Für mich wie für den Leser bedaure ich, daß dies kein Roman, sondern die treue Übersetzung eines sehr traurigen Berichtes ist, der im Dezember 1585 in Padua aufgeschrieben worden ist.
Ich befand mich vor einigen Jahren in Mantua, um Skizzen und kleine Bilder zu suchen, die im Einklang mit meinem beschränkten Vermögen stünden; ich suchte Maler, die vor dem Jahre 1600 gearbeitet hatten, denn etwa um diese Zeit ist die italienische Originalität vollends ausgestorben, die schon durch die Besetzung von Florenz im Jahre 1530 sehr gelitten hatte.
An Stelle von Gemälden bot mir ein alter, sehr reicher und geiziger Patrizier alte, von der Zeit vergilbte Manuskripte sehr teuer zum Kauf an; ich bat um die Erlaubnis, sie durchfliegen zu dürfen; er stimmte bei und fügte hinzu, er rechne darin auf meine Anständigkeit, daß ich mich an die pikanten Anekdoten, die ich lesen sollte, nicht erinnern würde, wenn ich die Manuskripte nicht kaufte.
Unter dieser Bedingung, die mir paßte, habe ich sehr zum Schaden meiner Augen an dreihundert oder vierhundert Bände durchflogen, worin vor zwei oder drei Jahrhunderten Erzählungen von tragischen Abenteuern angehäuft worden sind, von Herausforderungsschreiben zu Zweikämpfen, Friedensverträgen zwischen vornehmen Nachbarn, Aufzeichnungen über Dinge aller Art usf. Der alte Eigentümer forderte für diese Manuskripte einen ungeheuren Preis.
Nach langem Unterreden erwarb ich gegen eine sehr große Summe das Recht, gewisse kleine Geschichten, die mir gefielen und die Lebensgewohnheiten Italiens um 1500 zeigten, zu kopieren. Ich besitze zweiundzwanzig Foliobände davon, und was der Leser hier lesen wird, wenn er überhaupt Geduld dazu hat, ist eine dieser getreu übersetzten Geschichten. Ich kenne die Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts in Italien, und ich glaube, daß das Folgende vollkommen wahr ist. Ich habe mir Mühe gegeben, damit die Übersetzung dieses ernsten, geraden, düsteren, altitalienischen Stils, der voll Anspielungen auf Dinge und Vorstellungen ist, welche die Welt unter dem Pontifikat Sixtus V. beschäftigt haben, nicht etwa die moderne schöne Literatur widerspiegelt und die Ideen unseres vorurteilslosen Jahrhunderts.
Der unbekannte Autor des Manuskripts ist eine vorsichtige Persönlichkeit; er beurteilt niemals eine Tatsache, er bereitet nie auf sie vor, sein einziges Bestreben ist, wahrheitsgemäß zu berichten. Wenn er dabei bisweilen, ihm unbewußt, malerisch wird, kommt das daher, daß im Jahre 1585 noch nicht alle Handlungen der Menschen von einer Eitelkeitsaureole verschleiert waren; man glaubte damals, nur dann auf den Nachbar wirken zu können, wenn man sich mit größter Klarheit ausdrückte. Um 1585 dachte außer den Hofnarren oder den Poeten niemand daran, liebenswürdige Redewendungen zu gebrauchen. Man sagte noch nicht im Augenblick, wo man Postpferde holen ließ, um die Flucht zu ergreifen: ich werde zu Füßen Eurer Majestät sterben; dies war vielleicht die einzige Art von Verrat, die nicht üblich war. Man sprach wenig und jeder hörte mit äußerster Aufmerksamkeit auf das, was ihm gesagt wurde.
Also, gütiger Leser, suche hier nicht eine beziehungsreiche, leichte Schreibweise, die von frischen Anspielungen auf die Art des modernen Empfindens glänzt, erwarte nicht etwa die spannenden Erregungen eines Romans der George Sand; diese große Schriftstellerin hätte ein Meisterwerk aus dem Leben und dem Unglück der Vittoria Accoramboni gemacht. Die wahrheitsgetreue Erzählung, die ich darbiete, kann nur die bescheidenen Vorzüge der Historie haben. Wenn man aber zufällig bei einbrechender Nacht allein im Postwagen sitzt und sich anschickt, über die große Kunst der Ergründung des menschlichen Herzens nachzudenken, wird man die Begebenheiten dieser Erzählung als Grundlage seiner Beurteilung annehmen können. Der Verfasser sagt alles, erklärt alles, überläßt nichts der Einbildungskraft des Lesers; er schrieb die Geschichte zwölf Tage nach dem Tod der Heldin.
*
Vittoria Accoramboni stammte aus altadeligem Geschlecht einer kleinen Stadt des Herzogtums Urbino, die Agubio heißt. Schon von Kindheit an fiel sie allen durch ihre seltene, ungewöhnliche Schönheit auf. Aber diese Schönheit war ihr geringster Reiz. Nichts fehlte ihr, was ein Mädchen von vornehmer Geburt bewundernswert macht, aber nichts war so bemerkenswert, ja, man kann sagen: keine unter so vielen außerordentlichen Eigenschaften grenzte so ans Wunderbare, wie eine ganz eigne reizende Anmut, welche ihr beim ersten Anblick Herz und Willen eines jeden gewann. Und diese Natürlichkeit, die dem geringsten ihrer Worte Macht verlieh, war nicht durch den leisesten Anflug von Künstelei getrübt; von Anfang an faßte man Zutrauen zu dem vornehmen Mädchen, dem eine so ungewöhnliche Schönheit verliehen war. Mit äußerster Kraftanstrengung hätte man diesem Zauber vielleicht widerstehen können, solange man sie nur gesehen hätte; aber wenn man sie sprechen hörte und besonders, wenn man in eine Unterhaltung mit ihr geriet, war es ganz unmöglich, sich einem so ungewöhnlichen Reiz zu entziehen.
Viele junge Kavaliere aus Rom, wo ihr Vater wohnte und man seinen Palast noch heute auf der Piazza Rusticucci nahe Sankt Peter sehen kann, warben um ihre Hand. Es gab viel Eifersucht und Nebenbuhlerschaft; aber schließlich gaben Vittorias Eltern Felice Peretti den Vorzug, dem Neffen des Kardinals Montalto, der später der glücklich herrschende Papst Sixtus V. geworden ist.
Felice war der Sohn Camilla Perettis, einer Schwester des Kardinals und hieß früher Francesco Mignucci. Er nahm den Namen Felice Peretti erst an, als er von seinem Oheim in aller Form adoptiert wurde.
Als Vittoria in das Haus Peretti einzog, brachte sie, ohne daran zu denken, jenes Überstrahlende mit, das man schicksalhaft nennen kann; so daß man sagen möchte: um sie nicht anbeten zu müssen, dürfte man sie nie gesehen haben. Die Liebe, die ihr Mann für sie fühlte, ging bis zum Wahnsinn; ihre Schwiegermutter und der Kardinal Montalto selbst schienen auf Erden keine andre Beschäftigung zu haben, als die Wünsche Vittorias zu erraten, um sie sogleich zu erfüllen. Ganz Rom staunte, wie dieser Kardinal, der ebenso durch die Geringfügigkeit seines Vermögens, wie durch seinen Abscheu vor jedem Luxus bekannt war, jetzt ständig Freude daran fand, allen Wünschen Vittorias zuvorzukommen. Jung, im Glanz ihrer Schönheit und von allen angebetet, unterließ sie es nicht, bisweilen recht kostspielige Einfälle zu haben. Vittoria empfing von ihren neuen Verwandten die kostbarsten Schmucksachen, Perlen und überhaupt alles, was bei den Goldarbeitern Roms, die damals sehr gut versorgt waren, als Seltenheit galt.
Aus Liebe zu dieser liebenswürdigen Nichte behandelte der wegen seiner Strenge so bekannte Kardinal Montalto die Brüder Vittorias, als ob sie seine eignen Neffen wären. Ottavio Accoramboni wurde, kaum dreißig Jahr alt, durch die Vermittlung des Kardinals Montalto vom Herzog von Urbino zum Bischof von Fossombrone vorgeschlagen und vom Papst Gregor XIII. dazu ernannt; Marcello Accoramboni, ein Jüngling von ungestümem Mut, mehrerer Verbrechen angeklagt und eifrig von der Corte verfolgt, war mit größter Mühe den Verfolgungen entgangen, die leicht zu seinem Tode hätte führen können. Durch die Protektion des Kardinals gestützt, konnte er eine gewisse Ruhe wieder erlangen.
Ein dritter Bruder Vittorias, Giulio Accoramboni, wurde vom Kardinal Alessandro Sforza zu den ersten Ehrenposten seines Hofs zugelassen, kaum, daß der Kardinal darum ersucht hatte.
Mit einem Wort, wenn die Menschen ihr Glück nicht an der unendlichen Unersättlichkeit ihrer Wünsche messen würden, sondern am wirklichen Genusse aller Vorteile, die sie schon besitzen, so hätte den Accoramboni die Heirat Vittorias mit dem Neffen des Kardinals Montalto als Gipfel menschlicher Glückseligkeit erscheinen müssen. Aber dies unsinnige Verlangen nach unermeßlichen und unvorstellbaren Vorteilen treibt selbst Menschen, die auf der Höhe des Glücks stehen, in seltsame und gefährliche Bahnen.
Es ist wohl wahr: wenn irgendeiner der Verwandten Vittorias, in dem Wunsch, zu größerem Reichtum zu gelangen, dazu beigetragen hätte, sie von ihrem Gatten zu befreien, – wie ja in Rom vielfach Verdacht gehegt wurde –, so hätte er bald nachher erkennen müssen, wieviel weiser es gewesen wäre, sich mit den mäßigen Vorteilen eines angenehmen Glücks zu begnügen, welches ja so bald danach zu all dem aufgestiegen wäre, was menschlicher Ehrgeiz nur wünschen kann.
Während nun Vittoria gleich einer Königin in ihrem Hause lebte, wurde Felice Peretti eines Abends, gerade als er mit seiner Frau zu Bett gegangen war, ein Brief durch eine gewisse Caterina zugestellt, die aus Bologna stammte und Vittorias Kammerfrau war. Dieser Brief war von einem Bruder Caterinas, Domenico d'Aquaviva, mit dem Spitznamen il Mancino, der Linkshändige, überbracht worden. Dieser Mann war wegen verschiedener Verbrechen aus Rom verbannt, aber auf Bitten Caterinas hatte ihm Felice die mächtige Protektion seines Oheims des Kardinals verschafft, und der Mancino kam oft in Felices Haus, der großes Vertrauen in ihn setzte.
Der Brief, von dem wir sprechen, war im Namen Marcello Accorambonis geschrieben, welcher von allen Brüdern Vittorias Felice am liebsten war. Er lebte gewöhnlich versteckt außerhalb Roms, aber trotzdem wagte er sich manchmal in die Stadt und fand dann eine Zuflucht in Felices Haus.
In dem zu so ungewöhnlicher Stunde zugestellten Brief rief Marcello seinen Schwager Felice Peretti um Beistand an, er beschwor ihn, ihm zu Hilfe zu kommen und fügte hinzu, daß er ihn in einer Angelegenheit von großer Dringlichkeit beim Palazzo Montecavallo erwarte.
Felice teilte seiner Frau von dem seltsamen Brief mit, den er erhalten hatte; dann kleidete er sich an und nahm keine andre Waffe als sein Schwert. Von einem einzigen Diener begleitet, der eine brennende Fackel trug, war er schon im Fortgehen, als er seine Mutter Camilla und alle Frauen des Hauses, auch Vittoria unter ihnen, auf seinem Weg fand; alle baten ihn inständigst, nicht zu dieser vorgerückten Stunde fortzugehen. Da er ihren Bitten nicht nachgab, fielen sie auf die Knie und beschworen ihn weinend, auf sie zu hören.
Die Frauen, und besonders Camilla, waren durch die Erzählung seltsamer Dinge in Schrecken gesetzt, die sich alle Tage ereigneten und in dieser Zeit des Pontifikats Gregors XIII., die voller Unruhen und unerhörter Attentate war, ungestraft blieben. Noch ein Gedanke beunruhigte sie: Wenn Marcello Accoramboni es wagte, nach Rom zu kommen, war es nicht seine Gewohnheit, Felice rufen zu lassen, und gar zu solcher nächtlicher Stunde schien ihnen ein derartiger Schritt gegen jeden Anstand zu sein.
In dem vollen Feuer seiner Jugend wollte Felice nicht auf diese ängstlichen Vernunftgründe hören; als er noch dazu erfuhr, daß der Brief vom Mancino gebracht worden war, den er sehr gern hatte und dem er Gutes erwiesen hatte, konnte ihn nichts halten, und er verließ das Haus.
Ihm voraus ging, wie schon gesagt wurde, ein einziger Diener mit einer brennenden Fackel. Aber der arme junge Felice hatte kaum einige Schritte des Aufstiegs zum Monte Cavallo gemacht, als er von drei Flintenschüssen getroffen zusammenbrach. Als die Mörder ihn auf der Erde sahen, warfen sie sich auf ihn und durchbohrten ihn nach Gefallen mit Dolchstichen, bis er ihnen völlig tot zu sein schien. Augenblicklich wurde diese verhängnisvolle Nachricht zu Felices Mutter und Frau gebracht, und durch diese gelangte sie zu seinem Oheim, dem Kardinal.
Der Kardinal ließ sich, ohne eine Miene zu verändern, ohne die kleinste Bewegung zu verraten, sofort wieder ankleiden, dann empfahl er sich selbst und diese arme, so unvorbereitet dahingeraffte Seele seinem Gott. Er begab sich zu seiner Nichte und durch eine das tiefste Gleichgewicht zeigende Miene und bewundernswerte Würde wußte er dem Klagen und Weinen der Frauen, das im ganzen Haus zu widerhallen begann, etwas Einhalt zu tun. Seine Macht über diese Frauen war von solcher Wirksamkeit, daß man von diesem Augenblick an, und selbst, als der Leichnam aus dem Hause getragen wurde, nichts hörte noch sah, was im geringsten von dem abgewichen wäre, was in den korrektesten Familien bei einem längst vorhergesehenen Todesfall stattfindet. Was den Kardinal Montalto selbst betrifft, konnte niemand an ihm die geringsten Zeichen auch nur des einfachsten Schmerzes wahrnehmen; nichts wurde in der Ordnung und äußeren Erscheinung seines Lebens verändert. Rom hatte sich bald davon überzeugt; jenes Rom, welches mit seiner gewohnten Neugier die geringsten Bewegungen eines so tief verletzten Mannes beobachtete.
Zufällig wurde gerade am Tage nach der Ermordung Felices das Konsistorium der Kardinäle im Vatikan zusammengerufen. Es gab keinen in der ganzen Stadt, der nicht glaubte, wenigstens an diesem ersten Tage würde sich Kardinal Montalto diesem öffentlichen Auftreten entziehen. Wo er gerade vor den Augen so vieler und so neugieriger Zeugen erscheinen sollte! Man würde die leisesten Regungen der natürlichen Schwachheit beobachten können, während es doch für eine Persönlichkeit, die von einem hervorragenden Posten aus nach einem noch höheren strebt, angemessener wäre, sie zu verheimlichen. Denn jedermann wird zugeben, daß es nicht passend ist, wenn der, dessen Ehrgeiz es ist, sich über alle anderen zu erheben, ebenso menschlich zeigt wie alle andren.
Aber die solche Gedanken hatten, täuschten sich doppelt; denn erstens erschien der Kardinal seiner Gewohnheit gemäß als einer der ersten im Saal des Konsistoriums und sodann war es auch den Scharfsichtigsten unmöglich, irgendein Zeichen menschlicher Empfindlichkeit an ihm zu entdecken. Im Gegenteil setzte er jedermann durch seine Antworten in Erstaunen, als einige seiner Kollegen aus Anlaß eines so grausamen Ereignisses versuchten, ihm einige tröstende Worte zu sagen. Die Standhaftigkeit und die augenscheinliche Ruhe seiner Seele inmitten eines so fürchterlichen Unglücks wurden bald zum Gespräch der Stadt.
Es ist wohl wahr, daß einige Männer in diesem Konsistorium, die mehr Erfahrung in höfischer Art hatten, diese scheinbare Unempfindlichkeit nicht einem Mangel an Gefühl, sondern einer großen Verstellungsgabe zuschrieben, und diese Auffassung wurde bald nachher von den meisten Angehörigen des Hofes geteilt; denn es war nutzbringend, sich von einer Beleidigung nicht zu tief verletzt zu zeigen, deren Urheber zweifellos hochgestellt war, und später vielleicht den Weg zur allerhöchsten Würde verhindern könnte.
Was immer auch die Ursache dieser augenscheinlich vollständigen Unempfindlichkeit sein mochte, war es doch sicher, daß sie ganz Rom und den Hof Gregors XIII. mit einer gewissen Bestürzung erfüllte. Aber, um auf das Konsistorium zurückzukommen: als alle Kardinäle versammelt waren und der Papst selbst in den Saal trat, wandte er sogleich die Augen zum Kardinal Montalto, und man sah Seine Heiligkeit Tränen vergießen; was den Kardinal betrifft, so verloren seine Züge nicht ihre gewohnte Unbeweglichkeit.
Das Staunen verdoppelte sich, als im gleichen Konsistorium die Reihe an den Kardinal Montalto kam, sich vor dem Thron Seiner Heiligkeit niederzuknien, um über die Angelegenheiten, mit denen er betraut war, Bericht abzulegen, und der Papst, bevor er ihm zu beginnen gestattete, nicht sein Schluchzen zurückhalten konnte. Als Seine Heiligkeit wieder fähig war, zu sprechen, suchte sie den Kardinal zu trösten und versprach ihm dabei, daß dieses ungeheuerliche Attentat streng und schnell gesühnt werden solle. Aber nachdem der Kardinal Seiner Heiligkeit demütigst gedankt hatte, bat er ihn inständigst, keine Nachforschungen über das, was geschehen war, anzubefehlen, da er, was ihn beträfe, aus vollem Herzen dem Urheber verzeihe, wer es auch sein möge. Und unmittelbar nach dieser in sehr wenigen Worten vorgetragenen Bitte, ging der Kardinal zu den einzelnen Angelegenheiten über, mit denen er betraut war; als ob nichts Außergewöhnliches geschehen wäre.
Die Blicke aller beim Konsistorium anwesenden Kardinäle waren auf den Papst und auf Montalto geheftet, und obgleich es sicher sehr schwer sein mag, das geübte Auge eines Hofmanns irrezuführen, wagte doch niemand zu behaupten, daß die Miene des Kardinals Montalto die leiseste Bewegung verraten habe, als er die Tränen Seiner Heiligkeit so aus der Nähe sah, die – um die Wahrheit zu sagen – wirklich ganz außer sich geraten war. Diese erstaunliche Fühllosigkeit des Kardinals Montalto verleugnete sich auch nicht während der ganzen Zeit, die er mit Seiner Heiligkeit zu arbeiten hatte. Es ging so weit, daß der Papst selbst dadurch betroffen wurde und nach Schluß des Konsistoriums nicht umhin konnte, dem Kardinal von San Sisto, seinem Lieblingsneffen, zu sagen: Veramente costui è un gran frate! Wahrlich, der ist ein großer Mönch!
Das Benehmen des Kardinals Montalto war auch während aller folgenden Tage völlig gleichmäßig. Wie es Sitte war, empfing er die Beileidsbesuche der Kardinäle, der Prälaten und der römischen Fürsten, und keinem gegenüber, in welchen Beziehungen er auch zu ihm stehen mochte, ließ er sich zu irgendeiner Äußerung des Schmerzes oder der Klage hinreißen. Nach einer kurzen Darlegung über die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge, die er mit Sentenzen und Zitaten aus der Heiligen Schrift oder den Kirchenvätern belegte, wechselte er kurz das Gespräch und kam auf die Neuigkeiten der Stadt oder auf persönliche Angelegenheiten dessen zu sprechen, mit dem er sich unterhielt, genau, als ob er seinen Trostspender hätte trösten wollen.
Rom war besonders neugierig, was während des Besuchs geschehen würde, den ihm Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano, abstatten mußte, welchem das Gerücht den Tod von Felice Peretti zuschrieb. Das Volk dachte, daß Kardinal Montalto nicht so in der Nähe des Fürsten sein könne und unter vier Augen mit ihm sprechen, ohne irgendwie seine Gefühle zu verraten.
Als der Fürst den Kardinal besuchte, war eine ungeheure Menschenmenge auf der Straße und am Eingang; zahlreiche Höflinge erfüllten alle Räume des Hauses, so groß war die Neugier, das Aussehen der beiden zu beobachten. Aber weder an dem einen noch an dem andern vermochte jemand etwas besonderes wahrzunehmen. Der Kardinal Montalto hielt sich genau an das, was der höfische Anstand vorschrieb; er gab seinem Gesicht einen sehr bemerkenswerten Ausdruck von Aufgeräumtheit und die Art, wie er das Wort an den Fürsten richtete, war von Gefälligkeit erfüllt.
Einen Augenblick später, als der Fürst seinen Wagen bestieg und sich mit den Intimen seines Hofs allein befand, konnte er sich nicht mehr zurückhalten, lachend zu sagen: »In fatto è vero che costui è un gran frate! Es ist wirklich wahr, jener ist ein großer Mönch!« Als ob er die Wahrheit des Wortes bestätigen wollte, das dem Papst vor einigen Tagen entschlüpft war.
Die Klugen dachten, daß die bei dieser Gelegenheit vom Kardinal Montalto gezeigte Haltung ihm den Weg zum Thron ebnen müsse; denn viele Leute faßten über ihn die Meinung, daß er, sei es von Natur oder durch Tugend, niemandem schaden könne oder wolle, wenn er auch allen Grund habe, gereizt zu sein.
Felice Peretti hatte nichts Schriftliches, was sich auf seine Frau bezog, hinterlassen; sie mußte demzufolge in das Haus ihrer Eltern zurückkehren. Der Kardinal Montalto ließ ihr vor ihrem Scheiden die Gewänder, die Schmucksachen und überhaupt alle Geschenke aushändigen, die sie erhalten hatte, während sie die Frau seines Neffen war.
Am dritten Tage nach dem Tode Felice Perettis ließ sich Vittoria, von ihrer Mutter begleitet, im Palast des Fürsten Orsini nieder. Manche sagten, die Frauen wurden zu diesem Schritt durch die Sorge um ihre persönliche Sicherheit getrieben, denn die Corte schien sie mit der Anklage zu bedrohen, dem Mord, der begangen worden war, zugestimmt oder zumindest vor der Ausführung von ihm Kenntnis gehabt zu haben; andre glaubten – und das, was später geschah, schien diese Ansicht zu bestätigen – daß sie den Schritt getan hatten, um die Heirat zu betreiben, da der Fürst Vittoria zugesichert haben sollte, sie zu heiraten, wenn sie keinen Gatten mehr habe.
Immerhin hat man weder damals, noch später den Urheber des Mordes an Felice feststellen können, obwohl jeder auf jeden Verdacht hatte. Die meisten schrieben indessen diesen Todesfall dem Fürsten Orsini zu. Man sagte allgemein, daß er von einer leidenschaftlichen Neigung für Vittoria ergriffen war; er hatte davon unzweideutige Anzeichen gegeben und die Heirat, welche folgte, war ein starker Beweis, denn die Frau stand so weit unter ihm, daß nur die Tyrannei leidenschaftlicher Liebe sie zur Gleichheit der Ehe erheben konnte. Das Volk wurde von der Auffassung auch nicht durch einen, an den Gouverneur von Rom gerichteten Brief abgebracht, den man wenige Tage nach der Tat verbreitete. Dieser Brief war im Namen Cesare Palantieris geschrieben, eines ungestümen jungen Mannes, der aus der Stadt verbannt war.
In diesem Brief sagte Palantieri, es sei nicht nötig, daß seine hochgeborene Gnaden sich die Mühe mache, anderswo den Urheber des Mordes an Felice Peretti zu suchen, da er selbst es gewesen sei, der ihn habe töten lassen und zwar infolge gewisser Differenzen, die vor einiger Zeit zwischen ihnen stattgefunden hätten.
Viele waren der Meinung, daß dieser Mord nicht ohne die Zustimmung des Hauses Accoramboni geschehen sein konnte; man beschuldigte die Brüder Vittorias, daß sie der Ehrgeiz, mit einem so reichen und mächtigen Fürsten in Beziehungen zu treten, verführt habe. Man beschuldigte besonders Marcello wegen der Verdachtsgründe, die durch den Brief gegeben waren, der den unglücklichen Felice nachts aus dem Haus rief. Man sprach auch von Vittoria selbst schlecht, als man sie ihre Zustimmung geben sah, so bald nach dem Tode ihres Gemahls den Palast der Orsini als zukünftige Gattin zu bewohnen. Man behauptete, daß es wenig wahrscheinlich sei, sich plötzlich so nahe, wie bei einem Messerstich, nebeneinander zu finden, wenn man sich vorher nicht, wenigstens durch einige Zeit, Waffen von größerer Reichweite bedient habe. Die Nachforschung über diesen Mord wurde von Monsignore Portici, Statthalter von Rom, nach den Befehlen Gregors XIII. geleitet. Man ersieht daraus bloß, daß Domenico, Mancino genannt, durch die Corte verhaftet, Geständnisse macht und ohne erst auf die Folter gespannt werden zu müssen, im zweiten Verhör, am vierundzwanzigsten Februar 1582, aussagt:
»Daß Vittorias Mutter an allem schuld sei, und daß sie durch die Kammerfrau aus Bologna unterstützt worden sei, welche gleich nach dem Mord Zuflucht in der Feste von Bracciano fand, in die als dem Fürsten Orsini gehörend die Corte nicht einzudringen wagte, und daß die Vollbringer des Verbrechens Macchione de Gubbio und Paolo Barca di Bracciano waren, lancie spezzate eines Herrn, dessen Namen man aus triftigen Gründen nicht nannte.«
Mit diesen triftigen Gründen vereinten sich, wie ich glaube, die Bitten des Kardinals Montalto, der nachdrücklich ersuchte, daß die Nachforschungen nicht weiter getrieben werden mögen, und wirklich war nicht mehr die Rede von einem Prozeß. Der Mancino wurde aus dem Gefängnis mit dem Befehl entlassen, bei Todesstrafe unverzüglich in seinen Heimatsort zurückzukehren und ihn nie ohne eine besondere Erlaubnis zu verlassen. Die Freilassung dieses Mannes fand 1583, am Tage des San Luigi statt, und da dieser Tag auch der Geburtstag des Kardinal Montalto war, bestärkte mich dieser Umstand mehr und mehr in der Annahme, daß auf seine Bitte hin diese Angelegenheit so beendet wurde. Unter einer so schwachen Regierung, wie es die Gregors XIII. war, konnte ein derartiger Prozeß sehr unangenehme Folgen haben.
Die Bemühungen der Corte wurden hiermit eingestellt; trotzdem wollte Papst Gregor XIII. nicht einwilligen, daß Fürst Paolo Orsini, Herzog von Bracciano, die Witwe Accoramboni heirate. Nachdem Seine Heiligkeit der letzteren eine Art Gefangenschaft auferlegt hatte, erließ er für den Fürsten und die Witwe die Vorschrift, daß sie ohne seine oder seiner Nachfolger ausdrückliche Erlaubnis einander nicht heiraten dürften.
Gregor XIII. starb zu Beginn des Jahres 1585 und da die von Fürst Orsini konsultierten Rechtsgelehrten geantwortet hatten, daß sie die Vorschrift durch den Tod des Herrschers, der sie verfügt hätte, für annulliert erachteten, entschloß er sich, Vittoria vor der Ernennung des neuen Papstes zu heiraten. Aber die Ehe ließ sich nicht so schnell schließen, wie der Fürst es wünschte; teils weil er die Zustimmung von Vittorias Brüdern haben wollte und es sich ereignete, daß Ottavio Accoramboni, der Bischof von Fossombrone, niemals die seine zu geben gedachte; teils auch, weil man nicht glaubte, daß die Wahl des Nachfolgers Gregors XIII. so rasch stattfinden würde. Tatsache ist, daß die Ehe erst am gleichen Tag geschlossen worden ist, als der Kardinal Montalto, den diese Angelegenheit so interessierte, zum Papst gewählt wurde, nämlich am vierundzwanzigsten April 1585, sei es, daß dies nur Zufall war, sei es, daß der Fürst zeigen wollte, er fürchte die Corte nicht ärger unter dem neuen Papst, als er sie unter Gregor XIII. gefürchtet hatte.
Diese Heirat beleidigte die Seele Sixtus V. tief (dies war der Name, den Kardinal Montalto gewählt hatte); er hatte schon die Denkweise aufgegeben, die für einen Mönch passend ist, und seine Seele zu der Höhe des Ranges erhoben, in den ihn Gott jetzt gestellt hatte.
Der Papst zeigte aber trotzdem kein Zeichen von Zorn. Allein als sich der Fürst Orsini am gleichen Tage mit der Menge der römischen Edelleute zum Fußkusse eingefunden hatte, mit der geheimen Absicht, in den Zügen des heiligen Vaters zu lesen, was er von diesem bisher so wenig deutlichen Mann zu erwarten oder zu fürchten habe, bemerkte er, daß zum Scherzen nicht mehr die Zeit sei. Der neue Papst hatte den Fürsten in einer eigentümlichen Weise angesehn, und hatte kein einziges Wort auf die Huldigung, die dieser an ihn richtete, geantwortet; daher faßte der Fürst den Entschluß, sofort zu ergründen, welche Absicht Seine Heiligkeit in bezug auf seine Person habe.
Durch Vermittlung des Kardinals Ferdinand von Medici, eines Bruders seiner ersten Frau und des spanischen katholischen Botschafters suchte er um eine Privataudienz beim Papste an und erhielt sie. Hier richtete er an Seine Heiligkeit eine wohleinstudierte Rede; ohne der vergangenen Dinge Erwähnung zu tun, sprach er seine Freude anläßlich der neuen Würde aus und bot Seiner Heiligkeit als treuster Vasall und Diener sein ganzes Vermögen und seine ganze Macht an.
Der Papst hörte ihn mit außerordentlichem Ernst an und antwortete schließlich, niemand wünsche mehr als er, daß in Zukunft das Leben und die Taten des Paolo Giordano Orsini des Geschlechts der Orsini und eines wahrhaft christlichen Ritters würdig seien, daß sein eigenes Gewissen ihm am besten sagen werde, wie er früher zum Heiligen Stuhl und zu dessen Personifizierung dem Papst gestanden sei; daß er indessen sicher sein könne – so gern ihm auch alles vergeben sei, was er gegen Felice Peretti und gegen Felice Kardinal Montalto habe unternehmen können – niemals würde ihm verziehen werden, was er etwa in Zukunft gegen den Papst Sixtus V. unternehmen möchte; daher fordere er ihn hiermit auf, sofort alle Verbannten und Missetäter zu vertreiben, denen er bis heute Unterschlupf geboten habe.
Sixtus V. besaß eine besondere Fähigkeit, sich beim Sprechen jedweden Tones, den er wollte, bedienen zu können; aber wenn er gereizt und drohend war, hätte man sagen können, daß seine Augen Blitze schleuderten. Sicher ist, daß Fürst Paolo Orsini, der immer gewöhnt war, daß die Päpste ihn fürchteten, durch die Sprechweise des Papstes, wie er eine ähnliche nicht in einem Zeitraum von dreizehn Jahren gehört hatte, so ernstlich zum Nachdenken angeregt wurde, daß er vom Palast Seiner Heiligkeit schleunigst zum Kardinal Medici eilte, um ihm zu erzählen, was vorgefallen war. Dann beschloß er, auf den Rat des Kardinals, ohne den geringsten Aufschub alle vom Gericht verfolgten Personen auszuweisen, denen er in seinem Palast und in seinen Staaten Unterkunft gewährt hatte, und er überlegte auch, wie er selbst schnell irgendeinen ehrenvollen Vorwand finden könnte, sogleich die Länder zu verlassen, die unter der Macht eines so entschlossenen Papstes standen.
Man muß wissen, daß Fürst Paolo Orsini außerordentlich umfangreich geworden war; seine Beine waren dicker als der Körper eines durchschnittlichen Menschen und das eine dieser ungeheuren Beine war von der Krankheit befallen, die man la lupa nennt, weil man ihr eine große Menge frischen Fleisches zuführen muß, welches man auf die leidende Stelle legt, sonst würden die bösen Säfte – wenn sie nicht totes Fleisch zu verzehren bekämen – sich auf das umliegende gesunde Fleisch werfen.
Der Fürst nahm dieses Übel als Vorwand, um sich in die berühmten Bäder von Albano, nahe Padua, im Bereich der Republik Venedig, zu begeben; er reiste mit seiner jungen Gattin Mitte Juni dorthin. Albano war für ihn ein ganz sicherer Hafen, denn seit vielen Jahren war das Haus Orsini mit der Republik Venedig durch gegenseitige Dienste verbunden.
In diesem sicheren Lande angekommen, dachte der Fürst Orsini nur daran, die Annehmlichkeiten eines wechselnden Aufenthalts zu genießen, und er mietete zu diesem Zweck drei prachtvolle Paläste: den einen in Venedig, den Palazzo Dandolo in der via della Zecca; den zweiten in Padua, das war der Palazzo Foscarini auf der prächtigen Arena genannten Piazza; den dritten wählte er in Salò, an dem reizenden Ufer des Gardasees: dieser hatte einst der Familie Sforza-Pallavicini gehört.
Die Herren der Republik Venedig vernahmen mit Freude, daß ein solcher Fürst in ihren Staat kommen wollte und boten ihm sofort eine sehr noble Condotta an: das bedeutet eine beträchtliche jährliche Rente, die von dem Fürsten dazu gebraucht werden müßte, ein Korps von zweitausend bis dreitausend Mann aufzustellen, dessen Kommando er zu übernehmen hatte. Der Fürst wies das Anerbieten sehr schnell ab; er ließ den Senatoren antworten: obwohl er sich durch natürliche und von seiner Familie ererbte Neigung in seinem Herzen zum Dienst der erhabenen Regierung geneigt fühle, erschiene es ihm doch, da er gegenwärtig an den katholischen König gebunden sei, nicht passend, eine andere Verpflichtung zu übernehmen. Eine so entschlossene Antwort brachte etwas Lauheit in die Stimmung der Senatoren. Zuerst hatten sie beabsichtigt, ihm bei seiner Ankunft in Venedig im Namen des ganzen Volks einen sehr ehrenvollen Empfang zu bereiten; auf seine Antwort hin beschlossen sie, ihn einfach wie einen Privatmann ankommen zu lassen.
Fürst Orsini, der von allem unterrichtet war, faßte den Entschluß, überhaupt nicht nach Venedig zu gehen. Er war schon in der Nähe Paduas, machte aber nun einen Bogen und begab sich mit seinem ganzen Gefolge nach Salò, in das für ihn vorbereitete Haus am Ufer des Gardasees. Er verbrachte dort den ganzen Sommer unter prächtigen und abwechslungsreichen Zerstreuungen.
Der Zeitpunkt eines Aufenthaltswechsels war gekommen und der Fürst unternahm einige kleine Reisen, nach denen es ihm schien, daß er Anstrengungen nicht mehr so wie früher vertragen könne; er hatte Befürchtungen für seine Gesundheit und dachte schließlich daran, einige Tage in Venedig zu verbringen. Doch wurde er durch seine Gattin Vittoria davon abgebracht, die ihn veranlaßte, den Aufenthalt in Salò zu verlängern.
Viele haben gedacht, daß Vittoria Accoramboni die Gefahr bemerkt habe, der das Leben des Fürsten, ihres Gemahls, ausgesetzt war und daß sie ihn nur veranlaßte in Salò zu bleiben, in der Absicht, ihn später aus Italien fortzubringen, etwa in irgendeine freie Stadt der Schweiz. Durch dieses Mittel hätte sie, im Falle der Fürst starb, sowohl ihre Person, als auch ihr privates Vermögen in Sicherheit gebracht.
Ob solche Voraussetzung begründet war oder nicht, Tatsache ist, daß nichts von dem geschah; denn der Fürst wurde am zehnten November in Salò von einem neuen Unwohlsein befallen und hatte gleich die Vorahnung von dem, was geschehen sollte.
Er hatte Mitleid mit seiner unglücklichen Frau: er sah sie in der schönsten Blüte ihrer Jugend, arm an Gütern wie an Ansehen, zurückbleiben, von den regierenden Fürsten Italiens gehaßt, von den Orsini wenig geliebt und ohne Hoffnung auf eine neue Ehe nach seinem Tode. Wie ein großer Herr von Treu und Ehre machte er aus eigenem Antrieb ein Testament, in dem er das Vermögen der Unglücklichen sicherstellen wollte. Er vermachte ihr an Geld und Juwelen die bedeutende Summe von 100 000 Piastern, außerdem alle Pferde, Karossen und Möbel, deren er sich auf dieser Reise bediente. Den Rest seines Vermögens hinterließ er zur Gänze seinem einzigen Sohn, Virginio Orsini, den ihm seine erste Frau, die Schwester Franz I. Großherzogs von Toskana, geboren hatte und die er, mit Einwilligung ihrer Brüder, wegen Untreue hatte ermorden lassen.
Aber wie unsicher die menschliche Voraussicht ist! Die Verfügungen, welche Paolo Orsini traf, um diese unglückliche junge Frau vollkommen sicher zu stellen, brachten sie in Verderben und Untergang.
Nachdem er sein Testament unterzeichnet hatte, fühlte sich der Fürst am zwölften November ein wenig besser. Am Morgen des dreizehnten ließ man ihm zur Ader, und die Ärzte, die ihre Hoffnung in eine strenge Diät setzten, trafen die genauesten Anordnungen, damit er keine Nahrung zu sich nähme.
Aber sie hatten kaum das Zimmer verlassen, als der Fürst verlangte, daß man ihm das Essen serviere und er aß und trank wie gewöhnlich. Kaum war die Mahlzeit beendet, verlor er das Bewußtsein und zwei Stunden vor Sonnenuntergang war er tot.
Nach diesem plötzlichen Tod begab sich Vittoria, von ihrem Bruder Marcello und dem ganzen Hofstaat des verblichenen Fürsten begleitet, nach Padua, in den bei der Arena gelegenen Palazzo Foscarini, den der Fürst damals gemietet hatte.
Kurz nach ihrer Ankunft wurde sie von ihrem Bruder Flaminio aufgesucht, der beim Kardinal Farnese in vollster Gunst stand. Sie tat gerade damals Schritte, um die Auszahlung des Legats, das ihr Gatte ihr vermacht hatte, zu erwirken. Dieses Legat bestand aus 10 000 Piastern in bar, die ihr im Laufe von zwei Jahren ausgezahlt werden sollten, und zwar unabhängig von ihrer Mitgift und der Gegengabe und allen Juwelen und Möbeln, die in ihrem Besitz waren. Fürst Orsini hatte in seinem Testament verfügt, daß man ihr in Rom oder in einer anderen Stadt, die sie wählte, einen Palast im Werte von 10 000 Piastern und ein Landhaus im Werte von 6000 kaufen solle; außerdem hatte er noch vorgeschrieben, daß für ihren Tisch und für ihren ganzen Hausstand gesorgt werden müsse, wie es einer Frau ihres Ranges gebühre. Der Dienst sollte aus vierzig Leuten bestehen und einer Anzahl Pferden.
Signora Vittoria setzte große Hoffnung in die Gunst der Fürsten von Ferrara, von Florenz und von Urbino und der Kardinäle Farnese und Medici, welche von dem verstorbenen Fürsten zu seinen Testamentsvollstreckern ernannt worden waren. Es ist zu bemerken, daß das Testament nach Padua gesandt und den Kapazitäten Parrizoli und Menochio vorgelegt worden war, den ersten Professoren dieser Universität und noch heute berühmten Rechtsgelehrten.
Fürst Luigi Orsini kam nach Padua, um sich dessen zu entledigen, was er in bezug auf den verstorbenen Fürsten und seine Witwe zu tun hatte und dann als Statthalter der Insel sich nach Korfu zu begeben, wozu er von der erhabenen Republik ausersehen worden war.
Zuerst entstand eine Schwierigkeit zwischen Signora Vittoria und dem Fürsten Luigi wegen der Pferde des verstorbenen Herzogs, von denen der Fürst meinte, daß sie, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch folgend, nicht eigentlich Gebrauchsgegenstände seien; aber die Herzogin bewies, daß sie wie eigentliche Gebrauchsgegenstände anzusehen wären und es wurde beschlossen, daß sie bis zu späterer Entscheidung in ihrer Benützung bleiben sollten; sie stellte als Bürgen den Signor Soardi di Bergamo, Condottiere der Signoria von Venedig, einen sehr reichen und zu den angesehendsten seines Vaterlands zählenden Edelmann.
Es kam noch eine Schwierigkeit hinzu, die eine gewisse Menge Silbergeschirr betraf, das der verstorbene Herzog dem Fürsten Luigi als Zahlung für einen Geldbetrag ausgesetzt hatte, der ihm von diesem geliehen worden war. Alles wurde durch Rechtsspruch entschieden, denn der durchlauchtigste Herzog von Ferrara verwandte sich dafür, daß die letzten Anordnungen des verstorbenen Fürsten Orsini genau durchgeführt würden.
Diese zweite Angelegenheit wurde am dreiundzwanzigsten Dezember, der auf einen Sonntag fiel, entschieden.
In der folgenden Nacht drangen vierzig Männer in das Haus der Accoramboni. Sie waren in Leinengewänder von ungewöhnlichem Schnitt gekleidet, die so angelegt waren, daß man sie nicht erkennen konnte, wenn nicht an der Stimme; und sobald sie sich untereinander riefen, gebrauchten sie gewisse verabredete Ausdrücke.
Sie suchten zuerst nach der Herzogin, und als sie diese gefunden hatten, sagte ihr einer von ihnen: »Jetzt heißt es sterben.« Und ohne ihr einen Augenblick zu gewähren, während sie noch bat, sich ihrem Gott empfehlen zu dürfen, durchbohrte er sie mit einem dünnen Dolch gerade unter der linken Brust. Der Grausame bewegte den Dolch in allen Richtungen und fragte die Unglückliche mehrmals dabei, ob er ihr Herz schon berühre; endlich gab sie den letzten Seufzer von sich. Währenddessen suchten die anderen nach den Brüdern der Herzogin, von denen einer, Marcello, sein Leben rettete, weil man ihn nicht im Hause fand, der andre aber von hundert Stichen durchbohrt wurde. Die Mörder ließen die Toten auf der Erde, das ganze Haus in Tränen und Klagen zurück, und als sie sich der Kassette bemächtigt hatten, welche die Juwelen und das Geld enthielt, verschwanden sie.
Diese Neuigkeit gelangte schnell zu den Behörden von Padua, sie ließen die Leichen agnoszieren und erbaten von Venedig Verhaltungsmaßregeln.
Während des ganzen Montags war ein ungeheurer Zustrom zum Palast und zur Kirche der Eremiten, um die Leichen zu sehen. Die Neugierigen waren von Mitleid bewegt, besonders als sie die Herzogin so schön sahen: sie weinten über ihr Unglück et dentibus fremebant, und knirschten mit den Zähnen gegen die Mörder, wie der Chronist sagt; aber man kannte noch nicht ihre Namen.
Da die Corte auf schwere Indizien hin Verdacht gefaßt hatte, daß die Tat auf Anstiftung oder wenigstens mit Zustimmung des Fürsten Luigi verübt worden sei, ließ sie ihn vorladen und als er ins Gericht zu dem sehr illustren Hauptmann mit einem Gefolge von vierzig Bewaffneten eintreten wollte, versperrte man ihm die Tür und sagte ihm, daß er nur mit drei oder vier Leuten hineingehen dürfe. Aber im Augenblick, als diese eintraten, drängten die andern nach, schoben die Wachen beiseite und traten alle ein. Als Fürst Luigi vor dem sehr illustren Kapitän stand, beklagte er sich über eine solche Beleidigung und betonte, daß noch kein souveräner Fürst eine solche Behandlung erfahren habe. Der sehr illustre Hauptmann fragte, ob er irgend etwas vom Tod der Signora Vittoria und von dem, was in der vorangegangenen Nacht geschehen war, wisse; er erklärte, daß er es wisse und daß er befohlen habe, den Behörden Anzeige zu machen. Man wollte seine Antwort schriftlich niederlegen; er erwiderte, daß Männer seines Ranges nicht an diese Förmlichkeit gebunden seien und daß sie auch nicht verhört werden dürfen.
Fürst Luigi bat um die Erlaubnis, einen Kurier nach Florenz mit einem Brief an den Fürsten Virginio senden zu dürfen, dem er von dem Verfahren Mitteilung machen wolle und von dem Verbrechen, das stattgefunden habe. Er zeigte einen fingierten Brief, der nicht der richtige war und erreichte, was er verlangte.
Aber der abgesandte Bote wurde vor der Stadt angehalten und sorgfältig untersucht; man fand den Brief, den Fürst Luigi gezeigt hatte und einen zweiten, in den Schuhen des Kuriers versteckten; er hatte folgenden Wortlaut:
»Dem Herrn Virginio Orsini
Sehr illustrer Herr,
Wir haben zur Ausführung gebracht, was zwischen uns vereinbart wurde, und auf solche Art, daß wir den sehr illustren Tondini (scheinbar der Name des Vorsitzenden der Corte, der den Fürsten einvernommen hatte) gefoppt haben, und zwar so gut, daß man mich hier für den untadeligsten Menschen von der Welt hält. Ich habe die Sache persönlich gemacht, versäumt daher nicht, sofort die Leute zu schicken, von denen Ihr wißt.«
Der Brief machte Eindruck auf die Behörden; sie beeilten sich, ihn nach Venedig zu schicken; auf ihren Befehl wurden die Tore der Stadt geschlossen und die Mauern Tag und Nacht mit Soldaten besetzt. Man veröffentlichte einen Erlaß, der jedem die strengsten Strafen androhte, welcher die Mörder kenne und das was er wisse, nicht der Behörde anzeige.
Diejenigen der Mörder, welche gegen einen der ihren Zeugnis ablegten, sollten nicht bestraft werden, man würde ihnen sogar eine Summe Geldes auszahlen. Aber um die siebente Stunde nach dem Ave Maria des Weihnachtsabends (am vierundzwanzigsten Dezember gegen Mitternacht) langte Aloisio Bragadino von Venedig mit weitgehender Vollmacht von Seiten des Senats an und mit dem Befehl, den Fürsten Luigi und sein Gefolge lebend oder tot, was es auch kosten möge, zu verhaften.
Der Signor Avogador Bragadino, die Hauptleute und der Bürgermeister vereinigten sich in der Festung.
Unter Androhung des Galgens wurde befohlen, daß die ganze Mannschaft, Fußtruppen und Berittene, gut bewaffnet das Haus des Fürsten Luigi einschließen solle, das anstoßend an die Kirche Sant Agostino nahe der Festung auf der Arena lag.
Als es Tag geworden war, es war der Weihnachtstag, wurde ein Edikt in der Stadt veröffentlicht, welches die Söhne San Marcos aufforderte, bewaffnet zum Hause des Signor Luigi zu eilen; die keine Waffen besaßen, sollten zur Festung kommen, wo man ihnen so viele geben würde, als sie wollten; dieses Edikt versprach eine Belohnung von zweitausend Dukaten demjenigen, der den Signor Luigi lebend oder tot der Corte einlieferte und fünfhundert Dukaten für jeden seiner Leute. Außerdem wurde ein Befehl erlassen, niemand dürfe sich waffenlos dem Hause des Fürsten nähern, damit er denen, die sich schlagen wollten, nicht im Wege sei, falls der Fürst es für günstig hielte, einen Ausfall zu versuchen.
Zu gleicher Zeit brachte man Wallbüchsen, Mörser und schwere Artillerie auf die alten Mauern, dem Hause des Fürsten gegenüber; ebenfalls auf die neuen Mauern, von denen man die Rückseite dieses Hauses erblickte. Auf dieser Seite hatte man auch die Reiterei so aufgestellt, daß sie Bewegungsfreiheit hatte, falls man ihrer bedurfte. Längs der Ufer der Brenta war man damit beschäftigt, Bänke, Schränke, Wagen und andre Gegenstände, die sich zur Deckung eigneten, aufzuhäufen. Man wollte auf diese Weise Unternehmungen der Belagerten erschweren, wenn sie etwa in geschlossener Ordnung gegen das Volk vorgehen würden. Diese Brustwehr sollte auch dazu dienen, die Artilleristen und die Soldaten gegen die Flintenschüsse der Belagerten zu schützen.
Endlich setzte man noch Barken auf den Fluß, dem Hause des Fürsten gegenüber und zu dessen beiden Seiten; welche von Bewaffneten mit Musketen besetzt waren, die den Feind bei einem Ausbruchsversuch beunruhigen sollten; gleichzeitig wurden in allen Straßen Barrikaden errichtet.
Während dieser Vorbereitungen traf ein Schreiben ein, das in sehr gemäßigtem Ton gehalten war. In diesem beklagte sich der Fürst, weil man ihn für schuldig halte und als Feind, ja sogar als Rebell behandle, bevor man die Angelegenheit geprüft habe. Dieser Brief war von Liveroto verfaßt worden.
Am 27. Dezember wurden drei Edelleute, die hervorragendsten der Stadt, von den Behörden zu Fürst Luigi gesandt, welcher bei sich im Hause vierzig Männer, lauter alte kampfgewohnte Soldaten hatte. Man fand sie damit beschäftigt, sich hinter einer Brustwehr aus Balken und mit Wasser getränkten Matten zur Verteidigung einzurichten, und ihre Flinten vorzubereiten.
Die drei Edelleute erklärten dem Fürsten, daß die Behörden entschlossen seien, sich seiner Person zu bemächtigen; sie forderten ihn auf, sich zu ergeben und fügten hinzu, daß er durch diesen Schritt, bevor es noch zum Angriff gekommen sei, einige Barmherzigkeit erhoffen könne. Worauf Fürst Luigi antwortete: daß vor allem die Wachen rings um sein Haus entfernt werden sollten, dann würde er sich von zwei oder drei der Seinen begleitet, zu den Behörden begeben, um über die Sache zu verhandeln; aber nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß es ihm immer freistände, sich in sein Haus zurückzubegeben.
Die Abgesandten übernahmen diese, von seiner Hand geschriebenen Vorschläge und kehrten zu den Behörden zurück, welche diese Bedingungen zurückwiesen; hauptsächlich nach dem Rat des sehr illustren Pio Enea und anderer anwesender vornehmer Herren. Die Abgesandten kehrten zum Fürsten zurück und kündigten ihm an: wenn er sich nicht einfach und ohne jeden Vorbehalt ergebe, werde man sein Haus durch Artillerie wegfegen lassen; worauf er antwortete, daß er den Tod diesem Akte der Unterwerfung vorzöge.
Die Behörden gaben das Signal zum Angriff und obwohl man das Haus fast mit einer einzigen Salve hätte zerstören können, zog man es vor, zuerst mit einer gewissen Vorsicht vorzugehen, um zu sehen, ob die Belagerten sich nicht doch ergeben wollten.
Dieser Ausweg glückte und man hat dadurch San Marco viel Geld erspart, das der Wiederaufbau der zerstörten Teile des angegriffenen Palastes gekostet haben würde; indessen wurde er nicht allgemein gebilligt. Hätten die Leute des Signor Luigi ohne Zögern ihren Entschluß gefaßt und einen Sturm aus dem Hause gewagt, so wäre die Entscheidung höchst unsicher gewesen. Es waren alte Soldaten, es fehlte ihnen weder an Munition, noch an Waffen, noch an Mut, sie hatten das größte Interesse zu siegen, denn war es nicht, selbst den schlimmsten Fall angenommen, besser für sie, durch einen Flintenschuß zu sterben, als durch die Hand des Henkers? Übrigens, mit wem hatten sie es denn zu tun? Mit armseligen Belagerern, wenig erfahren in den Waffen; und in diesem Fall hätten die edlen Herren ihre Klugheit und natürliche Milde bereut.
Man begann also die Kolonnaden an der Vorderseite des Palastes zu beschießen, dann – immer ein wenig höher zielend – zerstörte man die Mauerfront dahinter. Während dieser Zeit unterhielten die Leute aus dem Innern ein starkes Gewehrfeuer, doch ohne andre Wirkung, als daß ein Mann aus dem Volk an der Schulter verwundet wurde.
Signor Luigi schrie mit großem Ungestüm: Kampf! Kampf! Krieg! Krieg! Er war eifrig beschäftigt, Kugeln aus dem Zinn der Schüsseln und aus dem Blei der Fensterrahmen gießen zu lassen. Er drohte einen Ausfall zu machen, doch die Belagerer griffen zu neuen Maßnahmen und man ließ Artillerie schwersten Kalibers vorrücken.
Beim ersten Schuß stürzte ein großes Stück des Hauses zusammen und ein gewisser Pandolfo Leopratti aus Camerino geriet unter die Trümmer. Das war ein Mann von großem Mut und ein Bandit von Ruf. Er war aus den Staaten der Heiligen Kirche verbannt und der illustre Signor Vitelli hatte auf seinen Kopf einen Preis von vierhundert Piastern gesetzt, aus Anlaß der Ermordung von Vincenzo Vitelli, der in seinem Wagen angegriffen und durch Flintenschüsse und Dolchstiche ermordet worden war, die ihm Fürst Luigi Orsini durch den Arm des genannten Pandolfo und seiner Genossen verabreichen ließ. Ganz betäubt von seinem Sturz konnte Pandolfo keine Bewegung machen; ein Bediensteter der Herren Caidi Lista näherte sich ihm, eine Pistole in der Hand und schnitt ihm tapfer den Kopf ab, den er eiligst nach der Festung brachte und den Behörden ablieferte.
Kurz darauf brachte ein anderer Artillerietreffer ein Stück Mauerwerk des Hauses zu Fall und zugleich damit stürzte Graf Montemelino aus Perugia und starb unter den Trümmern, ganz von dem Geschoß zerschmettert.
Darauf sah man eine Persönlichkeit, genannt Oberst Lorenzo, von edlem Geschlecht aus Camerino, aus dem Haus treten, einen sehr reichen Herrn, der bei verschiedenen Gelegenheiten Proben seines Werts gegeben hatte und vom Fürsten sehr geschätzt wurde. Er beschloß, nicht gänzlich ungerächt zu sterben, er wollte sein Gewehr abfeuern, aber während er das Rad drehte, geschah es, vielleicht mit dem Willen Gottes, daß sein Gewehr nicht Feuer gab und in diesem Augenblick ging ihm eine Kugel durch den Leib. Der Schuß war von einem armen Teufel getan, einem Repetitor der Schüler von San Michele. Und als dieser sich nun näherte, um dem Oberst, wegen der ausgesetzten Belohnung, den Kopf abzuschneiden, kamen ihm andre zuvor, die schneller und vor allem stärker waren als er, nahmen die Börse, den Gürtel, die Flinte, das Geld und die Ringe des Obersten und schnitten das Haupt ab.
Diejenigen, in welche Fürst Luigi das größte Vertrauen gesetzt hatte, waren tot; er blieb sehr bestürzt, und man konnte beobachten, daß er keine Bewegung mehr machte.
Signor Filenfi, sein Haushofmeister und Sekretär, machte vom Balkon aus Zeichen mit einem weißen Taschentuch, daß er sich ergeben wolle. Er kam heraus und wurde nach der Festung geführt: »unter dem Arm«, wie es Kriegsgebrauch sein soll; durch Anselmo Suardo, Leutnant der Polizei. Er wurde sogleich verhört und sagte, daß er keine Schuld an den Geschehnissen habe, weil er erst am Weihnachtsabend von Venedig gekommen sei, wo er sich mehrere Tage in Angelegenheiten des Fürsten aufgehalten habe.
Man fragte ihn, wieviel Leute der Fürst bei sich habe; er antwortete: »zwanzig oder dreißig Mann.«
Man fragte nach ihren Namen, er sagte, daß acht oder zehn von ihnen, als Standespersonen gleich ihm an der Tafel des Fürsten speisten und daß er deren Namen wisse, doch besäße er von den anderen, die ein unstetes Leben führten und erst seit kurzem beim Fürsten eingetreten wären, keine nähere Kenntnis.
Er nannte dreizehn Personen, darunter den Bruder von Liveroto.
Kurz darauf begann die Artillerie auf den Stadtmauern zu spielen. Die Soldaten besetzten die Häuser, die an den Palast des Fürsten grenzten, um die Flucht seiner Leute zu verhindern. Der Fürst, der in gleicher Gefahr gewesen war, wie jene, deren Tod wir erzählt haben, sagte denen, die ihn umgaben, sie möchten ausharren, bis sie ein Schreiben von seiner Hand und ein bestimmtes Zeichen gesehen hätten; danach ergab er sich dem schon erwähnten Anselmo Suardo. Und weil man ihn wegen der Menschenmassen und der in den Straßen errichteten Barrikaden nicht wie es vorgeschrieben war, im Wagen abführen konnte, wurde beschlossen, daß er zu Fuß ginge.
Er ging, umgeben von den Leuten des Marcello Accoramboni; ihm zu Seiten waren die Herren Condottieri, der Leutnant Suardo, andre Spitzen und Edelleute der Stadt, alle wohl mit Waffen versehen. Daran schloß gut eine Kompagnie Bewaffneter und Stadtsoldaten. Fürst Luigi ging braun gekleidet, sein Stilett an der Seite und seinen Mantel unter dem Arm, ihn in elegantester Weise tragend; er sagte mit einem Lächeln voller Verachtung: »Wenn ich gekämpft hätte!« Er wollte beinahe zu verstehen geben, daß er den Sieg davongetragen hätte. Vor die Signoria geführt, grüßte er und sagte, auf Signor Anselmo weisend:
»Meine Herren, ich bin der Gefangene dieses Edelmannes und bin sehr ungehalten über das, was ohne mein Darzutun geschehen ist.«
Als ihm auf Befehl des Kapitäns das Stilett, das er an der Seite trug, abgenommen wurde, lehnte er sich an die Fensterbrüstung und begann sich mit einer kleinen Schere, welche dort lag, die Nägel zu schneiden.
Man fragte ihn, welche Personen er in seinem Hause hätte; er nannte unter den andren den Obersten Liveroto und den Grafen Montemelino, von denen schon die Rede war, und sagte, daß er für den einen von ihnen zehntausend Piaster und für den andern sogar sein Blut hingäbe, könnte er sie freikaufen. Er forderte, an einem Ort in Gewahrsam gehalten zu werden, wie es einem Manne seiner Stellung zukomme. Als man sich darüber geeinigt hatte, schrieb er seinen Leuten eigenhändig und befahl ihnen, sich zu ergeben; seinen Ring legte er als Zeichen bei. Er sagte dann Signor Anselmo, daß er ihm seinen Degen und seine Flinte schenke und bat ihn, wenn diese Waffen in seinem Hause gefunden würden, sich ihrer ihm zu Ehren zu bedienen, da es Waffen eines Edelmanns seien und nicht die eines gewöhnlichen Soldaten.
Die Soldaten drangen in sein Haus, durchsuchten es mit Sorgfalt, und auf der Stelle ließ man die Leute des Fürsten antreten, von denen noch vierunddreißig am Leben waren, dann wurden sie, zwei und zwei, in das Gefängnis des Palastes geführt. Die Toten wurden den Hunden zur Beute gelassen und man beeilte sich, von all dem in Venedig Rechenschaft abzulegen.
Man bemerkte, daß viele Soldaten des Fürsten Luigi, Komplizen der Tat, nicht zu finden waren; man verbot, ihnen Schutz zu gewähren, und Zuwiderhandelnden sollten die Häuser zerstört und ihre Güter konfisziert werden; wer sie denunzieren würde, sollte fünfzig Piaster erhalten. Auf diese Weise fand man ihrer mehrere.
Man schickte eine Fregatte von Venedig nach Kandia aus, mit dem Befehl für Signor Latino Orsini, daß er unverzüglich wegen einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit zurückkehren möge; und man glaubt, daß er seine Stellung verlieren wird.
Gestern früh, am Tage des heiligen Stephan, erwartete alle Welt den Fürsten Luigi sterben zu sehen oder zu hören, daß er im Gefängnis erwürgt worden sei; und man war allgemein überrascht, daß es anders geschah, weil er doch kein Vogel wäre, den man lang im Käfig halten dürfte. Aber in der folgenden Nacht fand der Prozeß statt und am Tage von San Giovanni, ein wenig vor Sonnenaufgang, erfuhr man, daß der Herr erdrosselt worden und in sehr guter Haltung gestorben sei. Sein Leichnam wurde ohne Verzug in die Kathedrale gebracht, vom Klerus dieser Kirche und von den Jesuitenvätern geleitet. Er blieb den ganzen Tag über auf einem Tisch in der Mitte der Kirche aufgebahrt, um dem Volk als Schauspiel zu dienen und den Unerfahrenen zur Lehre.
Am nächsten Morgen wurde die Leiche nach Venedig überführt, wie der Fürst es in seinem Testament angeordnet hatte; und dort wurde er begraben.
Am Samstag hängte man zwei seiner Leute; der erste und vornehmere war Furio Savorgnano, der andre war ein gemeiner Mann.
Am Montag, dem vorletzten Tag des Jahrs, hängte man noch dreizehn, von denen mehrere sehr vornehm waren; zwei weitere, der eine war der Kapitän Splendiano und der andre der Graf Paganello, wurden auf den Richtplatz geführt und dabei leicht mit Zangen gezwickt; auf der Richtstätte angelangt, wurden sie niedergeschlagen, man brach ihnen den Schädel und schnitt sie noch fast lebendig in Stücke. Es waren Edelleute, und bevor sie auf den schlechten Weg gerieten, sehr reich. Man sagt, daß es Graf Paganello war, der Vittoria Accoramboni so grausam getötet habe, wie wir es berichtet haben. Andre hielten dem entgegen, daß Fürst Luigi in seinem aufgefangenen Brief bezeugt, daß er die Tat mit eigner Hand ausgeführt habe. Vielleicht war es nur Ruhmsucht wie damals in Rom, als er Vitelli ermorden ließ, oder geschah wohl auch, um sich die Gunst des Fürsten Virginio noch mehr zu sichern.
Bevor Graf Paganello den tödlichen Stoß erhielt, wurde er mit einem Messer wiederholt unter der linken Brust durchbohrt, um sein Herz zu treffen, so wie er es der armen Frau gemacht hatte. Dabei geschah es, daß das Blut wie ein Strom aus der Brust floß. Er lebte so noch länger als eine halbe Stunde, zum großen Staunen aller. Er war ein Mann von fünfundvierzig Jahren, von sehr kräftiger Natur.
Die Galgen sind noch gerichtet, um die neunzehn Übriggebliebenen am ersten Tag, der kein Festtag sein wird, ins Jenseits zu befördern. Aber weil der Henker außerordentlich ermüdet ist und das Volk wie in Betäubung, weil es so viele Tote gesehen hat, verschiebt man die Hinrichtung während dieser zwei Tage. Man denkt nicht daran, irgend jemand leben zu lassen. Von den Leuten, die zum Fürsten gehörten, wird wohl niemand davonkommen, höchstens Signor Filenfi, sein Haushofmeister, der sich die größte Mühe von der Welt gibt, denn die Sache ist ja wirklich für ihn wichtig, um zu beweisen, daß er nichts mit der Tat zu tun hatte.
Selbst von den Ältesten dieser Stadt Padua erinnert sich niemand, daß man je durch ein gerechteres Urteil so vielen Menschen auf einmal ans Leben gegangen ist. Und diese Herren von Venedig haben sich damit einen guten Namen und Ruf bei den zivilisierten Völkern erworben.
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Von anderer Hand hinzugefügt:
Der Sekretär und Haushofmeister Francesco Filenfi wurde zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Der Mundschenk Onorio Adami von Fermo, ebenso wie zwei andere zu einem Jahr Gefängnis, sieben andre wurden zur Galeere mit Ketten an den Füßen verurteilt und schließlich freigelassen.