Honoré de Balzac
Die falsche Geliebte
Honoré de Balzac

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Im September 1835 heiratete eine der reichsten Erbinnen des Faubourg Saint-Germain, Fräulein du Rouvre, einzige Tochter des Marquis du Rouvre, einen jungen polnischen Verbannten, den Grafen Adam Mizislas Laginski. Man gestatte mir, die Namen so zu schreiben, wie sie gesprochen werden, denn ich möchte den Lesern den Anblick der Verschanzungen von Konsonanten ersparen, mit denen die slawische Sprache ihre Vokale umgibt, sicherlich damit sie bei ihrer geringen Zahl nicht verloren gehen. Der Marquis du Rouvre hatte eins der schönsten Adelsvermögen, dem er seine Verbindung mit einem Fräulein von Ronquerolles verdankte, fast völlig vergeudet. Durch sie hatte Clémentine du Rouvre mütterlicherseits den Marquis von Ronquerolles zum Onkel und Frau von Sérizy zur Tante. Väterlicherseits besaß sie noch einen Onkel in der wunderlichen Gestalt des Chevalier du Rouvre. Das war der jüngere Sohn des Hauses, ein alter Junggeselle, der zu Gelde gekommen war und mit seinen Gütern und Häusern Geschäfte machte. Der Marquis du Rouvre hatte das Unglück gehabt, eins seiner beiden Kinder an der Cholera zu verlieren. Der einzige Sohn der Frau von Sérizy, ein junger, sehr hoffnungsvoller Offizier, fiel in Afrika im Kampf an der Macta. Heutzutage schweben die reichen Familien ja in der Gefahr, durch zu viele Kinder zu verarmen oder bei ein bis zwei Kindern auszusterben: eine merkwürdige Wirkung des bürgerlichen Gesetzbuches, an die Napoleon nicht gedacht hat. Durch eine Laune des Zufalls wurde Clémentine also zur Erbin, trotz der unsinnigen Ausgaben des Marquis du Rouvre für Florine, eine der reizendsten Pariser Schauspielerinnen. Der Marquis von Ronquerolles, ein sehr geschickter Diplomat der neuen Dynastie, seine Schwester, Frau von Sérizy, und der Chevalier du Rouvre taten sich nämlich zusammen, um ihr Vermögen aus den Klauen des Marquis zu retten und es für ihre Nichte sicherzustellen, der sie am Tag ihrer Verheiratung je 10 000 Franken Rente auszusetzen versprachen.

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß der geflüchtete Pole der französischen Regierung keinen Heller kostete. Graf Adam gehörte einem der ältesten und erlauchtesten Geschlechter Polens an, das mit den meisten deutschen Fürstenhäusern und mit den Sapieha, Radziwill, Rzewuski, Czartoriski, Leszinski, Jablonowski, Cubomirski und allen großen sarmatischen kis verwandt war. Aber heraldische Kenntnisse sind nicht das Merkmal für das Frankreich Louis Philippes, und jener Adel konnte bei der damals herrschenden Bourgeoisie keine Empfehlung sein. Im übrigen führte Adam im Jahre 1833, wenn er sich auf dem Boulevard des Italiens, im Frascati, im Jockei-Club zeigte, das Leben eines jungen Mannes, der seinen politischen Hoffnungen entsagt hatte und sich auf seine Laster und seinen Vergnügungstrieb besann. Man hielt ihn für einen Studenten. Die polnische Nationalität war damals dank der häßlichen Reaktion der Regierung so tief gesunken, wie sie nach dem Wunsche der Republikaner hochstehen sollte. Der eigenartige Kampf zwischen Fortschritt und Stillstand, zwei Worte, die in dreißig Jahren unverständlich sein werden, machte etwas, das so achtbar hätte sein sollen, zum Spielball: den Namen eines niedergeworfenen Volkes, dem Frankreich Gastfreundschaft gewährte, für das man Feste erfand, für das man Subskriptionsbälle und Konzerte veranstaltete, kurz, eines Volkes, das 1796, im Kampfe Europas gegen Frankreich, diesem 6000 Männer gestellt hatte, und was für Männer! Man ziehe daraus nicht den Schluß, Zar Nikolaus solle gegen Polen ins Unrecht gesetzt werden oder Polen gegen den Zaren Nikolaus. Es wäre zunächst ziemlich töricht, politische Erörterungen in eine Erzählung einzuflechten, die unterhalten oder fesseln soll. Zudem hatten Rußland und Polen beide recht, das eine wollte die Einheit seines Reiches und das andere die Wiedererlangung seiner Freiheit. Bemerkt sei hierbei, daß Polen Rußland moralisch erobern konnte, anstatt es mit den Waffen zu bekämpfen. Es hätte die Chinesen nachahmen können, denen es schließlich gelang, die Tartaren zu Chinesen zu machen, und die, man muß es hoffen, auch die Engländer zu Chinesen machen werden. Polen mußte Rußland polonisieren. Poniatowski hatte es in der am wenigsten gemäßigten Gegend des Zarenreiches versucht, aber dieser König blieb unverstanden, zumal er sich wahrscheinlich selbst nicht recht verstand. Wie hätte man diese armen Teufel nicht hassen sollen, als die Urheber der grauenhaften Lüge, die während der Revue begangen wurde, damals, als ganz Paris wünschte, den Polen beizustehen! Man tat, als betrachte man die Polen als Verbündete der republikanischen Partei, und bedachte dabei nicht, daß Polen eine Adelsrepublik war. Seitdem verfolgte das Bürgertum die Polen, die man kurz zuvor noch vergöttert hatte, mit seinem schäbigen Haß. Das Sturmzeichen eines Aufruhrs hat die Pariser noch stets und unter allen Regierungen vom Norden zum Süden umschlagen lassen. Diesen Wechsel der öffentlichen Meinung muß man sich vor Augen halten, will man verstehen, wie das Wort Pole im Jahre 1835 zur lächerlichen Bezeichnung bei einem Volke werden konnte, das sich für das geistreichste und gebildetste auf Erden hält und sich im Mittelpunkte der Aufklärung wähnt, in einer Stadt, die heute das Zepter der Kunst und der Literatur führt. Es gibt indes zwei Sorten polnischer Flüchtlinge: den polnischen Republikaner, den Sohn Lelevels, und den adligen Polen der Partei, an deren Spitze Fürst Czartoriski steht. Diese beiden Sorten von Polen sind wie Feuer und Wasser – aber warum soll man ihnen deshalb grollen? Solche Spaltungen haben sich noch stets bei Flüchtlingen gezeigt, welcher Nation sie auch angehören, einerlei, in welches Land sie auswandern. Man bringt eben sein Land und seinen Haß mit. In Brüssel offenbarten zwei Emigranten, französische Priester, tiefen Abscheu vor einander, und wenn man den einen nach dem Warum fragte, wies er auf seinen Leidensgefährten und antwortete: »Er ist ein Jansenist.« Dante hätte in seiner Verbannung gern einen Gegner der »Weißen« erdolcht. Da liegt auch der Grund für die Angriffe der französischen Radikalen gegen den ehrwürdigen Fürsten Adam Czartoriski und für die Mißstimmung, die die Cäsaren vom Kramladen und die Alexander der Gewerbescheine gegen einen Teil der polnischen Auswanderer verbreiteten. Im Jahre 1837 hatte Mizislas Laginski also die Pariser Spöttereien gegen sich.

»Er ist nett, obgleich er Pole ist,« sagte Rastignac von ihm.

»Alle diese Polen halten sich für große Herren,« sagte Maxime de Trailles. »Aber der bezahlt seine Spielschulden; ich glaube beinahe, er hat Güter besessen.«

Ohne den Verbannten zu nahe zu treten, darf man doch darauf hinweisen, daß der Leichtsinn, die Sorglosigkeit und die Unzuverlässigkeit des sarmatischen Charakters Ursache waren für das boshafte Gerede der Pariser, die übrigens unter gleichen Umständen den Polen völlig gleich sein würden. Der französische Adel, der während der Revolution vom polnischen Adel so bewundernswert unterstützt wurde, hat den ausgewiesenen Polen von 1832 wahrlich nicht Gleiches mit Gleichem vergolten. Gestehe man es doch traurigen Mutes: das Faubourg Saint-Germain ist noch immer der Schuldner der Polen.

War Graf Adam reich oder arm? War er ein Abenteurer? Diese Frage blieb lange ungeklärt. Die Salons der Diplomatie hielten sich an ihre Weisungen und ahmten das Schweigen des Zaren Nikolaus nach, der damals jeden polnischen Emigranten als gestorben ansah. Der Tuilerienhof und die Mehrzahl der Leute, die von ihm ihr Stichwort erhalten, gaben einen erschreckenden Beweis für dies politische Verhalten, das man als Weisheit ehrt. Man kannte dort einen russischen Fürsten nicht wieder, mit dem man während der Emigration Zigarren geraucht hatte, weil er beim Zaren Nikolaus in Ungnade gefallen schien. So lebten die vornehmen Polen bei der Zurückhaltung der Diplomatie und des Hofes in der biblischen Einsamkeit Super flumina Babylonis oder ließen sich in gewissen Salons blicken, die als neutraler Boden für alle Meinungen dienen. In einer Stadt des Vergnügens wie Paris, die in allen Stockwerken Zerstreuungen im Überfluß hat, fand der polnische Leichtsinn doppelt so viel Anlässe als nötig, um ein ungebundenes Junggesellenleben zu führen. Kurz, gestehen wir es: Adam hatte zunächst seine Lebensart und seine Manieren gegen sich. Es gibt zwei Sorten Polen, wie es zwei Sorten Engländerinnen gibt. Ist eine Engländerin nicht sehr schön, so ist sie abstoßend häßlich. Und Graf Adam gehört zur zweiten Gattung. Sein kleines, verkniffenes Gesicht scheint wie in einen Schraubstock gepreßt. Seine Stumpfnase, sein blondes Haar, sein roter Bart und Schnurrbart geben ihm das Aussehen einer Ziege, zumal er klein und hager ist und seine schmutziggelben Augäpfel durch den schiefen Blick auffallen, der aus Vergils Vers berühmt ist. Wie kann er bei so vielen körperlichen Nachteilen Manieren und einen vornehmen Ton besitzen? Die Lösung dieses Problems ergibt sich aus seinem dandyhaften Anzug und aus der Erziehung durch seine Mutter, eine Radziwill. Sein Mut geht bis zur Tollkühnheit, aber sein Geist übersteigt nicht die landläufigen Eintagswitze der Pariser Unterhaltung, und doch trifft er unter den jungen Modeherren nicht oft einen, der ihm überlegen ist. Die Gesellschaftsmenschen reden heute vielzuviel von Pferden, Einkünften, Steuern und Abgeordneten, als daß die französische Unterhaltung das bliebe, was sie war. Der Geist will Muße und gewisse gesellschaftliche Unterschiede. In Petersburg und Wien plaudert man wahrscheinlich besser als in Paris. Gleichstehende bedürfen keiner Feinheiten mehr; sie sagen ganz dumm alles, wie es ist. Die Pariser Spottvögel fanden also schwerlich etwas von einem großen Herrn in dieser Art von verbummeltem Studenten, der in der Unterhaltung sorglos von einem Gegenstand zum andern übersprang, der Vergnügungen leidenschaftlich nachlief, besonders weil er soeben großen Gefahren entronnen war, und der glaubte, fern dem Lande, das seine Familie kannte, ein regelloses Leben führen zu können, ohne sich der Mißachtung auszusetzen.

Eines Tages im Jahre 1834 kaufte Adam in der Rue de la Pépinière ein Privathaus. Ein halbes Jahr darnach kam seine Lebensführung der der reichsten Pariser Häuser gleich. Im Augenblick, als Laginski sich selbst ernst zu nehmen begann, sah er Clémentine im Théâtre des Italiens und verliebte sich in sie. Ein Jahr darauf fand die Hochzeit statt. Der Salon der Frau von Espard gab das Zeichen zu Lobreden. Nun erfuhren die Mütter heiratsfähiger Töchter zu spät, daß die Laginskis seit 900 zu den vornehmen Familien des Nordens zählen. Im Augenblick des polnischen Aufstandes hatte die Mutter des jungen Grafen in ganz unpolnischer Klugheit gewaltige Summen auf ihre Güter aufgenommen. Zwei jüdische Häuser hatten das Geld dargeliehen, und es war in französischen Werten angelegt worden. Graf Adam Laginski hatte also ein Einkommen von 80 000 Franken. Man wunderte sich nicht mehr über die Unbesonnenheit, mit der – nach der Ansicht vieler Salons – Frau von Sérizy, der alte Diplomat Ronquerolles und der Chevalier du Rouvre der tollen Leidenschaft ihrer Nichte nachgegeben hatten. Wie stets, sprang man von einem Gegensatz zum andern. Im Winter 1836 war Graf Adam in Mode, und Clémentine Laginska war eine der Königinnen von Paris. Die Gräfin Laginska gehört heute zu jener reizenden Gruppe junger Frauen, in der die Damen de l'Estorade, de Portenduère, Marie de Vandenesse, du Guénic und de Maufrigneuse als Blüten des heutigen Paris glänzen. Sie leben in großem Abstand von den Emporkömmlingen, den Bürgerlichen und den Machern der neuen Politik.

Dies mußte vorausgeschickt werden, um die Sphäre zu bestimmen, in der eine jener erhabenen Handlungen sich abspielte, die weniger selten sind, als die Verächter der Gegenwart glauben, Handlungen, die gleich schönen Perlen die Frucht eines Leides oder eines Schmerzes sind und auch darin den Perlen gleichen, daß sie sich in rauhen Schalen verbergen und im Schoß jenes Abgrunds, jenes Meeres, jener ewig bewegten Flut ruhen, die man die Welt, das Jahrhundert, Paris, London, Petersburg oder sonst wie nennt.

Wenn je die Wahrheit des Satzes bewiesen wurde, daß die Baukunst der Ausdruck der Sitten ist, so war es wohl seit dem Umsturz von 1830, unter der Herrschaft der Orléans der Fall! Alle Vermögen schmelzen in Frankreich zusammen; die majestätischen Privathäuser unserer Voreltern werden unaufhörlich abgerissen und durch eine Art von Siedlungen ersetzt, in denen der Pair des Frankreichs der Julimonarchie im dritten Stock über einem reichgewordenen Quacksalber wohnt. Alle Stile fließen durcheinander. Da kein Hof, kein tonangebender Adel mehr vorhanden ist, sieht man in den Schöpfungen der Kunst keine Einheitlichkeit mehr. Gerade die Baukunst hat nie zahlreichere Ersatzmittel zum Nachäffen des Echten und Gediegenen entdeckt, nie mehr Hilfsmittel und Spürsinn zur Ausnutzung des Raumes aufgebracht. Man gebe einem Künstler den Gartensaum eines alten abgerissenen Familienhauses, und er führt ein kleines Louvre auf, das er mit Ornamenten überlädt. Er findet Raum für Hof, Stallungen und wenn man will, für einen Garten. Im Innern legt er so viel kleine Zimmer und Nebenräume an, weiß das Auge so gut zu täuschen, daß man sich behaglich zu fühlen glaubt. Kurz, es wimmelt derart von Wohnungen, daß eine Herzogsfamilie sich in dem alten Backhaus eines Gerichtspräsidenten bewegt.

Das Haus der Gräfin Laginska, eine dieser Neuschöpfungen in der Rue de la Pépinière, liegt zwischen Hof und Garten. Rechterhand, im Hofe, ziehen sich die Wirtschaftsgebäude hin, links entsprechend die Remisen und Ställe. Die Portiersloge befindet sich zwischen zwei reizenden Toreinfahrten. Der große Luxus des Hauses besteht in einem entzückenden Treibhaus, anschließend an ein Boudoir im Erdgeschoß, in dem sich prächtige Empfangsräume ausbreiten. Ein aus England vertriebener Philanthrop hatte das Juwel der Baukunst errichtet, das Treibhaus entworfen, den Garten gezeichnet, die Türen lackiert, die Wirtschaftsgebäude nach Backsteinart bemalt, die Fenster grün angestrichen und einen jener Träume verwirklicht, wie es bei gleichen Maßverhältnissen Georg IV. in Brighton getan hatte. Der geschickte, fleißige und flinke Pariser Handwerker hatte die Türen und Fenster gemeißelt. Die Decken waren dem Mittelalter oder venezianischen Palästen nachgebildet, die Wände reich mit Marmorplatten belegt. Elschoet und Klagmann hatten die Sopraporten und Kamine ausgeführt. Schinner hatte die Decken prächtig bemalt. Die Pracht der Treppe, die weiß wie ein Frauenarm war, stritt mit der des Hotels Rothschild um den Vorrang. Dank der Aufstände betrugen die Kosten für diese Narrheit nicht mehr als elfhunderttausend Franken. Für einen Engländer war es geschenkt. Dieser ganze Luxus, der von Leuten, die nicht mehr wissen, was ein wahrer Fürst ist, fürstlich genannt wird, erfüllte den alten Garten des Hauses eines Armeelieferanten, eines Krösus der Revolution, der nach einem Börsenkrach bankrott in Brüssel gestorben war. Der Engländer starb in Paris an Paris, denn für viele ist Paris eine Krankheit; es ist manchmal soviel wie mehrere Krankheiten. Seine Witwe, eine Methodistin, bekundete den größten Abscheu für das Häuschen des Nabobs. Der Philanthrop war Opiumhändler gewesen. Die tugendhafte Witwe ordnete den Verkauf des anstößigen Besitzes um jeden Preis an, in dem Augenblick, als die Aufstände den Frieden in Frage stellten. Graf Adam machte sich diese Gelegenheit zu nutze, wie, wird man erfahren, denn nichts lag weniger in seinen herrschaftlichen Gewohnheiten.

Hinter dem Hause, das aus melonenartig geriffelten Steinen erbaut war, dehnt sich der grüne Samt eines englischen Rasenbeets, im Hintergrunde beschattet von einer schön gewachsenen Gruppe exotischer Bäume, aus der sich ein chinesischer Pavillon mit seinen stummen Glocken und seinen unbeweglichen vergoldeten Eiern erhebt. Das Treibhaus mit seinen phantastischen Bauten verkleidet die südliche Abschlußmauer. Die andere Mauer gegenüber dem Treibhaus wird durch Kletterpflanzen verdeckt, die durch grün bemalte und mit Querhölzern verbundene Stangen eine Art von Portikus bilden. Diese Wiese, diese Blumenwelt, diese sandbestreuten Alleen, dies Scheinbild eines Waldes, diese luftigen Holzkonstruktionen nehmen einen Raum von 25 Quadratruten ein, die nach heutigem Preis, 400 000 Franken, soviel wert sind wie ein wirklicher Wald. In dieser stillen Oase inmitten von Paris singen die Vögel, Amseln, Nachtigallen, Buchfinken, Grasmücken und viele Sperlinge. Das Treibhaus ist ein riesiger Blumenkorb mit düfteschwerer Luft, in dem man zur Winterszeit lustwandelt, als ob der Sommer in aller Glut leuchte. Die Vorkehrungen, durch die man sich eine beliebige Atmosphäre von Torrida, China oder Japan verschafft, sind geschickt vor den Blicken versteckt. Die Röhren der Dampfheizung sind mit Erde bedeckt und erscheinen dem Blick als blühende Blumengirlanden. Geräumig ist das Boudoir. Das Wunderwesen, die Fee von Paris, Baukunst genannt, versteht es, auf engem Raum alles groß erscheinen zu lassen. Das Boudoir der jungen Gräfin war das Meisterstück des Künstlers, dem die Neueinrichtung des Hauses von Graf Adam übertragen war. Unmöglich ist hier ein Fehltritt, es stehen zuviel Nippessachen herum. Ein Liebespaar fände keinen Raum zwischen den geschnitzten chinesischen Arbeitstischchen, auf denen das Auge Tausende von wunderlichen Figuren in Elfenbeinarbeit erblickt, mit denen zwei chinesische Familien sich abgemüht haben ; zwischen den Schalen aus Rauchtopas, die auf einem Filigranfuß ruhen, Mosaiken, die zum Diebstahl aufreizen, holländischen Gemälden, wie Schinner sie malt, Engeln, wie sie Steinbock entwirft, der die seinen nicht immer ausführt, Statuetten von der Hand von Genien, die von ihren Gläubigern verfolgt werden (die wahre Deutung der arabischen Mythen), prächtigen Skizzen unsrer ersten Künstler, Vorderteilen von Truhen, die als Wandvertäfelung mit phantastischen indischen Seidenstücken abwechseln, Türvorhängen, die in goldner Flut von einer Gardinenstange aus schwarzem Eichenholz herabrauschen, auf der eine ganze Jagdszene wimmelt, Möbeln, die einer Pompadour würdig sind, einem Perserteppich usw. Und ein letzter Reiz: diese Schätze verklärt ein gedämpftes Licht, das durch zwei Spitzenvorhänge sickert und sie noch reizvoller macht. Auf einer Konsole zwischen Altertümern eine Reitpeitsche, deren Knopf Fräulein von Fauveau geschnitzt haben soll und die verrät, daß die Gräfin gern reitet. So sieht ein Damenzimmer im Jahre 1837 aus, eine Ausstellung von Waren, die den Blick unterhalten, als würde die unruhigste und beunruhigteste Gesellschaft der Welt von Langeweile bedroht. Warum nichts Intimes, nichts, was zum Träumen, zur Stille einlädt? Warum? Niemand ist des nächsten Tags sicher, und jeder genießt das Leben als verschwenderischer Wucherer.

Eines Morgens lag Clémentine mit nachdenklicher Miene auf einem jener wundervollen Ruhebetten, von denen man nicht wieder aufstehen mag, so gut verstand der Tapezierer, der sie schuf, sich auf gepolsterte Bequemlichkeiten und angenehme Ruhelager für das dolce far niente. Durch die offenen Türen des Treibhauses drangen die Düfte der tropischen Pflanzen und Blumen herein. Die junge Frau blickte Adam an, der vor ihr einen eleganten Nargileh rauchte, die einzige Art von Rauchen, die sie in diesem Zimmer erlaubt hatte. Die Türvorhänge, durch elegante Klammern gerafft, gewährten einen Ausblick auf zwei prächtige Salons, der eine in Weiß und Gold wie im Haus Forbin-Janson, der andere im Renaissancestil. Der Speisesaal, der in Paris nicht seinesgleichen hat, außer im Hause des Barons von Nucingen, ist am Ende einer kleinen Galerie mit Decke und Ausstattung mittelalterlichen Stils. Auf der Hofseite liegt vor der Galerie ein großes Vorzimmer, aus dem man durch Glastüren auf die Wunder des Treppenhauses blickt.

Das gräfliche Paar hatte soeben gefrühstückt. Der Himmel war eine blaue Glocke ohne ein Wölkchen; der April ging zu Ende. Die Ehe zählte schon zwei glückliche Jahre, und Clémentine hatte erst seit ein paar Tagen entdeckt, daß in ihrem Hause etwas vorging, was einem Geheimnis, einem Mysterium ähnelte. Der Pole – sagen wir das noch zu seinem Ruhme – ist im allgemeinen schwach gegen Frauen. Er ist so voller Zärtlichkeit für sie, daß er in Polen ihr Knecht wurde, und obwohl die Polinnen hervorragende Frauen sind, wird der Pole von einer Pariserin noch viel rascher geschlagen. Und so verfiel Graf Adam, durch Fragen in die Enge getrieben, nicht einmal auf den harmlosen Kniff, seiner Frau sein Geheimnis zu verkaufen. Bei einer Frau muß man stets aus einem Geheimnis Vorteil ziehen; sie dankt es einem, wie ein Spitzbube seine Achtung einem ehrlichen Menschen erweist, der sich nicht beschwindeln läßt. Weniger redegewandt als mutig, hatte der Graf nur die Bedingung gestellt, erst zu antworten, wenn er seinen mit Tabak gefüllten Nargileh aufgeraucht habe.

»Unterwegs«, sagte sie, »antwortetest du mir bei jeder Schwierigkeit: ›Paz wird es in Ordnung bringen!‹ Du schriebst nur an Paz. Seit wir zurück sind, sagt jeder zu mir: ›Der Kapitän!‹ Will ich ausgehen: Der Kapitän! Soll eine Rechnung bezahlt werden: Der Kapitän. Lahmt mein Pferd, so wendet man sich an den Kapitän Paz. Kurz, es ist hier für mich wie beim Dominospiel: Paz an allen Ecken. Ich höre nur von Paz reden, und ich kann Paz nicht sehen. Wer ist Paz? Man bringe mir unsern Paz.«

»Geht denn nicht alles gut?« fragte der Graf, das Mundstück seines Nargilehs absetzend.

»Alles geht so gut, daß man sich bei 200 000 Franken Einkünften zugrunde richten würde, wenn man das Leben führte, das wir mit 110 000 Franken führen,« sagte sie.

Sie zog an der reichen Klingelschnur, einem Wunder von Spitzenarbeit. Sofort erschien ein Kammerdiener, gekleidet wie ein Minister.

»Sagen Sie dem Herrn Kapitän Paz, ich wünschte ihn zu sprechen.«

»Wenn du glaubst, auf die Art etwas zu erfahren,« lächelte Graf Adam.

Hier muß eingeschaltet werden, daß Adam und Clémentine im Dezember 1835 geheiratet und den Winter in Paris verbracht hatten. Dann waren sie 1836 in Italien, der Schweiz und Deutschland gereist. Als sie im November zurückkehrten, erhielt die Gräfin zum erstenmal in dem verflossenen Winter den Besuch dieses Kapitäns Paz (Pac), dessen Namen so gesprochen wird, wie er sich schreibt, und auf diese Weise bemerkte sie das gleichsam stumme, unsichtbare, aber heilsame Dasein dieses Faktotums, das sich persönlich nicht blicken ließ.

»Herr Kapitän Paz bittet Frau Gräfin um Entschuldigung; er ist im Stall und in einem Anzuge, daß er sich augenblicklich nicht zeigen kann. Sobald er angekleidet ist, wird der Graf Paz erscheinen,« sagte der Diener.

»Was tut er denn?«

»Er zeigt, wie das Pferd der Frau Gräfin geputzt werden soll, weil Konstantin es nicht so putzte, wie er wollte,« antwortete der Diener.

Die Gräfin blickte ihn an. Er machte ein ernstes Gesicht und hütete sich wohl, seine Worte mit jenem Lächeln zu begleiten, wie es Bediente tun, wenn sie von einem Höhergestellten reden, der sich zu ihrer Arbeit erniedrigt.

»Ach, er putzt Cora?«

»Reitet Frau Gräfin heute morgen nicht aus?« fragte der Diener und verschwand ohne Antwort.

»Ist es ein Pole?« fragte Clémentine ihren Gatten. Er nickte bejahend.

Clémentine Laginska blickte Adam stumm und prüfend an. Die Füße fast auf ein Kissen gestreckt, den Kopf in der Haltung eines Vogels, der am Rand seines Nestes dem Gezwitscher seiner Brut lauscht, wäre sie auch einem abgestumpften Manne entzückend erschienen. Blond und schmal, mit englischer Frisur, glich sie jenen gleichsam fabelhaften Gestalten der Keepsakes, besonders in ihrem seidenen Morgenkleid von persischem Schnitt, dessen dichte Falten die Reize ihres Körpers und die Schlankheit ihrer Taille nicht so sehr verhüllten, daß man sie durch die dichten Schleier von Blumen und Stickereien nicht hätte bewundern können. Über der Brust gekreuzt, ließ der Stoff mit den leuchtenden Farben den Ansatz des Busens frei, dessen Weiß mit dem einer reichen Spitze auf ihren Schultern kontrastierte. Ihre schwarz bewimperten Augen erhöhten den Ausdruck der Neugier, die ihren hübschen Mund in Falten legte. Auf ihrer schön geformten Stirn erblickte man die charakteristischen Wölbungen der willensstarken, lachlustigen, wissenden, aber gemeiner Verführung unnahbaren Pariserin. Ihre Hände hingen von den beiden Lehnen fast durchsichtig herab. Ihre feinen Finger mit den zurückgebogenen Spitzen hatten Nägel wie rosige Mandeln, auf denen das Licht spielte. Adam lächelte über die Ungeduld seiner Frau und warf ihr Blicke zu, die noch keine Übersättigung der Ehe abstumpfte. Die kleine, zarte Gräfin hatte bereits die Herrschaft im Hause an sich gerissen, denn sie erwiderte Adams Bewunderung fast gar nicht. In den verstohlenen Blicken, die sie auf ihn warf, regte sich vielleicht schon das Bewußtsein der Überlegenheit einer Pariserin über diesen mutwilligen, hageren, rothaarigen Polen.

»Da kommt Paz,« sagte der Graf, als er Schritte in der Galerie hörte.

Die Gräfin sah einen großen, schönen, stattlichen Mann eintreten. Seine Züge trugen die Spuren jener Sanftmut, die die Frucht von Kraft und Unglück ist. Paz hatte hastig einen der engen verschnürten Röcke mit olivenartigen Knöpfen angezogen, die man früher polnische Röcke nannte. Dichtes, schwarzes, schlecht gekämmtes Haar umgab seinen eckigen Kopf, und Clémentine konnte seine breite Stirn sehen, die wie ein Marmorblock leuchtete, denn Paz trug seine Schirmmütze in der Hand. Diese Hand glich der des jugendlichen Herkules. Blühende Gesundheit sprach aus dem regelmäßigen Gesicht mit seiner starken römischen Nase, die Clémentine an die schönen Trasteveriner gemahnte. Eine Halsbinde von schwarzem Taft vollendete das martialische Aussehen dieses Wunderwesens von 5 Fuß 7 Zoll mit seinen Jettaugen von italienischem Feuer. Ein weites faltiges Beinkleid, das nur die Spitzen der Stiefel sehen ließ, verriet Pazens Verehrung für die polnische Nationaltracht. Wahrhaftig, für eine romantisch veranlagte Frau hätte der scharfe Kontrast zwischen dem Kapitän und dem Grafen etwas Burleskes gehabt. Hier ein schöner Kriegsmann, dort ein kleiner Pole mit verkniffenem Gesicht, hier ein Paladin, dort ein Palatiner (Pfälzer).

»Guten Tag, Adam,« sagte er vertraulich zum Grafen.

Dann verbeugte er sich ritterlich vor Clémentine und fragte, womit er ihr dienen könnte.

»Sie sind also Laginskis Freund?« fragte die junge Frau.

»Auf Leben und Tod!« erwiderte Paz, und der junge Graf lächelte ihm mit seinem holdseligsten Lächeln zu, während er seine letzte Wolke duftenden Tabaks ausstieß.

»Nun, warum essen Sie dann nicht mit uns? Warum haben Sie uns nicht nach Italien und der Schweiz begleitet? Warum verstecken Sie sich hier derart, daß Sie sich sogar dem Dank entziehen, den ich Ihnen für Ihre dauernde Dienstleistungen schulde?« fragte die junge Gräfin lebhaft, aber ohne jede Erregung.

In der Tat entdeckte sie bei Paz eine Art freiwilliger Knechtschaft. Diese Vorstellung verknüpfte sich damals mit einer Art Mißachtung für ein gesellschaftliches Zwitterwesen, einen Menschen, der zugleich Sekretär und Haushofmeister, aber weder ganz Haushofmeister noch ganz Sekretär war, gleichsam ein armer Verwandter, ein peinlicher Freund.

»Sie brauchen mir nicht zu danken, Gräfin,« antwortete er ziemlich frei. »Ich bin Adams Freund und es macht mir Freude, mich seiner Interessen anzunehmen.«

»Macht es dir auch Freude, stehen zu bleiben?« fragte Graf Adam.

Paz setzte sich auf einen Lehnstuhl am Türvorhang.

»Ich entsinne mich, Sie bei meiner Hochzeit gesehen zu haben, und hin und wieder im Hofe,« sagte die junge Frau. »Aber warum nehmen Sie eine untergeordnete Stellung ein, Sie, Adams Freund?«

»Was die Pariser denken, ist mir ganz einerlei,« sagte er. »Ich lebe für mich, oder wenn Sie wollen, für Sie beide.«

»Aber die Meinung der Welt über den Freund meines Gatten kann mir nicht gleichgültig sein . . .«

»Oh, Frau Gräfin, die Welt läßt sich so leicht mit dem Wort abspeisen: ›Das ist ein Sonderling.‹ Sagen Sie das. – Wollen Sie ausreiten?« fragte er nach einer kurzen Pause.

»Wollen Sie mit zum Bois kommen?« fragte die Gräfin.

»Gern.«

Mit diesem Wort verbeugte sich Paz und verschwand.

»Welch guter Kerl!« versetzte Adam. »Einfältig wie ein Kind.«

»Erzähle mir nun deine Beziehungen zu ihm,« forderte Clémentine.


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