Meine Herren!
Ich erkläre mich für die periodische Wahl des Reichsoberhauptes durch die Volksvertretung. In voriger Sitzung habe ich, ohne Aussicht auf Erfolg, für den weitesten Kreis der Wählbarkeit gestimmt und folgerichtig auch gegen den Paragraph des Entwurfes, vermöge dessen nur regierende Fürsten zu dieser Würde berufen werden können. Nachdem der Beschluß gefaßt worden ist, wie er lautet, bleibt mir übrig, für Anträge zu stimmen, welche gegen die Erblichkeit und eben damit gegen die Bevorrechtigung eines einzelnen Staates und Stammes sowie gegen den Ausschluß Österreichs gerichtet sind, vor allem für das vierte Erachten, die Wahl auf sechs Jahre. Ich werde Sie mit keiner langen Rede hinhalten, mein Vorhaben ist einzig, jetzt, da wir vor dem Schlußsteine des Verfassungswerkes stehen, an den Grund desselben, an unsern eigenen Ursprung zu erinnern, dessen Gedächtnis mir nicht überall mehr lebendig zu sein scheint. Es ist in diesen Tagen wiederholt von Jugendträumen gesprochen worden,- ich gestehe meinesteils, es verfolgt mich noch immer ein Traum, der Frühlingstraum des Jahres 1848. Die von einem Teile des Ausschusses angetragene Erblichkeit und die damit zusammenhängende Unverantwortlichkeit ist eine Anwendung der Grundsätze des in den deutschen Einzelstaaten durchgeführten Systems der konstitutionellen Monarchie auf die neu zu gründende Würde des Reichsoberhauptes. Ich will die Verdienste dieser Staatsform nicht herabsetzen, ihre geschichtlichen Leistungen und ihre Nützlichkeit für die Gegenwart, aber ich kann auch eine Schattenseite derselben nicht unberührt lassen, die ich gerade da erblicken wo die reine Lehre den Lichtpunkt derselben findet. Der unverantwortliche; erbliche Monarch ist ein personifizierter Begriff der einheitlichen und stetigen Staatsgewalt, ein allegorisches Wesen, eine Fiktion des Regierens, keine natürliche Wahrheit. Da er nicht vermöge seiner persönlichen Eigenschaften, sondern durch das Erbfolgerecht zur Gewalt berufen ist, so müssen für den rechten Gebrauch dieser Gewalt verantwortliche Räte einstehen. Unter dieser Bevormundung kann ein selbständiger Charakter schwer gedeihen, und wenn solche Charaktere sich fühlen, wenn sie aus der lästigen Stellung eines lebenden Gemäldes hervorbrechen wollen, so kommen sie mit dem konstitutionellen Rahmen in Widerstoß. Das System der konstitutionellen Monarchie hat sich in England geschichtlich herangebildet, hat von da aus weitere Pflanzungen gegründet und ist sodann von der Doktrin als das einzig richtige für alle Zeit festgestellt worden. Ursprünglich deutsch ist diese Staatsform nicht, die deutschen Wahlkönige, erblich, solange das Geschlecht tüchtig war, fallen nicht unter dieselbe. Es waren in langer Reihe Männer von Fleisch und Bein, kernhafte Gestalten mit leuchtenden Augen, tatkräftig im Guten und Schlimmen. Der Mißstand, den ich berührte, hat sich in der obschwebenden Verhandlung auf eine merkwürdige Weise hervorgestellt. Ein Redner hat angeführt, daß der König von Sachsen durch sein verantwortliches Ministerium behindert sei, seine ursprüngliche und auch jetzt nicht zu bezweifelnde deutsche Gesinnung zugunsten einer preußisch-deutschen Erbmonarchie wirksam zu machen. Also diejenige Form, wodurch ein Regent gehindert ist, seine hochherzigen Entschließungen auszufahren, eben diese Form wird uns jetzt als die für ganz Deutschland angemessene dringend empfohlen, von demselben Redner lebhaft angerühmt. Eine mächtige Volkserhebung muß sich aus ihrem eigenen Geiste die ihr angemessene Form schaffen. Wenn neulich behauptet worden ist, es sei ein Widerspruch, die Monarchie in den Zweigen zu erhalten und im Gipfel zu entbehren, so glaube ich, diesem Widerspruch einen andern entgegenhalten zu können. Ist denn unsre politische Neugestaltung von der monarchischen, dynastischen, aristokratischen Seite des bisherigen deutschen Staatslebens ausgegangen? Nein! unbestritten von der demokratischen. Die Wurzel ist also eine demokratische, der Gipfel aber schießt nicht von den Zweigen, sondern aus der Wurzel empor. Das wäre dem natürlichen Wachstum der neu erstehenden deutschen Eiche nicht gemäß, wenn wir ihrem Gipfel ein Brutnest erblicher Reichsadler aufpflanzen wollten. Wollte man der Systematik wegen verlangen, daß der einzelne Teil mit dem Ganzen durchaus übereinstimmen müsse.. was ich nicht für nötig halte, so würde daraus nicht folgen, daß das Neue sich dem Alten fügen müsse, vielmehr umgekehrt. Ich bin aber auch der Meinung, daß die Staatsformen oft in der Wirklichkeit nicht so weit auseinander liegen als in der Theorie und im Feldgeschrei des Tages. So werden durch die Aufhebung der politischen Standesvorrechte und durch Einführung freisinniger Wahlgesetze die Verfassungen der einzelnen deutschen Staaten den demokratischen Anforderungen der Neuzeit näher rücken. Ich spreche, wie gesagt, nicht gegen den Fortbestand der konstitutionell-monarchischen Verfassungen, aber davon bin ich nicht überzeugt, daß diese Staatsform mit ihren herkömmlichen Regeln für eine gänzlich neue, umfassende Schöpfung, für die Verfassung des deutschen Gesamtvaterlandes, triebfähig und maßgebend sein könne. Ich gestehe, einmal geträumt zu haben, daß der großartige Aufschwung der deutschen Nation auch bedeutende politische Charaktere hervorrufen werde, und daß hinfort nur die Hervorragendsten an der Spitze des deutschen Gesamtstaates stehen werden. Dies ist nur möglich durch Wahl, nicht durch Erbgang. Hier war freies Feld, hier war offene Bahn für wahre und kühne Gedanken, und ich glaube, daß das deutsche Volk für solche Gedanken empfänglich ist. Man wendet wohl ein: was vermag ein einzelner Mann ohne Hausmacht ohne dynastischen Glanz? Aber, meine Herren, in jener Zeit, als wir noch im deutschen Volk einen volleren Rückhalt hatten, als die Staatsmänner noch nicht darauf verzichten mußten, Volksmänner zu sein, wenn wir damals einen Mann gewählt hätten, einen solchen, der in der ganzen Größe bürgerlicher Einfachheit durch den Adel freierer Gesinnung auch die rohe Gewalt zu bändigen, die verwilderte Leidenschaft
in die rechte Strömung zu lenken verstanden hätte, gewiß, einem solchen wäre das gesamte deutsche Volk eine Hausmacht gewesen. Ein Hauch jenes ursprünglichen Geistes gab sich noch kund in dem Beschlusse der Volksvertretung, lediglich aus der vom Volke verliehenen Macht, einen Reichsverweser zu wählen. Ein Fürst wurde gewählt, nicht weil, sondern obgleich er ein Fürst war. Beigefügt aber war die Unverantwortlichkeit und somit bereits in die konstitutionelle Richtung eingelenkt. Besonders infolge dieser Verbindung habe ich nicht für einen Fürsten gestimmt; ich sah schon den doktrinären Erbkaiser auftauchen, dessen Widersacher ich war, als er noch bei den Siebzehnern in den Windeln lag, und der mir auch nicht lieber geworden ist, nun er ernstlich Versuche macht, auf den deutschen Thronsessel zu klettern. Seit jener Wahl ist die Stimmung weiter zurückgegangen, und der neueste Beschluß beschränkt die Wahl auf die regierenden Fürsten. Diese Beschränkung kann allerdings auch so gefaßt werden, daß die regierenden Fürsten eben vermöge ihres Regentenberufes, nicht in ihrer dynastischen Eigenschaft, zum Oberhaupt würden gelangen können; denn andere Mitglieder der dynastischen Geschlechter sind ausgeschlossen. Das Wahlrecht in sich ist noch vorhanden, aber allerdings der Kreis der zu Wählenden um vieles verengt. Es ist auch die periodische Wahl dasjenige, wodurch der äußerste Partikularismus noch beseitigt werden kann, der Partikularismus, durch welchen ein Fürstenhaus und ein Einzelstaat als Volk Gottes für immer über die andern gestellt wird, welche eben damit, wie der Herr Berichterstatter sich glücklich ausgedruckt hat, in das Verhältnis des Dienens treten würden. Die einmalige Wahl, vermöge welcher das zum erstenmal gewählte Oberhaupt die Würde vererben würde, diese erste Wahl ist ein letzter Wille, ein besonders feierlicher Verzicht auf das Wahlrecht. Ich hoffe, meine Herren, Sie werden diesen Verzicht nicht aussprechen; er steht im Widerspruch mit dem Geiste, durch den Sie hierher gerufen sind. Die Revolution und ein Erbkaiser – das ist ein Jüngling mit grauen Haaren. Ich lege noch meine Hand auf die alte offene Wunde, den Ausschluß Österreichs. Ausschluß, das ist doch das aufrichtige Wort; denn wenn ein deutsches Erbkaisertum ohne Österreich beschlossen wird, so ist nicht abzusehen, wie irgend einmal noch Österreich zu Deutschland treten werde. Auch ich glaube an die erste Zeit erinnern zu müssen. Als man Schleswig erobern wollte, wer hätte da gedacht, daß man Österreich preisgeben würde? Als die österreichischen Abgesandten mit den deutschen Fahnen und mit den Waffen des Freiheitskampfes in die Versammlung des Fünfziger-Ausschusses einzogen und mit lautem Jubel begrüßt wurden, wem hätte da geträumt, daß vor Jahresablauf die österreichischen Abgeordneten ohne Sang und Klang aus den Toren der Paulskirche abziehen sollten? Die deutsche Einheit soll geschaffen werden; diese Einheit ist aber nicht eine Ziffer; sonst könnte man fort und fort den Reichsapfel abschälen, bis zuletzt Deutschland in Liechtenstein aufginge. Eine wahre Einigung muß alle deutschen Ländergebiete zusammenfassen. Das ist eine stümperhafte Einheit, die ein Dritteil der deutschen Länder außerhalb der Einigung läßt. Daß es schwierig ist, Österreich mit dem übrigen Deutschland zu vereinigen, wissen wir alle; aber es scheint, manche nehmen es auch zu leicht, auf Österreich zu verzichten. Manchmal, wenn in diesem Saale österreichische Abgeordnete sprachen, und wenn sie gar nicht in meinem Sinne redeten, war mir doch, als ob ich eine Stimme von den Tiroler Bergen vernehme oder das Adriatische Meer rauschen höre. Wie verengt sich unser Gesichtskreis, wenn Österreich von uns ausgeschieden ist! Die westlichen Hochgebirge weichen zurück; die volle und breite Donau spiegelt nicht mehr deutsche Ufer. Es genügt nicht, staatsmännische Pläne auszusinnen und abzumessen, man muß sich in die Anschauung, in das Land selbst versetzen, man muß sich vergegenwärtigen die reiche Lebensfülle Deutsch-Österreichs. Welche Einbuße wir an Macht, an Gebiet, an Volkszahl erleiden würden, das ist hinreichend erörtert, ich füge nur eines bei: Deutschland würde ärmer um all' die Kraft des Geistes und Gemütes, die in einer deutschen Bevölkerung von acht Millionen lebendig ist. Ich glaube, meine Herren, daß, wenn wir mit einem Bundesstaat ohne Österreich nach Hause kommen, unser Werk nicht überall wird gelobt werden; ich glaube namentlich dieses von dem südlichen Deutschland sagen zu können, wo zwischen der dortigen Bevölkerung und der österreichischen eine nahe Verwandtschaft der Naturanlagen und der geschichtlichen Erinnerungen obwaltet. Schonen Sie, meine Herren, das Volksgefühl! Ich werde gegen meinen Landsmann, der vor mir gesprochen, keinen Bürgerkrieg führen, aber ich glaube doch sagen zu können, daß auch meine Gesinnung in dieser Beziehung nicht in der Luft hängt. Wir wollen meine Herren – gestatten Sie zum letztenmal! – einen Dombau; wenn unsere alten Meister ihre riesenhaften Münster aufführten, der Vollendung des kühnen Werkes ungewiß, so bauten sie den einen Turm, und für den andern legten sie den Sockel – der Turm Preußen ragt hoch auf, wahren wir die Stelle für den Turm Österreich! Der Turmspitzen haben wir freilich eine große Zahl – ich will mich anders fassen. Mitten in der Zerrissenheit dieser Versammlung war mir das ein erhebendes Gefühl, daß, sosehr wir uns oft gegeneinander aufbäumen, wir dennoch durch das nicht mehr zu brechende, im Volksbewußtsein gefestigte Gebot der deutschen Einheit wie mit eisernen Banden zusammengeschmiedet sind; trennen Sie Österreich ab, so ist das Band zerschlagen, Zum Schlusse, meine Herren, verwerfen Sie die Erblichkeit schaffen Sie keinen herrschenden Einzelstaat, stoßen Sie Österreich nicht ab, retten Sie das Wahlrecht, dieses kostbare Volksrecht, dieses letzte fortwirkende Wahrzeichen des volksmäßigen Ursprungs der neuen Gewalt! Glauben Sie, meine Herren, es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist!