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Einleitung.

Die moderne erzählende Litteratur hat mit dem modernen Leben trefflich Schritt gehalten: hier wie dort eine historische Maskerade, die mit all' ihren glänzenden und prunkenden Stoffen, ihren bestechenden Formen und lebhaften Farben doch nur den Mangel an Unmittelbarkeit und an eigenem schöpferischen Talent verrät, aus den umgebenden Erscheinungen der modernen Welt Eigenartiges und Charakteristisches zu gestalten. Und wenn das Alte noch echt und einheitlich gedacht wäre! Aber da stolzieren unsre Frauen herum, oben den, einer längst vergangenen Zeit angehörigen Rembrandhut auf dem Kopf und unten Pariser Zugstiefeletten an den Füßen; in den Mietkasernen augenbeleidigende eiserne Oefen neben Renaissancemöbeln nach »berühmten Mustern«; und dann die papiernen Gobelins, der gelogene Stuck: Maskerade, Halbheit, glänzend verbrämte Armut überall. Nicht anders in der Litteratur: Anakreontiker und Spielmänner neuester Sorte, die beim zweiten Glas unter den Tisch fallen und von einem Spaziergang im Freien sich den Schnupfen holen; Romanschriftsteller, welche die mißgestalteten Wechselbälge ihrer Phantasie in die Lappen weit entlegener Kulturen stecken, ohne diese voll erfaßt und so ergriffen zu haben, daß eine künstlerische Reproduktion möglich wäre. Wenn's hoch kommt, viel Fleiß, viel Detailstudium, und das Resultat – eine wissenschaftliche Monographie mit belletristischem Umschlag. Der Zeitroman ist selten geworden, wenigstens der echte, der es nicht bloß darauf abgesehen hat, etwa eine politische oder soziale Parteiströmung zu glorifizieren oder an den Pranger zu stellen, sondern der die verschiedenartigen Erscheinungen der Gegenwart zusammendrängt, sie verdichtet, typisch und damit verständlich macht, das Facit zieht und die Ziele andeutet, auf welche die Zeit hindrängt. Er darf nicht photographieren, er muß malen, und Wahrheitsliebe und sittlicher Ernst müssen den Pinsel führen, damit die Farben weder zu dunkel noch zu licht geraten und über dem Effekt nicht der höhere Zweck vergessen wird.

Zu den wenigen nun, die den Roman in diesem Sinne aufgefaßt und sein Gebiet bearbeitet haben, gehört Robert Byr, der schon in seinem ersten größeren Werk, den »Oesterreichischen Garnisonen« (1863) das ernste Bestreben bekundet hat, Zustände und Verhältnisse der Gegenwart mit Offenheit aber ohne Voreingenommenheit zu spiegeln. Er ist diesem Bestreben bis heute treu geblieben und auch in den Werken, die lediglich von den Geheimnissen des menschlichen Herzens, von der innigen Zuneigung gleich gestimmter Seelen handeln, spinnt der Faden der Handlung da und dort eine Frage von allgemeiner Bedeutung ein. Der Geist, mit dem er solche nur nebenbei aufgeworfene Fragen und dann wieder die durch einen ganzen Roman hindurch sich ziehenden Probleme behandelt, erheben ihn hoch über eine Legion von belletristischen Schriftstellern und machen ihn zu einem Meister des sozial-philosophischen Romans. Aber ebenso ist er, wie schon Gottschall in seiner Litteraturgeschichte richtig gesagt hat, vielen Lieblingen des Tags überlegen durch künstlerische Gliederung seiner Romane. Der Standpunkt, den Byr den Dingen gegenüber einnimmt, ist der eines scharfen von Vorurteilen freien Verstandes, eines voll und warm empfindenden Herzens, das auf dem rechten Flecke sitzt. So erinnern seine Werke in ihrer Klarheit und Kraft, in ihrer Energie und Gesundheit an den Verfasser selbst, dessen Aeußeres eine gewaltige, das gewöhnliche Maß weit übersteigende Gestalt von schönen Proportionen zeigt und aus dessen offenem Gesicht lautere Wahrheit und zielbewußtes Streben sprechen. An der Darstellungsweise der Byr'schen Romane gefällt immer von neuem die Leichtigkeit, mit der er erzählt, und die kunstvolle Komposition, die ungestraft die weitesten Exkursionen unternimmt. Gerade dieses erweiterte Gesichtsfeld erweckt in dem Leser den Eindruck unmittelbaren Lebens und gibt den Werken eine ganz merkwürdige, nie nachlassende Anziehungskraft. Mit diesen Vorzügen geht sein Reichtum an originellen Gedanken und eine Charakteristik, die ihre Schöpfungen zu plastisch greifbaren macht, Hand in Hand.

Die Reihe seiner sozial-politischen Romane begann Byr mit den schon erwähnten »Oesterreichischen Garnisonen«, welche das österreichische Offiziersleben vor dem italienischen Krieg zu schildern unternahmen. Ihnen folgte »Ein deutsches Grafenhaus« (1866) und »Mit eherner Stirn« (1868), beide gegen den verkommenen Adel gerichtet; diesen (1869) »Der Kampf ums Dasein«, der die erlösende Kraft des Kampfes um die Idee feiert. »Auf abschüssiger Bahn«, welche Arbeit 1872 erschien, schildert eine unglückliche Ehe in der hohen österreichischen Aristokratie und wirft auf die Verkommenheit der Gesellschaft kaum weniger grelle Streiflichter, als der Roman »Larven« (1876), in dem das Gründertum im besonderen und der Egoismus der Welt im allgemeinen an den Pranger gestellt werden. Mehr das kommerzielle Strebertum als das Gründerwesen wird auch im »Andor« (1883) charakterisiert, der zugleich die Besiegung aristokratischen Vorurteils gegen bürgerlichen Erwerb, und in zahlreichen Figuren gleicherzeit die Erbärmlichkeit und Hohlheit der sog. besseren Stände schildert. Als Charakteristiken der höheren Gesellschaft sind auch »Eine geheime Depesche« (1880) und »Sesam« (1880) anzuführen. Zu den Romanen Byrs, in denen der soziale Hintergrund weniger stark hervortritt, gehören »Nomaden«, »Nachruhm«, »Zwischen zwei Stationen«, »Trümmer«, »Gita« und »Am Wendepunkt des Lebens«. Außer diesen Schriften veröffentlichte Byr eine Anzahl kleinerer Arbeiten; weiter zwei Dramen »Lady Gloster« und »Der wunde Fleck«; ferner die Novellensammlungen »Auf der Station«, »Wrack« und »Quator«, und das historische Gedenkbuch »Anno neun und dreizehn«.

Die ersten Arbeiten Byrs waren zwei im Jahre 1858 entstandene und erschienene Novellen »Der Raritätensammler« und »Tschau«. Byr war damals noch Leutnant, denn unser Dichter ist wie so viele seiner litterierenden Zeitgenossen dem Mars untreu geworden, um den Musen zu opfern. Geboren 15. April 1835 zu Bregenz, wo er seit 1862 dauernd lebt, kam Rob. Bayer (denn Byr ist nur sein Schriftstellername) frühzeitig nach Oedenburg und trat nach dem Besuch der Militär-Akademie in Wiener-Neustadt 1852 als Leutnant in das Husaren-Regiment Radetzky in Mailand ein. 1859 avancierte er zum Rittmeister, entsagte aber 1862 dem Dienst, um nun ausschließlich die Feder statt des Schwertes zu führen. Und das war gut so, denn an Rittmeistern wird's den Armeen niemals fehlen, während in der Litteratur die Hauptleute allzeit gar dünn gesäet waren.

Joseph Kürschner.


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