Bereits im XX. Unterrichtsbriefe (Äolsharfe Jahrg. II. Nr. 4) habe ich kurz das Wesen des Schüttelreims (Schling-, Wechsel- oder Kaleidoskopreims) beleuchtet. Da das Schüttelreimgedicht inzwischen durch einen unserer berufensten Lyriker der Jetztzeit, ehemaligen Schüler und nunmehr hochgeschätzten Freund von mir (Herrn Johannes Köhnke, s. Äolsharfenkalender f. 1886 S. 72.) zu epochemachender Bedeutung gelangt ist, auch um den vielfachen Anforderungen ehemaliger Schüler zu genügen, habe ich mich entschlossen, diese schwierige Form der Kunstlyrik hier ganz uneigennützig abzuhandeln, dergestalt, daß diese vielfach als Geheimniß angesehene Kunst nunmehr enthüllt werden soll.
Der Schüttelreim ist, wie gesagt (l. c.), der eigentliche, ursprüngliche und natürliche Reim, da er nicht die Unselbständigkeit und Abhängigkeit anderer Reime in sich schließt. Diese sind stichogame Phonorthographika (s. Brief II), während der Schüttelreim stichoagam ist (s. Brief XX), nicht außer sich den Gleichklang sucht, sondern in sich und an sich phonorthographische Befriedigung findet. Das wußten die alten Griechen schon: to dorpon (das Abendessen) brachten die mit Brot und Zwiebeln sich begnügenden Griechen mit podron (ein unhöflicher Hauch) in naturgemäße klangreimliche Verbindung. Beiläufig vielleicht der älteste, weil schon vor Homer vorkommende Schüttelreim.
Das geheimnißvolle Weben der Natur, welches der Mensch auch für alle geistigen Gaben dankbar annehmen muß, feiert im Schüttelreime seine Offenbarung. Wenn schon Gellert dem ordinären Reim die Macht zuspricht, Gedanken herbeizuführen und dafür Sonne – Wonne, Liebe – Triebe, Herz – Schmerz u.s.w. anführt, um wieviel berechtigter darf dies vom Schüttelreim gelten, als ihm solche Wohlfeilheit nicht genügt, er die seltensten und seltsamsten Beziehungen, in denen oft überraschende Gedanken und Ideenverbindungen liegen, herbeiführt und, wie Schiller sagt:
»für Dich dichtet und denkt.«
»Es bedarf,« sagt nicht mit Unrecht Meier-Prenzlau, »mehr des Scharfsinnes, der mit dem Dichten nichts zu thun hat, als der poetischen Anlage, die Gedanken, welche der Schüttelreim gibt, rhythmisch zu koppeln, so daß durch seine Hülfe selbst Diejenigen, welchen die Muse den Kuß spröde versagen will, sich denselben erobern und also zu nützlichen Mitgliedern der Dichtergemeinde herangebildet werden können.«
Sonnenwende – Wonnen sende, Klagesang – Sage klang, Wangenpracht – Prangen wacht, Krieg sehnen – Sieg krönen, Weben Lieder – Leben wieder, Feierlichst – Leier fichst.
Kleiden wir die zum Verse gehörigen, fehlenden Worte in Versfüße ein, so entstehen nun daraus folgende Verse:
Daß um die Zeit der Sonnenwende
Der Sommer neue Wonnen sende.
Und wie aus alter Sage klang
Sein schwermutvoller Klagesang.
In rosig zarter Wangen Pracht
Der Unschuld ganzes Prangen wacht.
Die nach gerechtem Krieg sich sehnen,
Sie werden mit dem Sieg sich krönen.
Laß mich, Apollo, leben wieder,
Zu Deinem Ruhm mich weben Lieder.
Wenn Du für Deine Leier fichst,
So thu' es ernst und feierlichst.
Seine Hochwohlgeboren, Herr Guido v. Posematzky sagt: »Der Schüttelreim ist der Aristokrat der Reimgeschlechter, jeder ist ein exklusives Unicum und doch gibt es nach meiner Schätzung allein über 2 500 000 deutsche reine Schüttelreime.«
Aber die Natur bringt nicht immer Vollkommenes hervor und gefällt sich bisweilen in Räthseln, die unser menschlicher Verstand nicht zu lösen versteht, so dunkel sind sie oft.
Solche Mißgeburten unter den Schüttlereimen (Kakosticha) wirken oft verblüffend, doch soll sich der Schüttelreimer durch dieselben nicht irre machen lassen, sondern nach wohlgebildeteren suchen. Er findet sie. Da ist zum Beispiel das schöne Wort Buchenhain. Wir schüttelreimen:
Kaum trat ich in den Buchenhain,
Da stieß ich auf ein Huchenbein.
Der Huchen ist nun aber ein in der Donau lebender gefräßiger Fisch (auch Hauch, Rothfisch, Salmo hucho L.), welcher Flossen, aber keine Beine, Gräten, aber keine Knochen hat.
Hierher gehört auch der theoretische Schüttelreim, welcher trotz seiner Reinheit in der Schüttelung der Buchstaben, doch durch Außerachtlassung der Silbenquantität sich unverwendbar macht, z. B.
(aus: dem sterbenden Araber)
Nahm Abschied von dem Erdenpfade
Und sagte seinen Pferden Ade.
Ferner Annamarie – Manna-Arie u.s.w.
Der Schüttelreim kann dem Dichter oft aber auch aus großer Verlegenheit helfen. Man sucht z. B. für sein Gedicht Namen, möchte sich aber nicht in der Wahl vergreifen und sich vielleicht einen Prozeß an den Hals ziehen. Darüber hilft er hinweg. Zum Beispiel meine Dichtung will ein schönes Mädchen beim Vaternamen nennen, da helfe ich mir so:
Das schönste Weib ist Käthchen Menner,
Sprach Junker Veit, ein Mädchenkenner.
Der Name Menner steht nicht im Wohnungsanzeiger und Niemand kann sich daher getroffen fühlen.
Der Schüttelreim ist, wie Conradin sehr richtig sagt, ein Leitstern und Bilderfinder (Äolsharfenkalender Jahrg. 1886 S. 72). Haben wir einen gefunden, so versetzt er uns sogleich in Stimmung und Verhältnisse, man sieht, wo er hin will, und hat sich danach zu richten.
Wir wollen dies zum Schluß an einem Beispiel erläutern. Wählen wir daher aus unserem Schüttelreim-Vorrath (leider giebt es noch kein Schüttelreimlexikon, eine immer brennender werdende Lücke im Bücherschatze) einen solchen heraus, der halbwegs zu der Stimmung paßt, welche wir dichterisch ausnützen wollen, oder suchen wir nach einem uns bisher unbekannt gebliebenen Schüttelreim. Ich suche und finde z. B. scheiden hier – Heiden schier. Meine lyrische Stimmung erwacht und knüpft an das Scheiden einen Jüngling, nämlich von seiner Liebsten. Ich gehe die Reihe der Scheidungsgründe durch, und da ich es mit einem wohlanständigen Jüngling zu thun haben will, komme ich auf das unchristliche Schminken der Mädchen. Ja, dies ist altheidnisch und gilt nur bei rohen heidnischen Völkern für anständig. Da habe ich gleich, und zwar rede ich das Mädchen an:
Das Schminken lieben Heiden schier,
Vom Jüngling wird's Dich scheiden hier.
Jetzt muß die nähere Erklärung und Warnung kommen. Der Schüttlereim leitet mich, auf Schminke weiter zu suchen, und siehe da, es entsteht
Manch Einer, welche Schmink' verräth,
Ist der Verlobungsring verschmäht.
Weiter führt mich Ideenverbindung auf den Ort, wo die Schminke hingestrichen wird, und ich komme naturgemäß auf den Schluß:
Merk's, die sich schminkt die Wänglein, irrt,
Daß sie dadurch zum Englein wird.
Nun machen wir noch die Überschrift: »An ein geschminktes, sonst aber anständiges Mädchen« und das Gedicht ist fertig. Und somit glaube ich das Geheimniß der Schüttelreimkunst enthüllt zu haben. Es giebt nichts Einfacheres und Dankbareres.
Mache Zweizeilener aus folgenden Schüttelreimen:
Liebe traut – Triebe laut. – Herz schalten – Scherz halten. – Fingerring – Ringer fing. – Trauerbank – Bauer trank. – Nachtlicht – lacht nicht. – Hauselfen – aushelfen. – Wonnenacht – Nonne wacht. – Landstraß' – Strand las. – Potentaten – todten Pathen. – Brodneid – Noth breit. – Rechtsanwalt – Rechtswahn alt.
Bringe folgende Schüttelreime in die Form einer Ballade:
Wonne sehen Sonne wehen Garten wallt Warten galt Wiesen prangen Priesen Wangen Birne stand Stirne band Liebe sogen Sie belogen |
Minnen sag' Sinnen mag Maid von Ferne Veit von Merne Schilde wohnt Wilde schont Reiterwagen Weiter ragen Scherz zu halten Herz zu schalten |
Sterne fand Ferne stand Brände hauchen Hände brauchen Liebesthränen Triebes lehnen Reue trank Treue rang |