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X.

Fröhlichen und leichten Herzens ging die Rückreise von statten. Inbrünstig dankte die Großmutter dem lieben Gott: Peter werde sie überleben! Liebe Nachbarn hatte sie im Wagen: den Apotheker und seine Tochter. Sie sprachen von Peter, liebten Peter, als wenn sie mit ihm verwandt seien. Er würde ein großer Schauspieler werden, die Stimme sei nun auch wiedergekommen, es steckten Millionen in einer solchen Gurgel.

Welche Glückseligkeit für die Großmutter, solche Worte zu hören! Sie lebte sich in dieselben ein, glaubte an sie, und mit einemmal waren sie an der Station bei der Hauptstadt, wo Peter's Mutter sie empfing.

»Gott sei Lob und Dank für die Eisenbahn!« sagte sie, »und dafür, daß ich vergaß, daß ich auf ihr war! Das habe ich diesen herrlichen Menschen zu verdanken!« Und sie drückte dem Apotheker und seiner Tochter die Hände. »Die Eisenbahn ist eine herrliche Erfindung, wenn sie überstanden ist. Man ist in Gottes Hand!«

Und nun erzählte sie der Mutter von dem lieben guten Jungen, der außer aller Gefahr sei und bei wohlhabenden Leuten wohne, die drei Dienstmädchen und Hausknecht hatten. Peter sei dort wie ein Sohn im Hause und zusammen mit zwei Kindern aus vornehmer Familie; der eine sei gar ein Propstensohn. Großmutter habe erst im Gasthause gewohnt, was zum Entsetzen theuer gewesen; aber dann sei sie von Madame Gabriel eingeladen worden, bei ihr zu wohnen, und hier sei sie fünf Tage gewesen; das seien Menschen, wie Engel, namentlich Madame; die habe sie genöthigt, Punsch zu trinken, schönen Punsch, aber stark. In einem Monat werde Peter mit Gottes Hilfe gesund sein und dann käme er nach der Hauptstadt.

»Vornehm und verwöhnt ist er gewiß geworden!« sagte die Mutter. »Er wird sich nicht mehr hier oben in der Dachwohnung zurecht finden; ich bin froh, daß der Singemeister ihn zu sich eingeladen hat, – und doch,« und die Mutter weinte, »es ist schrecklich, daß man so arm sein soll, daß das eigene Kind es nicht gut genug in der elterlichen Wohnung bekommen kann!«

»Laß den Peter solche Worte nicht hören!« sagte die Großmutter, »du siehst nicht in ihn hinein, wie ich es thue.«

»Essen und Trinken muß er doch haben, wenn er auch noch so fein geworden ist, hungern soll er nicht, so lange ich meine Hände rühren kann. Madame Hof hat gesagt, daß er zweimal die Woche seinen Mittag bei ihr essen kann, jetzt, wo sie so gut gestellt ist. Sie weiß, was vornehm und gering und arm ist. Hat sie mir doch selbst erzählt, daß es ihr eines Abends in der Theaterloge, wo die alten Tänzerinnen sitzen und zusehen, übel wurde; den ganzen Tag über hatte sie weiter nichts als Wasser und eine Brezel genossen, sie war krank vor Hunger und wurde ohnmächtig. »Wasser! Wasser!« riefen die anderen alten Tänzerinnen. »»Butterbrod!«« bat sie; »»Butterbrod!«« Nährendes brauchte sie, aber Wasser hatte sie ganz und gar nicht nöthig. Jetzt hat sie ihre gute Speisekammer und einen gut besetzten Tisch.«

Dreißig Meilen weit saß Peter, aber er war glückselig bei dem Gedanken, daß er zurückkehre zur Hauptstadt, zum Theater, zu allen alten lieben Erinnerungen, die er jetzt recht zu schätzen verstand. Es sang und klang in ihm, es sang und klang außerhalb seines Ich; Alles war Sonnenschein, es war die fröhliche Zeit der Jugend, die Zeit der Erwartungen. Mit jedem Tage kräftigte er sich, wurde guter Laune und bekam Farbe. Aber Madame Gabriel wurde sehr gerührt, je näher die Abschiedsstunde heranrückte.

»Sie gehen zur Größe und vielen Versuchungen hinein, denn hübsch sind Sie, das sind Sie in unserem Hause geworden. Sie haben das Natürliche, gerade wie ich, und das steht Einem bei in den Versuchungen. Man darf nicht überzart sein oder sich haben! Ueberzart, wie diese Königin Dagmar, die Sonntags ihre seidenen Aermel schnürte und sich dann ein Gewissen über solche Kleinigkeit machte; dazu gehört Mehr! Ich würde nie so lamentirt haben, wie diese Lucretia! Warum erstach sie sich? Sie war unschuldig und honnet, das wußte sie und die ganze Stadt. Was konnte sie für das Malheur, von dem ich nicht sprechen will, aber welches Sie in Ihrem Alter schon begreifen! – Sie macht ein Geschrei und nimmt den Dolch zur Hand! Das war ganz und gar nicht nöthig! Ich hätte es nicht gethan, und Sie auch nicht, wir sind natürliche Menschen, und das muß man zu jeder Zeit sein, und das werden Sie fortfahren zu sein auf der Bahn der Kunst. Ich freue mich darauf, in der Zeitung von Ihnen zu lesen! Sie kommen auch schon einmal wieder nach unserem Städtchen, treten vielleicht als Romeo auf, aber dann bin ich nicht die Amme. Ich sitze im Parquet und ergötze mich!«

Madame stellte große Wäsche und Plätten in der Woche des Abschiedes an, damit Peter rein und nett nach Hause zurückkehren könne, wie er es zu ihnen gekommen sei. Sie zog ein neues langes Band an sein Bernsteinherz; dieses war das Einzigste, was sie sich als ein »Erinnerungs-Souvenir« wünschte, aber sie bekam es nicht.

Von Herrn Gabriel bekam Peter ein französisches Wörterbuch, welches er beim Unterricht benutzt hatte, und welches mit Randbemerkungen von der eigenen Hand des Herrn Gabriel versehen war. Madame gab ihm Rosen und Herzensgrün. Die Rosen würden welken, aber das Herzens- oder Immergrün halte sich den Winter über, wenn es nicht ins Wasser komme, sondern auf dem Trocknen bliebe, und sie schrieb ihm ein Citat von Goethe, als eine Art Stammbuchsblatt: »Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.« »Goethe war ein großer Mann,« sagte sie, »wenn er nur nicht den »Faust« geschrieben hätte, denn ich verstehe ihn nicht. Das sagt auch Gabriel!«

Der junge Madsen schenkte Peter eine nicht ganz üble Zeichnung, ein Portrait von Herrn Gabriel, an einem Galgen hängend, in der einen Hand eine Ruthe und mit Unterschrift: »Der erste Lehrer eines großen Schauspielers auf der Bahn der Wissenschaft.« Primus, der Propstensohn, schenkte ihm ein Paar neue Morgenschuhe, welche die Frau Propstin selbst gestickt hatte, die aber so groß waren, daß Primus sie in den ersten paar Jahren nicht hatte ausfüllen können. Auf den Sohlen stand mit Dinte geschrieben: »Erinnerung an einen trauernden Freund. Primus.«

Das ganze Haus Gabriel begleitete Peter nach dem Bahnzug. »Man soll nicht sagen, daß Sie ohne sans adieu abreisen!« sagte Madame und küßte ihn auf dem Bahnhof.

»Ich genire mich nicht!« sagte sie, »wenn man es nicht heimlich thut, kann man Alles thun!«

Die Signalpfeife schrillerte; Madsen und Primus riefen Hurrah, der »Kleinkinderkram« stimmte mit ein, Madame wischte sich die Augen und fächelte mit dem Taschentuche. Herr Gabriel sagte nur das eine Wort: » Vale!«

Dörfer und Städte flogen vorüber. Ob die Menschen in diesen wohl so fröhlich waren, wie Peter? Auch er warf diese Frage auf, pries sein Glück, dachte an den unsichtbaren Goldapfel, den die Großmutter in seiner Hand hatte liegen sehen, als er noch ein Kind war. Er dachte an seinen Glücksfund im Rinnsteine und dachte vor Allem an die wiedergekehrte Stimme und an die Kenntnisse, die er sich jetzt angeeignet hatte. Er war ein ganz anderer Mensch geworden. Es sang vor Freude in seinem Inneren; es war eine große Selbstbeherrschung, daß er es nicht in den Wagen hinaussang.

Nun zeigten sich die Thürme der Hauptstadt, die Häuser tauchten empor; der Zug erreichte den Bahnhof. Hier standen die Mutter, die Großmutter und noch Eine, Madame Hof, gut eingebunden, die Gattin des Hofbuchbinders Hof, geborene Frandsen; sie vergaß in Noth wie in Wohlstand ihre Freunde nicht. Sie küßte Peter grad' wie es die Mutter und Großmutter thaten.

»Hof konnte mich nicht begleiten!« sagte sie. »Er sitzt mit Gesammelte Werke zum Einbinden für die Handbibliothek der Majestät. Du hast Glück und ich habe es jetzt auch. Ich habe meinen Hof und meinen eigenen Ofenwinkel mit Schaukelstuhl erhalten. Zwei Mal wöchentlich speist du zu Mittag bei uns. Du sollst mein häusliches Leben sehen! Es ist ein ganzes Ballet!«

Die Mutter und Großmutter bekamen fast gar keine Gelegenheit, mit Peter zu sprechen, aber sie schauten ihn an und ihre Augen strahlten in Glückseligkeit. Endlich mußte er in eine Droschke, um nach seiner neuen Heimath, bei dem Singemeister zu fahren; sie lachten und sie weinten.

»Er ist doch ein lieber, prächtiger Mensch!« sagte die Großmutter.

»Er hat noch sein braves Gesicht, wie vor der Reise,« sagte die Mutter. »Das wird er sich bewahren, auch auf dem Theaterweg.«

Die Droschke hielt vor der Thür des Singemeisters. Der Herr war ausgegangen; sein alter Diener schloß auf und führte Peter nach dessen Zimmer, in welchem ringsum an der Wand Portraits von Componisten hingen und auf dem Ofen eine blendend weiße Gypsbüste stand.

Der Alte, ein wenig schwer von Begriffen, aber die Treue selbst, zeigte Peter die Kasten in der Commode, den Reck, an welchen er seine Kleider hängen könne, und versprach seine Bereitwilligkeit, die Stiefeln zu wichsen, und mittlerweile kam der Singemeister und drückte Peter herzlich die Hand zum Willkommen.

»Das ist das ganze Logis, du mußt vorlieb nehmen! Mein Klavier in der Stube kannst du benutzen. Morgen wollen wir hören, wie es mit der Stimme steht. – Das ist unser Castellan, unser Haushalter!« Und er nickte dem alten Diener zu. »Alles ist in Ordnung, Carl Maria von Weber auf dem Ofen ist wegen deiner Ankunft geweißt worden, er war ganz erschrecklich schwarz angeraucht. – Aber das ist ja nicht Weber, der da steht, das ist ja Mozart; wie ist der hierher gekommen?«

»Das ist der alte Weber!« sagte der Diener, »ich selbst trug ihn zum Gypser und habe ihn auch selbst heute Morgen wieder geholt«.

»Aber diese da ist eine Büste von Mozart und nicht von Weber!«

»Entschuldigen Sie, Herr!« sagte der Diener, »es ist der alte Weber, der rein geworden ist! Sie kennen ihn eben nicht wieder, weil er geweißt worden ist.«

Das werde ihm der Gypser bestätigen, – aber bei diesem erhielt er die Auskunft, daß Weber entzwei gegangen sei, und deshalb habe man ihm Mozart statt dessen gegeben, es sei ja gleichviel auf einem Ofen.

An dem ersten Tage sollte nicht gesungen, nicht gespielt werden; als aber unser junger Freund in den Saal hinüber kam, in welchem das Clavier stand und die Oper »Joseph« aufgeschlagen war, sang er: »Ich war Jüngling noch an Jahren«, sang mit glockenheller reiner Stimme. Sein Vortrag war so innig, so unschuldig und dabei so voll und kräftig, daß dem Singemeister die Augen dabei naß wurden.

»So soll es sein!« sagte er, »und noch besser soll es werden. Aber jetzt schließen wir das Clavier für heute, du bedarfst der Ruhe.«

»Ich muß heute Abend noch zu Mutter und Großmutter, das habe ich versprochen.« Und er eilte fort.

Die sinkende Sonne warf ihre Strahlen über das Haus seiner Kindheit; die Glasscherben in der Mauer blitzten, es war wie ein ganzes Diamantenschloß. Mutter und Großmutter saßen dort ganz oben in der Dachwohnung, viele Treppen hoch, aber er flog sie hinan, drei Stufen auf jeden Sprung, und er stand an der Thüre und wurde mit Küssen und Umarmungen empfangen.

Reinlich und nett war es hier in dem Stübchen; da stand der Ofen, der alte Bär, und die große Commode mit den verborgenen Schätzen aus der Steckenpferd-Zeit. An der Wand hingen die drei bekannten Bilder: des Königs und des lieben Gottes Portrait und »Vaters« Silhouette in schwarzem Papier ausgeschnitten. Es ähnele ihm ganz von der Seite, sagte die Mutter, aber es würde ähnlicher sein, wenn das Papier weiß und roth wäre, denn das war er. Ein prächtiger Mann! und Peter sei ihm wie aus den Augen geschnitten.

Es gab viel zu reden, viel zu erzählen. Die Mutter hatte Sülze zum Abendbrod und Madame Hof hatte versprochen, auch diesen Abend bei ihnen vorzusprechen.

»Aber wie sind doch die beiden alten Menschen, Hof und Fräulein Frandsen, darauf gefallen, sich zu heirathen?« fragte Peter.

»Mit dem Gedanken haben sie sich viele Jahre getragen!« sagte die Mutter. »Du weißt ja, daß Hof verheirathet war; er heirathete, sagte man, um die Frandsen zu ärgern, weil sie zur Zeit ihres Glanzes stolz gegen ihn that; er bekam Vermögen mit der Frau, aber sie war ein wenig sehr alt: munter und an Krücken! Sterben that sie nicht, und darauf wartete er doch; es würde mich nicht gewundert haben, wenn er, wie der Mann in der Geschichte, die Alte jeden Sonntag in den Sonnenschein getragen hätte, damit der liebe Gott sie sehe, und nicht vergesse sie hinweg zu rufen.«

»Die Frandsen saß ruhig und wartete,« sagte die Großmutter; »ich hätte nicht geglaubt, daß sie es erreichen würde. Aber voriges Jahr starb die alte Madame Hof, und so wurde die Frandsen Frau im Hause.«

In diesem Augenblick trat Madame Hof, geborne Frandsen, ein.

»Wir sprachen gerade von Ihnen,« sagte die Großmutter. »Wir sprachen von Ihrer Ausdauer und der Belohnung dafür.«

»Ja,« sagte Madame Hof, »es wurde nichts in der Jugendzeit, aber man ist immer jung genug, wenn man kein körperliches Leiden hat, sagt mein Hof. Er hat zu prächtige Einfälle. Wir sind alte gute Werke, sagt er, beide in einem Bande und mit Goldschnitt. Wie bin ich glücklich mit meinem Hof und meinem Ofenwinkel: Fließenofen! Es wird des Abends eingeheizt, und dann ist die Stube warm den ganzen nächsten Tag. Es ist eine Wollust! Es ist wie in dem Ballet »Die Insel Circe's«. Erinnern Sie sich meiner als Circe?«

»Ja, Sie waren wunderschön!« sagte die Großmutter. »Wie sich ein Mensch doch verändern kann!« – Das wurde nun gar nicht gesagt, um etwas Unangenehmes zu sagen, und wurde auch nicht so aufgefaßt. Darauf kam die Sülze und der Thee.

Am nächsten Vormittage machte Peter einen Besuch bei dem Handelsherrn. Madame empfing ihn, drückte ihm die Hand und bat ihn Platz neben ihr zu nehmen. Im Gespräch mit ihr sprach er seinen innigen Dank aus, er wisse, sagte er, daß ihr Gemahl sein heimlicher Wohlthäter sei. Sie wisse das nicht. »Aber das sieht meinem Manne ähnlich!« sagte sie; »allein das ist ja nicht der Rede werth!«

Der Handelsherr gerieth fast in Zorn, als Peter diese Angelegenheit berührte. »Sie sind ganz auf falscher Spur!« sagte er, brach das Gespräch ab und verließ das Zimmer.

Felix war jetzt Student und wollte den diplomatischen Weg gehen.

»Mein Mann nennt das eine Thorheit,« sagte Madame, »ich habe darin keine Meinung. Die Vorsehung wird lenken!«

Felix zeigte sich nicht, er hatte Stunde bei seinem Fechtmeister.

Zu Hause beim Singemeister erzählte Peter, daß er sich bei dem Handelsherrn bedankt, daß dieser aber den Dank zurückgewiesen habe.

»Wer hat dir gesagt, daß er ist, was du deinen Wohlthäter nennst?« fragte der Singemeister.

»Das hat die Mutter und Großmutter!« antwortete Peter.

»Nun, dann muß er es wohl sein!«

»Sie wissen darum!« sagte Peter.

»Ich weiß darum, ja; aber von mir bekommst du keine Auskunft; und von nun an singen wir hier zu Hause eine Stunde jeden Morgen.«


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