August Stramm
Sancta Susanna
August Stramm

August Stramm

Sancta Susanna

Ein Gesang der Mainacht


Susanna
Klementia
Eine Magd
Ein Knecht
Chor der Nonnen
Eine Spinne
Nachtigallen Mondschein Wind und Blüten


Klosterkirche

Zitternde Mondscheinstreifen; in der Tiefe von dem Hochaltare das ewige Licht, in der Mauernische vorne links vor dem überlebensgroßen Bilde des Gekreuzigten eine brennende massige Kerze.

Susanna liegt vor dem blumengeschmückten Altar der Himmelskönigin, der in der Nische rechtwinklig neben dem Kruzifixaltar steht, im Gebet, die Stirn auf die unterste Stufe gelegt, die Arme über die oberen Stufen gebreitet

Klementia einige Schritte hinter ihr ... Sancta Susanna!... sie legt die Hand auf Susannens Schulter

Susanna richtet sich auf

Klementia die Nacht ist angebrochen!...

Susanna geistesfern ... es klingt ein Ton...

Klementia die Orgel tönet nach!...

Susanna ... mir ist... als klängen bodenlose Tiefen... himmellose Höhen...

Klementia ... Ihr kommt daher... Ihr wart bei Gott!

Susanna in Sinnen ... ich... war

Klementia ... ihr seid krank... Ihr betet... Ihr lebt kaum mehr auf dieser Erde... Ihr habt auch einen Leib!

Susanna erhebt sich, starrt sie schreckhaft an

Klementia legt den Arm um sie ... kommt!

Die Turmuhr schlägt hell einmal; der Nachtwind rüttelt die Fenster, die Zweige rauschen

Klementia in sich Ave Maria!...

Susanna fährt auf ... wer spricht?!...

Klementia der Nachtwind wirft die Blüten gegen die Fenster

Susanna ... es rief etwas...

Klementia die Turmuhr schlug... ich sprach das Ave... Ein Fenster schlägt, der Nachtwind bricht ein in singend verklingendem Ton; Blätter und Zweige rauschen und raunen herab zu flüsterndem Säuseln

Susanna wendet sich mit Händen, die nach abwärts vom Körper gestreckt sind, zum dunkeln Chor, lautlos, starr

Klementia eine Scheibe schlug auf!... ich werde sie schließen!

Susanna laß sie... sie atmet schwer

Klementia der große Fliederstrauch, riechst du die Blüten? sie atmet ein... sie duften bis her! er blüht in weißen und roten Dolden... oh... solche Dolden...! ich werde ihn wegreißen lassen... morgen... wenn er dich stört!

Susanna ... er stört nicht... er blüht!...

Eine Frauenstimme erstickt in wimmernder Lust.

Klementia ... der Wiesenrain unter den Blüten! ich werde den Weg verbieten...

Susanna horcht ... sie... ist... nicht... allein...!

Klementia bekreuzigt sich

Susanna atmet schwer, setzt zum Kreuze an, doch die Bewegung erstarrt ... ob... sie... wohl... kommen... würde?!...

Klementia wer?!...

Susanna ......

Klementia faltet erschrocken die Hände.

Susanna schwer die Hand auf dem Betstuhl ... ich... will... ihr... ins... Gewissen... reden...

Klementia faltet die Hände, senkt das Haupt und geht.

Eine Fangtür klappt leise

Susanna ... der...

Der Schreckensschrei eines Weibes verhallt; die Zweige rauschen.

Susanna zuckt zusammen ... Flieder blüht!...

Die Fangtür klappt leise mit wehendem Nachschwingen; leise schlurfende Schritte nähern sich.

Magd hinter Klementia, zitternd in scheuem Umherblicken, die Hände gefaltet

Susanna ... Ave Maria!...

Magd sinkt in die Knie, tief zu Boden gebeugt

Susanna ... Kind!...

Magd hebt hilflos den Kopf und starrt sie an ... ik...k weeß nich! Sie bricht in erschrecktes Weinen aus und rutscht mit gefalteten Händen gegen den Mittelpfeiler hin, sich dahinter zu verstecken

Susanna ... ich will dir nichts Böses!... du... warst... unter... dem... Flieder?!...

Magd ist ganz still geworden, starrt Susanna an ik... ik... jar niks...!... hei... hei... wull... sie senkt den Kopf tief

Susanna schwer ... der...?!...

Magd hebt den Kopf und starrt sie an, lacht dann hell auf ... min Willem... heilige... sie hält erschrocken inne, scheu geduckt; das Lachen und die Worte hallen aus dem Gewölbe wider... zweimal... dreimal... durcheinander... in verschwindendem geisterhaften Echo

Susanna schaut sie unbeweglich an; dann überfällt sie ein plötzliches silberhelles Lachen, das ihre ganze Gestalt in Leben überläuft; in Silberglöckchen klingt das Lachen aus den Gewölben wider und zerrinnt in zitternden Schwingen

Susanna geht zur Magd, legt die Hand auf ihre Schulter, hebt ihr den Kopf und schaut ihr ins Gesicht ... steh auf!...

Magd steht auf mit gefalteten Händen

Susanna hast du ihn lieb?

Magd krampft die Finger ineinander, scheu, leise lachend, verschämt ... o... hilge Mudder... oh...

Susanna ... ich... möcht... ihn... sehn...

Klementia hebt die Hand

Magd starrt auf Klementia und schauert zusammen.

Ein lautes Pochen an der Tür im Chor... dreimal... und eine rufende Stimme
Alle schrecken zusammen

Klementia läßt den Arm fallen

Magd in befreiendem, verhaltenem Jubel dät is er!

Klementia geht in den Chor; ein Schlüssel schließt schwer, eine Tür geht knarrend und fällt dumpf ins Schloß, eine verhaltene Männerstimme spricht zürnend.

Schwere Schritte bemühen sich vergeblich zu dämpfen

Ein Knecht jung, stämmig, die Mütze in der Hand drehend, im Mittelweg zwischen den Pfeilern, die Augen scheu zu Boden gesenkt, mit scheuem Trotz ... ik wull min Mächen holen!

Klementia taucht hinter ihm aus dem Dunkel

Susanna starrt ihn an, wendet sich dann jählings um und geht zum Altar

Tiefe Stille, das Mädchen schleicht sich zum Knecht; der legt den Arm um sie; mit scheu dröhnenden Schritten gehen die beiden, gefolgt von Klementia ab

Der Schlüssel schließt, die Tür geht knarrend, ein Windstoß fährt polternd zwischen die Betstühle, dröhnend fällt die Tür ins Schloß, der Schlüssel schreit

Die Kerze vor dem Kruzifix verlischt aufflackernd und zitternd

Susanna starrt aufschreckend in das Dunkel, aus dem jetzt zwischen den Betstühlen das weiße Antlitz Klementias näher schwebt

Susanna schreit auf ... Satanas!... Satanas!...

Klementia bleibt einen Augenblick gelähmt stehen, eilt dann gejagt nach vorne und steht mit krampfhaft verschlungenen Händen vor Susanna

Klementia Susanna!!!

Susanna legt die Hand auf Klementias Schulter und beugt erschöpft das Haupt

Klementia erschüttert ... Schwester Susanna!!... Schwester!... Ihr müßt ruhn. will sie fortführen

Susanna setzt sich auf die Stufen des Altars ... zünd die Kerze an!

Klementia ...

Susanna zünde sie an...

Klementia nimmt einen Wachsstock aus der Nische und geht in den Chor; sie kehrt um in verwirrter Hast, die Augen hinter sich

Susanna was ist...?!...

Klementia in hauchender Angst ... ich... kann... nicht!... sie drängt ganz dicht zu Susanna hin

Susanna erhebt sich und schaut in das Dunkel

Klementia hockt auf die Stufen nieder ... ich weiß... nicht... es weht... es geht.

Susanna der Nachtwind...

Klementia es summt... es klopft...

Susanna die Orgel... die Blüten... sie nimmt ihr den Wachsstock aus der Hand

Klementia Sancta Susanna... kauert in sich zusammen und schlägt die Hände krampfhaft vors Gesicht

Susanna geht langsam zwischen den Betstühlen nach vorne, wo sie gänzlich im Dunkel verschwindet; das ewige Licht verlischt hinter ihrer Gestalt

Aus dem Dunkel nähert sich langsam ein Licht in gleicher Höhe, das Licht des Wachsstocks, den Susanna vor sich her trägt

Susanna zündet die Kerze an

Klementia stützt den Kopf auf die Hand ... es war eine Nacht... es war eine Nacht... wie diese... dreißig... vierzig Jahre... sind es... es war eine Nacht wie diese... steht starr auf, blickt in die Leere und hebt die Hand beschwörend

Susanna wendet sich um und starrt auf Klementia, unter deren Bann

Klementia der Nachtwind sang...

Susanna der... Nachtwind... sang...?

Klementia die... Blüten... schlugen.

Susanna die... Blüten... schlugen...?

Klementia und ich war jung...

Susanna jung...?

Klementia dem Herrn geweiht...

Susanna läßt den Kopf auf die Brust sinken

Klementia hier lag ich auf den Knien so wie... du...

Eine Nachtigall schlägt laut

Klementia schreit heiser auf ... Beata!... sie verhüllt entsetzt mit den Armen ihr Gesicht und läßt die Arme wieder fallen

Susanna hebt den Kopf, starrt sie an, mit großen schreckhaften Augen

Klementia die Worte gepreßt, ins Leere starrend ... bleich... ohne Brustschleier und Stirnband... nackt... so kam sie...

Eine Nachtigall lockt ferne

Klementia daher... zeigt mit starrem Arm nach rechts ... sie schritt die Stufen empor... und sah mich nicht... sie stieg auf den Altar... und sah mich nicht... in heißer Hast... sie preßte ihren nackten sündigen Leib gegen das gekreuzigte Heilandsbild... und sah mich nicht... sie umschlang ihn mit ihren weißglühenden Armen und küßte sein Haupt... und küßte... küßte...

Die beiden Nachtigallen jubeln nah und fern laut und anhaltend

Klementia aufschreiend ... Beata... ich rief... ich rief nur...! ermattet ... da fiel sie herunter... sie fiel...

Die Nachtigallen verstummen plötzlich

Klementia wir trugen sie fort... mit Grauen den Oberkörper halb zum Bilde des Gekreuzigten gewendet und die Hände abwehrend von sich gestreckt ... seitdem brennt die Kerze... ewig... die Kerze zur Sühne... seitdem gürtet der Schal die Lenden... die Lenden... dort... zeigt ins Dunkel hinter das Kruzifix ... dort haben sie... sie... eingemauert... Fleisch und Blut... in Mauer und Stein... heiser ... hörst du sie?!... hörst du...?! ich hab... sie gehört... lange... immer... vorhin... zeigt in das Dunkel zum Hochaltar ... dort... eben schlägt die Hände vors Gesicht ... allmächtiger Vater im Himmel!... die Kerze ist erloschen!

Susanna starr ich habe sie wieder entzündet!... sie stützt ihre Hand auf den Altar

Klementia läßt die Hände langsam sinken und starrt sie an

Eine faustgroße Spinne kriecht aus dem Dunkel hinter dem Altar hervor

Klementia sinkt entsetzt in die Knie, auf das Insekt weisend ... die... Spinne!...

Susanna wendet den Kopf zur Spinne und bleibt in lähmendem Zittern gebannt stehen

Die Spinne läuft über den Altar und verschwindet an der andern Seite hinter dem Kruzifix

Susanna wendet sich nach einer Weile Klementia zu, nimmt bebend und zusammenschauernd in mechanischer Bewegung die Hand vom Altar... die Hände vom Körper ab zu Boden gestreckt... erstarrend ... hörst du sie...?!

Klementia entsetzt ... hörst... du...

Susanna ... hörst... du

Klementia ....

Susanna ... die Stimme...

Klementia ... ich... höre... nichts

Susanna ....

Klementia macht eine Bewegung zum Aufschrei, bleibt aber heiser vor Entsetzen ... ich höre... nichts!

Susanna geisterhaft nachsprechend ... bekenne... bekenne... sie steht mit dem Rücken gegen das Kreuz gewendet.

Susanna ... sagt... er... was?!...

Klementia in höchstem Entsetzen ...?!

Susanna macht eine Kopfbewegung nach dem Kreuze hin

Klementia faltet die Hände, stotternd ... Ave... Maria...

Susanna sagt er nichts...?!...

Klementia schüttelt in stummem Entsetzen den Kopf

Susanna löscht mit der Hand den Wachsstock aus, der noch immer in ihrer Hand brennt und legt ihn auf den Altar, alle Bewegungen mechanisch ausführend; dann steigt sie vom Altar herunter... Schritt für Schritt... lautlos... bleibt dicht vor Klementia stehen

Susanna lacht kurz silberhell glücklich auf... ein zartes vielstimmiges Echo mischt sich mit dem verhallenden Singen des Windes und dem Raunen der Zweige... reißt sich Brustschleier, Kopftuch und Binde ab; ihr langes Haar fällt über die nackten Schultern Schwester Klementia... ich bin schön...!

Der Wind stößt stark, die Zweige rauschen gewaltig und die Nachtigallen schlagen hell zusammen

Klementia sinkt, die gefalteten Hände hoch erhoben, in die Knie.

Susanna Schwester Klementia... ich bin schön...

Klementia Sancta Susanna...

Susanna Schwester Klementia... ich bin...

Klementia erhebt sich starr und steif, mit jedem Worte fester werdend Keuschheit... Armut... Gehorsam...

Susanna verstummt sie anstarrend, die Hand schwer auf dem Betstuhl

Klementia geht fest an ihr vorbei in das Dunkel; das Fenster klappt heftig zu, der jubelnde Gesang der Nachtigallen, das Rauschen der Bäume und das Singen des Windes erstirbt jäh

Klementia kehrt zurück

Susanna springt auf und faßt sie an das Fenster auf!... das Fenster...

Klementia hebt ihr das große Kreuz des Rosenkranzes entgegen

Susanna taumelt, das Kreuz anstarrend, Schritt für Schritt zurück bis zum Altar ... ich... ich sehe den... leuchtenden Leib...!... ich seh... ihn herniedersteigen... ich... fühle die Arme breiten...

Klementia hält das Kreuz hoch ... Keuschheit... Armut... Gehorsam... jedes Wort hallt klar aus den Wölbungen wider, zuletzt alle drei ineinander verschwimmend und verhallend

Susanna schreit auf und starrt umher wer spricht da?!...

Klementia ich!

Susanna ich... ich... ich... sprach das nie !!...

Klementia hält ihr das Kreuz entgegen

Susanna reißt das Lendentuch von dem großen Kruzifix in einem Riß herunter so helfe mir mein Heiland gegen den euren ...! sie sinkt in die Knie und schaut zu ihm auf

Die Spinne fällt hinter dem Kreuzesarm herunter ihr in das Haar

Susanna schreit gellend auf und schlägt mit der Stirn auf den Altar

Die Spinne kriecht über den Altar und verschwindet dahinter

Die Horenglocke läutet grell durch die Gewölbe, dazwischen schallt dumpf der Glockenschlag der zwölften Stunde

Susanna stört auf, fährt mit den Händen wild und wirr durchs Haar und kriecht auf allen vieren die Stufen des Altars herunter in Entsetzen vor sich selber fliehend

Mit dem letzten Stundenschlag verstummt die Horenglocke

Klementia läßt das Kreuz sinken Ave Maria!... ein neuer Tag!...

Susanna hockt stieren Blicks auf der untersten Altarstufe

Leise Schritte schlurfen und Gebete murmeln

Der Zug der Nonnen tritt ein

Vorbeterin kyrie eleison...

Chor kyrie eleison...

Vorbeterin regina coeli sancta...

Chor ora pro nobis...

Vorbeterin virgo virginum sancta...

Chor ora pro nobis...

Das Mondlicht, das bisher in hellen Streifen durch die Fenster fiel und bläuliche Lichter auf die Betstühle warf, verlischt; es wird ganz dunkel Die Nonnen kommen vor bis zum Weihwasserbecken, stocken, als sie auf Klementia stoßen, die unbeweglich im Mittelgang zwischen den Pfeilern steht und auf Susanna schaut. Das Gebet verstummt; die Nonnen sammeln sich in stummer Bewegung in weitem Halbkreis um Susanna; endlich stehen alle still unbeweglich in stummer Scheu

Alte Nonne tritt lautlos einen Schritt vor ... Sancta... Susanna!...

Susanna stört pfeilgerade in die Höhe

Alte Nonne senkt das Haupt Sancta Susanna...!

Susanna hinter dem Hofe liegen Steine...

Alte Nonne schaut auf

Susanna fest Ihr sollt mir die Mauer richten!...

Alte Nonne sinkt langsam die Arme breitend in die Knie

Chor folgt ihr

Klementia steht starr auf Susanna schauend

Susanna plötzlich stark nein!...

Alte Nonne springt auf

Chor folgt ihr

Alte Nonne hebt das Kreuz ihres Rosenkranzes über ihr Haupt

Chor folgt ihr

Alte Nonne beichte!...

Susanna ......

Klementia hebt das Kreuz

Klementia und Alte Nonne hart dringlich beichte!!!

Susanna nein!!!...

Klementia, Alte Nonne und Chor gellend beichte!!!

Das Wort hallt aus den Gewölben dreimal wider, die Kirchenfenster zittern, der Sturm heult draußen auf

Susanna nein!!! Das Echo des Wortes wird von dem vorigen verschlungen

Alte Nonne in Ekstase Satana!!!

Alte Nonne und Klementia Satana!!!

Alte Nonne, Klementia und Chor Satana!!!...

Gellendes, verworrenes Echo.

Susanna steht hoch aufgerichtet, in unberührter Hoheit

Alle stehen still und unbeweglich