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Bildung

Frohmann kehrt von einer Filiale zurück, wohin er an das Lager eines Sterbenden gerufen worden. Eben steigt er mühevoll eine Anhöhe hinan und seine Beinchen bearbeiten den tiefen Sand des Weges. Dann geht er zwischen hohen Fruchtfeldern, die reifen Halme neigen sich gegen ihn, die Vögel grüßen fröhlich, vor ihm tanzen Käfer am Boden, rothe und schwarze, eine Schwalbe streift zwitschernd den hohen Cylinder, kehrt wieder um und nimmt vom Rücken des Herrchens eine Fliege. Nichts vermag den Kleinen ernsten Betrachtungen zu entreißen. Er hatte gesehen, wie das Leben ohnmächtig rang mit dem Tode und wie ein Geist, beim Abschlusse der irdischen Laufbahn, angsterfüllt vor den Pforten der Ewigkeit stand.

Ueberlassen wir das Herrchen seinen Betrachtungen, und nehmen wir uns die Freiheit, über ihn selbst eine Betrachtung anzustellen.

Gegenwärtig sinnbildet der Kleine ein Bruchstück seiner irdischen Wanderschaft. Seine Füßchen stecken im Sande und kämpfend überwindet er den Weg. Der lange Tuchrock hängt schwer hinab zu den Knöcheln, auf den Kopf drückt ein unnachgiebiger schattenloser Cylinder von Haasenhaaren und Pappendeckel, – gewiß sehr unbequem in der Brandhitze des Juli. Ueber das hagere Gesicht rinnen dicke Schweißtropfen, Erschöpfung liegt handgreiflich in den matten Zügen. Armes Herrchen! Du wirst immer kleiner, schmächtiger, durchsichtiger. Die Mühseligkeit Deiner Wanderung frißt immer nachdrücklicher die ohnehin schwache Lebenskraft hinweg. Jeden Tag liegst Du im Kampfe mit den schrecklichen Rothen, mit der Starrköpfigkeit unbeugsamer Kaffern, mit der Gemüthslosigkeit des Unglaubens, welcher Deinem zarten Empfinden so wehe thut. Jeden Tag setzest Du Leib und Seele ein für Deine Feinde, – Deine ganze Kraft, alle Freuden des Lebens bringst Du zum Opfer, Du lebst ein Dasein endloser Entsagung, und für All' dies lohnen Dir Hohn, Undank und Tücke. Obwohl Du aber ein kleines Herrchen bist, so erscheinst Du uns doch größer, denn alle Herren der Welt in Deinem Opfermuthe, in Deinem schmerzvollen Abgestorbensein für reizende Sinnengenüsse. Du betest für Die, welche Dich hassen, thust Gutes Jenen, welche Dich verfolgen! Täglich nimmst Du Dein Kreuz auf Dich, wahrst stündlich dem Geiste die Herrschaft über das Niedere, und diese Heldenthaten schmücken Deine Seele mit Siegeskronen und ewigem Scepter. Groß bist Du, kleines Herrchen; denn Du wirst unter Jenen sitzen, welche die Welt richten!

Jetzt hat er den sandigen Feldweg überwunden und die Landstraße gewonnen, welche nach Waldhofen führt. Zwei Söhne des alten Mohr arbeiten in der Nähe, und wie diese den kleinen Schwarzen sehen, stützen sie die Arme auf ihre ländlichen Werkzeuge und lachen höhnisch.

»Pfaff, – Pfaff!« schallt es von der Höhe.

Frohmann bleibt stehen und blickt hinauf.

»Pfaff, – dummer Schwab!« ruft es höhnend hernieder. »Hecker, Struve hat befohlen, der Teufel muß die Pfaffen holen. He, – Pfaff, – hollah – he!«

Das Angesicht des Herrchens wurde noch bleicher, und ein stechender Schmerz fuhr darüber hin. Er hob das Auge zum Himmel, seufzte tief auf und ging weiter. Ein rother Mann kam entgegen. Auch er hatte die Beschimpfung gehört und der Rothe lächelte hämisch. Frohmann sah das feindselige Lachen und wieder stach es ihm durch die Seele. –

Frau Schröter trat entrüstet vor den Gatten.

»Denke Dir, Fritz, was eben geschehen ist! Mohrs Buben haben das Herrchen auf öffentlicher Straße ganz abscheulich beschimpft,« – und sie erzählte.

Der Landwirth fuhr zornig empor.

»Sind Zeugen da?« frug er.

»Unsere Arbeiter haben Alles gehört!«

»Gut, – diese Rohheiten müssen endlich einmal aufhören!« sagte Schröter. »In letzter Zeit kann dieser würdige Priester nicht mehr ausgehen, ohne von den Rothen beschimpft zu werden. Wir alle sind verantwortlich für die Behandlung unseres Geistlichen, unmöglich dürfen wir länger schweigen.«

Er ging mit großen Schritten nach dem Pfarrhause.

Frohmann, ein gemüthreiches Kind der Berge, war redlich bemüht, die Kränkung zu überwinden, ein neues Opfer verzeihender Liebe auf den Altar des Herrn zu legen. Aber die klaffende Wunde, von grober Beschimpfung in sein weiches Gemüth geschlagen, wollte nicht aufhören, zu bluten und zu schmerzen. Ringend und kämpfend durchschritt er sein Zimmer. Die Lauterkeit seiner Absichten, das selbstlose Bemühen zum Heile der Feinde, sein ganzes Leben des Opfers standen auf gegen die herzlose Bosheit der Menschen. Vergebens strebte er, diese Empfindungen niederzudrücken, höher schwellte unsägliches Wehe die Brust, und jetzt brach er vor dem Crucifix in die Kniee und weinte bitterlich.

»Mein Heiland, – o mein Heiland! Du kennst meine Seele, – mein Bestreben, – meine Aufgabe! O Herr, reiche mir helfend Deine Hand, – unterstütze mein fruchtloses Bemühen, – züchtige die verhärteten Frevler wider Dein Gesetz, damit sie erkennen, Du seist der Herr!«

Kaum hatte er jedoch die Bitte um bessernde Züchtigung ausgesprochen, als er flehend einlenkte.

»Erbarme Dich über uns Alle, mein Gott, – vorzüglich über meine Beleidiger!«

Da er von den Knieen sich erhob, lag das Brevier geöffnet vor ihm, und darin las er die hervorstechenden Worte: » Ecce ego mitto vos sicut oves inter lupos, – siehe, ich sende euch, wie Schafe unter Wölfe.«

Es pochte an der Thüre. Schröter trat ein. In Frohmanns Angesicht fand er noch Spuren der erlittenen Kränkung und in dessen Augen Merkmale geflossener Thränen. Jetzt lächelte das Herrchen und streckte froh beide Hände dem Freunde entgegen. Der Landwirth blieb sehr ernst.

»Hochwürden,« begann er, »soeben erfuhr ich, daß Sie öffentlich beschimpft wurden. Man kennt die Elenden und hat Zeugen. Ich wollte nur fragen, ob Sie selbst gerichtliche Bestrafung veranlassen oder das uns überlassen wollen.«

»Keines von beiden, mein lieber Herr Schröter!« rief abwehrend das Herrchen. »Es ist schon Alles überwunden und verziehen.«

»Ich beuge mein Haupt vor Ihrer Seelengröße, Herr Cooperator! Indessen bin ich der Ansicht, daß Sie nicht länger den Mißhandlungen einiger Ruchlosen dürfen ausgesetzt bleiben. Die ganze Gemeinde verehrt und liebt Sie. Im Namen der ganzen Gemeinde bitte ich Sie um Vergebung für die erlittene Beschimpfung.«

»Von ganzem Herzen! Darum sei an gerichtliche Bestrafung nicht weiter gedacht. Ich bitte Sie dringend, Herr Schröter!«

»Entschuldigen Eure Hochwürden! Für die Gemeinde ist es Ehrensache, ihren Geistlichen zu schützen.«

Der Landwirth beharrte trotzig bei dieser Auffassung. Alle Bitten und Vorstellungen Frohmanns blieben fruchtlos.

Schröter trat vor den Bürgermeister und verlangte die Errichtung eines Protocolles gegen Mohrs Söhne. Knapper verneinte heftig.

»Warum nit gar!« rief er. »Sind Sie der Vormund des Cooperators?«

»Nein! Ich bin aber Bürger von hier, bin Katholik und verlange gesetzlichen Schutz für unsern Geistlichen.«

»Und ich bin Borjemeeschter, weiß, was ich zu thun hab', – laß mir nix einreden. Will der Cooperator ein Protocoll, dann soll er zu mir kommen, und ich will sehen, was zu thun isch, – jawohl! Da könnt' Jeder kommen, – ich bin Borjemeeschter und nit Sie.«

»Ihre Weigerung kommt nicht unerwartet,« versetzte geärgert der Landwirth. »Es ist ja nicht lange her, daß Sie selbst das Lied gesungen haben: »Hecker, Struve hat befohlen, der Teufel soll die Pfaffen holen!« Man sieht, Ihre Gesinnung ist noch ganz dieselbe.«

»Was sagen Sie da?« rief Knapper wüthend.

»Ich erinnere mich noch recht gut des Freischaarenhauptmanns mit dem krummen Säbel,« fuhr Schröter unbarmherzig fort. »Den Freischaarensäbel hat zwar der Freischaarenhauptmann abgelegt, nicht aber die Freischaaren-Gesinnung. Der Unterschied ist nur der: – Im Jahre acht und vierzig ging die Revolution gegen die Obrigkeit, und jetzt geht die Obrigkeit mit der Revolution.«

»Was, – was?« schrie Knapper außer sich. »Ich mache Ihnen ein Protocoll, – Sie haben die Regierung beschimpft.«

»Thun Sie das,« versetzte ruhig der Gutsbesitzer. »Ich werde dann vor Gericht ganz nette Geschichten des Freischaarenhauptmanns Knapper zum Besten geben.«

»Himmel – Herrgott! Ich soll mir das sagen lassen in meinem eigenen Haus? Wär' nur meine Frau da, – hören könnt' sie, was der Schröter-Fritz für ein freches Maul hat.«

»Die Wahrheit sollte Sie nicht erbittern, Herr Bürgermeister! Schließlich noch die Anzeige, daß ich meine Klage, welche Sie abweisen, vor das Amt bringen werde.«

Noch an demselben Tage fuhr Schröter nach der Stadt. Stirnrunzelnd empfing der Amtmann den Häuptling der Schwarzen.

»Das ist Sache der Ortspolizei und nicht Ihre Sache,« entschied der Bureaukrat. »Ueberhaupt sind Sie übel angeschrieben. Sie sind ein Wühler gegen die Regierung. Nehmen Sie sich in Acht!«

»Ihre Beschuldigung weise ich zurück,« sprach stolz der Landwirth. »Ich kämpfe für meine religiöse Ueberzeugung, für meine Kinder, für mein Recht. Weigern Sie sich, den Ortsgeistlichen zu schützen gegen öffentliche Insulte, so bestärken Sie nur meine Anschauung von den traurigen Zuständen in Baden.«

Der Amtmann maß den Freimüthigen mit zornigen Blicken.

»Gehen Sie!« befahl er in jenem eigentümlichen Tone bureaukratischer Selbstherrlichkeit, – und weiter las er in hochgethürmten Papiermassen.

Unverweilt erfuhren die Rothen Schröters Abweisung. Den Geistlichen sahen sie schutzlos, und noch frecher wurden die Beschimpfungen gegen das duldende Herrchen.


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