Bettine von Arnim
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
Bettine von Arnim

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Am 3. Februar.

In den wenig Wochen, die ich in Landshut zubrachte, hab' ich trotz Schnee und Eis nah' und ferne Berge bestiegen, da lag mir das ganze Land im blendendsten Gewand vor Augen; alle Farben vom Winter getötet und vom Schnee begraben, nur mir rötete die Kälte die Wangen; – wie ein einsames Feuer in der Wüste, so brennt der einzige Blick, der beleuchtet und erkennt, während die ganze Welt schläft. Ich hatte so kurz vorher den Sommer verlassen, so reich beladen mit Frucht. – Wo war's doch, wo ich den letzten Berg am Rhein bestieg? – In Godesberg; warst Du da auch oft? – Es war bald Abend, da wir oben waren; Du wirst Dich noch erinnern, es steht oben ein einziger hoher Turm, und rund auf der Fläche stehen noch die alten Mauern. Die Sonne in großer Pracht senkte einen glühenden Purpur über die Stadt der Heiligen; der Kölner Dom, an dessen dornigen Zierraten die Nebel wie eine vorüberstreifende Schafherde ihre Flocken hängen ließen, in denen Schein und Widerschein so fein spielten, da sah ich ihn zum letztenmal; alles war zerflossen in dem ungeheuren Brand, und der kühle ruhige Rhein, den man viele Stunden weit sieht, und die Siebenberge hoch über den Ufergegenden.

Im Sommer, in dem leidenschaftlichen Leben und Weben aller Farben, wo die Natur die Sinne als den rührendsten Zauber ihrer Schönheit festhält; wo der Mensch durch das Mitempfinden selbst schön wird; da ist er sich selbst auch oft wie ein Traum, der vor dem Begriff wie Duft verfliegt. – Das Lebensfeuer in ihm verzehrt alles; den Gedanken im Gedanken, und bildet sich wieder in allem. Was das Aug' erreichen kann, gewinnt er nur, um sich wieder ganz dafür hinzugeben; und so fühlt man sich frei und keck in den höchsten Felsspitzen, in dem kühnsten Wassersturz, ja mit dem Vogel in der Luft, mit dem man in die Ferne zieht und höher mit ihm steigt, um früher den Ort der Sehnsucht zu erblicken. Im Winter ist's anders, da ruhen die Sinne mit der Natur, nur die Gedanken graben, wie die Arbeiter im Bergwerk, heimlich in der Seele fort. – Darauf hoffe und baue auch ich, lieber Goethe, jetzt, wo ich empfinde, wie öde und mangelhaft es in mir ist: daß die Zeit kommen werde, wo ich Dir mehr sagen und Dich mehr fragen kann. Einmal wird mir doch einleuchten, was ich zu wissen fordere. Das deucht mir der einzige Umgang mit Gott, nämlich die Frage um das Überirdische; und das scheint mir die einzige Größe des Menschen, diese Antwort zu empfinden, zu genießen. Gewiß ist die Liebe auch eine Frage an Gott, und der Genuß in ihr ist eine Antwort von dem liebenden Gott selbst.

*

4. Februar.

Hier im Schloß, welches man die Residenz heißt und siebzehn Höfe hat, ist in einem der Nebengebäude ein kleiner einsamer Hof, in der Mitte desselben steht ein Springbrunnen: Perseus, der die Medusa enthauptet, in Erz von einem Rasenplatz umgeben; ein Gang von Granitsäulen führt dahin; Meerweibchen, von Ton und Muscheln gemacht, halten große Becken, in die sie ehemals spien, Mohrenköpfe schauen aus der Mauer, die Decke und Seiten sind mit Gemälden geziert, die freilich schon zum Teil heruntergefallen sind, unter andern Apoll, der auf seinem Sonnenwagen sich über die Wolken bäumt und seine Schwester Luna im Herunterfahren begrüßt; der Ort ist sehr einsamlich, selten daß ein Hofbedienter quer durchläuft, die Spatzen hört man schreien, und den kleinen Eidechsen und Wassermäuschen seh' ich da oft zu, die im verfallnen Springbrunnen kampieren, es ist dicht hinter der Hofkapelle; manchmal höre ich am Sonntag da auch das hohe Amt oder die Vesper mit großem Orchester; Du mußt doch auch wissen, wo Dein Kind ist, wenn's recht treu und fleißig an Dich denkt. Adieu, leb' recht wohl, ich glaub' gewiß, daß ich dieses Jahr zu Dir komme und vielleicht bald, denk' an mich, wenn Du Zeit hast, so schreib mir, nur daß ich Dich so fort lieben darf, mehrere von meinen Briefen müssen verlorengegangen sein, denn ich hab' vom Rhein aus noch mehrmals an Dich geschrieben.

Die Frau bitte ich herzlich zu grüßen, ich weiß nicht, ob eine kleine Schachtel, die ich ihr unter Deiner Adresse schickte, verlorengegangen ist.

München, 5. Februar. Bettine.

 

Meine Adresse ist Landshut bei Savigny.

*

Verehrte Freundin! Empfangen Sie meinen Dank für die schönen Geschenke, welche ich von Ihnen erhalten habe, es hat mich außerordentlich gefreut, weil ich daraus ersah, daß Sie mir Ihr Wohlwollen fortdauernd erhalten, um das ich noch nicht Gelegenheit hatte, mich verdient zu machen.

Ich war nun acht Wochen in Frankfurt, die Ihrigen alle haben mir viel Gutes erzeugt, ich weiß wohl, daß ich dies alles der großen Liebe und Achtung, die man hier für die verstorbene Mutter hegte, zu danken habe; doch hab' ich Ihre Gegenwart sehr vermißt, Sie haben die Mutter sehr geliebt, und ich hatte auch verschiedene Aufträge vom Geheimen Rat an Sie, von denen er glaubte, daß Sie dieselben gerne übernehmen würden; ich habe nun alles so gut wie möglich selbst besorgt in diesen traurigen Tagen. Alles, was ich von Ihrer Hand unter den Papieren der Mutter fand, hab' ich gewissenhaft an die Ihrigen abgegeben; ich fand es sehr wohlgeordnet mit gelben Band zugebunden und von der Mutter an Sie überschrieben.

Sie machen uns Hoffnung auf einen baldigen Besuch, der Geheime Rat und ich sehen diesen schönen Tagen mit Freuden entgegen, nur wünschen wir, daß es bald geschehe, da der Geheime Rat wahrscheinlich in der Mitte des Monat Mai wieder nach Karlsbad gehen wird.

Er befindet sich diesen Winter außerordentlich wohl, welches er doch den heilsamen Quellen zu danken hat. Bei meiner Zurückkunft kam er mir ordentlich jünger vor, und gestern, weil große Cour an unserm Hof war, sah ich ihn zum erstenmal mit seinen Orden und Bändern geschmückt, er sah ganz herrlich und stattlich aus, ich konnte ihn gar nicht genug bewundern, mein erster Wunsch war, wenn ihn doch die gute Mutter noch so gesehen hätte; er lachte über meine große Freude, wir sprachen viel von Ihnen, er trug mir auf, auch in seinem Namen zu danken für alles Gütige und Freundliche, was Sie mir erzeugen, er hat sich vorgenommen selbst zu schreiben und meine schlechte Feder zu entschuldigen, mit der ich nicht nach Wunsch ausdrücken kann, wie wert mir Ihr Andenken ist, dem ich mich herzlich empfehle.

Weimar, am 1. Februar 1809. C. v. Goethe.


An Bettine.

Du bist sehr liebenswürdig, gute Bettine, daß Du dem schweigenden Freunde immer einmal wieder ein lebendiges Wort zusprichst, ihm von Deinen Zuständen und von den Lokalitäten, in denen Du umherwandelst, einige Nachricht gibst; ich vernehme sehr gern, wie Dir zumute ist, und meine Einbildungskraft folgt Dir mit Vergnügen sowohl auf die Bergeshöhen als in die engen Schloß- und Klosterhöfe. Gedenke meiner auch bei den Eidechsen und Salamandern.

Eine Danksagung meiner Frau wird bei Dir schon eingelaufen sein, Deine unerwartete Sendung hat unglaubliche Freude gemacht, alles ist einzeln bewundert und hochgeschätzt worden. Nun muß ich Dir auch schnell für die mehreren Briefe danken, die Du mir geschrieben hast, und die mich in meiner Karlsbader Einsamkeit angenehm überraschten, unterhielten und teilweise wiederholt beschäftigten, so waren mir besonders Deine Explosionen über Musik interessant, so nenne ich diese gesteigerten Anschauungen Deines Köpfchens, die zugleich den Vorzug haben, auch den Reiz dafür zu steigern.

Damals schickte ich ein Blättchen an Dich meiner Mutter, ich weiß nicht, ob Du es erhalten hast. Diese Gute ist nun von uns gegangen, und ich begreife wohl, wie Frankfurt Dir dadurch verödet ist. – Alles, was Du mitteilen willst über Herz und Sinn der Mutter und über die Liebe, mit der Du es aufzunehmen verstehst, ist mir erfreulich. Es ist das Seltenste und daher wohl auch das Köstlichste zu nennen, wenn eine so gegenseitige Auffassung und Hingebung immer die rechte Wirkung tut; immer etwas bildet, was dem nächsten Schritt im Leben zugut kommt, wie denn durch eine glückliche Übereinstimmung des Augenblicks gewiß am lebendigsten auf die Zukunft gewirkt ist, und so glaub' ich Dir gern, wenn Du mir sagst, welche reiche Lebensquelle Dir in diesem Deinen Eigenheiten sich so willig hingebenden Leben versiegt ist; auch mir war sie dies, in ihrem Überleben aller anderen Zeugen meiner Jugendjahre bewies sie, daß ihre Natur keiner andern Richtung bedurfte als zu pflegen und zu lieben, was Geschick und Neigung ihr anvertraut hatten; ich habe in der Zeit nach ihrem Tode viele ihrer Briefe durchlesen und bewundert, wie ihr Geist bis zur spätesten Epoche sein Gepräge nicht verloren. Ihr letzter Brief war ganz erfüllt von dem Guten, was sich zwischen Euch gefunden, und daß ihre späten Jahre, wie sie selbst schreibt, von Deiner Jugend so grün umwachsen seien; auch in diesem Sinn also wie in allem andern, was Dein lebendiges Herz mir schon gewährt hat, bin ich Dir Dank schuldig.

Wilhelm Humboldt hat uns viel von Dir erzählt. Viel, das heißt oft. Er fing immer wieder von Deiner kleinen Person zu reden an, ohne daß er so was recht Eigentliches zu sagen gehabt, woraus wir denn auf ein eignes Interesse schließen konnten. Neulich war ein schlanker Architekt von Kassel hier, auf den Du auch magst Eindruck gemacht haben.

Dergleichen Sünden magst Du denn mancherlei auf Dir haben, deswegen Du verurteilt bist, Gichtbrüchige und Lahme zu warten und zu pflegen.

Ich hoffe jedoch, das soll nur eine vorübergehende Büßung werden, damit Du Dich des Lebens desto besser und lebhafter mit den Gesunden freuen mögest.

Bring' nun mit Deiner reichen Liebe alles wieder ins Geleis einer mir so lieb gewordenen Gewohnheit, lasse die Zeit nicht wieder in solchen Lücken verstreichen, lasse von Dir vernehmen, es tut immer seine gute und freundliche Wirkung, wenn auch der Gegenhall nicht bis zu Dir hinüberdringt; so verzichte ich doch nicht darauf, Dir Beweise ihres Eindruckes zu liefern, an denen Du selbst ermessen magst, ob die Wirkung auf meine Einbildungskraft den Zaubermitteln der Deinigen entspricht. Meine Frau, hör' ich, hat Dich eingeladen, das tue ich nicht, und wir haben wohl beide recht. Lebe wohl, grüße freundlich die Freundlichen und bleib mir Bettine.

Weimar, den 22. Februar 1809. G.


An Goethe.

Wenn Deine Einbildungskraft geschmeidig genug ist, mich in alle Schlupfwinkel von verfallenem Gemäuer, über Berg und Klüfte zu begleiten, so will ich's auch noch wagen, Dich bei mir einzuführen; ich bitte also: komm, – nur immer höher, – drei Steigen hoch – hier in mein Zimmer, setz' Dich auf den blauen Sessel am grünen Tisch, mir gegenüber; – ich will Dich nur ansehen, und – Goethe! – folgt mir Deine Einbildungskraft immer noch? – Dann mußt Du die unwandelbarste Liebe in meinen Augen erkennen, mußt jetzt liebreich mich in Deine Arme ziehen; sagen: »So ein treues Kind ist mir beschert, zum Lohn, zum Ersatz für manches. Es ist mir wert dies Kind, ein Schatz ist mir's, ein Kleinod, das ich nicht verlieren will.« – Siehst Du? – Und mußt' mich küssen; denn das ist, was meine Einbildungskraft der Deinigen beschert.

Ich führ' Dich noch weiter; – tritt sachte auf in meines Herzens Kammer; – hier sind wir in der Vorhalle; – große Stille! – Kein Humboldt, – kein Architekt, – kein Hund, der bellt. – Du bist nicht fremd; geh hin, poch' an – es wird allein sein und »herein!« – Dir rufen. Du wirst's auf kühlem, stillem Lager finden, ein freundlich Licht wird Dir entgegenleuchten, alles wird in Ruh' und Ordnung sein, und Du willkommen. – Was ist das? – Himmel! – Die Flammen über ihm zusammenschlagend! – Woher die Feuersbrunst? – Wer rettet hier? – Armes Herz! – Armes, notgedrungenes Herz. – Was kann der Verstand hier? – Der weiß alles besser und kann doch nichts helfen, der läßt die Arme sinken.

Kalt und unbedeutend geht das Leben entweder so fort, das nennt man einen gesunden Zustand; oder wenn es wagt auch nur den einzigen Schritt tiefer ins Gefühl, dann greifen Leidenschaften brennend mit Gewalt es an, so verzehrt sich's in sich selber. – Die Augen muß ich zumachen und darf nichts ansehen, was mir lieb ist. Ach! Die kleinste Erinnerung macht mich ergrimmen in sehnendem Zorn, und drum darf ich auch nicht immer in Gedanken Dir nachgehen, weil ich zornig werde und wild. – Wenn ich die Hände ausstrecke, so ist's doch nur nach den leeren Wänden, wenn ich spreche, so ist's doch nur in den Wind, und wenn ich endlich Dir schreibe, so empört sich mein eigen Herz, daß ich nicht die leichte Brücke von dreimal Tag und Nacht überfliege und mich in süßester, der Liebe ewig ersehnter Ruhe zu Deinen Füßen lege.

Sag', wie bist Du so mild, so reichlich gütig in Deinem lieben Brief; mitten in dem hartgefrornen Winter sonnige Tage, die mir das Blut warm machen; – was will ich mehr? – Ach, so lang ich nicht bei Dir bin, kein Segen.

Ach, ich möchte, sooft ich Dir wieder schreibe, auch wieder Dir sagen: wie und warum und alles; ich möchte Dich hier auf den einzigen Weg leiten, den ich einzig will, damit es einzig sei und ich nur einzig sei, die so Dich liebt und so von Dir erkannt wird.

Ob Liebe die größte Leidenschaft sei und ob zu überwinden, versteh' ich nicht, bei mir ist sie Willen, mächtiger, unüberwindlicher.

Der Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Willen ist nur, daß jener nicht nachgibt und ewig dasselbe will; unser Wille über jeden Augenblick fragt: »Darf oder soll ich?« – Der Unterschied ist, daß der göttliche Wille alles verewigt und der menschliche am irdischen scheitert; das ist aber das große Geheimnis, daß die Liebe himmlischer Wille ist, Allmacht, der nichts versagt ist.

Ach, Menschenwitz hat keinen Klang, aber himmlischer Witz, der ist Musik, lustige Energie, dem ist das Irdische zum Spott; er ist das glänzende Gefieder, mit dem die Seele sich aufschwingt, hoch über die Ansiedelungen irdischer Vorurteile, von da oben herab ist ihr alles Geschick gleich. Wir sagen, das Schicksal walte über uns? Wir sind unser eigen Schicksal, wir zerreißen die Fäden, die uns dem Glück verbinden, und knüpfen jene an, die uns unselige Last aufs Herz legen; eine innere geistige Gestalt will sich durch die äußere weltliche bilden, dieser innere Geist regiert selbst sein eigen Schicksal, wie es zu seiner höheren Organisation erforderlich ist.

Du mußt mir's nicht verargen, wenn ich's nicht deutlicher machen kann, Du weißt alles und verstehst mich und weißt, daß ich recht habe, und freust Dich drüber.

Gute Nacht! – Bis morgen gute Nacht, – alles ist still, schläft ein jeder im Haus, hängt träumend dem nach, was er wachend begehrt, ich aber bin allein wach mit Dir. Draußen auf der Straße kein Laut mehr ich möchte wohl versichert sein, daß in diesem Augenblick keine Seele mehr an Dich denkt, kein Herz einen Schlag mehr für Dich tut und ich allein auf der weiten Welt sitze zu Deinen Füßen, das Herz in vollen Schlägen geht auf und ab; und während alles schläft, bin ich wach, Dein Knie an meine Brust zu drücken, – und Du? – Die Welt braucht's nicht zu wissen, daß Du mir gut bist.

Bettine.


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