der Indianer, das Warnungssignal der Klapperschlange, die Beschwerlichkeit der ungebahnten Wege sind in diesen Poesien treffend gezeichnet.

Abgesehen von diesen vereinzelten lyrischen Dichtungen und manchen zur Würze der häuslichen oder ländlichen Arbeit dienenden Liedchen atmeten alle während der Kolonialzeit entstandenen deutschen Dichtungen den streng religiösen Geist, der das ganze Leben der damals in Amerika wohnenden Deutschen kennzeichnete.

Für Gesang und Instrumentalmusik bekundeten die Deutschen gleichfalls große Neigung. Wieder waren es die in Germantown, Ephrata, Bethlehem und an anderen Orten lebenden Sektierer, welche im meisterhaften Vortrag geistlicher Lieder alle andern religiösen Gesellschaften übertrafen. Sowohl unter den Insassen des von Kelpius gestifteten Klosters wie des von Beissel gegründeten »Ephrata« gab es verschiedene Männer und Frauen, die Fertigkeit in Dichtkunst und Musik besaßen und nicht bloß zahlreiche geistliche Lieder dichteten, sondern auch Melodien zu denselben schufen.

Die »Chronik von Ephrata« bezeichnet selbst voller Stolz den Klostergesang als ein »Vorspiel der Neuen Welt und ein Wunder der Nachbarn«; ferner erwähnt sie, »daß die gantze Gegend durch den Schatz himmlischen Lustspiels gerührt« worden sei. In der Tat wurden die in der Nachbarschaft des Klosters gelegenen Ansiedlungen von der Sangeslust angesteckt, und ihre Bewohner ruhten nicht, bis die Klostergemeinde ihnen zwei Brüder als Gesanglehrer stellte.

Die in Philadelphia und Germantown ansässigen Jünger Gutenbergs sorgten für den Druck geistlicher Lieder, von denen die im Jahre 1730 von Benjamin Franklin gedruckte Sammlung »Göttliches Liebes- und Lobes Gethöne« sowie die von Christoph Saur veranstalteten Sammlungen »Das Paradisische Wunderspiel«, »Das Gesäng der einsamen Turteltaube« und »Der Zionitische Weyrauchshügel oder Myrrhen-Berg« bei fast allen damals in Nordamerika bestehenden deutschen Gemeinden Eingang fanden.

Auch die Mährischen Brüder oder Herrnhuter pflegten geistliche Musik und Gesang und suchten ihren Gottesdienst durch Violinen, Oboen und Trompeten musikalisch auszuschmücken. Ein Posaunenquartett begründeten sie bereits im Jahre 1752.

Die wichtigsten Mittelpunkte der Deutschen bildeten die Kirchengemeinden, deren Gründung zu den ersten Betätigungen ihres von tiefer Religiösität durchwehten Lebens gehörte.

Sehen wir von den rasch prosperierenden Genossenschaften der Mennoniten und Herrnhuter ab, so war es um die deutschen Gemeinden in der ersten Zeit allerdings herzlich schlecht bestellt, da sie sich um ihre geistliche Wohlfahrt selber kümmern mußten. Weder die deutschen Landesregierungen noch die dortigen Kirchenbehörden nahmen sich ihrer an oder versorgten sie mit Predigern. Die ersteren bekundeten für die in die Fremde Auswandernden nicht das geringste Interesse, da sie ja mit ihrem Ausscheiden aus dem Untertanenverband aufhörten, dem Staat Abgaben zu entrichten und nützlich zu sein. Die deutschen Kirchenbehörden waren durch die zwischen den einzelnen Bekenntnissen nie zur Ruhe kommenden Zwiste zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie Zeit gefunden hätten, den fernen Glaubensgenossen Aufmerksamkeit zuzuwenden und sie mit Predigern zu versorgen. Aus diesem Grunde mußten sowohl die in den Kolonien New York, New Jersey und Pennsylvanien lebenden deutschen Lutheraner wie die Reformierten häufig die Dienste dort ansässiger holländischer und schwedischer Pfarrer in Anspruch nehmen, von denen manche der deutschen Sprache mächtig waren.

Aber auch dieser Notbehelf hörte allmählich auf, als nach der Annexion Neu-Niederlands und Neu-Schwedens die holländischen und schwedischen Regierungen nicht länger imstande waren, für die Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen zu den in den annektierten Provinzen lebenden Stammesgenossen so kräftig zu sorgen, wie dies früher geschehen war.

Zum Glück fanden sich, als das kirchliche Leben der deutschen Auswanderer in Amerika in Verwahrlosung zu verfallen drohte, einige wackere Männer, welche sich die Not ihrer deutschen, in der Fremde weilenden Landsleute zu Herzen nahmen. Obenan unter denselben standen die als Stifter des Waisenhauses in Halle berühmt gewordenen Brüder August Hermann und Gotthilf August Franke, sowie der Londoner Hofprediger Ziegenhagen. Sie sandten mehrere tüchtige Prediger aus, die sich die Bedienung und straffere Zusammenfassung der deutschen Gemeinden in Amerika zur Aufgabe stellten.

Das war allerdings recht schwierig, indem diese Pastoren mehrere, weit voneinander entfernte Gemeinden bedienen mußten. Obwohl bereits Tausende von Lutheranern in den Tälern des Hudson und Mohawk und in dem benachbarten New Jersey wohnten, so gab es im Jahre 1725 doch nur einen berufsmäßigen lutherischen Prediger im ganzen Distrikt, den in New York lebenden Pastor Wilhelm Christoph Berkenmeyer. Pennsylvanien mit einer lutherischen Bevölkerung von 60 000 Köpfen besaß gleichfalls bloß einen solchen Pfarrer, so daß manche ferngelegene Gemeinden nur ein- bis zweimal im Jahre den Besuch desselben empfangen konnten.

Von den Mühseligkeiten, unter welchen solche Seelsorger ihrem Beruf oblagen, kann man sich heute nur schwer eine Vorstellung machen. Häufig mußten sie 50 oder 100 Meilen weit über grundlose Pfade und steil abfallende Hügel, durch dicke Urwälder, gefährliche Sümpfe und angeschwollene Bäche reiten, den schlimmsten Launen des Wetters ausgesetzt. Oft fiel der Regen in Strömen nieder; im Sommer erschlafften Roß und Reiter infolge der sengenden Hitze, während zur Winterszeit bittere Kälte das Blut in den Adern erstarren machte.

Welche Anforderungen an die Körperkraft gestellt wurden, ergibt sich aus den Aufzeichnungen des im Jahre 1742 von Halle nach Pennsylvanien entsandten Predigers Heinrich Melchior Mühlenberg. Das Arbeitsfeld dieses hochbegabten, unermüdlich tätigen, mit großer Herzensgüte ausgestatteten Mannes erstreckte sich über die Kolonien Pennsylvanien, New Jersey und New York. Außerdem besuchte er gelegentlich die Gemeinden in Virginien, Karolina und Georgia. Während seiner weiten Reisen mußte er oft stundenlang in stockdunkler Nacht zu Pferde zubringen, bei Sturm und Schnee, beständig von Gefahren durch wilde Tiere und feindliche Indianer umdroht. Keine irdische Vergütung konnte ihn für solche Beschwerden und Mühen lohnen. Aber er fand vollkommene Befriedigung in dem Vorrecht, das Evangelium einer Menge aufmerksamer Zuhörer predigen zu dürfen, von denen viele weither kamen, um seinen Worten zu lauschen.

Mühlenberg gründete zunächst in Philadelphia eine große lutherische Gemeinde. Von dort sandte er auch regelmäßige Berichte an die vom Waisenhaus zu Halle herausgegebenen »Halleschen Nachrichten«. Diese als Quelle unserer Kenntnisse für die Zustände des damaligen Deutschtums in Amerika unschätzbaren Mitteilungen bewirkten, daß sich das Interesse der kirchlich Gesinnten in Deutschland in höherem Maß den Bedürfnissen ihrer jenseits des Meeres lebenden Glaubensgenossen zuwandte. Dann auch, daß sich mehrere andere Prediger zur Teilnahme an dem Wirken Mühlenbergs entschlossen und nach Amerika übersiedelten. In Gemeinschaft mit diesen sowie einigen schwedischen Pastoren gründete Mühlenberg im August 1748 die erste lutherische Synode in Amerika, eine die nachdrücklichere Förderung der Wohlfahrt der Lutheraner in der Neuen Welt anstrebende Verbindung.

Was Mühlenberg für die lutherische Kirche leistete, das verrichtete um dieselbe Zeit der Deutsch-Schweizer Michael Schlatter für die reformierte. In seiner Vaterstadt St. Gallen hatten ihm angesehene Stellen offengestanden. Er schlug dieselben aber aus, um sich der geistlichen Pflege der nach Pennsylvanien übersiedelten reformierten Pfälzer zu widmen. In Gemeinschaft mit einigen anderen Geistlichen stiftete er die erste deutsche reformierte Synode in Amerika, einen der wichtigsten Kirchenkörper, dessen Mitglieder ihn noch heute als ihren Vater verehren.

Auf Schlatters Anregung kam auch der reformierte Geistliche Philipp Wilhelm Otterbein (geboren 4. Juni 1726 in Dillenburg, Nassau) nach Pennsylvanien. Nachdem er dort in den Orten Lancaster und Tulpehocken gewirkt hatte, siedelte er nach Maryland über und gründete in Baltimore die neue Kirchengemeinschaft der » Vereinigten Brüder in Christo«, welche später große Ausdehnung gewann.

Heinrich Melchior Mühlenberg.

Die meisten dieser edlen Gottesstreiter, denen wir auch den im Jahre 1769 bei Pottstown in Pennsylvanien geborenen Jacob Albrecht, den Stifter der »Evangelischen Gemeinschaft« zuzählen müssen, verfügten über gründliche, auf deutschen Hochschulen erworbene Kenntnisse, die sie in den in Verbindung mit den Kirchen gestifteten Schulen aufs trefflichste zum Nutzen ihrer Landsleute verwerteten.

Berufsmäßige deutsche Lehrer waren zu Anfang des 18. Jahrhunderts in Amerika äußerst selten. Kein Wunder, wurden doch diese Erzieher des Volkes damals in Deutschland zu schlecht bezahlt, als daß sie von ihrem kärglichen Lohn die beträchtlichen Kosten der Reise nach Amerika hätten erübrigen können. Auch die Stellung der wenigen, welchen es gelang, diese Mittel aufzutreiben, war eine höchst unsichere. Gleich den Pastoren besaßen sie weder feste Besoldung noch freie Amtswohnungen. Sie waren auf freiwillige Beiträge der Gemeindemitglieder angewiesen.

Um so höhere Anerkennung schuldet das Deutschtum jenen Wackeren, die freudigen Herzens ihr reiches Wissen den Landsleuten mitteilten und sie dadurch für den Kampf ums Dasein befähigten. Es gab unter diesen Männern wahrhaft leuchtende Beispiele. Daß der edle Pastorius in Germantown eine Schule einrichtete und an derselben zwanzig Jahre lang eine Abendklasse leitete, wurde bereits in einem früheren Abschnitt erwähnt. Er verfaßte auch das erste, in Pennsylvanien gedruckte Schulbuch. In ähnlicher Weise machten sich die frommen Schwärmer Kelpius und Miller verdient. Johann Thomas Schley, derselbe, welcher in Frederick, Maryland, im Jahre 1745 das erste Haus erbaute, wird von Schlatter, dem Gründer der Reformierten Kirche in Amerika, als der beste Lehrer bezeichnet, den er in der Neuen Welt gefunden habe. Er scheue weder Mühe noch Arbeit, um die Jugend zu belehren und die Älteren in ihrem Wissen zu bereichern.

Auch die beiden Pastoren Mühlenberg und Schlatter, welche das Pädagogische Institut der Brüder Franke in Halle durchlaufen hatten, wirkten durch ihre gründlichen Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugenderziehung äußerst anregend. Weiter verdienen die Lehrer Weiß, Brehm und Stiefel rühmlich erwähnt zu werden. Keiner aber mehr als Christoph Dock, »der fromme Schulmeister vom Skippack«, dessen Andenken man noch heute in Pennsylvanien feiert.

Derselbe eröffnete im Jahre 1718 an dem genannten Bach eine Schule, die er lange Jahre leitete, ohne regelmäßige Bezahlung zu empfangen. Im Jahre 1738 gründete er eine zweite Schule in Salford und teilte nun seine Tätigkeit so ein, daß er in jeder Schule wöchentlich drei Tage lang unterrichtete. 53 Jahre lang blieb Dock in seinem erzieherischen Beruf tätig. Seine Lehrmethode war so vorzüglich, daß beide Schulen weithin berühmt wurden. Er veranlaßte auch die Zöglinge der einen Schule, denjenigen der andern regelmäßige Berichte über ihre Tätigkeit und die gemachten Fortschritte zu senden, die er dann persönlich beförderte. Der ganze Unterricht war systematisch geregelt und darauf berechnet, den Ehrgeiz der Schüler zu wecken. Auf ihr Betragen wirkte er durch den Erlaß von »hundert nützlichen Regeln«. Sie wurden im Jahre 1764 gedruckt und enthalten Anweisungen für das Verhalten der Kinder beim Aufstehen, bei den Mahlzeiten, in der Schule, auf der Straße, in der Kirche, beim Zubettegehen und vielen anderen Gelegenheiten. Sie sind so mustergültig, daß sie noch heute einen Platz in jedem Schulzimmer verdienen.

Wiederholt wurde Dock, dieser deutsch-amerikanische Pestalozzi, aufgefordert, seine mit so großem Erfolg angewendeten Erziehungs- und Lehrmethoden in Buchform herauszugeben. Aber er entschloß sich nur schwer dazu, weil seine Bescheidenheit ihm verbot, ein Werk zu seinem eigenen Lob zu schreiben. Erst nach langem Zureden seiner Vorgesetzten schritt er im Jahre 1754 an die Abfassung seiner »Schulordnung«, welche im Jahre 1770 in dem von Christoph Saur herausgegebenen »Geistlichen Magazin« abgedruckt wurde und das erste in Amerika verfaßte Werk über Pädagogik darstellt.

Für die Schul- und Kirchenverhältnisse der Deutschen in Pennsylvanien ist auch folgende Erklärung bezeichnend, die in einem 1755 dort veröffentlichten Pamphlet enthalten ist:

»The Germans have schools and meeting-houses in almost every township thro' the province, and have more churches and other places of worship in the city of Philadelphia itself than those of all other persuasions added together.«

Zieht man auf Grund obiger Darstellungen einen Schluß über den Kulturstand der in den englischen Kolonien lebenden Deutschen, so wird man denselben die Anerkennung nicht versagen können, daß sie fleißig, unermüdlich vorwärtsstrebten und auf ihre geistige Fortbildung bedacht waren. Sie bildeten ein Bevölkerungselement, welches das von allen Gutmeinenden rückhaltlos gespendete Lob vollauf verdiente.

Die letzte Zuflucht.

Indianische Kundschafter beschleichen unter Wolfsmasken ein Lager von Ansiedlern. Nach einer Originalzeichnung von Rudolf Cronau.


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