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Fünfzigstes Kapitel.
Eine Million Dollars

Mr. Slowson, der Director der Westindischen Handelscompagnie zu Boston, hatte, so sehr ihm sonst die Ruhe über Alles ging, die Nacht, welche aus seine Unterredung mit Eugene Powel folgte, nicht geschlafen, denn jede Stunde hatte er die Nachricht vom Untergang der Alabama erwartet. Allein die Nachricht kam nicht. Der Morgen brach an, von der Alabama war nichts mehr zu sehen.

Was war aus dem Schiffe geworden? War es dem hochherzigen Jüngling gelungen, während des Sturmes, der die Nacht gewüthet, seine Heldenthat auszuführen? Lag er jetzt mit dem Schiffe in der Tiefe des Meeres? – Oder war sein Unternehmen gescheitert, und hatte er sein kühnes Wagestück mit einem schmählichen Tode gebüßt?

Das waren die Gedanken, die den alten Mann unaufhörlich beschäftigten. Bereits lange vor dem Beginn der Büreaustunden saß er in seinem Sprechzimmer und wartete auf irgend eine Nachricht. Allein Niemand kam; Nichts ließ sich sehen oder hören, was seinen Zweifel zu lösen vermochte. Die Beamten kamen nach und nach und setzten sich an die Arbeit, wie alle Tage, und aus keines Einzigen Gesicht war etwas von einem außerordentlichen Ereigniß zu lesen.

Da ging seine Geduld zu Ende. Er riß an der Klingel.

Sein Secretair erschien mit bestürztem Gesicht; woran theils das ausgeregte Aussehen des Directors, theils der Umstand schuld sein mochte, daß derselbe schon zu dieser Stunde im Sprechzimmer war.

»Schicken Sie sofort einen Boten zu Mr. Cobb, dem Hafencapitain und auch zum Lieutenant der Hafenconstabler Mr. Morris. – Ich bitte um ihren sofortigen Besuch.

Der Secretair verneigte sich und ging hinaus.

Da kam die Unruhe von Neuem über Mr. Slowson. – Gab es denn nichts, womit er sich bis zur Ankunft der Herrn Zerstreuung bereiten konnte? –

Richtig ja, es gab etwas.

»Die Vollstreckung seines Testaments!« murmelte er. »Er gab mir einen Auftrag, ich bin es ihm schuldig, mich desselben unverzüglich zu entledigen.«

Er setzte sich an sein Pult und schrieb.

Als er seinen Brief vollendet hatte, klingelte er von Neuem.

»Hier diesen Brief an meinen Anwalt in New-York schicken Sie sofort an seine Adresse, und legen Sie diese Anweisung über 10,000 Dollars an die New-Yorker Bank bei.«

Als sich der Sekretair eben entfernt hatte, meldete ein Büreaudiener die Herren Cobb und Morris.

»Lassen Sie sie unverzüglich eintreten!« rief der Director.

Die Herren waren nicht wenig überrascht, zu so ungewohnter Stunde vor den Herrn Director beschieden zu werden, den sie um diese Zeit beim Frühstück vermutheten, und schon daraus, daß er diesen für ihn fast über Alles wichtigen Akt ausgesetzt hatte, mußten sie schließen, daß es sich um einen Gegenstand von ungewöhnlicher Wichtigkeit handle.

»Sie sahen die schwarze Fregatte, welche gestern in der Nähe von Lynnes-Eiland ankerte?« redete er mit einer Hast, welche sie an ihm befremdete, die beiden Herren an.

Sie bejahten Beide die Frage.

»Sie ist unter Segel gegangen?« fragte er weiter.

»Sie hat gestern Abend die Anker gelichtet und zwar unter den Vorboten einer Bö,« antwortete der Hafencapitain. »Ich wunderte mich nicht wenig darüber, um so mehr, als sie den gefährlichen Weg durch die Meeresstraße nahm zwischen der Insel und dem Festlande hindurch.«

»Nun, und was ist aus der Fregatte geworden?« fragte Mr. Slowson, indem er Auge und Mund zur Hilfe zu nehmen schien um die Antwort zu hören.

»Sie muß einen unserer besten Lootsen an Bord gehabt haben, denn ich habe noch nie bei solchem Winde ein Schiff die Straße so sicher passiren sehen.«

»Unmöglich, Sir!«

»Wie ich Ihnen sage, Herr Director. Da mich die Manöver dieses herrlichen Schiffes sehr interessirten, so verfolgte ich es mit dem Fernrohr.«

»Sie sagen, es kam glücklich hindurch?«

»Ich sage, es hat auch nicht an einem Fädchen Haverie gelitten. Nur ein einziges Mal – es war zwischen der südöstlichen Klippengruppe nahe bei den Teufelsriffen – glaubte ich, es würde aufrennen, ja ich erwartete jeden Augenblick die schreckliche Katastrophe, allein es geschah nicht.«

»Es geschah nicht!« wiederholte der Alte beklommen.

»Nein,« fuhr der Erzähler fort. »In dem verhängnißvollen Augenblick machte das Schiff eine Wendung so sicher und zugleich so leicht und elegant, wie ich – bei dem Winde wenigstens – selten gesehen habe. Wie ich sage, das Schiff muß einen unserer besten Lootsen an Bord gehabt haben, sonst wäre es unfehlbar verloren gewesen.«

Als Mr. Cobb schwieg, durchschritt der Director unruhevoll mehrere Male das Zimmer; endlich stand er still vor seinen beiden Gästen und schien mehrere Male ansetzen zu müssen, ehe er die Frage herausbrachte:

»Und wissen Sie, was das für ein Schiff war?«

»Ich meine, es ist eine der neugebauten Fregatten der Union, so viel ich mit dem Fernrohr sehen konnte, trug es nur eine Nummer.«

»Es war so wenig eine Fregatte der Union,« antwortete Mr. Slowson, »als der Lootse, den es an Bord hatte, beabsichtigte, es glücklich auf die hohe See zu bringen. – Meine Herren, das Schiff war die Alabama!«

Hätte vor beiden Herren plötzlich eine Bombe eingeschlagen, sie hätten nicht mehr zusammenfahren können als bei diesem Worte.

»Die Alabama!« riefen sie wie aus einem Munde.

»Ja,« sagte Slowson, »und der Lootse, den das Schiff an Bord hatte, das ist der brave Lieutenant Powel von der Brigg Contest.«

»Oh, Sir, das kann nicht sein,« antwortete Cobb. »Ich kenne Powel als einen Ehrenmann.«

»Dafür halte ich ihn auch,« erwiderte Mr. Slowson und begann die Unterredung mitzutheilen, welche er mit Eugene Powel hatte.

Als er geendet hatte, sah er Cobb bedenklich den Kopf schütteln.

»Wenn die Sache sich so verhält,« sagte er, »so muß ich meine Erklärung widerrufen, daß Powel ein Ehrenmann ist!«

»Sie meinen, er hätte die Alabama nicht vernichten wollen?«

»Nein, Sir, das hat er nicht gewollt. Ich kenne die Straße und ihre Gefahren, und weiß, daß es eine Kunst ist, hindurch zu kommen.«

»Vielleicht hat man seinen Plan durchschaut, ihn über Bord geworfen und es ohne Lootsen möglich gemacht, sich hinaus zu finden.«

»Kein Gedanke, Mr. Slowson, nur ein ganz erfahrener Lootse kann das möglich machen. Es giebt keinen Seemann an der ganzen Küste der vereinigten Staaten, der das könnte, wenn er nicht diese Gewässer so genau kennt, wie die Falten seiner Weste. – Nein, nein, Sir, Powel ist gedungen, verlassen Sie sich darauf.«

Dem alten Manne wirbelte es im Kopfe. Wieder durchmaß er in hastigen Schritten das Zimmer, er rief sich jedes Wort der Unterredung zurück; er legte sich die Frage vor, weshalb denn Powel ihm überhaupt die Mittheilung gemacht habe, daß jenes Schiff die Alabama sei. Mr. Morris fand die Erklärung dazu.

»Die Sache ist einfach die,« antwortete er; »daß er Ihnen Schweigen auferlegen wollte. Er hat gefürchtet, daß man gegen jenes Schiff Verdacht hege, und daß im geeigneten Moment die Kanonen unseres Forts es in den Grund bohren könnten.«

Slowson mochte sich gegen die Meinung der beiden Officiere sträuben, so viel er wollte, es mußte sich nach reiflicher Ueberlegung doch herausstellen, daß sie Recht hatten, und mit einem Seufzer räumte er endlich ein:

»Ja, es kann nicht anders sein, es war Verrath.«

Er holte jetzt den Brief des Kriegsministers der Conföderation heraus und zeigte ihn den beiden Herren.

»Es ist noch nicht Alles verloren,« sagte er, auf den Schluß des Briefes deutend. »Sehen Sie, hier wird angezeigt, daß man dem New-Yorker Banqier, an welchen dieser Brief gerichtet war, die erbeuteten Gelder ausliefern wird, versuchen wir, ob wir die Leute, welche mit der Ablieferung des Geldes beauftragt sind, nicht erwischen können. Das ist nun Ihre Sache, Mr. Morris, nehmen Sie einige Ihrer Hafen-Constabler, und lassen Sie alle Punkte, wo eine Landung möglich ist, genau bewachen, untersuchen Sie jedes verdächtige Boot. Sollten wir die Million Dollars, von welcher hier die Rede ist, in unsere Hände bekommen, so hätten wir doch einigen Ersatz dafür, daß wir die Alabama haben entschlüpfen lassen.«

»O,« rief Capitain Cobb, »die Sache ist nicht schwer; das Fahrzeug, welches die Gelder an Bord hat, ist kein anderes, als der räthselhafte Schooner, der bereits seit vorgestern Abend an unserer Küste umherkreuzt, und der, wie ich selbst gesehen habe, mit der schwarzen Fregatte communicirte. Haben Sie bei Ihrer Jagd vor allen Dingen auf den Schooner Acht, Mr. Morris; ich werde sofort an den Commandanten des Forts berichten, daß man auf ihn feuere, sowie er sich in die Schußweite unserer Kanonen begiebt.«

Da Mr. Slowson nichts mehr hinzuzufügen hatte, so entfernten sich die Herren und begaben sich sofort an die Lösung ihrer wichtigen Aufgabe; Mr. Cobb nach dem Fort, um dort die nöthigen Maßregeln zu treffen, Mr. Morris aber begab sich, von einigen Constablern begleitet, auf seinen Posten nach der Küste, um die Million Dollars abzufangen. –

Der Schooner »Sea-bright« kreuzte noch immer lustig vor dem Hafen von Boston; und zwar in einer Distanz, welche es den Kanonen des Forts unmöglich machte, ihn auch nur im mindesten zu incommodiren.

Der Kapitain Cobb wollte deshalb den Vorschlag machen, ihm ein Kanonenboot oder einen von den Küstenkreuzern im Hafen auf den Pelz zu schicken, um ihm den Garaus zu machen, allein ein Blick auf die Bauart des Schiffes, seine unverhältnißmäßig hohen Masten und schlanken Spieren und die vorzügliche Takelage mußte ihn überzeugen, daß es ein thörigtes Unternehmen sei, ihn auf offener See einholen zu wollen. Wenn sich also das verdächtige Schiff nicht eine Unvorsichtigkeit zu Schulden kommen ließ und sich an einen Ort begab, wo es von den Kanonen erreicht werden konnte, so war – das sah Mr. Cobb ein – jede Hoffnung, des Schiffes Herr zu werden, vergeblich.

Desto mehr Hoffnung aber hatte Mr. Morris, der Lieutenant der Hafenconstabler, die in Aussicht stehende Beute von einer Million Dollars zu erhaschen.

Im Hafen selbst konnte das Boot, welches das Geld an's Land bringen mußte, nicht landen, denn dort wurde von der Hafenpolizei jedes Boot revidirt. Es mußte also außerhalb des Hafens geschehen.

Der einzige Ort aber, wo die Landung eines Bootes möglich war, befand sich jenseits des Hügels, auf welchem das Wirthshaus zur blauen Flagge lag, es war dort eine weite nur hin und wieder von einigen Erderhöhungen oder Felsenvorsprüngen unterbrochene Strandebene, und wenn Morris einen dieser Vorsprünge als Hinterhalt benutzte, so konnte er jedes Boot sehen, welches sich dem Lande näherte.

Mit schlauer Berechnung wählte er denn auch diesen Platz. Er schlich mit seinen Leuten um den Hügel herum, um sich hinter einen Felsen zu begeben, welcher ihn und seine Leute verbarg, ohne ihnen zugleich die Aussicht auf die See zu beschränken.

Morris wandte kein Auge von der Sea-bright. Mit seinem Fernrohr verfolgte er jede ihrer Bewegungen, beobachtete jede Veränderung ihrer Segel und Alles, was an Bord vorging, allein, er fand nichts Verdacht Erregendes, namentlich bemerkte er nicht, daß der Schooner ein Boot aussetze.

Stunde aus Stunde verging, die Sonne stand im Mittage, und noch harrten die Späher mit derselben Geduld auf ihrem Posten aus. Der Hunger fing an, sich ihnen bemerkbar zu machen, die Sonnenstrahlen glühten auf dem Sande, und keine Aussicht auf irgend einen Erfolg war vorhanden. Aber sie harrten aus – handelte es sich doch um nichts Geringeres, als um eine Million Dollars! –

Da knisterten Fußtritte in dem Kies, mit welchem das Plateau des Felsens, hinter welchem sie geborgen lagen, bedeckt war.

Morris horchte auf.

»Wer kann hierher kommen?« dachte er. »Wenn es Fischer sind, die in der Bucht fischen wollen, so gehen sie nicht den Felsen hinauf, sondern sie passiren die Schluchten, um zu ihren Böten zu gelangen.«

» Die Sea-bright segelte eben in grader Richtung vor ihnen kühn und leicht vorüber.

Fast gleichzeitig aber, als Morris das Geräusch de Fußtritte gehört hatte, bemerkte er, daß der Schooner seine Segel beischlug, um eine Wendung zu machen. Noch nicht zehn Minuten später hatte er eine Richtung eingeschlagen, welche ihn den Augen der Späher völlig entzog; denn der Landrücken, welcher sich südlich der Bucht erstreckt, verbarg ihn ihren Blicken.

»Höchst sonderbar!« sagte der Lieutenant zu den beiden andern Beamten. »Bleiben Sie hier auf dem Posten, ich werde auf den Felsen steigen, und versuchen, ob ich von dort das Schiff» sehen kann.« –

Er mußte, um auf den Felsen zu gelangen, einen ziemlich weiten Umweg machen, da die Abdachung desselben nach dem Lande zu eine sehr allmählige war. Als er endlich die Stelle erreichte, wo ein schmaler Fußpfad hinaufführte, sah er Niemanden, nur in einiger Entfernung, die Chaussee hinauf, fuhr ein Reisewagen der Stadt zu.

Das war etwas, was dem Polizeibeamten nicht weiter auffallen konnte, vielmehr beachtete dieser den Wagen kaum, und verfolgte desto eifriger den Weg den Felsen hinauf, der Stelle zu, wo er die Fußtritte gehört hatte.

Aber auch dort war Niemand, doch zeigten sich die Spuren von Fußtritten auf dem Kiespfade, welche bis an den Rand einer ziemlich breiten Felsspalte führten, in welcher Gestäuch wuchs.

»Sicherlich waren es die, welche das Geld in Empfang nehmen sollten,« murmelte er. »Aber wo sind sie?«

Der einzige Ort, wo sie sich verbergen konnten, war eben die Felsspalte. – Aber wie sollte er hinab gelangen, um dieselbe zu durchsuchen? – Von oben konnte er nichts sehen, denn das Laubwerk des Gesträuchs füllte die Spalte in ihrer ganzen Breite aus. – Aber wie, wenn er vorsichtig das Gesträuch auseinander bog? –

Er legte sich platt auf den Boden und versuchte mit der Hand das Gesträuch zu erreichen, allein er konnte kaum die obersten Gipfel desselben erreichen, geschweige denn, es so viel auseinander biegen, um zu sehen, ob. Jemand darunter verborgen sei.

Sollte er den Sprung hinab in diesen Winkel wagen? – Es wäre vergebens gewesen, denn ohne Zweifel waren es verwegene Buben, die mit einem so riskanten Geschäft betraut waren, und wenn sie ihn knebelten und banden, so war Alles verloren. Nein, nein; er mußte sich von ihrer Anwesenheit überzeugen ohne, daß sie es merkten.

War denn nichts zur Hand, womit er hätte das Gesträuch zurückbiegen können? – Richtig, es war ein passendes Instrument da: auf einem etwas erhöhten Punkte des Felsenplateau steckte ein Ruder umgekehrt in der Erde.

Frohlockend zog es Morris heraus und schlich sich damit an die Felsspalte.

Vorsichtig das Rauschen des Laubes vermeidend, bog er dasselbe zurück und zwar an verschiedenen Stellen.

Es war Niemand da.

Morris war auf's Höchste erstaunt, und stand nachdenkend, das Ruder in der Hand, um sich dies Resultat auf irgend eine Weise zu erklären. Aber so viel er auch sann, es blieb ihm unerklärlich, was hier Jemand habe auf dem Felsen gemacht, wenn er sich dort nicht habe verbergen wollen. Daß der Mann oder die Männer, wenn es mehrere waren, umgekehrt seien, das unterlag keinem Zweifel; aber wenn sie wieder umkehren wollten, weshalb kamen sie denn hierher? – Hatten sie Verdacht geschöpft, daß man ihnen auf der Spur sei? – Nein, das konnten sie nicht, denn der Versteck, wo sich die Polizeibeamten befanden, war ein sehr sicherer.

Halt! – Jetzt fiel es ihm ein! Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

»Das Ruder, das Ruder, was dort zwischen dem Gestein steckte!« rief er. – »Ich Kurzsichtiger, daß ich nicht gleich daran dachte, daß es ein Signal sei. Der Mann, dessen Fußtritte ich hier vernahm, hat weiter nichts gethan, als das Ruder hierher gesteckt!«

Schnell stellte er das Ruder wieder an den Platz, wo er es weggenommen.

»Verdammt!« brummte er. »Die Unvorsichtigkeit, daß ich das Ruder wieder weg nahm, ist ihnen möglicher Weise wohl gar ein Warnungssignal gewesen. – Wo ist der Schooner?«

Er hatte bei seiner Durchsuchung des Plateaus gar nicht daran gedacht, sein Augenmerk auf das Fahrzeug zu richten. Es wäre auch vergebens gewesen, denn der Landrücken verbarg ihm dasselbe noch immer, er sah nichts als die Spitzen der Masten über den Hügel hervorragen.

»Das Ruder war nichts, als ein Signal,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort. »Einige Minuten, nachdem ich die Fußtritte über mir hörte, machte das Schiff eine Wendung. Ohne Zweifel haben sie ein Boot ausgesetzt!« –

Seine Augen flogen mit fieberhafter Spannung über die Fläche der See.

»Bei Gott, da segelt eine Pinasse um die Spitze des Landrückens gerade in die Bucht hinein!«

Morris eilte, so schnell er konnte, zu seinen Gefährten zurück.

»Haben Sie etwas bemerkt?«

»Ja, wohl, Sir; sehen Sie die Pinasse dort? – Die ist ganz sicher von dem Schooner ausgesetzt, die hat die Million an Bord, verlassen Sie sich darauf.«

»Sonst haben Sie nichts Verdächtiges gesehen?«

»Nun, ich meine,« antwortete einer der Beamten, »daß sich dieses Fahrzeug verdächtig genug macht. Sehen Sie, es hält wieder vom Lande ab, es muß ihm etwas Verdächtiges aufgestoßen sein. Bemerken Sie, Sir, wie es absichtlich vermeidet in die Nähe eines der Fischerboote zu kommen. – Meiner Treu, das sieht verdächtig genug aus.«

Morris nahm das Fernrohr.

In der Pinasse befanden sich zwei Männer, von welchen der Eine mit einem Fernrohr sorgfältig die Küste zu durchspähen schien.

Die Polizeibeamten zogen sich tiefer in ihren Versteck zurück.

»Gott sei Dankt« sagte Morris; »sie haben es nicht bemerkt, daß ich das Ruder weggenommen hatte, sonst wären sie längst umgekehrt. Die Million ist uns so gut wie gewiß!«

»Sehen Sie nur, Mr. Morris!« versetzte einer der Beamten, »wie die Pinasse sich vor jeder Beobachtung hütet. – Sie scheint sich sogar vor dem Lachsfischer da zu fürchten, denn sie hält wieder ab vom Strande.«

Diese Andeutung bezog sich auf ein kleines Fischerboot, welches seit einiger Zeit an dem Ausläufer des Landrückens lag – man hatte wenig darauf geachtet, seit wann es dort lag, da die verdächtige Pinasse die ganze Aufmerksamkeit der Beamten in Anspruch nahm. Es waren in dem Boote drei Männer beschäftigt, ihre Netze den Strand entlang auszuwerfen und die gefangenen Fische in einen durchlöcherten Kasten zu thun, welchen sie an dem Boot angebunden hatten.

Die Pinasse machte inzwischen mehrere Versuche zu landen, aber gab diese Versuche jedes Mal wieder auf und zog sich dann weit aus der Bucht in die See zurück.

Der Abend dämmerte bereits. Hunger und Ermüdung fingen immer dringender an auf die Verfolger ihn Recht geltend zu machen. Wenn die Pinasse bei diesem unschlüssigen Manövriren blieb, so konnten sie vielleicht noch ganze 24 Stunden auf der Lauer liegen, ohne ein Resultat zu erreichen.

Es war ihnen jetzt keinen Augenblick zweifelhaft, daß die Pinasse die zu erhaschende Beute an Bord trug. Morris gab also, um die endlose Geduldprobe abzukürzen, den Befehl, daß zwei Mann mit ihm ein Boot besteigen sollten, um der Pinasse entgegen zu fahren.

Um möglichst wenig Aufsehen und Verdacht zu erregen, fuhren sie, als ob sie eine Vergnügungsfahrt machten nahe am Strande hin.

Ihr Weg führte sie nahe an dem Boot der Lachsfischer vorüber.

Die Fischer, Männer in schmutzigen Jacken von grünem Wollenzeuge, und verwitterten Strohhüten, achteten nicht auf sie, sondern fuhren in ihrer Arbeit ruhig fort.

»Aus der Gleichgütigkeit, mit der diese Leute uns ansehen,« bemerkte Morris, »können wir schließen, daß wir nichts Auffallendes an uns haben. Sie, da, halten Sie etwas näher heran, ich will die Leute einmal fragen, ob sie Genaueres über die Pinasse wissen, sie können uns sicherlich auch von dem letzten Skrupel, ob sie der gesuchte Vogel ist oder nicht, befreien!«

Der Constabler, der das Steuer führte, gehorchte und hielt gerade auf das Fischerboot los.

»Den Teufel, Sir!« rief einer der Fischer ihm entgegen, ein junger Mann mit ziemlich hübschem Gesicht und kokettem Schrambart und von zarterer Gesichtsfarbe, als Fischer gewöhnlich zu haben pflegen. – »Sie fahren uns in die Netze!«

»Kümmern Sie sich nicht darum,« gab Morris zurück, »wenn Ihre Netze Schaden leiden, so bezahle ich sie Ihnen, aber ich will mit Ihnen sprechen.«

»Das lassen Sie hübsch bleiben!« erwiderte ein alter, struppiger Seebär. – »Wir lieben es nicht, Uns hier durch andere Leute die Fische verjagen zu lassen, oder denken Sie, wir arbeiten hier zum Spaß? Reden Sie mit wem Sie wollen, aber lassen Sie uns in Ruhe.«

»Gemach, alte Theerjacke!« antwortete Morris freundlich. »Ihr sollt durch mich keinen Schaden haben.«

Sie hatten die Stelle, wo die Netze lagen, jetzt durchfahren und in der That das große Netz total zerrissen.

»Da haben wir die Bescheerung!« rief der Alte zornig die Faust ballend. »Scheeren Sie sich zum Teufel, Sir!«

»St!« mahnte der junge Mann, nachdem er die Kommenden mit einem scharfen Blicke gemustert. – »Entschuldigen Sie meinen Vater, Sir,« sagte er zu Morris, »er ist ein wenig seemännisch.«

»Sie sind es nicht, wie es scheint?« antwortete der Lieutenant, der auch seinerseits den Jüngling vom Kopf bis zu den Füßen prüfend ansah.

Die beiden Boote lagen jetzt Bord an Bord.

»In der That nicht,« antwortete der junge Mann. »Ich war früher Cigarrenmacher, aber wegen des Krieges geht das Geschäft schlecht, und da helfe ich jetzt meinem Vater bei seinem Gewerbe.«

»Das machen Sie recht. Oh, ich sah es Ihnen auf den ersten Blick an, daß Sie in diesem Geschäft ein Neuling sind. Unsereiner versteht sich darauf ...«

»Wollen Sie weiter nichts,« unterbrach ihn der Alte, »als meinen Sohn nach seinen Talenten fragen? In dem Falle muß ich Ihnen sagen, daß er, wenn er auch von der Fischerei nicht viel los hat, doch versteht, seinem Vater beizustehen, um sich zudringliche Neugierige vom Halse zu schaffen. – Das Netz kostet vierzig Dollars, Sir.«

»Seht gut, Alter, holen Sie sich die Summe morgen früh vom Bureau der Hafen-Inspection.«

»Ach so!« sagte der Alte und lüftete seinen Strohhut. »Sie sind der Herr ... Jh, ich dachte nicht daran. – Nichts für ungut, Herr ...«

Er kniff verschmitzt ein Auge zu und stieß den jungen Mann in die Seite, der ihm lächelnd zunickte.

Glücklicher Weise blieb diese Zeichensprache von Morris unbemerkt, derselbe wandte sich wieder an den Alten.

»Allerdings ich bin der Lieutenant Morris, und meine Aufdringlichkeit, wie Sie es nennen, Alter, hatte den Zweck, Sie über jene Pinasse etwas zu fragen.«

»Die Pinasse da, Sir?« antwortete der Alte, der mit einem Male sehr freundlich und gesprächig zu werden schien, während er aber zugleich seinen Gefährten heimlich mit dem Ellenbogen bearbeitete. – »Die Pinasse da, die dort umher fährt, als ob sie die Stelle suchte, wo vor hundert Jahren ein Schatz versenkt ist?«

» »Dieselbe,« antwortete Morris, »die dort in diesem Augenblicke in der Bucht zu landen versucht. Aber geben Sie Acht, sie landet nicht, sondern wird umkehren, sie hat es schon mehrmals so gemacht.«

»Das habe ich auch schon bemerkt,« entgegnete der ehemalige Cigarrenmacher, »es ist mir auch längst aufgefallen. Ich habe schon zu meinem Vater gesagt: der da muß kein gut Gewissen haben, sagte ich, er kommt mir so vor, als fürchtete er unberufene Zeugen seiner Landung. – Sagte ich das nicht, Vater?«

»Versteht sich, sagtest Du das, mein Sohn,« bestätigte der Fischer, »und ich fügte hinzu: daß ich meine, es müßte etwas mit ihren Zoll-Papieren nicht richtig sein.«

»Es scheint so etwas,« sagte Morris vorsichtig. »Habt Ihr vielleicht gesehen, wo die Pinasse herkam?«

»Versteht sich,« antwortete der Alte bereitwillig. »Wir haben gesehen, wie sie von dem Schooner abstieß, den wir hier herum schon seit vorgestern kreuzen sehen.«

Morris blickte seine Gefährten an, als wollte er sagen:

»Seht Ihr? Es ist kein Zweifel mehr!«

Laut fuhr er dann fort:

»Ich danke Ihnen für Ihre Auskunft. Wir werden einmal versuchen, Jagd auf die Pinasse zu machen. So wie sie wieder einen Landungsversuch macht, schneiden wir ihr die Rückkehr ab.«

Um aber den Leuten, die ihm diese wichtige Auskunft gegeben hatten, sich wenigstens durch einen Beweis seiner Herablassung erkenntlich zu zeigen, that er im wohlwollenden Tone die Frage:

»Viel gefangen heute?«

»J nun, es geht!« antwortete der Alte. »Die beste Zeit kommt erst. Hätten Sie uns nicht das Netz zerrissen ...«

»Ich werde dafür sorgen, daß Euch auch dieser Schaden ersetzt wird, der Ausfall vom Fang. – Ah, ich sehe, Ihr habt da eine Kiste, ohne Zweifel mit Mundvorrath,« unterbrach sich Morris, auf eine Kiste deutend, welche, von Segeltuch halb verdeckt, unter einer Ruderbank stand, und nach dem, was man von derselben sah, wenig zu der Ausrüstung eines Fischerbootes paßte. – »Meine Leute sind hungrig, und ich würde Euch sehr dankbar sein, wenn Ihr Ihnen etwas abgeben würdet.«

Der junge Fischer wechselte ein wenig die Farbe bei der Anspielung auf die Kiste, und der Alte blickte verlegen bald auf die Kiste bald auf seinen Sohn. Aber Keiner antwortete.

Morris deutet dies Zögern offenbar falsch.

»Genirt Euch nicht, wenn Eure Speisen vielleicht nicht zu den delikatesten Leckerbissen gehören,« sagte er, »wenn Jemand hungrig ist, so fragt er nicht darnach, ob das Brod einen Schatten schwarzer ist oder nicht.«

»Wir haben in der That nichts mit, Sir,« antwortete der junge Mann, der inzwischen seinen Gleichmuth wieder gewonnen hatte.

»Oh, geht!« rief Morris, »die Fischer werden ohne Lebensmittel auf den Fang fahren! Ziert Euch nicht, holt nur einmal die Kiste da hervor. Wenn ihr Inhalt ihrem Aeußeren entspricht, so können die Speisen nicht schlecht sein, denn die Kiste ist eigentlich zu elegant, um als Ausstattung eines Fischerbootes zu dienen.«

Morris langte mit der Hand über den Bord und warf das Segeltuch ein wenig von der Kiste zurück. Dieselbe war von Eichenholz mit Stahlbeschlag und einem starken Vorlegeschloß versehen.

Des alten Fischers Antlitz wurde erdfahl, und sein Sohn zuckte zusammen. Seine Hand fuhr unter die grünwollene Jacke und erfaßte dort den Griff eines Pistols.

Er brauchte dasselbe nicht herauszuziehen, denn in diesem Augenblick sprang der dritte Fischer, der bisher anscheinend theilnahmlos da gesessen und dem Gespräch kaum zugehört zu haben schien, hinzu und überreichte Morris eine Flasche.

»Da, nehmen Sie, Sir,« sagte er. »Wir haben zwar weiter nichts zur Stärkung bei uns, aber, da wegen des zerrissenen Netzes aus dem Fange nichts wird, und wir gleich nach Hause fahren werden, so brauchen wir's nicht. – Wenn Sie aber die Pinasse abschneiden wollen, so müssen Sie eilen, Sir, denn sehen Sie nur hin, sie benutzt das Licht der Dämmerung, um in die Bucht zu fahren.«

Wahrhaftig, er hatte Recht, die Pinasse machte einen entschlosseneren Landungsversuch als zuvor.

»Vorwärts!« rief Morris seinen Leuten zu. »Setzt die Ruder ein – zieht was Ihr könnt – achtet nicht auf Eure Müdigkeit; bedenkt, es gilt eine Million Dollars!«

Das Constablerboot flog davon. In dem Moment aber, als sie ihre Beute schon sicher zu haben glaubten, wandte das Boot und pfeilschnell schoß es wieder hinaus auf die See, und es blieb weiter nichts übrig, als einen neuen Landungsversuch abzuwarten.

Das Boot der Lachsfischer ward anscheinend mit der diesen Leuten eignen bedächtigen Langsamkeit dem Lande zugerudert. Dort packten sie ihre Geräthe aus und auch – die stahlbeschlagene Kiste. Die beiden Alten faßten dieselbe an ihren massiven Griffen, der Jüngere deckte einen Haufen Taue und Segelwerk darüber, daß davon nichts zu sehen war und so trugen sie die Kiste bis an die Landstraße, wo eben wieder die Reisechaise vorüber fuhr, welche vorher Morris bereits bemerkt hatte.

Aaron Levy steckte seinen Kopf aus dem Wagen. Der junge Mann grüßte ihn freundlich und reichte ihm die Hand.

»Ah, Sie sind es selber, Lieutenant Sinclair!« rief der Banquier. »Ist's gut geglückt, ich hoffe, Sie riskiren nichts.«

»Nein, nein!« antwortete der Befehlshaber der Sea-bright lachend, »wir riskiren nichts, obwohl die Constabler auf uns Jagd machen, welche in diesem Augenblick der Meinung sind, den Schatz schon in der Tasche zu haben.« –

Eine Stunde später war Aaron Levy mit seinem Schatz wohlgeborgen in einem Coupé der Eisenbahn, auf dem Wege nach New-York.

Die Fischer begaben sich jetzt eiligst nach ihrem Boot zurück.

Die beiden Alten ergriffen die Ruder, Sinclair setzte sich an's Steuer, und so fuhren sie wieder hinaus.

Morris, der mit seinen Leuten noch immer auf der Lauer lag und auf die Pinasse wartete, sah die Fischer wieder vom Lande abstoßen.

»Sie werden ein neues Netz geholt haben,« dachte er, »und den Fang fortsetzen wollen.«

Die Fischer aber dachten daran nicht, sondern ruderten aus Leibeskräften auf die See hinaus.

»Aufgepaßt, die Pinasse kommt wieder heran!« rief der Lieutenant seinen Gefährten zu.

Diesmal aber wich die Pinasse nicht mehr wie vorher jenem Fischerboote aus, sondern segelte gerade auf dasselbe zu. Das schwindende Licht des Tages und die nicht allzuweite Entfernung gestatteten gerade noch zu sehen, daß die drei Fischer in die Pinasse einstiegen, daß diese dann von jedem ferneren Landungsversuche abstand, sondern schleunigst das Weite suchte, bis sie neben dem Schooner anlangte, der Mannschaft und Boot aufnahm und dann sofort mit dem planlosen Kreuzen aufhörte, vielmehr mit allen Segeln durch die Straße von Lynnes-Eiland hindurchfuhr und – Dank der Zurechtweisung Powels – die hohe See gewann, so sicher und so ungefährdet, als wäre er vom besten Lootsen geführt.

»Tod und Teufel, die Fischer steckten mit den Kerlen unter einer Decke!« rief Morris beide Fäuste ballend; »und ich ahnte es nicht!«

Verstimmt und niedergeschlagen kehrten die Constabler um. Sie beeilten sich nicht sonderlich, da sie das drückende Bewußtsein quälte, daß am Lande ihrer nicht besonderer Beifall harrte.

Zur Vermehrung ihres Verdrusses trieben ihnen die Wellen gerade das verlassene Fischerboot entgegen. Morris warf einen grimmigen Blick darauf. Da fiel ihm ein Stück Papier auf, welches am Boden des Fahrzeuges lag. Er enterte schnell dasselbe und hob das Blatt auf.

Es standen auf demselben mit Blei und so groß geschrieben, daß die Schrift selbst im Licht der Dämmerung zu lesen war, die Worte:

 

»Dies Boot macht der Hafen-Inspection zu Boston aus Dankbarkeit zum Geschenk

L.Sinclair,
Befehlshaber der Sea-bright!«


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