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Nach dreißig Jahren.

III. Das Nest an der Bahn.

Erstes Kapitel.

Kennt ihr's noch? Ja, das ist das Bahnwärterhäuschen von damals, wo Jakob und Magdalena nach schwerem verschuldetem und unverschuldetem Schicksal die erste gemeinsame Heimstätte gefunden.

Wie lang das her ist?

Jakob hat seine eigene Zeitrechnung und er lacht und zeigt dabei noch alle seine gesunden Zähne, wenn er sagt: »Ich habe sechs Monturmäntel auf meinem Posten in Gesundheit verbraucht.« Und das muß doch jeder wissen, daß die Bahnverwartung alle fünf Jahre einen neuen Dienstmantel stellt.

Drei Jahrzehnte ist freilich eine gute Zeit, da gedeiht und verwelkt manches, eigentlich aber ist hier nur von Gedeihen die Rede, wie natürlich von Gedeihen unter Sturm und Wetter, denn die bleiben nirgends aus, zumal hier, wo man nach Jakobs Erfahrung »von jedem Windstrom, der über die Welt geht, sein Teil bekommt,« aber ein gesundes Menschengemüt und ein gesunder Baum werden durch Sturm nicht geknickt, sondern – wenn nur erst der Stamm widerstandskräftig ist – noch wurzeltiefer und wurzelfester.

Seitdem wir zuletzt hier waren, sind tausend und aber tausend Bahnzüge an dem Häuschen vorbeigesaust; man könnte die Zahl genau ausfindig machen, denn sie ist im Hauptamt in den Tabellen verzeichnet, aber keine Menschenseele könnte das unzählige Leben fassen, das sich hier hin und her bewegte; die Söhne des Landes sind hier vorbei in den Krieg gezogen, fremd anzuschauende Gefangene glotzten heraus, und verwundete, aber auch jubelnde Sieger sind zurückgekehrt

Sehen wir uns um!

Auf dem Söller haben die Nelken von damals Luftwurzeln angesetzt und wiegen sich mit ihren blühenden Ranken im leisesten Windhauch. Schon im zweiten Jahr haben sich Schwalben im Hause eingenistet und zwar im Stall, wo die Wandervögel der einsamen Kuh manches vorzwitschern, worauf sie aber nur mit Brummen und selten mit einem tiefklagenden Schrei antwortet.

Das geschmackvoll gebaute Häuschen hat mit der Zeit einen Schmuck erhalten, den kein Baumeister mit Axt und Hammer herstellen kann; die Rebe hat die Säulen und die Wände übersponnen und man hatte nur zu wehren, daß sie nicht auch die Fenster zudeckt. An der Winterseite des Hauses ist kleingehacktes Holz lotrecht aufgeschichtet, sieht fast aus wie ein Zierat und hält das Haus von außen warm, bis es von innen wärmt; zwei schöne reichtragende Nußbäume sind hoch gediehen und der Hügel, der damals von Weißtannen bestanden war, ist jetzt ein stattlicher Hopfengarten; vor dem Hause und an der Morgenseite blühen vom ersten Frühling bis zum späten Herbst hellfarbige Blumen.

Und nun erst drin im Hause, da ist volles Leben.

Es ist von einem ganzen Neste zu berichten, von den Alten und von den Jungen, solange sie im Neste sind, und erst gar als sie in die weite Welt ausflogen.

Vor allem also Jakob und Magdalena. Sie rufen einander aber nicht bei ihrem Namen, sondern er ruft Mutter und sie ruft Vater. Kein Kind hat je anders gehört, und wenn Magdalena zu einem Kinde vom »Vater« spricht, so thut sie das mit einem besonderen Tone der Ehrerbietung; ihre herrschgewaltige und zufahrende Natur ist unterwürfig und mild geworden vor der stetigen stillen Gelassenheit ihres Mannes; Jakob aber weist die Kinder bei ihren Anliegen an die Mutter, er überläßt ihr gern die Bestimmung.

Magdalena hat sich weit mehr verändert als ihr Mann und man sagt, das soll einer Frau viel schwerer werden. Sie war eine tüchtige Natur, aber er war noch etwas mehr, er war eine tiefe Natur, die ihn nach langem bitterem Leid endlich zu ruhigem Gleichgewichte gelangen ließ. Was auch vorkommen mochte, er wußte alles zum guten zu deuten. Wenn Magdalena manchmal meinte, er lasse sich von dem und jenem zu viel gefallen und verstehe sich nicht auf seinen Vorteil, da lächelte er: »Was liegt dran? Rauch und Pfiff ist alles. Ueber eine Weile sieht und hört man nichts mehr davon. Wir haben unser täglich Brot und wir zwei haben einander, ich begehre nichts weiter von der Welt.«

Und diese weise Genügsamkeit, die nur selten in Worten herauskam – denn Jakob war noch immer wortkarg und sprach mehr mit Kopfnicken und Augenzwinkern – diese Gelassenheit ging endlich auch auf Magdalena über, und Eintracht herrschte in dem Bahnhäuschen Nummer 374.

Die beiden Eheleute sind noch frisch und munter; das Haar Magdalenas hat noch seine Jugendfarbe und das wilde Löckchen schwebt noch immer unbändig mitten auf der Stirne, Jakob aber ist grau geworden und hat dazu noch einen grauen Vollbart; die graubraune Uniform mit den blanken Knöpfen und dem dunkelroten Kragen steht ihm gut, zumal er sich stramm aufrecht hält. Auffallend ist ein leuchtender Glanz in seinen Augen, der damals, als er noch Knecht im Dorfe war, gar nicht an ihm bemerkt wurde. Wir werden wohl erfahren, woher diese Veränderung stammt. Von Gestalt ist er schlank verblieben, während Magdalena sich bedeutend verbreitert hat, sein Blick ist stetig, während ihre Augen noch immer unruhig flimmern. Sie hält sich noch immer sauber und schmuck, und wenn man nicht wüßte, daß sie oft wochenlang von niemand als Jakob und den Kindern gesehen wird, könnte man es fast gefallsüchtig nennen. Das ist's aber nicht; hat sie ja einmal ihrer zweiten Tochter Rikele gesagt, die verwahrlost einherging und das mit der Einsamkeit entschuldigte: Man putzt sich nicht wegen andrer, man hält sich sauber und ordentlich wegen seiner selber. Die Art, wie sie das Halstuch, das Schürzenband knüpft, hat etwas Zierliches, und solange die Töchter zu Haus waren, kamen sie am Sonntagmorgen immer und baten: Mutter, knüpf mir mein Halstuch, mein Band, flicht mir den Haarzopf; und sie machte das den Kindern noch schöner als sich selbst.

Ja, die Kinder! Erinnert ihr euch, wie damals, als wir Magdalena aus dem schnell eilenden Bahnzuge grüßten, sie einen Knaben auf dem Arme hielt? Schon an diesem Knaben wurde viel erlebt.

Doch, wir wollen möglichst ordnungsmäßig berichten.


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