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Telse

Erzählung aus dem Dithmarscher Kriege


1.

Die Erde war mit Schnee bedeckt, der Himmel mit Sternen, der Mond ging unter, alle Winde waren zur Ruhe. Hernieden gab es kein Leben, aber oben war das Firmament in unendlicher Bewegung: die zahllosen Lichterchen im Dunkel schimmerten, funkelten, bebten, blitzten – und lächelten – wie Engelsaugen aus der fernen, dunklen Ewigkeit.

Bedeckt mit dem Leichentuch des Winters, umfunkelt vom Blaulicht des großen Grabgewölbes lag das Dorf Wöhrden da und ganz südlich darin das Haus des Vogtes Hans Wollersien. In dem breiten Giebel, der dem Felde zugewandt war, stand ein Fenster offen und darin ein junges Mädchen, das sich ab und zu im Fensterrahmen auf die Arme stützte, den Kopf ein wenig heraussteckte und bald nach der einen, bald nach der andern Seite sah.

Wenn eine Maid von sechzehn Sommern um Mitternacht bei klingendem Frost am offenen Fenster steht, sieht sie sicher nicht nach den Sternen; ihre Hoffnung, ihre Sehnsucht gehn nicht so sehr ins Weite, ihre Gedanken sind nicht die Karls des Großen, sondern die Emmas. Und wenn ein junges Mädchen so wartet, wartet es sicherlich auch nicht vergebens.

Fern draußen im Schnee erschien ein dunkler Fleck, der immer größer wurde und immer näher kam – es war Reimer aus Wimerstedt, ein junger, schmucker Dithmarscher, unter seinesgleichen der erste in Tanz und Streit. Das Mädchen zog nun das Fenster langsam heran, aber hakte es nicht zu und legte sich angekleidet zu Bett. Der junge Mann kam heran, öffnete das Fenster, das nur angelegt war, und befand sich bald in der Schlafkammer seiner Geliebten.

Nehmt keinerlei Ärgernis, ihr keuschen Jungfrauen und Junggesellen! Dies ist wohl ein Stelldichein, aber kein deutsches Schäferstündchen, kein französisches tete à tete; es ist eine ganz unschuldige, durch uralte Volkssitte geheiligte Zusammenkunft zwischen zwei Verlobten, die kalten Verstandes über den bald beginnenden Haushalt, über erwartete Brautgeschenke und Einkäufe, über Einrichtung des Hauses und der Wirtschaft sprechen, darüber, wer zur Hochzeit eingeladen und wer dabei mit verschiedenen Bestellungen beehrt werden soll.

Während dieser ehrbaren Verhandlungen hörte man draußen ein Knirschen im Schnee.

»Mach den Haken ans Fenster!« flüsterte das Mädchen rasch.

Reimer erhob sich und tat wie befohlen; doch blieb er stehn, um zu entdecken, wer sich da draußen bewegte – eine große, dunkle Gestalt, die immer näher kam.

Vorsichtig zog er sich vom Fenster zurück, setzte sich wieder auf den Rand des Bettes der Braut und sagte – jedoch ohne die geringste Eifersucht:

»Wer kann das sein? Er sieht so aus, als wollte er auch fenstern.«

»Wahrscheinlich Wolf Isebrand,« antwortete sie, »vor ein paar Tagen erst sagte er mir, er würde bald eines Nachts kommen, um mich zu besuchen. Ich glaubte, es wäre nur Scherz von ihm, und antwortete ebenfalls im Scherz, daß die Nächte nun zu kalt wären und mein Fenster festgefroren.«

In diesem Augenblick wurde vorsichtig gegen das Fenster gepocht, und eine Stimme sagte: »Telse Hanstochter! Schläfst du?«

»Nein!« antwortete sie, »aber hier kommt niemand herein.«

»Ich sehe aber eine Spur, die hierher und nicht zurückführt,« versetzte er.

»Das ist meine!« nahm Reimer das Wort.

»Wessen meine?« fragte Wolf.

»Reimers' von Wimerstedt« erwiderte dieser; »ich bin zuerst gekommen, Wolf Isebrand!«

»Hm!« brummte Wolf, »das hättest du mir sagen können, kleine Telse! Das ist nicht hübsch, einen ehrlichen Kerl zum Narren zu halten und ihn um nichts durch Frost und Schnee laufen zu lassen.«

»Sei nicht böse, Wolf!« sagte das Mädchen, »ich glaubte ja, Ihr wolltet mit mir scherzen; denn die Leute sagten, Ihr wäret gut Freund mit Viben-Marie – sie wohnt ja auch nicht so weit von hier, Ihr seid also nicht vergebens unterwegs.«

»Zum Teufel auch mit Viben-Marie!« stieß Wolf heraus, »sie hat sich auch in so ein glattes Gesicht mit ein paar Flöckchen ums Kinn vergafft.« – Nun sprang Reimer wieder ans Fenster und sagte etwas heftig: »Flocken können Bart werden und ein glattes Kinn kann ebenso gut sein wie ein pockennarbiges!«

»Sch!« fiel Telse ein, »keinen Lärm, Reimer! Du mußt anständig sein – geh fort vom Fenster!«

Er gehorchte. –

»Wolf Isebrand! Ich will es Euch kurz und gut sagen: Reimer und ich sind Brautleute, und in vierzehn Tagen sollen wir Hochzeit haben.«

»Viel Glück! Viel Glück!« sagte Isebrand schroff. »Es kann aber auch sein, daß Reimer bis dahin an etwas andres zu denken hat – gute Nacht!«

»Was meint er damit?« fragte Telse.

»Man munkelt so etwas von Krieg,« versetzte Reimer, »die holsteinischen Herren wollen noch einmal ihre Ritterlanzen mit unsern Springstöcken messen.«

»Weiter nichts?« sagte die Dithmarschin. »Dann werden sie wohl nach Wurst springen, wie gewöhnlich.«

»Das glaube ich auch,« sagte der junge Bursch; »trotzdem diesmal bekommen wir vornehme Gäste – Herzog Friedrich und seinen Bruder, den König von Dänemark –«

Abermals wurde das politische Gespräch durch ein stärkeres Pochen und ein lauteres »Telse Hanstochter, schläfst du?« unterbrochen.

»Was ist das?« flüsterte Reimer. »Ich glaube, daß alle jungen Kerle in Wöhrden heute Nacht hier fenstern gekommen sind –«

»Telse!« rief es noch lauter. »Schläfst du?«

»Ja!« versetzte das schelmische Mädchen mit unterdrücktem Lächeln, und: »Es ist Carsten Holm!« flüsterte sie dem glücklichen Liebhaber zu.

»Sprichst du im Schlaf?« sagte die Stimme draußen, »dann kannst du auch im Schlaf aufstehen und mich einlassen.«

»Das mache ich nicht,« versetzte Telse, »denn ich träume jetzt grade, daß ein schlimmer, falscher, diebischer Kater draußen steht.«

»Scherz' nun nicht länger, mein Schatz!« sagte jener mit zärtlicher Stimme, »sondern mache das Fenster auf! Du weißt ja, ich meine es ehrlich.«

»Oh ja!« versetzte sie, »ebenso ehrlich, wie du es mit Annekke Delve gemeint hast, vor der du schön geredet und die du dann hast sitzen lassen – deine Ehrlichkeit kenne ich schon, Carsten Holm!«

»Danke schön, Kleinchen!« erwiderte er. »Aber sage mir unter anderm Schwatz, warum hast du mir erlaubt, dich heute Nacht zu besuchen?«

»Um dich dieser Freierei überdrüssig zu machen,« sagte sie, »und gleichzeitig deine Belästigungen loszuwerden.«

»Tausend Teufel!« rief der gefoppte Liebhaber. »Darfst du freches Mädel mich zum Narren halten.«

»Keine Schimpfworte!« fuhr Reimer auf; Telse zischte ihn zur Ruhe und wollte ihm den Mund zuhalten; aber der aufgebrachte Jüngling fuhr fort: »Wenn du dich nicht packst, werde ich mit dir Mehldieb draußen im Schnee eine Mühle drehn, daß es dir in allen Gliedern knacken soll!«

»Reimer! Reimer!« warnte das Mädchen. »Es ist der reiche Holm aus Heide; er steht in hohem Ansehen bei der ganzen Bürgerschaft, sein Wort wiegt wie Gold.«

»Aha!« rief Holm, »hängt das so zusammen? Der, der zuerst zur Mühle kommt, darf zuerst mahlen; das ist recht und billig. Wer ist es übrigens, wenn ich fragen darf, der so freundlich zu mir spricht? Die Stimme scheint mir Reimers aus Wimerstedt zu gleichen.«

»Richtig!« erwiderte dieser. »Und hier sind zwei Fäuste, die ihm auch angehören; hast du Lust, sie zu versuchen, so warte ein wenig!«

»Ein andermal, guter Freund!« versetzte der Müller; »spar deine Fäuste für später; wir können bald alle verfügbaren nötig haben. Und du da drinnen, die so ängstlich vor Männern ist, übereile dich nicht, dein Brautkleid zu nähen! Du könntest vielleicht an etwas andres zu denken haben – gute Nacht! Schlaft wohl, alle beide!«

Mit diesen spottenden Worten ging der andre enttäuschte Freier lachend fort.

»Wütend wurde er,« sagte Telse, »aber ich wollte doch nicht haben, daß er erfahren sollte, du warst hier bei mir. Wer kann wissen, worauf er verfällt, um dir Schaden zu tun? – Du bist auch immer gleich, als ob man Feuer an Werg hält.«

»Ich blase ihm einen Marsch,« erwiderte Reimer, »die Grütztonne! Was will er mir tun!«

»Ich weiß nicht,« seufzte Telse, »aber es ahnt mir nichts Gutes.«

»Wunderliches Mädchen!« sagte Reimer. »Erst so keck und nun so verzagt! Die Furcht will ich fortküssen.«

»Nein, nein!« rief sie ernstlich. »Nicht so! – sei artig, Reimer! – so bist du früher nie gewesen – soll ich Vater rufen? – Nun, dann geh! Aus dem Fenster mit dir!«

»Gute Nacht denn!« knurrte der Jüngling und schleuderte die Hand der Braut von sich; »aber in vierzehn Tagen – Hochtit, ja Hochtit, Juchhee!«

Mit diesem Kehrreim eines dithmarscher Hochzeitsliedes sprang er ans Fenster, öffnete es, schwang sich hinaus und tanzte munter über den Schnee hin nach Haus.

Telse erhob sich aus dem Bett, ging zum Fenster und sah noch lange dem forteilenden Bräutigam nach. Noch viel länger, als sie imstande war, ihn zu sehen, hörte sie ihn bald pfeifen, bald singen:

»Juchhee! Hochtit, ja Hochtit is hyt.«

Das Fenster schließend wiederholte sie leise: »Hochtit, ja Hochtit,« und ein zärtlicher Seufzer hob die jungfräuliche Brust.

 

2.

Schloß Melbek hatte niemals so viele und vornehme Gäste beherbergt. Das war König Hans, Herr dreier Reiche; sein Bruder, Herzog Friedrich von Holstein; ihre Geschwisterkinder, die Grafen Adolph und Otto von Oldenburg, und von dänischen, holsteinischen und deutschen Rittern und Adligen über zweitausend: so daß sowohl jedes Zimmer in der weitläufigen Burg voll war, als auch in dem nahen Dorfe, wo die Einwohner bis auf Besitzer und Hausfrau den Ritterknechten, Stallknechten, Dienern und dem ganzen Troß hatten Platz machen müssen.

In allen Sälen war Getümmel und Lärm, Rufen und Sang und Becherklang, Gelächter und Wortgefecht; nur in dem größten, in dem die regierenden Herren sich befanden, ging es weniger lärmend zu; nur dort war es möglich seine eigenen Worte zu hören.

An dem einen Ende des langen, mit silbergefranster Decke belegten Eichtentischs saß der Wirt, der alte, aber noch kraftvolle und kriegslustige Henrik Rantzau, im Hochsitz am obersten Tischende der König der Drillingreiche, der soeben von einem Siege über die aufsässigen Schweden und von ihrer erzwungenen Huldigung in Stockholm hierher gekommen war, neben ihm und weiterhin der Herzog, die oldenburgischen Grafen sowie einige der vornehmsten Adligen und Anführer in dem bevorstehenden Krieg. Daß dieser das Hauptgesprächsthema bildete, läßt sich leicht denken.

Bereits mehrere Zutrunke waren erfolgt, als Herzog Friedrich sich wieder mit seinem Becher erhob, sich gegen König Hans wandte und sagte:

»Mein Herr König und Bruder! Nun trinke ich Euch Dithmarschen zu!«

Er leerte den gewaltigen Becher. Der König ergriff den seinen und sagte:

»Ich danke für den Zutrunk und trinke Euch die Hälfte zu!«

Alle standen auf und tranken auf diesen Wunsch.

Knud Gjöe, Herr auf Krenkerup und Landrichter von Lolland, war der, der zuletzt und am langsamsten trank, und indem er sich setzte, brummte er für sich selbst: »Ehe du nicht den Bären richtig getroffen hast –«

»– Sollst du auf sein Fell keine Schulden machen!« fiel sein Nebenmann Ebbe Geed etwas lauter ein, so daß ein paar der holsteinischen Herren dieses bedeutungsvolle dänische Sprichwort wohl hörten, aber nicht verstanden.

Aber der König, obwohl weiter entfernt, hörte und verstand auch die letzte Hälfte – denn Könige haben nicht allein lange Hände.

»Habt ihr Angst vor den Bären?« sagte er auf dänisch – sonst wurde das ganze Tischgespräch auf deutsch geführt.

»Nein, Euer Majestät!« erwiderte der dänische Ritter offen und aufrecht. »Aber ich denke, sich vorsehen ist besser, als das Nachsehen haben, daß kein Feind zu verachten ist und Vorsicht nicht schaden kann! Sonst könnte es leicht geschehen, daß mein Blut nicht das teuerste ist, das in kurzem fließen wird.«

»Wat segt he?« fragte Graf Otto von Oldenburg seinen Vetter, den Herzog.

»Er sagt,« erwiderte dieser spöttisch und in derselben Sprache, »es wäre am besten, dem Marschbauer zu Füßen zu fallen und den achtundvierzig Kirchspielvögten die Hände zu küssen.«

Allgemeines Gelächter beantwortete diesen Einfall des Herzogs, und Hans Ahlefeldt, der ausersehen war, den berühmten Danebrog zu führen, sagte höhnisch:

»Wer mit in die Marsch will, darf keinen Hasen auf den Hintern gebunden haben.«

»Ein Hase vor der Front kann ebenso schlimm sein,« sagte Ebbe Geed.

Die bittere Pille fiel nicht zu Boden: die Dänen und Deutschen lachten; selbst der König mußte lächeln. Aber die Holsteiner bissen sich auf die Lippen.

Vor hundert Jahren oder etwas mehr war nämlich die sonderbare Begebenheit vorgefallen, daß ein Hase ein ganzes Heer Holsteiner in die Flucht und aus Dithmarschen hinaus gejagt hatte. Beim Einrücken sprang ein solches Tier zufällig vor dem Vortrab auf. Die jagdkundigen Ritter darin erhoben das übliche Jagdgeschrei. Der Nachtrupp glaubte, die Dithmarschen gingen zum Angriff, blieb stehen und zog sich zurück. Es kam Unordnung in das ganze Heer, und der Feind, der im Hinterhalt lag, benutzte die Verwirrung, griff an und errang einen vollständigen Sieg.

Der König, der einem Wortwechsel und Uneinigkeit zwischen den beiden Nationen vorbeugen wollte, ergriff abermals den gefüllten Becher und sagte in munterem Tone zu Ahlefeldt:

»Hiermit trinke ich Euch das Meldorfer Klostergut zu!«

»Viel Glück, Herr Prior!« rief der Herzog lustig.

Die Unterhaltung nahm nun eine ganz andre Wendung. Der junge Graf von Oldenburg rief übermütig dem neugebackenen Prior zu:

»Ehrwürdiger Vater, ora pro nobis, wenn Ihr Eure erste Messe lest!«

»Und erteilt uns,« fügte der Bruder hinzu, »gnädige Absolution für unsre künftigen Sünden!«

»Absolviert Euch selbst zuerst, mein gnädiger junger Herr!« erwiderte Ahlefeldt in demselben Tone, »wenn Ihr Abt in Lunden werdet!«

»Wenn ihr Herren dann alle,« sagte der König, »Priore, Äbte und Mönche werdet, je nach dem, was soll ich dann werden?«

»Papst, mein Herr Bruder!« nahm der Herzog das Wort, »Papst in Dithmarschen.«

»Und ich,« rief Graf Otto, »will Beichtvater in einem Nonnenkloster werden.«

Dieses Scherzen würde noch weiter fortgesetzt worden sein, wenn nicht der Sohn des Wirts, der junge Breide Rantzau, mit der Botschaft in die Halle getreten wäre, daß zwei dithmarschische Gesandte sich draußen auf dem Hofe befänden und um Audienz beim Könige und Herzoge bäten.

»Gesandte!« sagte der Herzog spöttisch. »Haben Bauern auch Gesandte?«

»Wo sind sie?« fragte Graf Otto.

»Unten im Burghof,« erwiderte der junge Rantzau.

Der Graf erhob sich und ging ans Fenster.

»Ich möchte doch wissen, wie diese Marschochsen aussehen,« sagte er.

»Nun, und wie sehen sie denn aus?« fragte sein Bruder, der sitzen blieb.

»Groß, breit und wohlgemästet,« erwiderte Otto am Fenster, »schwarz wie Raben von Kopf bis Fuß. In eine gewöhnliche Tür gehen sie nicht weiter als bis zum Rahmen; denn sie haben mindestens sechs Westen und zwölf Paar Hosen an.«

»Eine gute Wintertracht,« sagte der Herzog, »fragt sie, mein lieber Rantzau, was ihr Begehren ist!«

»Das habe ich bereits getan,« sagte dieser, »aber erhielt die Antwort, sie hätten Befehl, ihr Anliegen allein vor Seiner Majestät dem König und Eurer Hoheit vorzubringen.«

»Dummdreistes Pack!« rief dieser. »Wenn sie denn wenigstens Unterwerfung zu verkünden hätten.«

»Vielleicht!« sagte der König. »Wenn mein Herr Bruder denn meint, wollen wir ihnen die Audienz nicht verweigern; zu Haus bin ich es gewohnt, mit den allergeringsten meiner Untertanen zu sprechen, wenn sie es begehren – wollen wir nicht hören, wie diese hochnäsigen Kerle ihre Worte belegen wollen?«

»Ganz wie Ihr wollt, mein Herr Bruder!« versetzte der Herzog. »Aber ich weiß vorher; wir bekommen nur Dummheiten und grobe Worte zu hören. Doch kann dieser Auftritt vielleicht unsre Gäste belustigen, soweit sie nicht früher die Ehre gehabt haben, in Gesellschaft mit unsern aufgeblasenen Bauern aus der Marsch zu sein – wollt Ihr sie heraufführen, Herr Graf!«

Breide Rantzau ging und kam bald mit den beiden Abgesandten zurück, die mit ihren breitrandigen Hüten in den Händen ehrerbietig, doch ohne Furcht und Verlegenheit sich vor die Tür stellten.

Der Herzog, der mit dem Rücken gegen sie saß, drehte das Gesicht halb herum und sprach über die Achsel:

»Haben die Dithmarscher Herren unsern Fehdebrief erhalten und was antworten sie darauf? Sind sie immer noch hartnäckig oder hat sich ihr Sinn gewandelt und haben sie Euch mit Abbitte und Bitte um Gnade abgesandt?«

Der älteste der Abgesandten, ein großer und kräftiger Mann von annähernd mittleren Jahren, ergriff das Wort und erwiderte:

»Gnädiger Herr Herzog! Im Namen der achtundvierzig Vorsteher, Vögte, Geschworenen und des gemeinen Volks bitten wir Euch wie auch Seine Majestät, Euren königlichen Herrn Bruder, um Friede und Ruhe für unser Land –«

»Frieden und Ruhe!« unterbrach erregt der Herzog und warf sich auf der Seite des Stuhls herum. »Frieden und Ruhe? Das wünschen wir für uns und unsre Untertanen; aber das brecht und zerstört ihr täglich. Niemand kann unbehelligt durch euer Land reisen und niemand an euren räuberischen Küsten vorbeisegeln.«

»Zerbrochene Töpfe gibt es überall, Herr Herzog!« erwiderte der Dithmarsche. »Das kann schon vorkommen, und wir wollen nicht leugnen, daß hie und da Unordnung vorgefallen ist –«

»So!« fiel der Herzog ein. »Und wann ist solche Unordnung – wie ihr Raub und Mord zu nennen beliebt – wann ist sie von euren weisen und gerechten Vögten, Vorständen und Geschworenen bemerkt worden? Sagt mir: wann ist es zum letzten Mal vorgekommen, daß so ein Gewalttäter bestraft worden ist?«

»Gnädiger Herr!« sagte der Gesandte. »Wenn Streit und Schlägerei stattfinden, liegt die Schuld meist auf beiden Seiten. Aber bei unsern Nachbarn gilt die Sitte, daß wir die ganze Schuld tragen sollen, und zwar nicht nur allein für unsre eigenen Sünden, sondern auch für die andrer; und sobald irgendeine Untat fern oder nah bekannt wird, heißt es sofort: das hat ein Dithmarscher getan.«

»Weil es fast immer so ist!« sagte der Herzog. »Ohne Feuer kein Rauch – ihr seid streitsüchtige, grausame und treulose Leute!«

»Treulos?« wiederholte der Gesandte, und das Blut trieb ihm in sein breites Gesicht, doch er bezwang seinen Zorn.

»Ja – recht treulos,« fuhr der Herzog fort: »Nicht genug, daß ihr innerhalb eurer eigenen Grenzen plündert und mordet. Wie oft seid ihr nicht während des Friedens und der Waffenruhe feindlich über meine Grenzen und über die meines königlichen Bruders gegangen, habt geschändet und gesengt und gemordet?«

»Das ist einige seltene Male vorgekommen,« erwiderte jener, »doch von einzelnen Personen, Gemeinden oder Sippen ohne Wissen oder Willen unsrer Obrigkeit, um selbst Rache wegen empfangenen Unrechts zu nehmen, das man vergeblich bei Euren Obrigkeiten vorgebracht und angeklagt hatte.«

Der Herzog runzelte das Gesicht und wandte wieder den Rücken.

»Alter Schnickschnack! Alte Ausflüchte!« sagte er. »Ich habe euch nicht hereinkommen lassen, um mich mit euch zu zanken, sondern um zu hören, ob ihr unsre angebotenen Friedensbedingungen annehmen wollt.«

»Und sie sind weder hart noch unbillig,« nahm nun der König das Wort; »ungeachtet dieser unsrer kostspieligen Kriegsrüstungen fordern wir nur noch fünftausend Mark außer jenen fünfzehntausend, die wir in Rendsburg festgesetzt haben, und die drei Plätze zur Anlegung von Schanzen, die wir jedoch auf eigene Kosten und mit eigener Arbeit ausführen wollen.«

»Euer königliche Majestät!« sagte der andre Dithmarsche, ein jüngerer Mann mit einem düsteren und trotzigen Aussehen. »Wir erkennen keinen Oberherrn an außer Gott und keinen Schutzherrn außer dem Erzbischof in Bremen. Wir bezahlen keine Steuern; denn das hieße uns selbst als Untertanen anerkennen. Und wir lassen keine Festungen in unserm Lande anlegen; denn das hieße ja uns selbst Fesseln anlegen.«

»Was wollt ihr dann hier!« fuhr der Herzog auf.

»Frieden erbitten und anbieten!« erwiderte der ältere Gesandte.

»Frieden erbitten und anbieten,« parodierte Frederik, »und den sollt ihr auch bekommen – habt ihr nichts weiter vorzubringen, dann sind wir fertig.«

»Einen guten Rat, Eure Hoheit!« sagte der jüngere kalt.

»Ei, ei!« rief der Fürst lachend, »einen guten Rat! Räte haben wir schon genug, doch – laßt uns hören, ihr Herren!«

»Wir Dithmarschen,« sagte jener trocken, »haben von alters her unsre Freiheit verfochten und unser Land mit Gottes Hilfe und unsrer eigenen Kraft bewahrt. Für ein so altes und teures Eigentum haben wir beschlossen, bis zum letzten Mann zu kämpfen, und ehe wir uns einem menschlichen Feinde übergeben werden, wollen wir lieber uns selbst, unsre Frauen und Kinder, unsre Häuser und Felder und all unsern Besitz im Meere begraben. Hochgeborene königliche Herren, Fürsten, Grafen und Rittersleute, weshalb wollt ihr eure glorreichen Waffen gegen uns arme Bauern wenden?«

Hier flog ein kaum merkliches Lächeln über das Gesicht des Redners.

»Bei uns ist weder Ehre noch Vorteil zu holen: siegt ihr, da wird der Ruhm nicht groß sein, wenn drei große Königreiche und ein Herzogtum, die dreimal so viel aufstellen können, wie Menschen in der Marsch sind, ein Dutzend Dörfer unterwerfen, und die Beute wird in diesem Falle gering sein; denn das wenige, was wir haben, nehmen wir mit uns. Doch sollte das Glück gegen unsre Feinde sein und Gott und die heilige Jungfrau für die Bedrängten streiten –«

Er hielt inne, die buschigen Augenbrauen zogen sich hoch in die Stirn und die Augen, die bisher kaum sichtbar gewesen waren, rollten groß und stolz auf allen Anwesenden herum.

»Es ist nicht das erste Mal,« fuhr er fort, »daß die holsteinischen Herren rascher aus der Marsch gekommen sind, als sie hereinkamen, und daß weniger heimzogen, als auszogen. Es ist früher vorgekommen, daß ein regierender Herzog sein Heer und sein Leben in unsern Sümpfen gelassen hat.«

Während dieser Rede hatte fast die ganze Gesellschaft sich vom Tische erhoben und einen Halbkreis um die Gesandten gebildet. Einige betrachteten sie mit höhnischen Blicken, andre – besonders unter den jüngsten – musterten ihre Kleidung mit spöttischen Mienen.

Nur der König, die beiden dänischen Ritter Knud Gjöe und Ebbe Geed und noch ein fremder Herr waren auf ihren Plätzen verblieben. Sobald der Redner geendet und seinen guten Rat erteilt hatte, brach der lange zurückgehaltene Zorn der Zuhörer los:

»Er droht – der Bauer droht – sie trotzen – sie fordern uns heraus –« so erklangen gleichzeitig mehrere Stimmen.

»Wäre das in meinem Lande,« sagte ein deutscher Ritter, »dann würden wir diese unverschämten Tölpel sofort hängen.«

»Wächst denn in Holstein kein Hanf für solche Hälse?« sagte ein andrer.

»Man sollte diesen naseweisen Knechten die Nase abschneiden«, sagte der dritte.

Herzog Frederik drängte sich durch den Halbkreis dicht vor die Dithmarscher hin und sagte:

»Was verbietet mir, eure Dreistigkeit mit dem Tode zu bestrafen?«

»Eure eigene Ehre«, erwiderte der ältere und: »Furcht vor der Rache unsrer Landsleute«, fügte der jüngere dummdreist hinzu.

»Furcht!« rief der erbitterte Herzog; »Herr Henrik Rantzau hat doch wohl hier auf dem Hof ein Strickende, das stark genug ist, diese schweren Klumpen zu halten?«

Hier erhob sich sein königlicher Bruder und sagte: »Die Bauern haben halb recht; unsere Ehre gebietet uns, sie unbehelligt heimzusenden. Bruder Frederik, es steht uns nicht an, uns über solche Leute zu erzürnen.«

Der Herzog ging stumm zu seinem Stuhl zurück, und die übrigen folgten – einer nach dem andern – seinem Beispiel.

Der eine fremde Herr, der während alledem kein Wort gesprochen, dagegen einem mächtigen Wildschweinskopf ernst zugesprochen hatte, wie er auch während der ganzen Mahlzeit keinen weiteren Anteil an der Konversation genommen hatte, als die ausgebrachten Zutrünke zu trinken, hatte nun auch sein Tischwerk vollbracht. Er schob den Silberteller von sich, den Stuhl zurück und stand auf. Es war ein bejahrter, riesenhafter Mann – noch größer und ebenso stattlich wie der größte Dithmarsche – mit einem sonnenverbrannten, narbigen Gesicht, schwarzem krausen Haar, weißen Brauen und großen braunen Augen.

»Ist Dithmarschen mit Ketten an den Himmel gebunden,« brummte er, »da man so viele Umstände macht? Wir haben Rüstungen, ein ganzes Königreich zu sprengen; und ich mit meiner Garde nehme allein die Marsch auf mein Gewissen – Wär dy, Buer, wenn min Garde kummt!«

Er stieß ein paar hohle Töne aus, die wie Lachen klangen; aber kein Zug veränderte sich in seinem barschen Gesicht.

Der junge Dithmarsche sah ihn starr an und sagte bedeutungsvoll:

»Junker Slenitz, die Marsch hat Gräben!«

Sein älterer Begleiter sah zu ihm hin und sagte heimlich:

»Paß auf, Wolf Isebrand, und mach es so, daß wir mit heilen Gliedern heimkommen können!«

Darauf trat er ein paar Schritt vor gegen den Herzog und sagte, so daß nur er und der König es hörten:

»Ich möchte noch von mir aus ein Wort mit Euch sprechen, gnädiger Herr!«

Der Herzog erhob sich, sah ihn ein paar Sekunden forschend an und sagte: »Ihr könnt mir in das Nebenzimmer folgen.«

Hier angekommen, begann der Dithmarsche folgendermaßen:

»Hochgeborener Herr Herzog, notgezwungen und ganz gegen meinen Willen habe ich diesen zwecklosen und vermessenen Gang übernommen; aber meine halsstarrigen Landsleute eilen ihrem eigenen Untergang entgegen – das sehe ich ein und einzelne unter uns. Aber unsre Stimme vermag nichts und wir dürfen uns nicht mehr so äußern, wie wir es meinen. Mein Name ist Carsten Holm; ich bin Bürger in Heide und Müller von Profession. Durch Fleiß und Sparsamkeit habe ich mir etwas zurückgelegt, und wenn Eure Hoheit mir Sicherheit gegen Plünderung und Gewalt geloben wollt, sobald Ihr das Land einnehmt, will ich Euch die Verteidigungspläne meiner Landsleute offenbaren und Euch Weg und Art weisen, wie Ihr am leichtesten Euer Ziel erreichen könnt.«

»Wenn Ihr die Wahrheit sagt,« erwiderte der Herzog, »gelobe ich Euch in meinem eigenen und meines königlichen Bruders Namen Freiheit und Sicherheit für Euer Leben und Gut – laßt mich hören, was Ihr zu berichten habt!«

»Unsere Landsleute,« sagte nun Carsten Holm, »erwarten den Angriff auf dem üblichen Wege nach Nordhamme, den sie deshalb stark befestigt haben, und wo sie ihre größte Stärke zu versammeln beabsichtigen. Mein Rat ist daher: während Ihr einen Trupp gegen diese Stelle ziehen läßt, um Eure wahre Absicht zu verbergen, zieht Ihr mit dem Hauptheer von Wilstermarsch über Windbergen gerade auf Meldorf, wo Ihr – dafür stehe ich ein – auf keinen sonderlichen Widerstand stoßen werdet; denn die paar Söldner, die hier liegen, werden bei der ersten Salve davonlaufen. Wenn diese wichtigste Stadt des Landes in Eurem Besitz ist – wobei Ihr nicht allzu glimpflich zu Werke zu gehen braucht – wird Schrecken die übrigen ergreifen, und diese werden sich sicherlich bei der ersten Aufforderung übergeben. Sollte die kriegerische Partei trotzdem die Oberhand behalten, könnt Ihr die gesamte Streitmacht bei Heide oder Lunden erwarten. In diesem Falle braucht Ihr Euch nicht bei Nordhamme aufzuhalten, sondern könnt über Hemmingstedt gleich auf Heide ziehen. Wenn ihr dort als Sieger eintrefft, so erinnert Euch, gnädiger Herr, was Ihr mir gelobt und zugesagt habt!«

Der Herzog wiederholte sein Versprechen und führte ihn zu seinem Landsmann zurück; er stand umringt von den jungen Grafen und vielen der übrigen Herren, denen er nur mit ruhigem und unerschrockenem Blick, bisweilen mit Lächeln und bisweilen mit Achselzucken, auf alle ihre Spitzen und Spöttereien antwortete.

Der König hatte sich mit Graf Ahlefeldt und Junker Slenitz, dem Anführer der Sächsischen Garde, in ein andres Zimmer begeben, um die bevorstehenden Kriegsoperationen zu besprechen.

Beide Gesandten wurden verabschiedet und unter ausreichender Bedeckung zurück an die Grenze gesandt; nicht ohne viele Schimpfworte und Verwünschungen der holsteinischen Krieger, die bei solcher Gelegenheit nicht den Ausbruch des alten, eingewurzelten Nationalhasses zurückhalten konnten. Die Dithmarscher taten, als hörten sie nichts, und schwatzten miteinander um Wind und Wetter und andre gleichgültige Dinge.

Ebbe Geed, der die aus dreihundert jütländischen Reitern bestehende Eskorte anführte, hatte seine Not, die verbitterten und zum Teil betrunkenen Holsteiner bei Seite zu halten. Einige versuchten doch, mit kurzen Schwertern bewaffnet, zwischen den Gliedern hindurchzudringen, und als sie mit der flachen Klinge zurückgetrieben wurden, fing einer an, das alte Spottlied gegen die Dänen zu summen: »Grütz und Grütz.«

Aber Ebbe Geed hörte es und rannte mit der umgekehrten Lanze so gegen die Brust des Sängers, daß er hintenüber taumelte und den Rest des Liedes für sich behielt. Wären in diesem Augenblick nicht Breide Rantzau und mehrere holsteinische Offiziere dazugekommen, hätte dieses unbedeutende Beginnen ein blutiges Ende gefunden. Doch so erreichte man wohlbehalten die Grenze, wo die Gesandten von ihren wartenden Landsleuten empfangen wurden.

Beim Abschied reichte Wolf Isebrand dem dänischen Ritter die Hand und sagte:

»Ich danke Euch für gute Gesellschaft und ehrliches Geleit und will, um Euch meine Erkenntlichkeit zu zeigen, Euch den aufrichtigen Rat geben, diesmal von Dithmarschen fortzubleiben, wenn Ihr könnt und wollt, und ich füge den aufrichtigen Wunsch hinzu, daß wir beide einander nicht so bald wieder begegnen.«

Ebbe Geed schüttelte seine Hand, lächelte und sagte:

»Mann gegen Mann ist immer wohl begegnet.«

Darauf warf er seinen Streithengst herum und trabte mit seiner Schar nach Melbek zurück.

 

3.

Auf dem Markte in Heide, dem größten vielleicht in der ganzen Welt, war mehr als das halbe Dithmarschen versammelt. Wie verschieden aber diese Szene von jener auf dem Schlosse Melbek! – Hier die alte, dunkle, ja düstere Ritterburg mit ihren hohen Turmspitzen, ihren Mauerkränzen und Zinnen, dicken Mauern, tief eingeschnittenen Fenstern und engen Höfen, wohlbefestigt mit doppelten Gräben, doppelten Wällen – welche letztere halb über die dunkelroten Häuser aufragten – stand sie da wie ein drohendes Sinnbild von Adelsstolz und Herrenmacht – eine Festung und ein Gefängnis – umgeben von waldbedeckten Hügeln und Tälern.

Aber in ihrem Innern, welches Leben, welche Lustigkeit, welcher Staat und welche Herrlichkeit! Alle Höfe wimmelten von Kriegern in blanken Rüstungen und von Dienern in vielfarbigen Trachten, von Kriegswagen und Streithengsten, alles in eifriger, verwirrter, unaufhörlicher Bewegung. Alle Säle wimmelten von prächtiggekleideten Herren: Seidenwämser mit engen Ärmeln und Puffen an den Schultern, lange enge Seidenhosen mit dicken ausgestopften Hüften in den glänzendsten Farben, roten, gelben, grünen und blauen, dazu breitschnabelige Schuhe mit ungeheuren Schleifen, machten die Staatstrachten der damaligen Zeit aus. Ringe, Armbänder, Halsketten – alles aus Gold und in künstlerischer Arbeit – und feine Spitzenkragen vollendeten die kostbare Pracht.

Wer von da gerade nach Heide versetzt wurde, mußte sich in einem andern Weltteil glauben oder in einem andern, fernen Zeitalter. Die offen daliegende Stadt mit ihren niedrigen Häusern, ihrem weiten Markt, ihren langgestreckten, flachen und ebenen Umgebungen schienen von Frieden und Freiheit zu zeugen, von Demut, Ärmlichkeit und allen andern Tugenden eines glücklichen Zeitalters. Nur mit der Freiheit hatte es seine vollkommene Richtigkeit; das übrige vertrug manche Einschränkungen. Mit den Nachbarn, den Dänen, den Nordfriesen, den Holsteinern, befanden die Dithmarscher sich in fast ununterbrochenem Kriegszustand, bald mit einem, bald mit mehreren. Und war nach außen Frieden, stand bisweilen Gemeinde gegen Gemeinde auf, um mit dem Spieß diesen oder jenen Familienzwist auszufechten.

Mit der Demut stand es noch schlimmer: das Bewußtsein eigener Kraft und Macht, die Erinnerung an die Siege der Väter, die Niederlagen feindlicher Heere, die Demütigung fürchterlicher Feinde, erfüllte den Marschbauer mit einem Stolz, der allzu oft bis zum Übermut stieg; doch sein Stolz saß nicht in den Kleidern, er lag tiefer in seiner Brust, im Gefühl seines eigenen Menschenwertes und seiner Selbständigkeit. Nur schlicht war daher seine einförmige, einfache Volkstracht gegenüber dem bunten Glanz der hohen Herren. Lauter dunkle Gestalten wimmelten auf dem Heider Markt durcheinander, in den anstoßenden Straßen und aus der Kirche und in sie hinein, wie Bienen zur Schwarmzeit um den Korb. Die Priester sangen ihre Messen an den verschiedenen Altären, und Tausende von beiden Geschlechtern und jeden Alters strömten dazu und knieten vor dem Bilde der heiligen Jungfrau, von ihr Sieg und Beschützung des bedrohten Vaterlandes erbittend. Alle Glocken läuteten fern und nah über die ganze Marsch und riefen das Volk zu Buße und Gebet zusammen.

Auf dem Markt in Heide hielten die achtundvierzig Vorsteher Rat, umgeben von Scharen von Männern und Jünglingen. Niemals früher hatte die Freiheit sich in einer ähnlichen Gefahr befunden; niemals hatten so viele und so mächtige Feinde sich zur Bezwingung oder zum Untergang des Landes vereinigt.

Deshalb waren auch die Meinungen geteilt; viele, besonders von den jüngeren, drängten zur Verteidigung und Kampf auf Leben und Tod; aber fast ebenso viele, besonders die älteren, rieten zu Nachgiebigkeit und Frieden unter erträglichen Bedingungen. Und diese hatten auch die vorhin erwähnte Gesandtschaft durchgesetzt, obgleich jene es so eingerichtet hatten, daß der mutige und unbeugsame Wolf Isebrand dem klugen und geschmeidigen Carsten Holm zur Seite gesetzt war.

Ihre Vollmacht ging darauf aus: daß sie im äußersten Notfall dem König und dem Herzog eine Geldsumme versprechen sollten, doch nicht unter dem Namen einer Steuer oder eines Tributs, dagegen keineswegs die Anlage der beiden geforderten Schanzen bei Meldorf und Brunsbüttel zugestehen dürften; nur die dritte an der Eider könnte unter gewissen Bedingungen gestattet werden. Wie wir gehört haben, verhinderten die unbeugsame Strenge der Fürsten, Isebrands ebenso unbeugsamer Stolz und vielleicht die eigenen geheimen Pläne des zweideutigen Holm jede Unterhaltung.

Beide kamen nun zurück, und umringt von einem neugierigen und fragenden Haufen, der sich immer weiter vermehrte, doch stets nur kurzen und unklaren Bescheid erhielt, machten sie sich durch den enggeschlossenen Kreis Platz und traten vor die Verwalter des Landes.

»Krieg!« rief Isebrand, noch ehe er gefragt wurde.

»Krieg!« wiederholte die kampflustige Jugend.

»Krieg!« erscholl es nun auf dem Markte und durch alle Straßen; Frauen und Kinder sprachen dieses fürchterliche Wort zuerst mit Schmerz und Schrecken aus; aber bald mußten diese Gemütsbewegungen dem Zorn, der Erbitterung und dem blutdürstigen Haß weichen. Und die Frauen waren die, die ihre Männer zuerst zum Kampfe um Herd und Freiheit aufstachelten, ihnen Hilfe und Beistand bis zum letzten Blutstropfen gelobend, so wie ihre Mütter vor ihnen in der Vergangenheit an der Seite der Väter gekämpft hatten.

Die Abgesandten legten nun ausführlichen Bericht über ihre Sendung ab, über die Audienz bei den versammelten Herren auf dem Melbeker Schloß. Als Holm zu seinem geheimen Gespräch mit dem Herzog kam, sahen ihn viele Vorsteher mit mißtrauischen Blicken an; selbst Isebrand, der doch in seinen Plan hätte eingeweiht sein müssen, betrachtete ihn bisweilen mit zweideutigem Lächeln.

»Was war deine Absicht,« fragte gleich einer der Ältesten, »mit dieser geheimen Zusammenkunft, zu der du nicht bevollmächtigt warst?«

»Teils den Kriegsplan der Feinde auszuforschen,« versetzte Holm, »teils um sie wenn möglich in eine doppelte Falle zu locken. Ich tat so, als zweifelte ich vollständig an einem glücklichen Ausfall des Krieges auf unsrer Seite und als sei ich bereit, unsre Anschläge und Verteidigungsmittel zu verraten. Um den Herzog gläubig zu stimmen, bat ich ihn um Sicherheit für mich und mein Eigentum, wenn sie das Land in ihren Besitz bekämen. Ich merkte wohl, daß er kein großes Vertrauen in meine Berichte setzte: deshalb sagte ich ihm die Wahrheit in der Voraussetzung, daß er sie nicht glauben würde. Ich sagte ihm, daß unsre größte Stärke sich bei Nordhamme versammeln und Meldorf dadurch so gut wie sich selbst und den wenigen gedungenen Hakenschützen überlassen sein würde. Ich glaube, daß sie nun gerade das Gegenteil annehmen werden: Meldorf für stark besetzt und Nordhamme für schwächer befestigt, und deshalb an der letzteren Stelle angreifen werden. Es ist also mein Rat, daß wir hier unsre meisten Fähnchen vereinigen, dabei aber Meldorf nicht aus dem Auge verlieren.«

»Du bist ein schlauer Mann, Carsten Holm!« sagte einer der achtundvierzig, »aber zu künstlich in deinen Berechnungen. Du hast mit deinen fein ausgeklügelten Plänen nichts andres getan, als uns in unsern eigenen zu verwirren, und wir sind nun ebenso klug in bezug auf die Absichten der Feinde. Was hast du nun ausgeforscht, und kannst du nun besser als einer von uns sagen, wo er kommen wird?«

»Nicht bestimmt,« versetzte der Gesandte, »vielleicht wissen weder der König noch der Herzog in diesem Augenblick es selbst; aber wahrscheinlich ist es, daß wir sie bei Hamme erwarten können.«

»Carsten Holm hat recht!« rief ein andrer, »bei Hamme müssen wir unsre Macht versammeln.«

»Und was machen wir nun bei Meldorf?« fragte einer der ältesten Vorsteher.

»Wie Holm gesagt hat!« versetzte der vorige. »Unsre Macht ist nicht so groß, daß wir sie auf verschiedene Stellen verteilen können, wo der eine Teil vom andern abgeschnitten werden kann.«

Nach vielen Ratschlägen, Einwendungen und Widerlegungen wurde schließlich der Vorschlag des listigen Müllers angenommen, obwohl die Südmarscher stark entgegengesetzter Meinung waren.

Als diese schließlich sahen, daß sie nicht durchdringen würden, rief ein Meldorfer:

»Wenn ihr Nordmarscher euch nicht darum kümmert, wie es uns hier im Süden ergeht, und wir, um euch andre zu verteidigen, Haus und Heim, Frauen und Kinder verlassen sollen –«

»– Nehmt sie doch mit!« unterbrach ihn Carsten Holm. »Hier ist niemand, der mit Freude ein paar Smaalandsleute sich an seinen Tisch setzen läßt.«

»Sie mitnehmen?« brummte jener. »Das ist leicht gesagt: aber jetzt mitten im Winter, und so all unser Hab und Gut gegen einen Ballschlägel aufgeben? Es wäre hübscher, ihr kämt und hilft uns, unser bißchen Eigentum zu verteidigen. Ein Fähnchen oder zwei könnt ihr doch wenigstens für uns übrig haben – und komm du selbst mit, Carsten Holm, wenn du glaubst, es ist so sicher in Meldorf!«

»Wo ich meiner Heimat am meisten dienen kann,« erwiderte dieser, »da will ich am liebsten sein; doch ist es die Ansicht der Vorsteher, daß ich mit meinen Fähnchen nach Meldorf ziehen soll, will ich mich keineswegs weigern: ist die Ehre dort am geringsten, ist es die Gefahr auch.«

Und wurde dies denn schließlich beschlossen.

Der Kriegsrat wurde ein Stück von der Kirche gehalten, die auf der einen Seite des Marktes lag. Aus ihr trat nun der älteste Pfarrer, ein großes Goldkreuz vor sich her tragend.

Ehrerbietig machte die Menge Platz und öffnete ihm den Zugang zu dem Kreis der Vorsteher – alle grüßten mit tiefem Ernst und stiller Andacht.

»Die heilige Jungfrau benedeie euch, ihr Richter des Volkes!« sagte der Pfarrer und machte das Zeichen des Segens nach allen Seiten. »Welchen Rat hat der Herr euch eingegeben?«

»Unser Land zu verteidigen und für die Freiheit mit Leben und Blut zu kämpfen!« lautete die einstimmige Antwort.

»Dieser Rat kommt von Gott!« rief er; »doch vergeßt uns auch nicht, Gott zu geben, was Gottes ist! Tut dem Herrn der Heerscharen ein Gelöbnis für den Sieg, ihm, der Israel heil durch das Meer führte und ihm gebot, Pharao und seine Hunderttausende zu verschlingen. Was wollt ihr ihm geloben, wenn er die Feinde in eure Hand gibt?«

Auf diese Frage folgte eine plötzliche Stille, bis einer der Ältesten vortrat und antwortete:

»Sagt selbst, ehrwürdiger Vater, was Ihr für das Beste haltet! Und so soll es denn sein.«

»Unser Land,« sagte der Pfarrer, »ist das einzige in der Christenheit, das noch keine Jungfrauenkloster besitzt: gelobt ein solches der heiligen Mutter Gottes zu bauen und zu weihen.«

»Das geloben wir und das schwören wir!« rief die ganze Versammlung mit erhobenen Händen.

»Unsre gesegnete Frau!« sagte der Pfarrer, indem er das Kreuz in seinen gefalteten Händen erhob, »erhöre und vollende euer Gelöbnis! Amen!«

»Und nun,« sprach er nach einer feierlichen Pause und mit verstärkter Stimme, »hier, o Dithmarschen, hier ist dein Banner! In diesem Zeichen sollst du siegen! Dieses Bild des Erlösers soll die Feinde mit Entsetzen schlagen, mit Senacheribs Entsetzen! Mit Pharaos Vernichtung! Ihre Bogensehnen sollen zerreißen, ihre Schwerter stumpf werden und vor Mattigkeit denen aus den Händen sinken, die sie tragen! Ihre Menge soll ihr eigenes Verderben sein! Sie sollen niedergetreten und zermalmt werden unter den Pferdehufen, unter den Rädern ihrer eigenen Streitwagen! Die Mächte der Tiefe sollen sich regen, die Wogen des Meeres sie verschlingen! Weinen und Heulen und gerungene Hände der Frauen und Kinder der Erschlagenen soll es geben! Der Ruf von ihrer Schande soll wie ein Blitz in alle Richtungen der Welt ausgehen, und jeder, der es vernimmt, ihm sollen beide Ohren klingen!«

Ein stürmischer Beifallsruf folgte dieser prophetischen Rede: und das Kreuz wurde mit jubelnder Freude von den Leitern des Landes in Empfang genommen.

Sobald der Lärm sich etwas gelegt hatte, gebot einer von diesen mit der Hand Stille und fragte:

»Wer soll dieses heilige Banner im Streite führen?«

»Nach alter Sitte und der Art der Vorväter,« erwiderte Carsten Holm, »muß es eine ehrbare Jungfrau sein.«

»Wohl gesprochen, mein Sohn!« sagte der Pfarrer: »Eine reine und unberührte Jungfrau soll den gesegneten Jungfrausohn vorantragen und ihr ganzes Leben der Keuschheit und dem Dienste des Herrn weihen. – Wer von euch, junge Weiber,« fügte er hinzu und sah sich auf dem Markte um, »will sich zuerst anbieten? Wenn wir auch später unter vielen werden wählen können, soll doch die erste unter gleichen Umständen den Vortritt haben.«

Niemand antwortete; dagegen zogen die jungen Mädchen sich teils zurück, teils sahen sie hin und her und flüsterten mit Nachbarn und Nachbarinnen, als hätten sie nichts gehört. Keck und beherzt waren sie wohl im allgemeinen, und mehrere von ihnen würden gern das Leben für den Geliebten geopfert haben; aber die Liebe und ihre Freuden zu opfern – das ist mehr, als was man von einem Mädchen verlangen kann. Jede hatte ja ihren Liebsten oder erwartete einen; und auf die süßeste Hoffnung des Lebens verzichten, ist schwerer, als das Leben selbst fortzugeben.

»Es wird schwer sein,« nahm Carsten Holm das Wort, »unter so vielen zu wählen, und wird Unzufriedenheit und Neid wecken, wenn man eine der andern vorzieht, die sich melden. Besser: entweder daß ein Vater selbst seine Tochter anbietet oder daß die Vorsteher und das Volk hier sich darüber einigen, wen sie durch eine solche Auszeichnung ehren wollen.«

»Das letzte ist das beste!« riefen mehrere auf einmal. »Wem kommt vornehmlich diese Ehre zu?«

»Hans Wollersien in Wöhrden,« flüsterte Holm seinem Nebenmann zu, »ist einer der ältesten und geachtetsten Männer des Landes – seine Tochter sollt ihr wählen.«

»Hans Wollersien!« riefen beide. »Was meint Ihr um Eure Tochter Telse? Wollt Ihr ihr die Ehre vergönnen?«

»Telse Hanstochter!« riefen mehrere. »Das ist wahr – laßt sie es werden.«

»Ich hab nur die eine,« sagte Hans Wollersien, »und sie ist mit Reimer aus Wimerstedt verlobt –«

»– Laßt sie sich mit dem himmlischen Bräutigam verloben!« rief der Pfarrer aus. »Das ist besser für ihre Seligkeit und eine größere Ehre für sie beide und Euer ganzes Geschlecht.«

»Gottes und des Volkes Wille geschehe!« sagte der Vater. »Doch laßt uns sie selbst fragen, ob sie will und – ob sie kann!« setzte er nachdenklich hinzu. »Ich will sie keineswegs zwingen, zumal es viele ebenso würdige wie sie gibt.«

»Es gibt nur einen denkbaren Fall,« sagte Holm mit einem boshaften Lächeln, »den wir fürs erste nicht annehmen wollen; doch darüber kann niemand besser Bescheid geben, als das Mädchen selbst.«

»Jephta,« sagte der Pfarrer, »war auch Richter über das Volk, und er schenkte dem Herrn seine einzige Tochter, ganz gewiß mit Absicht; euer Opfer wird um so lieber sein, als es freiwillig ist.«

»In des Herrn Namen denn!« sagte der alte Wollersien, »laßt uns gehen, das Mädchen zu fragen!«

Vier andre der Obersten wurden, zusammen mit zwei Pfarrern, bestimmt, ihn nach Wöhrden zu begleiten und das Kreuz zu übergeben, wofern Telse es empfangen wollte.

Carsten Holm blieb zurück, um an den weiteren Beratungen zum Besten und zur Verteidigung des Landes teilzunehmen. Diese bestanden besonders darin: Hauptleute für die verschiedenen Fähnchen zu ernennen, Kanonen zu verteilen und mit Pulver und Kugeln zu versehen sowie Leute an die Schleusen zu beordern, um diese im Notfall öffnen und die Niederungen unter Wasser setzen zu können.

Hans Wollersien und seine sechs Begleiter fanden das junge Mädchen an ihrem Webstuhl. Als sie von der Absicht ihres Kommens erfuhr, erbleichte sie und das Weberschiffchen fiel ihr aus der Hand.

»Mit meines Vaters Zustimmung,« sagte sie leise, »bin ich Reimer von Wimerstedt anverlobt.«

»Weit höheres Glück und weit höhere Ehre erwarten dich, junges Mädchen!« sagte einer der Pfarrer. »Das Banner des Landes, das heilige Kreuz, soll deinen Händen anvertraut werden. Dein Vater hat es bereits in deinem Namen gelobt und vor der feierlichen Versammlung des ganzen Volkes, daß du den dir zugedachten Ehrenposten annehmen wirst.«

»Zeige nun,« sagte der andere, »daß du deine Heimat höher liebst als eigenes unsicheres Glück und sinnliche Lust!«

Telse errötete; widerstreitende Neigungen kämpften in ihrer Brust, heftig bewegt, stieg und sank diese wie Meereswogen: die Liebe zog sie zu Reimer – die Ehre zu dem flammenden Kreuz. Noch siegte die erste.

»Ist es auch Euer Wille, Vater?« fragte sie bebend.

»Nicht mein Befehl,« erwiderte er, »aber mein Wunsch; ich glaubte, du wolltest uns zeigen, daß du eine Wollersien bist; daß du zu einem Stamme gehörst, der bisher das Vaterland und die Ehre geliebt hat über alles andre auf Erden.«

Telse senkte die tränenvollen Augen wie zu einer Absage; doch die Liebe wies ihr noch einen Ausweg.

»Reimer Vaget,« sagte sie, »hat ja unser Wort, ohne seine Zustimmung dürfen wir es nicht brechen. Ich glaube, er ist in der Kirche, um seine Fahne zu holen; ich meine, wir müssen ihn erst holen lassen, um zu hören, ob er mich von meiner Verpflichtung lösen will.«

Der Vater pflichtete diesem Vorschlag bei und Reimer wurde herbeigerufen.

Sobald er gehört hatte, wovon die Rede war, und daß die Entscheidung bei ihm allein stand, weigerte er sich zuerst bestimmt, seine Zustimmung zu geben und wies statt dessen auf mehrere junge, ehrbare Mädchen hin, von denen noch niemand wußte, daß sie verlobt wären. Man drang heftig in ihn mit einem Angriff nach dem andern vom Ehrenstandpunkt aus: hielt ihm vor, wie selbstsüchtig er seine Braut liebte, wie wenig er an ihre, an seine eigene Ehre und an das Beste des Vaterlandes dachte.

»Meinem Vaterland,« sagte er, »verdanke ich mein Blut und ich werde meine Schuld – wenn es nötig sein wird – bis zum letzten Tropfen bezahlen; doch warum soll ich vor allen andern das Liebste opfern, das ich in der Welt besitze?«

»Weil,« erwiderte der eine Pfarrer, »die Obersten des Volkes dir das ehrende Vertrauen erweisen, weil du sie nicht in ihrer Auffassung erschüttern darfst, daß kein Volksgenosse sein eigenes Glück höher schätzen kann, als das des Landes.«

»Weil,« sagte einer der Obersten, »weil der, dem wir in so jungen Jahren eine Fahne anvertraut haben, die noch niemals in feindlicher oder feiger Hand gewesen ist – weil Reimer Vaget aus dem uralten und fleckenlosen Stamme der Voigdemannen zeigen muß, daß er ein Mann und nicht ein eigensinniger, verzogener Junge ist –«

Reimer warf einen zornigen Blick auf den Redner; aber er schwieg, dessen Alter und Würde achtend.

»Weil,« sagte der andre Pfarrer, »weil es des Himmels Wille ist, dem du dich nicht ohne Vermessenheit widersetzen darfst.«

Der von allen Seiten heftig bestürmte sah sich mit finsteren, unsicheren Blicken um. Da er sie der Geliebten zuwandte, um in ihren Augen zu lesen, verbarg sie sie vor ihm und veränderte keine Miene in dem bleichen Gesicht.

»Du bedenkst dich, mein Sohn?« sagte der alte Wollersien. »Wenn aber ein andrer nach deinem Abschlag das Angebot annimmt, das zu verwerfen wir im Begriff stehen – und daran ist nicht zu zweifeln – da wisse, daß du einen unauslöschlichen Fleck auf die angestammte Ehre unsrer beider Geschlechter setzt!«

»Den Fleck,« erwiderte der Jüngling stolz, »wenn es einer ist – den werdet Ihr und ich wieder mit Feindesblut abwaschen.«

»Deine Einwände,« sagte nun einer der Landesvorsteher, Carsten Holms älterer Halbbruder, »erscheinen mir so leicht und schwach, daß ich fast versucht wäre, einen geheimen, aber auch ausreichenden Grund zu Telse Wollersiens Weigerung anzunehmen: Junge Jungfrau!« wandte er sich an sie – »Ich nenne dich so, weil ich nicht das Gegenteil andeuten möchte. Du weißt, daß nur eine reine und unberührte Maid das Banner des heiligen Kreuzes berühren darf. Widerstrebst du noch länger dem Wunsch und Begehren eines ganzen Volks, dann gibst du hierdurch zu erkennen, daß du nicht die bist, wofür wir dich ansehn.«

Eine flammende Röte färbte das schöne Gesicht der Jungfrau – die Ehre siegte. Tief gekränkt, mit stolzem und offenem Blick erhob sie sich vom Webstuhl und trat vor die Abgesandten hin.

»Nun bin ich die Eure!« sagte sie; »die himmlische Jungfrau, die meine Unschuld kennt – ihr will ich von nun ab angehören! Lebwohl, Reimer Vaget!« – hier reichte sie ihm die Hand – »das ist das letzte Mal, daß Ihr diese Hand berührt; sagt frei heraus, ob wir einander in Zucht und Ehren geliebt haben?«

Der Jüngling seufzte ein stilles Ja.

»Ich danke Euch für Eure Liebe und Treue!« fuhr sie fort. »Und sagt mir nun, ehrwürdiger Vater, den Eid vor, den ich abzulegen habe!«

Reimer ballte die Hand vor seiner Brust und ging rasch hinaus; zwei Tränen drängten sich unter den weißen Brauen des alten Wollersien hervor.

Der teure, der fürchterliche Eid wurde gesprochen; das Gelübde ewiger Keuschheit, des Verzichts auf die süßeste Freude des Lebens wurde gegeben und durch die feierlichen Zeremonien und Formen der Geistlichen besiegelt: Telse Wollersien war des Himmels geweihte Braut.

Als sie sich am Abend auf das einsame Lager streckte, vorher zum Brautbett bestimmt, das aber nun nie mehr mit dem geliebten Bräutigam geteilt werden sollte – ach, in welch ganz andern Gefühlen klopfte da das unschuldige Herz, als da es wenige Nächte vorher sich aus der Umarmung des Liebsten losgerissen hatte und unter heiteren Träumen von den Freuden der Zukunft eingeschlummert war!

Und der Jüngling, der in jener Nacht munter und mutig, pfeifend und singend von den süßen Küssen der Braut heimgetanzt war – wie still und stumm wanderte er nun über die schneebedeckten Felder. Die schönste Hoffnung des Lebens war verschwunden wie ein flüchtiger Jugendtraum – nur eins war ihm geblieben: seinen Schmerz im Blute der Feinde zu ertränken. – Wehe ihnen, wenn sie ihm begegneten, dem jungen, blutdürstigen Löwen!

 

4.

Ob nun Herzog Friedrich Carsten Holm für einen Landesverräter oder für einen Spion ansah und im letzteren Falle seine Aussagen folglich für eine Doppelfinte: soviel stand fest, die Fürsten verfolgten wirklich den von dem Dithmarscher – ungewiß ob im Ernst oder zum Schein – vorgeschlagenen Weg über Alvenstorp und Windbergen gerade nach Meldorf.

Es ging fröhlich zu, wie zum Tanz; und mit Tanz, mit Spiel und Gesang begann der Krieg. In Windbergen kamen nämlich die Vortruppen ungebeten zum Fest. In den südlicheren Ortschaften war geflüchtet, was flüchten konnte, und alle Häuser standen öde und leer; aber hier machte ein Teil der Einwohner es sich lustig bei einer Hochzeit.

Es wird erzählt, daß die Eltern des Brautpaares es verachtet hatten, des Krieges wegen das anberaumte Fest zu verschieben (obwohl sie mit den meisten andern im Ort einen Teil ihres beweglichen Eigentums mit den unerwachsenen Kindern fortgeschickt hatten): ein unglücklicher Trotz, der ihnen selbst und den wenigen Gästen, die verwegen genug der Einladung gefolgt waren, teuer zu stehen kam.

Als der Vortrupp sich in der stillen Nacht dem Orte näherte, hörte man bereits von weither die Musik. Man hielt an, lauschte, ging weiter vor, schickte Späher aus, die den Ort umgingen, und da diese sich davon überzeugt hatten, daß alle Häuser bis auf eins verlassen waren, kehrten sie zurück und erstatteten ihren Bericht, worauf der Festhof bald umringt war.

Die dummdreiste und gleichgültige Hochzeitsgesellschaft wußte von nichts, als die Tür aufsprang und Landsknechte hereinstürzten. Hier war weder an Gegenwehr noch an Flucht zu denken. Wehrlos wurden alle Männer und Knechte ermordet, nur die Spielleute wurden zunächst geschont, zusammen mit den jungen Weibern. Diese, die in wenigen Augenblicken ihre Ehemänner, Liebsten, Verwandten, Freunde niedergehauen, durchbohrt, in ihrem eigenen Blute fallen sahen, wurden von versteinerndem Schrecken ergriffen, als ob die Hölle sich durch einen Zauberschlag geöffnet und eine Legion Teufel ausgespien hätte.

Ebenso unbegreiflich wie fürchterlich war das, was vor sich ging; und zu einem noch fürchterlicheren Bewußtsein kamen sie erst, als die gemeinen Krieger, nachdem das Blutbad vollendet war und während die Toten von den Kameraden hinausgeschleppt wurden, sie ergriffen, zum Tanz auf den Boden zerrten und gleichzeitig den zitternden Musikanten befahlen, aufzuspielen. Widerstrebend, schreiend, bittend, jammernd wurden sie von den Mördern wild umhergeschwenkt. Die bebenden schnarrenden Töne der Instrumente vollführten mit dem Juchheien der Soldaten und dem Geschrei der Weiber eine wahre Höllenmusik. Die Tische wurden von andern umringt, die unter brüllendem Gesang und Gelächter die übriggebliebenen Krüge und Becher leerten.

Der würdige Anführer dieser Bluthunde, auf dessen von Natur wohlgebildetem Antlitz die Laster bereits ihr unvertilgbares Mal gedrückt hatten, hatte sich der Braut bemächtigt und wirbelte sie in wilden, wolllüstigen Schwüngen herum. Die Unglückselige, die soeben noch im süßen Rausch der Liebe an der Hand des Geliebten tanzte, jetzt Witwe und der Gewalt eines Unmenschen ausgeliefert, fühlte den Mut der Verzweiflung und die bittere Süßigkeit der Rache: sie gab dem im Blute strauchelnden Schurken einen so kräftigen Stoß vor die Brust, daß er rücklings zur Erde stürzte; und als er fiel, sprang sie hinzu, ergriff eine der fortgestellten Partisanen und jagte sie ihm tief in die Seite – seine Seele fuhr mit einem Fluche hinaus.

So rasch war es vollendet, daß sie auch noch Zeit fand, ein zweites und ein drittes Opfer zu fällen und ihren Mitschwestern zuzurufen, daß sie ihrem Beispiel folgen sollten, die Gefallenen rächen, das Leben teuer verkaufen und die Ehre retten!

Nur das letzte gelang; denn die Krieger, erbittert über den Fall des Anführers und zweier Kameraden von der Hand eines Weibes, opferten nun in Eile die, die sonst zur Schande aufgespart worden wären und danach vielleicht zu einem noch schmerzlicheren Tode.

So war das Ende des Festes und der Anfang des Krieges. Diese empörende Untat wurde vom Vortrab der Garde verübt, als Vorspiel zu dem großen Totentanz auf dem Anger von Hemmingstedt.

Diese Untiere – der Abschaum sämtlicher Völkerschläge Europas – in deren Brust der letzte Funke von Menschlichkeit längst erloschen war, verbrachten den Rest der Nacht bei Trunk und Doppeln. Deutsche, französische, spanische und italienische Gesänge des liederlichsten Inhalts wurden begleitet von Becherklang, Flüchen, dem Rollen der Würfel und dem Auftrumpfen der Spielenden auf die Tische. Und draußen den Hausgiebel entlang hatten sie die Leichen der ermordeten Weiber aufgestellt – in der Mitte die Braut mit ihrem blutbespritzten Kranz auf der todesbleichen Stirn. So fand sie das nachrückende Heer, mit dessen Avantgarde, der berüchtigten und fürchterlichen »großen Garde«, sie sich zu weiterem Schänden und Brennen vereinigten.

Es war ein stiller Wintermorgen. Der Himmel trug die Farbe der Freude und der Liebe – die Erde die der Unschuld. An dem hellblauen Gewölbe glänzten noch einige Sterne; der Mond hing bleich im Westen. Der ganze östliche Horizont war purpurrot umgürtet, geschmückt mit einer goldgestreiften Glorie, dort wo die Sonne aufgehen würde. Die Erde war mit dem neugefallenen reinen Schnee verhüllt, alle Bäume und Büsche waren weiß bekleidet.

Funkelnd, flammend stieg der König des Tages herauf; rotglänzend in seinen Strahlen bewegten sich die stahlgekleideten Kriegerreihen durch den unglücklichen Ort. Der Weg führte dicht an dem Brauthause vorbei, vor dem die Leichen der ermordeten Gäste hingeworfen in dem blutbesprengten Schnee lagen, und hinter ihnen gegen den Hausgiebel sitzend die weiblichen in ihrem zerrissenen und besudelten Feierschmuck. Spottend zog die Garde an ihnen vorüber; mit heiteren Gesängen die Dänen und die Holsteiner hinterher, ihnen kaum einen flüchtigen Blick schenkend.

Als die königlichen Brüder, nebeneinander reitend, grade an die Stelle kamen, erhob sich ein nur halbtoter und wieder erwachender Dithmarsche und stützte sich mit der Hand auf die Brust seines Nebenmannes. Geronnenes Blut hatte einen Teil seines weißen Haares zusammengeklebt und rote Striemen durchfurchten sein todesblasses Gesicht; er heftete seinen stieren und wahnsinnigen Blick auf die Ankommenden.

Ihre Pferde stutzten, blieben stehen, schnoben und schüttelten sich; und wider ihren Willen mußten die Brüder die Anrede des sterbenden Greises hören:

»Der Himmel speie euch aus, und die Erde verschlinge euch, ihr gekrönten Räuber! Was wollt ihr hier in unserm friedlichen Lande? Was haben unsere wehrlosen Weiber und unmündigen Kinder gegen euch verbrochen? Ihr Blut klebt an euren Händen; es soll eure Seele in der Hölle wie unlöschbare Gluten brennen! Vorwärts! Vorwärts! Mordet! Zerstört! Aber der Tag der Rache ist noch nicht vorbei, die Stunde der Verfluchung kommt, in der ihr vor Angst heulen und vor Entsetzen zittern sollt! Ihr werdet euch nach Flucht und Rettung umsehen; aber niemand wird euch vor der Hand der Bluträcher erretten!«

Ein Pfeil brach seine Verwünschungen ab: in die Brust getroffen, warf er die Arme hoch und fiel entseelt in den Schnee zurück. Der Zug rückte weiter.

»Ein trauriger Anblick!« seufzte der König.

»Leider!« versetzte der Herzog, »das unzertrennliche Elend des Krieges!«

»Der mißhandelte Greis,« fuhr der König fort, »diese elend ermordeten Weiber werden mir nicht leicht aus der Erinnerung schwinden – mir schien, sie saßen dort als unsre Richter auf jenen Tag! Dieser Krieg fängt traurig an, mein Bruder!«

»Kein Krieg ohne Blut!« sagte der Herzog düster.

»Aber unschuldiges Blut!« fiel der König ein – »es beginnt bereits mich zu reuen, daß wir diese Garde in unsern Dienst genommen haben – das sind keine Menschen sondern Teufel.«

»Deshalb,« antwortete der Bruder, »sind sie auch nicht zu gut als enfants perdus des Heeres; laßt sie die ersten Stöße auffangen und den Dithmarscher Bauer an ihnen seinen rasenden Mut kühlen!«

»Wenn nur ihre Grausamkeiten nicht Strafe über uns und die unsern bringen werden! Die Verwünschungen des Sterbenden klangen mir wie eine drohende Prophezeiung.«

»Ei, ei! Mein Herr Bruder!« rief der Herzog, »können die Verhöhnungen eines sinnlosen Bauern Eure Fassung stören, dann wäre es besser gewesen, wir hätten niemals den Zug in diese Räuberhöhle unternommen.«

»Bruder Frederik!« sagte der König vorwurfsvoll, »sind wir hierher gekommen, um das Land einzunehmen oder um es zu zerstören? Für das erstere brauchten wir nicht diese fremden Mordbrenner, vielleicht werden sie uns sogar die Eroberung schwerer machen; denn sie bringen die Bewohner zur Verzweiflung.«

»Lieber Herr Bruder!« versetzte der Herzog, »so weit wird es nicht kommen: wenn Meldorf genommen ist, wird sich uns das ganze Land ergeben – schlimmer wird es mit der Teilung der Beute; diese Heerbienen sind unersättlich. Doch in diesem Falle haben wir die Macht, um sie in Schranken zu halten – fünfundzwanzigtausend gegen fünftausend, wenn ihre Zahl nicht inzwischen geringer wird.«

Eine Kanonensalve unterbrach das Gespräch; es war die Garde, die den Angriff auf Meldorf begann.

Diese Stadt wurde überrumpelt, ziemlich unvorbereitet; jedenfalls hatte man nicht erwartet, von einer so großen Macht angegriffen zu werden. Deshalb war auch die Verteidigung planlos, wild, verzweifelt. Die Söldner – einhundert Mann ungefähr – da sie das ganze ungeheure Heer anrücken sahen, rieten den Einwohnern zur sofortigen Übergabe; und da diese, erbittert und sie wegen ihrer Feigheit und Verräterei ausscheltend, sie zwangen, auf den ihnen anvertrauten Posten zu bleiben, liefen sie beim ersten Kanonenschuß zum Feinde über.

Die Eingeborenen, weit entfernt, diesem Beispiel der Fremden zu folgen, wurden in ihren Entschlüssen noch halsstarriger: bis zum Äußersten zu kämpfen und nur über ihre eigenen Leichen die Anstürmenden in die Stadt eindringen zu lassen. Sie wurden auch in diesem heldenmütigen Vorsatz nicht wankend: sicher und rasch schossen sie zuerst mit den Stücken, die große Löcher in die Front der Garde rissen, danach mit Pfeilen und Wurfgeschossen und wehrten sich zuletzt mit ihren langen Spießen – der Leibwaffe der Dithmarscher – im Tore Mann gegen Mann.

Eng wurde der Weg für die Landsknechte und teuer mußte der Eingang erkauft werden. Aber soviel wurde doch durch die Selbstaufopferung der Verteidiger gewonnen, daß der größte Teil der Wehrlosen Zeit bekam, sich aus der entgegengesetzten Seite der Stadt in die Nordmarsch zu retten. Der Zurückgebliebenen harrte ein fürchterliches Schicksal.

Carsten Holm war nach der getroffenen Bestimmung mit ein paar hundert Mann in die Stadt gelegt worden. Sobald das erste Geschrei zu hören war, sammelte er seine Leute und eilte mit den Bürgern nach der Südseite der Stadt. Als sie dort angekommen waren und die lange Reihe von Fußvolk und Reitern sahen, die bis zu dem jetzt angezündeten und brennenden Windbergen reichte, rief er:

»Der Feind hat uns getäuscht; anstatt den alten Weg über Hamme zu nehmen, greift er uns hier mit seiner ganzen Stärke an; ihn außerhalb der Stadt zu halten, ist mit unsrer geringen Macht unmöglich. Das einzige, was wir ausrichten können, ist, ihn solange aufzuhalten, bis die Alten, die Weiber und die Kinder sich durch die Flucht nach Norden retten können. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es überflüssig, daß wir alle uns aufopfern; ein Teil von uns muß den Flüchtenden helfen. Wählt nun, ihr Meldorfer, was ihr selbst wollt! Ich mit den Meinen bin ebenso bereit zu bleiben wie zu geben.«

»Wir danken Euch für Eure brüderliche Freundschaft!« erwiderte der Greis, »doch soll nicht gesagt werden, daß wir Meldorfer aus unsrer eigenen Stadt geflohen sind und ihre Verteidigung andern überließen – eilt und rettet, was ihr nur vermögt!«

Da eilte Carsten Holm und seine Nordmarscher zurück in die Stadt, jagten die Zögernden aus den Häusern und halfen die kleineren Kinder tragen. Einzelne konnten ihres Alters, andre wegen Krankheit nicht von der Stelle. Manche Greise und alte Weiber wollten nicht ihren Geburtsort verlassen, und viele Frauen bewaffneten sich und eilten, ihren Männern im Kampf auf Leben und Tod zu helfen, um zu siegen oder mit ihnen zu fallen.

Die Flüchtenden teilten sich in zwei Haufen; der eine zog nach Büsum, der andre nach Hemmingstedt; die Bedeckung teilte sich gleichfalls, und Holm mit seiner Abteilung wählte den letzten Weg. Sie entkamen alle, bis auf ihn, den Anführer. Er war allerdings der letzte auf der Flucht; doch wußte niemand, wie es zuging, daß er mit einem Male verschwand, und mit noch größerer Verwunderung erfuhr man später, daß er gefangen genommen und in das eroberte Meldorf gebracht worden war.

Die Stadt wurde mit Sturm genommen: für die Garde mehr als ausreichend, ihre Grausamkeiten zu beschönigen. Alles, was Leben hatte, mußte sterben, und das Leblose verdorben und vernichtet werden; nur die Häuser wurden des strengen Winters wegen geschont. – Obwohl dies alles vom Vortrupp mit einer Geschwindigkeit verrichtet wurde, die dem Hauptheer nichts mehr übrig ließ, mußten doch die beiden hochgeborenen Brüder Zeugen eines Kriegsauftritts werden, der noch empörender war als jener in Windbergen.

Indem sie in die Stadt einritten, sahen sie durch die zerschlagenen Fenster eines Hauses, ein halberwachsenes Mädchen mit einem kleinen Kind auf dem Arm herauseilen, das sich bisher zu verbergen gewußt hatte, und dicht hinter ihm ein Landsknecht. Da sie nicht weiter entkommen konnte, wandte sie sich um und reichte das Kind wie einen Schild dem Verfolger entgegen. Das Kleine streckte lächelnd seine Händchen nach dem blanken Helm und dem wehenden Federbusch aus – da spaltete der Barbar ihm den Kopf. Der Herzog schoß das Ungeheuer nieder und rettete dadurch das Mädchen; doch weder er noch der Bruder vergaßen jemals diese herzzerreißende Szene.

Schweigend ritten sie durch das düstere Tor des Franziskanerklosters ein. Auch der Himmel war finster und nebelig; er zog einen dichten Schleier über das Elend der Erde. Es war still in der Luft, und deutlich hörte man in der Ferne das hohle Dröhnen der Nordsee – ein Vorbote des Umschlags von Wind und Wetter.

Unter den Vorbereitungen zur Einquartierung und Verpflegung des Heeres in Meldorf und den umliegenden Dörfern schritten die königlichen Brüder allein mit langsamen Schritten im großen Saale des Refektoriums auf und ab. Der König blieb mehrmals stehen und lauschte.

»Woher,« sagte er schließlich, »kommt das Getöse, das ich ganz in der Ferne höre?«

»Die Nordsee!« versetzte der Herzog.

»Es klingt mir wie der Donner der Rache,« sagte der König. »Wäre doch dieser Krieg bald zu Ende!«

»Er ist zu Ende,« fiel der Herzog ein; »wie ich hoffe, werden die Einwohner, durch diesen warnenden Anfang erschreckt, sich beeilen, sich zu unterwerfen, und deshalb wollen wir – wenn es dir paßt – hier ein paar Tage verweilen.«

Ehe er noch hierauf die Antwort erhielt, traten die jungen Grafen, Hans Ahlefeldt mit mehreren Generälen und zuletzt der Gardeanführer, Junker Slenitz, ein.

Zu diesem sagte der König kalt: »Eure Leute, Herr Junker, sind tapfer, aber grausam; sie schonen weder Weiber noch die unschuldigen Kinder.«

»Euer Majestät,« erwiderte Slenitz ebenso kalt, »wenn der Falke auf die Rehtiere losgelassen wird, macht er keinen Unterschied zwischen Bock oder Lamm. Wollen wir den einen haben, müssen wir das andre auch nehmen. Im Krieg geht es nicht anders zu – ich dachte, Euer Majestät kannte dergleichen von Schweden her.«

»Vom Kriege kenne ich etwas,« sagte König Hans; »doch nur den Krieg, der gegen bewaffnete Männer geführt wird; an Wehrlosen haben meine Soldaten nie ihren Mut gekühlt – ein General muß wissen, Kriegszucht zu halten.«

»Ich bin der Ansicht gewesen,« versetzte der Junker, »daß die große Garde, die mit Ehre so vielen Potentaten gedient hat, in Sold genommen worden ist, um Krieg zu führen und nicht um das Elend des Krieges zu beweinen. Wenn sie Eure Feinde besiegt, dürfte es wohl nicht so genau genommen werden, ob ein paar alte Weiber dabei auch blieben. Geschieht das, ist es ohne meine Schuld; ich kann nicht überall sein.«

Der König wandte sich von ihm ab, biß sich auf die Lippen und sagte zu seinem Bruder:

»Der Jäger ist nicht anders wie die Hunde – wir wollen uns mit der Jagd beeilen, daß sie alle miteinander ihren Abschied bekommen können.«

Wiederum wurde das Gespräch unterbrochen, indem Henrik Rantzau mit dem gefangenen Carsten Holm eintrat. Der Herzog sah den Gefangenen und erkannte ihn. Er winkte ihm, sie gingen in einer Ecke des Saals an die Seite – der König schloß sich ihnen an.

Holm verneigte sich tief vor beiden und sagte: »Ich beglückwünsche Euer Majestät und Eure Hoheit zu diesem siegreichen Anfang und freue mich darauf, daß mein geringer Rat gnädig aufgenommen und befolgt worden ist.«

»Ihr sollt Euch auch nicht über Undankbarkeit zu beklagen haben,« sagte Herzog Frederik. »Wenn das Land eingenommen und zur Ordnung und Ruhe gebracht worden ist, schenken wir Euch Tileburg zu ewigem Erbe und Besitz.«

Holm verneigte sich noch tiefer und fuhr fort: »Ich ließ mich vor der Stadt freiwillig gefangennehmen, um auch weiterhin mit meinen Kenntnissen über das Land und die Gesinnung seiner Einwohner von Nutzen zu sein. Und wenn Ihr so meint, will ich zu meinen Landsleuten zurückgehen, entweder um ihre Unterwerfung zu beschleunigen oder, wenn sie dazu nicht zu bekommen sind, den gnädigen Herren ihre Anschläge mitzuteilen.«

»Sehr wohl!« sagte der Herzog, »ich halte Euch für einen klugen Mann und glaube, daß Ihr uns von Herzen ergeben seid; doch nach allen den Friedensangeboten, die wir Euren stolzen Landsleuten gemacht haben, steht es uns nicht an, Euch als Gesandten oder Vermittler hinzuschicken –«

»Das ist auch durchaus nicht meine Absicht,« erwiderte Holm, »ich muß als Flüchtling kommen, als einer, der heimlich aus der Gefangenschaft entwichen ist. Jedoch für den Fall, daß die kriegerische Stimmung die Oberhand behält, daß wegen meiner friedlichen Gesinnung Verdacht gegen mich entstehen und es mir daher schwer gemacht werden könnte, hierher zurückzuentkommen: da wage ich vorläufig, möglichst baldigen Angriff auf die Nordmarsch anzuraten, und zwar über Süderhamme und Hemmingstedt und dann gerade auf Heide. Auf diesem Wege, dafür stehe ich ein, erwartet Euch kein Feind, und ich werde bestrebt sein, diese Auffassung zu bestärken.«

Hier verneigte er sich wieder, wobei er sagte: »Ich bitte mir die große Gnade aus und hoffe darauf, die hohen Majestäten in meinem Hause in Heide beherbergen zu dürfen!«

Man nickte ihm ein freundliches Ja zu, ließ ihn sich entfernen und gab den erforderlichen Befehl, seine Flucht zu fördern.

König Hans, der bei der nahen Aussicht auf das Ende des Krieges etwas heiterer gestimmt wurde, rief Henrik Rantzau und sagte zu ihm:

»Lieber, mein Bruder und ich haben erwogen, daß wir hier einige Tage verweilen wollen, um abzuwarten, welchen Eindruck diese ersten Ereignisse auf die trotzigen Marschbauern machen werden. Wir wollen jedoch bestrebt sein, den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, und zu diesem Ende möchten wir die Anwesenheit Eurer holsteinischen Damen wünschen. Der erforderliche Vorrat an Speise und Trank darf auch nicht fehlen.«

Rantzau lächelte, verneigte sich und ging. Ein paar Schwadronen erhielten Order, umzukehren und von Melbek und den umliegenden Schlössern Damen, Musikanten, Sänger, Gaukler und Hofnarren, Getränke und Speisen aller Art und in größtem Überfluß zu holen.

 

5.

Es war Sonntag, früh am Morgen. Die Glocken läuteten zum Gebet; sie klangen dumpf schwermütig in der grauen, dunsterfüllten Tauluft; es hörte sich an, als läute man zum Begräbnis – als läute man die Freiheit Dithmarschens zu Grabe.

Drei Tage lang hatte ein starker Tau das Aussehen des Landes ganz verändert: der Schnee war von Bäumen und Dächern verschwunden, von Hügeln, Deichkämmen und Acker rücken; nur in den Rinnen, in den Gräben und den Tälern der Geest lag er noch: lange, gleichmäßige weiße und schwarze Streifen bezeichneten die flache Marsch.

In Wöhrden hielten die Achtundvierzig Rat; dort hatte sich auch eine große Menge eingefunden, sowohl aus dem ganzen Lande als auch besonders aus den nächsten Kirchspielen.

Die Meinungen waren ziemlich geteilt: viele waren für Frieden, doch noch mehr für Krieg. Unter den ersteren sprach Carsten Holm am längsten und eifrigsten:

»Ich wünschte,« schloß er, »daß jeder Kriegsbegeisterte bei Meldorf dabei gewesen wäre und mit angesehen hätte, wie die Stadt in zwei kurzen Stunden sich verändert hatte! Als ich als Gefangener zurückgeführt wurde, lagen sie hingeworfen auf den Straßen, verstümmelt, tot oder sterbend, die kurz vorher noch frisch und gesund, froh und sorglos gewesen waren – wer, glaubt Ihr? Bewaffnete Männer? – sie lagen alle an den Toren der Stadt – nein, Weiber und Kinder und grauhaarige Greise. Die blutigen Landsknechte liefen hin und her, den Spieß in der einen Hand und die Beute in der andern oder sangen und tranken und machten sich hinter den zerschlagenen Fenstern zu schaffen. Überall drinnen hörte ich Heulen und Kreischen der Unglücklichen, die aus ihren Verstecken hervorgeholt, geschändet, mißhandelt, gemordet wurden und zwischen ihren ersterbenden Schreien das Gelächter der Büttel. Hier wurde eine nackte, zerrissene Frauenleiche aus der Tür geschleudert, hier ein Kind durch das Fenster – es kann bei der Zerstörung Jerusalems nicht gräßlicher zugegangen sein. Bedenkt es wohl, ihr weisen Väter des Landes, dasselbe Schicksal haben wir hier und überall zu erwarten!«

Alle Zuhörer erbleichten vor Schreck und Zorn, schnoben vor Erbitterung; doch der Landesleiter Johann Arens nahm das Wort und sagte:

»Alles, was du uns hier erzählst, muß eher zu gerechter Rache entflammen, als zu schändlicher Übergabe überreden – das Blut der Ermordeten schreit zum Himmel. Was sollten wir durch diese feige Unterwerfung gewinnen? Nur einen langsameren Tod oder eine noch schlimmere Knechtschaft. Was soll nun den einmal mit reiflicher Überlegung gefaßten Beschluß umstoßen? Was haben wir verloren? Ein paar Städte, die sich nicht verteidigen ließen – haben wir nicht den Teil des Landes in unsrer Macht, aus dem die Feinde in allen früheren Kriegen mit blutigen Stirnen abgewiesen wurden? Was haben wir verloren? Ein paar hunderte unsrer Mitstreiter – doch wir andern Tausende haben zehnfachen Haß gegen die unmenschlichen Gewalttäter gewonnen, die zu uns mit dem Schwert in der einen und der Fessel in der andern Hand kommen. Was haben wir verloren? Ein paar hundert Weiber und Kinder – aber wir haben zehnfachen Mut gewonnen, ihr unschuldiges Blut zu rächen – wir haben nichts verloren, außer bei einigen wenigen den Mut, die wenig oder nichts besessen haben.«

Carsten Holm unterbrach ihn und sagte: »Nicht immer ist der feige, der zum Frieden rät; Vorsicht ist noch keine Furcht.«

»Nicht immer!« erwiderte Arens; »ich werfe niemandem etwas vor – auch Euch nicht. Ihr müßt selbst wissen, ob es nur Vorsicht gewesen ist, die Euch veranlaßte, die Frauen zu begleiten, anstatt an der Verteidigung der Stadt teilzunehmen.«

»Hier sind genug zugegen, die mit mir waren,« sagte Holm stolz und sah sich in der Versammlung um. »Laßt sie sagen, ob ich nicht den Städtern angeboten habe, an ihre Stelle zu treten, obwohl ich den gewissen, den nutzlosen Tod vor Augen sah!«

Es wurde von mehreren Seiten bejaht.

»Ich schulde der Heimat mein Leben,« fuhr er triumphierend fort, »und werde meine Schuld ehrlich bezahlen; aber deshalb werfe ich es noch nicht blindlings hin. Wollt all ihr andern kämpfen, dann bin ich dabei; doch überlegt euch vorher, wer soll für die Wehrlosen sorgen, wenn wir gefallen sind!«

»Carsten Holm ist ein braver Mann und spricht nach verständiger Überlegung!« sagte Hans Peters, einer der Achtundvierzig: »Wäre es nicht besser, beizeiten dem Sturme nachzugeben? Die verlangte Geldsumme können wir leicht aufbringen; und die drei Schanzen – wenn der Feind erst fort und sein Heer aufgelöst ist, können wir damit schon nach unserm Gutdünken verfahren.«

»Das ist vernünftig!« riefen viele Stimmen; »Hans Peters redet nicht ins Blaue hinein.«

Johann Arens trat zwei feste Schritte vor, streckte seinen Arm aus und sagte mit erhobener Stimme:

»Kennt ihr die Stadt, die dort liegt? Ist es nicht Meldorf? Sind dort nicht vor drei Tagen eure Brüder und Schwestern ohne Schonung geschlachtet worden, jung und alt durcheinander? Ist dort nicht Menschenblut, Dithmarscherblut wie Wasser durch die Straßen geflossen? Und dennoch sprecht ihr von Frieden? Frieden! Ja, ein Frieden wie der, den das Lamm hat, wenn es geduldig zusieht, wie die Mutter geschlachtet wird und selbst darauf sich wiederkäuend niederlegt und dem Messer den Hals reicht! – Weiß Gott und die heilige Jungfrau, wer das gesehen hat, was Holm gesehen hat, er müßte ein reißender Löwe werden, wenn ihm nicht die Natur ein Hasenherz gegeben hat. Seht ihr den dunklen Fleck auf dem Meldorfer Kirchturm? Wißt ihr, was er bedeutet? – Das ist das Königsbanner, das Blutbanner, das als Siegeszeichen über dem freien Dithmarschen weht, uns zur Drohung – nun, dann lauft ihr alle, die ihr der Freiheit und des Lebens überdrüssig seid, hinüber und kniet vor diesem Danebrog, den kein Dithmarscher seit dem Siege bei Bornhöfft gesehen hat! Kniet nieder! Reicht den Hals der Axt dar! Und tröstet euch dann im Tode mit dem Gedanken: daß ihr doch nun nicht seht, wie die Landsknechte eure Frauen und Töchter schänden, eure kleinen Kinder morden – hört, hört, wie es da drüben donnert! Jetzt trinken sie einander Dithmarschen zu; sie trinken auf euren Untergang und euer Verderben – wollt ihr nicht dahin und für den Zutrunk danken?«

Hier hielt der Redner einige Augenblicke inne, während aller Blicke auf Meldorf gerichtet waren, wo Schuß auf Schuß donnerte und Rauchwirbel auf Rauchwirbel folgte, bis die ganze Stadt in Pulverdampf gehüllt war.

Noch hatte niemand auf Arens aufstachelnde Zurufe geantwortet; einige schwiegen aus Scham, andre konnten vor Zorn nur unartikulierte Töne hervorbringen, und der Rest freute sich im Stillen über eine Rede, die vollkommen ihre eigenen Gefühle ausdrückte.

Endlich nahm Wolf Isebrand den angeschlagenen Ton auf und sagte mit spöttischem Lächeln:

»Wenn wir uns denn zu unsern gnädigen Herren aufmachen sollen, dürfen wir nicht, zum Zeichen unsrer Unterwürfigkeit, diese Fahnen mitzunehmen vergessen, die unsre eitlen Väter hier in der Kirche aufgehängt haben! Laßt sie uns den Feinden zu Füßen legen, die wir so frech und vermessen den hochgeborenen Herzögen und Grafen bei Nordhamme und bei Anbroen abgenommen haben und hier – hier in demselben Wöhrden, wo man geschmolzenes Blei mit kaltem Stahl bezahlte und die vornehmen Gäste so unhöflich behandelte. Damit könnten wir am deutlichsten unsre aufrichtige Reue und Buße über die himmelschreiende Sünde unsrer Väter beweisen, Leben und Gut, Freiheit und Heimat verteidigen zu wollen.«

Wie ein eingedämmter Strom mit verstärkter Kraft aus seinem Gefängnis bricht, alles überschwemmt, mit sich reißt, so brachen nun die lange gedämpften Gefühle aus tausend mutigen, kampfbegierigen Herzen. Fast einstimmig wurde jetzt der edle Kampf für Freiheit oder Tod beschlossen, verkündet, und zwar fast einstimmig durch wilde Rufe und grausame Verwünschungen.

Beinahe wären Holm und die übrigen Friedensfreunde Opfer des ersten Ausbruchs der rasenden Kriegswut geworden; aber Arens und mehrere angesehene Wortführer nahmen sie in Schutz, indem sie darauf hinwiesen, wie notwendig jetzt Einigkeit war, daß jeder Arm kostbar war, und daß das Blutvergießen nicht bei den Landsleuten beginnen durfte.

Isebrand schwieg; es schien ihm gleichgültig zu sein, ob Holm und seine Partei dabei waren oder nicht. Nur als die Verhandlungen über das Verteidigungswerk begannen, sagte er stichelnd:

»Laßt uns Carstens Meinung hören, ob er uns nicht diesmal sagen kann, wo wir den Feind erwarten sollen.«

Mit Fassung und ohne es sich merken zu lassen, daß er den Hieb fühlte, erwiderte dieser:

»Das erste Mal hat uns der Feind zum besten gehalten; doch nun glaube ich, soviel aufgeschnappt zu haben, daß ich ihn sicher auf dem nächsten Wege von Meldorf nach Hemmingstedt erwarte.«

Johann Arens lächelte und sagte: »Ich glaube nicht, Carsten Holm ist im Raten glücklich; meistens trifft das Gegenteil von dem ein, was er vermutet: und deshalb vermute ich, daß wir die fremden Gäste entweder von Nordhamme oder von Büsum her bekommen.«

»Aber ich,« sagte Isebrand trocken,« bin nun der Meinung Holms; es ist nicht wahrscheinlich, daß er jedesmal falsch rät. Voriges Mal glaubten wir ihm und irrten uns; glauben wir ihm diesmal nicht, könnte es sein, daß wir uns auch irrten.«

»Um uns nicht ganz zu irren,« rief einer der Vorsteher, »könnten wir uns ja an allen drei Stellen befestigen. Sie liegen ja nicht so weit von einander, als daß die andern den am schwersten Angegriffenen bald zu Hilfe kommen könnten. Und teilt der Feind seine Stärke, ist es ja notwendig, daß auch wir die unsre teilen.«

Hiergegen wandten einige ein: daß Entsatz – für den Fall eines vereinigten Angriffs an einer Stelle – zu spät kommen und es denen bei Büsum unmöglich gemacht werden könnte, wenn die Schleusen geöffnet und die Marsch unter Wasser gesetzt werden würde. – Endlich nach langem Ratschlagen gewann die Ansicht die Oberhand, daß alle Zugänge zur Nordmarsch verteidigt werden sollten, doch der nach Hemmingstedt am schwächsten besetzt werden sollte, da er von Natur der stärkste war. Die Mehrzahl des Rats hielt es für ausreichend, daß hier ein Fähnchen und ein paar Kanonen aufgestellt würden.

Als dieser Beschluß gefaßt worden war, brachte ein Streiftrupp drei feindliche Späher ein. Zwei wurden von der erbitterten Menge buchstäblich zerrissen; aber es gelang Isebrand, den dritten zu retten. Und dieser bestätigte auf Befragen, daß die Feinde die Absicht hätten, dort den Angriff zu führen, wo Holm vermutete.

Obwohl die meisten glaubten, daß dies eine Kriegslist sei, bei der es auf eins herauskam, ob der Späher Mitwisser war oder nicht, bewirkte es doch soviel, daß die Besatzung auf der Hemmingstedter Straße auf vier Fähnchen vermehrt wurde oder auf ungefähr fünfhundert Mann und zwölf Kanonen. Die drei Kirchspiele Neuenkirchen, Hemmingstedt und Wöhrden gaben Mannschaft hierfür ab, und Wolf Isebrand erhielt den Oberbefehl auf seinen eigenen Wunsch; und er verlangte wiederum Carsten Holm als Mitbefehlshaber.

Hierüber wunderten sich viele; aber Isebrand erklärte kalt, daß Holm sein Begleiter in der Gesandtschaft gewesen wäre, nun wünsche er auch, ihn im Kampfe bei sich zu behalten. Er erwartete guten Beistand von seinem tiefen Verstand und seiner großen Gewandtheit. Zu diesen Äußerungen lächelte Holm – jedoch etwas gezwungen – und ein Kenner von Gesichtern würde in dem seinen Mißtrauen gegenüber Isebrands Lobrede und Unlust, den vorgeschlagenen Ehrenposten anzunehmen, gelesen haben.

Soweit war alles geordnet; doch nun entstand die Frage: welcher Teil des Verteidigungsheeres soll das heilige Banner haben – das geweihte Kreuz? Jeder von ihnen erhob Anspruch auf dieses Palladium und erklärte seinen eigenen Posten für den wichtigsten und gefährlichsten, seine Meinung mit allen möglichen Gründen, starken und schwachen, verfechtend. Die Achtundvierzig wußten keinen anderen Ausweg als zu losen.

Da trat Carsten Holm vor und erklärte trotzig: wo das Kreuz hinkäme, da wollte er auch sein; gewisse Leute hätten seinen Mut und seine Ehrlichkeit in Zweifel gezogen. Er wollte nun Gelegenheit haben, beides zu beweisen, und dafür das Dusendüwelswarf die Stelle.

Einer nach dem andern gab seinen Beifall dazu und unterstützte Holms Behauptung mit dem Zusatz, daß diese Stelle mitten in der Verteidigungslinie lag und daß, falls der Angriff auf einem der Flügel erfolgte, man sowohl das Kreuz wie seine Streiter bald an den bedrohten Punkt bringen könne.

Ein schadenfrohes Lächeln glitt über Holms dunkles Gesicht, indem er einen raschen Blick auf Isebrand und einen längeren auf Riemer warf, der bisher schweigsam und verschlossen außerhalb des Kreises gestanden und dem Gang der Verhandlungen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Plötzlich trat er unter die Ältesten und sagte: »Nun glaube auch ich, daß der Feind bei Hemmingstedt angreifen wird, und ich bitte Euch darum, daß wir Wimerstedter dabei sein dürfen!«

Auch dies wurde gutgeheißen.

In die Wöhrdener, nach dem Kriege mit Graf Geert sehr vergrößerte und reich ausgeschmückte Kirche strömte nun die ganze Versammlung. Vor dem Altar standen die Priester und segneten das betende Volk. Ihnen zunächst knieten die achtundvierzig Landesvorsteher in zwei Halbkreisen, die meisten ehrwürdig in ihren Greisenlocken, und hinter ihnen das übrige Volk, so viel davon die Kirche fassen konnte. Der Chorgesang erfüllte den zweiten Tempel, die Mauern erzitterten und die Fahnen, diese stolzen Erinnerungen an die Heldentaten der Väter wogten über den Köpfen der Betenden.

Da trat, von zwei Priestern geführt, aus der Sakristei eine verschleierte Frau in bleichgrauer, demütiger Nonnentracht – es war Telse Wollersien; hinter ihr trug ein dritter Priester das heilige Kreuz. Mitten vor dem Altar blieben sie stehen und nahmen dem Mädchen unter Psalmengesang Schleier und Nonnenmantel ab, bedeckten ihren vollen Busen mit einem gewölbten Goldharnisch, ihre Arme mit Schienen, setzten ihr einen glänzenden Helm mit hochwehenden Federn auf den Kopf und legten ihr das Kreuz in die Hände.

Wie sie so dastand in der Schönheit der Jugend, mit glänzenden Augen und flammenden Wangen, die schwarzen Locken über die schimmernde Rüstung herabfließend, glich sie einer Walküre oder einer Göttin des Krieges, die die Huldigung der Sterblichen empfängt.

Als der Gottesdienst zu Ende war und die Kirche verlassen, wurde die herrliche Schildmaid Wolf Isebrand übergeben; doch dieser übergab wiederum sie und die Führung der Fahnenwache an Reimer.

Der liebende, jedoch nicht schwachherzige Jüngling empfing mit Stolz diesen ihm von einem unglücklichen Nebenbuhler angewiesenen Ehrenposten. Und unter den Ermunterungen der älteren und den Glückwünschen der jüngeren zog nun die kleine Heldenschaar fort, die Dithmarschens dunkles Geschick in den Händen hielt.

Es war über Mittag, als sie die äußerste Spitze des Geestlandes, grade südlich von Hemmingstedt, erreichte, wo sie sich zwischen diesem Ort und Meldorf in die Marsch erstreckt. Der mit Gräben umgebene Weg von letzterem Orte in die Nordmarsch hinein geht grade auf die Geestspitze; aber in dem Abstand eines Bogenschusses biegt er westlich um sie herum und verläuft weiterhin in das Hochland.

Grade vor dieser Wegbiegung hielt Wolf Isebrand mit seinem Trupp und ließ ihn unverzüglich damit beginnen, eine Schanze aufzuwerfen. Alt und Jung, die zum Teil den Zug begleitet hatten, zum Teil aus den nächsten Orten dazu geströmt waren, nahmen eifrig an der Arbeit teil. Jeder, der imstande war, eine Hand zu rühren, half mit: Hacken, Spaten, Schaufeln und Schiebkarren kamen in Gang, und wer nichts andres machen konnte, sammelte Steine.

Isebrand war überall zugegen und leitete das Werk – einer Aufmunterung bedurfte es nicht. Noch ehe die Dunkelheit einbrach, war die Schanze fertig und mit Stücken bepflanzt, von denen sechs den graden Weg bestreichen konnten, die übrigen sechs gleichzeitig seine Krümmung beherrschen. Ein tiefer Graben erstreckte sich rings um die Befestigung und weiterhin in gehörigem Abstand noch zwei andre, ebenfalls mit einigen niedrigen Brustwehren. Ein dicker Nebel, der den ganzen Nachmittag über dem Lande gelegen hatte, hatte das Unternehmen den Augen der Feinde verborgen.

Es war Mitternacht; die Sterne glänzten matt durch den dünnen Schleier des Nebels. Das Wetter war milde und still, der Wind ruhte. Es herrschte Stille in der Luft; es war, als bedächte sich der Himmel, von welcher Seite und gegen wen er den Sturm senden sollte. Nur die ewig aufgerührte Nordsee ließ ihr hohles Brummen hören, jene warnende Stimme, die nicht vergeblich die Ohren der Marschbewohner erreicht.

Isebrand vernahm es, als er von einem Ende zum andern auf seinem frisch aufgeworfenen Wall wanderte, und sagte zu Reimer, der sich mit gebeugtem Haupt auf eine Kanone lehnte:

»Wir bekommen morgen unruhiges Wetter und nördliche Winde; will der Feind uns besuchen, wird er vielleicht waten oder schwimmen müssen. Frisch auf, Reimer! Die Nacht ist lang, und ich sehe, du hast ebenso wenig Lust zu schlafen wie ich – wir wollen uns eins singen!«

Reimer richtete sich auf und sah zurück; dort stand das Zelt, in dem Telse sich mit dem Vater und einigen weiblichen Verwandten befand.

»Hast du Angst, unsre Fahnenträgerin zu wecken?« fragte Isebrand. »Sie schläft nicht mehr als du; ich habe sie die ganze Nacht drinnen flüstern hören – sing', mein Junge, und sei munter!«

Nun sprang der Jüngling auf und setzte sich auf die Kanone; den Spieß, der neben ihm stand, haltend stimmte er ein kriegerisches Volkslied an. Wie er da sang, kamen mehrere hinzu, bildeten einen Kreis um ihn und fielen mit dem Kehrreim ein, und die Brustwehr entlang summten die geweckten Krieger, die nicht ihre Sitze verlassen wollten, die lieben, wohlbekannten Töne mit.

»Das ist Reimer!« seufzte Telse und drückte die brennende Wange gegen das Kreuz, das sie von dem Geliebten trennte; aber ihre Mitschwestern traten aus dem Zelt, um die schöne Stimme des Jünglings näher und deutlicher zu hören.

Oft vorher bei lustigen Festen, wenn die Pauken und Pfeifen während einer Pause im Tanz schwiegen, hatten sie ihn umkreist, die errötenden Mädchen, und lächelnd seinem Gesang gelauscht.

 

6.

Der siebzehnte Februar brach an – für viele tausend Leben der letzte Tag. Nach Mitternacht hatte sich der Nordwestwind erhoben und war allmählich zu starkem Sturm gestiegen, der den kalten, regenschwangeren Meernebel über das Land hin trieb.

In Meldorf war alles in Bewegung; die Häuser waren voller zechender Kriegsleute, und die, die drinnen keinen Platz fanden, schwärmten auf den Straßen umher. Gesang und Musik ertönten überall, aber besonders da, wo sonst nur Messen und Psalmengesang zu hören waren, zwischen den alten, ernsten Mauern des Klosters. Der muntere Klang der Hörner, Flöten und Geigen mischte sich mit wunderlichem Mißklang in das Brausen und Heulen des Windes draußen, wie der Schein der Lampen mit dem Tageslicht in dem großen Tanzsaal.

Da fiel der erste Kanonenschuß, daß die Fenster klirrten. Der Tanz hörte auf, die Instrumente schwiegen. Die Kavaliere dankten und führten die Damen an ihre Plätze, und in der Eile wurden zwischen manchem Paar zärtliche Händedrücke, vielsagende Blicke und zarte Worte, im Ernst wie im Scherz, gewechselt. Man ging die Vergnügungen der Nacht durch und tröstete sich für den raschen Aufbruch mit dem folgenden in Heide; ja, mancher verliebte Ritter engagierte bereits seine Herzensdame für den nächsten Abend.

Niemand trennte sich weniger gern als Ebbe Geed und die schöne Ida Rantzau; sie jedoch mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen – er mit Unruhe und seltsamen Ahnungen.

»Ich gehe,« sagte er, zum dritten Mal ihre Hand an seine Lippen führend, »einem ungewissen Kampf entgegen; diese Ungewißheit, schönes Fräulein, bindet meine Zunge.«

»Wenn Ihr nicht,« erwiderte sie scherzend, »vorher vergeßt, was Ihr mir mehr zu sagen habt, dann sehen wir uns ja bald wieder.«

»Bald?« wiederholte er seufzend, ließ ihre Hand los und griff nach seinem Fingerring, den er mit einem düsteren Blick einige Male drehte, halb abzog und wieder zurückschob! Ida sah in süßer Erwartung zu Boden.

Da donnerte der zweite Schuß. Die Liebenden fuhren auf wie aus einem Traum.

Noch ein Händedruck, ein seelenvoller Blick, ein zärtliches: »Wir sehen uns wieder!« und hinaus eilte der dänische Ritter mit all den andern, um die leichte Ballkleidung gegen die schwere Stahltracht des Waffentanzes zu vertauschen.

Im Klosterhof hielten die gesattelten Streitpferde des Königs, des Herzogs und der übrigen Anführer, ungeduldig stampfend und die schäumenden Trensen kauend; die hohen Ritter standen voll gerüstet im Vorsaal und erwarteten das dritte Signal.

Hans Ahlefeldt trat vor die königlichen Brüder hin und sagte in gleichgültigem Tone: »Unbehagliches Reisewetter nach einer durchwachten Nacht!«

»Ein Satanswetter!« erwiderte König Hans und sah aus der Tür zu dem dunklen Himmel hinauf, der bereits Regentropfen und Schneeflocken durcheinander herabschleuderte.

»Nicht schlimmer,« fiel Herzog Friedrich ein, »für uns als für die Feinde.«

»Wir haben es doch grade gegen uns,« sagte Ahlefeldt.

»Desto eifriger,« erwiderte der Herzog, »drängen unsre Leute nach Quartier.«

»Der Weg,« fuhr Ahlefeldt fort, »wird sehr morastig werden und das Geschütz unbrauchbar.«

»Dann haben wir Lanzen und Degen!« rief Frederik; »es gibt mehr als genug, euern Danebrog zu verteidigen.«

Der gekränkte Heerführer hatte eine stolze Antwort auf den Lippen, doch die Lärmkanone brüllte zum dritten und letzten Male. Alle sprangen auf ihre Pferde.

Der König brummte, indem er sich im Sattel zurecht setzte: »Einen Tag hätten wir noch warten können, Bruder Frederik! Es ist ein vermaledeites satanisches Wetter.«

»Verfluche nicht das Wetter des Herrgotts!« sagte der Herzog; »das ist unser Hochzeitstag mit der reichen Marsch – es regnet Gold herab in den Schoß der Braut.«

»Es regnet Wasser!«, rief der König aus, »das sehe ich, und nachher Blut! – Der Teufel sollte solch ein Hochzeitswetter haben!«

Er spornte seinen schnaubenden Hengst und setzte mit seinem Gefolge davon, um die aufgestellten Truppen in Augenschein zu nehmen.

An der Spitze von dreißigtausend Mann hielt auf seinem großen kohlschwarzen Roß der Anführer der Garde, der riesengroße Slenitz, vom Wirbel bis zur Sohle in Stahl gekleidet.

Er grüßte mit seinem langen Schwert, schlug das Visier auf und sagte: »Mit Erlaubnis Eurer Majestät reite ich nun voraus und bestelle warmes Abendessen und gutes Nachtlager in Heide.«

Der König nickte und erwiderte: »Kann auf kaltes Frühstück gut schmecken – adieu derweilen, Herr Junker!«

Der Junker trabte davon: das starke Pferd schnob unter seiner schweren Last. Hinter ihm rollten die Kanonen der Garde und danach die fünftausend weitberühmten, fürchterlichen Landsknechte. Ihre langen Spieße wogten über ihnen in ihrem taktmäßigen, dröhnenden Gang, den Trommeln und Pfeifen führten; die langen Reihen schlängelten sich wie ein schimmernder Strom über den langen Hügel vor Meldorfs nördlichem Tor hinab. Ihnen folgte das holsteinische Fußvolk mit seinen Stücken, und wenn jedes Fähnchen grade beim König und seinem Bruder vorbeikam, hielt es ein paar Sekunden an und grüßte auf kriegerische Weise. Danach kamen die dänischen Soldaten und hierauf die Reiterei. Vor diesen schlossen sich die hohen Brüder mit Gefolge an, Hans Ahlefeldt mit dem Danebrog an der Spitze.

Die holsteinischen Reiter machten den Nachtrab aus. Nach ihnen kam der Troß – unendliche Reihen von Munitions- und Bagagewagen, einige führten Bier, andre Wein, wieder andre waren mit Bettzeug, Decken, Tischservicen, dem König und dem Herzog und verschiedenen der holsteinischen Herren gehörig, bepackt; manche führten Speisewaren, der eine Wild, der andre Zahmes – alles bereit für den Spieß oder den Kessel.

Schließlich wurde die Karawane von Marketendern und Marketenderinnen, Spielleuten und Dirnen, Soldatenweibern und Kindern durcheinander beschlossen. Wäre das Wetter besser gewesen, wären nicht einmal die vornehmen Damen zurückgeblieben; nun mußten sie vorerst mit dem Kloster vorlieb nehmen, aus dessen Fenstern sie ihren Männern, Vätern, Brüdern, Verwandten und Freunden ein unbekümmertes Lebewohl zuwinkten.

Auf der Schanze vor dem Dusendüwelswarf hatte man die Signalschüsse in Meldorf gehört, obwohl der Wind in der Gegenrichtung stand; aber da die Luft dick von Nebel und Schnee war, wurde es unmöglich, hinüberzusehen, und ebenso unmöglich zu erraten, nach welcher Seite der Feind sich wandte. Der Sturm und das Schneetreiben nahmen beständig zu.

Isebrand sah die Kanonen nach, ließ die Zündlöcher bedecken, Pulver und Lunten vor Feuchtigkeit bewahren, und dazwischen lauschte er immer wieder und sah auf den Weg nach Meldorf hinüber.

Nach etwas über eine Stunde – vom letzten Kanonenschuß an gerechnet – rief Reimer, der unablässig auf Ausguck gestanden hatte: »Ich sehe etwas da draußen – komm und sieh auch, Wolf Isebrand!«

Dieser kam, und kurz darauf brachen beide auf einmal aus: »Da haben wir sie!«

Alle sprangen nun hinzu, um über die Brustwehr zu kommen; doch der Anführer hielt sie mit einem Ruf zurück:

»Zurück! Was wollt ihr hier? Der Feind darf nichts von uns erfahren, ehe er nicht den Rauch von unsern Kanonen sieht – zur Ordnung! Jeder Mann auf seinen Posten!«

Er sah wiederum nach Meldorf hin, und nun unterschied man deutlich eine dunkle Masse im Schnee und schwaches Waffenglitzern; und größer und länger wurde der schwarze Streifen und häufiger das Glitzern.

»Reitet nun« rief Isebrand den mit den Pferden in Bereitschaft stehenden Eilboten zu, »alles was die Pferde hergeben können, nach Heide und sagt den Achtundvierzig, daß der Feind hier kommt, daß sie uns Verstärkungen aus Lunde und Delve und den andern nördlichen Kirchspielen senden und Boten über Hals und Kopf nach Büsum schicken müssen. Wenn sie da nicht schon die Schleusen geöffnet haben, ist kein Augenblick zu verlieren! – Und ihr an den Kanonen, richtet sie grade auf den Weg; aber keiner schießt, bis ich es sage!«

Nur langsam schritt das feindliche Heer vor und fort war bereits jene Ordnung und kriegerische Haltung, in welcher es aus Meldorf abmarschiert war. Das Wetter wurde immer rauher, der Weg sumpfiger; die Vorspannpferde konnten nur mit Mühe die Kanonen schleppen. Wenn eines vorwärts zog, sank das andre zurück; hier zerbrach ein Fahrzeug und dort blieb ein Pferd entkräftet liegen – all das verursachte Aufenthalt.

Das Fußvolk, das hinterher kam, mußte mit großer Mühe und noch größerer Gereiztheit in dem Schlamm waten, den die Artillerie aufgefahren hatte. Die Glieder wankten, lösten sich auf; nicht selten wurden die äußersten in die Seitengräben gedrängt. Man fluchte, schimpfte, drückte, drängte sich. Die Offiziere waren nicht länger imstande, die ausbrechende Unordnung zu dämpfen; nur wenn der Anführer sein Pferd wandte und mit seiner Löwenstimme brüllte, folgte ein kurzes Schweigen.

So war man ein paar hundert Klafter an die Schanze herangekommen, ohne sie noch zu bemerken; denn der Schnee peitschte den Vorrückenden in die Augen, und Isebrand verhielt sich noch ganz ruhig.

Endlich bemerkte Slenitz, der ungeduldig ein Stück vorausgeritten war, den ersten Graben, der auch den Weg grade vor seiner Biegung durchschnitt. Er hielt und entdeckte nun auf einmal sowohl den zweiten Graben als auch die Schanze selbst, über deren Brustwehr die Kanonen und einzelne Köpfe hervorsahen.

Rasch eilte er zurück, ließ Halt machen und befahl den Kanonen, die Schanze zu beschießen; das Schweigen des Feindes begann ihn zu beunruhigen.

Als Isebrand sah, daß die Kanonen umgedreht und die Pferde abgespannt wurden, ließ er erst das blutige Tagewerk beginnen: drei Kugeln durchfurchten die dichtgeschlossenen Reihen der Garde. Seine derbe Anrede wurde beantwortet, doch nur mit wenig Nachdruck, da die Dithmarscher durch den dicken Wall gedeckt standen und die Garde mit geringerer Sicherheit zielte; doch fielen einige der Verteidiger des Walles.

Mehrere Salven wurden von beiden Seiten abgegeben – die der Dithmarscher mit stetig gleich mörderischer Wirkung. Das Feuer der Garde wurde dagegen immer schwächer: einige Kanonen wurden demontiert, bei andern wurde das Zündpulver naß und wollte nicht brennen. Da befahl Slenitz die Schanze zu stürmen: mit Freude wurde diese Order von diesen tapferen Kriegern vernommen, die nicht gewohnt waren, sich so wehrlos niederschießen zu lassen. Sie eilten an den unnützen Kanonen vorüber bis an den ersten Quergraben, über den sie ihre Lanzen und die zu diesem Zweck in Meldorf angefertigten Reisigbündel und Korbgeflechte legten. Mutig sprangen sie hinüber und bald füllte sich der Raum zwischen dem ersten und dem zweiten Graben.

Hier gab es ein neues Hindernis: Bündel und Geflechte sollten von hinten geholt und durch die dichtgedrängte Masse, die sich nicht einmal nach den Seiten hin ausbreiten konnte, auch hier von breiten und tiefen Gräben eingeschlossen war, geführt werden. Die Kugeln der Dithmarscher machten Riß auf Riß in diesen zusammengedrängten Haufen: er wankte, schwankte, wogte hierhin und dorthin, wie eine schilfbewachsene Insel unter widerstreitenden Winden. Die Ordnung war fort und hatte die Besonnenheit mitgenommen; die Furcht fand Eingang. Die unsicheren, oft einander widersprechenden Kommandorufe der Offiziere, das Schreien und Stöhnen der Verwundeten, der Jubel der Dithmarscher, ihr Spott, ihre Drohungen und Verwünschungen, die der Wind vernehmlich herübertrug – all das vermehrte die Unruhe und Verwirrung der vorher siegesgewohnten Krieger. Man mußte zurück und aus dieser fürchterlichen Falle heraus; die mächtige Stimme des Anführers, die noch nicht von dem Lärm und dem Sturm und dem Donnern der Geschütze übertäubt wurde, befahl die Retirade.

Unordentlich, mörderisch war diese, mehr sogar als der Vormarsch: man stürzte, drängte sich, lief zusammen, um über den Graben zu kommen; die vordersten wurden niedergetrampelt und damit selbst zur Brücke für die nachfolgenden.

Ruhig, furchtlos, von Kugeln umsaust hielt Jörgen Slenitz auf seinem großen Streithengst mitten zwischen dem umkehrenden Vortrab und dem Mittelhaufen und ordnete beide zu einem neuen und veränderten Angriff. Hoch ragte seine Riesengestalt über alle seine Krieger. Sie drängten sich um ihn wie die Wellen um eine Klippe, die unerschütterlich beim Rasen des Sturms in der Brandung des aufgerührten Meeres steht.

Auf der Brustwehr der Schanze stand Isebrand und betrachtete schweigend und lächelnd die Verwirrung im feindlichen Heer: seine Kanonen blitzten und donnerten weiter.

Da trat Reimer von Wimerstedt zu ihm und sagte: »Unsre groben Klumpen scheinen den feinen Herren da nicht zu schmecken – sie bedanken sich – sie weichen – wollen wir sie nun nicht ein Stück auf dem Wege begleiten?«

»Zu früh, Reimer, zu früh!« erwiderte Isebrand. »Warum sollen wir unsere Leute aufopfern, ehe es die Not fordert? Die Stücke geben ja noch gut Bescheid – wir wollen warten, bis das Meer uns zu Hilfe kommt – jeden Augenblick können wir unsern alten treuen Bundesgenossen erwarten.«

»Was!« rief Reimer, »wer stürmt da den Weg entlang und an der Schanze vorbei?«

Isebrand sah dorthin und sagte: »Das ist die Fahne der Tellingstedter – das ist von dem Entsatz, den sie uns aus Heide schicken; aber dieser Eifer ist nicht gut – sieh, wie die Garde sich ordnet, um sie zu empfangen!«

»Wir müssen ihnen zu Hilfe kommen!« sagte Reimer.

»Keineswegs,« erwiderte der besonnene Anführer, »Dithmarschens Rettung hängt an einem Haar; verlassen wir die Schanze und werden wir von dieser ungeheuren Menge übermannt, dann ist alles verloren.«

»Sieh!« rief Reimer, »jetzt springen sie bereits über den letzten Graben – jetzt wenden sie die Spieße – sie fällen sie – nun geht es los – laß wenigstens die Kanonen schweigen, sonst erschießen wir unsre Leute zugleich mit den Feinden.«

»Nein, auch das nicht!« erwiderte Isebrand; »aber sage ihnen nur, daß sie sie etwas höher richten – das Feuer muß anhalten und die Kugeln dürfen nicht verlorengehen.«

Reimer eilte zurück zu den Kanonen, um diesen Befehl auszurichten.

Slenitz, als er sah, daß die Tellingstedter angriffen, rief seinen Truppen zu:

»Munter, Kerls! Nun haben wir sie – sie kommen von selbst – empfangt sie, wie es der großen Garde ansteht!«

Ein heftiger Kampf begann. Zu Anfang konnten die Gardisten nicht dem stürmenden Angriff und den längeren Spießen der Dithmarscher widerstehen; aber weit zu weichen waren sie auch nicht imstande, denn der Weg war gesperrt und eine Kolonne trieb die andre vorwärts: die Unmöglichkeit zu flüchten, zwang sie, erst stehenzubleiben und dann den kleinen kühnen Haufen zurückzudrängen.

Ein Viertel dieser hundert Tellingstedter fiel und die übrigen sprangen über die umgedrehten Spieße zurück über den Graben, wo die Garde ihnen zunächst nicht zu folgen vermochte.

»Seht ihr«, sagte Isebrand zu Reimer und den vielen andern, die auf die Brustwehr getreten waren, um den Kampf anzusehen: »Heftigkeit ohne Plan! Blutvergießen ohne Nutzen! – Fort du und du nach Heide! Sage ihnen, daß der Krieg allein hier ist; denn von keiner andern Seite ist noch ein Schuß zu hören! Laßt alle Mann hierher eilen! Und fragt sie, was sie an den Schleusen machen? Wo das Meer bleibt? – Schlafen sie da bei Nordermeldorf und Büsum, dann soll alles Unglück der Welt sie schlagen!«

Zwei Dithmarscher sprangen hinab, setzten sich zu Pferde und eilten nach Heide. Ein neuer Trupp kam ihnen entgegen – es waren die Delver.

Der erfahrene General der Garde bemühte sich, das erste schwache Lächeln des Kriegsglücks zu benutzen: er ließ alle brauchbaren Kanonen auffahren und gegen die Tellingstedter richten, die unschlüssig weder vor- noch rückwärts gingen. Auch die Delver, die in der Schanze keinen Platz finden konnten, würden den feindlichen Kugeln ausgesetzt sein.

Isebrand, der die Gefahr erkannte, sandte Eilboten an seine schutzlosen Landsleute, bat sie, den Weg zu verlassen, sich nach Westen zu ziehen und von der Seite die Batterien der Garde anzugreifen, während er sie von der östlichen Seite durch Reimer mit seinen Wimerstedtern umgehen ließ – beide Haufen sollten versuchen, auf den Weg zu dringen, sich der Kanonen zu bemächtigen, sie zu vernageln oder umzustürzen. Ein gefährliches Unternehmen, das doch zum Erstaunen der ratlosen Feinde in wenigen Minuten glücklich durchgeführt wurde. Nachdem sie eine nutzlose Salve abgefeuert hatten, wurden die Artilleristen niedergestoßen, die Kanonen umgeworfen oder in die Gräben gestürzt – und all das, ehe die Landsknechte dahinter sie zu retten vermochten.

Wohl machten sie jetzt einen geordneten, mutigen Angriff und töteten dabei die Dithmarscher, die zu lange auf dem Wege verweilten; aber die andern schwangen sich behende mit ihren Spießen über die Gräben zurück und beunruhigten von den Wiesen aus ihre Feinde. Vergebens ließ Isebrand sie zurückrufen; so erbittert waren sie, so gierig auf Kampf, daß der Befehl des Anführers nichts vermochte, was bei diesem unbändigen Volk auch nicht so außergewöhnlich war.

Slenitz traf Anstalten, die Gegner zu vertreiben; er ließ Reisigbündel, Lafetten, Räder zusammenbringen – alles, was dazu dienen konnte, die Gräben auszufüllen. Und als er sich so auf beiden Seiten Übergänge geschaffen hatte, befahl er nun den doppelten Angriff unter dem Feldruf: »Wehr dich, Bauer! Jetzt kommt die Garde!«

»Hilf, Maria!« riefen die Dithmarscher und drängten an den Furten zusammen, wo hartnäckiger Widerstand den Feind lange zurückhielt; viele von ihnen fielen unten den langen Spießen der Marschbauern, mehrere wurden in die Gräben gepreßt.

Als Isebrand Slenitz Absicht erkannte, und gleichzeitig das Wasser auf den Feldern im Westen steigen sah, rief er:

»Jetzt, Landsleute, jetzt ist die Zeit gekommen – nicht um zu sterben, sondern um zu siegen, um unsre Feinde zu verderben und all das unschuldige Blut zu rächen, das in Windbergen und Meldorf vergossen worden ist. Frisch heran! Seht ihr nicht, daß Himmel und Meer mit uns sind? Folgt mir! Vorwärts, vorwärts! Und seht euch nicht um!«

Mit diesen Worten sprang er über die Brustwehr und den Graben, die vierhundert Wöhrdener und Hemmingstedter hinter ihm. Wie ein Sturmwind fuhr der Haufen über den zweiten und dritten Graben und mit dem Ausruf: »Wehr dich, Garde! Jetzt kommt der Bauer!« stürzten sie sich auf den Feind, der sich nun nach drei Seiten verteidigen mußte. Die, die über die Gräben im Osten und Westen gedrungen waren, wurden von ihren bedrohten Kameraden im Stich gelassen und fielen alle unter den fürchterlichen Speeren und Hellebarden der Dithmarscher. Diese bedienten sich dabei der Übergänge der Feinde und vereinigten sich mit Isebrands Trupp. Die geängsteten, zusammengepreßten Landsknechte fielen, fast ohne Gegenwehr leisten zu können – der ganze Vortrab war vernichtet.

Aber vor dem Mitteltreffen hielt noch der furchtlose Slenitz, dort ordnend, zu neuem Angriff entflammend, nachdem er dem Nachtrab befohlen hatte, sich zu teilen, über die Gräben zu gehen, weit um die Dithmarscher und die Schanze herum und sich dieser zu bemächtigen, die nun, wie er glaubte, verlassen sei – er wußte nicht, daß sie von fünfhundert Mann frischer Truppen unter Anführung von Johann Arens besetzt war.

An der Spitze des kleinen mutigen Heeres, das bereits ein Sechstel der Garde vernichtet hatte, und vorwärts über den Haufen von Toten und Sterbenden drangen nun Isebrand und Reimer in das Zentrum ein.

Der erste wies mit dem Spieß auf Slenitz und sagte: »Du nimmst das Pferd und ich den Mann!«

Und mit dem Ruf: »Wehr dich, Junker! Jetzt kommt der Bauer!« rannte er seinen Spieß gegen dessen Brust und Reimer den seinen tief in die Brust des Pferdes.

»Verdammtes Pack!« donnerte Slenitz und hieb mit einem Schlag beide Spießschäfte ab.

Isebrand war durch den Brustharnisch gedrungen, doch so zur Seite, daß die Spitze nur die Rippen berührte, an dem Rückenleder sich verbog und an dem Widerhaken hängen blieb.

Der Junker spornte im selben Augenblick sein Pferd, um auf die Angreifer einzudringen und sie niederzuhauen; doch das Pferd, im Schmerz über die tiefe Todeswunde, bäumte, wankte mit seiner schweren Bürde – sank unter ihr zu Boden.

Sein Reiter, behende wie stark, kam aufrecht zu stehen und hob wieder sein ungeheures Schlachtschwert, als Reimer ihn unterlief und um den Leib faßte, während Isebrand ihm mit einer Hellebarde das Schwert aus der Hand schlug. Ein dritter Dithmarscher eilte hinzu, hing sich ihm um den Hals und da die beiden andern nachhalfen, fiel er rücklings über – es dröhnte an der Erde, als der gewaltige Kämpe fiel, verlassen von seinen Garden, die nun bereits dem unwiderstehlichen Ansturm des Bauernheeres zu weichen begannen.

Obwohl nur leicht verwundet, war es ihm in der schweren Rüstung unmöglich, sich gegen die drei gewaltigen Feinde zu erheben. Und doch hatten diese es viel schwerer, ihn zu töten, als ihn zu fällen: sein steinharter dicker Helm und Harnisch widerstanden allen Hieben und Stichen.

»Kann er nicht wie ein ehrlicher Mann sterben,« rief Isebrand, »so laßt ihn ertrinken wie einen Hund!«

Und damit wälzten alle drei den halberstickten Riesen in den Graben – das tote Pferd darüber.

Da sank der Mut der Garde: »Flieht, flieht!« klang es durch die wankenden Glieder. »Der Oberst ist gefallen – der Feind siegt.«

Da wandten sich die hintersten des Mittelhaufens zur Flucht; die vordersten sprangen zu beiden Seiten in die Gräben und suchten die Wiesen zu gewinnen. Aber auf der westlichen Seite standen diese bereits unter Wasser, und die meisten von denen, die hierher wollten, fanden den Tod. Die auf der östlichen Seite kamen hier in das Gebüsch und retteten sich zum größten Teil, ehe die wachsende Überschwemmung sie erreichte. Der Nachtrab, der bereits auf Order über die Gräben gekommen war, sah die Flucht der vorderen, folgte ihrem Beispiel und wurde gerettet oder ertrank mit ihnen. Die große, mächtige Garde – noch vor einer Stunde sechstausend wohlgeordnete, siegesgewohnte, siegesstolze Männer – war geschlagen, zersplittert, vernichtet.

Das ganze übrige große Heer erfuhr in dieser wichtigen Stunde gar nichts davon, was am Dusendüwelswarf vor sich ging. Immer langsamer und langsamer wurde sein Vormarsch, bis er schließlich ganz eingestellt werden mußte. Der König und der Herzog fragten vergebens nach der Ursache dieser Stockung; niemand konnte nähere Auskünfte geben. Es dauerte eine Viertelstunde und länger, noch immer kam man nicht weiter: soweit man bei dem Schneetreiben sehen konnte, hielt das Fußvolk unbeweglich vor den heerführenden Brüdern.

Der König, der Meldorf nicht in der besten Laune verlassen hatte, wurde immer ungeduldiger über diesen Aufenthalt in einem so unangenehmen Wetter und verlangte schnelle Nachricht über diese unerklärliche Verzögerung. Doch die, die nach vorn geschickt wurden und sich mit Mühe durch einige Regimenter drängten, konnten schließlich weder vor- noch rückwärts kommen. Die, die außen herum geschickt wurden, kamen wohl zurück, konnten aber nichts andres berichten, als daß sie von Morästen aufgehalten worden waren und daß der Schnee und dichte Pulverdampf, der ihnen gerade in die Augen trieb, ihnen nicht gestattete zu sehen, was die Garde unternahm.

»Junker Slenitz«, bemerkte der König, »macht heute ziemlich lange Komplimente.«

»Er ist ebenso vorsichtig wie tapfer«, erwiderte der Herzog, »und lange gewohnt, in den Marschlanden Krieg zu führen. Er will den Weg frei haben, ehe er vorwärtsrückt.«

Nun schwiegen die Kanonen, aber das Fußvolk kam trotzdem nicht weiter.

»Dies ist mir ebenso ärgerlich wie unbegreiflich!« rief der König. »Wenn das noch lange dauert, bin ich imstande, nach Meldorf zurückzukehren – sehen können wir nicht, und hören ebensowenig.«

»Mit Eurer Erlaubnis!« sagte Ahlefeldt, »es kommt mir so vor, als hörte ich da vorn einen dumpfen, undeutlichen Lärm!«

Man lauschte; aber das Heulen des Sturmes, das Schnaufen der Pferde, das Trampeln und Platschen auf dem aufgeweichten Wege verwirrte jenen dunklen Laut aus der Ferne.

Schließlich drang ein Gerücht nach hinten durch die lange Kolonne holsteinischer, deutscher und dänischer Soldaten: »die Garde«, hieß es zuerst, »ist auf eine ungeheuer starke Schanze gestoßen, mit hundert Kanonen besetzt; der Vortrab bereitet sich darauf vor, sie mit Sturm zu nehmen.«

Gleich darauf hörte man, die Schanze sei genommen. Kurz darauf sagte man, der Sturm wäre abgeschlagen und die Garde zurückgedrängt, und wiederum hieß es nunmehr, die Dithmarscher hätten einen Ausfall versucht und wären nun zusammengehauen worden. Endlich erblickte man einige von den flüchtenden Landsknechten, die in die Geest hineinliefen, und nun rief man dort: »Da laufen die Bauern, nun wird es vorn bald hell!«

Aber wenige Minuten danach ertönte die Schreckensbotschaft: »Die Garde flüchtet, sie ist geschlagen und zersplittert, der Oberst ist gefangen oder gefallen!«

Gleich darauf hieß es im dänischen Heer: »Die Holsteiner sind geschlagen!«

Der bitterste Schmerz erfüllte den hohen Sinn der königlichen Brüder. Da hielten sie eingesperrt auf dem engen, sumpfigen Weg, ohne dem Heer vorn zu Hilfe kommen zu können, ohne Fußvolk, Geschütz oder Reiter bewegen zu können. Ein Gerücht immer schrecklicher, unglaublicher als das andre. Nichts sicheres über das Schicksal der Avantgarde ausfindig zu machen. Nichts zu sehen, als die nächsten Pelotons des Heeres. Alles übrige Schnee und Wasser – denn das Meer hatte bereits die Wiesen auf beiden Seiten überschwemmt.

Ein rascher Beschluß mußte ergriffen werden; doch welcher? Niemand wagte, das Wort »Retirade« auszusprechen.

Der König schob die Schuld für diese mißliche Lage auf seinen Bruder; er wälzte sie auf die ihn umgebenden holsteinischen Herren ab, diese wiederum auf Jörgen Slenitz. Aber immer näher und drohender kam die Gefahr: man hörte bereits Waffengetöse und das Schreien der Kämpfenden deutlich voraus. Man sah bereits Unruhe und Verwirrung unter dem Fußvolk. Man sah bereits Flüchtlinge laufen, waten, taumeln, um Rettung rufen auf beiden Seiten im Wasser.

Da war der Herzog der erste, der das kränkende Wort nannte.

»Wir müssen retirieren«, sagte er, »aus dieser verdammten Falle heraus und auf trocknes Land nach Meldorf zu; dort werden wir den dummdreisten Feind empfangen.«

Unter bitteren Tränen wandten die Brüder ihre Pferde, ihrem Stab überlassend, mit der Hälfte der Reiterei dem Fußvolk zu Hilfe zu kommen und den Feind aufzuhalten, »wenn es ihm wirklich gelingen sollte, soweit vorzudringen. Mit größter Mühe drängten sie sich durch den Reiterhaufen und die Troßwagen, und nur die Ehrfurcht öffnete ihnen den Weg, der sich danach für viele tausende schloß. Und kaum waren sie dem Gedränge entronnen, als die Flucht allgemein wurde, sogar bei dem bisher unangegriffenen Teile des Heeres.

Sobald der König und der Herzog fort waren, suchten die zurückgebliebenen holsteinischen und dänischen Herren die gestörte Ordnung wieder herzustellen und entweder einen Feind zu verjagen, der weder durch seine Zahl noch durch seine Taktik fürchterlich war, oder wenigstens einen weniger entehrenden Rückzug auszuführen.

Vergebens! Mut, Besinnung, Disziplin – alles war verloren, verschlungen von unbezwinglicher Angst: der zornige Himmel oben, das treulose Meer zu beiden Seiten, der wütende Feind voran – nur ein Weg schien noch offen; und doch war es der gefährlichste von allen. Reiter, Fußvolk, Kanonen, Wagen, Offiziere und Soldaten vermengten sich, stürzten, wurden voneinander umgeworfen, niedergetrampelt, bis schließlich die tiefen Gräben sicherer erschienen, als der Weg selbst. Viele sprangen freiwillig, viele wurden hineingestoßen und versuchten durch Schwimmen oder Waten, dem Tode zu entgehen.

Die Dithmarscher, die bemerkten, daß mehr und mehr der dem Tode geweihten Opfer sich auf diese Weise in Freiheit brachten, eilten nun auf beiden Seiten den Grabenkamm entlang und engten ihre Feinde ein; brach jemand aus, durchbohrten sie ihn mit den Hellebarden oder rissen ihn in die Tiefe; und oft – wenn diese Todesart ihnen zu langsam erschien – sprangen sie in Massen über den Graben und drängten die dichtgeschlossenen Reihen in den gegenüberliegenden hinüber, wo andre sie mit Hieben und Stichen empfingen. Wie Spinnen zu und von den im Netz hängenden Fliegen hin- und herlaufen, sie immer fester umgarnen, ihnen Schlag auf Schlag mit ihren langen fürchterlichen Zähnen geben, so fuhren die Dithmarscher hin und her mit dem eingesperrten Heer, schwangen sich über die Gräben und zurück; und dies mit um so größerer Leichtigkeit und Kraft, als sie längst nach Isebrands Beispiel Harnisch, Helm und Schild fortgeworfen hatten – sie brauchten sich ja nicht mehr zu verteidigen, sondern nur anzugreifen, zu töten.

Die große Menge des königlichen Heeres war sein Verderben; die halbe Anzahl hätte sich freier bewegen und leichter nach jener ersten Verwirrung wieder ordnen können: Ober- und Unterbefehlshaber hätte man sehen, hören, ihnen folgen können. Nun sah man nur die vielfache Todesgefahr, nun hörte man nur das Jammern der Verwundeten und die wilden Siegesrufe der Feinde, nun folgte man nur den Eingebungen der blinden Furcht. Die wenigsten fielen unter den Spießen der Dithmarscher, mehr ertranken ohne Wunden in den Gräben, wurden von den Pferden oder voneinander selbst niedergetrampelt.

Doch zeigten sich, mitten in dieser verderblichen Mutlosigkeit, nicht wenige Beispiele von Standhaftigkeit und männlicher Todesverachtung: das schönste gab der General Hans Ahlefeldt zusammen mit einem halben Hundert dänischer und holsteinischer Adliger und hoher Offiziere, die sich ihm anschlossen und dem dreihundertjährigen Reichsbanner, dem stolzen Danebrog, das seinen Händen anvertraut war. Diese Gegenwehr rettete einige tausend Flüchtlinge und die Ehre der Ritterschaft, jedoch nicht die alte, siegesgewohnte Fahne.

Einer nach dem andern von ihren Verteidigern sank zu Boden; und zuletzt von allen Hans Ahlefeldt unter der fallenden Flagge. In diesem Augenblick hatten die jungen oldenburger Grafen mit einem vom Nachtrab gesammelten Reiterhaufen sich zu einem Entsatz vorgearbeitet. Zu spät! Bald wurden sie von ihren Begleitern getrennt und umringt.

Da weitere Verteidigung unmöglich war, rief der älteste:

»Ihr guten Dithmarscher! Nehmt Lösegeld für unser Leben, so viel Ihr wollt – wir sind die Grafen von Oldenburg!«

»Wir«, erwiderte Wolf Isebrand, »sind die Bauern von Dithmarschen und haben keine Zeit, heute Gefangene zu machen!«

Mit diesen Worten stieß er seinen Spieß dem Jüngling in die Brust – der Bruder fiel an seiner Seite.

Die Schlacht war vorüber. Das große, wohlausgerüstete Heer, dessen gleichen Holstein nie gesehen hatte, war bis zum Mittag getötet oder verjagt; kaum ein Viertel kam zurück – wie es im Liede heißt: »Wo vier geritten, reitet einer jetzt noch« – und keiner sah sich um, bevor er ganz aus diesem schrecklichen Lande gekommen war.

Ganz Holstein, ganz Dänemark wunde von Entsetzen und Trauer erfüllt; in beiden Ländern gab es kaum ein adliges Haus, in dem man nicht Väter, Brüder und Söhne beweinte. Vergebens sandte man Lösegelder mit demütigen Bitten: die Dithmarscher, grimmiger als Hektors Mörder, schlugen es ab, die Leichen der Gefallenen auszuliefern.

Über der Erde mußten sie verwesen und von wilden Tieren und Vögeln gefressen werden; ihre Knochen wurden wie ein Gehege zu beiden Seiten des Weges zwischen Meldorf und Hemmingstedt aufgestapelt; viele Jahre lagen sie dort als eine Erinnerung an »die Demütigung der Mächtigen und die Erhöhung der Geringen.«

Die Dithmarscher zogen weiter dahin über die leblosen Ruinen des Königsheeres. Das bleiche, blutige Haupt an ein Wagenrad gelehnt, lag Ebbe Geed gerade an Isebrands Weg, den Schild zerhauen, den Helm gespalten an seiner Seite.

Der Sieger erkannte ihn und sagte hastig: »Ich erinnere mich dankbar, Herr Ritter! Besser wäre es für Euch, wenn Ihr meiner Warnung gefolgt wäret; doch ich bin Euch einen Dienst schuldig; könnt Ihr Euer Leben retten, will ich sehen, Euch Obdach zu schaffen.«

Kaum war das letzte seinem Munde entfahren, als eine Hellebarde heulend auf den Kopf des Verwundeten niedersauste; den Todeshieb begleitete eine Stimme, die wild herausbrüllte:

»Ritterblut ist nicht besser, als Grafenblut – die kürzeste Pein ist die beste.«

Man erreichte den Troß. Alle Wagen waren verlassen, keine lebende Seele befand sich darauf; bereits lange vor Ende der Schlacht waren sie gegen Meldorf geflüchtet. Auch diese Stadt war öde und leer; die Zurückgebliebenen, zusammen mit der zurückgelassenen Besatzung, befanden sich bereits in Holstein, als die Dithmarscher kamen. Einige von ihnen folgten wohl der Spur der Fliehenden; doch ohne daß sie sie erreicht hätten, kehrten sie an der Grenze um und vereinigten sich mit ihren übrigen Landsleuten, die inzwischen die eroberten Wagen in die Stadt gefahren hatten.

Eine ungeheure Beute: die ganze Kriegskasse, ungemünztes Edelmetall, das silberne Tischgeschirr des Königs und des Herzogs, köstlicher Hausrat und prächtige Staatskleider zum Gebrauch bei den erwarteten Siegesfesten in Heide und Lunden; viele private Geldschreine, die vorsichtige Spekulanten mitgenommen hatten, um gleich mit den plündernden Soldaten handeln zu können.

Doch nichts war im Augenblick willkommener als der große Vorrat von Eß- und Trinkwaren; ein paar Wagen, mit geschlachtetem und gerupftem Geflügel bepackt, andre mit gespickten Hasen und Rehrücken, andre mit gekochten Schinken und wieder andre mit Backwerk, starkem Bier, altem Meth, herrlichen Weinen – alles miteinander in großem Überfluß.

Nicht in Heide, sondern in Meldorf, nicht von Fürsten und Rittern, sondern von Bauern wurde jetzt das anberaumte Fest gefeiert. In den reich geschmückten Hallen, wo die Nacht vorher Dänemarks und Holsteins glänzender Adel sich in zierlichen Hoftänzen mit feinen Frauen und Fräulein vergnügt hatte, tummelten sich jetzt in plumpen Sprüngen die vierschrötigen Bauern mit rotbackigen, üppigen Bauernmädchen – aus Übermut geschmückt mit dem neuen und seltenen Staat. Mit Federhüten, goldenen Ketten, Knieschleifen und Ritterbändern. Spottend titulierten sie einander als Herzöge, Grafen und Freiherrn – die Damen waren alle durchlauchtig und gnädig.

Reimer, Hans Ahlefeldts Bezwinger, wurde als Feldmarschall und Ritter vom Danebrog begrüßt; Wolf Isebrand hieß Graf von Oldenburg – und niemand war geringer als Junker. Die vielen, zum Teil unbekannten Instrumente wunden in wildschnarrendem Mißklang von den einheimischen Spielleuten geblasen und gestrichen, deren ganze Fertigkeit sich sonst nur auf Trommeln und Pfeifen erstreckte. Die langen, mit teurem Damast bedeckten Tische glänzten von Silber und Gold und geschliffenem Kristall und – schwammen in kostbaren Weinen. Trunksprüche auf Trunksprüche erklangen für Dithmarschens ewige Freiheit.

Solch eine Nacht folgte auf den ewig unvergeßlichen siebenzehnten Februar.

 

7.

In der Nacht zum achtzehnten Februar, das Jahr nach der großen Schlacht bei Hemmingstedt, fensterte Reimer von Wimerstedt wieder bei Telse Wollersien; doch nicht wie in jener Nacht, da er munter und leicht von Sinn unter dem sternenklaren Winterhimmel dahintanzte. Zweifelnd, ängstlich schlich er sich nun auf verbotenen Wegen; der Nebel verhüllte seinen Gang, der Tauwind pfiff in seinen feuchten Locken, und die Eule schrie ihren schwermütigen Mitternachtsgesang vom Wöhrdener Kirchturm.

Er blieb vor dem ehrwürdigen Gebäude stehen, wo seine Trophee, der alte Danebrog, unter vierzig kleineren Fahnen, als Erinnerung an den Freiheitskampf, hing – eine heilige Reliquie für ungeborene Geschlechter: Kriegerfreude hob seinen stolzen Busen, und ein Strahl der Hoffnung drang in das liebende Herz des Jünglings; ein lichter Gedanke erleuchtete sein Dunkel, wie der Blitz das düstere Unwettergewölk. Hurtig eilte er zu der Wohnung der Jungfrau und pochte sacht an das, aus früheren Zeiten so wohlbekannte Fenster.

Es wurde ein Stückchen geöffnet, und eine bebende Stimme flüsterte: »Bist du es?«

»Mach weiter auf, Telse! Ich habe gute Nachrichten!« erwiderte Reimer leise, »ich bin in Meldorf gewesen.«

»Ach, Reimer,« seufzte sie, »bleibe lieber draußen! Ich darf dich nicht aufnehmen –«

»Warum nicht?« fuhr er fort und stand bereits in der Kammer, »mit dem Kloster ist es vorbei – du wirst weder Nonne noch Äbtissin.«

»Wie das?« fragte sie froh, »erzähl' es mir. Wie ging das zu?«

»Es war eine große Versammlung,« nahm er das Wort, »der Prior und seine Mönche, die Achtundvierzig, alle die Priester und eine große Menge Volk aus der Stadt und vom ganzen Lande. Erst wurde ein Brief des Erzbischofs von Bremen verlesen, worin er uns alle wegen des gottesfürchtigen Einfalls, ein Nonnenkloster zu errichten, lobte; er ermunterte uns, den Bau zu fördern und ihn reich zu beschenken: dann würde er uns viele seltene Reliquien senden, ein Stück vom Kreuze Christi, ein Stück vom Schweißtuch der heiligen Jungfrau und viel mehr noch, woran ich mich nun nicht mehr erinnere. Dieses Schreiben begleiteten nun die Priester mit vielen frommen Ermahnungen.

Der erste, der hierauf erwiderte, war Johann Arens. »Das ist alles sehr schön und gut« – sagte er, »das Gelübde ist gegeben und es muß gehalten werden. Geld haben wir, um das Kloster zu bauen, aber wo bekommen wir die Nonnen her?«

Er konnte sich des Lächelns nicht enthalten, als er dies sagte; denn Johann Arens, das wissen wir ja, ist nie ein Heiliger gewesen.

»Das ist wohl die kleinste Sorge,« erwiderte der Prior, »eine größere Schwierigkeit wird es sein, unter so vielen auszuwählen, ohne jemanden zu verletzen.«

»Das Klostergelübde soll doch freiwillig sein?« fragte Arens.

»Das versteht sich,« erwiderte der Prior, »erzwungene Gelübde nimmt der Himmel nicht an.«

»Herr Pfarrer!« rief Arens übermütig, »kenn ich die dithmarscher Mädchen recht, gibt es keine von ihnen unter fünfzig, die Lust hat, ins Kloster zu gehn; sie wollen sich jedenfalls lieber verheiraten.«

Es entstand ein Gemurmel unter den geistlichen Herrn, und der Pfarrer von Wöhrden hier sagte gekränkt: »Für einen solchen Mann und einen Landeshauptmann dazu sprecht Ihr etwas weltlich – leichtsinnig –«

Nun wurde Arens wütend, wandte sich zu ihm um und sagte: »Weltlich oder nicht, ich spreche nach meiner Überzeugung. Und das sage ich Euch: keine Zurechtweisungen, Pfarrer! Wir Dithmarscher hegen Achtung vor Eurem Stand und dem heiligen Wort, das Ihr verkündet; aber im übrigen müßt Ihr Euch erinnern, wir sind freie Leute, die sich weder unter das Szepter noch unter den Krummstab beugen. Wir wollen von keinem Zwang etwas wissen, von keinen Drohungen und auch nicht von Lockungen.«

»Nichts von alledem will man Euch bieten«, erwiderte der Prior; »aber Ihr werdet doch auch nicht die Errichtung des Klosters verbieten oder gottesfürchtige Frauen hindern, darin einzutreten.«

»Meinetwegen,« rief Johannes Arens schroff, »mögen so viele, wie wollen, eintreten; aber ich denke noch, daß unsre jungen Frauen lieber dem Vaterlande Verteidiger schaffen wollen, die es stets brauchen kann, als in einsamen Zellen zu sitzen und den Rosenkranz zu drehen. Und was die alten angeht, so glaube ich auch nicht, daß sie sich viel aus der Klosterzucht machen – unsre Weiber sind in Freiheit geboren, ebenso wie wir.«

Die Rede fand großen Anklang, ausgenommen bei den geistlichen Herrn; und der Vogt Peter Nanne sagte: »Vielleicht geht es so, wie Arens meint, und es kommt alles auf einen Versuch an; unsre Ansichten hier können nichts entscheiden.«

»Jawohl!« sagt Arens, »Laßt uns einen Versuch anstellen! Hier in Meldorf gibt es wohl an dreihundert heiratsfähige und alte Mädchen: ruft sie zusammen oder geht zu ihnen einzeln – wie Ihr selbst wollt – und wenn Ihr ein Ja bei dreien von ihnen bekommt, gebe ich aus eigenem Vermögen drei silberne Leuchter für den Altar der Kirche in Heide, so schwer, wie sie es sonst nur gibt.«

»Das läßt sich hören!« rief der Pfarrer von Heide. »Wir können ja diese göttliche Freierei versuchen! Wenn jeder eine Straße nimmt, ist es bald gemacht. Kommt, meine Brüder, und verhelft gleichzeitig dem Kloster zu Jungfrauen und der Kirche zu Leuchtern!«

Das sagte er lustig, und alle Priester zogen davon, jeder seines Weges.

Während sie fort waren, wurde darüber hin und her geredet. Carsten Holm hielt es mit dem Geistlichen, wie er immer tut, und sagte unter anderem: »Ich mag nicht dieses seltsame Freien; das sieht beinahe so aus, als ob wir diese Männer Gottes mit Leimruten laufen ließen. Und nehmt nun an, daß sie keine werben, was beweist das denn? Welches Mädchen entschließt sich wohl Hals über Kopf zu einem so wichtigen Schritt.

»Sehr wohl!« rief Thomas Boye. »Die Sache ist bekannt genug, sie haben ein halbes Jahr gehabt, sich zu bedenken; und was das betrifft, die Priester zum Narren zu halten, das hat nichts zu bedeuten: so einen Weg machen sie gern genug.«

Da wurde Holm stutzig und meinte, daß man hierzulande der Kirche und ihren Dienern nicht genug Ehrerbietung erwiese; aber Johann Arens erwiderte ihm ebenso schroff: »Was Ehrerbietung? Gehen wir nicht in ihre Messe und Beichtstühle und geben ihnen ihr reichliches Auskommen? Was willst du mehr? Gegen die Königsmacht haben wir uns verteidigt mit Leben und Blut in diesen vielen hundert Jahren – es soll keiner kommen und uns hier ein Priesterregiment bieten! Wir sind freie Leute und regieren uns selbst!«

Diese Rede lobten sie alle miteinander, und der Müller mußte stillschweigen. – Es währte nun eine Stunde oder mehr, da kamen die Priester zurück, der eine nach dem andern; aber alle miteinander verlegen und verdrossen, bis auf den Pfarrer von Heide: er kam mit zwei alten Mädchen von über sechzig Jahren angezogen, die grinsten und kicherten.

»Ich bekam zwei für eine!« rief er munter, »wieviel habt Ihr andern?«

Die beiden Mädchen wurden nun in die Versammlung geführt und der Prior fragte sie: »Habt ihr euch mit Gott und mit eurem eigenen Herzen beraten, daß ihr freiwillig dem Herrn euer Leben lang mit Gebet und Gesang in Gehorsam und Keuschheit dienen wollt?«

Hierzu lächelten viele und die Jungen dahinter kicherten. Sie sagten beide Ja. »Aber,« setzte die eine nach einigem Bedenken hinzu, »ich will freie Erlaubnis haben, bisweilen Verwandte und Freunde und ehrbare Gildefeiern zu besuchen –«

»Und ich,« fiel die andere ein, »will nicht so gebunden sein, daß ich doch das Kloster verlassen kann, wenn ich einmal mich verändern möchte – –«

Da hättest du hören sollen, Telse, welches Gelächter in der ganzen großen Versammlung entstand; und die Priester – glaube mir – die meisten von ihnen lachten mit. Als es etwas ruhig geworden war, sagte Johann Arens: »Seht ihr also, ich kannte unsre Mädchen: sie haben mehr Lust zum Brautkranz als zum Rosenkranz – ein Nonnenkloster bekommen wir niemals hier in der Marsch.«

»Dann können wir noch ein Mönchskloster bekommen,« sagte Peter Junge, »wir gelobten vor dem Kriege, ein Kloster zu bauen, wenn Gott uns Sieg verliehe; unser Gelübde müssen wir erfüllen, und ich sehe nicht, warum nicht eins für Mönche ebenso gut ist wie eins für Nonnen.«

»Auch gut!« erwiderte der Pfarrer von Lunden; »und um so besser, als hier stets mehr Theologen als Priesterstellen im Lande sind. Wir wollen ein Kloster in unsrer Stadt haben; das wird bald voll besetzt sein.«

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall, und es wurde schließlich beschlossen, daß in Lunden ein Franziskanerkloster errichtet werden sollte. Du siehst also, liebste Telse, daß du von dieser Seite nichts mehr zu befürchten hast.«

»Ach, Reimer,« seufzte sie, »was kann das uns helfen? Wir sind doch nicht fort von – dem Eid, der feierliche Eid darf niemals gebrochen werden.«

»Und warum nicht?« sagte er. »Wem hast du diesen Eid abgelegt? Den Priestern; aber der Bischof steht über den Priestern und der Papst über den Bischöfen. Er hat Macht zu binden wie zu lösen; er kann ein Klostergelübde lösen – ich weiß, das ist oft der Fall – kann auch die Gültigkeit deines Eides aufheben –« »Habe ich ihn nicht vor Gott abgelegt«, wandte sie ein.

»Ganz gewiß nicht!« erwiderte er. »Du hast ihn Menschen geschworen – Menschen können dich von deiner Verpflichtung befreien. Höre nun, liebstes Mädchen! Ich habe einen glücklichen Einfall: ich ziehe zu unserm Schutzherrn, dem Erzbischof, und vertrete vor ihm unsre Sache, sowohl mit Worten als mit rotem Golde. Geld richtet alles in der Welt aus, und so viel habe ich doch von meinem eigenen Erbteil und von meiner Beute aus dem Kriege, daß ich einen kleinen Fetzen Papier kaufen kann, der dein halb abgelocktes, halb erzwungenes Gelübde zunichte macht.«

»Doch wenn nun der Erzbischof nicht will, wenn er nicht kann – nicht darf?« sagte Telse.

»Dann gehe ich gleich zum Papst,« erwiderte der bestimmte Jüngling. »Es steht sicherlich nichts im Wege; und es ist nicht länger nach Rom, als daß ich in ein paar Monaten hin und zurück sein kann!«

Mit erwachender Hoffnung und ach! mit erwachender Liebeslust warf sich das Mädchen dem glühenden Jüngling an die Brust.

 

8.

Im folgenden Herbst ritt Carsten Holm eines Novembertages gegen Abend von Heide nach Holstein; sein Weg ging durch Neuenkirchen. Als er an dem westlichen Haus des Ortes vorüberkam – einer etwas abseits liegenden Scheune – hörte er darin eine winselnde Stimme. Er hielt, stieg vom Pferde, band es an einen Ring an der Tür und guckte durch eine Öffnung hinein.

Da lag auf einem Strohhaufen ein junges Weib mit seinem neugeborenen Kind auf dem Arm. Die untergehende Sonne ließ durch einen Spalt in der Mauer einen Strahl grade auf ihr tränenvolles Gesicht fallen. Vorsichtig schlich er sich zurück, setzte sich wieder auf sein Pferd und trabte in die Stadt zurück.

Er erwog grade bei sich selbst, ob er dem Besitzer der Scheune oder dem Pastor die gemachte Entdeckung mitteilen sollte, als er vor einem Hause zwei achtbare Frauen der Stadt stehen sah. Er hielt das Pferd an, grüßte und sagte: »Wie heißt dieser Ort?«

»Ihr müßt wohl kein Dithmarscher sein,« erwiderte die eine, »da Ihr nicht wißt, daß er Neuenkirchen heißt.«

Holm lächelte und schüttelte den Kopf: »Neuenkirchen hat immer im Rufe einer anständigen Stadt gestanden, so gut wie alle andern hier in der Marsch. Aber diese scheint voller Huren zu sein – in dem ersten Haus, an das ich kam, habe ich eine gesehen.«

Das Erstaunen der Frauen ging bald in Erbitterung über, und diese brach in einen Strom von Schimpfworten aus, von denen »Lügner« und »Ehrabschneider« nicht die gröbsten waren.

»Nur ruhig! Nur ruhig!« rief Holm dazwischen, »wollt ihr euch nur nach jener Scheune hier draußen bemühen, könnt ihr gleich ein Frauenzimmer mit ihrem neugeborenen Hurenbalg finden, und ihr könnt dann selbst sehen, ob sie zu euch gehört oder ob sie eine Fremde ist, die euch in eurer Stadt diese Ehre antut.«

Mit diesen Worten spornte er sein Pferd und ritt seines Weges östlich aus Neuenkirchen.

Nachdem sie den Fortgang des ihnen unbekannten Mannes mit neuen Schimpfworten begleitet hatten, begannen sie seine Worte zu erwägen und beschlossen, das bezeichnete Haus zu untersuchen. Einigen Nachbarinnen, die ihr lautes Schimpfen hergelockt hatte, wurde diese Neuigkeit mitgeteilt, und alle eilten sie nun nach der Scheune.

Stillschweigend näherten sie sich ihr und hörten sofort das gedämpfte Schreien eines kleinen Kindes. Eine nach der andern guckte durch das Loch in der Tür und sah gleichfalls, was Holm gesehen hatte.

Mit stummen Zeichen des Entsetzens und des Abscheus eilten sie zurück auf den Hof, zu dem die Scheune gehörte. Da Mann und Frau den Zusammenhang in der Erzählung begriffen hatten, die von mehreren Stimmen auf einmal vorgebracht wurde, rief die letztere:

»Dann muß auch der und jener sie mit ihrem Jungen hinausbringen! – Wer ist sie?«

Das konnte niemand beantworten; aber alle waren sich darin einig, daß sie von weither sein müßte, da niemand von ihnen wußte, sie vorher gesehen zu haben. So froh wie man nun der Stadt wegen bei dieser Gewißheit war, so erbittert wurden nun ihre Einwohner – besonders der weibliche Teil – über diesen Schandfleck, den fremde Liederlichkeit darauf gesetzt hatte. Die Frau auf dem Hofe erklärte, daß die Dirne sofort weggejagt werden müsse; aber ihr Mann, der sich die vermeintliche Schande nicht so sehr zu Herzen nahm, meinte, daß man ihr Obdach bis zum nächsten Morgen gönnen könnte, da sie und das Kind sonst in der kalten Herbstnacht umkommen würden. Hierbei fand er den heftigsten Widerstand bei den ehrliebenden Frauen; doch würde seine kalte Entschlossenheit zuletzt gesiegt haben, wenn nicht eine von ihnen unbemerkt der Hausfrau zugeflüstert hätte, daß er wohl Ursache haben müsse, sich mit so großer Zärtlichkeit des Hurenweibs anzunehmen.

Die mißtrauische Ehefrau verbarg die mitgeteilte Vermutung nicht lange, sondern sagte ihrem Manne grade ins Gesicht, daß, wenn er nicht das Weib sofort hinauswerfen ließ, die Leute nur glauben könnten, daß sie seine eigene Buhlschaft gewesen sein müsse.

Da stieg ihm das ditmarschische Blut zu Kopf und rasender als irgendeine von den Frauen rief er:

»Ehe solch ein Verdacht auf mich fällt, will ich lieber meine eigene Scheune anstecken und das verdammte Pack darin verbrennen.«

Mit einem wilden Schrei fand dieser grausame Beschluß Beifall. Der Mann lief hinein, riß einen Brand von der Feuerstelle und lief an der Spitze der ganzen Weiber nach der Scheune. Hier bat allerdings die wegen seiner Treue beruhigte Hausfrau, er möchte sein Eigentum schonen, erklärte, es wäre ja genug, wenn die Hure hinausgejagt würde, und ergriff ihn am Arm, um ihn zurückzuhalten: er jedoch, bis zum Wahnsinn erregt – wie oft die kältesten Gemüter – stieß sie von sich, fuhr wie ein Wirbelwind um das Haus herum und setzte Feuer an alle vier Ecken des Daches. Ein paar Augenblicke standen die erstaunten Weiber still und sahen zu; aber als die Flamme an dem trockenen Stroh entlang zu lecken begann, stießen sie einen Schreckensschrei aus und eilten zur Tür, um sie zu öffnen.

Der rasende Dithmarscher stellte sich davor und wehrte sie mit seinem Brand ab, der durch die Luft geschwungen, den Angreiferinnen entgegen glühte und knisterte; bei all dem Schreien und Rufen hörte man noch nichts aus dem Innern des Hauses.

Die Frau, die ihren Mann so zum Äußersten gebracht hatte, ersann nun rasch ein Mittel, um den Brand in seinem Innern zu dämpfen.

»Bist du verrückt?« rief sie. »Wenn du sie verbrennst, werden die Leute sagen, daß du sie uns nicht sehen lassen durftest – mach auf, mach auf, daß sie heraus kommen kann!«

Das wirkte. Augenblicklich umgestimmt wandte er sich um und riß die Tür auf, aber auch im selben Augenblick schrien sie ihm zu: »Das Dach fällt! Rette dich! Rette Dich!«

Er lief rückwärts aus dem Hause und dicht vor ihm fiel das brennende Dach herunter vor die Tür. Durch Flammen, Rauch und Funken sah man die Eingesperrte hierhin und dorthin mit dem Kind im Arme laufen, in der Todesangst um Hilfe und Rettung rufend.

Die Tür war versperrt; man lief herum nach den drei andern Seiten – auch hier lag der brennende Wall – Rettung war unmöglich: das Stroh drinnen war nun auch in Brand geraten – das ganze Haus war ein Scheiterhaufen – bald erstarb der Schrei der Unglücklichen im Tosen und Krachen der Flammen.

In derselben Stunde ritt Reimer von Holstein nach Dithmarschen auf dem Wege nach Neuenkirchen und Wöhrden. Lang und beschwerlich war seine Reise gewesen. Der Erzbischof von Bremen konnte oder richtiger wollte nicht seinen Wunsch erfüllen: er hatte ja nur den leeren Titel als Schutzherr Dithmarschens, aber keine Macht und keinen Vorteil; er war nur die Schirmwand, hinter der die stolzen und unbändigen Marschbewohner Königen und Fürsten trotzten und nach Belieben in ihrem Lande schalteten und walteten.

Reimer wurde in Bremen erst mit zweideutigen Versprechungen aufgehalten und dann glatt abgewiesen. Er zog nun nach Rom; aber hier mußte der einfältige und grade Marschbauer so viele krumme Wege gehen, so viele niedrigere und höhere Stufen mit Gold belegen, daß er erst sehr spät vor den päpstlichen Thron gelangte und das Ziel seiner Wünsche erreichte.

Mit dem Dispens auf seiner frohen Brust eilte er aus dem letzten holsteinischen Grenzort, als er jene Feuersbrunst in der Marsch bemerkte. Sie erschien ihm wie ein Freudenfeuer, von der Geliebten angezündet, um seine Heimkehr zu feiern und zu beleuchten.

Spät am Abend erreichte er Neuenkirchen. An der westlichen Seite der Stadt kam er grade an der Brandstelle vorbei, wo nur dunkelrote Gegenstände, einzelne aufspringende Funken und die versengte Luft ihm anzeigten, daß hier die Feuersbrunst gewesen war, die er weithin in der Dämmerung gesehen hatte. Unbekümmert ritt er weiter nach Wöhrden zu, sich innig darauf freuend, wie süß der teure Brief das sehnsuchtsvolle Mädchen überraschen würde.

Es war Mitternacht, als er durch sein heftiges Klopfen alle Menschen auf Hans Wollersiens Hof weckte. »Wo ist Telse?« war sein erstes Wort. Sie war vor zwei Tagen nach Lunden gegangen, um ihre Muhme zu besuchen – lautete die Antwort. Kaum nahm er sich Zeit, dem Vater den päpstlichen Lösebrief zu zeigen; auf eines von dessen Pferden schwang er sich und flog nach Lunden davon. Da wußte niemand etwas von Telse.

Beschwert von dunklen Ahnungen, sich an jenes letzte, nicht unschuldige Fenstern erinnernd, kam er wieder zurück und erfüllte das Haus mit Entsetzen. – Beim ersten Tagesgrauen zogen alle aus, zu suchen.

Keine Spur vor Neuenkirchen: ein Mann von Epperwöhrden, der Telse Wollersien kannte, hatte sie jenen Abend getroffen und, als er an ihr lange vorüber war, mit Verwunderung gesehen, daß sie in die nun abgebrannte Scheune gegangen war.

Das fürchterliche Rätsel war gelöst. – Was half es dem racheschnaubenden Jüngling, dem unglücklichen kinderlosen Vater, daß sie einen Bürgerkrieg zwischen den beiden Städten entfachten, daß hunderte ihr unschuldiges Blut vergießen mußten, daß der Mordbrenner schließlich ausgeliefert und auf das grausamste hingerichtet wurde? Die elend Gemordete konnte nicht mehr zum Leben erweckt werden.


Im Jahre 1559, als die Freiheit Dithmarschens zu Grunde ging, als fünf Hardesvögte, die letzten übriggebliebenen von achtundvierzig, in dem verzweifelten, fruchtlosen Kampfe gefallen – flehentlich dem Nachkommen Königs Hans den hiernach niemals gebrochenen, niemals bereuten Huldigungseid ablegten; da war Reimer Vaget von Wimerstedt einer dieser fünf, ein alter Junggeselle von zweiundachtzig Jahren.


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