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Zu Nerac, einem artigen Städtchen in der Gascogne, war ein großes Fest, das heißt, es war alle Tage Fest, weil der König von Frankreich, Karl IX., mit seinem ganzen glänzenden Hofstaate zum Besuche des Hofes von Navarra dahin gekommen war.
Der Besuch hatte gute Gründe.
Der König von Frankreich brachte der Königin von Navarra ihren jungen Sohn Heinrich, der bisher am Hofe zu Paris erzogen war und den die Königin nun bei sich haben wollte, zurück. Man kann sich also denken, welche Freude es da gab, als die Mutter ihr Kind wieder an ihre Brust drückte.
Die Königin Johanna war nicht nur eine zärtliche Mutter, sondern eine wahre Heldenmutter; es ist aller Welt bekannt, wie sie sich betragen, als sie ihren Liebling Heinrich zur Welt brachte. Ihr Vater, Heinrich von Albret, König von Navarra, der damals zu ihr an's Bett trat, und in der Hand eine goldene Schachtel mit einer langen goldenen Kette darin hielt, hatte gesagt: »Sieh, Töchterchen! Singst Du mir bei Deiner Niederkunft ein recht artiges Gascogner Lied, so bekommst Du dies und was darin ist.« Und sie sang, als das Kind erschien. Da legte er ihr auf der Stelle die goldene Kette um den Hals und gab ihr die goldene Schachtel. »Aber,« sagte er, und nahm den Neugebornen in seinen Arm, »dafür behalte ich den hier!« Die Mutter hingegen ließ ihn sich nicht nehmen.
Nun war Heinrich groß geworden, zwar erst fünfzehn Jahre alt, aber man konnte auch glauben achtzehn, so schlank war er aufgeschossen. Zwar wehte kaum ein Flaum von Bart um sein Kinn und sein Gesichtchen war wie Milch und Blut; aber er hatte Herz, wie ein alter Degen, und Hände hart und kräftig vom Schwert und allerlei rauher Arbeit, die er sich machte.
Ein flüchtiger Wildfang war er, ein echter Springinsfeld; er konnte reiten, jagen, fechten, tanzen, und kletterte auf Bergen und Felsen wie eine Gemse umher, so daß sein Lehrer und Hofmeister, der weise Lagaucherie, oft große Not mit ihm hatte. Aber dabei war der junge Fürst so liebenswürdig, so geistvoll, so gutmütig . . . man konnte nicht anders, man mußte ihm gut sein, und erinnerte man ihn nur, wenn er es ein wenig zu bunt trieb, an Pflicht und Ehre, so konnte man ihn mit den zwei Worten zahm machen, wie ein Lamm.
Die Leute in Nerac sahen daher auch lieber auf den wilden, schönen frommen Heinrich, als auf allen Pomp der Majestät des Königs von Frankreich. Dieser ging immer sehr ernsthaft und majestätisch und dankte kaum, wenn man ihn grüßte; aber Heinrich lächelte freundlich links und rechts und grüßte gern wieder. In seinem Lächeln lag ungemein viel Anmut; wenigstens bezeugten es alle jungen Frauen und Mädchen zu Nerac einmütig und mit Kennermienen. Sind doch in solchen Dingen Frauenzimmer unstreitig die zuverlässigsten Kunstrichterinnen oder vielmehr Naturrichterinnen.
Obzwar im Gefolge des Königs noch mehrere junge, schöne, geistreiche, tapfere Herren waren, zum Beispiel der junge Herzog von Guise, drei Jahre älter als der Fürst von Bearn, so blickte man dennoch nur auf diesen freundlich hin, weil er immer freundlich hersah. Der junge Herzog aber wußte das wohl; es verdroß ihn oft und er hatte vermutlich deswegen den Königssohn von Navarra nicht gern. Beide waren mit einander aufgewachsen, Spiel und Jugendgefährten; sie vertrugen sich jedoch selten mit einander. Der König von Frankreich hatte beständig zwischen beiden jungen Leuten etwas zu richten und zu schlichten; darum war es gut, daß sie auseinander kamen und Heinrich bei seiner Mutter bleiben mußte.
Inzwischen hätte es beinahe noch vor dem Abschied in Nerac wieder Händel gegeben.
Unter anderen Festlichkeiten wurde auch ein Armbrustschießen abgehalten
Der König selbst war ein guter Schütze. Er war es leider, denn man weiß ja, wie er sechs Jahre nach dem Feste zu Nerac bei der Bluthochzeit in Paris auf seine eigenen hugenottischen Unterthanen schoß. Zu Nerac trieb er die Kunst noch etwas unschuldiger, denn eine in abgemessener Ferne aufgesteckte Pomeranze war das Ziel.
Wenn ein König oder Fürst sich etwas darauf zu gute thut, in Ausübung irgend einer Kunst der Beste zu sein, so untersteht man sich nicht leicht, es besser denn er verstehen zu wollen. So ging es auch hier. Kein Höfling wagte, die goldene Frucht mit dem Pfeil zu treffen, um dem Könige nicht die Ehre oder vielmehr den Wahn zu rauben, daß er der beste Schütze unter der Sonne sei.
Der Herzog von Guise war auch ein vortrefflicher Schütze, aber dabei ein vortrefflicher Hofmann, und deshalb flog natürlich sein Bolzen weit von der schönen Pomeranze seitwärts.
Es standen da viele Zuschauer und Zuschauerinnen vom Schlosse, wie auf der Stadt, um dem Spiele zuzusehen, alle zierlich geputzt, und die guten Leute glaubten in vollem Ernst, der König sei Meister im Armbrustschießen, denn er hatte die Pomeranze beinahe mit dem Pfeil gestreift; allein sie verstanden die höfische Schützenkunst noch nicht.
Nun hieß es: Der Fürst von Bearn vor! Also kam der junge Heinrich mit der Armbrust, legte an, zielte und spaltete den goldenen Apfel mit seinem Pfeil beim ersten Schuß.
Die Zuschauer murmelten Beifall unter einander; die hübschen Zuschauerinnen flüsterten sich lächelnd einander ins Ohr, ich weiß eben nicht, was? Aber dem Könige war das gar nicht recht; er sah trocken und beinahe finster aus.
Der Regel des Spiels nach wollte nun Heinrich wieder anfangen und zuerst nach der frischaufgesteckten Pomeranze schießen; der König aber dachte: »Ich bin doch König!« . . . wollte sich die Ehre des ersten Schusses nicht nehmen lassen und sagte: »Es gehe der angenommenen Reihe nach!«
Heinrich rief: »Allerdings! Es geht der Regel nach!«
Könige aber, zumal wenn sie böse werden, pflegen sich mit unter wenig an die Regel zu halten. Da sich Heinrich trotz dessen auf den Platz stellte und zielen wollte, stieß ihn der König sehr unartig zurück
Man muß ihm das nicht übel deuten, denn er war jung und ungefähr so alt wie der Fürst von Bearn. Heinrich aber, von Natur ein Hitzkopf, sprang auf den empfangenen Stoß ein paar Schritte zurück, spannte die Sehne seines Bogens, legte einen Bolzen darauf und gegen den König an.
Die Majestät erschrak, lief geschwind zurück und versteckte sich hinter den dicksten seiner Höflinge.
Der dicke Mann, der in der Einbildung schon den Bolzen in seinem Bauche fühlen mochte, schrie Mordio! und legte die Hände, so breit er konnte, vor den Magen
Heinrich, wiewohl er etwas aufgebracht war, konnte sich beim Anblick des dicken Mannes, der wie ein zitternder Wall vor dem Könige stand, des Lachens nicht enthalten und lachte ausgelassen. Die Mädchen von Nerac, wie sie den jungen Fürsten so unmäßig lachen sahen, fingen auch an zu kichern, die Frauen bald desgleichen. Das Lachen, wie das Weinen, ist bei den Frauenzimmern wahrhaft ansteckend, und wie Eva weiland den Adam zum Naschen verführt hatte, verführten sie hier die Männer zum Lachen. Alles lachte; nur die Höflinge wußten nicht, welches Gesicht sie eigentlich bei diesem Vorfalle zu machen hätten.
Dem Könige aber sowohl als seinem dicken Vordermann war es gar nicht ums Lachen zu thun.
»Bringt den Fürsten von Bearn auf die Seite!« schrie er.
Zum Glück war der weise Lagaucherie, Heinrich's Lehrer, zugegen, welcher seinen Zögling sogleich beim Arm nahm und ihn mit sich fort ins Schloß führte.
Man hörte Heinrich noch lange in der Ferne lachen.
Der kleine Zwist zwischen Karl und Heinrich wurde, wie sich von selbst versteht, beigelegt. Um so etwas wird nicht sogleich Krieg geführt. Heinrich war ein unbesonnener junger Fant; er mußte Abbitte thun, und dabei blieb es.
Folgenden Tages war wieder Armbrustschießen nach Pomeranzen. Alle Schützen kamen, alle Mädchen kamen, alle Weibchen kamen, auch die Männer.
Der Zuschauer waren nun mehr als je, denn man hoffte, es gäbe alle Tage etwas zum Lachen. Wer aber nicht kam, das war der König; er blieb unter einem Vorwande zu Hause; vermutlich hatte er große Staatsgeschäfte.
Diesmal trafen alle Schützen besser als gestern; die Leute von Nerac konnten gar nicht begreifen, wie die Höflinge insgesamt über Nacht so geschickt geworden wären. Bald waren sämtliche Pomeranzen abgeschossen. Man stellte das Ziel entfernter; auch da blieb dasselbe Glück.
Besonders zeigte sich der Herzog von Guise als ein Meister; er zielte auf die letzte Pomeranze und spaltete sie.
Das war nun verdrießlich für Heinrich, weil keine Pomeranze mehr vorhanden war. Er hätte doch gar zu gern mit seinem jungen Nebenbuhler noch einmal um die Wette geschossen. Er sah sich links und rechts um, was man etwa als Ziel benutzen könnte.
Da erblickte er unter den Zuschauern ein junges Mädchen, ungefähr so alt oder so jung wie er selbst, ein bildschönes Kind von fünfzehn Jahren. Es stand da in einfacher Tracht, das zarte Gesichtchen halb vom Hut beschattet, reizend wie die Liebe, harmlos wie die Unschuld.
Hastig sprang Heinrich zu der kleinen Venus von Nerac.
Sie freilich wollte er nicht zur Scheibe für seinen Pfeil machen, aber doch die Rose, welche sie auf der Brust trug.
Es war eine Rose, wie das Mädchen selbst, in anmutiger Fülle noch halb geschlossen, zart gewölbt, mit blassen Blättern um den hochroten tiefern Mittelpunkt.
Heinrich bat um die Blume und streckte die Hand dem jugendlichen Busen entgegen, den sie schmückte.
Die kleine Venus errötete und gab ihm lächelnd ihr Ebenbild. Er lief damit zum Ziele, steckte die Rose auf und kam dann zum Schützenstand zurück.
»Nun, Herr Herzog, Ihr seid Sieger; dort ist ein neues Ziel; Euch gehört der erste Schuß!« rief Heinrich atemlos und sog Blut aus seinem verwundeten Finger, denn er hatte sich an einem Dorn der Rose gestochen.
Der Finger schmerzte ihn aber nicht halb so sehr, als . . . er wußte selbst nicht recht, was und warum?
Dabei sah er wieder seitwärts nach dem niedlichen Ebenbilde der Rose, von welchem der milde Schmerz herkam.
Guise legte an, zielte . . . der Pfeil flog ab und . . . fehlte.
Nun trat Heinrich hin, spannte den Bogen, zielte und schielte über den Arm noch einmal seitwärts hin, von woher der Schmerz kam, dann wieder auf die Rose und drückte ab.
Der Pfeil durchbohrte den Mittelpunkt der Blume.
»Ihr habt gesiegt!« rief Guise, doch der junge Fürst von Bearn wollte sich genau überzeugen und lief zum Ziel,
Er zog den Pfeil vom Brett; die durchstochene Rose saß daran fest wie an einem Stiel. Er trat damit zu dem artigen Mädchen, ihm die geraubte Blume zurückzugeben. Mit einer leichten Verbeugung bot er der Schönen die Rose und zugleich den siegreichen Pfeil dar.
»Euer Geschenk brachte mir Glück!« sagte er.
»Euer Glück war aber das Unglück der armen Rose!« erwiderte die Kleine, indem sie mit ihren zarten Fingern die Blume vom Pfeil zu befreien suchte.
»Billig lasse ich Euch dafür den strafbaren Pfeile
»Seiner bedarf ich nicht!« erwiderte das Mädchen.
»Ich glaube es gern, Ihr verwundet mit schärferen Pfeilen!« entgegnete Heinrich und sah die schöne Unschuld an, die beschämt vor ihm stand und, indem sie zu ihm aufsah, verstummte und errötete. Und er errötete wie sie und hielt die Hand unwillkürlich vor seine Brust, als wolle er diese vor einem Unglück bewahren; er konnte keine Silbe mehr reden, verbeugte sich und ging zu den Schützen zurück,
Das Spiel war zu Ende; die Schützen zogen in das Schloß zurück, das an der dunkelgrün dahinschleichenden Baize, in der Ebene lag; auch die Zuschauer gingen auseinander.
Das junge Mädchen mit der durchbohrten Rose am Pfeile begab sich, begleitet von den Gespielinnen, ebenfalls hinweg. Die Gespielinnen plauderten gar viel und beneideten die Kleine um den Pfeil; sie aber war ganz stumm, betrachtete nur die durchbohrte Blume und sah dabei aus, als wäre ihr eigenes Herz durchbohrt worden.
Als die Schützen auf der Treppe des Schlosses standen, sah Heinrich noch einmal nach den Zuschauern, die auseinander schwärmten, um unter denselben eine Person zu suchen, aber sie war nicht mehr zu entdecken.
»Wer ist wohl das kleine, artige Mädchen, dem ich die Rose abgenommen?« sagte er zu einem Edelmann seiner Mutter,
»Es ist die Tochter des Schloßgärtners,« antwortete der Edelmann, »und macht dem Berufe ihres Vaters, wie sich selbst, mit ihrem Namen Ehre.«
»Wie heißt sie denn?«
»Jetzt nennt man sie Florette, und ist sie älter, Flora.«
»Florette!« sagte Heinrich und wußte selbst nicht, was er sagte.
Er sah sich noch einmal um, obgleich er wußte, daß nichts mehr zu sehen war.
Heinrich hatte in seinem Leben wohl oft das Wort Liebe gehört, und wie hätte er es, ohne taub zu sein, am Hofe zu Paris nicht hören sollen? Er verstand es aber ebensowenig als er Arabisch oder Chaldäisch verstand, von dem er ebenfalls vernommen hatte, daß es in der Welt gesprochen werden solle. Indessen lernte er das Lieben leichter als das Arabische und wurde in späteren Jahren darin sogar erfahrener, als es seinem Ruhme zuträglich war.
Man weiß, seine Gefechte und Siege, die ihm nachmals die Krone von Frankreich verschafften. waren nicht so schwer zu zählen, als seine Liebschaften und deren Früchte. Man singt ja noch heute von der schönen Gabriele d'Estrées, von der reizenden Henriette von Balzac d'Entragues, von Jacquelinen de Beuil, von der Charlotte des Essarts und anderen, die in Heinrich des Großen Leben Rosen flochten.
Und doch war von allen, die er je geliebt, keine wie Florette von Nerac.
Keine schöner? Nein, das möchte ich nicht sagen und nicht Dichtern und andern Frauen zu leide thun, denn jeder hat in diesem Glaubensartikel Gewissensfreiheit; nein, keine war liebenswürdiger, wenn es den Grad der Liebenswürdigkeit erhöht, daß man durch treue Gegenliebe des Geliebtwerdens würdiger ist.
Mit der durchbohrten Rose war Floretts Herz durchbohrt, und während ihr Heinrich den Pfeil gab, warf ihr brennender Blick, aus den schönen, dunklen Augen voll süßer Rache, einen andern Pfeil in seine unverwahrte Brust.
Nun begann bei beiden das Unglück und keines wußte, was ihm geschehen war.
Florette konnte den ganzen Tag aus den Träumen von dem Augenblick nicht erwachen, da er vor ihr stand mit dem Pfeil, und die ganze Nacht konnte sie nicht einschlafen.
Heinrich aber lief, sobald er sich im Schlosse frei machen konnte, im Schloßgarten umher und betrachtete alle Blumen mit größter Liebe und Aufmerksamkeit, um schon aus ihrer Schönheit zu erkennen, ob Florette sie gepflanzt oder auch nur begossen habe.
Man hätte wetten sollen, er wolle Naturforscher werden, wenn mau ihn so sinnig vor den Blumenbeeten mit untereinandergeschlagenen Armen stehen sah. Er wäre am liebsten ein Gärtner, an Florettens Seite, geworden. Und wenn er langsam und mit gesenktem Haupte, die Blicke zum Boden gerichtet und in Gedanken verloren, durch die breiten Wege zwischen den Beeten dahinwandelte, hätte man wieder wetten mögen, er wolle ein Philosoph werden und suche schon nach dem Stein des Weisen. Er suchte im Sande der Gartengänge aber nur nach den kleinen Fußtapfen [eines] artigen Kindes.
Es durchschauerte ihn, als er am Ende des weiten Schloßgartens nahe beim Born des Kaninchengeheges, Fußtapfen erkannte, die ihr angehören mußten. Er hatte zwar Florettens Füßchen kaum recht gesehen, viel weniger gemessen, aber Heinrich hatte das sicherste Augenmaß und die feinste Berechnungsgabe; das hat er in späteren Jahren auf manchem Schlachtfelde bewiesen.
Wie er der Spur nachging, kam er durch Gebüsch zu einem Steg über den stillen Bach der Baize. Jenseits des Wassers stand ein kleines, weißes, niedliches Haus. Er hätte gern fragen mögen, wem das kleine Haus gehöre, oder wer darin wohne? Es war aber niemand da als sein Pfeil in der Rose, welcher in einem Zimmer des Häuschens am Fenster stand. Da erschrak er, als wäre ein Ungeheuer am Fenster, drehte sich schnell um, lief in den Garten zurück, bekam Herzklopfen, und es verfolgte ihn doch niemand.
Abends ging er wieder in den Garten, als es schon halb dunkel war; aber er hatte einen scharfen Blick. Er sah am Gehegeborn ein Mädchen in der Ferne, nicht größer und nicht kleiner als Florette. Es hob einen Eimer mit Wasser empor, schwang ihn aufs Haupt und trug ihn durch das Gebüsch über den Steg zum kleinen Hause.
Nun schwebte ihm den ganzen Abend das Bild vor Augen. Es war im Schlosse ein kleiner Ball veranstaltet; die Fürstinnen, die Edelfräulein, die Herren, alle tanzten, aber kein Fräulein tanzte so schön als, vor Heinrichs Einbildung, das Gärtnermädchen, mit dem Eimer auf dem Kopfe, durch das Gebüsch um die Felswand. Und wenn er selbst mittanzte, sah er sich weniger nach seiner Tänzerin, als immer nach der Thür um, wo die Zuschauer standen, doch sah er sich ganz vergeblich um.
Andern Tages war Heinrich schon früh im Schloßgarten. Er wanderte mit dem Grabscheit auf der Schulter zum Gehegebrunnen, denn rings um den schönen Brunnen war es gar sehr verwildert und vernachlässigt; vermutlich, weil niemand als wer Wasser holen wollte, dahin kam. Der Brunnen war abgelegen und nur dem Gärtnerhause nahe; das mochte dem jungen Fürsten von Bearn vermutlich am besten gefallen.
Er grub einen weiten Kreis im grünen Rasen rings um den Brunnen und grub den ganzen Morgen. Der Schweiß träufelte ihm von der Stirn, und wenn er müde und durstig war, ging er zum Brunnen, der immer silberklar sprang, und trank. Wenn seine Lippen vom kühlen Naß benetzt wurden, dünkte ihm kein Wein so lieblich zu schmecken, ohne Zweifel, weil wohl auch Florette zuweilen aus dem Quell getrunken haben mochte.
Von der Arbeit begab er sich in das Schloß, wo er nun traurig da saß in seinem graugrünen Zimmerchen mit den schmalen, spitzgewölbten Fenstern.
Wäre er nur ein Viertelstündchen länger am Brunnen geblieben, so hätte er einen Zuschauer gehabt, denn Florette kam dorthin..
Als sie den weiten umgegrabenen Kreis im Rasen erblickte und die Anlagen zu neuen Blumenbeeten, dachte sie:
»Der Vater muß schon früh aufgewesen sein, oder ließ er es wohl durch die Knechte thun?«
Wie sie nun heim kam und den alten Lukas fragte, war der sehr verwundert und wußte von allem nichts. Er begab sich zum Brunnen, sah die Arbeit und sprach erzürnt:
»Das haben meine Bursche ohne mein Geheiß gethan.«
Und er ließ die Gärtnerbursche rufen und schalt sie, aber keiner wollte es gethan haben. Das ging dem Lukas durch den Kopf, er begriff nicht, wer es wage, ihm im Schloßgarten in sein Amt zu pfuschen, und er beschloß, sich auf die Lauer zu stellen.
Er lauerte richtig den ganzen Tag, und richtig erlauerte er – nichts, denn die königliche Familie war auf ein benachbartes Schloß gereist und kam erst spät abends wieder zurück.
Folgenden Morgens war wieder ein anderes Fest und der junge Fürst durfte auch dabei nicht fehlen. Darum benutzte er die frühesten Stunden nach Sonnenaufgang zur Fortsetzung der begonnenen Gärtnerei; da grub er und rechete die neuen Beete eben, nahm Blumenstöcke, wo sie im Garten zu dicht standen, und pflanzte sie um den Gehegequell. Es sah ihn niemand und er sah auch niemand, am wenigsten die, welche er so gern gesehen hätte; dann ging er auf dem nächsten Umwege zum Schloß. Der allernächste Umweg aber zog im weiten Bogen um das Schloß herum, an einem gewissen kleinen, zierlichen Hause vorüber. Da schielte er nach einem Fenster, um einen gewissen Pfeil zu sehen, aber wie fuhr es ihm entsetzlich durchs Herz: am Fenster stand ein gewisses Mädchen, und das Fenster war offen, und der ganze Himmel war offen.
Florette stand am Fenster und band die langen Flechten ihres schwarzen schönen Haares um das Haupt. Ihre zarte Brust war unverdeckt, ihre weiße Haut glänzte wie Schnee unter dem dunkeln Gelocke ihrer Seidenhaare. Vor ihr am Fenster lagen Blumen, denen sie vermutlich schon ein Plätzchen im Haar, oder auf dem Hut, oder am Busen zugedacht hatte. Heinrich grüßte freundlich zum Fenster hinein, Florette freundlich heraus; dann stieg er auf ein Bänkchen, und war nun beinahe so groß, wie Florette, vor der er dicht am Fenster stand.
Eine tiefe Röte flog über das unschuldige Engelsgesicht und über den hellen Alabasterhals. Er fragte:
»Soll ich Dir beim Putz helfen?«
Sie fragte: »Seid Ihr schon so früh auf, junger Herr?«
Er meinte, es sei gar nicht früh, und sie meinte, sie habe keine Hilfe vonnöten. Er meinte, überhaupt brauche sie keinen andern Schmuck, als sich selbst, um schön zu sein; und sie meinte, er wäre ein Spötter, was ihm gar nicht artig stände. Er behauptete: in seinem Leben hätte er nie wahrer gesprochen, als jetzt; seit sie ihm die Rose gegeben, hätte er sie nicht vergessen können. Sie behauptete, um so wohlfeilen Preis wäre es doch leicht, sich bei ihm unvergeßlich zu machen. Er bereute, daß er die Rose zurückgegeben habe; lieber würde er sie, ihr zum Andenken, behalten haben; und sie bereute, daß sie eben nur die schlechtesten Blumen genommen, die da vor ihr lägen, doch gäbe sie ihm alle gern, wenn ihm das Vergnügen machen könne. Er beteuerte, indem er einige Blumen vor die Brust steckte, die schlechtesten Blumen bekämen erst Wert durch die Geberin, und sie beteuerte, sie fände selbst, die Blumen wären wirklich recht schön, nun er sie vorgesteckt habe.
So meinten und glaubten, bereuten und beteuerten beiden Leutchen noch vieles, als der alte Lukas in einem Nebenzimmer nach Florette rief.
Da beugte sich das Mädchen süßlächelnd gegen den jungen Fürsten und verschwand. Heinrich ging davon, zum Schloß zurück, aber er fühlte den Boden unter seinen Füßen nicht.
Als Mittags der alte Lukas aus dem Schloßgarten zum Essen kam, sprach er:
»Wer mir wohl den Possen spielt? Da hat der unberufene Gärtner wieder gearbeitet, die Beete wohl geteilt, wohl geebnet und angefangen, einige mit Blumen zu besetzen. Schon früh, als ich hinaus kam, war die Arbeit verrichtet, doch der Gärtner unsichtbar. Ich habe den ganzen Morgen gelauert und abermals nichts erlauert. Mit dem Dinge ist es nicht richtig; der arbeitet wahrscheinlich nachts im Sternenschein.«
Als Florette abends mit dem Eimer zum Gehege-Brunnen ging, fiel es ihr erst bei, daß wohl gar der junge Fürst der Gärtner sein möge, denn es war ungefähr von der Gegend her, daß er des Morgens vom Garten zu ihr ans Fenster gekommen war.
Als der Hof nach Sonnenuntergang vom Feste heimgekehrt, hatte Heinrich nichts Angelegentlicheres zu thun, als den ganzen Schloßgarten zu durcheilen.
Er kam zum Gehege-Brunnen und fand da Florettens Hut liegen. Er nahm ihn, drückte ihn an seine Brust und küßte ihn. Dann pflückte er im Dunkeln die schönsten Blumen, wo er sie fand, holte vom Schlosse ein schönes himmelblaues Band und schlang die Blumen zu einer Art Kranz um den Hut. Dann schlich er zum Hause des Gärtners, fand dort die Fenster geschlossen und alles schlafend, und hing den Hut ans Fenster.
Folgenden Morgens war Florette, wider die Ordnung des Hauses und wider eigene Gewohnheiten, früher aufgestanden, als die Sonne. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihrem alten Vater eine Freude zu machen und den nächtlichen Gärtner zu entdecken und zu verraten. Nebenbei war sie auch selbst ein wenig neugierig . . . aber war es vielleicht noch ein anderer Gedanke, welchen sie aber niemandem sagte, und den man daher auch nicht weiß?
Wie sie sich in tiefster Stille angekleidet hatte und das Fenster öffnete, sah sie den Hut mit dem himmelblauen Bande und um denselben den großen Blumenwald. Nun erinnerte sie sich, den Hut am vorigen Abend bei der Gehege-Quelle liegen gelassen zu haben. Sie lächelte erst die Blumen und das Band an, dann machte sie ein finsteres Gesicht.
»Ach!« seufzte sie. »Nun ist er doch früher aufgewesen, als ich. Er war also schon hier.«
Wen sie eigentlich mit dem Er meinte, sagte sie nicht. Sie sah die Blumen noch einmal an, löste sie ab, stellte sie in ein Geschirr voll frischen Wassers, wickelte das himmelblaue Band zusammen und that es zu ihrem übrigen einfachen Putz. Darauf stieg sie ins Fenster und vom Fenster hinaus aufs Bänkchen draußen und vom Bänkchen auf den Erdboden. Das Gebäude hatte zwar eine recht ordentliche Hausthür, aber die war noch verschlossen und nicht ohne Lärmen zu öffnen.
Sie ging über den Steg und blieb wieder unentschlossen stehen.
»Ich komme gewiß zu spät . . . er arbeitet ja nur beim Sternenschein, sagte der Vater, und schon sind alle Sterne vergangen, und die Sonne ist nahe am Aufsteigen. Alle Gebüsche glühen in der Morgenröte; ich komme gewiß zu spät.«
So dachte sie und beschloß, wieder umzukehren, ging aber doch immer langsam vorwärts.
»Wenn er aber doch da wäre! Was würde er dann von mir denken, wenn ich so früh käme? Müßte er nicht glauben, es wäre nur seinetwillen? Das soll er nicht glauben. Er könnte . . . nein, ich will heimgehen, will den Eimer nehmen als ginge ich Wasser zu schöpfen. So wird er nicht glauben, ich käme nur seinetwillen.«
So dachte sie und beschloß umzukehren, ging aber doch immer langsam vorwärts, dem Born des Geheges zu.
Schon hörte sie das Plätschern des Brunnens; schon sah sie die frisch um den Brunnen gezogenen Gartenbeete durch die Gebüsche; ja, mit freudigem Schrecken erblickte sie in der Erde vor einem der Beete ein Grabscheit.
»Weit ist er also nicht, da sein Werkzeug noch vorhanden ist; er selbst aber ist nicht mehr da, sonst könnte ich ihn wohl sehen. Vielleicht ging er nur, Blumen auszugraben, um sie nach hierher zu verpflanzen; ich will mich verbergen, will ihn belauschen,« dachte Florette und ging leise durch das betaute Gras hinter eine hohe, grüne Ulmenwand, durch deren Laub sie unbemerkt alles, was dem Gehege-Brunnen nahen mochte, bemerken konnte.
Und wie sie da verborgen stand, klopfte ihr Herzchen gewaltig, denn wenn der Morgenwind leise in den Blättern spielte, glaubte sie die Bewegung eines Kommenden zu sehen, und wenn ein Vogel durch den hohen Ulmenhang hüpfte und davon flatterte, glaubte sie einen Wandelnden zu vernehmen.
Immer aber hatte sie vergeblichen Schrecken gehabt, denn sie sah keinen Kommenden, wie scharf und aufmerksam sie auch mit den Augen umherspähte.
Darauf legten sich sanft zwei Hände über ihre Augen und hielten sie zu; es waren aber fremde Hände, nicht ihre eigenen.
Das arme Kind erschrak gar sehr. Da flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr:
»Nun rate, Florette, wer ists?«
Sie hatte es wohl erraten, denn wie sie die fremden Hände, welche von hinten her gekommen waren, von den Augen hinwegziehen wollte, fühlte sie einen Ring am Finger des Jünglings, aber sie sagte nicht, was sie dachte, sondern sprach lächelnd:
»Ich kenne Dich wohl, Du bist Jacqueline, und an diesem Finger ist der Ring, den Dir Lubin gegeben!«
»Du irrst Dich!« flüsterte die Stimme wieder hinter ihr, »und weil Du mich nicht errätst, habe ich das Recht, Dich zu strafen.«
Und die Lippen, die das flüsterten, drückten einen Kuß auf Florettens schönen Nacken.
Die Strafe schien ihr in der That sehr empfindlich zu sein, denn sie wollte sich plötzlich loswinden, allein sie war so umsponnen, daß sie sich nicht bewegen konnte. Da sie nun ihre Mühe umsonst aufgewendet sah, sprach sie:
»Laß mich los, Minette, Du böses Mädchen! Nun kenne ich Dich! Du willst mir den Spaß vergelten, daß ich Dir vor drei Wochen plötzlich die Augen zuhielt, da Du mit Deinem Colas eben im besten Gespräch warst.«
»Du irrst Dich abermals!« flüsterte die Stimme wieder, und die Lippen drückten ihr abermals strafend drei Küsse auf den sanftgebogenen Nacken.
Florette zuckte bei jedem Kuß, bat um Freiheit und empfing sie nicht. Es schien ihr aber um die Freiheit doch so Ernst nicht zu sein, denn warum nannte sie nicht den, den sie doch kannte? Allein es konnte wohl auch großer Eigensinn sein, denn hübsche Mädchen sind zuweilen sehr eigensinnig. Genug, sie reizte zum dritten Male zur Wiederholung der Strafe, indem sie sagte.
»Also ist es denn niemand anders als Rosine Valdes, das böseste, mutwilligste Geschöpf der ganzen Stadt und der Nachbarschaft, dem ich gestern Mandeln durchs offene Fenster in die Stube warf, wo es allein saß und der Himmel weiß, an wen dachte! . . . Nicht wahr, Du erschrakst beim Mandelregen und glaubtest, der Himmel falle ein?«
»Weit vom Ziel!« flüsterte die Stimme, und nun ließen sich die Küsse im Nacken nicht mehr zählen; sie folgten auf einander, wie der beschriebene Mandelregen.
Im Hui aber bückte sich Florette unter den fremden Händen und entschlüpfte mit dem Köpfchen aus der Gefangenschaft. Sie drehte sich um . . . da stand Heinrich; da stand aber auch Florette.
Jener lächelte sie stillselig an; sie aber erhob drohend, doch schamhaft lächelnd, den Finger und sagte:
»Konnte ich glauben, daß Ihr so unartig wäret? Vor Euch, junger Herr, soll man sich hüten!«
Nun bat er wegen seiner Kühnheit um Verzeihung. Hätte er das aber auch nicht gethan, so wäre ihm das Verbrechen doch schon vergeben gewesen. Weil er nun aber um Gnade flehte, besann man sich geschwind, daß ihm gar keine Gnade gebühre. Da hätte man hören sollen, wie rührende Worte er sagte, um ihr Herz zu erweichen; da hätte man sehen sollen, wie demütig der Jüngling um einen Schritt näher trat, und wie sie dann wieder um einen Schritt zurückwich; wie er die Hände faltete, als wollte er zu ihr beten; wie sie, das Köpfchen gesenkt, mit den Fingern an den Ulmenblättern des Hages zupfte und die Knospen zerriß, Zuletzt kamen sogar Thränen in Florettens Augen, so tief fühlte sie sich gekränkt von seiner Verwegenheit, und seine Stimme bebte wehmütig und schien im Schmerz zu ersticken. Er sprach dessenungeachtet sehr viel, sie dessenungeachtet sehr wenig und that, als höre sie ihn gar nicht; pflückte alles Laub von dem nächsten Ulmenzweige und schichtete in ihren Händen die abgerissenen Blätter fest auf einander.
Wie er nun alle Mühe vergebens sah, sprach er.
»So will ich gehen, wenn Dir mein Anblick so mißfällig ist, schöne Florette; so will ich gehen, wenn Du so unerbittlich bist und keinen Scherz verzeihen kannst; so will ich gehen und nie wieder vor Dein Antlitz kommen! Lebe wohl, aber laß mich nicht von Dir, ohne mir den Trost zu geben, Du zürnest nicht! Sprich nur das einzige Wörtchen: ich zürne nicht!« seufzte er und fiel vor ihr auf die Kniee.
Sie sah durch ihre Thränen gütig lächelnd auf den hübschen, frommen Jüngling nieder, ganz stumm und nur betrachtend. Dann kam ihr der Knieende mit seinen gefalteten Händen gar zu ehrerbietig vor; sie selbst mußte darüber lachen, nahm ihre beiden Händchen voll Laub, warf ihm die Blätter über den Kopf, daß er ganz bedeckt ward, und sprang laut lachend davon.
Er eilte ihr nach, und nun waren beide wieder lustig.
»Jetzt gesteht mir nur,« sagte Florette, »Ihr greift meinem Vater in's Amt, junger Herr, und macht hier einen neuen Garten!«
Er bekannte willig.
»Wenn Florette zum Gehege-Brunnen kommt,« sagte er, »soll sie meiner gedenken, auch wenn sie nicht will. Ich will sie da mit den schönsten Blumen umringen, die ich finden und kaufen kann. Könnte ich dem Himmel alle Freuden abkaufen, ich würde Dich damit umringen.«
»Recht gütig!« antwortete Florette, »Allein, junger Herr, mein Vater ist mit Euch gar nicht zufrieden, Ihr zerstört ihm den Garten, denn Ihr versetzt die Blumen außer der Zeit, daß sie ausgehen müssen! Nicht einmal begossen habt Ihr sie.«
»Hätte ich nur ein Gefäß!«
»Das hattet Ihr zwanzig Schritte von hier, dort, wo die Thür am Felsen ist, in der Grotte gefunden, wenn Ihr Euch ein wenig bemüht hättet.«
Damit sprangen beide hin, sie fanden die Gießkanne, eins um das andere begossen beide die Blumen und beratschlagten, wie der Kreis um den Brunnen verschönert werden könne.
So verflog die Zeit, und Florette eilte wieder zum Hause ihres Vaters.
Der Prinz arbeitete nun auch den Tag über an seiner Gartenanlage, und man ließ ihm die Freude. Lukas half ihm, und Florette fehlte dabei nicht, ging ab und zu, gab guten Rat und begoß das Neugepflanzte am Abend.
Sogar die Königin Johanna kam und sah, was ihr Sohn trieb. Der König von Frankreich fand wenig Geschmack daran, noch minder der Herzog von Guise; desto mehr der Fürst von Bearn selbst.
Er hat wohl in späteren Jahren mannichfaltigere, glänzendere, üppigere, ruhmreichere Genüsse gehabt; nie aber süßere, als in der Einfalt und Ruhe seines, vom Zauber der ersten Liebe verklärten Gärtnerlebens. Florette und Heinrich betrachteten sich mit dem unbefangensten Wohlgefallen der Unschuld. Sie spielten miteinander, wie Kinder; waren vertraulich miteinander, wie Bruder und Schwester. Sie genossen die Gegenwart, ohne nach der Zukunft zu fragen, und ihre harmlose Leidenschaft wußte selbst von keinem Ziele.
Florette dachte nie daran, daß sie den Sohn einer Königin liebgewonnen habe; sie sah nur den aufblühenden, kräftigen, seelenvollen Jüngling, der ihresgleichen schien. In seinem grauen Wamms, in seiner einfachen Tracht, die er gleich andern Leuten des Landes trug, erinnerte nichts an seine Abkunft oder einstige Bestimmung. Heinrich hinwieder bekümmerte sich nicht um die Großen und um die Schönen des Hofes. Neben Floretten war für ihn nichts anderes schön; neben seiner stillen Lust, sie zu sehen, nichts anderes groß. Immer ruhte, während er arbeitete, sein Blick auf ihrer feingebildeten Gestalt, und da geriet die Arbeit schlecht und kam nie zu Ende. Aber wer konnte auch ablassen, die Grazie zu bewundern? Jedes Glied ihres Leibes war eine besondere Schönheit: jede ihrer Bewegungen und Wendungen lieblich; jedes ihrer Worte voll unaussprechlichen Wohllautes.
Eines nur war beiden nicht recht: daß nämlich die Tage im Garten kürzer waren, als die Tage außer dem Garten.
Um sie zu verlängern, mußte man noch den Abend zu Hilfe nehmen. Beim Mond- und Sternenschein war allerdings nichts zu arbeiten, aber man konnte doch ruhen, und während der Ruhe freundlich beisammen plaudern und kosen.
»Ich komme noch um neun Uhr, nach dem Nachtessen, ein wenig zum Brunnen!« sagte Heinrich leise zu Floretten, indem er neben ihr kniete und pflanzte. »Und Du, Florette?«
»Aber dann geht mein Vater schon zu Bette!« erwiderte sie.
»Und Du, Florette?« flüsterte er wieder und sah sie mit flehenden Blicken an.
Sie nickte lächelnd mit dem Köpfchen:
»Wenn es ein heller, heiterer Abend ist!«
Um neun Uhr war Heinrich am Gehege-Brunnen, aber der Himmel hing sehr trübe über ihm.
Florette war nicht da.
»Wenn es ein heller, heiterer Abend ist! sagte sie. Nun wird sie nicht kommen!« dachte er.
Da rauschte es durch die Gebüsche. Florette kam, den Wassereimer auf dem Kopfe, zum Brunnen.
Für die glückliche Liebe ist es immer hell und heiter.
Er nahm ihr den Eimer ab, er dankte ihr, sagte ihr tausend zärtliche Worte; man vergaß gern, daß der Himmel nicht hell war: war es doch hell in beider Brust.
Es fielen einzelne große Regentropfen vom Himmel . . . sie empfanden es nicht.
Der warme Mairegen durchnäßte sie endlich stärker, und nötigte sie zur Flucht in die Felsgrotte hinter dem Gehege-Brunnen, wo sie wohl eine halbe Stunde ausharren mußten.
Sie ertrugen den kleinen Unfall ohne Verdruß. Als der Mond durch die Wolken brach, traten sie Hand in Hand hervor. Heinrich nahm den gefüllten Wassereimer auf seinen Kopf; Florette ging neben ihm, auf seinen Arm gestützt.
So kamen sie zum Hause des alten Lukas, welcher schon schlief. Heinrich gab den Eimer an Florette, und sie dankte ihm für die Mühe.
»Gute Nacht, Du süße Florette!« lispelte er. »Gute Nacht, Du lieber Freund!« lispelte sie.
Der Abend am Brunnen schien beiden nicht langweilig gewesen zu sein, denn ob heller oder trüber Himmel, sie fehlten von nun an dort nie um die neunte Stunde.
So verflossen vier Wochen des schönsten Frühlings, an denen alle Abende der Prinz den Eimer seiner Geliebten zu ihrem Hause trug.
Florettens Vater bemerkte nicht, daß seine Tochter seit jenem ersten Abend Lust daran fand, ihren gewöhnlichen Gang zum Brunnen so spät zu machen.
Hingegen ward der weise Lagaucherie gewahr, daß sein königlicher Zögling regelmäßig zu einer bestimmten Stunde bei eintretender Dunkelheit verschwand und daß der Oberteil von dessen Barett alle Abende naß war, es mochte der Abend auch noch so regenlos gewesen sein. Lange konnte er das Rätsel sich nicht lösen. Der junge Fürst sprach nie von seinem Thun; also mied auch Lagaucherie, ihn zu fragen. Doch kam ihm die Sache gar sonderbar vor, und die benäßte Kappe des jungen Fürsten erregte seine Neugier. Diese zu befriedigen, schlich er eines Abends dem Nachtwandler nach. Er folgte ihm in solcher Ferne, daß er von ihm nicht leicht entdeckt werden konnte. Er sah ihn am Born des Geheges, sah dort eine weibliche Gestalt; beide wurden unsichtbar.
Nun war dem Hofmeister ein Teil des Rätsels gelöst, doch immer blieb es noch unerklärlich, warum eben das Barett des Prinzen dabei naß werden müsse. Er hatte schon lange gewartet, schlich näher und näher und hörte ihr Geflüster. Nach einer guten Weile sah er, wie der Fürst von Bearn, einen Eimer Wasser auf dem Kopf und das Mädchen auf seinen Arm gestützt, den Weg zum Häuschen des Schloßgärtners nahm, und wie er dann von da in vollem Sprunge zum Schlosse lief. Der alte Hofmeister schüttelte bedächtig den Kopf und vertraute seine Beobachtungen insgeheim der Königin. Die Mutter wurde verlegen und zürnend und wollte ihrem Sohne eine strenge Predigt halten.
»Nein, hohe Frau,« sagte der weise Lagaucherie, »durch Predigten tötet man keine Leidenschaft; mit Strafen und Verfolgungen erhöht man ihren Reiz; durch Beschränkungen schwellt man den Strom nur gewaltiger! Man besiegt die Versuchung am besten durch Flucht vor derselben; man vernichtet Leidenschaften, wenn man ihnen die Nahrung entzieht, oder statt ihrer edlere Neigungen erweckt.«
So sprach Lagaucherie. Die Königin verabredete mit ihm die Maßregeln, indem sie ganz seinen Ansichten beistimmte.
Lagaucherie trat am folgenden Morgen zum Prinzen und erinnerte ihn, daß die Welt nun Thaten von ihm verlange; daß er im Kampfe, sei es mit Widerwärtigkeiten des Schicksals oder mit den eigenen Neigungen seines Gemüts oder mit Feinden auf dem Schlachtfelde nur einen Wahlspruch haben könne, der der Grundsatz aller Religion und alles Ruhmes sei und heiße: Siegen oder Sterben. Nach diesem Eingang kündigte ihm Lagaucherie ganz gleichgültig an, daß die Königin nebst dem Hofe sich des andern Tages auf das Schloß von Pau begebe, daß Heinrich dort, in seinem Geburtsort, nur kurze Zeit bleiben und dann nach Bayonne reisen werde, um der Zusammenkunft des Königs von Frankreich mit der Königin von Spanien beizuwohnen.
Heinrich hörte schweigend die Mitteilungen seines Lehrers.
Seine Mienen verrieten große Verlegenheit und Lagaucherie sah es wohl, aber er stellte sich, als nähme er nicht das Geringste wahr. Er richtete unbefangen das Gespräch auf andere Gegenstände und zerstreute den Prinzen mit allerlei Nachrichten und Erzählungen, so daß dieser kaum Zeit behielt, an das zu denken, was ihn so erschreckt hatte.
Die Königin ihrerseits that wie Lagaucherie. Sie sprach viel von der glänzenden Versammlung zu Bayonne; von den Festen, die dort stattfinden würden, von den berühmten Männern, die Heinrich daselbst sehen würde.
Was konnte Heinrich erwidern?
Es war für ihn nicht daran zu denken, allein in Nerac zu bleiben. Wie hätte er nur sagen dürfen, warum ihm die Zusammenkunft am Gehege-Brunnen unendlich mehr wert sei als die königliche zu Bayonne.
Mit dem Abendstern am Himmel stand der junge Prinz am Brunnen des Schloßgartens; auch Florette schwebte herbei. Als er ihr aber die nahe Trennung ankündigte, verging sie fast im Schmerz. Wer könnte ihre Verzweiflung schildern, wer beschreiben, was Heinrich litt? Einander fest umklammert haltend, weinten sie, beklagten und trösteten einander.
»Du verlässest mich nun, Heinrich!« sagte sie schluchzend. »Nun wirst Du mich vergessen. Ich bin allein auf Erden. Nun Du, mein süßes Leben fliehst, bleibt mir nichts süß als der Tod!«
»Aber,« sprach er, »ich scheide nicht auf ewig; ich kehre wieder. Wem gehöre ich, wenn ich nicht Dir angehöre? Ich bin ja nicht mehr mein Eigentum, weil ich nun und ewig das Deine bin. Was soll ich denn im Gedächtnis behalten, wenn ich Dich vergessen könnte? Du bist ja die Seele meiner schönsten Erinnerungen; wenn ich Dich vergesse, habe ich das Atmen selbst vergessen.«
»O Heinrich, Du kehrst nicht wieder, und kehrst Du wieder, wirst Du Floretten nicht mehr kennen! Ich werde verwelken, wie die Blume ohne Tau. Du bist meine Sonne; wie soll ich gedeihen, wenn Du verschwunden bist?«
»Nein, Florette, Du bist glücklicher denn ich! Dir bleibt noch der Schauplatz unserer Seligkeit, Dir dieser Brunnen, dieser Garten. Ich lebe in allen diesen Blumen für Dich; aber morgen, wenn ich Dich verloren habe, bin ich aus dem Paradiese gestoßen. Ich bin in einer Wüste, unter tausend Menschen einsam; darum wird meine Sehnsucht heftiger nach Dir zurückstreben. Ach, nur ein einziges Blümchen, das am Fuße dieses Baumes geblüht hat, würde mich in der Ferne entzücken! Wenn meine Umgebungen mich hassen oder fürchten, werden Dich die Deinigen lieben! O, wie bist Du so schön! Wer sollte Dich nicht lieben! Andere werden Dich vergöttern; andere Männer werden Dir begegnen, Dich anbeten. Ach, Du wirst andere liebenswürdiger finden!«
So sprachen sie lange. Thränen, Schwüre, Liebkosungen, neue Zweifel, neue Beruhigungen folgten einander, bis die Glocke des Schloßturms den Prinzen abrief und beide zum scheiden mahnte.
Da ergriff Florette mit Heftigkeit Heinrichs Hand, drückte sie an ihr Herz und sprach:
»Siehst Du diesen Brunnen? Da, immer da wirst Du mich finden; immer und ewig wie heute! Und, Heinrich . . . sieh, wie dieser Quell sein unversiegbares Leben hinströmt, so meine unversiegbare Liebe, Heinrich. Ich kann aufhören zu leben, aber nicht zu lieben! Du findest mich wieder, immer wie heute; immer da, immer da!«
Sie entfloh.
Der jugendliche Fürst schwankte durch den Schloßgarten hin, schluchzend und elend.
Die Zerstreuungen der Reise thaten seinem Gemüte wohl; er besiegte seinen Schmerz.
Die fünfzehn ersten Monate, welche auf den letzten Augenblick am Gehege-Brunnen folgten, erfüllten sein Gemüt mit anderen Sorgen. Im Getümmel der Parteien, die Frankreich damals zerrissen, auf den Schlachtfeldern, entwickelte sich die ganze Fülle seiner Thätigkeit, seines heldenmütigen Sinnes, der ihm nachmals einen unsterblichen Namen gewann. Schon jetzt war der junge Held die Bewunderung aller Tapfern geworden, und die Ehrenfräulein am Hofe der Katharina von Medicis trösteten ihn mehr, als nötig war, über Florettens Verlust.
Die liebenswürdige Florette vernahm den Ruhm ihres Geliebten und wie jedermann ihn pries. Er war nicht mehr der Gärtner, welcher an ihrer Seite Blumen pflanzte; er war der Kriegsmann, welcher umherzog. Lorbeeren zu ernten. Sie hatte nur den Heinrich, nie den Fürsten von Bearn geliebt. Seine glänzende Verwandlung erregte weniger ihre Bewunderung, als ihren Kummer, denn sie erfuhr auch, wie die Schönen am Hofe ihn umgarnten und wie er, nur allzu flatterhaft, bald der einen, bald der andern angehörte.
Florette hatte in der Welt nur einen Menschen gekannt und geliebt; dies war Heinrich. Nun verlor sie, mit dem Glauben an ihn, den Glauben an die Menschheit . . . darüber brach ihr Herz. Was gekommen war und kommen mußte, hatte ihre Vernunft vergebens vorhergesehen.
Auf seinen Zügen kam er endlich auch wieder einmal nach Nerac.
Da sah sie den Fürsten von Bearn einigemale mit dem schönen Fräulein von Ayelle im Garten und Gehege lustwandeln. Sie konnte ihrer Begierde nicht widerstehen, beiden auf ihrem Wege zu begegnen.
Der Anblick Florettens, die, wenn auch blaß und leidend, in ihrer Schwermut nur noch schöner war als ehemals im Glanz ihrer Freude, weckte in dem jungen Fürsten plötzlich alle Erinnerungen der ersten Liebe. Er wurde unruhig. Das Fräulein an seiner Seite, die Nähe der Höflinge verhinderten ihn, sich seinen Wünschen hinzugeben, aber am folgenden Morgen, als er den alten Lukas im Garten sah, schlich er zu dessen Haus und fand Floretten allein. Die zu schnelle Heimkehr des Vaters hinderte ihn, sich lange mit ihr zu unterhalten. Er bat um nur ein Stündchen am Gehege-Brunnen. Sie antwortete, ohne die Augen von ihrer Arbeit aufzuschlagen:
»Um acht Uhr diesen Abend werde ich dort sein!«
Er eilte davon, er war wieder der Ehemalige. Seine ganze Seele brannte für Floretten; er konnte die Stunde kaum erwarten.
Es war dunkel; es schlug acht Uhr. Durch die geheime Pforte der Burg begab er sich, um niemandem zu begegnen, auf Fußwegen, die er wohl kannte, durch's Gebüsch.
Er kam zum Brunnen. Sein Herz pochte gewaltig, denn Florette war noch nicht erschienen
Er wartete einige Minuten. Das Säuseln der Blätter in der Nachtluft schreckte ihn mehrmals freudig auf und schon breitete er die Arme aus, ihr entgegen zu fliegen, sie an sein Herz zu nehmen. Aber sie war es nicht. Ungeduldig ging er auf und ab; da bemerkte er unweit des Brunnens in der Finsternis etwas Weißes, wie einen Teil ihres Gewandes. Er eilte dahin; es war ein Blatt Papier, nebst dem Pfeil und der durchbohrten Rose. Das Papier war beschrieben; die Dunkelheit der Nacht hinderte ihn, es zu lesen.
Erschrocken, unruhig. bewegt, flieht er zum Schlosse zurück und seufzt:
»Wie? Sie kommt nicht? Sie sendet mir den Pfeil wieder, weil sie mich nicht mehr liebt?«
Er las die Schrift . . . nur die Worte: »Ich habe Dir versprochen, Du werdest mich an der Quelle finden; vielleicht gehst Du vorbei, ohne mich zu sehen. Suche besser; Du findest mich gewiß! Du liebst mich nicht mehr, darum lebe ich Dir nicht mehr. O mein Gott, vergieb!«
Heinrich erriet den Sinn der Worte; der Palast widerhallte von seinem Rufen.
Man läuft auf das Geschrei des Fürsten herbei; Diener mit brennenden Fackeln begleiten ihn zum Born des Geheges . . .
Warum die traurige Erzählung verlängern? Der Leichnam des schönen Mädchens wurde in dem Weiher gefunden, welchen das Wasser der Quelle bildet . . .
Man begrub sie zwischen zwei jungen Bäumen.
Der Schmerz des jungen Fürsten war ohne Grenzen.
Heinrich IV. ist noch jetzt der Abgott des französischen Volkes. Er verrichtete große Dinge; er erlebte, gewann und verlor viel, aber ein Herz, so rein und lieb und treu wie Florettens, gewann er nicht wieder. Und die schmerzliche Erinnerung an diesen Engel verlor er nie.
Das war die erste Liebe Heinrichs IV., das die einzige.
So liebte er nie wieder!