Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das achtzehnte Kapitel, welches berichtet, was inzwischen in Rom geschah

In dem kleinen Raum lagen die letzten Inwohner des verfallenen Vatikans auf den Knien, und von den sechs Greisen hatte der älteste vom Ende der Zeiten gesprochen. Nun sank seine Stimme in ein tonloses Flüstern, und der Greis tastete mit der Linken nach dem Betschemel, denn er wollte aufrecht knien bleiben. Drei Tage und drei Nächte der Erwartung und des Betens hatten die Greise bis auf den predigenden Papst völlig erschöpft und sie waren während der letzten Predigt Petrus II. in Schlummer gesunken. Als aber der Papst schwieg und die schlafenden Alten sah, weckte er sie mit den Worten des Evangelisten. »Was schlafet Ihr? Stehet auf und betet, auf daß Ihr nicht in Anfechtung fallet.«

Da erwachten die Greise und einer von ihnen erhob sich, es war der letzte Nobelgardist, der geblieben war, um die apostolische Majestät zu stützen und ihr zu dem kleinen Fenster zu helfen, das auf den vatikanischen Platz ging. Ihn füllte ein ungeheueres Gewimmel von Menschen bis über den Rand, hing an den Collonaden, den Gesimsen, in den Fenstern, auf den Dächern der fernen Gebäude und Türme und ein gewaltiger böser Schrei fuhr in die Luft als die Menge des Antichrist den verlassenen Papst am Fenster erblickte. Und Kanonenschläge und Gewitter geblasener Tuben und Hörner rissen den Schrei weiter, denn der siegreiche Sohn des Tieres bestieg in diesem Augenblick den Thron, der am Tore Sankt Peters errichtet war vor einem leeren Eirund. Um den Thron wehten die goldroten Standarten, bestickt mit den drei sechszackigen Sternen, als welches das Zeichen des Tieres und der Zahl seines Namens war. Und eingebrannt in die rechte Hand trugen die Garden dieses selbe Zeichen dessen, der sich den Erwarteten nannte.

Auf dem leeren Rund, vom Fenster aus kaum scheidbar in ihren gelben Laken vom rötlichen Sande, lagen aber die beiden Leichname Henochs und Elias. Grauhaarig und skeletthaft mager der fahle Elias, braungebrannt und das kurze schwarze Haar straff in die Stirn gestrichen der jüngere Henoch, so lagen sie nach dem Worte der Apokalypse: »Und wenn sie ihr Zeugnis geendet haben, so wird das Tier, das aus dem Abgrund aufsteiget, mit ihnen einen Streit halten und wird sie überwinden und töten. Und ihre Leichname werden liegen auf der Gasse der großen Stadt, die da heißt geistlich Sodom und Ägypten, da unser Herr gekreuzigt ist. Und es werden ihre Leichname etliche von den Völkern und Geschlechtern und Sprachen drei Tage und einen halben sehen, und werden ihre Leichname nicht lassen in Gräbern liegen.«

Es hatte der Fürst dieser Welt, der sich den Erwarteten nannte, den Befehl gegeben, daß niemand sich den Leichnamen der Märtyrer bei Todesstrafe nähern dürfe, und daß die Garden den mit den Schwertern zerhauten, der es wagte, über die Toten Gebete zu sprechen.

Nun waren die toten Leiber des Henoch und Elias drei Tage und drei Nächte und fast noch einen halben Tag hier gelegen, und der Antichrist war gekommen in seinem Stolze, die Toten noch einmal zu sehen, denn es ist gesagt: »Und nach drei Tagen und einem halben fuhr in sie der Geist des Lebens von Gott, und sie traten auf ihre Füße, und eine große Furcht fiel über die, so sie sahen. Und sie hörten eine große Stimme vom Himmel zu ihnen sagen: Steiget herauf! Und sie stiegen auf in den Himmel in einer Wolke und es sahen sie ihre Feinde.« Der Fürst dieser Welt hatte den Schwur getan, daß diese Toten nicht mehr zum Leben erstehen sollten, wovon alles befreite Volk Zeuge sein würde.

Darum war die ungeheure Menge Volkes hier zusammengeströmt, um sich seines eigenen Triumphes zu freuen und trug jeder aus der Menge das Zeichen des Tieres auf der Stirne im Rahmen dreier scharfer Falten. Nur Petrus und die fünf Greise, die hinter ihm am Fenster standen, erwarteten noch das Wunder, wie es verheißen war.

Unwillkürlich, wie in Abwehr, hob der Papst die Hände, als nun sein Blick den Fürsten der Erde wahrnahm, dem das Haar wie eine gelbrote Lohe um das zum mächtigen Rumpfe viel zu kleine Köpfchen flammte, das zwei silberglänzende Stierhörner, die aus dem Stirnbuckel sprangen, zusamt der Haarflamme sichtbarer machten als sonst Zeichen menschlichen Antlitzes, denn die Augen lagen tief, die Nase war platt und der Mund wie mit einem Messer in die Haut geritzt. Und rückschauend in die Zeit ersah Petrus II. Stunde und Stelle, da der Fürst dieser Erde zur Welt kam. Unter dem siebenten Pius war es, in der nebelschmutzigen Gasse einer nordischen Stadt, da warf ein Weib das Neugeborene in die Pfütze aus Abwässern von Fabriken und Palästen. Und aus der Pfütze sog es die ekle Nahrung, die den Bauch auftrieb, das Herz verhärtete und das Hirn verkümmerte. Tausend Gestalten nahm das unforme Wesen an, war heute Herr, morgen Knecht, dann wieder Herr und aufs neue Diener, und war so und so Diener und immer Knecht dumpf gurgelnden Aufstands gegen Gott den Allmächtigen. Es war unter dem neunten Pius, daß die Mißgeburt des Bauches Kraft gewonnen hatte, sich seltsam zu vervielfachen, also, daß er Tausend war und doch Einer, befehlender Herr war und dienender Knecht, Fabrikant und Arbeiter, Herrscher und Untertan, Feldherr und Soldat, Freund und Feind.

Und den Papst drückte ein Schauer zusammen, da er es sich ohne Erbarmen sagte, daß jener da unten mit den Silberhörnern auch in das Haus des Herrn gedrungen war, hier Priester war und Gläubiger, Beichtiger und Bekenner, Spender und Empfänger des Sakramentes, Hirt und Herde.

Petrus II. mußte sich, erschreckt von solchem Bewußtwerden, umsehen nach den wenigen Getreuen, um seiner Erschütterung Herr zu werden im Anblick dieser hinsterbenden fünf Greise, die voll Glaubens waren wie er und das Wunder erwarteten, seiner sicher wie er. Sie stützten und hielten einer den andern in ihres Leibes großer Schwäche und fingen den Blick des hundert Jahre alten Papstes auf, neu belebender Funke in ihrer äußersten Verdorrung. Das Lamm Gottes hatte das siebente Siegel des Buches aufgebrochen und es war vergeblich gewesen. Die Menschen höhlten die Erde aus bis in ihr innerstes Feuer und trieben damit ihr infernalisches Werk, daß nach dem Worte der Schrift Sonne und Himmel verdunkelt waren vom schwelenden Rauche. Und Getier kam aus den gehöhlten Tiefen und Abgründen und wandelte alles Lebende nach seinem Bilde. Und viele suchten in Verzweiflung den Tod und fanden ihn nicht. Daran aber wuchs die Macht des Fürsten der Erde, und alles Volk der Erde bewunderte sich in ihm und fand nicht seines Gleichen außer in sich selber.

Und wie der Apostel verkündet hatte, also geschah es, daß das große Tier Wunder tat. Es wandelte das Bewegte in Licht und das Licht in Wärme und fing aus der Luft das schwirrende Tönen in seiner Silberhörner Spitzen und konnte sagen, was überall auf Erden geschah, und konnte sehen, was überall auf Erden sich begab, und war keine Wand stark genug, daß sein Blick nicht hindurchdrang, und konnte mit einem Druck seines einen Fingers Berge zum Bersten bringen von unten bis oben und konnte fliegend der Sonne Lauf überholen zehnmal.

Alles diente der Erde und ihrem Fürsten. Die Kirchen zerbröckelten in Staub, und ihre Priester starben in evangelischer Armut nicht, aber im Elend. Und der Papst mußte des letzten Konklaves gedenken, das ihn vor drei Jahren zum Papst erwählte, der sieben Kardinäle in mottenzerfressenem Rot, und des zerlumpten Kamerlengus, der, vor ihm kniend, die sakramentalen Worte gesprochen hatte: Quo modo vis vocari?

Und da hatte der älteste Kardinal, der symbolischen Vorbestimmung des Namens sich erinnernd, leise die Worte gesprochen: »Tu es Petrus et super hanc petram ...« und noch leiser fügte er des heiligen Malachias Weissagung hinzu: »Petrus der Römer wird die Lämmer weiden in den Ängsten der Verfolgung des letzten Tages. Der Kardinal soll also Petrus II. heißen, der verheißene Papst des Endes der Zeiten.«

Als aber diese Zeiten zum Ende kamen, der Tod und das Leben keine Grenzen mehr zueinander hatten, Totes hinschritt wie Lebendes und Lebendes als ein Totes blickte, da waren inmitten solchen tiergezeichneten Volkes jene erschienen, die keiner erwartete: Elias und Henoch, von Gott aus dem Totenreiche gehoben, um Zeugnis zu geben vom Zeitenende, und sie hatten zweitausendeinhundertundsechzig Tage gepredigt, bevor der Antichrist sie besiegte und erschlug. So lagen sie unbegraben auf dem Platze seit dreien Tagen und dreien Nächten und noch einen halben Tag, und die Stunde ihrer Auferstehung war gekommen nach dem Worte des Herrn, und der Papst wartete, die Augen auf die Leichname geheftet und betend. Aber die Märtyrer erhoben sich nicht. Der Antichrist spie Schimpfworte auf die Leichname, und der Papst weinte. Denn er wußte seine Stunde gekommen und daß er nun hingehen müsse, den Tod zu empfangen von jenem.

Das seit zwölf Jahren verschlossene bronzene Tor öffnete sich, und gestützt von seiner Garde, gefolgt von den vier roten Kardinälen verließ, zum ersten Male seit der Eroberung Roms unter dem neunten Pius, der gefangene Papst den Vatikan.

Die Menge wich zurück, verstummte. Der Papst ging zum Tode. Er schritt mit erhobenen Armen auf die Leichname zu, die Gebete zu sprechen, die verboten waren, und sie zu beschwören, sich zu erheben und zu gehen im Namen des lebendigen Gottes. Da legten auf ein Zeichen des Fürsten die Garden an und feuerten. Die Greise stürzten, das Haupt zur Erde. Aber mit seinen taumelnden Händen richtete sich der Papst auf die Knie und segnete mit der ringgeschmückten Rechten die Leiber der beiden Propheten und flüsterte die nicäische Formel: »Credo in Spiritum Sanctum ... Sanctam Ecclesiam ... Sanctorum communionem, remissionem peccatorum ...«

Und dann laut mit aller seiner letzten Stimme: »Carnis resurrectionem, Vitam aeternam.«

Und da, in dem Augenblicke, da der letzte Papst seinen Geist aufgab, erhoben sich Elias und Henoch, die Propheten, die Erde erbebte, der Himmel verschlang sich in einer ungeheuren Flamme und die Welt ging ein in die Ewigkeit.

 


 << zurück weiter >>