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XXI.

Erst gegen Abend trafen Jordan und sein Sekretär in Toronto ein. Jordan wollte sich sofort auf die Suche nach Halja begeben, aber mit einiger Mühe gelang es Meyring, ihn zu überreden, sich erst mal eine Nacht lang auszuruhen. Endlich begnügte sich Jordan mit einem Anruf bei der hiesigen Zweigstelle der Burns Detektei. Es wurde ihm mitgeteilt, daß man Haljas Aufenthalt zwar noch nicht ermittelt habe, daß aber alle verfügbaren Kräfte der Agentur damit beschäftigt seien, nach ihr zu forschen.

Nach diesem Gespräch war Jordan wieder mutiger und fuhr mit seinem Sekretär in eins der besten Hotels, wo er für sie beide das Abendessen aufs Zimmer bestellen ließ.

Es war ein ruhiges, behagliches Zimmer, in dem sie ihr Mahl einnahmen. Jordan hatte drei Zimmer genommen – eins für sich, eins für Meyring und das dritte – in dem sie sich eben befanden – zum gemeinsamen Aufenthalt.

»Sagen Sie bitte, Mr. Jordan«, meinte Meyring beiläufig, nachdem er seinen ersten Hunger gestillt hatte. »Wie lange, glauben Sie wohl, werden Ihre fünfhundert Dollar reichen, wenn wir solche Räume bewohnen?«

Jordan lachte.

»Sie haben recht: das ist nicht mehr standesgemäß«, sagte er. »Morgen suchen wir uns etwas Billigeres.«

»Ich bin ein Mensch mit Idealen«, erwiderte Meyring seufzend. »Aber ich habe noch nie etwas gegen Reichtum gehabt. Reichtum ist eine gute Sache, eine erstrebenswerte Sache. Warum sollte ein Mensch nicht danach streben, reich und unabhängig zu werden? Sind Sie eigentlich immer reich gewesen, Mr. Jordan?«

»O nein«, versetzte Jordan. »Ich war einmal sehr arm. Als mein Vater starb, hinterließ er mir nur zwanzigtausend Dollar. Damit habe ich angefangen.«

»Entschuldigen Sie: Und das nannten Sie ›sehr arm‹?«

»Ja, im Vergleich mit meinem heutigen Reichtum ...«

»Entschuldigen Sie, aber Sie waren nie arm«, sagte Meyring entschieden. »Sie haben also gar keine Ahnung, was das bedeutet. Der Unterschied zwischen einem Millionär und einem sehr armen Mann mit zwanzigtausend Dollar ist verschwindend gering, verglichen mit dem Unterschied zwischen dem Zwanzigtausenddollar-Menschen und einem, der gar nichts besitzt. Da Sie gar keinen Begriff davon haben, was Armut heißt, ist es besonders töricht, wenn Sie sich von heute auf morgen – freiwillig! – an die Armut gewöhnen wollen.«

»Ich will mich ja gar nicht an die Armut gewöhnen. Ich will Mrs. Hornung nur beweisen, daß mir nichts am Reichtum liegt.«

Der. Sekretär zuckte die Achseln.

»Das ist die Strafe dafür, daß Sie nie für Frauen Zeit hatten«, bemerkte er weise. »Hätten Sie sich dafür Zeit genommen, nie im Leben würden Sie einer einzelnen Vertreterin dieses Geschlechtes eine solche Wichtigkeit beimessen. Sie glauben jetzt, die Welt geht unter, wenn Sie nicht alles tun, was Mrs. Hornung wünscht. Aber die Welt geht nicht unter, und Mrs. Hornung wird froh und dankbar sein, wenn Sie auch nur den zehnten Teil ihrer Wünsche erfüllen. Lassen Sie mich diese Geschichte für Sie in Ordnung bringen. Sie werden zufrieden sein.«

»Nein«, sagte Jordan nachdenklich. »Ich habe damals mit den Blumen Ihren Rat befolgt. Es war ein guter Rat, aber ... ich konnte ihr nicht verschweigen, daß der Gedanke nicht von mir stammte. Sehen Sie, lieber Meyring, ich glaubte bisher immer, ich sei ein ganz nüchterner Mensch der Wirklichkeit. Ich komme aber jetzt mehr und mehr zu der Ueberzeugung, ich sei auch nur ein Mensch mit Idealen.«

»Ganz bestimmt«, rief Meyring. »Doch haben Sie sich Ihre Ideale ein bißchen zu hoch gesteckt.«

»Nun sagen Sie mal, lieber Meyring ... Sie behaupten, meine Tochter zu lieben. Was würden Sie tun, falls nun meine Tochter sagte, sie könnte nur dann mit Ihnen glücklich werden, wenn Sie für immer – sagen – wir – ein armer Briefträger blieben?«

Tadelnd schüttelte Meyring den Kopf.

»Ich würde ihr auf die Schulter klopfen und ihr empfehlen, etwas seltener ins Kino zu gehen«, antwortete er ruhig.

»Ich glaube«, sagte Jordan seufzend, »Ihnen geht trotz allem das Gefühl für das Tiefere ab. Was würden Sie tun, wenn ...«

»Ich werde Mrs. Hornung ins Gewissen reden« unterbrach ihn Meyring entschlossen. »Sie machte auf mich am ersten Abend einen sehr vernünftigen Eindruck. Ich glaube, sie ist leichter zu behandeln als Sie, Mr. Jordan.«

»Wir wollen jetzt schlafen gehen«, sagte Jordan nach einem längeren nachdenklichen Schweigen. »Morgen werden wir klarer sehen.«

Aber Jordan irrte sich. Der nächste Tag brachte keine Klarheit. Obwohl Jordan und Meyring von früh bis spät auf den Beinen waren und überall nach Halja forschten, fanden sie auch nicht eine Spur von ihr. Mehr als zehnmal im Laufe des Tages rief Jordan Burns Detektei an, doch auch von dort wurde ihm die Fruchtlosigkeit aller Nachforschungen gemeldet. Müde und verzweifelt kehrte Jordan am Abend in sein vornehmes Hotel zurück, und obwohl ihn Meyring an den erforderlichen Umzug erinnerte, blieb Jordan in den teuren Zimmern.

Der zweite und dritte Tag änderten nichts an ihrer Lage. Jordan wurde immer schweigsamer, immer gereizter. Er zankte sich täglich mit den Beamten des Meldeamts, und alle Bemühungen Meyrings ihn von der Unschuld dieser Leute zu überzeugen, nützten nichts. Täglich erhielt Jordan einige Telegramme aus New York, in denen Norfolk um sofortige Rückreise bat. Diese Telegramme wurden immer dringender, aber Jordan beachtete sie nicht.

»Sie machen sich kaputt!« sagte Meyring am Morgen des vierten Tages streng. »Sie machen Ihre Fabrik kaputt, und Sie machen mich kaputt. Und wem nützt das? Keiner Menschenseele. Am wenigsten Halja Hornung.«

Jordan stand neben dem Frühstückstisch und schlang hastig Butterbrot samt Kaffee hinunter. Er bewohnte noch immer die teuren Zimmer.

»Es ist mir ganz einerlei!« rief er böse. »Verstehen Sie: völlig einerlei. Mag alles drunter und drüber gehen. Ich muß sie finden, ich muß sie finden. Kommen Sie: wir müssen zum Meldeamt.«

»Augenblick bitte«, sagte Meyring. »Ich möchte erst frühstücken. Seit drei Tagen habe ich nichts Richtiges gegessen. Immer im Trab, immer im Trab! Ein Briefträger hat es herrlich dagegen. Jetzt hab ichs satt, denn ich hab Hunger.«

Jordan knurrte eine wütende Entgegnung, aber er bestand nicht mehr darauf, sofort aufzubrechen. Grollend ließ er sich in einer Ecke nieder und sah mißbilligend zu, wie Meyring frühstückte. Und Meyring frühstückte gründlich. Er hatte wirklich Hunger.

»Ich bin Ihr Sekretär und nicht Ihr Rennpferd«, sprach er zwischen dem Verspeisen einiger Eier. »Aber auch ein Rennpferd würde sich eine solche Behandlung nicht auf die Dauer gefallen lassen. Gestern habe ich ...« Er nahm einen kräftigen Schluck Kaffee. »... habe ich einen Brief von Mary bekommen. Sie schreibt, ich soll sofort zurückkommen ...«

»Sie können fahren«, sagte Jordan matt.

»Nein, ich kann nicht fahren!« begehrte Meyring auf. »Sie sehen schon jetzt wie eine Schloßruine aus. Was soll denn erst werden, wenn Sie meiner Aufsicht entzogen sind? Gestern hätte man beinah ein Protokoll aufgenommen, so grob waren Sie auf dem Meldeamt. Früher erreichten Sie alles mit Ihren Dollars, jetzt soll's plötzlich mit Grobheit gehen. Nein, Mr. Jordan, wenn der Dollar auch fällt, er ist immer noch wertbeständiger als Grobheit. Uebrigens haben Sie wieder mal fast gar nichts gegessen. Kommen Sie her: ehe Sie nicht dieses Ei und das Butterbrot da verzehren, bringen mich keine zwanzig Maulesel von hier weg.«

»Ich will nichts essen.«

»Das ist ein gefährliches Anzeichen. Kommen Sie her. Bitte, keinen Widerspruch. Ich bin Ihrer Tochter, Mrs. Hornung und wer weiß wem noch für Ihre Gesundheit verantwortlich. Ich ...«

»Sie haben das zu tun, was ich befehle!« rief Jordan wütend. »Kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts angehen.«

»Keine zwanzig Maulesel ...« begann Meyring und lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück. Jordan schoß aus seiner Ecke hervor. Es sah aus, als wolle er Meyring etwas antun, aber er stürzte sich nur über das Essen, das ihm sein Sekretär anbefohlen hatte.

»Nicht so hastig!« warnte Meyring. »Ein Ei hat zwar keine Gräten, aber ... Wer klopft denn da?«

»Fragen Sie nicht, sondern sehen Sie gefälligst nach!« bestimmte Jordan zornig.

Meyring ging zur Tür, trat auf den Gang hinaus und erschien erst nach fünf Minuten wieder.

»Ein Mann ist draußen«, sagte er ruhig. »Wenn Sie mir versprechen, sich nicht sehr aufzuregen, will ich Ihnen sagen, was für ein Mann.«

»Reden Sie nicht solchen Unsinn!« schrie Jordan.

»Nichts kann mich mehr aufregen, nichts, was nicht Halja betrifft.«

»Es betrifft sie«, antwortete Meyring vorsichtig.

»Ja, dann ...«

»Sie werden sich bestimmt nicht zu sehr aufregen?«

Jordan rannte zur Tür. Meyring wollte sich ihm in den Weg stellen, aber Jordan stieß ihn heftig beiseite. Dann riß er die Tür auf und zog den schmächtigen kleinen Mann herein, der draußen gestanden hatte.

»Sie wissen etwas über Mrs. Hornung?« fragte Jordan und starrte ihn angstvoll an.

»Ja«, erwiderte der Bote. »Ja, und dieser Herr«, – er deutete auf Meyring – »hat mir hundert Dollar versprochen ...«

»Zweihundert Dollar! Dreihundert!« schrie Jordan »Aber so reden Sie doch endlich!«

»Dieses Mädchen ...« begann der Fremde unsicher. »Aeh ... diese Dame soll heute ... wird heute abend auftreten ... ja, auftreten ...«

»Was reden Sie da?« brüllte ihn Jordan an und packte ihn beim schadhaften Rock.

»Ja, im Kolorado auftreten. Im Kolorado ... Das ist ein sehr schlechtes Lokal ... Sie wird dort auftreten ... Im Kolorado ...«

»Geben Sie dem Mann dreihundert Dollar!« sagte Jordan und griff nach seinem Hut.

»Nee«, erwiderte Meyring gefaßt. »Erstens bin ich nicht verpflichtet, meinen Vorschuß gemäß Ihren leichtsinnigen Versprechungen anzulegen, und zweitens ... Kommen Sie mal, junger Mann! Zweitens wollen wir uns mal erst beim Kolorado erkundigen. Besser ist besser.«


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