Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Drittes Zehent
Honoré de Balzac

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II. Was für ein Ende diese Ehe nahm

Die Dame von Isle-Adam zeigte keine Lust, zu Hofe zu gehen, da es sehr fraglich war, wie sie da empfangen worden wäre; sie zog es vor, auf dem Lande zu leben, wo ihr Gemahl die schöne Herrschaft Beaumont-le-Vicomte für sie kaufte, auf deren Namen eine feine Anspielung gemacht wurde, die unser vielgeliebter Meister François in seinem glorreichen Buche der Nachwelt aufbewahrt hat. Der junge Ehemann erwarb dazu noch die Herrschaft von Nointel, den Wald von Karanelle, St. Martin und andre Orte, die an die seinem Bruder gehörige Herrschaft von Isle-Adam grenzten. Durch diese Erwerbungen wurde er einer der mächtigsten Grundbesitzer in Isle de France und der Vizegrafschaft von Paris. Er baute in Beaumont ein prächtiges Schloß, das später durch die Engländer zerstört wurde, und schmückte es mit den kunstvollen Geräten, Truhen, ausländischen Teppichen, kostbaren Gemälden und Bildern in Holz und Elfenbein, die seiner Frau gehört hatten, als welche in diesen Dingen eine große Kennerin war, und wodurch dieses Schloß zu einer der größten Sehenswürdigkeiten unter den übrigen Schlössern des Landes wurde. Die beiden Gatten führten da ein vielbeneidetes Leben, und in der Stadt Paris und am Hofe des Königs konnte man nicht genug erzählen von dem Glück des Herrn von Beaumont und dem tugendhaften, frommen und vollkommenen Lebenswandel seiner schönen Frau Gemahlin, die man aus alter Gewohnheit immer noch Frau Imperia nannte, trotzdem sie von ihrer früheren hochfahrenden und hochnäsigen Art auch nicht das geringste mehr an sich trug, dafür aber alle Eigenschaften einer vornehmen und ehrbaren Schloßfrau an den Tag legte, von der eine Königin hätte lernen können. Große Stücke hielt man auf sie wegen ihrer aufrichtigen Frömmigkeit bei der Kirche; hatte sie doch Gott niemals im Leben ganz vergessen, sondern schon früher, wie sie zu sagen pflegte, durch ihren Verkehr mit geistlichen Würdenträgern jeder Art, mit Äbten, Erzbischöfen, Kardinälen und andern, Gelegenheit genug gefunden, auch zwischen ihren Bettüchern an das Heil ihrer Seele erinnert zu werden.

Das Lob, das dem König von allen Seiten über die Dame gesungen wurde, machte ihn so neugierig, dieses Wunder zu sehen, daß er nach Beaumont kam und dem Herrn von Beaumont die Gnade erwies, auf dessen Schloß zu übernachten, auch drei Tage bei ihm zu verweilen, und ein königliches Jagen veranstaltete, an dem die Königin und der ganze Hof sich beteiligten. Und ihr könnt euch denken, daß sowohl der König und die Königin wie auch alle Damen des Hofes bezaubert waren von der Schönheit und den höfischen Manieren der Dame von Isle-Adam. Jedermann vom Hofe, der König an der Spitze, auch die Königin nicht ausgenommen, beglückwünschten den Herrn Villiers zur Wahl seiner Gemahlin, deren bescheidenes Auftreten mehr Eindruck machte, als es ihr Stolz getan haben würde, so daß man sie aufforderte, zu Hofe und überallhin zu kommen. Denn so stark war ihre heftige Liebe zu ihrem Gatten, daß sie unter der Fahne der Tugend noch liebreizender erschien. Der König verlieh seinem ehemaligen Botschafter die vakante Statthalterschaft von Isle de France und gab ihm den Titel eines Vizegrafen von Beaumont, wodurch er Gouverneur der ganzen Provinz wurde und am Hofe eine große Rolle spielte.

Bei Gelegenheit der genannten Jagd war es übrigens, daß das Herz der Dame von Beaumont den ersten Stachel empfing, indem ein Neider ihres Glücks sie scherzend fragte, ob der Herr Gemahl ihr auch von seiner ersten Liebe zu dem Fräulein von Montmorency gesprochen habe. Diese Dame stehe nun im zweiundzwanzigsten Jahre (sie war also bei der Verheiratung ihres ehemaligen Verlobten sechzehn) und weigere sich hartnäckig, eine andre Vermählung zu schließen, sondern verzehre sich in Sehnsucht nach ihrem einstigen Geliebten, den zu vergessen und sich aus dem Sinn zu schlagen ihr eine Unmöglichkeit sei, weshalb das Gerücht gehe, daß sie nächstens in das Kloster von Chelles als Nonne eintreten wolle.

Seit den sechs Jahren ihres Glücks war dies das erstemal, daß der Name des Fräuleins von Montmorency zu Frau Imperias Ohren kam, und sie erkannte daraus, wie sehr sie geliebt wurde. War doch diese ganze Zeit den beiden vergangen wie ein einziger Tag; jede ihrer Nächte war eine neue Hochzeitsnacht für sie, und wenn der Graf, um seine Geschäfte im Lande zu besorgen, sich von seiner Gemahlin trennen mußte, wurden sie beide ganz trübsinnig, so wenig vermochten sie eines ohne das andre zu leben. Aber auch dem Grafen, den der König so sehr liebte, wurde von diesem ein Wort gesagt, das ihm wie ein Dorn im Herzen zurückblieb.

»Du hast keine Kinder?« fragte ihn die Majestät.

»Gnädiger Herr«, antwortete Beaumont, indem er sich zusammennahm wie ein Mann, in dessen schmerzende Wunde man den Finger bohrt, »gnädiger Herr, mein Bruder hat Söhne, und also ist unsre Nachkommenschaft gesichert.«

Nun ereignete es sich aber, daß die beiden Söhne dieses Bruders plötzlich starben, der eine bei einem Turnier durch einen Sturz vom Pferde, der andre an Krankheit, und ihr Vater sich den Tod dieser geliebten Söhne so sehr zu Herzen nahm, daß er aus Kummer darüber in kurzer Zeit dahinsiechte. So wurden Beaumont und die erworbenen Herrschaften Nointel, St. Martin nebst zugehörigen Domänen mit dem benachbarten Isle-Adam vereinigt, und aus dem jüngeren Sohn wurde das Haupt der Familie.

Frau Imperia zählte um diese Zeit fünfundvierzig Jahre und hatte sich jung genug erhalten, um Kinder bekommen zu können. Aber sie bekam keine. Als nun die Nachkommenschaft der Isle-Adam ausgestorben war, setzte sie alles daran, ein Kind zu haben; aber nach verflossenen sieben Jahren mußte sie die letzte Hoffnung auf Empfängnis aufgeben. Sie ließ einen berühmten Arzt von Paris kommen, um ihn über den Grund ihrer Unfruchtbarkeit auszuforschen. Der Meister Medikus gab ihr zu verstehen, daß sie und ihr Gemahl zuviel Vergnügen an der Sache vorwegnähmen und eher wie zwei Verliebte als wie zwei Eheleute miteinander verkehrten, wodurch sie allein schon die Empfängnis verhinderten. Da gab sich die gute Frau alle Mühe, so ruhig zu bleiben wie die Henne unter dem Hahn, denn der Arzneikünstler hatte ihr nahegelegt, wie bei den Tieren, die man eben darum die dummen Tiere nenne, die Befruchtung in der Regel unausbleiblich sei, weil ihre Weibchen nichts wissen von all den kitzeligen Kunstgriffen, frivolen Spielereien und verdächtigen Lesbinereien, mit denen unsre Damen sich den Bissen verfeinern und verzuckern.

Faßte also Frau Imperia den festen Vorsatz, all ihre gelehrten und spitzfindigen Rezepte, an deren Studium und Vervollkommnung sie ihr Leben lang gearbeitet hatte, künftighin ganz und gar außer Brauch zu setzen und sich womöglich nicht anders bei der Sache zu verhalten wie jene deutsche Baronin, die durch ihre Unbeweglichkeit und Unempfindlichkeit ihren Gemahl dahin gebracht, daß er sie zu Tod genudelt, worauf der Papst, zu dem der Baron um der Absolution dieser Sünde willen gewallfahrtet, sein berühmtes Breve erlassen, darin er die Damen des teutonischen Landes ermahnte, sich bei der gewissen Sache wenigstens so weit ihrer Haut zu wehren, um einem derartigen Verbrechen in Zukunft vorzubeugen.

Aber ach! auch diese Bemühung blieb fruchtlos, und die Herrin von Isle-Adam verfiel darüber in eine große Traurigkeit und Mutlosigkeit. Sie beobachtete manchmal ihren Gatten, wie er nachdenklich vor sich hin starrte, wenn er sich allein glaubte, und wie er heimlich weinte, weil seiner Liebe keine Frucht geschenkt ward. Und da in dieser schönen Ehe alles gemeinsam war und keines von beiden auch nur einen Gedanken vor dem andern geheimhalten konnte, so dauerte es nicht lange, daß beide Gatten, wie einst ihr Glück, so jetzt ihren Kummer sich täglich mitteilten und ihre Tränen gar oft in eins zusammenflossen.

Wenn Frau Imperia dem Kind eines Armen begegnete, wollte sie sterben vor heimlichem Schmerz, und ihr Gatte hatte einen ganzen Tag lang an ihr zu trösten. Er befahl zuletzt, weil er den großen Kummer nicht mehr ansehen konnte, daß sich kein Kind mehr in der Nähe der gnädigen Frau zeigen durfte. Er selber gab seiner Gemahlin die sanftesten Worte; er gab ihr zu bedenken, wie oft die Kinder schlecht gerieten, worauf sie aber erwiderte, daß ein Kind von ihnen beiden unmöglich ungeraten sein könne, sondern vollkommen sein werde als nur ein Kind auf der Welt. Dann versetzte er, wie seine Söhne sterben könnten gleich denen seines armen Bruders. Sie aber entgegnete ihm, ihr würden die Kinder ganz gewiß nicht wegsterben, weil sie dieselben ebensowenig von sich lassen wollte als eine Henne ihre Küchlein, nicht von der Schürze sollten sie ihr kommen, kurz, fand auf alles eine Antwort.

Sie ließ jetzt ein altes Weib zu sich rufen, das im Geruch stand, hexen zu können und sich besonders auf diese Art von Geheimwissenschaft zu verstehen. Diese sagte ihr, daß oft Frauen des lustigen Gewerbes dann empfangen hätten, wenn sie die Sache auf Art der Tiere angefangen, als welches die einfachste sei. Also tat die Dame nach dem Rat dieser Vettel in der Art, wie es die Tiere tun; aber ihr Leib verlor seine Schlankheit nicht und blieb fest und weiß wie Marmor. Nun kam sie von neuem auf die Wissenschaft der Doktoren von Paris zurück und zog zuletzt einen berühmten arabischen Arzt zu Rate, der nach Frankreich gekommen war, um seine ganz neue ärztliche Wissenschaft da anzumelden und zu verbreiten.

Dieser Arzt, der in der Schule eines gewissen Meisters mit Namen Averroës studiert hatte, sagte ihr sehr grausame Worte. Da sie, erklärte er, sich in ihrem Leben zu vielen hingegeben und sich ihrem Handwerk entsprechend keinerlei Beschränkung auferlegt, so habe sie für immer in ihrem Leibe gewisse traubenkammähnliche Gebilde zerstört, an denen Mutter Natur eine Menge Eier befestigt, welche, vom Mann befruchtet, in schützender Hülle ausgebrütet werden, bis daraus das junge Leben bei der Niederkunft hervortritt und sozusagen ausschlüpft, was ganz deutlich bewiesen wird durch die Haut, die den Kopf der neugeborenen Kinder bedeckt. Diese Beweisführung schien so einfältig, dumm und albern, so entgegengesetzt der Heiligen Schrift, wo geschrieben steht, daß der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sei, und so ganz im Widerspruch mit der gesunden Vernunft und den althergebrachten Anschauungen und Lehrmeinungen, daß die Ärzte von Paris sich nicht genug darüber lustig machen konnten. Der morgenländische Arzt verließ daher die Schule von Paris, wo von seinem Meister Averroës von da an nicht mehr die Rede war. Die Pariser Ärzte aber erklärten der Frau Imperia, die in ihrer Bedrängnis nach Paris kam, sie könne nichts Gescheiteres tun, als in ihrer seitherigen Gepflogenheit fortfahren, da sie ja schon einmal während ihres früheren Lebens von dem Kardinal von Ragusa ein Kind empfangen, die schöne Theodora. Solange ihre Natur noch wach sei und der Strom ihres Geblüts noch fließe, solle sie weder ihre Hoffnung noch ihre Bemühungen aufgeben. Dieser Ausspruch schien ihr höchst weise, und sie verdoppelte ihre Anstrengungen, erhielt aber wieder nur Blüten ohne Früchte.

Da schrieb die betrübte Frau an den Papst, der sie sehr liebte, und vertraute ihm ihren Kummer. Der gute Papst antwortete ihr gnädigst in einem eigenhändigen Schreiben. Wo die menschliche Kunst und Wissenschaft versage, meinte er, sei es an der Zeit, die Hilfe des Himmels und den Beistand des allgütigen Gottes anzuflehen. Darauf wurde von den beiden Gatten beschlossen, barfuß zu Notre-Dame de Liesse zu wallfahrten, als welche bekannt ist für ihren Beistand in den besagten Fällen, und ihr das Gelübde zum Bau einer prächtigen Kathedrale abzulegen, wenn ihnen ein Kind geschenkt würde.

Kasteite sich so die arme Frau und verdarb ihre schönen Füße, ohne aber etwas andres davonzutragen als einen noch schmerzlicheren Kummer, eine noch bittere Betrübnis, dergestalt, daß ihr die Haare ausgingen und andre weiß und grau wurden. Darüber verlor sie auch noch die letzte Hoffnung und Möglichkeit, ein Kind zu bekommen, und wurde mit der Zeit so lebensfeindlich und schwermütig und bekam eine gelbe Hautfarbe, also daß sie zuletzt mit keinem Tritt mehr ihr Schloß verließ, in welchem sie sich verkroch wie ein Aussätziger in seinem Spittel. Sie näherte sich jetzt den Sechzig, und die Arme verzweifelte um so mehr, als ihr Gatte sie noch immer in gleichem Grade liebte und gut gegen sie war, wie man nur gut sein kann, während sie doch selber, die allzuviel Männern gehört hatte, kaum noch ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen sich imstande fühlte und ihrem Gemahl, wie sie sich verächtlich ausdrückte, nichts mehr sein konnte als eine Bettflasche, um ihm das Eingeweide zu wärmen.

»Ach«, sagte sie einmal zur Abendstunde, wo sie wieder von diesen quälenden Gedanken verzehrt worden, »trotz Kirche und Kaiser, König und Papst ist die Frau von Isle-Adam doch immer noch die schlimme Imperia.«

Oft kam eine unbändige Wut über sie, wenn sie ihren blühenden Gemahl ansah, der alles besaß, was er wünschen konnte, große Güter, die königliche Gunst, die schönste Frau der Welt, eine Liebe ohnegleichen, unerhörte Seligkeiten der Liebe, alles, nur keine Nachkommen. Und sie blieb ohnmächtig in dieser für ein Familienoberhaupt so wichtigen Sache. Sie wünschte zu sterben bei dem Gedanken, wie er sich edel und großmütig gegen sie benahm, die so wenig ihre Pflicht erfüllte, da sie ihm kein Kind geschenkt und nun auch keines mehr schenken konnte. Da verbarg sie ihren Schmerz im tiefsten Herzen und tat ein heiliges Gelöbnis, ihrer großen Seele würdig. Um ihren heldenmütigen Vorsatz gut zu Ende zu führen, zeigte sie sich noch liebevoller als sonst, pflegte ihre Schönheit mit äußerster Sorgfalt und gebrauchte alle Mittel, die sie besser kannte als eine, um ihren Körper jung zu erhalten, der noch immer in erstaunlicher Frische glänzte.

Um diese Zeit war es, daß der Herr von Montmorency die Abneigung gegen die Ehe bei seiner Tochter überwand, dergestalt, daß sie sich mit einem Herrn von Chastillon verlobte. Von dieser Verbindung wurde viel gesprochen, und Frau Imperia sagte sich, daß jetzt die Zeit für sie gekommen sei, zu handeln und ihr Gelübde einzulösen.

Ihr Kastell lag nur drei Meilen von Montmorency entfernt, und eines Tags, nachdem sie ihren Gatten auf die Jagd geschickt, machte sie sich selber auf den Weg nach dem Schlosse, wo sie wußte, daß sie das Fräulein von Montmorency finden werde. Dort angekommen, beauftragte sie einen Diener, dem Fräulein zu sagen, daß eine Dame sie in einer wichtigen Sache zu sprechen wünsche. Sehr neugierig gemacht durch die Beschreibung des Dieners von der Schönheit, höfischen Art und dem Gefolge der unbekannten Dame, begab sich das Fräulein von Montmorency in großer Eile in den Garten und traf hier ihre Nebenbuhlerin, die sie nie in ihrem Leben gesehen hatte.

»Meine Teure«, sprach die arme Frau unter Tränen, als sie das Fräulein schön sah, wie sie selber einst war, »ich weiß, daß man Euch zwingen will, den Herrn von Chastillon zu heiraten, trotzdem Ihr in Eurem Herzen niemand liebt als den Herrn Villiers de l'Isle-Adam. Darum bitte ich Euch, glaubt meiner Prophezeiung: der Mann, den Ihr liebt und der in Schlingen gefallen ist, aus denen ein Engel des Himmels sich nicht hätte retten können, wird über kurzem von seiner alten Frau befreit, und Eure treubeständige Liebe wird mit Sieg gekrönt werden, noch ehe im Herbst die Blätter fallen. Habet also den Mut, Euch der geplanten Heirat zu widersetzen, und Ihr werdet Euch Eures Geliebten erfreuen dürfen Euer Leben lang. Schwört mir, den Herrn Villiers über alles zu lieben und niemals einen Kummer dem zu bereiten, der der Beste und Edelste ist unter allen Männern dieses Landes. Bittet ihn, daß er Euch die Geheimsprache der Liebe lehre, die Frau Imperia erfunden hat, damit wird es Euch, jung wie Ihr seid, gelingen, die Erinnerung an diese Frau in seinem Herzen zu töten.«

Das Fräulein von Montmorency war so starr vor Erstaunen, daß sie keine Antwort fand und die Königin der Schönheit, die das Fräulein für eine Art Fee gehalten, sich längst entfernt hatte, bevor ein Arbeiter seine Herrin darüber aufklären konnte, daß die Fremde die Dame von Isle-Adam war. Wie rätselhaft nun dieses ganze Erlebnis schien, erklärte doch das Fräulein ihrem Vater, daß sie sich erst nach dem Herbst zu der genannten Verbindung entschließen wolle. So sehr liegt es in der Natur der Liebe, sich an die Hoffnung zu klammern, auch wenn diese verlockende und trügerische Person noch so unglaublich närrisch aufgeputzt ist.

Während des ganzen Monats der Weinlese wollte Frau Imperia ihren Gatten nicht mehr von sich lassen, sie erfand immer neue Freuden für ihn und umflammte ihn dergestalt mit dem Feuer ihrer Liebe, daß man hätte glauben können, sie wollte ihn ersticken in ihrer Glut. Sie war jede neue Nacht eine neue Frau für den vielgeliebten Mann. Dann, beim Erwachen, bat sie ihn, die vollkommene Liebe gut in seinem Gedächtnis zu bewahren. Und um das Herz ihres Freundes zu prüfen, sagte sie:

»Armer Schatz, das war nicht klug von dir, mit deinen dreiundzwanzig Jahren eine alte Frau von beinahe vierzig zu nehmen.«

Sein Glück, sprach er, sei ihm von Tausenden geneidet worden; denn unter allen Jungfrauen des Landes sei keine zu finden, die es mit ihr, der einzigen, aufnehmen könnte, trotz ihrer Jahre, als welche er darum lieben müsse bis in den Tod, dergestalt, daß ihre Runzeln, wenn sie je altern sollte, ihm noch teurer wären, ja, daß er überzeugt sei, sie auch im Grabe und als Skelett noch liebenswürdig zu finden.

Bei diesen Worten traten der armen Frau die Tränen in die Augen. Aber sie verstellte sich.

Das Fräulein von Montmorency, sagte sie wie im Spott, sei doch sehr schön und sei so treu.

»Ach«, antwortete er, »das ist hart von Euch, mich an das einzige Unrecht zu erinnern, das ich in meinem Leben begangen, indem ich meiner Braut das Gelöbnis brach, nachdem meine Liebe zu ihr von Euch in meinem Herzen getötet worden.«

Bei diesem offenen Geständnis zog sie ihn heftig in ihre Arme und preßte ihn an sich, tief gerührt von seinen ehrlichen Worten, die manch einer nicht ohne Bitternis hervorgebracht hätte.

»Teurer Freund«, sprach sie, »seit mehreren Tagen fühle ich einen Krampf im Herzen, ein Übel, das mich schon in meinen jungen Jahren mit dem Tode bedroht hat und dessen Gefährlichkeit mir von dem arabischen Arzt bestätigt wurde. Wenn ich sterben sollte, ist es mein Wille, daß du mir dein heiligstes Ritterwort gibst, das Fräulein von Montmorency zur Frau zu nehmen. Ich habe ganz bestimmte Todesahnungen, und ich vermache all mein Vermögen deinem Hause unter der Bedingung dieser Heirat.«

Als Villiers de l'Isle-Adam seine gute Frau so sprechen hörte, erzitterte er. Der Gedanke einer ewigen Trennung von ihr schien ihm unerträglich.

»Oh, mein geliebter Schatz«, fuhr sie fort, »Gott hat mich da gestraft, wo ich am meisten gesündigt habe; die großen Freuden, die ich genießen durfte, haben mein Herz geschwächt und, wie der arabische Doktor mir erklärte, die Blutgefäße so vermürbt, daß eines Tages die Ekstase der Umarmung meinem Leben ein Ende setzen wird. Aber ich habe ja Gott immer angefleht, mich in dem Alter, in dem ich jetzt stehe, sterben zu lassen, damit ich den Verfall meiner Schönheit nicht zu überleben brauche.«

Nach dieser Rede sah die großmütige edle Frau noch deutlicher, wie über alles der Mann sie liebte; denn jetzt empfing sie das größte Opfer der Liebe, das je auf dieser Erde gebracht wurde. Sie allein wußte, was ihre außerordentlichen Liebkosungen ihrem Manne bedeuteten und daß zu andrer Zeit der arme Isle-Adam lieber gestorben wäre, als auf die verzuckerten Leckerbissen der Liebe, die sie für ihn bereithielt, zu verzichten. Bei ihrem Geständnis aber, daß in einer Verzückung der Liebe einmal ihr Herz brechen werde, fiel ihr der Edelmann zu Füßen und gelobte ihr, er wolle, um ihr Leben zu erhalten, niemals wieder Liebe von ihr verlangen; er wolle sich glücklich preisen, sie an seiner Seite zu haben, ihre Haare zu küssen und ihre Gewänder berühren zu dürfen. Sie aber antwortete, in Tränen ausbrechend, lieber wolle sie den Tod, als eine einzige Knospe am Rosenstrauch der Liebe von freien Stücken ungepflückt zu lassen, und vor allem wolle sie sterben, wie sie gelebt habe. Zum Glück sei ihr Macht gegeben, einen Mann zur Liebe zu zwingen, ohne daß sie ein Wort zu sagen brauche.

Nun müßt ihr wissen, daß Frau Imperia von dem genannten Kardinal von Ragusa einmal ein kostbares Geschenk erhalten, das der Teufelskerl kurzweg ›in articulo mortis‹ zu nennen pflegte. Verzeiht diese lateinischen Worte, sie stammen vom Kardinal. Dieses Geschenk war nämlich eine winzige Glashülse, in Venedig gemacht, nicht größer als eine Bohne, und enthielt ein so scharfes Gift, daß, wenn man es auf den Zähnen zerbiß, der Tod sofort und ganz schmerzlos eintrat. Dieses kostbare Gift gewann der Kardinal von der berühmten Signora Tophana, der beliebtesten Giftmischerin der guten Stadt Rom. Die winzige Glaskugel war in einem Ring verborgen und durch die umgebenden goldenen Hüllen vor jedem Stoß von außen geschützt. Schon oft hatte die arme Imperia das Glas in den Mund genommen, ohne sich entschließen zu können, darauf zu beißen; sie liebte es nur, so mit dem Gedanken an ihren letzten Augenblick zu spielen. Dann gefiel es ihr, noch einmal alle Freuden der Liebe und alle Arten der Lust durchzukosten mit dem Vorsatz, die Phiole zu zerdrücken in dem Augenblick einer allerletzten höchsten und vollkommensten Lust.

Das arme Geschöpf gab sein Leben dahin in der Nacht des ersten Oktober. In den Wäldern tobte der Sturm, und schwarze Wolken fegten über die heulenden Wipfel; es klang wie das Wehklagen verzweifelter Liebesgeister: »Wehe, die große Wollust ist tot.« So hatten die alten Heidengötter, die bei der Ankunft des Heilands der Menschen sich in ihren Olymp flüchteten, geklagt: »Wehe, der große Pan ist tot.« Auf dem Euböischen Meere war ihr Klagesang von erschrockenen Seefahrern gehört und später von einem Vater der Kirche aufgezeichnet worden.

Frau Imperia starb, ohne von ihrer Schönheit etwas verloren zu haben; es schien, als ob es Gott gefallen hätte, einmal ein untadeliges Modell eines Frauenkörpers zu schaffen. Sie bewahrte, so wird erzählt, eine wunderbare Frische der Haut, die, scheint es, eine Wirkung der Lust war, deren flammenbeflügelter Genius ihr weinend zur Seite saß.

Ihr Gatte betrauerte sie tief im Herzen. Er ahnte nicht, daß sie gestorben sei, um ihn von einer unfruchtbaren Frau zu befreien. Der Arzt, der den Körper einbalsamierte, ließ kein Wort über die Todesursache laut werden. Den wahren Hergang entdeckte Isle-Adam sechs Jahre nach seiner Verheiratung mit dem Fräulein von Montmorency, als diese ihm von dem Besuch der Frau Imperia erzählte. Von da an verfiel der arme Edelmann in düstre Melancholie und starb nicht lange darauf, da er nicht Kraft genug besaß, die Erinnerung an die Genüsse der Liebe, die ihm ein unerfahrenes Ding in keiner Weise ersetzen konnte, aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Und so mußte sich das Sagen der Zeit bewahrheiten, daß diese Frau unsterblich sei in dem Herzen, in dem sie einmal ihren Thron aufgeschlagen.

Diese Geschichte lehrt uns, daß die höchste Tugend nur denen möglich ist, die das Laster gekannt haben; denn unter den vielen tugendhaften und stolzen Frauen werden wenige zu finden sein, die, welche hohe Stufe der Frömmigkeit und Heiligkeit sie auch sonst erreichen mögen, imstande wären, sich auf solche Weise selber zum Opfer zu bringen.


 << zurück weiter >>