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Tod und Leben

Der persische König Feridun sah seine zärtliche und tugendhafte Gemahlin, die schöne Irandate, in seinen Armen verscheiden. Es schien ihm unmöglich, ihren Tod überleben zu können. Drei Tage und drei Nächte hatte er schon, ohne Speise und Schlaf, ohne andere Gesellschaft als seine Verzweiflung, verlebt. Da drang ein indischer Philosoph, der sein Vertrauen besaß, plötzlich in seinen einsamen Aufenthalt und sagte: »König aller Könige, verschmähe nicht, mir einen Augenblick Gehör zu schenken. Meine Absicht ist nicht, deinen Schmerz mit leidigen Trostgründen noch mehr zu reizen, ich komme vielmehr, dir die baldige Rückkehr des Gutes, welches du für verloren achtest, anzukündigen. Ja, in kurzem wird die Königin selbst die Tränen dir abtrocknen, welche du ihr nachweinst: sie wird aufs neue leben zu deinem und unserm Glück ... Du erstaunst, aber wisse, ich habe in den Schriften unserer alten Weisen ein Mittel entdeckt, die liebenswürdige Irandate wieder ins Leben zurückzurufen. Es ist ein zuverlässiges Mittel und es scheint ebenso einfach als leicht zu sein. Wir brauchen nur drei wahrhaft glückliche Menschen zu finden und ihre Namen auf Irandates Grabstein zu schreiben. Die Kraft dieser drei Worte wird dir deine erlauchte Gemahlin und den Untertanen ihre Königin und Mutter zurückgeben!«

»Oh,« rief Feridun, »ich will leben, um diese wunderbare Probe abzuwarten. Suche dir selbst die drei Glücklichen, weiser Kulai, deren du bedarfst. Wenn sie mir Irandate wiedergeben, dann bin ich glücklicher, als sie alle zusammen sein können.«

Sogleich ließ Feridun verkünden, wer wahrhaft glücklich sei, hätte sich bei dem Propheten Kulai zu melden, diesem auf seine Fragen Rede und Antwort zu geben, auch ihm den richtiggeschriebenen Namen einzuhändigen; von der schleunigsten Befolgung dieses Befehles hänge nach der Fügung des Himmels Feriduns Leben und Irandates Wiedererweckung ab.

Der Befehl war kaum auf dem großen Platze von Esteckar kundgemacht, so erschien ein junger Mensch, fast atemlos, bei dem indischen Philosophen und sagte trotzig: »Ich heiße Kobad – hier ist mein Name richtig geschrieben – wecke die Königin auf!« Nachdem er wieder etwas mehr zu Odem gekommen war, setzte er hinzu: »Aber tue es womöglich heute noch, denn ich sage dir wohlmeinend, es ist keine Zeit zu verlieren!«

»Warum bist du denn so eilig?« fragte der Philosoph.

»Ich bete die reizende, göttliche Menulen an. Sie ist das vollkommenste Geschöpf, so der Himmel für die Erde schuf, aber darf ich eine Art von Gotteslästerung begehen und bekennen, daß eben diese göttliche Menulen nicht ganz frei von den Launen ist, die man ihrem Geschlecht vorwirft? Gestern verbannte sie mich auf die grausamste Art; heute hat sie mich wieder rufen lassen und ich bin der Glücklichste aller Sterblichen. Wer weiß, ob ich es morgen ...«

»Ich verstehe dich,« unterbrach ihn Kulai, »du bist der Glücklichste aller Sterblichen, so lange dich die göttliche Menulen liebt, und sie liebt dich und gibt dich auf, nach den Launen des Wetters. Eine sonderbare Glückseligkeit! Ich für meine Person wollte lieber ein Wechselfieber haben; da sind doch die Anfälle regelmäßig und man weiß, woran man sich zu halten hat. Freimütig gestanden, lieber Kobad, nimm deinen Namen zurück, er taugt nicht zur Wiederbelebung der Königin.«

Einige Tage nachher kam ein Paar Liebender. Sie wurden besser aufgenommen. Zalzer und Balkis hegten seit länger als vier Jahren die gegründetste Hochachtung und die vernünftigste und zärtlichste Liebe für einander. Diese Liebe, der sich beständig neue Hindernisse in den Weg stellten, hatte endlich alle Schwierigkeiten besiegt. Sie kamen soeben vom Altar, wo sie sich für immer miteinander verbunden hatten. Die Schilderung ihres Glückes war so lebhaft und so rührend, daß der Philosoph davon bezaubert zu sein schien. Inzwischen machte er ihnen doch bemerklich, es sei ratsam, ihre noch so frische Glückseligkeit etwas auf die Probe zu stellen. »Die Probe soll weder lang noch kurz sein. Genießt acht Tage hindurch das Vergnügen euch zu sehen und zu besitzen, wohl verstanden: ununterbrochen ohne Zerstreuung, ganz von Menschen und ihrer Gesellschaft abgesondert. Ihr seid euch ja einander genug: zwei recht verliebten Herzen ist die ganze Welt gleichgültig.« Dieser Rat bezauberte die beiden. Sie eilten, alle die Süßigkeiten eines achttägigen Zusammenseins zu genießen. Wie entzückend verfloß der erste Tag! Der zweite war es minder, am dritten langweilten, am vierten zankten und schon am fünften trennten sie sich.

Nach dem jungen Ehepaare ließen zwei Männer, die nach ihrem ziemlich traurigen Aussehen nicht viel versprachen, den Philosophen um einen Augenblick Gehör bitten. Es waren Brüder, der ältere von ihnen nahm das Wort. »Wir sind,« sagte er, »ohne Geburt, ohne Freunde und in der kleinen Stadt, in der wir leben, kaum unseren Nachbarn bekannt, mit einem Wort, wir sind gar nicht glücklich, aber, sofern es dem König beliebt, würden wir es bald und noch mehr sein, als man zur Wiederbelebung der Königin braucht. Es kommt nur darauf an, meinen Bruder zum Vogt in einer nur kleinen Stadt zu ernennen und mir, dessen Neigungen minder hochfliegend und vernünftiger sind, ein kleines Geschenk von zwanzigtausend Goldstücken auszahlen zu lassen.«

»Euer beiderseitiges Verlangen,« antwortete Kulai, »ist sehr tauglich, ich will herzlich gerne mit dem König darüber sprechen. Er wird euch solche Kleinigkeiten nicht abschlagen, nur erlaubt mir eine einzige Bedingung hinzuzusetzen. Es ist vor allem notwendig, daß du mir einen Mann, der zwanzigtausend Goldstücke, meinetwegen auch hunderttausend im Vermögen besitzt – und daß du wieder mir einen Vogt einer kleinen oder auch großen Stadt aufführst, welche beide mit ihrem Schicksal vollkommen zufrieden sind; alsdann soll euch willfahrt werden, denn anstatt dreier Glücklicher, die wir suchten, haben wir hernach vier.«

Die beiden Brüder übernahmen freudig den Auftrag und versprachen, jeder mit einem Kameraden bald wieder zu erscheinen. Aber sie kamen nicht wieder. Sie fanden, wie man sagt, lauter Reiche, die noch reicher, und Stadtvögte, die Vögte über Provinzen werden wollten.

Auf solche Art schaffte sich Kulai eine Menge Träumer vom Halse, die sich durchaus versprachen, recht glücklich zu werden, im Falle sie ein Landgut oder eine Stelle oder einen Titel erhalten könnten. Nach so vielen eitlen und eigennützigen Seelen kam endlich von den Grenzen Persiens ein Mann, der nichts verlangte und auch nichts wünschte. »Ich,« sagte der glückliche Sterbliche, »liebe nichts als das Vergnügen, aber ich liebe es weislich. Um es desto mehr zu genießen, gebe ich ihm Mannigfaltigkeit; ich mäßige es, ja, ich beraube mich desselben sogar bisweilen. Ich bin noch jung, meine Gesundheit ist trefflich, mein Vermögen ansehnlich, hiezu kommt noch, daß ich von einem sanften und fröhlichen Humor bin, daß ich Freunde besitze, die mir nicht zur Last fallen, daß ich eine reizende Geliebte habe, die ich weder zu viel noch zu wenig liebe. Urteile nun selbst, ob ich bei dem allen mich nicht für glücklich zu schätzen Ursache habe?«

»Du hast allerdings Ursache. Ich gestehe dir aufrichtig, an deiner Stelle würde ich den Tod sehr fürchten.«

»Er ist mir sicherlich auch nicht ganz gleichgültig, doch die Güter des Lebens wären zu gering geachtet, fürchtete man nicht, sie zu verlieren.«

»Sehr richtig – aber sind sie denn wahrhafte Güter? Gewähren sie ganz reichen Genuß, sobald diese Furcht ihren Besitz vergällt?!«

»Ich denke an den Tod so wenig wie möglich.«

»In diesem Falle tust du noch besser, gar nicht daran zu denken oder, was nicht schwer sein dürfte, ein Mittel gegen den Tod ausfindig zu machen, alsdann kann ich deinen Namen auf das Grab der Königin schreiben.«

Der Mann der Vergnügungen drehte sich um und versuchte, nicht mehr an den Tod zu denken. Aber selbst dieser Versuch enthielt den Gedanken an den Tod. Er gab sich den Orgien der Liebe hin, um diesen zu verscheuchen, doch die Melancholie des Todes überfiel ihn, so oft er neben sich ein Weib liegen hatte.

Kulai sann nun mit Ernst darauf, seinem tragischen Lustspiele, bei dem er ein Vierteljahr eine ziemlich ermüdende Rolle gespielt hatte, ein Ende zu machen. Er suchte den König auf, dessen Schmerz ihn unterdessen viel umgänglicher machte, so daß sich der Philosoph nicht scheute, ihm den geringen Erfolg seiner Nachforschungen zu entdecken. »Aber,« sagte der Monarch, »was mühen wir uns nach all dem noch mit weiterem Suchen und Fragen! Setze auf das Grab der Königin die Namen deiner zwei Kollegen und den deinigen voraus. Wie stünde es sonst mit dem so reinen Glück, zu welchem der Philosoph durch seine Weisheit zu gelangen trachtet?«

»Ach Monarch! Die Philosophen sind Menschen, sie täuschen sich oft und lügen bisweilen. Was mich anbelangt, so gebe ich mir nun schon seit dreißig Jahren alle Mühe, weise und glücklich zu werden, und doch bin ich leider weder das eine noch das andere.«

»Also, lieber Kulai, wäre niemand glücklich?«

»Weil ich es denn einmal gestehen muß: es ist so. Kein Sterblicher kann es auf dieser Erde werden. Die Heldin, die du beweinst, lernte frühzeitig diese traurige und heilsame Wahrheit einsehen. Sie unterwarf sich mutig den Ratschlüssen des Himmels und verdient sich unstreitig ein besonderes Leben. O König aller Könige, ahme deine erhabene Königin nach und höre endlich einmal auf, über ihr glücklicheres Los zu trauern!«

Feridun wußte, als er alles wohl überlegt hatte, dem Philosophen für seine List und ihren Zweck Dank. Er gab den Plan auf, die Königin wieder aufzuwecken, und tröstete sich, wie man sich gewöhnlich zu trösten pflegt. Zeit, Zerstreuung und neues Ungemach ließen ihn das vorige vergessen.


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