Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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2

Als Svend in Doktor Fratz' Privatkontor trat, stand der Rechtsanwalt mit dem Rücken zum Zimmer und sprach in das Telephon, das auf seinem Schreibtisch stand.

Indem er, ohne das Telephon aus der Hand zu legen, sich zu dem Eintretenden umwandte, blitzte ein böses Licht in seinen Augen auf, so daß Svend von einer unheilverkündenden Ahnung durchzuckt wurde. Ungeduldig wartete er darauf, daß die Telephonunterredung ein Ende nehmen würde.

Schließlich klingelte Doktor Fratz ab und bot ihm mit einer Handbewegung einen Stuhl an.

Da er aber selbst nicht Platz nahm, blieb Svend ebenfalls stehen.

»Ich komme, um –«

»Ich kann mir denken, warum Sie kommen,« unterbrach Doktor Fratz ihn, »ich habe mich telegraphisch erkundigt und erhielt heute morgen Antwort. Bitte!«

Doktor Fratz warf mit einer heftigen Handbewegung ein offenes Telegramm vor ihn hin.

Svend nahm es und las:

»Das von Ihnen bezeichnete Testament ist durch ein späteres umgestoßen worden. Als Exekutor ist der Vetter der Erblasserin, der ehemalige Bürgermeister Lund in Fjordby ernannt. Die hiesigen Grundstücke fallen den Stiftungen der Stadt zu. Die Grundstücke in Kopenhagen sollen verkauft werden; der Ertrag und übriges disponibles Kapital teils Armenlegate, teils Familienlegate für Witwen und unverheiratete Töchter, Witwe Jörgen Byge erster Legatar mit 800 Kronen jährlich und Freiwohnung im ›Witwenhause‹. Kleinere Legate an verschiedene Blutsverwandte der Erblasserin. Keiner mit Namen Svend Byge genannt.«

Die Knie zitterten so unter ihm, daß er sich am Schreibtisch festhalten mußte.

Die Fenster und die Wand mit ihren Bildern verschwammen vor seinen Blicken. Er mußte vor sich niederblicken, um den Schwindel zu überwinden.

Dann biß er die Zähne aufeinander und blickte wieder auf. Er wollte etwas sagen, konnte aber keine Worte finden.

Doktor Fratz machte seinem Zorn Luft, indem er lärmend durchs Zimmer ging.

»Was sagen Sie nun, Verehrtester?« Er blieb mit gespreizten Beinen mitten im Zimmer stehen und knipste wütend mit seinen dicken Fingern. »Wissen Sie, was das für mich bedeutet? Ein Verlust von zehntausend Kronen! Das hatte ich als Exekutor des vorigen Testamentes bekommen!«

»Aber wie konnte sie – es war doch Onkel Kaspers Testament!« brachte Svend mühsam heraus.

»Ach was, Unsinn! Bei seinem Tode lag ein gegenseitiges Testament der Ehegatten vor mit dem Recht des überlebenden, es abzuändern. Aber in dem Testament, das sie vor drei Jahren machte, mit Bezugnahme auf den schriftlichen Wunsch ihres verstorbenen Mannes, da wurde ich als Testamentsvollstrecker eingesetzt mit einem Salär von zehntausend Kronen.«

»War ich in dem Testament genannt?« fragte Svend und rückte Doktor Fratz auf den Leib.'

»Ob Sie – nun, ich habe keine Diskretionspflichten mehr – ja, Sie waren genannt, ›Referendar Svend Byge‹ stand da.«

»Referendar.« – Also als er seine Verpflichtungen eingehalten und sein Examen gemacht, da hatte auch sie ihre Pflicht erfüllt und das Testament geschrieben, das ihr Mann ihr ans Herz gelegt hatte.

»Wieviel?« fragte Svend leise.

»Ich habe die Bestimmungen nur flüchtig zu wissen bekommen; die Konferenzrätin war ja eine selbstherrliche Dame. Aber soweit ich mich erinnere, waren Sie mit einer bedeutenden Summe genannt.«

Svend wurde wieder von einem Gefühl des Schwindels ergriffen, aber er nahm sich aufs äußerste zusammen und fragte:

»Wann hat sie das Testament geändert?«

»Ja, wann? Fragen Sie nur! Gleich nachdem sie von ihrer Auslandsreise zurückgekommen ist, ist sie nach Fjordby gereist und hat das Testament hinter meinem Rücken geändert!« Doktor Fratz konnte sich nicht länger beherrschen. Er suchte einen Gegenstand für seine Rache. Seine Stimme wurde schreiend, als er fortfuhr:

»Zum Teufel, wie spielen Sie denn auch Ihre Karten aus? Was sind das für dumme Geschichten, die Sie sich der Regierung gegenüber herausgenommen haben? – Anstatt ruhig Ihrer Beschäftigung nachzugehen, wie wir anderen es tun! – Und dann überreden Sie mich ihr zu schreiben – verwickeln mich in Ihre Affäre! Ich merkte ihren Briefen ja an, daß sie mißtrauisch geworden war, nachdem ich für Sie eingetreten war! – Als sie zurückkehrte, hat sie sich natürlich nach Ihnen erkundigt, und man hat ihr die ganze Geschichte von Ihrer Entlassung und der Audienz und was Sie sich sonst noch eingebrockt haben, erzählt. – Und da stehe ich und habe Sie empfohlen! – Kompromittiert! Verstehen Sie?« Hier kippte Doktor Fratz' Stimme beinah um. »Und anstatt zu mir zu kommen, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, hat sie natürlich bei sich gedacht: Hoho, er hat meinem Neffen das Testament verraten, und jetzt wollen sie mich in Gemeinschaft plündern, während sie auf meinen Tod warten. Mißtrauisch wie des Teufels Großmutter war sie ja. Aber ich hätte es mir denken können, als sie Ihnen die Dreitausend gab, denn das sah ihr verflucht wenig ähnlich, ich hätte es ahnen können, daß sie mit Ihnen abrechnete und Sie dafür enterbte. – Ja, Sie haben mir einen reizenden Dienst erwiesen, mein Bester! Das hat man davon, wenn man leichtgläubig und hilfreich ist! Zehntausend Kronen, die einem an der Nase vorbeigehen! – Und darf ich fragen« – er trat dicht an Svend heran, steckte seine dicken Daumen in die Ärmellöcher und trommelte auf seiner farbigen Weste – »darf ich fragen, was aus dem Geld wird, das ich Ihnen geliehen habe, Verehrtester – der Wechsel – he?«

Svend war so verblüfft darüber, daß er, der Benachteiligte, angegriffen wurde, daß er nicht gleich Worte fand. Er sah verständnislos in die zornigen Augen, die ihn anfunkelten. Sein Schweigen reizte Doktor Fratz nur.

»Haben Sie das Geld oder haben Sie es nicht?«

»Ich werde es Ihnen schicken, wenn der Wechsel fällig ist!« sagte Svend schließlich.

»Das möchte ich erst mal erleben!« knurrte er drohend. »Es ist kaum noch eine Woche, wenn ich mich recht erinnere.«


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