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Achtes Kapitel.

Und fanden wirklich solche Dinge Statt, von denen hier wir sprechen?
Vielleicht wohl aßen von der giftigen Wurzel wir,
Die uns den Sinn gefangen hat genommen.
Macbeth.          

Eine Stunde später, und es eröffnete sich eine Scene verschiedener Art. Feindliche Banden, welche bei civilisirteren Kriegszügen Beobachtungstruppen genannt werden würden, zögerten noch an dem Saum des Waldes, da wo er dem Dorfe am nächsten kam, und die Ansiedler standen noch unter ihren Waffen unter den Gebäuden aufgestellt, oder wahrten noch ihre Schlachtreihe am Fuße der Pallisaden. Obgleich das Geschäft, die Sachen von Werth zu retten und in Sicherheit zu bringen, immer noch fortging, war es doch augenscheinlich, daß, als die ersten Schrecken der Kriegsunruhen verschwunden waren, die Eigenthümer des Weilers wieder einige Zuversicht in ihre Fähigkeit und ihre Kräfte zu gewinnen begannen, und wieder hofften, sich und ihre Habe gegen den Feind schützen und vertheidigen zu können. Selbst die Weiber sah man jetzt sich auf der grasigen Straße dem Anschein nach mit größerem Vertrauen hinbewegen, und es 160 fand sich eine Regelmäßigkeit in dem Aeußern der bewaffneten Mannschaft, welche eine Entschlossenheit verrieth, die darauf berechnet war, ihren wilden, undisciplinirten Angreifern Achtung und Ehrfurcht einzuflößen.

Aber das Wohnhaus, Außengebäude, Hausrath, kurz Alles, was den bisherigen Wohlstand der Heathcote's ausgemacht hatte, war völlig und ohne Ausnahme in der Gewalt der Indianer. Die offenen Fensterläden und Thüren, der zerstreute, zerbrochene und halb vernichtete Hausrath, Spuren übermüthiger Verheerung und Verwüstung, und das allgemeine Aufgeben aller Theilnahme an dem Schutz des Eigenthums, – dieses zusammengenommen verkündete die zügellose Unordnung eines gelungenen Ueberfalls. Jedoch wurde das Werk der Vernichtung und Plünderung nicht weiter getrieben, obgleich man hier und da einen Krieger sehen mochte, der sich, den Launen seines wilden Geschmacks gemäß, mit den den früheren Bewohnern des Gebäudes eigenthümlichen Kleidungsstücken geschmückt hatte. Dagegen hörte alle Gewaltthätigkeit auf, und die wilden Gemüther der Eroberer schienen durch die Einwirkung irgend einer geheimen außerordentlichen Macht besänftigt und beruhigt worden zu sein. Die Männer, welche noch kurz vorher von den wildesten Leidenschaften ihrer Natur getrieben waren, ließen sich, wenn auch nicht ganz besänftigen, doch zurückhalten, und anstatt sich einer triumphirenden Rache, der gewöhnlichen Folge indianischer Siege, schonungslos zu überlassen, schweiften die Krieger in den Gebäuden und Umgebung mit einer Ruhe und Stille umher, welche, obgleich mürrisch und finster, die charakteristische Unterwürfigkeit des Indianers bezeichnete.

Sowohl die Hauptanführer des Ueberfalls als die 161 Besiegten, die ihn überlebt hatten, waren zugleich in der Vorhalle des Hauses versammelt. Die blasse, abgehärmte mehr um Andere als um sich selbst trauernde Ruth stand ein wenig abseits, neben ihr Martha und das junge Mädchen, deren unglückliches Geschick es wollte, daß gerade sie an jenem begebnißreichen Tag ihren Posten bei der durch Sorgen geschwächten Gebieterin hatte. Contentius, der Fremde und Marcus standen weiter im Vordergrunde überwältigt gebunden, die einzigen Ueberlebenden von dem ganzen Haufen, den sie vor so kurzer Zeit noch in den Kampf geführt. Das graue Haar und die Hinfälligkeit des alten Puritaners ersparte ihm die Demüthigung der Fesseln. Das einzige andere Wesen, das noch gegenwärtig und von europäischer Abkunft war, war Whittal Ring. Der Blödsinnige schritt langsam zwischen den Gefangenen umher, ab und zu blitzten in seiner Einfalt ältere Erinnerungen und Sympathien auf, öfter verhöhnte er die Unglücklichen, warf ihnen die Ungerechtigkeiten ihres ganzen Geschlechts vor und gab ihnen Beleidigungen und Eingriffe in die Rechte der von ihnen verdrängten Urbewohner, des Volkes, dem er anzugehören wähnte, Schuld.

Die Häuptlinge der siegreichen Indianer standen in der Mitte, dem Anschein nach mit einer ernsten, wichtigen Berathung befaßt und beschäftigt. Da sie sich nur in geringer Anzahl vorfanden, so ward daraus klar, daß es die Vornehmsten des Stammes sein mußten. Häuptlinge von niedererem Grade, obschon Männer von Ruf und Namen nach dem beschränkten Begriffen dieser Stämme, bildeten eine Gruppe unter den Bäumen, oder durchschritten den Hof in ehrfurchtsvoller Entfernung von den berathschlagenden Häuptern.

162 Dem ununterrichtetsten Auge hätte es nicht entgehen können, wer das höchste Ansehen bekleidet. Der Krieger mit dem Turban, dessen in diesen Blättern bereits Erwähnung geschehen, nahm die Mitte der Gruppe ein, ganz in der ruhigen, würdevollen Stellung eines indianischen Häuptlings, wenn er anderen Meinungen Gehör giebt, oder die eigene vorträgt. Seine Muskete wurde von einem Indianer getragen, welcher seiner wartend dastand, während das Messer und die Axt wieder an seinen Gürtel zurückgekehrt waren. Er hatte ein leichtes Gewand von Scharlachtuch über seine linke Schulter geworfen, von wo es mit Anmuth in Falten herunterfiel, und das Ganze seines rechten Arms, sowie den größten Theil seiner breiten Brust nackt und den Blicken offen dargelegt ließ. Von dieser Bekleidung träufelte langsam Blut herab und befeuchtete den Boden, worauf er stand. Das Antlitz dieses Kriegers war ernst, obgleich eine Schnelligkeit und ein Scharfblick in den Bewegungen seines stets ruhelosen Auges lag, welcher große geistige Thätigkeit eben so sehr, als Unruhe und Argwohn bewies. Ein in der Physiognomie Bewanderter würde vielleicht auf seinen Zügen auch den Kampf des unterdrückten Unwillens mit dem über seine Natur gewonnenen Siege der Gelassenheit gelesen haben. Zwei ihm zur Seite stehende Häuptlinge waren, wie er selbst, über das mittlere Alter hinaus, und zeigten eine Miene, einen Ausdruck in ihrem Gesicht, die denen des erstern ähnlich, jedoch weit weniger ausgeprägt und markirt waren; und keiner von Beiden verrieth jene Zeichen von Mißvergnügen, welche zu Zeiten den Augen Jenes entfuhren, der, seines so sehr beherrschten und despotischen Charakters ungeachtet, nicht immer im Stande war sie zurückzuhalten. Einer von ihnen 163 war im Sprechen begriffen, und sein Blick verrieth den Gegenstand seines Gesprächs, indem er auf den vierten Häuptling fiel, welcher aber eine Stellung angenommen hatte, die ihn verhinderte, das mit anzuhören, was gesprochen wurde.

In der Person des letztern Häuptlings wird der Leser den jungen Krieger wieder erkennen, der Marcus gegenüber gestanden, und dessen plötzliche Bewegung nach Dudley's Flanke zuerst die Colonisten von den Wiesen vertrieben hatte. Die Muskeln und Sehnenkraft, der feste, beredte, körperliche Ausdruck, den wir eben in ihm bewunderten, hatte der auffallenden Ruhe Platz gemacht, die den indianischen Streiter im Stande der Unthätigkeit ebenso bezeichnet, wie den gesitteten Europäer, welcher in der Schule der Erziehung gelernt hat, sich diesen Anstand anzueignen.

Mit der einen Hand lehnte er sich leicht an die Muskete, während von dem Gelenk der andern, welche lose an seiner Seite herabfiel, an einem Band von einer Rehsehne ein Tomahawk hing, von welchem noch Tropfen von Menschenblut rieselten. Sein Körper trug keine andere Decke und Bekleidung, als die, worin er gefochten hatte, und, darin verschieden von seinen bejahrteren Gefährten in Ansehen und Würde, hatte er seine Glieder heil und unversehrt, ohne die geringste Wunde aus dem Kampfe zurückgebracht.

An Gestalt und Zügen konnte dieser junge Krieger als ein Muster der herrlichen Schönheit indianischer Männlichkeit gelten. Seine Glieder waren voll, rund, gerade ohne Fehl und Makel, und ausgezeichnet durch einen Anstrich von außerordentlicher Leichtigkeit und Behendigkeit, ohne daß sie auch eben so sehr durch ihre Muskelkraft aufgefallen wären. In 164 der letztern Eigenthümlichkeit, in der geraden Stellung, und in dem Blick, den er voll Adel in die Ferne warf, und der so oft seine Stirn erhob und würdevoller machte, – in allem diesem lag eine genaue, nicht zu übersehende Aehnlichkeit mit der Statue des phythischen Apollo's, während die volle fleischliche, etwas an das Weibische gränzende Brust an die Sinnlichkeit, die uns in den Zügen des jungen Bacchus dargestellt wird, erinnerte. Indeß war diese letztere Aehnlichkeit mit einer Gottheit, die wenig geeignet ist, hohe Gefühle und Gesinnungen in dem Betrachtenden zu erregen, keineswegs unangenehm, da sie gewissermaßen die Strenge und den Ernst eines Auges milderte, aus welchem Adlerblicke schossen, und dessen Feuer sonst einen Eindruck hinterlassen hätte, der sich zu sehr von dem Begriff der menschlichen Schwäche entfernt haben würde. Indeß fiel diese Fülle der Brust, eine gewöhnliche Folge der Unthätigkeit, der befriedigten Bedürfnisse der Natur, und eines gänzlichen Befreitseins von aller Arbeit, nicht so sehr bei dem jungen Krieger auf, als bei den Häuptlingen, die nicht weit von ihm in heimlichen Berathschlagungen begriffen waren, oder bei Denen, welche in den Feldern und Gebäuden zerstreut umhergingen. Sie war eher an ihm ein Lob als ein Tadel, denn sie schien zu sagen, daß trotz des strengen Aeußern, welches Gewohnheit, vielleicht auch Charakter und Rang, seinen Zügen eingedrückt, in dieser Brust ein Herz schlug, welches den Gefühlen der Menschenliebe Eingang verstattete. In dem gegenwärtigen Falle waren die Blicke seines umherschweifenden Auges, wenn auch forschend und voll Gefühl, doch offenbar von einem Ausdruck gesänftigt und gemildert, das eine seltsame, ungewohnte Verwirrung in seinem Gemüthe verrieth.

165 Die Berathung der drei Häuptlinge war beendet, und der Krieger mit dem Turban auf dem Haupte trat mit dem Schritt eines Mannes vor seine Gefangenen hin, der endlich zu einem entschiedenen Entschlusse gekommen. Als der gefürchtete Häuptling sich näherte, zog sich Whittal zurück und stahl sich an die Seite des jüngern Kriegers auf eine Weise hin, aus welcher sich auf größere Vertraulichkeit und vielleicht größeres Vertrauen zu demselben schließen ließ. Ein plötzlicher Gedanke erleuchtete das Gemüth des letztern. Er führte den Blödsinnigen an das äußerste Ende der Vorhalle, sprach leise und ernst mit ihm, zeigte mit dem Finger auf den Wald, und als er sah, daß sein Bote schon ein gutes Stück querfeldein zurückgelegt, kehrte er selbst langsam und mit Würde in die Mitte zurück, seinem Freunde so nahe, daß er die Falten des Scharlachmantels mit dem Ellenbogen berührte. Bis zu dieser Bewegung hin war das Schweigen nicht gebrochen worden. Nur als der große Häuptling die Annäherung des Andern bemerkt, warf er einen Blick des Zauderns auf seine Freunde, aber dann seine frühere ruhige Haltung wieder annehmend, wandte er sich zu dem alten Heathcote.

»Mann von vielen Wintern,« begann er in einem verständlichen Englisch, wobei er die Ausdrücke mühsam suchte und Wendungen gebrauchte, die wir nicht beibehalten. »Mann, der so viele Winter erlebt, warum hat der große Geist Dein Geschlecht hungrigen Wölfen gleich gemacht, warum hat ein Blaßgesicht den Magen eines Bußaars, den Schlund eines Hundes, das Herz eines Reh's? Du hast viel Schnee kommen und gehen sehen, Du erinnerst Dich der Zeit, als der Baum noch ein Bäumchen war. Sage mir, warum ist die 166 Gier eines Yengih's so groß, daß sie Alles haben will, was zwischen dem Aufgang der Sonne liegt und ihrem Untergang? Sprich, wir möchten wissen, warum finden sich so lange Arme an so kleinen Körpern?«

Die Begebenheiten jenes Tages waren von einer Art gewesen, welche alle die verborgenen, schlummernden Kräfte in dem Puritaner wecken und aufregen mußten. Schon mit anbrechendem Morgen hatte sich sein Geist wie immer am Tage des Herrn, mit Wärme zu Gott erhoben, dann folgte der Ueberfall und fand ihn gegen irdisches Unglück gerüstet, zwar waren in ihm, im Kriegsgetümmel auferzogen, Gefühle erwacht, die nie ganz ersterben; doch siegte Gelassenheit, Unterwürfigkeit und Ausdauer über Trotz und Widerstand. So gestimmt, antwortete er mit Ernst und ruhiger Würde:

»Der Herr hat uns den Banden der Heiden überliefert, dennoch sei sein Name gepriesen und gesegnet in meinem Hause. Aus dem Bösen kommt das Gute, aus dem Triumph der Unwissenden entspringt unser Sieg! – immerwährender Sieg!«

Der Häuptling schaute aufmerksam und fest auf den Sprechenden, dessen abgezehrter, hinfälliger Bau, sein ehrwürdiges Antlitz, seine dünnen Haarlocken, sein gläsernes tiefliegendes Auge, um welches die hektische Röthe der Begeisterung sich ergoß, ein Etwas verliehen, das sich weit über menschliche Schwächen und Gebrechlichkeiten zu erheben schien. Der Indianer beugte sein Haupt in abergläubischer Ehrfurcht, und wandte sich ernst zu denen, welche, da sie dem Anschein nach mehr von dieser Welt in ihrem Wesen zu haben schienen, passendere Gegenstände für die Pläne waren, über denen er brütete.

167 »Der Geist meines Vaters ist stark, aber sein Leib ist gleich einem Zweig der verdorrten Schierlingstanne!« Mit dieser kräftigen Erklärung leitete er die gleich darauf folgende Bemerkung ein.

»Wie kommt das?« fuhr er dann weiter fort, und sah ernst und streng auf die drei, die sich vor so kurzer Zeit noch ihm entgegengesetzt in tödtlichem Kampfe. »Hier stehen Männer, deren Haut weiß ist gleich der Blüthe des Hundskrautes, und doch sind ihre Hände so dunkel und schwarz, daß ich sie kaum sehen kann!«

»Arbeit und die brennende Sonne haben sie geschwärzt,« entgegnete Contentius, welcher verstand in der bildlichen, blumenreichen Sprache des Volkes zu reden, in dessen Gewalt er sich befand. »Wir haben das Feld bebaut und mühevoll gearbeitet und gesorgt, damit unsere Weiber und Kinder zu essen haben.«

»Nein, – das Blut der rothen Männer hat Euren Händen die dunkle Farbe gegeben.«

»Haben wir die Waffen ergriffen, so geschah es, damit das Land, welches der große Geist uns gegeben, unser bliebe, und unsere Schädelhaut nicht in den Wigwam's mit Rauch überzogen würde. Wo ist der Narragansett, der seine Waffen verbergen und seine Hände binden wollte, wenn das Kriegsgeschrei in seine Ohren schallt?«

Als auf das Eigenthumsrecht des Thales hingewiesen wurde, stieg in solcher Fluth das Blut in die Wange des Kriegers, daß davon selbst noch die natürliche schwärzliche Farbe seiner Züge, tiefer und dunkler erschien, krampfhaft faßte seine Hand den Griff der Streitaxt, dennoch, Herr über 168 seine Bewegungen, erlaubte er sich bei der Rede des Weißen keiner Unterbrechung.

»Was ein Rother vermag, könnt Ihr dort sehen,« antwortete er, und deutete mit einem grimmigen Lächeln nach dem Obstgarten hin, zu gleicher Zeit durch das Zurückschlagen seines Mantels, während er den Arm erhob, zwei der blutigen Trophäen seines Sieges enthüllend, die an seinem Gürtel befestigt waren. »Unsere Ohren stehen weit offen. Wir lauschen, um zu vernehmen, auf welche Weise die Jagdgründe der Indianer die Pflugfelder der Yengih's geworden sind. Doch jetzt mögen meine weisen Männer zuhören und Acht geben, damit sie verständiger werden, wenn der Schnee sich auf ihren Häuptern häuft! Die blassen Männer besitzen das Geheimniß, was Schwarz ist, weiß scheinen zu lassen.«

»Narragansett« – –

»Wampanoag,« erwiderte der Häuptling, mit dem stolzen Blick, womit der Indianer den Ruhm seines Stammes mit seinem persönlichen zu verweben pflegt. – Dann aber diesen Blick mildernd, als er ihn auf den jungen Krieger warf, der ihm zunächst stand, fügte er schnell und im freundlichsten Tone hinzu: »indeß, es ist ganz gleich – Narragansett oder Wampanoag – Wampanoag oder Narragansett. Die rothen Männer sind Brüder und Freunde. Sie haben die Gehege zwischen ihren Jagdgründen abgebrochen, sie haben die Pfade, die zu ihren Dörfern führen, vom Strauchwerk gesäubert. Was hast Du dem Narragansett zu sagen, sein Ohr ist Dir noch nicht verschlossen!«

»Vernimm, Wampanoag, wenn dieses Dein Stamm ist,« begann Contentius wieder; »was mein Gewissen Dir zu 169 sagen befiehlt. Der Gott eines Engländers ist der Gott aller Menschen, von Jedem Stande, von aller Zeit her!« Mit Ausnahme des jüngsten Häuptlings, dessen Auge keinen Augenblick vom Munde des Redenden wich, und der jedes Wort begierig anzuhören und tief in's Gemüth einzugraben schien, schüttelten die übrigen Zuhörer ihre Häupter, zum Zeichen des Zweifels. »Trotz dieser Zeichen Eures Unglaubens, Eurer Gotteslästerung,« fuhr Contentius ernst fort, »verkündige ich immer noch laut die Macht Dessen, den ich anbete! Mein Gott ist Dein Gott; er sieht in diesem Augenblick ohne Unterschied auf uns, auf unser Thun herab, und erforscht unsere Herzen mit unbegreiflicher Allwissenheit. Diese Erde ist der Schemel seiner Füße, jener Himmel dort sein Thron. Ich erfreche mich nicht, in seine heiligen Geheimnisse einzudringen, oder den Grund anzugeben, warum er die eine Hälfte seines herrlichen Werks so lang in dem Schlamme der Unwissenheit und heidnischen Greuels gelassen, in welchem meine Väter sie fanden, ich wage nicht zu erforschen, warum diese Hügel nie vorher die Gesänge des Preises und Lobes der Gottheit wiedergehallt, und warum die Thäler so lange stumm und schweigend gewesen sind. Dies sind Wahrheiten, welche verborgen liegen in den geheimen Rathschlüssen seiner geheiligten Zwecke, und sie können nicht erkannt werden, bis die Zeit erfüllt ist! Aber so viel ist gewiß: ein großer, gerechter Geist hat Männer in diese Gegend geführt, erfüllt mit der Liebe zur Wahrheit und befruchtet mit dem Eifer eines hartbedrängten Glaubens, bedrängt, weil ihr Verlangen nach dem hinauf strebt, was rein ist, während das Bewußtsein ihrer Uebertretungen, im Gefühle tiefer Demuth, sie in den Staub der Erde hinabdrückt. Du legst uns zur 170 Last, beschuldigst uns, daß wir nach Deinen Ländern verlangen, daß unsere Gemüther erfüllt sind von der Verderbniß der Reichthümer. Das kommt von Deiner Unbekanntschaft mit unserer früheren Lage, das rührt daher, daß Du nicht weißt, was wir verlassen und aufgegeben haben, um dem Geiste der göttlichen Wahrheit treu zu bleiben. Als die Yengih's in diese Wildniß kamen, ließen sie hinter sich Alles, was das Auge erfreuen, den Sinnen gefallen und das Verlangen des menschlichen Herzens nähren und befriedigen kann; alles dieses ließen sie zurück in dem Lande ihrer Väter; denn so schön auch das Werk des Herrn in andern Himmelsstrichen ist, so ist doch keines derselben so lieblich und herrlich, als das, aus welchem diese Pilgrimme in die Wildniß gewallfahrtet sind. Auf jener begünstigten Insel seufzt die Erde unter der Fülle ihrer Producte; die Wohlgerüche ihrer süßen Erzeugnisse begrüßen lieblich die Sinne ihrer Bewohner; und das Auge wird nie müde hinzustaunen auf ihre Lieblichkeit. Nein die Männer mit den bleichen Gesichtern haben ihr Vaterland und Alles, was das Leben angenehm macht, verlassen, um Gott zu dienen, nicht aus Antrieb unersättlicher Habsucht oder sündhafter Eitelkeit!«

Contentius hielt inne, denn er fühlte, daß er sich, von der Wärme hingerissen, die seinen Geist aufregte, unmerklich von seinem Hauptgegenstand entfernte. Die Sieger beobachteten den ernsten Anstand, mit welchem der Indianer immer auf die Rede eines Andern hört, bis er völlig geendet hatte, und dann legte das Oberhaupt oder Wampanoag, für den er sich ausgab und gehalten wissen wollte, den Finger leicht auf die Schulter seines Gefangenen und fragte:

»Warum hat das Volk der Yengih's sich auf einem 171 blinden Pfad verirrt? Wenn das Land, das sie verließen, lieblich und angenehm ist, kann denn nicht dort ihr Gott sie hören von den Wigwam ihrer Väter aus. Sieh, wenn unsere Bäume nichts sind als Gebüsch, so laß sie den rothen Männern, sie werden schon Raum genug für sich finden, und im Schatten ihrer Zweige ruhen können. Sind unsere Flüsse und Ströme klein und gering, so sind wir es doch auch. Sind unsere Hügel niedrig, unsere Thäler schmal, wohlan, die Füße meines Volkes, ermüdet von der Jagd, werden sie mit weit weniger Beschwerde durchstreifen. Nun aber, was der große Geist für den rothen Mann gemacht, sollte es der rothe Mann nicht bewahren und behaupten. Sollten die, deren Haut weiß ist, gleich dem Lichte des Morgens, nicht dahin zurückkehren, wo die Morgensonne aufgeht, und von wannen sie gekommen sind uns zu beeinträchtigen und zu schaden.«

Der Häuptling sprach mit Ruhe, doch mit einem Nachdruck, welcher zeigte, daß er gewohnt war, einen spitzfindigen Streit nach Art des Volkes, dem er angehörte, geschickt zu führen.

»Gott hat es anders beschlossen,« sagte Contentius. »Er hat seine Diener hierher geführt, daß die Opfer und der Weihrauch des Lobes und Preises zu ihm aufsteigen sollten aus der Wildniß.«

»Euer Geist ist ein boshafter, verworfener Geist. Eure Ohren sind getäuscht und betrogen worden. Der Rath, der Eure jungen Leute anwies so weit hierher zu kommen, kam nicht aus dem Munde des Manittu. Er kam von der Zunge Eines, der gern das Wild selten und die Jungen hungrig 172 sieht. Geht, – Ihr gebt dem Spottgeist Gehör, sonst würden Eure Hände nicht so schwarz und dunkel sein.«

»Ich kann nicht wissen, welches Unrecht von boshaften Menschen den Wampanoag's zugefügt worden sein mag, denn boshafte Menschen giebt es wohl überall, selbst in den Wohnungen der Gutgesinnten und Gerechten; aber Unrecht ist nie Jemanden durch einen von denen geschehen, die innerhalb meines Hauses wohnen. Den Boden, den Du hier siehst, haben wir rechtmäßig bezahlt, den Ueberfluß und Wohlstand des Thales um den Preis unsers Schweißes und vieler Arbeit erkauft. Du bist ein Wampanoag, und weißt, daß die Jagdgründe Deines Stammes von meinem Volk unangetastet geblieben, ja für heilig angesehen worden sind. Stehen nicht noch die Zäune und Schranken da, die die Hand Deines Stammes gesetzt hat, so daß selbst nicht der Huf eines Pferdes das Korn zertreten sollte? Und warum erfuhr man je, daß ein Indianer kam, Recht zu fordern gegen den die Schranken überschreitenden Ochsen und es nicht fand?«

»Das Moosthier Der amerikanische Hirsch. nagt nicht das Gras an der Wurzel, es lebt vom Laube des Baumes. Es ist zu stolz, sich von dem Rasen zu nähren, den es mit Füßen tritt! Schaut der Habicht auf das Musquitogeschmeiß? Sein Auge verschmäht es und kann sich Vögel erspähen, geht, – wenn alles Wild von Euch getödtet sein wird, dann mag der Wampanoag die Zäune und Schranken mit eigener Hand abbrechen. Der Arm eines Hungrigen ist stark und kräftig. Ein listiges Blaßgesicht hat diese Zäune gemacht. Sie schließen die 173 Fohlen aus, aber sie schließen den Indianer ein. Aber der Geist eines Kriegers ist zu stolz; er wird sich nicht wie der Ochse mit Gras begnügen und sich davon nähren!«

Ein dumpfes, aber ausdrucksvolles, deutliches Gemurmel des Beifalls und der Beistimmung aus dem Munde seiner grimmigen Gefährten folgte auf die Entgegnung des Häuptlings.

»Das Gebiet Deines Stammes liegt weit entfernt,« entgegnete Contentius: »Ich will meine Seele mit keiner Unwahrheit beladen, indem ich entscheide, ob bei der Theilung der Länder Deinen Landsleuten Recht oder Unrecht geschehen. Aber in diesem Thale ist Ungerechtigkeit den rothen Leuten nie widerfahren! Welcher Indianer hat Nahrung und Speise verlangt und sie nicht erhalten? War er durstig, wir reichten ihm unsern Cider, fror ihn, der beste Platz am Heerde war sein, und doch hat sich Grund und Ursache gefunden, warum die Streitaxt ich in die Hand nehmen mußte, und mein Fuß den Kriegspfad zu betreten sich genöthigt sah! So manches Jahr lebten wir friedlich auf dem Boden, welcher theils von weißen, theils von rothen Männern erkauft wurde, aber nach langem Sonnenschein kam eine Zeit der Wolken. Wampanoag, eine finstere Nacht sank über dieses Thal herab. Tod und Brand verheerten zu gleicher Zeit meine Wohnung. Unsere jungen Männer wurden erschlagen und – unsere Seelen auf eine harte Probe gestellt.«

Contentius hielt inne, denn die Stimme versagte ihm, seine Augen verfinsterten sich, als er zufällig einen Blick auf die bleiche, harmvolle Gestalt warf, die sich an den stützenden Arm des noch immer aufgeregten, zürnenden Marcus lehnte. Der junge Häuptling hatte die ganze Zeit mit gierigem Ohr 174 zugehört, und während Contentius sprach, die vorgebogene Stellung, welche man unwillkürlich annimmt, wenn man gespannt aufhorcht, seine innere Theilnahme zu erkennen gegeben.

»Aber die Sonne stieg wieder auf!« sagte der Oberhäuptling, indem er auf den blühenden Zustand der Pflanzungen hinzeigte, zugleich aber auch einen unruhigen, mißtrauischen Blick auf den jungen Krieger warf. »Der Morgen zeigte sich hell und klar, obgleich die Nacht so finster und dunkel sich erwies. Die List und Klugheit eines Blaßgesichtes weiß, wie es Korn aus einem Felsen hervorsprießen zu lassen vermag. Der thörichte Indianer begnügt sich mit Wurzeln, wenn die Ernte mißlingt und die Jagd versagt.«

»Gott war ferner nicht ergrimmt gegen sein Volk,« entgegnete Contentius mit weicher Stimme, und schlug dabei die Arme auf eine Weise in einander, welche zeigte, daß er nicht weiter zu reden wünsche.

Der große Häuptling war im Begriff zu antworten, als sein junger Gefährte einen Finger auf seine nackte Schulter legte, und durch ein Zeichen ihm bedeutete, daß er wünsche sich mit ihm im Geheimen zu besprechen und zu berathen. Der Erstere nahm das Verlangen mit Ehrerbietung auf, obgleich man hätte entdecken können, daß ihm der Ausdruck auf dem Gesicht seines Gefährten nicht gefiel, daß er ungern, wenn nicht mit Widerwillen, nachgab. Aber die Miene des jungen Mannes zeigte so viel Festigkeit, daß eine mehr als gewöhnliche Entschlossenheit dazu gehört hätte, einer Aufforderung, welche die Augen so nachdrücklich aussprachen, nicht nachzukommen. Vorher jedoch sprach er einige Worte zu dem Krieger, der ihm am nächsten zur Seite stand, und den er mit dem Namen Annawon anredete. Dann kündete er mit 175 einer Geberde, die so natürlich und voll Würde war, daß sie einem Hofmann Ehre gemacht haben würde, seine Bereitwilligkeit aus, ihm zu folgen. Wie sehr die Indianer das Alter verehren, ist allgemein bekannt, in diesem Fall indessen zogen sich die Häuptlinge vor dem jungen Manne auf eine Art zurück, woraus man sehen konnte, daß Verdienst, Geburt, oder auch wohl beides zugleich ihn dieser besondern Auszeichnung würdig machten, welche selten Männern seines Alters zu Theil ward. Beide verließen nun die Vorhalle in der geräuschlosen Weise, welche den indianischen Fuß in seinen Mokasins auszeichnet.

Es ist der Mühe werth, ihren Gang nach der Gegend hinter dem Hause näher zu beschreiben, da er die Sitten und Gewohnheiten der Indianer charakterisirt und bezeichnet. Keiner von Beiden sprach ein Wort, keiner verrieth eine weibische Ungeduld, in die Gedanken und Absichten des Andern einzudringen und sie zu erforschen; keiner auch vergaß nur das Geringste von jenen kleinen aber dennoch bemerkbaren, leicht vermißten Höflichkeitsbezeugungen, durch welche Einer dem Andern den Weg bequem und die Schritte sicher machte. Auf diese Weise hatten sie die von uns so oft erwähnte Anhöhe erreicht, und erst jetzt glaubten sie sich weit genug, um sich einer Unterredung zu überlassen, welche sie vor den Ohren Nichtberufener geheim halten wollten. Im Schatten und unter den Wohlgerüchen des blühenden Obstgartens auf dem Hügel, blieb der Aeltere von den Beiden stehen, einen der schnellen, fast unbemerkbaren und doch vorsichtigen, scharfen Blicke um sich werfend, welche einen Indianer von seiner Lage wie durch einen angebornen Instinkt unterrichtet, dann begann er endlich die Unterredung; sie wurde in der 176 Landessprache geführt, da wir aber gewiß keinem unserer Leser einen Gefallen erzeigen würden, wenn wir sie in der Ursprache vortrügen, wie wir sie überkommen, so ziehen wir es vor, sie dem Sinn und dem Genius unserer Sprache gemäß, in diese zu übertragen.

»Was wünscht mein Bruder?« begann der Krieger mit dem Turban auf dem Haupte, indem er die rauhen Kehllaute seiner Sprache bis zur Freundschaft, ja bis zur Herzlichkeit sanft herabstimmte. »Was beunruhigt, bekümmert den großen Sachem der Narragansett? Seine Gedanken scheinen unruhig und stürmisch. Mich dünkt, seine Augen sehen etwas mehr als die meinigen, die matt zu werden beginnen. Erschaut er vielleicht den Geist des tapfern, hochherzigen Miantonimoh, der gleich einem Hunde starb unter den Streichen der schurkenhaften, feigherzigen Pequod's und der falschzüngigen Yengihs? Oder sehnt sich sein Herz, erfüllt es sich mit Verlangen nach den Schädelhäuten der verrätherischen Blaßgesichter, begehrt es sie an seinem Gürtel hängen zu sehen? Längst ist die Streitaxt auf dem Pfade, der unsere Dörfer scheidet, verscharrt, und Deine Worte gelangen zum Ohre eines Freundes.«

»Ich sehe nicht den Geist meines Vaters,« entgegnete der junge Sachem. »Er ist weit ab von hier, in den Jagdgründen der gerechten Krieger. Meine Augen sind zu schwach, sie reichen nicht über so viele Berge hinaus; sie schwimmen nicht über so viele Ströme hinweg. Mein Vater jagt das Moosthier in Gründen, wo kein Gesträuch, kein Gestrüpp sich vorfindet, er bedarf nicht der Augen eines jungen, schwachen Menschen, nicht seiner Leitung, die Spur aufzufinden. Warum sollte ich nach der Stelle blicken, wo die Pequod's und 177 Blaßgesichter sein Leben nahmen! Das Feuer, das diesen Hügel versengt, hat die Stelle geschwärzt, ich kann ferner nicht die Zeichen des Bluts gewahren und auffinden.«

»Mein Sohn ist sehr weise, klug und erfahren weit über seine Jahre hinaus. Das, was einmal gerächt worden, ist vergessen. Er sieht nicht weiter als auf sechs Monden. Er sieht nicht, wie die Yengih's in sein Dorf dringen, wie sie die Mütter morden und die Narragansett-Mädchen erschlagen: wie sie seine Krieger hinterlistig tödten und ihre Feuer anzünden mit den Gebeinen der Rothen. Ich will jetzt die Ohren mir verstopfen, denn das Gestöhn der Erschlagenen macht, daß meine Seele sich schwach fühlt und leidet.«

»Wampanoag,« antwortete der Andere mit einem wilden Blitz aus seinem Adlerauge, und legte die Hand fest auf seine Brust; »die Nacht, wo der Schnee roth war von dem Blute meines Volkes, ist noch nicht vergessen! hier lebt ihr Andenken! Mein Gemüth ist betrübt darüber und düster. Keiner meines Geschlechts hat seitdem auf die Stelle gesehen, wo die Wohnungen der Narragansett standen, keinen hat dieser Anblick zur Rache entflammt, obgleich der Ort nie unsern Augen verborgen und versteckt ward. Seit jener Zeit sind wir in den Wäldern herumgewandert, auf unserem Rücken tragend, was uns geblieben, doch unser Kummer, unser Gram, – den tragen wir in unsern Herzen!«

»Warum ist denn mein Bruder bewegt? Es gibt der Schädelhäute viel unter seinem Volke, und sieh, sein eigener Tomahawk ist roth von Blut! Er besänftige seinen Grimm, wenn die Nacht kommt, dann wird seine Streitaxt mit tieferem Roth überzogen sein. Ich weiß, mein Bruder ist ungeduldig über allen Aufschub, aber in unserer Rathsversammlung 178 hieß es, es sei besser die Finsterniß abzuwarten, da die List der Blaßgesichter zu mächtig und stark ist für die Hände unserer jungen Leute.«

»Wann war ein Narrangansett lässig und träge über den Feind herzufallen, nachdem einmal das Kriegsgeschrei angestoßen worden; wann war er je unwillig und böse, wenn Männer von grauen Häuptern sagten: so ist's besser. Mir gefällt Euer Rath, er ist voller Weisheit. Aber ein Indianer ist doch nur ein Mensch! Kann er fechten mit dem Gott der Yengihs? Er ist zu schwach. Ein Indianer ist nur ein Mensch, obwohl seine Haut roth ist!«

»Ich blicke in die Wolken, in die Bäume hinauf, in die Hütten umher,« sagte der Andere, und nahm eine Miene an, und stellte sich, als wenn er auch wirklich neugierig auf die verschiedenen Gegenstände hinblickte, die er genannt hatte, »aber den weißen Manittu kann ich nicht erblicken. Die blassen Männer redeten zu ihm, als wir das Kriegsgeschrei in ihren Feldern erhoben, und doch hat er sie nicht gehört, hat ihrer nicht geachtet. – Geh, mein Sohn hat ihre Krieger mit starker Hand geschlagen; hat er vergessen, zu zählen, wie viele ihrer todt da liegen unter den Bäumen bei den lieblich riechenden Kräutern?«

»Metacom,« entgegnete der, der als der Sachem der Narrangansett betitelt worden ist, und schritt vorsichtig seinem Freunde etwas näher; er sprach leiser, gleichsam als wenn er einen unsichtbaren Lauscher und Zuhörer fürchtete, »Du hast Haß und Feindschaft den Gemüthern der rothen Leute eingeflößt, aber kannst Du sie listiger und weiser machen, als die Geister? Haß ist sehr gewaltig und stark, aber Klugheit und 179 List hat einen noch längeren Arm. Sieh,« setzte er hinzu und hielt die Finger seiner beiden Hände dem aufmerksamen Gefährten vor die Augen. »Zehnmal ist der Schnee gefallen und geschmolzen, seit auf diesem Hügel eine Wohnung der Blaßgesichter stand. Conanchet war damals ein Knabe. Sein Arm hatte nichts erlegt als das Wild des Waldes. Sein Herz war voll von Ahnungen und Wünschen, es sehnte sich nach Mehrerem. Am Tage dachte er an Schädelhäute, die er von den Pequod's erobern wollte; zur Nachtzeit hörte er die sterbenden Worte Miantonimoh's. Obgleich von feigherzigen Pequod's und lügenhaften Yengihs erschlagen, kam doch sein Vater mit der Nacht in seinen Wigwam zu seinem Sohne zu reden. »Ist das Kind, der Sprosse so vieler großen Sachem's herangewachsen?« pflegte er zu fragen: »Fängt sein Arm an stark zu werden, sein Fuß leicht, sein Auge scharf und schnell, sein Herz muthig und edel? Wird Conanchet gleich werden seinen Vätern? Wann wird der junge Sachem der Narragansett ein Mann sein?« Doch was soll ich meinem Bruder erst von diesen nächtlichen Besuchen erzählen? Metacom hat oft die lange Reihe der Wampanoag-Häuptlinge in seinem Schlaf gesehen? Es pflegen ja die tapfern Sachem's in das Herz ihrer Söhne einzukehren.«

Der stolzerfüllte, schlaue Philipp schlug mit der Hand kräftig an seine nackte Brust, als er antwortete:

»Sie sind immer hier, hier in meiner Brust. Metacom hat keine andere Seele als den Geist seiner Väter!«

Conanchet beobachtete diese Pause, die nach indianischer 180 Gewohnheit und Sitte auf den Ausruf seines Gefährten erfolgen mußte und fuhr dann weiter fort: »Als der gemordete Miantonimoh des Schweigens müde war, ließ er seine Stimme hören. Er hieß seinen Sohn sich erheben und unter die Yengih's gehen, damit er zurückkehren möchte mit Schädelhäuten in seinen Wigwam, dort sie aufzuhängen als Siegeszeichen seines Muthes und seiner Männlichkeit; denn den Augen des todten Häuptlings gefiel es nicht, die Stelle dort so leer zu sehen. Die Stimme Conanchet's war damals zu schwach und jung zum Berathungsfeuer; er sagte nichts, er ging allein. Ein böser Geist gab ihn in die Hände der Blaßgesichter. Er war ihr Gefangener viele Monden lang. Sie schlossen ihn in einen Käfig gleich einem gezähmten Panther. Und alles dies geschah hier an diesem Ort. Die Nachricht von seinem unglücklichen Geschick drang aus dem Munde der jungen Yengih's zu den Ohren der Jäger, und von den Jägern kam sie zu den Ohren der Narragansets. Mein Volk hatte seinen Sachem verloren und kam, ihn aufzusuchen. Metacom, der Knabe, hatte die Macht des Gottes der Yengih's erfahren; sein Geist begann schwach zu werden; dachte weniger an Rache, der Geist seines Vaters kam nicht mehr zu ihm bei Nacht. Er hörte viele Unterredungen der Yengih's mit dem ihm unbekannten Gott mit an, und freundlich waren die Worte seiner Feinde. Er jagte mit ihnen. Als er auf die Spur seiner Krieger in den Wäldern stieß, ward sein Gemüth unruhig und bestürzt, denn er kannte die Botschaft, auf die sie ausgingen. Dann sah er wieder den Geist seines Vaters und wartete. Das Kriegsgeschrei vernahm man gerade in jener Nacht; viele starben und die Narragansets nahmen manche Schädelhaut. Du siehst hier dies 181 Haus von Stein, über welches die Feuersbrunst hinschritt. Sonst befand sich über ihm ein listig angelegter Vertheidigungsort, und in ihm führten die Blaßgesichter den Kampf für ihr Leben fort. Aber es wurde in Brand gesteckt, und nun war für sie keine Hoffnung mehr sich zu retten. Conanchet's Herz ward gerührt von diesem Anblick, denn großen Edelmuth und Freundschaft hatte er in denen gefunden, die in dem Gebäude waren. Obgleich ihre Haut weiß, waren sie es nicht gewesen, die seinen Vater erschlagen. Aber zu den Flammen konnte man nicht reden, und die Stätte glich bald den Kohlen eines verlassenen Berathungsfeuers. Alles darin wurde in Asche verwandelt. Freute sich Miantonimoh's Geist darüber, so that er recht, so war dies recht; aber das Herz seines Sohnes war bekümmert, Schwäche kam über ihn, und er dachte ferner nicht daran, sich seiner Thaten des Krieges zu rühmen.«

»Jenes Feuer brannte, tilgte den Blutfleck von der Sachemsebene aus?«

»Das that es. Seit jener Zeit sah ich nicht mehr die Spuren von meines Vaters Blut. Graue Häupter, Jünglinge und Knaben waren in diesem Brande, und als die Balken zusammenbrachen, war nichts mehr übrig geblieben als Asche und Kohle; und dennoch stehen die, welche in dem feuersprühenden Hause sich befanden, dort vor unsern Augen!«

Der aufmerksam zuhörende Metacom staunte und warf einen schnellen, hastigen Blick auf die Trümmer hin.

»Sieht mein Sohn etwa Geister und Gespenster in der Luft?« fragte er plötzlich.

»Nein, sie stehen dort, sie leben. Sie sind schon gefesselt und bestimmt für die Qualen des Todes. Der mit dem 182 weißgelockten Haupte ist der Greis, welcher so viel mit seinem Gott sprach. Der ältere Häuptling, welcher unsere jungen Männer so hart und kräftig schlug, war damals auch ein Gefangener in diesem Hause. Er, der so eben sprach, und das Weib, welche selbst blasser scheint, als ihr Geschlecht, starben damals in jener Nacht, und doch sind sie jetzt hier! Selbst der tapfere Jüngling, der so schwer zu überwältigen war, gleicht dem Knaben, der damals im Feuer umkam. Die Yengih's gehen mit unbekannten Göttern um; sie sind zu listig und klug für einen Indianer!«

Philipp hörte diese seltsame Erzählung an, wie Jemand, der im Glauben an abergläubische Sagen und Erzählungen auferzogen worden, und doch geschah dies mit einer Hinneigung, einem Hange zur Zweifelsucht, zur Ungläubigkeit, die in ihm durch sein wildes, unbezwingliches Verlangen nach der Vernichtung und Ausrottung des verhaßten Geschlechts erzeugt und bestärkt wurde. Er hatte in den Rathsversammlungen seines Volkes über viele ähnliche Zeichen der übernatürlichen Einwirkung, die zu Gunsten seiner Feinde sich gezeigt, den Sieg davon getragen. und sie zweifelhaft zu machen gewußt, aber nie vorher waren so schlagende, Aufmerksamkeit gebietende Thatsachen und Beispiele von Wundern dieser Art, und so geradezu und aus so würdiger, wahrhafter Quelle ihm vor die Sinne gekommen. Selbst den stolzen Starrsinn, die weitsehende Weisheit und List dieses scharfsinnigen Häuptlings wurde durch solch' ein Zeugniß erschüttert, und es trat ein Augenblick ein, wiewohl auch nur ein einziger, wo der Gedanke in seinen Ueberlegungen die Oberhand behielt, eine Verbindung zu verlassen, deren Zweck zu erreichen man verzweifeln mußte. Aber sich selbst, seiner 183 Sache getreu, und für sie Alles aufopfernd, hegte er bald andere Gedanken, und ein festerer, unwandelbarer Entschluß gab ihm die Bestimmtheit wieder und stellte seine frühere Entschlossenheit wieder her, wenn auch dadurch nicht alle Verlegenheit, in die ihn seine Zweifel setzten, aufgehoben wurden.

»Was wünscht Conanchet, daß geschehe?« sagte er. »Zweimal sind seine Krieger in dies Thal hereingebrochen, und zweimal hat sich der Tomahawk seiner jungen Kämpfer mit Blut gefärbt, ist röther gewesen als der Kopf des Baumhackers! Das Feuer hat seine Schuldigkeit nicht gethan. Der Tomahawk ist zuverlässiger. Hätte die Stimme meines Bruders nicht zu seinen jungen Männern gesagt: Laßt die Kopfhäute der Gefangenen unversehrt, er könnte jetzt nicht sagen: dort stehen sie noch und leben!«

»Mein Gemüth ist wirr und zerstört, Freund meines Vaters! Wollen wir ein strenges Verhör mit ihnen anstellen, um hinter die Wahrheit zu kommen?«

Metacom sann einen Augenblick; dann, seinen jungen bewegten Begleiter freundlich anlächelnd, winkte er einem jungen Krieger, der in den Feldern umherschlenderte, sich zu nähern. Dieser Indianer wurde zum Ueberbringer eines Befehls gemacht, welcher gebot die Gefangenen nach dem Hügel zu bringen; und nachdem diese Anordnung getroffen war, schritten die beiden Häuptlinge schweigend auf und ab; jeder brütete über dem, was geschehen war, mit einer Gemüthsstimmung, die seinen eigenthümlichen Charakter und persönlicheren Gefühlen angemessen war. 184

 


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