Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Bonaparte ist durch und hat seinen Tempel nicht gesehen; der Galgen ist abgeschlagen worden und auf das alte Postament ein Tempel gebaut, ich glaube gar mit einer Bildsäule, und das Ganze ist illuminiert worden zum Volksfest, wobei noch allerlei Belustigungen vorfielen; daß das Galgenfeld zu diesem Platz ausersehen war, machte besonders den Sachsenhäusern Spaß. –

Clödchen ist krank und liegt auf dem Kanapee, ich bin meistens den ganzen Tag bei ihr und wache auch nachts, wenn sie sich unwohler fühlt. Es geht hier wieder alles nach der alten Leier, Dein Brief kam zu rechter Zeit, um mit allen Umständen zusammen mich zu überzeugen, daß du recht hast, die Engländer sind Hauptperson hier; abends wird im Teezimmer vom Moritz die ›Delphine‹ von der Stael vorgelesen, für mich das Absurdeste, was ich hören kann, ich mach einen Plumpsack von meinem Schnupftuch und amüsiere die Kinder derweil, das hat den Lekteur nicht wenig verdrossen, ja ich muß fort. – Am Montag war Ball bei Leonhardi, um seine neue Einrichtung zu zeigen, lauter ägyptische Ungeheuer hat er an die Wand malen lassen. – Gestern war schon wieder Cour beim Primas, ich war's so satt, daß ich mich versteckte beim Wegfahren; sie suchten mich überall; ich war in meinem Bett versteckt, und der Franz war bös, aber, um ihn wiedergutzumachen, hab ich mir eine besondre List ersonnen, ich fand in der Tonie ihrem Küchenrevier einen großen Korb mit weißen Rüben, den hab ich vorgenommen mit den Leuten, sie ganz dünn abgeschält und ausgehöhlt inwendig, in jede ein Wachslicht gesteckt und so die ganze Treppe illuminiert und den Vorplatz – ich hab bis nach Mitternacht mit zu tun gehabt, es war recht dumm, es wär besser gewesen, ich wär mitgegangen, denn der Primas ließ mir sagen, weil ich nicht mitgegangen wär, so soll ich am Freitag mit ihm und dem Weihbischof zu Mittag speisen und Fasttag halten. Ja, ich geh fort, ich bin in Gedanken schon unterwegs, die Meline hat auch schon alle Vorkehrung getroffen, ja ich geh! – es tut mir nichts leid, als daß ich geh, eh Du wiederkommst, daß ich geh und daß Du hier bleibst, aber ich tu es, weil Du es sagst, weil ich Dich als meinen Genius anerkenne – nein, nicht Du – aber er nimmt Deine Stimme an, ich freu mich, wenn meine Empfindungen diesen Winter ein bißchen hart frieren – ich freu mich auf alles. –

Dem Arenswald hab ich, ohne mich im geringsten arm zu machen, Geld geschickt, ich hab beim Durchsuchen meiner Papiere allerlei verloren Geld zusammengefunden, von dem ich gar nicht wußt, daß es da war, ich hab alles in einem kleinen Beutel ihm geschickt und dem Gärtner den Kanarienvogel. Eh wir abreisen, geh ich noch mit der Meline hinaus zur Großmama, dann will ich sie bitten, daß ich, wie Du meinst, Briefe mit ihr wechsle. Adieu, vielleicht schreib ich Dir nicht mehr von hier. – Ich bin so lustig, daß ich fortgeh, ich freu mich so drauf auf die schöne Winterlandschaft, die Du mir beschrieben hast, die mir ins Fenster hereinsehen wird – ich weiß es schon, ich werd selig sein. – Ich hab keine Ruh zum Schreiben, das Reisen steckt mir in den Gliedern, ich spring treppauf, treppab; die arme Clandine, wer wird sie pflegen? sie hat mir aber versprochen, sie wollt, solang ich fort bin, nicht krank werden, denn ich bin eifersüchtig drauf, wie manche Nacht hab ich da gewacht und simuliert und hübsche Bücher gelesen, aber wenn sie krank wird, so gehst Du wohl als zu ihr. – Drauß auf dem Wall war ich auch, um noch von unserm Lieblingsspaziergang Abschied zu nehmen, die meisten Blätter sind schon gefallen, ich ging in einem Rauschen durch, alle Bäume regneten noch Blätter auf mich. – Der Moritz bleibt also mit seiner ›Delphine‹ hier sitzen, das macht mich auch ganz vergnügt, daß ich das auch nicht mehr anzuhören brauch.

Bettine
 

Marburg

Weißt Du denn, wer meine erste Bekanntschaft ist, die ich hier gemacht hab? – Ein Jud! aber was für einer? der schönste Mann! ein weißer Bart von einer halben Elle, große braune Augen, so schöne einfache Gestalt, die ruhigste Stirn, prächtige, majestätische Nase, Rednerlippen, aber von denen die Weisheit süß hervortönen muß. Unser Hauswirt, der Professor Weiß, rief mich und sagte: »Wollen Sie einen schönen Juden sehen, so kommen Sie in meiner Frau ihr Zimmer, sie verhandelt ihm eben ihr Hochzeitskleid.« Die Meline wollte nicht mitgehen und war verwundert, daß Weiß uns einlud, einem Handelsjud die Aufwartung zu machen, ich hab's aber nicht bereut, es war ein Bild zum Malen, er saß in einem sehr reinen Rabbiner- oder Gelehrten-Gewand am Tisch, seine Hand guckte aus dem schwarzen weiten Ärmel, und das Abendrot leuchtete durch die Scheiben; die Frau Professorin stand vor ihm und hielt ihren Hochzeitkontusch oder war's der von ihrer Mutter, denn es schien sehr altertümlicher Stoff, an beiden Ärmeln ausgebreitet, ihre Kinder standen zu beiden Seiten und hielten die Schleppe auseinander, es war ein orangenfarbner Stoff mit silbernen Sträußen und granatfarbnen Blumen durchwirkt, was sehr schön mit dem starken Abendrot konrastierte, es war das schönste Bild, und gern hätt ich die Meline gerufen, es mit anzusehen, wenn nicht eine Scheu, um nicht zu sagen Ehrfurcht, mich auf dem Platz gehalten hätt, ich hätte diesen Mann nicht mögen als Gegenstand der Neugierde behandeln. – Es hatte mir auch was ganz Rätselhaftes, die Leute mit so großer Ehrfurcht vor ihm stehen zu sehen und ruhig seinen Ausspruch bei einem Handel abzuwarten. – Sie sprachen über eine Summe, wozu noch mehrere andre altertümliche Stoffe gehörten, die auf dem Tisch lagen. – Ich tat, als sei ich begierig, sie zu sehen, bloß um mit Anstand noch bleiben zu können, denn je länger ich ihn ansah, je mehr fühlte ich mich angezogen und doch schüchtern, und der Weiß hätt mich gewiß nicht der Tür hinaus gebracht, solang er da war; der Jude ließ mir von seinem Enkelsohn, der hinter ihm stand, die Stoffe ausbreiten, ich tat, als wär ich höchlich erfreut über das Vert-de-pomme-Kleid mit Apfelblüte, und mein Alter sah mich unterdes von der Seite an, das merkt ich, das machte mir heimlich Freud. – Der Professor Weiß sagte: »Nun, Ephraim, müssen wir erst ein Glas Wein zusammen trinken, und Sie trinken auch mit«, sagte er zu mir, er schenkte dem Juden zuerst ein, der aber reichte mir sein Glas, ich sagte, daß ich keinen Wein trinke. Aber nippen können Sie doch wohl, sagte er – ich nahm's ihm ab und schluckte ein wenig davon, er dankte mir und trank es auf der Stelle aus, dann sah er mich lächelnd an, als wollt er sagen: freut's dich, daß ich dir so viel Achtung bezeige? – ich lächelte mit ihm, und ich war ganz rot geworden vor Vergnügen. Weiß sprach noch allerlei mit ihm, was bewies, daß er ihn sehr in Achtung hält. – Weiß sagte von mir: »Was meint Ihr, Ephraim, daß wir jetzt so allerliebste Studenten haben, hier wird das erste Semester gehalten, und ich werd Euch bei so feinen Studenten empfehlen, das wär Euch wohl ein groß Vergnügen, diesem kleinen Studenten Unterricht zu geben?« – Es war ein so liebenswürdiger Adel in allem, was er sagte, und wie er den gutherzigen Scherzen des Weiß eine feine Wendung gab, daß sie mich nicht verletzen sollten, daß ich ganz eingenommen von ihm war und mich wirklich sehr in acht nahm, ihm solche Antworten zu geben, die ihm Interesse sollten für mich geben; zwei Stund hab ich so mit ihm geplaudert, und ich dacht schon drauf, wie ich's machen wollt, daß ich ihn öfter sehen könnt, so sagt ich, wie er wegging, an unserer Tür vorbei, daß ich da eine Schwester noch habe, und ich wünschte gar sehr, daß sie auch seine Bekanntschaft machen möchte, er versprach mir, daß, wenn er wiederkäme, so wolle er bei mir anklopfen. Ich freu mich recht drauf.

Von Frankfurt hab ich Abschied genommen, wie ein Has übers beschneite Feld jagt, man sieht kaum seine Pfötchen im Schnee, und es war auch kein Jäger da, der mich gern geschossen hätt. Beim Primas war ich sehr lustig auf der Fastenmahlzeit; wie ich Abschied nahm, sagte er: »Ich freu mich auf Ihre Wiederkunft« und nahm mich bei der Hand und begleitete mich durchs Vorzimmer. In Offenbach hab ich alles mit der Großmutter besprochen, aber in den Garten, der nicht mehr rauscht, konnt ich nicht gehen, um Abschied zu nehmen, so gern ich gewollt hätt und lieber als von allen andern, denn ich war vertrauter mit ihm; dann war ich auch beim Gärtner und fragte, ob er meine Bäume ins Winterquartier wollt nehmen, und wenn Du aus dem Rheingau kämst, so würdest Du den Kanarienvogel abholen; er fragte, ob ich den nicht bei ihm wollt lassen; ich versprach ihm, daß wenn Du einwilligst, so darf er ihn behalten, und einer kleinen Koketterie machte er mich aufs pläsierlichste schuldig: ich nahm den Vogel aus dem Käfig, küßt ihn auf sein klein Schnäbelchen und sagt: »Adieu, lieber Gärtner.« Als ich zur Großmutter zurückkam, war's schon bald Nacht, die Meline und Tonie wollten zurückfahren; ich bat sie, noch eine Viertelstund zu bleiben, und wie es schon ganz Nacht war, da hab ich mich doch in den Garten geschlichen und hab die Augen zugemacht, bis ich an den Pappeln war, und hab sie alle getröst mit Worten, denn ich dacht, wer weiß, wie mir's geht, ob ich nicht auch einmal so trostlos dasteh; sollt sich da mein Freund vor mir scheuen, weil's ihm zu traurig ist? – und das Herz war mir viel leichter; ich würde auch jetzt wieder hingehen, wenn ich noch da blieb, denn wie könnt ich ihnen alles vergelten, wenn ich jetzt nicht wollt mit ihnen sein wie früher, und was wär doch das schönste Geheimnis dieses Umgangs mit ihnen, wenn ich sie jetzt verleugnen wollt, es wär grad wie eine ewige Liebe zum Helden, die wie Spreu auseinanderfliegt, weil der zum Krüppel geschossen worden. – Es ist mir da im Garten recht deutlich geworden und viel empfundner in der Seele, daß das Beleben Genie ist; – eine Seele, die aus meiner Seele aufsteigt und das, was mich erregt, bewohnt so zärtlich, so edel ich empfinden kann. Die rauschenden Bäume haben mich bewegt; davon ist meine Seele wach geworden und ist aufgestiegen und hat jene Bäume belebt, und sollte diese Seele ihnen jetzt absterben, weil sie irdisch elend sind? – Da würd ich mich ja selbst töten in ihnen. Nein, in jedem Unglücklichen soll man doppelt lebendig werden. –

Eh wir abreisten, hatte ich noch manchen Kampf mit den andern; man war nicht einig, ob ich dem Savigny nicht lästig sein würde, weil man glaubt und gewiß weiß, daß er nichts auf mich hält. Ich halte nun auch eben nichts Besondres von mir; ich hab ihn immer noch wie sonst lieb, und so scheu ich mich gar nicht, mit ihm zu leben, obschon er einen Widerwillen gegen meine Natur zu haben scheint, um so glanzvoller erscheint mir deine Nachsicht mit mir; und er behauptet, ich sei hochmütig, – manchmal glaub ich's gar, weil er doch gescheuter ist als wir alle – und kann also einen Charakter besser beurteilen. – Und dann, kann ich Dir sagen, freu ich mich ordentlichermaßen über diesen Hochmut und denke, es muß doch wohl auch was hinter mir sein, denn ohne Ursache dazu würd er nicht drauf kommen; was glaubt er wohl, das mich so hochmütig macht? – Ha ha ha! – das heißt: ich lach! – über was? – daß der Savigny nichts weiß von meiner zärtlichen Neigung für den Jud – und wie ich alle vornehme Leut nicht leiden kann, weil sie mir zu gemein sind und weil kein Mensch im Haus weiß, warum ich als übermütig bin, und das ist heut einmal wieder, weil ich ein besonders angenehm Abenteuer hatte; ich war im Garten, der am Berg liegt, und guckte über die Mauer und sah den Ephraim den Weg heraufkommen. Ich lehnt mich über die Mauer und ließ mein Sacktuch im Wind fliegen, daß er mich sehn sollt; und wie er herankam, sprach ich mit ihm ein ganz Weilchen, aber nicht, wie gewöhnlich die Menschen sprechen. Ich sagte ihm, daß es mir Freude mache, ihn wiederzusehen, und auch darum, weil mir sein Wesen einen Naturmoment vergegenwärtige, mit dem sich mein Gesicht und mein Gemüt näher verwandt fühle als mit jedem andern; ich sagt ihm, das sei die Dämmerung am Abend; so komme mir sein Blick und sein ganz Wesen vor – wie Dämmerung, die über einer erhabnen Natur ausgebreitet sei; in solcher Stunde ist mein Gesicht schärfer und mein Gefühl sehr zum Vertrauen geneigt. – Du kannst wohl denken, daß es der Mühe wert ist, mit ihm zu reden, denn sonst wär ich darauf nicht gekommen, ihm so was zu sagen. Er sagt : »Die sichtbare Welt ist trüb, aber mit hellem Blick braucht einer nicht lang zu forschen; in wenig Zügen erkennt er, was ihm verwandt ist.« Ich sagte: »Aber wie erlangt man einen so hellen Blick?« – »Man muß allein die Natur anschauen und kein Vorurteil zulassen, das gibt einen hellen Blick.« – Ich frag: »Traut Ihr mir das zu, daß ich die Natur mit hellem Blick anschau und ohne Vorurteil?« – »Ja«, sagt er, »und ich weiß, daß ich nicht irre, – und daß Sie scharfsichtig sind.« – »So hab ich also recht, wenn ich in Euch einen begeisterten Mann erkenne?« – »Zum wenigsten sind Sie dem Wahren näher als andre, die den Juden für einen gedrückten Mann halten; innerlich quillt die Freiheit, und ein Tropfen ist genug, über alle Verachtung uns zu heben.« – Ich hörte Leute den einsamen Weg heraufkommen und brach ab, weil mir das Geheimnis schon zu lieb war mit ihm. Ich sagte: »Leb wohl, Jude, denk an unser Gespräch, und wenn du von deiner Reise heimkehrst, komm zu mir.« Wer mag nun schärfer sehen, der Savigny meinen Hochmut oder der Jud meinen vorurteilsfreien, zutraulichen Blick? – Ich geb aber dem Savigny nicht unrecht, denn was ist doch die überglückliche, übermütige Lust, daß ich ihn mit dem Jud anführ, als nur Hochmut? – Es haben mir's auch schon mehr Leut gesagt; noch wie ich Abschied nahm, sagte der Moritz, ich sei hochmütig, weil ich behauptete, ich gehe von Frankfurt, daß er seine fünf Bände lange ›Delphine‹ abends vorlesen könne; wenn er damit fertig sei, wolle ich wiederkommen. Da schrie das ganze Teegewimmel auf mich ein, ich sei das hoffärtigste Ding von der Welt, für alles scheine ich mir zu gut, von nichts meint ich noch, was lernen zu können, die ›Delphine‹, von der ersten Schriftstellerin Europas geschrieben, die ennuyiere mich; wenn irgend jemand was Gescheutes vorbrächt, so lege ich mich an den Boden und strample eine Weile mit den Füßen oder schlafe ein, aber jeder dumme Spaß mache mir Vergnügen. – Ich sag: »Ist das Hoffart? das scheint mir eher Unverstand zu sein, daß ich Euch in Eurem Genuß nicht nach kann.« – »Ja, Hoffart ist eben Unverstand.« – Siehst Du! – es ist die allgemeine Ansicht. – Sie haben am End den Savigny mit angesteckt. – Nächstens schreib ich Dir von allem genauer, von der ganzen Gegend, von den Leuten, von unserer Wohnung. Meline wohnt mit mir ganz hoch oben am Berg, Savignys unten, alles ist hier terrassenförmig. – Adieu, ich muß der Meline helfen einen Diwan für uns zurechtpolstern.

Bettine


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