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Grillparzer an Katharina Fröhlich

Koburg, 5. Oktober 1826.

Liebes Kind! Aus dem Datum meines Briefes wirst Du ersehen haben, daß ich mich zwar bereits auf der Rückreise, aber noch immer so weit von Wien entfernt befinde, daß der anfangs für meine Heimkehr bestimmte Termin sich gewaltig in die Länge gezogen finden wird. Ich gehe morgen mit Tagesanbruch nach Nürnberg ab, wo ich Sonnabend einzutreffen gedenke, auch will ich meine Reise nach München möglichst beschleunigen, vor vierzehn Tagen kann ich jedoch auf keinen Fall bei euch sein.

Den gestrigen Tag, meinen Namenstag, habe ich teils mit Extrapost, teils auf dem offenen Wagen der ordinären Briefpost, die Nacht endlich in der höllischsten Stelle des Thüringer Waldes zwischen Rudolstadt und Koburg zurückgelegt. So zerschüttelt ist wohl, seit die Welt steht, noch niemand geworden, dazu stockdunkle Nacht und Regen in Strömen. Denke Dir mich in dem ungeheuersten Diligencewagen als einziger Passagier, sechs Pferde vorgespannt, die auf dem elenden Wege doch nur Schritt vor Schritt gehen können. Des Morgens habe ich mir von Dir zum Namenstage Glück wünschen lassen und die Strecke von Kahle bis Rudolstadt in Deiner Gesellschaft recht angenehm zurückgelegt.

Die Hauptursache meiner verspäteten Rückkunft ist eigentlich so übel nicht. Ich habe nämlich auf meiner ganzen Reise so unendlich viel Liebe und Freundschaft gefunden, daß ich mich überall länger aufhalten mußte, als ich wollte, und überhaupt die angenehmsten Erinnerungen mit zurücknehme. Vor allem war dies der Fall in Weimar. Der alte Goethe war von einer Liebenswürdigkeit, wie seine Umgebungen seit Jahren sich nicht erinnern, ihn gesehen zu haben. Ich speiste bei ihm und mußte eine zweite Einladung leider darum ablehnen, weil ich bereits versagt war. Er hat einen Maler bei sich, der ihm die Menschen, die ihn vorzüglich interessieren, zeichnen muß; mir widerfuhr eine gleiche Ehre. Leider habe ich ihn zum Danke für all die Güte tüchtig ennuyiert, denn mich befiel jedesmal eine solche Rührung, wenn ich ihn sah, daß ich beinahe meiner nicht Herr war und alle Mühe hatte, nicht in Tränen auszubrechen. Einmal geschah es auch trotz alles Widerstrebens, als mich der alte Mann an der Hand faßte, ins Eßzimmer führte und mit einem herzlichen Drucke an seine Seite hinsetzte. Die Wirkung, die er auf mich hervorbrachte, war halb wie ein Vater und halb wie ein König.

Auch sonst war man in Weimar wie toll mit mir. Keinen Augenblick allein, immer von den Namhaftesten der Stadt umgeben, der Großherzog ließ mich rufen, ich war anderthalb Stunden bei ihm. Am Tage meiner Abreise gaben sie mir noch einen Abschiedsschmaus im Schießhause, wo Goethes Sohn, unser Hummel, kurz die halbe Stadt zugegen war. Nach Tische begleiteten sie mich mit Musik und Lebewohlrufen bis zum Wagen. Hummel und seine Frau waren ganz glücklich über mich.

Von Briefen gewisser Leute habe ich nur einen einzigen erhalten; ich hoffe, es sind einige verloren gegangen. Ich selbst schreibe immer noch schwer mit meinem verwundeten Finger, der übrigens doch schon mehr als zur Hälfte heil ist. Ich muß daher auch abbrechen. Adieu!

Grillparzer.

N. S. Zeigt diesen Brief höchstens ganz vertrauten Freunden, ich wünschte nicht, daß Dinge, die ich schrieb, damit ihr sie wißt und euch freut, aus Eitelkeit und Ruhmredigkeit geschrieben schienen.

Wien, am 19. Dezember 1830.

Liebe Kathi! Ich habe Ihren Brief mit vielem Vergnügen erhalten. Es geht aus demselben zwar eigentlich nicht viel Zufriedenheit hervor; aber wer ist denn auch zufrieden? Wenn man das Atemholen und das Dasein und das Nichtschmerzempfinden nicht für wirkliche, positive Güter gelten lassen will (was sie denn freilich aber wohl sind), so kommt bei dem ganzen Leben nicht viel Tröstliches heraus. Sie sind nicht gern in Mailand, ich wäre gern dort. Könnten wir tauschen, wäre uns beiden geholfen. Schon Italienisch reden zu hören und mich in einer fremden Sprache ausdrücken zu müssen, wäre für mich ein Genuß. Das Suchen der Phrasen würde mich zerstreuen, indes beim Deutschschreiben der Mangel des Interesses am Gespräch durch gar nichts verkleistert wird.

Mein Leben ist gegenwärtig noch einförmiger, als es sonst war, das Wetter ist zu schlecht zum Spazierengehen, die Menschen ennuyieren mich, und das Theater widert mich an. Von Arbeit bin ich bekanntlich kein großer Freund, und überdies fehlt mir noch derzeit Lust und Geschick dazu. Es bleibt daher nichts übrig als die Lektüre, der ich mich, trotz des Einspruchs meiner täglich schlechter werdenden Augen, Abend für Abend treufleißig ergebe, von leichten Schlafanfällen je und dann unterbrochen. Manchmal kommt mir eine solche Existenz ganz und gar unerträglich vor, aber ich gehöre unter diejenigen, die, wie ich oben sagte, das Atemholen und Dasein und Nichtschmerzempfinden für wirkliche Güter halten, und so fügt sich's denn zuletzt. Das Nichtschmerzempfinden hat zwar bei meinen letztlich häufigen Zahnschmerzen seine guten Wege, aber ich bin ihrer doch zum Teile Herr geworden. Ich habe mit diesen meinen Zähnen, die mich anfangs ganz wütend machten, jetzt ein völlig häusliches Verhältnis, wie eine Mutter allenfalls gegenüber von ihren Kindern. Ich pflege sie und warte sie und hätschle sie, und wenn ich sie endlich zum Schlafen gebracht habe, bin ich sie [!] in mich hinein vergnügt. Auch habe ich mich aus meinem früheren Schlafzimmer, wo mir der Zugwind durch alle Glieder ging, in mein inneres Zimmer gebettet, das doch wenigstens luftdicht ist; da überfällt mich dann abends manchmal ein solches Gefühl von Seligkeit, daß ich doch die Nacht ungestört werde schlafen können. – Weiß Gott! Jeder Mensch kann glücklich sein, wenn er nur will! Ich aber weniger als die meisten anderen, da ein unabweisbares Gefühl mir sagt, ich sei nicht da, um es gut zu haben, sondern tätig zu sein. Dies Gefühl jagt mich immer wieder auf und läßt mich mir selbst und jedem zweiten weniger sein, als wohl sonst der Fall sein würde.

Da sind nun zwei Seiten vollgeschrieben und lediglich von mir; aber ich bin eitel genug, zu glauben, daß Sie das am meisten interessieren wird.

Neuigkeiten gibt es nicht. Adieu!

Grillparzer

Wien, am 25. November 1847.

Hochschätzbares, verehrtes, beinahe vergöttertes Fräulein! Einer Ihrer zahllosen, höchst geheimen Verehrer findet am heutigen Jahrestage des Dienstbotennamens Katharina Gelegenheit, seine Gefühle durch äußerliche Zeichen auszudrücken. Er wußte lange nicht, wie er das ins Werk setzen sollte. Ihnen ein Kleid zu kaufen ging nicht an, da er weiß, daß Sie Kleiderstoffe so lange im Kasten liegen lassen, bis durch den Wechsel der Mode Zeug und Dessin lächerlich geworden sind, oder sie, bereits gemacht, Ihrer schmutzigen Schwester Pepi schenken, welche er ihrer bösen Eigenschaften wegen verabscheut, und welcher er überdies an ihrem noch weit entfernten Namenstage auch ein Geschenk zu machen sich vornimmt. Es verlautet, daß Sie einen Schreibtisch wünschen, was übrigens kaum zu glauben ist, da Sie die Schreibkunst so wenig ausüben, daß Sie nach vierzehn Tagen in Ihren Einkaufsrechnungen selbst nicht mehr lesen können, was Sie vierzehn Tage vorher geschrieben. Einen »Tand« von Gold oder Silber hielt er Ihren erhabenen Gesinnungen durchaus für unwürdig. Er beschloß daher, Ihnen beiliegendes windischgräzische Los zu verehren. Wenden Sie nicht ein, daß dieses einen bestimmten Geldbetrag ausdrücke. Umsonst bekommt man gar nichts, und alles, was man schenkt, drückt daher einen Geldwert aus. Die Ursache, warum er aber gerade ein Lotterielos wählte, ist folgende:

Sie haben unter Ihren Schwestern eine Zauberin, welche die Zukunft aus den Patiencekarten voraussagt. Sie weiß jedesmal, wer die achtzigtausend Gulden gewinnt. Wenn Sie daher ihre Kunst zu Hilfe nehmen, so kann Ihnen das große Los nicht entgehen, und die ganze Welt wird dadurch glücklich. Sie selbst können Ihre Neigung zur Wohltätigkeit und zum Schnupftabak auf die schrankenloseste Art befriedigen. Ihr fauler Neffe braucht gar nichts mehr zu lernen. Ihre Schwestern sind nicht mehr genötigt, durch Holzstehlen und Wucher sich den Lebensunterhalt zu erwerben, und selbst der Schreiber dieser Zeilen hofft dadurch den Anspruch auf täglich drei große Äpfel zu begründen, die er sich pflichtschuldig jedesmal abholen wird.

Warum er übrigens ein windischgräzisches und nicht ein esterhazysches Los gewählt, hat zur Ursache, daß ersteres wohlfeiler ist und er, der überhaupt viele Ähnlichkeit mit Gott besitzt, ihm auch darin gleicht, daß er gerne große Wirkungen mit kleinen Mitteln hervorbringt.

Ergebenst, untertänigst
Ein Tabakschnupfer.

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