Aus:
Max Slevogt. 96 Reproduktionen nach seinen Gemälden
Mit einem Vorwort von Karl Voll
Der vorliegende Band gilt der Tätigkeit, die Max Slevogt als Maler bis zum Jahre 1908, d. h. bis zu seinem 40. Lebensjahr entfaltet hat. Das Buch sollte schon vor drei Jahren erscheinen, konnte aber von Herrn Dr. Braune, der es übernommen und der das Material nach Slevogts Angaben zusammengebracht hatte, nicht fertiggestellt werden. Obschon nun seit dem Jahre 1908 Slevogt noch eine ziemlich große Anzahl von Bildern geschaffen hat, sind sie nicht in diesen Band aufgenommen worden, zum Teil deswegen, weil die ursprünglich angesetzte Zeitgrenze eingehalten werden sollte, vor allem aber weil es scheint, daß eine neue Wandlung in der Schaffensweise des Künstlers gerade um das Jahr 1908 eingetreten ist. Diese Bilder mögen ein andermal, wenn ein freierer Überblick möglich ist, mit der noch zu erwartenden Produktion des Malers zusammengefaßt werden.
Oben wurde schon angedeutet, daß wir uns hier auf jene Seite von Slevogts Tätigkeit beschränken, die seine rein malerischen Interessen verkörpert. Was er sonst noch geschaffen hat, seine selbständigen Zeichnungen und hauptsächlich seine Illustrationen, das kann alles hier nicht berücksichtigt werden. Es werden trotzdem keine wesentlichen Züge fehlen; denn es geht nicht an, ihn, so wie es früher geschehen ist, nur als Koloristen, oder so, wie es jetzt mitunter geschieht, ihn hauptsächlich als Zeichner aufzufassen. Ob Slevogt malt oder ob er zeichnet, so ist es immer der gleiche Künstler, den wir vor uns haben, und es ist im natürlichen Sinne des Wortes immer die gleiche Anschauung, die seinen Werken die charakteristische Form gibt. Durch die Beschränkung auf die Gemälde wird der Umfang des Bandes verringert, aber der Beschauer erhält im wesentlichen die gleichen Eindrücke, die er bekommen hätte, wenn auch noch die Zeichnungen und Lithographien herangezogen worden wären.
Das war in alter Zeit nicht bei jedem Malerzeichner, wie der Fachausdruck lautet, so gewesen, und es ist auch heute nicht bei jedem so. Wenn wir bei Slevogt aber trotz der Verschiedenheiten, die der Wechsel in den Techniken und in den Darstellungsgebieten mit sich bringt, eine solche Einheitlichkeit des Stils beobachten, so hat das seinen Grund in der besonderen Stellung, die er innerhalb der neueren deutschen, man darf auch wohl sagen : innerhalb der neueren europäischen Kunst einnimmt, und die wir an der Hand des Bilderbandes kurz zu charakterisieren versuchen wollen. Er ist ein Künstler, bei dem sich die sachliche, fast wissenschaftlich reine Beobachtung verbindet mit der unmittelbaren poetischen, phantasievollen Freude am Stoffe, den er jeweilig zu behandeln hat. Gleichviel ob er ein Porträt oder eine Landschaft, einen Akt oder ein frei ersonnenes Märchenstück malt oder zeichnet, so sind immer die beiden Kräfte für die Eigenart des Werkes verantwortlich, die herbe Aufrichtigkeit in der Schilderung des Sichtbaren und Charakteristischen und dann das fast ausnahmslos sehr freudige menschlich-poetische Interesse am Objekt.
Das sind zwei Eigenschaften, die sich nicht immer gut miteinander vertragen: aber sie sind es, die in ihrer Verbindung das Wesen von Slevogts Kunst ausmachen. Gewohnheit, Routine und Ausnützung eines als glücklich erprobten Schemas haben bei seiner Schaffensweise keinen Platz, ebensowenig wie das ängstliche Ringen um ein Problem, wo das Ziel höher gesteckt ist, als die Kraft des Künstlers erlaubt. Wer den vorliegenden Band auch nur flüchtig durchblättert, wird bemerken, daß eine konsequente fortschrittliche Steigerung der künstlerischen Leistung vorliegt, aber auch daß schon die frühen, gewöhnlich ungemein sorgfältig durchgearbeiteten Gemälde in ihrer Art fertige, fast möchte ich sagen reife Werke darstellen.
Das ist in neuerer deutscher Kunst etwas Seltenes, insofern als die innere Geschlossenheit der frühen Werke sich sonst gewöhnlich nur bei Künstlern von mehr oder weniger einfacher Produktion findet, die das Glück hatten, schon in der Jugend den Ton zu finden, bei dem sie für immer bleiben konnten. Aber das ist nun ja das Entscheidende bei Slevogt, daß er sich selbst wohl immer treu, doch niemals bei einem Prinzip, niemals auch bei einem noch so vorteilhaften Schema stehen blieb, sondern immer wieder neue Probleme aus den alten entstehen ließ. Darin liegt auch das Wesen seines Verhältnisses zur heutigen Kunst begründet. Er ist der konsequenteste Vertreter der Tendenzen, die seit ungefähr dem Jahre 1890 zunächst die Münchener, dann die gesamte neuere deutsche Malerei beherrschten. Ob das ein Lob ist, hat die Zukunft zu entscheiden, die Tatsache aber bleibt wohl bestehen.
Unsere sogenannte moderne Kunst ist so vielgestaltig wie die menschliche Tätigkeit immer sein muß, wenn sich mit dem freien Bewegungstrieb die ungeheuer lange Tradition der gesamten historisch bekannten Entwickelung verbindet. Unsere Künstler mögen noch so selbständig sein, so können sie nicht mehr mit jener Unbefangenheit arbeiten, die noch vor 100 Jahren die Regel war. Wie sehr sich einer auch abschließen mag, so bringen ihm die illustrierten Revuen und Bücher, die Ausstellungskataloge und sogar die Tageszeitungen die Kenntnis nicht nur von dem Wesentlichen, was heutzutage in den Hauptsitzen der Kunst gemacht wird, sondern auch von dem, was jemals geschaffen worden ist. Darum haben wir heute eine ungemein reich entwickelte Vielgestaltigkeit der Kunst; denn jeder nimmt aus den zahlreichen unvermeidlichen Anregungen, die er selbst wider seinen Willen erfährt, das heraus, was ihm entweder wirklich not tut oder was er nötig zu haben glaubt, und verbindet es mit dem, was ihn seine Begabung oder seine Schule zu tun treibt. Diese Mannigfaltigkeit ist viel beklagt worden, aber sie ist nicht zu vermeiden, und deshalb sollte sie auch nicht getadelt werden. Sie sollte es um so weniger, weil sich auch heute die schwere Kraft jenes Hauptgesetzes der künstlerischen Entwickelung zeigt, daß jede Zeit einen bestimmten Charakter trägt oder, wenn man das edlere und zugleich richtigere Wort gebrauchen will, einen bestimmten Stil hat. Trotz all dem bunten Vielerlei der Erscheinungen lassen sich bestimmte Züge erkennen, die der heutigen Kunst besonders lieb sind, und die sich immer wieder, wenn auch nicht vereint, finden. Das ist vor allem eine ausgesprochene Freude an der reinen farbigen Wirkung, das ist ferner ein mehr oder weniger rücksichtsloses Streben nach möglichst absoluter Richtigkeit und endlich eine dichterische Haltung, die häufig genug bis zum Übermaß betont wird. Diese drei Hauptzüge der neueren Kunst müssen, wenn sie sich in geeigneter Mischung zusammenfinden, und wenn sich ein Temperament von besonderer Eigenart dazu gesellt, ein Resultat geben, in dem bis zu einem hohen Grad die Gegenwart ihren künstlerischen Typus erkennen darf. Bei Slevogt scheint nun das der Fall zu sein.
Dem widerspricht nicht, daß in früheren Jahren und auch heute manch einer nicht mit Slevogts Tätigkeit einverstanden war oder ist; denn nicht so wie ein frommer, weitverbreiteter Aberglaube will, bewegt sich die kunstgeschichtliche Entwickelung in sanftem Rhythmus und glatter Aufeinanderfolge der Generationen, sondern wie alles, was die Menschheit sich erringt, wird auch jeder Fortschritt in der Kunst nur im harten Kampf erreicht. Mögen auch die Folgen nicht so schwer sein und nicht so offen zutag liegen wie bei den politischen Kämpfen, so darf man doch wohl sagen, daß der Gegensatz der Geister sich auf künstlerischem Gebiet nicht weniger hart äußert. Und darum werden gerade diejenigen, die etwas Neues, dem bis dahin geltenden Stil in irgend einer Richtung Entgegengehendes zu sagen haben, immer besondere Mißbilligung erfahren, werden diese Mißbilligung gerade von den offiziellen Kreisen erfahren, bis – nicht etwa eine Einigung erzielt – aber doch wenigstens so viel erreicht ist, daß dem Neuen sein Daseinsrecht zugestanden wird, was ja dann mit großer Begeisterung zu geschehen pflegt.
Derartige Erwägungen finden sich in den Biographien großer Künstler oft, so daß sich im Publikum eine recht larmoyante Ansieht von den moralischen, wohl auch materiellen Nöten gebildet hat, die gerade die besten Meister in ihrer Anfangszeit durchmachen müssen. Das ist nicht berechtigt. Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Die tatsächlich bestehende Gegnerschaft der alten Kunstrichtungen gegen die jeweilig heraufkommenden neuen verliert vieles von ihrer Wirkungskraft durch den fröhlichen Sinn der Jugend, durch den Korpsgeist, der die verwandten Geister instinktiv immer wieder zusammenführt, oder wenn wir den Fall auf ein trockenes Gesetz bringen dürfen: der Widerstand des Alten gegen das Neue wird dadurch illusorisch, daß das Neue niemals von einem Einzigen hervorgebracht wird. Die großen Neuerer sind nicht singuläre Erscheinungen, sie sind nur die Besten und die Erfolgreichen unter einer meistens sogar sehr großen Schar von Gleichgesinnten.
Das ist nun Slevogts Stellung inmitten der Münchener Kunst in den Jahren 1890 – 1900; er war wohl das Ziel sehr heftiger Angriffe, stand aber auch im Mittelpunkt derjenigen, die gegen die bis dahin geltende Art der Münchener Schule Stellung nahmen. Die direkten Schüler von Piloty beherrschten damals den Geschmack und auch den Kunstmarkt. Es war schwer gegen sie aufzukommen; denn sie hatten ein Ansehen, wie es nur selten einmal einer Künstlerschule geschenkt worden ist. Was an hohen und hehren Begriffen im Künstlertum tätig ist, schien in ihnen verkörpert zu sein, und in der Tat wurde nicht an Vergleichen mit den größten Meistern der Vergangenheit gespart. Wie schwer es nun auch war, gegen den außerordentlich gut organisierten Betrieb der Pilotyschule anzukämpfen, so mußte es doch geschehen; denn ihre Zeit war vorbei. Jeder Stil und jede Richtung, wie gut und wie verderblich, wie groß oder wie verächtlich sie auch seien, hat nur eine kurze Zeit der Blüte. So kamen nach den Pilotyschülern andre Maler, die nach dem unabänderlichen Laufe der Dinge gerade das Gegenteil von dem wollten, was ihre Vorgänger am deutlichsten gekennzeichnet hat; an Stelle der dunkeltonigen, mit geheimnisvoller Unklarheit der Farbe und der Form arbeitenden Schule kam der neue Stil auf, der die klare Farbe, scharfe Form und gar nichts von dem altmeisterlichen Nimbus wollte, der eben die Pilotyschule gekennzeichnet hat. Soweit junge Künstler am Werke waren, ist Slevogt der Stärkste gewesen. Wenn man aber die Bewegung in ihrer historischen Entwicklung betrachtet, so kann ihm natürlich die Rolle eines Führers nicht zuerkannt werden; denn vieles von dem, was diese Jungen damals wollten, hatten andere schon vorher versucht und auf ihre Weise auch schon erreicht: Leibl und seine ganze Gruppe einerseits und Böcklin, der gerade in den neunziger Jahren seine höchste Popularität erlangte, anderseits.
Der Fall liegt aber doch nicht so einfach, daß man mehrere scharf erkennbare Strömungen annehmen dürfte: die der Pilotyschule, die der Realisten und die Böcklinsche. In der kunstgeschichtlichen Entwickelung flechten sich immer sehr verschiedene Tendenzen durcheinander. So ist nun auch Slevogt in mancher Beziehung ein Enkelschüler von Piloty, obschon er gewiß als geschlossene Erscheinung genommen ihr Antipode ist. Kr war ein Schüler von Wilhelm Diez, in dessen Atelier an der Münchener Akademie er in den letzten Jahren vor 1899 eine bevorzugte, von Diez selbst unbefangen anerkannte Stellung einnahm, bis endlich Lehrer und Schüler sich, soweit die künstlerischen Interessen in Betracht kamen, mit namhaftem Mißtrauen gegenüberstanden. Slevogt war noch in der letzten Zeit seiner Zugehörigkeit zur Diezschule auf neue Probleme gekommen. Sie wurzelten alle in dem Grundsatz, daß er das säuberliche Polieren und Emaillieren der Hauptpartien aufgab, das Diez auf Kosten der mit Unrecht sogenannten Nebensächlichkeiten pflegte, daß er auch im Gemälde nicht die scharf herausgehobene, an Bleistiftmanier erinnernde Zeichnung anwandte, die in der Diezschule kultiviert wurde und daß er eben auf eine voll in den Farben modellierte Form ausging. Diez hat das mit Sorgen und schließlich wohl auch mit Verdruß gesehen. Er hatte gerade auf Grund der mit unendlich vielen freien, phantasievollen Zeichnungen gefüllten Skizzenbücher, die Slevogt ihm vorlegte, gehofft, daß der junge Novize sich besonders gut der Art des Lehrers anpassen werde, der ja nicht ohne Grund auf seine eigenen Zeichnungen so stolz war. Slevogt aber, der im Laufe der Zugehörigkeit zur Diezschule zu so ganz anderen Ansichten gekommen war, bedauerte es voll Unmut, daß der Lehrer ihm nun verständnislos gegenüberstand und ihm nicht bei den neuen Bestrebungen helfen konnte.
Trotz dieser Entfremdung ist es doch eine Tatsache, daß Slevogts Bilder noch ein volles Jahrzehnt immer wieder die Nachwirkung der Lehren des berühmten Professors zeigten. Eine gewisse dunkle Haltung der Farbe und ein mehr warmer als naturwahrer Ton sind noch lange Zeit, nachdem Slevogt die Münchener Akademie verlassen hatte, fast allen seinen Bildern eigen, und gerade diese Erbstücke der Schule sind es, die in den ersten Jahren der Selbständigkeit ihm künstlerische Gegner schufen. Das klingt paradox, ist aber ein historisches Faktum, und wohl kaum anders zu erklären, als daß diese Nachwirkung aus der Akademie schlecht genug zu dem paßte, was er an Eigenem anstrebte und auch wirklich brachte. Sie beeinträchtigte die Wirkung des Neuen.
Charakteristisch für Slevogt ist es, daß er sich zunächst in den Kreis seiner Familie und Freunde zurückzog und im wesentlichen Porträts malte. Ab und zu machte er wohl auch Aktstudien; aber das Porträt sagte ihm am meisten zu. Er wollte, was er noch heute will, die unverkünstelte, natürliche Form, und wo konnte er sie besser studieren als bei den Personen seines täglichen Umgangs, die er genau kannte, und die ihm auch bessere, in der Belebung reichere Motive gewähren konnten als die Berufsmodelle, die so oft die unbefangene Bewegung und Haltung verlernt haben! Wir geben einige dieser Bildnisse wieder, die alle im Arrangement den engen Zusammenhang mit der Münchener Schule zeigen, was man besonders deutlich an dem sehr schönen Familienbild vom Jahre 1890 sieht. Man wird aber an diesen Gemälden, die seinerzeit, als sie im Kunstverein ausgestellt wurden, einstimmige Mißbilligung bei Presse und Publikum gefunden haben, über dem Alten nicht jene Züge übersehen können, die für Slevogt noch heute charakteristisch sind: die außerordentlich individuelle Behandlung des Porträts, die reiche Innerlichkeit der Auffassung und die schwere Wucht der Form, vor allem die Wärme der Darstellung, wo gar keine künstlichen Zutaten dem Bildnis jenen Charakter geben, den das Publikum interessant nennt. Diese Einfachheit war im wesentlichen innerhalb der damaligen Münchener Schule das Neue. Sie war auch das Verpönte. Heute sind zwanzig Jahre über diese Bildnisse dahingegangen, und mancher der Dargestellten lebt nicht mehr, gehört wohl auch wie der verstorbene geistreiche Musikschriftsteller Theodor Goering der Geschichte der Münchener Kultur an. Wir sehen nun die Porträts mit anderen Augen an, und gerade vor Goerings Bilde, das den beweglichen Mann am Flügel beim kapriziösen Klavierspiel zeigt, sind wir heute von der Fülle der Lebenswahrheit überrascht. Warum hat man sie nicht damals bemerkt, als Goering selbst noch frisch unter den Münchenern weilte!
Im Anfang der neunziger Jahre erlebte die Münchener Sezession ihren Frühling, der wohl allen unvergeßlich bleiben wird, die ihn miterlebt haben. Damals auch kam Böcklin auf den Zenith seines Erfolges und Ruhmes, nicht zum wenigsten durch die Propaganda, die die Sezessionsausstellungen für ihn machten. Es war in der Tat ein ungewöhnlich interessanter Kontrast zwischen der bunten Vielfältigkeit von Böcklins poliertem Kolorit und der immer ins Dunkle und Tonige gebrochenen Münchener Malerei, Slevogt hatte viele Freude an Böcklins Bildern, vor allem zwar an der unbesorgten kräftigen Menschlichkeit der Gesinnung, die sich in ihnen ausspricht, aber auch Gemälde wie der Abenteurer, die Nacht oder die große Piëtà hatten rein malerisch eine ziemlich starke Wirkung auf ihn ausgeübt. Er stand ja damals in ausgesprochenem Gegensatz zu der Diezschule, und nun stellt sich die seltsamste Mischung ein, die wir uns denken können, und die doch ganz selbstverständlich ist. Der Grund von Slevogts künstlerischer Natur ist poetisch, und durch Böcklins stimmungsvolle Konzeptionen wurde diese Quelle freigelegt. Wenn dann späterhin Slevogt eine Farbenauffassung vertreten lernte, die mit der von Böcklin nichts mehr zu tun hat, wenn er sich späterhin gegen Böcklin als Koloristen ablehnend verhielt, so ist es doch Tatsache, daß der ehemalige Diezschüler nun von Böcklin angeregt wurde. Aber es wäre sehr unvollständig, seinen damaligen Stil nur aus diesen zwei Faktoren zu erklären: das Wesentliche, allerdings auch sehr Merkwürdige ist, daß gerade zur Zeit, wo Böcklin ihm sehr viel gab, Slevogt das gleiche tat, was er im Atelier von Wilhem Diez getan hatte und daß er auf der einen Seite von Böcklin wohl nahm, was für ihn zu nehmen war, und doch bereits auf der anderen Seite Widerspruch gegen ihn erhob. Es gibt aus dem Jahre 1894 und dann aus dem besonders fruchtbaren Jahre 1895 eine große Anzahl profaner und religiöser Bilder, die alle unter dem Einfluß von Böcklins Poesien, zum Teil auch von Böcklins Kolorit stehen: so der höchst energische Ecce homo von 1894, die idyllische Szene von Josef und Maria, die üppigen Bilder von Frau Aventiure, vom Totentanz und endlich von der Salome, die Slevogts erster Verkaufserfolg gewesen ist; aber ihnen stehen rein sachliche Werke von ganz unböcklinischem Charakter gegenüber, wie die Ringer, Homo sapiens und ein außerordentlich durchgearbeitetes Selbstbildnis aus dem Jahre 1895. Es ist kein Zufall, daß sich hier solche Gegensätze berühren. Bei der Eigenart von Slevogts künstlerischem Naturell mußte gewissermaßen automatisch ein Gegengewicht gegen jene von Böcklins Einfluß begünstigten dichterischen und erzählenden Tendenzen in Funktion treten. Schon in diesen noch von allen Beschwerden der jugendlichen Entwickelung erfüllten Jahren zeigt sich des Künstlers Stellung innerhalb der neueren Malerei ganz deutlich: einen Ausgleich zu schaffen nicht nur zwischen den verschiedenen, zum Teil widerspruchsvollen Kräften, die in seinem persönlichen Naturell liegen, sondern auch die so lange feindlich gegeneinander strebenden Hauptströmungen der deutschen Kunst in ein gemeinschaftliches Bett zu lenken. Wer kann angesichts der frühen religiösen Bilder die hochpoetische Stimmung leugnen, wie sie von Cornelius und Schwind aus der ersten Hälfte des 19, Jahrhunderts bis auf unsere Zeit hinübergegangen ist, und wer sieht nicht den entschlossenen, zu keiner Konzession zu bewegenden Realisten im Homo sapiens, den Nachfolger von Leibl in den Ringern; aber wer sieht nicht auch, dass alle diese Werke unter sich etwas Gemeinschaftliches haben, sich als eine geschlossene Einheit darstellen. Die Figuren der religiösen Bilder, die so ganz frei erfunden zu sein scheinen, sind Porträts oder beruhen wenigstens auf Porträts, die realistischen Gestalten aber, die wie die Ringer so ganz und gar des Körperstudiums wegen gemacht sind, bekamen doch immer auch eine innere Lebensfülle, durch die sie über die Studie weit hinausgehen. Man sieht das vielleicht am besten bei dem in seiner Art erschütternden Bild aus dem Jahr 1895, das eine ehemalige Zirkustänzerin darstellt. Die verhärmte Frau, die aus den durch Not und Elend groß gewordenen Augen in das Leere schaut, die nochmals um die abgezehrte Figur den kümmerlichen Flitter der Manege hängt, steht vor uns nicht nur als eine in jeder noch so leisen Biegung der Gestalt ungemein scharf beobachtete Erscheinung, sondern als der Typus einer verwelkten Frau aus dem fahrenden Volk. Der Titel Zirkustänzerin erweckt wohl anmutigere Vorstellungen, und so ist all die Herbheit gerade der Formen dieses Bildes mit Veranlassung gewesen, daß damals Slevogts Kunst für technisch sehr leistungsfähig, aber doch für brutal galt. Noch lange danach wurde in den offiziellen Münchener Kreisen der Maler mit dem Beinamen der Schreckliche versehen.
In einem engeren Kreise fand man aber schon gleich beim Entstehen diese Bilder nicht schrecklich, sondern rühmte an ihnen die menschlich reiche Auffassung, die scharfe Form und vor allem das, wodurch sie sich im Laufe der Zeiten auch eine fast allgemeine Anerkennung errungen haben: das leuchtende Kolorit.
In der Farbe liegt nun auch, wenn wir das Werk des Künstlers im Zusammenhang sehen, das Verdienst. Noch begegnet man damals immer wieder den schwärzlichen Tönen der Diezschule: aber aus ihnen heraus funkelt und schimmert ein mitunter schon sehr üppiger Glanz der Farbe, und immer mehr kündigt sich das ganz neuzeitliche Streben an, die Formen bei aller Beweglichkeit und Schärfe ohne Hilfe von erklärenden zeichnerischen Mitteln bloß auf die Farben zu stellen, sie impressionistisch aufzulösen und das Bild aus lauter Farben aufzubauen.
Hier sei eine Zwischenbemerkung eingeschaltet, die erklären mag, warum heute Slevogts Frühwerke so sehr geschätzt werden und warum sie in ihrem Hauptwert bei ihrem Entstehen nicht erkannt wurden. Sie sind gewiß von Anbeginn im wesentlichen farbig gedacht: aber die Schönheit der Farbe hat sich doch erst im Laufe der Jahre herausgebildet. Slevogts Bilder wachsen farbig, wie man zu sagen pflegt, außerordentlich gut zusammen. Wenn sie einige Jahre alt sind und das Material sozusagen nicht mehr nach der Tube riecht, dann erst kommt die Intention des Künstlers ganz klar heraus. Ich spreche dabei aber nicht von der Patina, die ja so sehr viel für das gute Aussehen der Gemälde zu tun pflegt; denn dafür sind diese Bilder noch nicht alt genug.
Slevogt mag instinktiv, während er die Zirkustänzerin malte, sich gesagt haben, daß dem Begriff des Wortes noch auf vielerlei Weise nahezukommen sei; jedenfalls hat er zur gleichen Zeit die Idee für eines seiner interessantesten Werke gefaßt, das leider nie ganz zur Ausführung gekommen ist. Er wollte ein Triptychon zu Ehren des Tanzes malen und hat auch in der Tat einige dazu gehörige Tafeln gemalt, die Tänzerin in Silber von 1895, die nackte und die in Gold von 1897. Nichts ist so charakteristisch für Slevogts temperamentvolle, oft so pompöse und nicht selten schwerfällige Kunstweise, als diese 3 Tafeln, die alles, was im Sujet liegt, mit einer kaum jemals übertroffenen Sachlichkeit und rassigen Empfindung fast restlos geben bis auf gerade jenen Punkt, den das Publikum wünscht. Sie haben alle nur denkbaren Vorzüge: aber sie sind nicht anmutig.
Es wäre nichts leichter, aber es wäre auch nichts trivialer als zu sagen, daß es des Künstlers gutes Recht nicht nur, sondern daß es seine Pflicht ist, so zu malen, wie er ein Sujet auffaßt. Es wird sich in Wahrheit hier um eine glänzende Eigenschaft handeln, die aber, wie so oft, durch eine gewisse Einseitigkeit sündigt, wohl auch sündigen muß. Wir haben es – wie überhaupt bei so vielen neuzeitlichen Kunstleistungen – mit einer ähnlichen Erscheinung zu tun, die seinerzeit der Kunst des 15. Jahrhunderts ihren Wert gegeben hat. Eine oft rührende, einfache Wärme der Auffassung, eine sehr starke Technik und ein seltener Blick für das Tatsächliche haben alle die großen Meister jener glänzenden Epoche ausgezeichnet: aber wie weit von leichter Anmut und darum auch wie weit von einer dem Ungeschulten ohne weiteres einleuchtenden Realistik sind diese großartigen Werke eines Jahrhunderts, das eben durch seinen Realismus sich die größten Verdienste erworben hat, und auf dessen Leistungen die heute noch nicht unterbrochene Tradition des Studiums der Natur beruht! Wir sind nicht blind gegen die Mängel dieser Kunst, aber wir nehmen sie nicht als Fehler, sondern als Altertümlichkeiten und wir rechnen sehr stark mit der Tatsache, daß jene Werke nicht nur eine gewisse ungelenke Herbheit haben, sondern auch den Beginn einer neuen Zeit in der Kunstgeschichte bedeuten.
Ähnliches scheint sich heute vorzubereiten, wenn es nicht schon bereits Tatsache ist. Darin mag nun auch die Erklärung dafür liegen, daß wir, die wir unleugbar einen starken Sinn für das Dekorative besitzen, die wir auch so viel Wert auf Feinheit und Eleganz legen, trotzdem sowohl in der hohen wie auch in der sogenannten angewandten Kunst immer wieder von Schwerfälligkeit enttäuscht werden. Was aber von unserer ganzen Zeit gilt, wenigstens soweit deutsche Verhältnisse in Betracht kommen, darf bei Einzelerscheinungen, die wie Slevogts Kunst für moderne Malerei besonders charakteristisch sind, weiter nicht auffallen.
Die im Jahre 1895 entstandene Danae ist vielleicht das beste Beispiel für die ganze Richtung. Das Bild ist jetzt ein Hauptstück der Sammlung Knorr in München. Es hat eine schon fast ganz reine, jedenfalls sehr leuchtende Farbe, die allerdings sich von dem eigentlich modernen Kolorit der späteren Bilder des Künstlers immer noch dadurch unterscheidet, daß sie zusammengestimmt ist und noch nicht den unmittelbaren frischen Natureindruck ohne Zutat wiedergibt.
Die Danae hat eine historische Bedeutung innerhalb Slevogts Werk und der Münchener Schule bekommen, von der hier berichtet werden muß. Das Bild stand jahrelang im Atelier und wurde erst im Jahre 1900 ausgestellt; aber es blieb nur sehr kurze Zeit in der Ausstellung. Es wurde eilig wieder entfernt, offenbar weniger noch weil es vielleicht als unsittlich, sondern weil es als gar zu »brutal« empfunden wurde.
Man hielt sich auch an den Titel Danae, suchte aus diesem das Bild zu erklären und kam dann angesichts der in den Formen sehr wenig schönen Schläferin und der alten am Fuße des Lagers sitzenden, auch nicht anmutigen Frau zu sehr unvorteilhaften Schlüssen über des Künstlers angebliche satirische Absichten. Hierin täuschte man sich sehr, wie man es ja immer tun wird, wenn man ein Kunstwerk nur von seinem erzählenden Inhalt aus beurteilt. Das Bild zerfällt seiner Entstehung nach sehr klar in zwei verschiedene Teile. Es war zunächst nur als Perspektivstudie in Farben nach einem Modell gedacht, dessen Figur wenig glücklich war, das aber eine selten reizvolle Hautfarbe hatte. Und Slevogt hat in dieser ruhenden Gestalt über Trübners bekannte Christusdarstellungen hinaus die Weiterführung jener Perspektivstudien gegeben, die uns zum erstenmal bei dem Mailänder Bilde des Andrea Mantegna entgegentreten. Um dem Bilde mehr Halt und dabei mehr Leichtigkeit zu geben, fügte Slevogt noch das Bildnis der Verwalterin des Hauses hinzu, in dem er damals wohnte, und so entstand schließlich ein Ganzes, dem er den Titel Danae gab, weil es nun einmal Sitte ist, den Bildern eine Bezeichnung zu geben. Alle erotischen und satirischen Momente, die man der Darstellung zugrunde legen wollte, sind ihr also durchaus fremd.
Die Danae bedeutet vielmehr in Slevogts Werk den Übergang zu einer neuen Formbehandlung. Schon einige Bildnisse aus dem Jahre 1895, vor allem das sehr weit ausgeführte Porträt des Herrn von Schirnding, hatten eine gewisse Vorliebe für breite Modellierung gebracht. Nun kommt im Jahre 1896 das Bildnis von Robert Breyer, dem ausgezeichneten Stilleben- und Landschaftsmaler, der, ein Freund von Slevogt und sein künstlerischer Gesinnungsgenosse, sich um ähnliche Farbenprobleme bemüht und ja heute wegen seines vornehmen Kolorits sehr geschätzt ist. Die breite Wucht des Bildes ist um so auffallender, als die körperliche Erscheinung des Dargestellten gar nicht dazu auffordert. Alle Details werden in sehr bewegter Art gegeben, und so hört in dieser Zeit die intime Haltung auf, die früher oft genug bei Slevogt zu finden war.
Es ist, wie wenn damals eine Gärung sich in ihm vollzogen hätte; denn im gleichen Jahre schuf er nun das Werk, mit dem seine mittlere Periode eingeleitet wurde, den Totentanz, ein Stück von seltsamer Mischung aus leichtester Beweglichkeit und einer fast plumpen Kraft. Es ist eines jener Werke, die beinahe wider Willen ihres Urhebers geschaffen werden und die dadurch den Stempel der inneren Notwendigkeit bekommen, der das beste Akkreditiv für ein Kunstwerk ist. Damals war die etwas nüchterne, aber in ihren Konsequenzen sehr heilsame Anschauung herrschend, daß ein Gemälde nichts als ausschließlich malerische Tendenzen verfolgen dürfe; alles was irgendwie einen Inhalt zu haben schien. war verpönt, und Slevogt ist nun als ausübender Künstler viel zu sehr ein Tatsachenmensch, als daß er nicht in der Theorie wenigstens auch jener Meinung gewesen wäre. Aber der Gestaltungstrieb ist in ihm viel zu groß, als daß er bei jener schließlich doch auch ins Akademische übertriebenen Lehre des neuzeitlichen Realismus stehen geblieben wäre. Er malte den Totentanz in Erinnerung an jene schönen Situationen, die man auf den Immergrün-Redouten, den im Kaimsaal abgehaltenen Künstlerfesten, sehen konnte.
Was nun auch der menschliche oder poetische Gehalt des Bildes sein mag, das eine vom Thema nicht unmittelbar gegebene unheimlich drastische Sprache hat, so ist es in der flutenden Behandlung der bewegten Massen charakteristisch für Slevogts Anschauung der Natur. Er zieht die Konsequenzen, die notwendigerweise aus den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gezogen werden mußten. Die Richtigkeit in der Wiedergabe des Gesehenen ist nicht das Wesen der Kunst. Der Totentanz gehört in gewisser Hinsicht an den Schluß der Periode, wo Böcklins Nachwirkung zu spüren war, aber er leitet, wie oben gesagt, auch eine neue Periode ein, in der eine Anzahl von besonders revolutionären Bildern entstanden ist.
In den Jahren 1897 und 1898 hatte Slevogt als Mensch und Künstler eine sehr gesegnete Zeit. Er durfte in mancher Beziehung nun endlich mit der Ernte aus den ungewöhnlich ernsthaften Studien beginnen. Zeugnis dafür ist das große Bild der Scheherezade voll Farbenpracht und einer phantastischen Stimmung, die um so eindringlicher wirkt, als auch hier wieder jede Figur ein genau durchgearbeitetes Bildnis ist; damals begannen auch jene Tendenzen sich bei ihm durchzusetzen, die in seinen Illustrationen ihren Ausdruck gefunden haben. Bald nach Fertigstellung des Gemäldes machte er jene Skizzen, die – allerdings nur zum kleinen Teile – 1903 in dem Buche Ali Baba und die vierzig Räuber reproduziert wurden. 1897 und 1898 entstanden dann auch zwei Bildnisse, die mit sehr ungleichem Erfolg, bald angegriffen und hoch gepriesen, Höhepunkte seiner sich nun allmählich dem Ende zuneigenden Münchener Tätigkeit wurden.
Das eine ist das Porträt von Frau Luise Papenhagen, das andere stellt den Verfasser dieser Zeilen dar. Beide sind noch in jenem ausdauernden Studium gemacht, das Monate auf ein einziges Problem, auf eine einzige Figur konzentriert, beide aber sind in ihrer letzten Oberfläche in breiten Strichen groß und frei hingesetzt, so daß nach Whistlers Rat der Schluß alle vorhergehende Arbeit verdeckt. Ganz besonders schön in der reizvollen silbergrauen Farbe ist das erstgenannte Bildnis, das nun auch eines der ersten jener durch unmittelbare Drastik der Erscheinung wirkenden Bildnisse ist, die von da ab bei Slevogt häufig werden. In München wurden die zwei Porträts als etwas Neues empfunden. Sie lösen die Herrschaft der altmeisterlichen Bildniskunst, den Stil von Lenbach und Fritz August von Kaulbach ab.
Wenn sie nun auch Höhepunkte in Slevogts Münchener Tätigkeit bedeuten, so sind sie doch noch immer nicht ganz freie Schöpfungen. Sie haben nicht jene leichte Räumlichkeit, die man gerade von ihnen, angesichts der ungewöhnlich weit getriebenen Modellierung, wünschen möchte, und wir werden sehen, daß es noch lange dauern wird, bis Slevogt in dieser Beziehung den entscheidenden Schritt nach vorwärts tut, und auch dann erscheint es noch fraglich, ob er, ob überhaupt die moderne neuere Malerei, die doch gerade dem Raumproblem so viel Aufmerksamkeit zuwendet, hier in der Praxis das leistet, was sie in der Theorie als notwendig bezeichnet und auch anstrebt.
Unmittelbar nach diesen Bildnissen, die in gewissem Sinne die Periode des strengsten Modellstudiums beenden, entstanden das Triptychon vom verlorenen Sohn und die in der Neuen Pinakothek befindliche Feierstunde, das erste zugleich ein tragisches Gedicht von ergreifender Stimmung und eine malerische Schöpfung von einer heute nicht häufigen eleganten, scharfen Ziselierung der Form, auch einer ungemein komplizierten Farbenhaltung, die zweite eine bewußt einfache Szene, nichts als das Porträt eines in Slevogts Hause beschäftigten Ehepaares. Das Bild erhielt nachträglich den Titel Feierstunde und verdient ihn auch wegen des idyllischen Charakters. Merkwürdig ist der Umstand, daß – was man bei dem Bildnis des Mannes noch am leichtesten bemerken kann – Slevogt trotz aller Realistik der Wiedergabe des Gesehenen doch einen etwas überlebensgroßen Maßstab wählte, der nun wohl einigermaßen dazu beiträgt, dem schönen Bild die feierliche Stimmung zu verleihen.
Mit der Feierstunde schließt Slevogts Münchener Tätigkeit im wesentlichen ab. Nach einigem Schwanken siedelte er nach Berlin über, das seinem beweglichen Temperamente sowohl in menschlicher wie künstlerischer Hinsicht viele Anregungen gewährte, die München ihm nicht bieten konnte, und die ihm ermöglichten, die Konsequenzen aus seinen konzentrierten Münchener Studien in leichteren Formen zu ziehen. In die Übergangszeit fällt ein Aufenthalt in Frankfurt a. M., wo er mit Unterstützung des ihm befreundeten Direktors Viktor Goering eine Anzahl von außerordentlich lebendigen Bildern und Skizzen nach Tigern, Affen, Löwen und anderen wilden Tieren malte. Es lohnte sich ihm hier wohl zum erstenmal in vollendet künstlerischer Weise, daß er so lange Zeit nach der belebten und bewegten Form gestrebt hatte. Der Kontrast zwischen diesen Tierskizzen und den poetischen stimmungsvollen Gemälden seiner letzten Münchener Zeit ist nur äußerlich: in der Tat gehören sie eng zusammen und entspringen der gleichen Anschauung, die nirgendswo das Leere und gleichgültig Korrekte annimmt, die immer auf Sinn, Beweglichkeit und Handlung schaut.
Wie groß auch die Entfaltung von Slevogts Kunst in Berlin geworden ist, so ist sie doch nur allmählich vor sich gegangen, und noch lange klingt, wie ja auch nicht anders zu erwarten, München in ihm nach. Das sieht man z. B. sehr deutlich an dem großen, leicht skizzierten, aber doch vom Beginn auf eine gewisse Abgeschlossenheit angelegten Porträt von Frau von Tschudi, das in seiner dunklen Farbenhaltung noch recht münchnerisch ist, aber nun auch in der leichten Wiedergabe des romanischen mondänen Elementes bei dem Bildnis der aus Spanien stammenden Dame recht deutlich den Umbildungsprozeß zeigt, in dem Slevogt sich damals befand.
Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß gerade bei dieser in ihren technischen Ausdrucksmitteln noch sozusagen Münchener Arbeit doch das neue Moment so scharf ausgesprochen ist; denn wir sehen nun bald Slevogt auch äußerlich als einen anderen Künstler vor uns stehen. Es kommen die Landschaften und Stilleben, die von solcher Eleganz und Reinheit der Farbe sind, daß sie nicht deutsch zu sein scheinen. Sie scheinen Nachempfindungen der Werke von Manet und Monet zu sein, die eben um diese Zeit zuerst in größerer Anzahl dem Künstler begegnet sind, teils in Berlin, teils auch in Paris, das er mitunter in allerdings nur kurzen Reisen besucht. Es ist keine Frage, und wird von Slevogt selbst bereitwillig zugestanden, daß diese französischen Bilder einen sehr starken Eindruck, auf ihn machten, und daß er sich mit ihnen auseinandersetzen mußte. Aber ihr Einfluß bestand nicht etwa darin, daß sie ihn zu einem Nachahmer der fremden Kunst machten, sondern vielmehr, daß sie ihn bei dem unvermeidlichen, bis in seine Zugehörigkeit zur Münchener Akademie reichenden Protest gegen das unterstützten, was in der deutschen Malerei nicht mehr zeitgemäß war. Gerade seine Entwickelung als Landschafter, die in unseren leider nur mit Schwarz und Weiß arbeitenden Reproduktionen nicht annähernd deutlich zu machen ist, zeigt, daß er mit den Franzosen nur jenen Grundsatz gemein hat, nichts zu malen, was er nicht sieht, und nichts anders zu malen als wie er glaubt, daß es ist. Von da aus ergab sich von selbst der Verzicht auf künstliche Dämpfung der Farbe und damit eine leuchtende Unmittelbarkeit des Kolorits, die an die schönen französischen Gemälde erinnert. Slevogts Landschaften sind aber durchaus selbständig, was man freilich nur dort konstatieren wird, wo sie entstanden sind: meistens in der Rheinpfalz, besonders in der Umgebung von Godramstein bei Landau. Wer die Gegend dort kennt, wird durch die Treue dieser häufig als weitgetriebene Skizzen behandelten Bilder überrascht sein. Es sind nicht etwa durch die Brille der französischen Impressionisten gesehene deutsche Landschaften, sondern es sind Bilder, die, wenn einmal die Farbe – nicht mehr wie früher Komposition und Zeichnung – der bestimmende Faktor ist, nicht viel anders sein können, falls sie die Gegend treu wiedergeben sollen.
Immerhin ist es eine, wie schon oben gesagt, unbestreitbare Tatsache, daß die hauptsächlich durch die Berliner Ausstellungen vermittelte intime Bekanntschaft mit der neueren französischen Kunst es Slevogt ermöglicht hat, früher als das in München der Fall gewesen wäre, die völlige Freiheit zu erlangen. Der weiße D'Andrade vom Jahre 1902, der schwarze vom Jahre 1903, einige lebensgroße Reiterbildnisse und das große Bild vom Ritter und den Mädchen aus diesen zwei sehr fruchtbaren Jahren sind der Beweis dafür, daß nun in der Tat Slevogt in Berlin ein anderer und – entgegengesetzt einer viel verbreiteten Meinung – ein besserer geworden ist als er in München war. Immer noch gehen starke Gegensätze in seiner Kunst nebeneinander her, so wie das fast bei allen Künstlern von Bedeutung der Fall ist, und wie es, zwar nur durch einen Zufall, aber doch besonders deutlich an dem Bilderpaar des großen Sängers D'Andrade demonstriert wird. Die ganze reiche, fast möchte ich sagen, schwelgerische Farbenfreude des neuen Slevogt spricht sich in dem sogenannten weißen D'Andrade aus, eine der besten Erwerbungen, die Konrad Lange für die Stuttgarter Galerie gemacht hat. Der unwiderstehliche Elan des glänzenden Kavaliers, der das Leben nur von der Sonnenseite kennt, der in seiner Lebensfreude hell wie das Licht und doch scharf wie die feinste Toledaner Klinge in seinem Stolz als spanischer Grande vor uns steht, konnte nicht besser verkörpert werden als in dem Gemälde von so weicher klarfließender Farbe und von solch herber Zeichnung. Aber wie ungesucht, wie unvermeidlich ist die Ergänzung, die das folgende Jahr in dem sogenannten schwarzen D'Andrade brachte. Hier führt Slevogt eine alte, schon in München behandelte Idee durch. Er zeigt seinen Liebling unter Mozarts Gestalten, in dem trotz alles Gräßlichen so schönen Momente, wo Don Juan, der nach so vielen Siegen über gekränkte Rivalen und schöne Frauen fest auf seine Kraft und sein Glück baut, nun auch noch den Kampf mit den Mächten des Jenseits aufnimmt. Schon spürt er den Tod kalt mit der Faust seines Feindes herübergreifen, aber sowohl in ungebrochener Kampfeslust wie mehr noch in unversieglicher Lebensfreude mißt er seine Kraft mit der des toten Komturs: und nun schlägt die Stimmung jäh um; hilflos fast, wie einer, der sich im leeren Grimm verärgert, zerrt er an der Hand, die ihn mit dem eisernen Griff festhält. Es liegt etwas Grausames in dieser Auffassung, die ja wohl eine richtige Interpretation von Mozart und für Slevogt so ganz charakteristisch ist.
Welch einen Unterschied bedeuten diese Bilder, auch die Reiterstücke, gegenüber den früheren, die meistens im kleinen, die bildmäßige Wirkung fördernden Maßstab gehalten waren! Die neuen sind lebensgroß, um eben jene Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit der Erscheinung zu erreichen, die dem Künstler so sehr am Herzen liegt.
Hier kompliziert sich aber das Problem vom Verhältnis der Kunst dieses einen Mannes zu der Kunst unserer ganzen Zeit. Kaum eine andere Frage steht heute so im Vordergrund des praktischen und theoretischen Kunstbetriebes wie die Raumfrage. Man gesteht einem Gemälde, das realistische Absichten verfolgt, nicht zu, daß es seine Aufgabe gelöst habe, wenn die Figuren oder Gegenstände nicht frei im Raum stehen, und wenn die Modellierung nicht erreicht, daß die einzelnen Teile des Bildes in den Verhältnissen der Distanz völlig klar und übersichtlich von einander geschieden sind. Slevogt selbst legt hierauf den größten Wert, und gerade in der außerordentlich reichhaltigen Plastik seiner Modellierung ist diese Rücksicht immer zu beobachten. Sie macht einen Hauptvorzug seines Stils aus, den feine Beobachter schon von allem Anfang anerkannt haben: trotzdem ist er auch in den eben erwähnten Werken nicht zu der luftigen Freiheit, nicht zu jener Räumlichkeit gekommen, die ihm selbst so erstrebenswert erscheint. Er lenkt immer wieder von dem Problem ab; oder vielmehr er geht in stets enger gezogenen Kreisen um es herum. Wo immer, bei Franzosen oder Deutschen, sagen wir z. B. bei Cézanne oder Hans von Marées, das Raumproblem ganz oder wenigstens ziemlich ganz gelöst zu sein scheint, da haben wir eine starke Betonung des Linearen, auch der Fläche: aber nicht jene vollkommene Verbindung von Form und Farbe, wie sie Slevogt wünscht und wie sie wohl auch eines der Hauptziele der Kunst in den nächsten Zeiten sein wird. Es ist immer die Ausdrucksfähigkeit der Farbe, ihre Kraft, eine Form zu bilden und zu zeigen, die entweder der Schönheit der Bilderscheinung oder der klaren Raumwirkung geopfert wird. Slevogt aber will sich auf diesen Kompromiß nicht einlassen; denn eine Hauptabsicht des Künstlers ist es, ein Bild zu malen, damit, um mit Goethe zu reden, wir im farbigen Abglanz das Leben haben. Keine noch so große Treue gegen die Natur kann ihn abhalten, der Kunst zu geben, was ihr gebührt, und damit kommen wir zu einem weiteren für Slevogt und für alle künstlerische Tätigkeit besonders wichtigen Prinzip.
Das Einfache und Selbstverständliche ist immer das Beste, und ein Kunstwerk wird um so besser sein, je einfacher es seine Aufgabe löst, je unmittelbarer es den darzustellenden Gegenstand wiedergibt: aber damit es nun eben ein Werk der Kunst sei, muß es einen persönlichen Charakter tragen, muß nicht nur dem darzustellenden Gegenstand, sondern auch der Individualität des Malers gerecht werden, und so wird man sagen dürfen, daß es die Aufgabe der Kunst ist, das von der Natur Geschaffene nicht nur in treuer, sondern auch in persönlicher Form wiederzugeben. Wenn es sich nun endlich um große Künstler handelt, dann wird der Satz wohl so lauten müssen : daß der Meister das Selbstverständliche in ungewöhnlicher Form sagt.
Wenn dieser Satz seit Daumier für einen Maler gilt, so gilt er für Slevogt, und vieles von der oben geschilderten Wirkung seiner Gemälde, die trotz ihrer unleugbar außerordentlichen Zuverlässigkeit in der Wiedergabe des Natureindrucks für viele etwas Befremdliches haben, liegt darin, daß Slevogt ohne Absicht in voller Sachlichkeit und in einer, fast möchte ich sagen, naiven Ehrlichkeit von den Dingen und Personen das schildert, was sie seiner zwar sehr schlichten, aber höchst eigenartigen Persönlichkeit sagen.
Slevogts Stil wird in diesen Jahren zugleich offener und mehr konzentriert. Schon die zwei D'Andrade zeigen, daß die alte Freude am Fabulieren nicht erloschen ist, wie sie ja auch bei seinem so sehr poetischen Naturell nie erlöschen wird : aber das eigentlich erzählende Moment tritt doch stark zurück gegenüber Bildern wie es die Scheherezade oder selbst der verlorene Sohn waren. Die malerische Situation beschäftigt ihn mindestens so viel wie die psychologische, und so wird, was vielleicht am auffälligsten sein mag, die Kompositionsweise geändert. Die Münchener Bilder sind immer ziemlich reich angefüllt gewesen mit Personen und mancherlei Zubehör an Stilleben. Es wirkte da immer noch auf dem Umweg über akademische Lehren etwas Altmeisterei nach: aber dieses weder zu Slevogt noch zu unserer heutigen Kunst passende Zusammenschieben, wohl auch Zusammenpressen wird nun aufgegeben. Die lebensgroßen Gestalten stehen frei und von keiner auf sie drückenden Umgebung behindert vor uns in Haltungen, die zwar strack und höchst prägnant sind, aber in der lebhaften Betonung der unruhigen Konturen eine gewisse Zufallswirkung haben. Es soll wie im Ausschnitt ein Augenblick festgehalten werden, und zu diesem Zweck bedarf die Komposition einer sehr freien Beweglichkeit, Man sieht die Gestalten vor sich ohne den künstlich gestellten Hintergrund, mit viel leerem Raum, so wie wir nun eben einmal sie auch sonst zu sehen gewohnt sind.
Trotzdem haben gerade diese Gemälde ein ungewöhnlich fein ausbalanciertes Gleichgewicht, Der Kolorist bedeutet bei Slevogt doch immer wieder die Hauptsache, und so ist jenes Bild, das neben den zwei Don Juan das Hauptwerk dieser ersten Berliner Phase ist, die Tänzerin Marietta, vom Jahre 1904, an edelster Pracht einer kaum mehr als realistisch zu bezeichnenden Farbe für meinen Geschmack nur noch mit dem Besten von altniederländischer Malerei zu vergleichen. Ein solcher Ausspruch ist nicht so übertrieben wie mancher Leser denken mag. Man bedenke, daß Slevogt überall ein sehr starkes dichterisches Temperament offenbart und daß ihm die Farbe beim Bild über alles geht; so wird man leicht begreifen, daß gerade sie bei ihm zur höchsten Steigerung getrieben werden muß, deren seine ohnehin so vielgewandte Kunst fähig ist.
Die nächsten Jahre sind sehr reich an Porträts, die ohnehin im gemalten Werke von Slevogt eine große Rolle spielen, und die gewissermaßen in ihrer vom Stoff gebotenen reservierten Sachlichkeit das Gegenstück zu dem freien Spiel der Phantasie bilden, das er in seinen graphischen Arbeiten so abwechselungsvoll walten läßt. Es sind einige Hauptwerke der Charakteristik eines Menschen im Bildnis darunter: vor allem das Porträt des früheren Staatssekretärs Dernburg und des Hamburger Senators Oswald. Am ersten hat mir immer bewundernswert geschienen, wie Slevogt die an alte Condottieri erinnernde Wucht der gesamten Persönlichkeit, des körperlichen und geistigen Menschen herausbrachte, indem er sie auf eine, allerdings auch von dem Dargestellten gebotene Folie stellte: die völlig unbefangene Zwanglosigkeit. Beim zweiten aber scheint mir außerordentlich wertvoll und dabei auch lehrreich, wie der Künstler trotz seiner breiten Malweise im energischen Kopfe des Mannes ein ungewöhnlich reich durchgebildetes Bildnis schafft, dann aber gerade, um das Unmoderne aus dem Gemälde zu entfernen, das ehrwürdige altertümliche Kostüm als Ausgangspunkt benützt/ denn er stellt den Herrn in eine mit intensivster Farbenpracht ausgestattete, hellschimmernde Umgebung, die alles Befremdliche und Antiquierte der feierlichen Tracht zugleich hebt und doch unschädlich macht.
So werden nun auch seine Bildnisse immer mehr als Ganzes auf eine rein koloristische Basis gestellt, und Slevogts Programm, das ihn schon in seiner Münchener Zeit beschäftigt hat, nähert sich immer mehr, wenn auch nicht der Vollendung, aber doch der Lösung. Sein Streben ging schon lange darauf hin, die Farbe zum Träger sämtlicher künstlerischer Gedanken, also auch der formalen Gestaltung zu machen. Er faßt seine Aufgabe auch im Bildnis so auf, daß er zeigen will, welche farbige Erscheinung eine Persönlichkeit ist, und indem er das Farbenschauspiel in aller Treue und sehr detailliert wiedergibt, erwächst die Gestalt zu einer in jedem Sinn des Wortes überraschenden Frische, Vollständigkeit und Ähnlichkeit; damit aber gewinnt das Bildnis nun auch ein freieres geistiges Leben. Ein prachtvolles Beispiel für diesen neuesten Stil ist das im Jahre 1906 gemalte Bildnis des Herrn Henckell, das auf der glänzenden Slevogt-Ausstellung der Berliner Sezession vom Jahre 1911 eines der feinsten und stärksten Bilder war und sich hier im Vergleich zu der Produktion der nächsten Jahre in seiner großen programmatischen, auf die Zukunft weisenden Bedeutung enthüllte. Solche Bilder pflegen zur Zeit ihrer Entstehung nicht recht gewürdigt zu werden: auch ihre Urheber sind sich meistens noch nicht ganz klar dessen bewußt, was sie in ihnen geschaffen haben, aber gerade in der erwähnten Ausstellung schien es mir, als ob Henckells Porträt eine neue Etappe nicht nur in Slevogts Kunst, sondern auch in der deutschen Malerei bedeute.
Diese Bildnisse sind manchmal in verhältnismäßig kurzer Zeit entstanden, sind wohl auch, wie das lebendige Porträt des Schriftstellers Eduard Fuchs, Skizzen, die an einem Tag entstehen und vom ersten Strich auf raschen, aber doch durchaus genügenden Abschluß angelegt sind: da tut es dem Künstler gut, wenn er sich auch einmal beim Porträt ohne jede Eile dem behaglichen Ausfeilen und Durchziselieren widmen kann, wie er es in seinen, wenn der Ausdruck gestattet ist, poetischen Gemälden zu tun gewohnt ist. Das vorzüglichste Beispiel für diese Art ist das prachtvolle Porträt von Frau Dr. Goering in Berlin. Die Intimität der Auffassung, der Reiz der psychologischen Behandlung, die das hier gegebene menschliche Problem in ein ungemein fein spielendes, kaum bemerkbares, und doch das Ganze beherrschende Lächeln auflöst, stehen der stattlichen Wucht des Kolorits gleichwertig gegenüber.
Zur selben Zeit entstand das Bildnis eines Generals, in dem sich das, was bei dem Porträt des Herrn Henckell als Anzeichen des neuen Stils besprochen wurde, vielleicht zum erstenmal in voller Kraft und, wir dürfen auch sagen, Schönheit zeigt. Die reiche Uniform lockt ja fast unwiderstehlich zum Malen, aber es ist etwas anderes, ob man im inventarmäßig registrierenden Stil früherer Zeiten nur in platter Deutlichkeit alle Details mit nicht geringerer Treue, aber auch nicht mit mehr Geist wiedergibt als das die Photographie tut, oder ob man im sogenannten impressionistischen Stil aus dem Dargebotenen ein farbiges Muster von großem Reiz, aber nur in allgemeiner Schilderung des Effektes holt, oder ob man, wie Slevogt, von dieser impressionistischen Basis ausgehend, das funkelnde Farbenschauspiel malerisch neu schafft und dabei die große Form in aller Klarheit und Fertigkeit auch wieder erstehen läßt. Das scheint mir das Wichtige an der von nun an kommenden Reihe von Bildern zu sein, daß sie, diesseits der impressionistischen Bewegung liegend, gerade jetzt eine natürliche Weiterbildung zur dreidimensional frei und rund entwickelten Gestalt gibt, während doch in Frankreich die Fortsetzer des Stils von Cézanne und Manet sich in den jetzt so viel besprochenen neuesten »Schulen«, von aller – auch von der farbigen Wirklichkeit weit entfernen.
Wir stehen jetzt am Ende der in diesem Bande zu behandelnden Tätigkeit des Künstlers. Sie bringt nun noch zunächst an kleinen skizzenmäßig gegebenen Bildern einen leicht zu beobachtenden Wechsel in der äußeren Technik. In Szenen vom Turf, in Darstellung von Festlichkeiten, wohl auch in gemalten Illustrationen zum Don Quichotte gibt er höchst merkwürdige Schilderungen eines sehr gesteigerten Lebens. Sie sind wie Menzels Pariser oder italienische Bilder aus dem Gedächtnis gemalt, machen aber den Eindruck, als ob sie im Freien, angesichts der dargestellten Situationen entstanden seien. Sie sind wie so viele seiner späteren Arbeiten meistens in Spachtelmanier gehalten, und haben darum eine außerordentlich reine klare Farbe, die nicht im geringsten mehr an seinen Münchener Stil erinnert. So wie jener tonig war und die Glut der Farbe aus dem Dunkel entwickelte, ist nun alles von Anbeginn auf delikateste Frische und Reinheit angelegt. Die Lichtwirkungen werden dabei bis zum äußersten verfolgt, so daß die Farbe in den Lichtern manchmal etwas kreidig Blasses erhält, an das man sich aber leicht gewöhnt.
Hierher gehören nun endlich noch ein paar Bildnisse, zunächst das der Dame in Blau aus dem Jahre 1907. Slevogt, der so oft stark angespannte Kraft und Beweglichkeit in seinen Bildern zu entfalten hatte, gibt hier den Reiz einer distinguierten mondänen Erscheinung, deren Bewegungen leise und sozusagen melodisch sind. Dazu kommt aber die Kraft des gütigen klugen Blickes, der ein Gegenstück zu der feinen Charakteristik auf dem oben erwähnten Damenbildnis von 1906 ist.
Frauenbildnisse von Slevogt, zumal wenn sie durch gute Toiletten ihm Gelegenheit geben, alle Kunst seiner Technik zu entfalten, werden wohl einmal besonders geschätzt werden, weil sie nun etwas ganz anderes als die im 19. Jahrhundert üblichen Toilettenstücke sind: aber die volle Potenz seiner Kunst gibt Slevogt in den Herrenbildnissen, von denen er in den Jahren 1906–1908 mehrere geschaffen hat, das seines Bruders, das des Stadtrats Cassirer und das eines bekannten Herrenreiters. Alle haben sie eine eherne Schärfe und eine – gar nicht selten leicht beunruhigende Selbstverständlichkeit, allerdings eine Selbstverständlichkeit, die nur der versteht, der der Kunst ihr Recht zu lassen weiß. So ist das Reiterporträt des Herrn Berl, wo die Füße des Pferdes nicht mehr ganz auf dem Bild erscheinen, vielfach beanstandet worden und doch gibt es bei Slevogt wenig Bilder von der gleichen überwältigenden Anschaulichkeit, die noch durch die starke Ausführlichkeit in der Schilderung des Details wesentlich unterstützt wird.
Und doch ist wohl das Hauptbild aus dieser für uns in Betracht kommenden letzten Periode das Bildnis einer Dame, das die Schauspielerin Frau Durieux-Cassirer als Kleopatra zeigt. Sie hat diese Rolle nie gespielt und so ist das Bild kein eigentliches Bühnenstück im heutigen Sinn, aber es ist das fortschrittlichste Bild, das Slevogt damals gemalt hat.
München, Juli 1911
Karl Voll.