Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Vierundsiebenzigste Erzählung.

Fiesole war einst eine alte berühmte Stadt, obgleich es jetzt ganz heruntergekommen ist; inzwischen hat es doch nie aufgehört, ein bischöflicher Sitz zu sein, und ist es auch noch jetzt. Nahe bei der Stiftskirche daselbst hatte eine adelige Witwe, namens Madonna Picarda, ein Gütchen mit einem kleinen Wohnhause, wo sie sich, weil sie nicht reich war, den größten Teil des Jahres aufhielt und ihre zwei Brüder, ein paar sehr artige, wohlerzogene Leute, bei sich hatte. Da sie sich nun immer zur Stiftskirche zu halten pflegte, so fügte es sich, weil sie noch sehr jung, schön und liebenswürdig war, daß der Propst an dieser Kirche sich bis über die Ohren in sie verliebte. Nach einiger Zeit war er so dreist, ihr seine Wünsche selbst zu erkennen zu geben und sie zu bitten, sich seine Liebe gefallen zu lassen und ihm ihre Gegenliebe zu schenken. Er war schon ein ältlicher Mann, aber am Verstande noch sehr grün; dabei sehr stolz und vermessen, und bildete sich nicht wenig ein auf seine Sitten und Manieren, obwohl er der abgeschmackteste Mensch von der Welt und so widerlich und unausstehlich war, daß ihn niemand leiden konnte; am allerwenigsten diese Dame, die ihm nicht nur nicht hold war, sondern ihn ärger haßte, als das Kopfweh. Als eine vernünftige Frau gab sie ihm indessen zur Antwort. »Ehrwürdiger Herr, ich kann es mir recht gern gefallen lassen, daß Ihr mich liebt, und ich bin schuldig, Euch wieder zu lieben, und will Euch auch gerne lieben; aber Eure Liebe und die meinige darf nie etwas Unerlaubtes zum Endzweck haben. Ihr seid ein geistiger Vater und seid ein Priester, und Ihr geht dem Alter mit ziemlich schnellen Schritten entgegen; deswegen müßt Ihr keusch und züchtig leben. An der, anderen Seite bin ich selbst auch kein Kind mehr, daß dergleichen Liebeleien sich für mich schickten; und noch dazu bin ich eine Witwe, und Ihr wißt wohl, wie ehrbar die Witwen sich halten müssen. Nehmt mir's also nicht übel, daß ich Euch nicht auf diejenige Weise lieben oder mir Eure Liebe gefallen lassen kann, wie Ihr von mir verlangt.«

Der Propst, obwohl er für diesmal von ihr nichts weiter erlangen konnte, ließ sich dennoch durch die erste Weigerung nicht irre machen, sondern fuhr hartnäckig fort, sie mit Briefen und Botschaften zu bestürmen, und sie selbst anzusprechen, so oft sie in die Kirche kam. Da ihr nun seine Zudringlichkeit gar zu beschwerlich und verdrießlich ward, so nahm sie sich vor, ihn sich auf eine solche Art, wie er es verdiente, vom Halse zu schaffen, da sie es auf eine andere Weise nicht bewerkstelligen konnte; doch wollte sie nichts ohne vorläufige Abrede mit ihren Brüdern vornehmen. Diesen erzählte sie demnach das Benehmen des Probstes gegen sie und sagte ihnen zugleich, was sie willens wäre zu thun. Wie sie damit zufrieden waren, ging sie nach einigen Tagen in die Kirche, wie sie gewohnt war, zu thun. Sobald der Propst sie gewahr ward, kam er zu ihr und fing an, seiner Gewohnheit nach, ein sehr vertrauliches Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Sie machte ihm ein sehr freundliches Gesicht, sobald sie ihn nur kommen sah, ging mit ihm auf die Seite, und nachdem der Propst ihr einige von seinen gewöhnlichen Sachen vorgeschwatzt hatte, gab sie ihm mit einem tiefen Seufzer zur Antwort: »Ehrwürdiger Herr, ich habe oft gehört, keine Festung sei so stark, daß sie nach einer anhaltenden Belagerung sich nicht endlich ergeben müßte! und ich finde, daß dieses mir selbst begegnet ist. Ihr habt mir, bald mit Euren einnehmenden Reden, bald mit diesen, bald mit jenen Gefälligkeiten, so lange zugesetzt, daß Ihr mich endlich bewogen habt, meinen Vorsatz aufzugeben, und weil Ihr so großes Wohlgefallen an mir findet, so bin ich entschlossen, mich Euch zu ergeben.«

Fröhlich antwortete der Propst: »Madonna, ich danke Euch herzlich. Ich habe mich wahrlich nicht wenig verwundert, wie Ihr so lange gegen mich ausgehalten habt, weil mir das noch nie mit einer andern begegnet ist; vielmehr habe ich mir schon oft gesagt: wenn die Weiber Silber wären, so taugten sie nicht in die Münze, weil sie den Hammer nicht vertragen können. Doch sagt mir nun, wann können wir uns näher sprechen?«

»Liebster Herr (antwortete sie), das wann würde sich wohl finden, sobald wir nur wollen, da ich keinen Mann habe, dem ich von meinen Nächten Rechenschaft geben müßte; allein das wie weiß ich nur nicht auszumitteln.«

»Warum denn nicht? (sprach der Propst) Ich dächte in Eurem Hause.«

»Ehrwürdiger Herr (versetzte die Dame), Ihr wißt, ich habe zwei Brüder, welche junge Leute sind, und bei Tage und bei Nacht ihre Freunde zu sich kommen lassen; und unser Häuschen ist nur klein. Ich könnte Euch demnach nicht anders zu mir kommen lassen, als im Dunkeln, und Ihr müßt so stumm sein, wie ein Fisch, und keinen Laut von Euch geben. Wenn Ihr das wolltet, so könnte es angehen; denn sie bekümmern sich zwar nicht um mein Zimmer, allein das ihrige stößt so dicht daran, daß man das leiseste Wort, was gesprochen wird, hören kann.«

»Madonna (sprach der Propst), für eine Nacht, oder zwei, soll es mir darauf nicht ankommen, bis ich Anstalt treffen kann, daß wir uns mit mehr Bequemlichkeit an einem andern Ort sprechen.«

»Gut, ehrwürdiger Herr (antwortete die Dame), es steht bei Euch; aber um eins muß ich Euch noch bitten, daß Ihr die Sache geheim haltet, und daß niemand ein Wort davon erfährt.«

»Seid deswegen unbesorgt (sprach der Propst), und machet, wenn's möglich ist, daß wir noch diesen Abend zusammen kommen.«

»Ich bin's zufrieden«, sprach sie und verabredete mit ihm, wie und wann er kommen sollte; worauf sie nach Hause ging. Sie hatte eine Magd, die nicht mehr jung war und von Gesicht und Gestalt so häßlich, als man sie sich nur denken kann; denn sie hatte eine platte Nase, ein schiefes Maul, aufgeworfene Lippen, lange, schwarze und übelgepflanzte Zähne; war triefäugig und so kupferrot, als wenn sie den Sommer nicht in Fiesole, sondern am Senegal zugebracht hätte. Übrigens war sie hüftlahm und hinkte an der rechten Seite. Ihr Name war Ciuta; weil sie aber so grundhäßlich war, so ward sie von jedermann CiutazzaCiutazza (die häßliche Ciula). Die Endung azzo und azza im femin. ist bekanntlich eine von denen, welche im Italienischen einen Begriff von Häßlichkeit ausdrücken. genannt; bei all ihrer Häßlichkeit hatte sie jedoch ein wenig verliebtes Fleisch auf dem Leibe. Diese rief sie zu sich und sagte ihr: »Ciutazza, wenn Du mir diesen Abend einen Dienst leisten willst, so kannst Du Dir ein hübsches neues Hemd bei mir verdienen.«

»Ein neues Hemd? (sprach Ciutazza mit Freuden) Dafür könnt Ihr mich durch's Feuer schicken, wie viel mehr sonst wohin!«

»Gut (sprach die Dame), Du sollst diese Nacht mit einem Mann in meinem Bette schlafen und ihn liebkosen; aber hüte Dich, daß Du keinen Laut von Dir giebst, damit Dich meine Brüder nicht hören, die, wie Du weißt, dicht daneben schlafen; so sollst Du hernach das Hemd von mir bekommen.«

»Mit sechsen, wenn's darauf ankommt, lieber als mit einem«, sprach Ciutazza.

Kaum war der Abend gekommen, so kam auch der Herr Propst, laut Abrede, und die beiden jungen Herren waren auf Anstiften der Dame in ihrem Zimmer und ließen ihre Stimme hören. Der Propst schlich also im Dunkeln und in aller Stille in die Kammer der Dame und in ihr Bett, und Ciutazza, welche sie von allem unterrichtet hatte, legte sich zu ihm. Der Propst, welcher seine Geliebte bei sich im Bett zu haben glaubte, schloß die liebenswürdige Ciutazza in seine Arme und nahm in aller Stille Besitz von den Schätzen, wonach er sich längst gesehnt hatte. Wie dieses geschehen war, ging die Dame zu ihren Brüdern und bat sie, das Übrige zu veranstalten, was sie verabredet hatten. Diese gingen demnach leise aus dem Hause nach dem Markte, und der Zufall begünstigte ihre Absicht über ihre Erwartung. Denn weil der Abend schwül war, so hatte der Bischof, den sie zu sich bitten wollten, schon nach ihnen gefragt, um sich bei ihnen auf einen kühlen Trunk zu Gaste zu bitten. Er sagte ihnen sein Anliegen, sobald er sie kommen sah, ging mit ihnen nach Hause und setzte sich mit ihnen in ihrem Hofe im Kühlen nieder, wo er beim Fackellichte mit Vergnügen ihren guten Wein kostete.

Nachdem sie getrunken hatten, sagten die Jünglinge: »Messere, da Ihr so gütig gewesen seid, uns in unserer kleinen Hütte zu besuchen, wie wir Euch eben einladen wollten, so laßt es Euch auch noch gefallen, etwas zu sehen, das wir Euch zu zeigen haben.«

»Sehr gerne«, sprach der Bischof. Einer von den jungen Herren nahm hierauf die brennende Kerze in die Hand und ging in die Kammer, wo der Propst bei der Ciutazza lag, und der Bischof und die übrige Gesellschaft folgten ihm nach.

Der Propst, welcher große Eile gemacht und in kurzer Zeit mehr als eine Station zurückgelegt hatte, war darüber so müde geworden, daß er, der großen Hitze ungeachtet, in den Armen der Schönen eingeschlafen war. In dieser Lage zeigte ihn der Jüngling mit der Ciutazza im Arm dem Bischofe und der ganzen Gesellschaft, wie sie in die Kammer traten. Plötzlich erwachte der Propst, und wie er sich bei dem Fackellichte von so vielen Menschen umgeben blickte, verbarg er vor Furcht und Scham sein Gesicht unter der Decke. Der Bischof machte ihn indessen ohne Barmherzigkeit herunter und befahl ihm, den Kopf aufzuheben und zu sehen, bei wem er gelegen hätte. Wie der Propst den Betrug inne ward, grämte er sich sehr darüber und über die Schande, die er sich zugezogen hatte. Der Bischof befahl ihm, sich anzukleiden, und schickte ihn unter gehöriger Bewachung nach Hause, wo er ihm für sein Verbrechen schwere Buße auflegte. Weil er neugierig war zu wissen, wie die Ciutazza zu dem Propst in's Bett gekommen wäre, so erzählten es ihm die jungen Leuten mit allen Umständen. Darüber lobte der Bischof nicht nur die Dame, sondern auch ihre Brüder, die ihre Hände nicht mit Priesterblut besudelt, und dennoch den Propst nach Verdienst gezüchtigt hatten. Diesem legte der Bischof eine vierzigtägige Buße auf; allein Zorn und Liebe machten, daß er seine Thorheit länger als sieben Wochen beweinte: und überdies konnte er sich hernach in langer Zeit nicht auf der Straße zeigen, ohne daß die Knaben mit Fingern auf ihn wiesen und ihm nachrufen: »Da geht der, welcher bei der Ciutazza geschlafen hat.« Dies verdroß ihn so sehr, daß er fast rasend darüber werden wollte.

So schaffte die kluge Dame sich die überlästigen Bewerbungen des Probstes vom Halse, und die Ciutazza gewann dabei ein neues Hemd und einen fröhlichen Abend.

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