Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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10. September.

Ich war diesen Sommer zuerst drei Wochen mit Kosmos in Ilsenburg, das heißt, ich wohnte für mich und schrieb mich als Frau Gotteball aus Hamburg ins Fremdenbuch. Das war mir schon Ludwigs wegen lieb, das gute Tier ist so dämlich verliebt und so arg eifersüchtig. Er besuchte mich immer Sonntags und richtete es so ein, daß er Samstag abend kam und Sonntag abend nach Harzburg, wo er mit seiner Frau wohnte, zurückfuhr. Um dieselbe Zeit war Kosmos in Hannover. Im Brockenhotel trafen wir einmal mit Ludwig und seiner Frau, die ich bei dieser Gelegenheit zum erstenmal sah, zusammen. Ein kleines, schmächtiges, zartes Weibchen, offenbar hochgradig bleichsüchtig, schmalbrüstig und blaß. Sie saßen 127 mir an der Table d'hote gegenüber und ich mußte sie immerfort ansehen. Sie tat mir leid, ich weiß eigentlich nicht, weshalb, denn unter mir hat sie nichts zu leiden. Ludwig ist ein viel zu taktvoller, feinfühliger Mensch, als daß er sein Frauchen jemals den Mangel an Liebe merken lassen würde. Ach, lieber Himmel, eher hätte ich sie zu beneiden. Und die paar Tausende, die Ludwig mir opfert, wird sie, die im Überfluß lebt, und der kein Wunsch versagt bleibt, nicht gewahr. Sie hat noch Eltern, eine Heimat, und um sie herum ist nicht das widerwärtige Gezücht der Gedankenschlangen, die sich, so lange nicht ein narkotisierender Sinnentaumel mich rettet, an mir emporringeln, mich umzingeln und umschnüren, so daß mir oft der Atem ausgeht. Ich darf nicht nachdenken. Wenn ich denke, ist es fürchterlich. Ludwig verschlang mich fast mit seinen Blicken. Nachher ging ich eine Strecke allein über das Plateau. Ringsumher standen und lagen und wanderten Gruppen von fröhlichen, schwatzenden, satten und zufriedenen Menschen. Die Luft war hell, durchsichtig und klar, warm und doch frisch, ein Sonntag, wie man sich ihn nur wünschen kann. Aber mir war wehmütig ums Herz. Ich kenne viele Menschen und viele Männer, die alle nach meiner Gunst trachten und sich diese Gunst eine Menge Geld kosten lassen, und ich bin in Wirklichkeit doch so verlassen. Ich stehe mitten in der Welt, das Leben kreist im tollen Wirbelreigen um mich herum und doch denke ich manchmal, ich wäre allein, auf einer einsamen Insel mitten im Ozean. Wie ich stillstand und in die Luft starrte, kam Ludwig plötzlich dahergerannt. Er hatte ein Sträußchen Brockenmyrte, die nur an besonderen Stellen zu finden sein soll, gepflückt, und brachte es mir. Ich teilte das Sträußchen und gab ihm die Hälfte für seine Frau zurück.

»Die wird sich auch freuen, wenn sie sieht, daß du für sie gesucht hast,« sagte ich, »ich habe mir übrigens 128 nicht gedacht, daß du ein so niedliches Frauchen hast, Ludwig.«

»Sie ist nicht die Spur hübsch,« sagte er, »dabei ist sie launenhaft und verzogen und gräßlich eigensinnig.«

»Sie ist noch sehr jung, Ludwig,« sagte ich.

»Nicht jünger als du auch, Thymian.«

»Ja, sie ist jünger, viel jünger,« sagte ich, »sie ist noch ein Kind an Gemüt und Erfahrung, das sieht man ihr an. Aus solcher Frau kann ein Mann machen, was er will. Wenn sie nach zehn Jahren ein zänkisches, verbittertes, kleinliches, häßliches Weib ist, hast du es aus ihr gemacht. Aber wenn sie dann eine hübsche, liebenswürdige, anmutige, freundliche Frau ist, wird das auch dein Werk sein, Ludwig. Ein Mann soll seine Frau glücklich machen. Das ist gewiß nicht immer leicht. Aber Frauen, wie die deine, sind leicht zu beglücken. Ihnen soll nur die bestimmte Überzeugung, daß sie geliebt werden, beigebracht werden . . .«

»Du sprichst wie ein Buch, Thymian,« sagte Ludwig, »aber wie kann man seiner Frau eine Überzeugung beibringen, die auf einem Irrtum, ja auf einer Lüge beruht?! Ich liebe nur eine Frau! – – Dich, Thymian!«

»Eine fromme Lüge ist keine Sünde, Ludwig,« sagte ich; »wenn nicht anders, kannst du sie immer lieben als ein Kind, das dir anvertraut wurde. Sei lieb zu ihr! Wenn du es sie jemals fühlen ließest, daß du eine andere mehr liebst als sie, und ich erführe es, wären wir geschiedene Leute.«

Er küßte meine Hand und erwiderte nichts darauf. Aber anderen Tags schrieb er mir einen stürmischen Liebesbrief und beschwor mich, mit ihm auf einige Wochen nach Ostende zu gehen, seine Frau reist mit ihren Eltern nach Franzensbad. Ich hatte keinen Grund abzulehnen.

Anfang August reisten wir ab und kamen vorige 129 Woche wieder. Es war eine hübsche Zeit. Eigentlich ist es sonderbar, was ein Mensch aus dem anderen machen kann, und welchen intensiven Einfluß die ausgeprägten Wesenszüge und Charaktereigenheiten eines Individuums auf ein anderes, das mit ihm in stetem und engem Kontakt steht, ausübt. Ich hätte hinter Ludwigs Rücken mehrere sehr vornehme und interessante Bekanntschaften machen können, aber ich brachte es schlechterdings nicht fertig, Ludwig zu betrügen. Wenn Ludwig ein egoistischer, auf Hausmannsart aus Gut und Böse gemischter Mensch wäre, wie die meisten, oder wenn ich überzeugt wäre, daß ihn nur eine rein sinnliche Lust zu mir hinzieht, hätte ich mir wahrlich nichts darüber einfallen lassen, heimlich meinen Schnitt zu machen. Er ist aber so gut, so selbstlos, daß es eine wirkliche Gemeinheit gewesen wäre, diesen arglosen, vertrauensseligen Menschen gerade dort zu betrügen. Und – – Gott sei Dank – – gemein bin ich nicht. Was ich mit mir anfange, und wie ich mein Leben einrichte, geht keinen Menschen was an; aber eine gemeine Handlungsweise kann mir bis jetzt noch niemand nachsagen. Nach meiner Ansicht wäre das Leben vollkommener und den höchsten Zielen der Ethik näher gerückt, wenn die Menschen einander nicht so viel Gesetze vorschrieben und einander nicht immer maßregelnd und unduldsam gegenseitig in ihre Sachen und Angelegenheiten hineinguckten und -redeten. Es soll sich doch jeder seinen Lebensgarten anlegen und bestellen, wie er Lust hat. Ob mein Nächster sich in seinem Reich nun eine Plantage nützlicher Küchenkräuter und Gemüse anlegt, oder ob er Rosen darin baut, oder ob es ihm Vergnügen macht, sich Giftblumen zu ziehen und sich an ihren Düften zu betäuben, das kann mir doch Gottlieb Schulze sein, solange er mir nicht zu nahe kommt. Wenn er nur hübsch in seinem Bereich bleibt, mir keine Gemüse stiehlt, keine Rosen maust, wenn der 130 Duft seiner Giftblumen mich nicht belästigt, wenn er nicht über den Zaun steigt und vandalisch meine Anlagen ruiniert, soll mir doch gleich sein, was er macht. Gemein ist man nach meiner Meinung nur, wenn man durch seine Handlungsweise einen andern absichtlich oder gar mit Freude verletzt und zu schaden sucht; oder wenn man ein dargebrachtes Vertrauen gröblich täuscht oder mißbraucht.

Ludwigs anhimmelnde Liebe wirkt hypnotisierend, ein eigenes Fluidum geht von ihm aus und wirkt in mir nach. Ich liebe ihn nicht mit der richtigen Weibesliebe – einer solchen bin ich, glaube ich, überhaupt nicht fähig. Eher möchte ich behaupten, daß eine Art mütterlicher Zärtlichkeit mich zu dem zehn Jahre älteren Mann hinzieht. Seine Güte und seine Liebe ziehen wie ein warmer, reiner Luftstrom durch meine arme, müde Seele, und lösen das Gute und Unberührte darin aus, aber gerade darum fühle ich, daß in dem Verkehr mit Ludwig eine Gefahr für mich liegt, die ich nicht unterschätzen darf, denn wenn ich plötzlich anfinge, mit anderen Augen als bisher ins Leben zu sehen, wäre es aus mit mir und ich könnte mich nur davon machen. Deshalb bin ich recht zufrieden, daß ich nun wieder hier bin und Hamburger Luft atme. Ich schlage drei Kreuze über die »guten Geister« und jage sie hinaus.

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