Die Sonne Der Mond Saturn Mars Venus Konrad, ein Komet Professor Guck, ein Gelehrter Der Lautsprecher Stimmen von 4 Journalisten Der Führer Der Fotograf 2 Diplomaten Ein englischer Beamter Ein franzosischer Beamter Ein deutscher Beamter Ein österreichischer Beamter Ein Prediger Ein Straßensängerpaar Ein Dieb Ein Selbstmörder Eine alte Jungfer Lora, ein Papagei Ein Wachmann Mr. Rockford, ein amerikanischer Millionär Mrs. Rockford, seine Gattin Violet, seine Sekretärin Winnie Winston, ein Filmstar Mr. Wood, ein Schriftsteller |
(Im Kosmos. Der Hintergrund der Szene ist ein bestirnter Nachthimmel. Die Sonne, eine beleibte, imposante Dame in lebhaften Farben, dirigiert den Tanz der Planeten. Mars, Venus und Saturn tanzen, sich dabei um die eigene Achse drehend, um die Sonne herum. Venus ist von den dreien der Sonne am nächsten, Saturn am weitesten.)
Die Tanzenden (singen den »Planetenwalzer«, sehr langsam und würdig, English-Waltz):
Es schwebt im Kosmos der Planet,
Von Weltraumkälte scharf umweht.
Er dreht sich um die eigne Achs'
Und um die Sonne nachts und tags.
Der Abstand wird genau gewahrt,
So will's die gute Lebensart.
Vier Pi Quadrat mal a hoch drei,
Durch u Quadrat mal r hoch zwei:
Dies zu befolgen nennt er Pflicht,
Und andre Sorgen hat er nicht.
Sonne (klopft mit dem Dirigentenstab ab. Die Planeten unterbrechen ihren Umlauf): Halt, zurück!
Saturn (ein griesgrämiger, alter Planet): Was haben Sie gesagt?
Mars (ein cholerischer Planet): Halt haben Sie gesagt?
Venus (ein erotischer Planet): Ja, bilden Sie sich ein, wir sind bei der Generalprobe? Am ersten Schöpfungstag? Daß Sie so einfach mitten in der Ewigkeit »Halt!« sagen?
Saturn: Die Sonne hat einen Sonnenstich.
Sonne: Ruhe im Kosmos! Ich werde doch wissen, warum ich abgeklopft habe!
Mars: Da bin ich aber gespannt.
Sonne: Ich habe bemerkt, daß in der Sphärenharmonie seit einem Augenblick etwas nicht stimmt.
Mars: Ist das Ihr Ernst?
Sonne: Mein voller Ernst, lieber Mars!
Mars: Entsetzlich, das Blut erstarrt mir in den Kanälen! (Greift sich an den Kopf.)
Sonne: Ich weiß nicht recht. Irgendeine ekelhafte Dissonanz.
Mars: Aber erlauben Sie – die Schöpfung ist doch vollkommen! Wie kann's da plötzlich eine Dissonanz geben?
(Sonne zuckt die Achseln.)
Venus (fassungslos): Astronomisch!
Saturn: Haben Sie irgendeinen Verdacht?
Sonne (zögernd): Ja.
Venus hysterisch): Auf mich vielleicht? Ich schwör Ihnen, die dritte Potenz meiner mittleren Entfernung von Ihnen hat immer dem Quadrat der Umlaufzeit entsprochen!
Saturn: Von mir wissens ja, gnä' Frau – Sie waren immer der Brennpunkt meiner Ellipsen.
Sonne: Die Venus und der Saturn können ruhig sein. Ich verdächtige nicht sie, sondern ... (zögert)
Mars (ungeduldig): Na!
Sonne:: ... die Erde! Das Benehmen der Erde ist seit kurzer Zeit, also seit etwa 10 000 Erdenjahren, sehr merkwürdig. Auch ihr Gesicht hat sich sonderbar verändert.
Venus: Na, dann soll sie sich verantworten!
Sonne: Da steckt eben der Haken. Sie antwortet auf keinen meiner interplanetarischen Anrufe. Irgendeine Krankheit oder Sorge scheint sie ganz zu beschäftigen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, daß sie aus dem Sphärentakt gefallen ist.
Saturn: Da sollen wir warten, bis sie die Gnade hat?
Venus: Wenn ich mich nicht bald um Sie weiterdrehen darf, brenn ich vorne ganz ab und erfriere auf der Rückseite. (Weinerlich:) Meine wundervolle tropische Vegetation!
Sonne: Keine Angst! Wir werden gleich Aufschluß haben. Ich habe jemanden herzitiert, der um die Erde genau Bescheid weiß.
Mars: Wen denn?
Sonne: Den Erdmond!
Mars: Wie haben Sie denn das gemacht?
Sonne: Ich habe ein Bündel Gravitation nach ihm ausgeworfen und ihn damit der Anziehungskraft der Erde entzogen.
Saturn: Verzeihn, aber das ist der größte Blödsinn, den ich seit 200 Millionen Jahren gehört habe. Sie haben ein Bündel Gravitation??? Das schlägt doch allen physikalischen Gesetzen ins Gesicht!
Sonne (wegwerfend): Pah! Die physikalischen Gesetze! Entspricht es vielleicht den physikalischen Gesetzen, daß ihr jetzt alle stillsteht wie angemalte Fixsterne?
Mars: Na eben! Ich wundere mich eh schon die ganze Zeit!
Sonne: Ich hab eben an allerhöchster Stelle eine Notverordnung erwirkt. Die physikalischen Gesetze sind provisorisch aufgehoben.
Saturn: Aber die astronomischen Theorien...?
Sonne: Werden eben geändert werden! Zuerst kommen immer die Notverordnungen, dann finden sich schon die Theorien dazu.
Saturn (kopfschüttelnd): Nein, was es jetzt im Kosmos alles gibt...
(Mond tritt auf.)
Mond (ein kahlköpfiger, kleiner Greis, lächelnd, abgekühlt und abgeklärt): ... Gschamster Trabant, meine Sternschaften! (Zur Sonne:) Wünsch wohl gestrahlt zu haben, gnä' Frau! Was machen die Sonnenfleckerln, die peinlichen? Ja, ja, man wird alt. (Während er spricht, machen die Planeten Bewegungen, um ihn an sich zu ziehen.)
Sonne (hochmütig): Sie vielleicht, Erdmond. Was mich betrifft, so habe ich noch immer meine normalen 30 000 Grad Temperatur. Ach – ich hab Sie hergezogen...
Mars (die obigen Bewegungen machend): Eigentlich war das ich...
Saturn (das gleiche Spiel): Ich war's! Ich war's! Komm her, Spezi! Sei mein Mond! Drei Monde hab ich schon! Da wäret ihr grad vier zum Tarockieren!
Venus (wie die anderen): Ich brauch einen Trabanten wie dich, Schatzerl. Laß doch die Erde stehen, diesen verwelkten Stern. Sie macht sich um 500 000 Jahre jünger, als sie ist!
Mond (lächelnd): Sie sind ein planettes Madel. Aber ich bin schon zu alt für so was!
Sonne (streng): Ich verbiete euch, den Mond weiter anzugravitieren! (Zum Erdmond:) Bitte treten Sie eine Million Kilometer näher.
Mond (macht einen Schritt auf sie zu): Bitte, Frau Kapellmeister. Was steht zu Diensten?
Sonne: Wir verlangen Auskunft über die Erde.
Mond (verlegen): Oje! Was ist denn mit der Erde?
Sonne: Sie fällt aus dem Takt. Sie trägt unruhiges Gehaben zur Schau. Sie vollendet die vorgeschriebenen Kreise nicht im vorgeschriebenen Donnergang. Sie sticht von der Vollkommenheit der Schöpfung ab. Kurz, sie stört die Sphärenharmonie!
Mond: Sie wissen also nix?
Sonne: Nein.
Mond (windet sich vor Verlegenheit): Also, wenn Sie nix wissen, dann sag ich lieber nix.
Sonne: Ich rate Ihnen, nicht renitent zu sein! Sonst ziehe ich Sie unbarmherzig an meinen Busen!
Mond (erschauernd):30 000 Grad Celsius!!! Brrr! Dann sag ich's lieber. (Zögernd:) Also – die Erde ist krank.
Venus: Haha, wahrscheinlich Altersschwäche!
Mond: Nein. Krank ist überhaupt nicht der richtige Ausdruck. Ich genier mich so ...
Mars: Also quetschen Sie sich schon aus!
Mond: ... also die Erde hat ... (greift sich an den Kopf und macht die Bewegung, eine Laus zu fangen) ... sie hat ... wie nennt man das nur ... Menschen hat sie!
Venus: Menschen! So ein Ungeziefer kenn ich nicht.
Saturn: Das müssen widerliche Tierchen sein!
Mond: Na ja. Wie man's nimmt. Ich habe auch einmal Menschen gehabt – bevor ich meine Glatze gekriegt hab – das waren schöne Zeiten! Lebendig sind sie halt, die Menscherln – und das ist immerhin schon was...
Venus (spöttisch): Ein sentimentaler Greis!
Sonne: O ja. Wir müssen also die Erde von den Menschen säubern. Früher wird keine Ruh sein.
Mond: Tun Sie das nicht, meine Sternschaften!
Venus: Natürlich werden wir's tun.
Saturn: Fragt sich nur, wie?
(Der Komet Konrad tritt auf.)
Komet: Verzeihen die Sternschaften, ein armer, vagierender Komet bittet um a bisserl a elektrische Bestrahlung!
Sonne: Wie heißen Sie?
Komet: Konrad mein Name. Ich möcht gern bis auf die Milchstraße wandern, dort hab ich ein Rendezvous mit einer Sternschnuppe.
Sonne (gnädig): Gut. Sie dürfen mein System passieren, aber stoßen Sie nirgends an, sonst gibt's ein Malheur.
Komet: Ich küß 's Protuberanzerl! (Will weiter.)
Mars: Halt! Hergestellt! (Komet bleibt erschrocken stehen.) Ich hab eine Idee! Eine Radikalkur für die Erde!
Sonne: Raus damit!
Mars: Der Komet Konrad macht sich augenblicklich auf den Weg – im Eiltempo...
Komet: Zu meiner Schnuppe?
Mars: Nein, zur Erde. Prallt mit aller Wucht auf die Erde auf! Es bringt einen Tippel – aber an der Erschütterung gehen garantiert alle Erdmenschen zugrund!
Sonne: Genial! Ich gratuliere Ihnen.
Komet: Aber meine verehrten Sternschaften! Ich will doch zu meiner Schnuppe!
Venus: Das ist uns schnuppe!
Mars: Das liegt uns spektralgrün auf! Sie müssen!
Komet: Aber...
Sonne: Keine Abschweifungen! Sonst verurteile ich Sie zu lebenslänglichem Umkreisen des Uranus mit Verschärfung durch spitze Ellipsen!
Komet: O Gott, o Gott! Am liebsten versuchert ich's mit an Fluchtversuch. Aber dieser verflixte Weltraum ist ja überall gebogen – einmal muß ich an meinen Ausgangspunkt zurück, und dann geht's mir schlecht! So geht's einem mit der Physik! (Resignierend:) Also gut.
Mars: Und keine Schonung, ja?!
Saturn: In einem Monat sind Sie dort.
Sonne: Dann tschin-bum-krach, und die Erde ist entmenscht! Verstanden?
Mond: Aber nicht zu arg, Herr Nachbar, daß sie mir nicht ganz zerplatzt. Ich werd mich, so schnell es geht, heimbegeben. Streifens nicht an mir an, wenn Sie dann vorbeisausen in einem Monat! (Ab.)
Komet: Gut, gut. Ein Monat. Was für ein Monat? Die Zeit ist ja, hör ich, relativ. (Seufzend:) Verflixte Physik!
Sonne: Ein Erdmonat! Also! Fertig?
Komet: Wohl oder übel.
Sonne: Wir werden Ihnen den nötigen Schwung verleihen!
(Komet wird nun von den Anziehungskräften der Planeten so lange hin und her geschleudert, bis er den nötigen Schwung bekommt.)
Komet: Net so gach! Genügt schon! Ich werd ja dabei selbst draufgehen! Verflixte Physik!
Sonne: Eins – zwei – drei – los!
Komet (im Absausen): Gott, wird das an Plantsch geben!
(Die Bühne verdunkelt sich allmählich, während man ein Sausen hört, das immer schwächer wird. Wie das Geräusch ganz abklingt, wird es auf der Bühne ganz finster.)
(Die Bühne ist völlig verdunkelt. Man hört das Ticken der Morseapparate.)
Der Lautsprecher (spricht das Telegrafen-Chanson );
Von den neunundneunzig Rändern
Dieser kugelrunden Erde
Flitzen flink aus tausend Sendern
Die Berichte. –
Durch die zarten, blitzend harten
Kupfernerven dieser Erde
Surrt die Weltgeschichte.
Sing – sang – kurz – lang –
Sendung – Empfang.
Stop.
Opfer fallen – Kurse steigen –
Friedenspakte ruhn in Frieden.
Unser Himmel hängt voll Geigen –
Und Granaten.
Niederschläge – Romverträge –
Meisterschaft noch nicht entschieden –
Heimat braucht Soldaten.
Gas – Tank – kurz – lang –
Sendung – Empfang.
Stop.
Zeichen, Silben, Worte, Sätze
Schlüpfen, gleiten durch die langen
Zarten, harten Kupfernetze
Und verfliegen.
Und nur eines, nur ein kleines
Hat im Netz sich festgefangen
Und bleibt zappelnd liegen.
Kurz – lang – kurz – lang:
»Weltuntergang.«
Stop.
Und es flitzt um alle Ränder
Dieser kugelrunden Erde,
Es zerreißt die Morsebänder,
Hallt durch alle Radiosender,
Rast auf blanken Eisenschienen
Nach dem Süden, nach dem Norden:
Diese Welt der tausend Länder,
Voll von Menschen und Maschinen,
Ist zum Tod verurteilt worden!
Und das Todesurteil wird
Ende Mai exekutiert!
Stop! Stop! Stop!
(Aus dem Dunkel ertönen die Stimmen der Journalisten.)
1. Journalist:
Hallo, Paris? Hallo, wer spricht?
»Le Temps«? Ich gebe den Deutschlandbericht!
Im Lande herrscht Ruhe, die Börse ist fest.
Stahlaktien klettern munter.
Aus gottverlassenem kleinen Nest
Kommt ein Bonmot, das uns lächeln läßt:
Die Welt geht in vier Wochen unter!
2. Journalist:
Hallo! Ist London da? Wer spricht?
»The Times?« Ich gebe den Frankreichbericht.
Ein Bankkrach gab zehntausend Sparern den Rest.
Radau und Kunterbunter,
Armeebudget steigt trotz Protest.
Gerücht kursiert, das uns skeptisch läßt:
Die Welt geht in vier Wochen unter.
3. Journalist:
Hallo, Sie hören? London spricht!
Für »New York Times« ein Funkbericht!
Das Außenamt meldet: We do our best,
Herr Eden glaubt an Wunder.
Durchs letzte Diplomatenfest
Lief ein Gerücht, das nicht lockerläßt:
Die Welt geht in vier Wochen unter!
4. Journalist:
Hallo! Wer dort? Hallo! Wer spricht?
Ist dort die Zeit? Wir geben Bericht!
Hier Frisco! Shanghai! Budapest!
Hier Ferner Ost! Hier Goldner West!
Hier Erdölbank! Hier Zündholztrust!
Kniet nieder und fleht um ein Wunder!
Wenn sich der Himmel nichts abhandeln läßt,
Geht die Welt in vier Wochen unter!
(Salon des Führers. Der Führer, im Gespräch mit Professor Guck. Vor ihnen ein Fotograf.)
Führer: Professor, Sie haben den Seinsgehalt Ihres Genies aus den Wurzeln unserer Volkskraft gezogen. Reichen Sie mir Ihre knorrige Rechte! (Zum Fotografen:) Bitte Aufnahme!
Guck: Nein, ich muß wirklich ...
Führer: Kein Nein! Nein ist ein Fremdwort! Guck, Sie sind des Staates öffentlicher Stolz Nummer zwo! Der Weltuntergang ist eine völkische Erfindung! (Zum Fotografen:) Bitte Aufnahme!
Guck: Aber...
Führer: Kein Aber! Aber ist ein marxistischer Ausdruck! Ich richte an Sie die Frage: Wollen Sie von heut an den Ehrennamen Reichsphysikführer, schöner gesagt, den Ehrennamen Reichswärmeleiter tragen?
Guck: Nein, ich ...
Führer: Aus Ihrer Antwort entnehme ich ein neunundneunzigprozentiges Ja! (Zum Fotografen:) Aufnahme!
Guck: Ich denke...
Führer: Nur nicht denken!
Guck: Ich glaube . ..
Führer: Schon besser!
Guck: Ich glaube, Sie ermessen nicht ganz die Bedeutung meiner Erfindung. Der Komet wird uns alle zerschmettern.
Führer: Zum Zerschmettern bin ich da!
Guck: Aber die ganze Menschheit...
Führer: Menschheit? Kenn' wa nich!
Guck: Eine Massenhinrichtung ...
Führer: Kenn' wa schon.
Guck: Aber bedenken Sie: alles, was Menschenantlitz trägt...
Führer: Bloß kein liberalistisches Gequassel! Weltjudentum, Freimaurerei und Bolschewismus haben einen Kometen entsandt: einerseits um die Welt gleichzeitig zu vernichten und zu beherrschen, anderseits um unser Volk durch fremdplanetarische Einflüsse zu zersetzen.
Guck (erschrocken): Ich weiß nicht recht ... Ich befasse mich nur mit Physik.
Führer (drohend): Aber doch nicht mit jüdischer Physik?
Guck (fassungslos): Jüdische Physik? Ja, gibt's denn das? Was sagt da die moderne Physik? Daß der Weltraum gebogen ...
Führer (mit einer Bewegung zur Nase): Sehen Sie.
Guck: Die Zeit ist relativ – tausend Jahre ...
Führer: Was ist mit unseren tausend Jahren?
Guck: Die können unter Umständen auf einige Jahre zusammenschrumpfen.
Führer (wütend): Und wovon hängt das ab?
Guck: Von der Bewegung.
Führer: Von welcher Bewegung? Im Reich ist nur ...
Guck (zögernd): Ich meine die andere Bewegung.
Führer: Sehen Sie, glatter Hochverrat!
Guck: Und die Planetenbahnen ...
Führer: Was ist mit den Planetenbahnen?
Guck: Die sind elliptisch.
Führer: Auf deutsch: geschneckert.
Guck: Die Anziehungskraft...
Führer: Was ist mit meiner Anziehungskraft?
Guck: Die ist, physikalisch gesehen, (zögernd) fast null.
Führer (brüllend): Null!!!?
Guck: Und die Fachausdrücke? Rotation, Gravitation – Inklination – tion – tion – tion ...
Führer (triumphierend): Sehen Sie! Geben Sie jetzt zu, daß der Weltuntergang erfunden wurde, um uns einzukreisen?
Guck: Das ist – das ist – vielleicht übertrieben gesagt.
Führer: Übertrieben? Ich degradiere Sie vom Reichswärmeleiter zum gewöhnlichen Reichsbürger und vom Reichsbürger zum Staatsangehörigen. Als solchem donnere ich Ihnen zu: Hinaus! Ein Glück, daß Sie weltberühmt sind. (Guck ab. Zum Fotografen:) Haben Sie das zuletzt aufgenommen?
Fotograf: Jawohl!
Führer (nach Überlegung): Dann schlagen Sie die Platte kaputt!
(Zwei Fauteuils, ein grüner Tisch. In jedem Fauteuil ein Großmachtvertreter.)
1. Diplomat: Die Welt geht in zwanzig Tagen unter. Sie werden zugeben, Sir, daß dem Ereignis der Charakter der Dringlichkeit nicht abgesprochen werden kann.
2. Diplomat: Sie werden verstehen, Monsieur, daß unter dem Weltuntergang keinesfalls das europäische Gleichgewicht leiden darf.
1. Diplomat: Was wollen Sie unternehmen?
2. Diplomat: Nichts. Das ist immer das sicherste.
1. Diplomat: Aber der Weltuntergang ...
2. Diplomat: Der Weltuntergang wird sich als Gentleman zu benehmen wissen.
1. Diplomat: Meinen Sie wirklich?
2. Diplomat: Geben wir ihm eine Chance.
1. Diplomat: Aber der Komet ...
2. Diplomat: Der Komet müßte notwendigerweise soundso viel Grenzen zerschlagen. Weil das aber vertraglich verboten ist, wird er sich hüten, die Erde zu berühren.
1. Diplomat: Sie glauben, der Komet kennt das Völkerbundstatut?
2. Diplomat: Geben wir ihm eine Chance.
1. Diplomat (schlägt auf den Tisch): Und die Sicherheit, Sir?
2. Diplomat: Aber das Gleichgewicht, Monsieur ...
1. Diplomat (sich beherrschend): Nehmen Sie den Fall an, der Komet verletzt trotz allem die Grenzen. Was dann?
2. Diplomat: Vielleicht wird er von Menschen regiert. Wir werden mit ihnen verhandeln.
1. Diplomat: Aber nehmen Sie den Fall an, er wird nicht von Menschen regiert?
2. Diplomat: Geben wir ihm eine Chance!
1. Diplomat: Aber die Sicherheit, Sir?
2. Diplomat: Und das Gleichgewicht, Monsieur?
1. Diplomat: O lala! Sagen Sie einmal, wer soll eigentlich mit dem Kometen verhandeln, wenn wir alle vernichtet sind?
2. Diplomat: Geben wir uns eine Chance!
1. Diplomat: Und die Sicherheit, Sir?
2. Diplomat: Und das Gleichgewicht, Monsieur?
1. Diplomat: Wollen Sie wenigstens das Vorgehen des Kometen durch eine Resolution verurteilen?
2. Diplomat: Ich glaube, das wäre unfair. Warten wir erst ab, bis er in London eintrifft. Ich schlage Ihnen vor, uns in puncto Weltuntergang bis zehn Tage nach dem Weltuntergang zu vertagen.
1. Diplomat: Wenn Sie nichts in der Frage Komet unternehmen – (beginnt auf den Tisch zu trommeln) – wissen Sie, was wir dann in Afrika unternehmen?
2. Diplomat: Was, bitte?
1. Diplomat (auf den Tisch schlagend, brüllend): Nichts!!
2. Diplomat: Aber die Sicherheit, Monsieur?
1. Diplomat: Und das Gleichgewicht, Sir?
2. Diplomat: Also, dann muß ich mit meinem Kabinett telefonieren.
1. Diplomat (freudig): Genau dasselbe wollte ich sagen!
2. Diplomat: Es freut mich, daß wir uns doch in einem Punkt einigen konnten.
(Sie erheben sich.)
1. Diplomat: Jedenfalls, Sir, kann Ihr Land nach wie vor ganz auf die Sympathie meines Landes rechnen.
2. Diplomat: Monsieur, Ihre Grenzen sind unsere Grenzen! Ihre Sorge ist unsere größte Sorge! Und wenn zwei Flecken Erde vom Untergang verschont werden sollten, dann jedenfalls ...
1. Diplomat: ... die Bank von Frankreich und mein Wahlkreis! Oder haben Sie etwas anderes gemeint?
2. Diplomat: Allerdings. Ich wollte sagen: Die Bank von England und mein Golfplatz.
(Damit verabschieden sie sich. Dunkel.)
(Ein Lautsprecher leuchtet im Dunkel auf.)
Lautsprecher: Hallo! Hallo! Radio London! Wir bringen die Nachrichten. Professor Guck traf heute mit dem Flugzeug in London ein. Er erklärte der Presse, eine umwälzende Erfindung gemacht zu haben, welche für die Menschheit von ungeheurer Bedeutung sei. Zu näheren Erläuterungen fand Professor Guck keine Zeit, da er sich schleunigst ins Außenamt begab. Der nunmehr in einer Woche bevorstehende Weltuntergang ...
(Der Lautsprecher bricht ab. Licht. Professor Guck steht vor einer Tür mit der Aufschrift: »No entry.« Guck klopft.)
Engl. Beamter (öffnet den Schalter): Oh! Professor Guck! How do you do? Ihr Weltuntergang ist eine famose Sache. Die Konsumenten kaufen, kaufen, kaufen – zahlen, ohne zu zählen. Unsere Industrie verdient Millionen! You are a jolly good fellow!
Guck (verdutzt): Ja – nämlich – ich habe eine Maschine erfunden – um die Welt zu retten – ich brauche Geld, um sie zu bauen und ...
Engl. Beamter: Oh, die Welt retten? That's all right. Great Britain liebt sehr die Welt retten. Das waren immer unsere besten Geschäfte.
Guck (eifrig): Mit meiner Maschine wird der Komet von unserem Planeten abgelenkt werden, verstehen Sie? Der Weltuntergang wird abgewendet werden.
Engl. Beamter: Weltuntergang abgewendet? Oh, excuse me – dazu hab ich am Weekend keine Zeit! (Schlägt den Schalter zu.)
Guck (trommelt an die Tür): So hören Sie! Es ist keine Zeit zu verlieren! In einer Woche..
Engl. Beamter (hinter der Tür): John! –
(Ein Bein in eleganter Hose, mit Gamasche, erscheint und gibt Guck einen Tritt.)
(Dunkel. Flugzeugsurren.)
Lautsprecher: Hallo! Radio Paris! Heute traf Professor Guck auf dem Flugplatz Le Bourget ein und begab sich sofort ins Büro des Generalstabs. Die Unruhen wegen des drohenden Ereignisses haben ... (Bricht ab.)
(Licht. Guck vor einer Tür mit der Aufschrift: »Déefense d'entrer!« Guck klopft.)
Franz. Beamter (noch hinter dem Schalter): Qui est là?
Guck: Professor Guck ...
Franz. Beamter (öffnet): Oh, le Professeur Gück! London hat mir alles berichtet!
Guck: Ich will doch nur den Weltuntergang abwenden ...
Franz. Beamter: Nun, und unser Rüstungsbudget? Ah, le sale boche! Ah, le bolchévik! Ah, le nazi! Ah, le sallopard! Foutez le camp! (Schalter zu.)
Guck (trommelt an die Tür): So hören Sie! In einer Woche ...
Franz. Beamter (von innen): Sergeant! –
(Schwarzer Militärstiefel. Tritt. Dunkel.)
Lautsprecher: Hallo! Radio Stockholm! Unbestätigten Gerüchten zufolge soll sich Professor Guck nach Deutschland eingeschmuggelt haben. Schweden sieht kühlen Blutes dem ... (Bricht ab.)
(Licht. Guck vor einer Tür mit der Tafel »Eintritt verboten«. Guck klopft.)
Deutscher Beamter (öffnet): Wat wolln denn Sie hier?
Guck: Verzeihn Sie vielmals: die Welt retten!
Deutscher Beamter: Dazu brauchen wa Sie nich. Am deutschen Wesen wird die Welt jenesen.
Guck: So hören Sie! Ich will den Weltuntergang von uns abwenden!
Deutscher Beamter (ehrlich erstaunt): Und trauen sich, mir so was ins Jesicht zu sagen? Solche Kerle wie Sie ham wa etliche im Land. Aber die leben doch unter falschem Namen von wejen Jestapo!!! Haben Sie 'nen Klaps? Der Kerl ist verrückt! (Guck trommelt an die Tür.)
Deutscher Beamter (von innen): Wachtmeesta! –
(Brauner Stiefel. Tritt. Dunkel.)
Lautsprecher: Professor Guck reiste heute mit dem Flugzeug nach... (Bricht ab. Licht.)
(Guck vor einer Tür: »Eintritt bis auf Widerruf verboten.«)
Guck: Herr Rat! Aufmachen!
Österr. Beamter (ohne aufzumachen): Was ist denn?
Guck: Der Weltuntergang kommt!
Österr. Beamter: Nur zwischen 9 und 2 Uhr. Jetzt is ka Parteienverkehr.
Guck: Aber er kommt schon in einer Woche!
Österr. Beamter: No, dann hamma eh Zeit! Warum hams es nachher so gnädig!
Guck: Aber Herr Rat! Ich hab eine Erfindung dagegen gemacht!
(Ein Guckfenster wird aufgemacht.)
Österr. Beamter: Ah, des is gscheit! Ah, segns, des gfreit mi!
Guck: Gott sei Dank! Endlich Verständnis! Wir werden sofort anfangen, die Maschine zu bauen. Wenn wir Tag und Nacht arbeiten lassen, werden wir vielleicht rechtzeitig fertig.
Österr. Beamter: Sehr gscheit! Lassens Eahna die Erfindung gschwind patentieren!
Guck: Wie lange dauert denn das Patentieren?
Österr. Beamter: Sechs Monate bis zwei Jahre.
Guck: Aber die Erfindung ist von entscheidender Bedeutung...
Österr. Beamter: Ja, richtig. Dann allerdings dauert's doppelt so lang.
Guck: Aber in einer Woche kommt der Weltuntergang.
Österr. Beamter: Soll er halt warten! Er is net der anzige!
(Schalter zu.)
Guck: Aber Herr Rat! Hören Sie doch! Hier ist doch eine Kulturstadt...
Österr. Beamter (schon von innen): Das schon; aber manchmal vergessen ma drauf! – Swoboda! –
(Zerfranste Hose. Tritt. Dunkel.)
Guck (vor dem Vorhang, singt den »Song des Guck«):
Ihr habt in meinen Schädel tausend Formeln verstaut,
Ihr gabt mir die Weisheit mit Löffeln zu fressen,
Ihr habt mir die modernsten Apparate gebaut,
Um die Schöpfung exakt zu vermessen.
Ihr trüget mir auf, nach den Gründen zu sehen,
Und ihr stelltet mein Hirn auf die Wacht.
Und ich suchte die Wahrheit für euch zu verstehen
Und habe die Wahrheit zu kennen gedacht.
Falsch ist falsch und wahr ist wahr,
Spricht der Narr.
Wahr ist, was die Kurse stützt,
Falsch, was keiner Aktie nützt,
Spricht, wer gewitzt.
Ihr habt mit meinem Ruhm die Illustrierte gefüllt,
Die Wochenschau hat meine Größe verkündet.
Ihr habt mich dann in Stein und auch in Bronze enthüllt
Und Vereine um mich gegründet.
Solang ich euch Tod und Verderben versprach,
Sprach ich wahr, denn der Börse tat's gut.
Die Rettung in Händen, so lief ich euch nach:
Ihr lachtet und schlugt mir vom Kopfe den Hut.
Wahr ist falsch und falsch ist wahr:
Merk dir's, Narr!
Falsch ist wahr zu guter Letzt:
Wer die Wahrheit höher schätzt,
Wird matt gesetzt!
(Dunkel.)
(Straße. Es ist finster. Auf einer Geschäftstafel: »Ausverkauf wegen Weltuntergang.« Plakat: »Zeichnet Weltuntergangsanleihe!« Andere Plakate.)
Weltuntergangsprediger: Geht nicht vorbei und bleibet stehen, öffnet eure Ohren und verschließet eure Herzen nicht. Morgen mittag geht die Welt unter. Ihr aber, o wie geht ihr durch diese Welt, über der die Schatten des Todes schweben! Euer Tun ist Sünde, und euer Handeln ist Betrug! Mißmut spricht aus euch, so ihr zu Frau und Sohn redet. – Ungeduld schreit aus euch, so ihr dem Angestellten Befehle erteilt. Wehe! Wehe! Unruhe plagt euch des Morgens, Verdruß quält euch des Mittags, geheimes Siechtum foltert euch des Abends! Fraget euch, Menschen, fraget euch heute, einen Tag vor dem letzten Tag, was da sein mag, das eure Seelen dem Schönen und Edlen verschließt, das euch im Nacken hockt, wie der Gottseibeiuns, das eure Hälser würget wie die Pest! Und sodann fraget euch, was eurem Nacken Erlösung bringet und was eure Hälser befreit! Ich will es euch sagen. Das ist, meine Herrschaften ... (Licht) – der patentierte Kragenknopf »Tulli«! »Tulli«, meine Herrschaften, ist ganz aus prima Horn gearbeitet, der Schlager der letzten Messe! Keine Nervosität mehr, keine Unruhe mehr, kein Jucken, kein Zucken, kein Drucken, kein Rucken! Der Herr zieht sich in der Früh an; ein Griff – der Kragen sitzt wie angenietet; ein Griff – der Kragen ist wieder unten; ein Griff – der Kragen ist wieder oben; er rutscht Ihnen nicht bis zu den Ohren, er rutscht Ihnen nicht bis zum Bauch. Sie ersparen sich Ärger, Familienstreitigkeiten, einen Krach mit dem Chef, eventuell Entlassung oder Abbau. Sie haben wieder Freude am Leben, an der Frau Gemahlin respektive Freundin – und was zahlen Sie für das alles, meine Herrschaften? – Die Firma ist gezwungen, wegen Weltuntergang einen großzügigen Ausverkauf zu Okkasionspreisen zu unternehmen. »Tulli« kostet Sie nicht 90, nicht 80, nicht 70, nicht 30 Groschen – sondern bloß einen Schilling! Ich appelliere an Ihre Großstadtintelligenz ... (Zu Guck, der als einziger Zuhörer vor seinem Stand steht:) Ah was, Sie kaufen ma eh nix ab. In dieser Straße is ka Gschäft zu machen!
Guck (für sich): Morgen ist er hin ...
Prediger: Keine Spur, mein Herr! Er ist aus prima einheimischem Ochsenhorn gearbeitet. Unzerbrechlich! Unverwüstlich! Auf den können Sie sich verlassen! Der hält!
Guck: Wer?
Prediger: Der Kragenknopf »Tulli« natürlich.
Guck: Ich hab vom Erdball gesprochen.
Prediger: Ach so, der! (Zuckt vielsagend die Achseln. Ab.)
Guck (allein): Dabei hat er aber recht ... Die ganze Stadt wird zu einer gigantischen Miststätte werden. Ein paar verwilderte Barbaren – wenn überhaupt etwas Menschliches zurückbleibt – werden auf den glühenden Trümmern des Stephansdomes Kartoffeln braten – wenn überhaupt Kartoffeln zurückbleiben. Meine physikalischen Meßapparate werden in tausend Splittern auf der Erde liegen – wenn die Erde überhaupt übrigbleibt. Aber der Kragenknopf »Tulli« wird unversehrt bleiben. Was kann auch so einem idiotischen Kragenknopf geschehen? Interessant – hochinteressant ...
(Straßensänger und Straßensängerin treten singend auf. Sie singen ein paar Zeilen eines sentimentalen Schlagers.)
Guck (für sich): Sie singen zwölf Stunden vor dem Weltuntergang. Ich bin schon ganz verrückt geworden!
(Die Sänger beenden das Lied. Der Mann kommt mit vorgestrecktem Hut auf Guck zu.)
Guck: Verzeihen Sie – war das vorhin – sozusagen – ein Gesang?
Straßensänger: Hat's dem Herrn net gfallen? Für die zwa Groschen wird Eahna kein Piccaver besser indisponiert sein können wie ich!
Guck: Aber morgen mittag seid ihr beide tot!
Straßensänger: Und wie mir bis dahin leben, des is Eahna Wurscht?!
Guck: Verzeihen – ich wollte Sie nur auf den Weltuntergang aufmerksam machen.
Straßensängerin: Schau, du verstehst ja net, was der Herr will! Der Herr will den neuen Weltuntergangsschlager vom Leopoldi hören!
Straßensänger: Ach so! Bitte gleich, bitte sehr.
Beide Straßensänger (singen das Lied »Gehn ma halt a bisserl unter...«):
Es holt der Franz das Fräuln Marie
Zu einer Überlandpartie.
Doch sie steht verweint in der Küchel.
»Herr Franz, ham's schon ghört?
's is aus mit der Erd!«
So schluchzt sie ins patschnasse Tüchel.
Der Franz aber lacht:
»Was mir das schon macht?
Ich weiß mir dazu ein Sprüchel!
Ob ich auch das kleine Cafe
In Hernais nimmer seh –
Sag ich trotzdem ganz lustig ade!«
Gehn ma halt ein bisserl unter,
Mit Tsching-tsching in Viererreihn
Immer lustig, fesch und munter,
Gar so arg kann's ja net sein.
Erstens kann uns eh nix gschehen,
Zweitens ist das Untergehen
's einzige, was der kleine Mann
Heutzutag sich leisten kann.
Drum gehn ma halt ein bisserl unter,
's is riskant, aber fein!
Straßensänger: Bitte sehr, der Herr! (Er hält Guck den Hut hin. Guck geht, in Gedanken versunken, weiter.)
Straßensängerin: Von dem kann i ma nix obabeißen, Herr!
Straßensänger: Hör, drah ma uns lieber. Am End holt er an Schmier!
Straßensängerin: Hast recht. Die Herren kenn ma schon, die so gern vom Weltuntergang reden ...
(Beide ab.)
Guck (in den Himmel blickend, allein): Da flitzt er durch die Dunkelheit und kommt näher und näher – kaum zwei Millionen Kilometer von mir entfernt – und die Menschen sind blind und taub – und jede Sekunde kommt er näher –
(Während dieser Worte hat sich ein Dieb vorsichtig von hinten an Guck herangeschlichen.)
Dieb (plötzlich): Geld oder Leben!
Guck: Lieber Freund, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß morgen mittag der Weltuntergang da ist?
Dieb: Na und – (nachdenklich:) da wird erst recht gestohlen werden.
Guck: Vielleicht kommt das Tausendjährige Reich ...
Dieb: Hamma do scho ans! Glei ums Eck – glaubns, dort wird nicht gestohlen?
Guck: Vielleicht kommt das Jüngste Gericht...
Dieb: Auweh – das ist jung!
Guck: Allerdings gibt es größere Diebe als Sie.
Dieb: Das verstengens net, Herr. Die wern sich's scho richten. Aber i muß – mei leblang – hab i lebn müssen. – So! Und jetzt gebns die Brieftaschen her!
(Guck überreicht ihm seine Brieftasche. Der Dieb eilt ab.)
Guck (allein): Das alles ist äußerst merkwürdig. Die Menschen müssen sich offenbar so viel mit dem Leben herumschlagen, daß sie gar nicht dazukommen, an den Tod zu denken. Da rennen sie und hasten – zum Platzen voll Lebensgier.
(Ein Selbstmörder tritt auf und prallt mit Guck zusammen.)
Guck: Wohin so eilig, junger Mann?
Selbstmörder: Ich geh in die Donau.
Guck: Aber warum denn?
Selbstmörder: Meine Mausi hat mich verlassen. Ich geh in die Donau.
Guck: Junger Mann, morgen um 12 Uhr mittags geht die Welt unter.
Selbstmörder: Und ich geh in die Donau.
Guck: Sagen Sie, und bis dahin können Sie's gar nicht aushalten?
Selbstmörder: Meine Mausi hat mich verlassen. Ich geh in die Donau.
Guck: Aber ein bisserl Geduld. Morgen mittag geht ja sowieso alles flöten!
Selbstmörder: Sicher ist sicher!
Guck: Aber junger Mann. Morgen mittag...
Selbstmörder (im Abgehen): Ich geh in die Donau. (Ab.)
Guck: Na, dann – viel Erfolg! (Er tritt vor den Vorhang, der hinter ihm fällt.) Da treibe ich mich in den Straßen herum, zwölf Stunden vor dem Weltuntergang! Und was machen die Menschen? Sie stehlen – vor lauter Wurstigkeit. Sie bringen sich um – vor lauter Dummheit. Sie weinen vor Glück. Sie singen vor Unglück. Die haben ja alle einen Vogel! Ich verstehe die Menschen nicht! Die haben ja alle einen Vogel! (Er geht ab.)
(A tempo öffnet sich der Vorhang zum achten Bild.)
(Die Vorderwand eines Hauses. Die alte Jungfer öffnet ein Fenster und hängt ihren Vogelkäfig an einen Haken an der Wand, damit sich der Papagei sonnen kann.)
Jungfer: Lora!
Papagei: Lora!
Jungfer: Lora will Zucker?
Papagei: Will Zucker!
Jungfer: Frauli hat viel Zucker gekauft und Grieß! Und Schmalz! Und wenn der Weltuntergang kommt, und die Frau Hofrat Endlinger kommt zum Frauli und will sich Schmalz ausleihen, dann wird das Frauli sagen: »Ja, liebe Frau Hofrat, da hätten Sie sich eben selbst rechtzeitig Vorräte machen sollen. Da hätten Sie eben was zusammensparen sollen, statt jeden Sonntag mit diesem Herrn Müllenbacher auszugehen, dessen Mutter Sie sein könnten!«
Papagei: Mutter Sie sein könnten!
Jungfer: Diese arrogante Person, die immer das Bild von ihrem seligen ehemaligen Herrn Hofrat anschaut, nur um mich zu ärgern, nur mir zum Trotz, immer grad dann, wenn ich zufällig durchs Schlüsselloch schau! Erst gestern hat sie mich demonstrativ mit »Fräulein« angesprochen. »Fräulein Lora!« Und diese ewigen Anspielungen! »Ihr unverheirateten Damen versteht das nicht!«
Papagei: Ihr unverheirateten Damen versteht das nicht!
Jungfer (jetzt ganz zum Papagei redend): Pah! Wenn ich seinerzeit gewollt hätte, wär ich heut grad so eine Witwe wie sie. Daß Sie's wissen, Frau Hofrat! Aber ich war nur zu leichtsinnig, daß du's weißt, Lora! Ich hab achtundzwanzig Jahre gespart, und dann im zweiundzwanziger Jahr war die Inflation da, und alles war futsch. Und nur mein Leichtsinn hat die Liebe des Herrn Rußwurm zerstört. Oh, er hat mich so geliebt! Nie werde ich seine Abschiedsworte vergessen: »Es schmerzt mich tief, daß meine Gefühle sich zu einer so leichtsinnigen Person verirrten.« Oh – er war ein moralischer Mann!
Papagei: Ein moralischer Mann!
Jungfer: Aber diesmal habe ich mich meines ehemaligen Herrn Rußwurm würdiger gezeigt! Ich habe das bisserl, das ich hab, in Weltuntergangsanleihe angelegt! Und dafür werden mir jährlich fünf Prozent Zinsen draufgezahlt.
Papagei: Draufgezahlt! Draufgezahlt!
Jungfer: So?? Du glaubst schon wieder, du bist gescheiter als ich? Also ich war selbst in der Bank, daß du's weißt! Und ich hab mit dem Herrn gesprochen. Nicht mit dem subalternen Beamten, der beim Schalter sitzt. O nein! Mit dem anderen Herrn, mit dem älteren, der hinten beim großen Schreibtisch bei der Rechenmaschine thront! Ein gereifter Mensch! Aber dabei ein sehr fescher Mensch! Und der hat mir persönlich einen Anleiheschein gezeigt, auf dem der Zinssatz fünf Prozent betrug.
Papagei: Betrug! Betrug!
Jungfer (immer erregter): So?? Und wenn ich dir sag, in der Zeitung ist heut schwarz auf weiß gestanden, die patriotischen kleinen Sparer werden im Weltuntergang geschützt werden? Auch so arrogante Personen wie du und die Hofrätin werden wohl oder übel dran glauben müssen!
Papagei: Werden übel dran glauben müssen!
Jungfer: Aber hör doch! Wir, die unser leblang unser Vertrauen zu den Herren bewahrt haben, müssen doch einmal den Dank erhalten!
Papagei: Den Tank! Den Tank! Den Tank!
Jungfer (zitternd): Du glaubst doch nicht, daß ich wegen deiner zersetzenden Bemerkungen Angst krieg?
Papagei: Krieg! Krieg!
Jungfer (entsetzt): Aber in der großen Rede gestern hat es geheißen: »Ich bin und bleibe Optimist...«
Papagei: Mist!
Jungfer (den Papagei anflehend): Aber ich hab doch gespart! Und die Kartenaufschlägerin hat mir doch einen zweiten Herrn Rußwurm prophezeit! Und ich hab mir das schon so ausgemalt – ein bescheidenes, aber bürgerliches Heim – und ich als bescheidene, aber bürgerliche Hausfrau...
Papagei: Aus Frau! Aus! Lora will Zucker!
Jungfer: Lora will Zucker!
Papagei: Lora will aus dem Käfig!
Jungfer: Lora will aus dem Käfig? Lora muß im Käfig bleiben!
Papagei: Lora muß im Käfig bleiben!
Jungfer: Im Käfig bleiben. Im Käfig...
Papagei: Ewig! Ewig!
(Dunkel.)
(Park. Guck liegt schlafend auf einer Bank. Ein Wachmann tritt auf.)
Wachmann: He, Sie! – Was machens denn da? Hams eine bestimmte Beschäftigung?
Guck: Ich warte auf den Weltuntergang.
Wachmann: Wissens nicht, daß die Benützung öffentlicher Institutionen als Ruhestätten ungehörig ist?
Guck: Das sagen Sie mir? Ach was – egal!
Wachmann: Wer san Sie überhaupt? Wo ist Ihnere Identitätskarte? (Leuchtet ihm ins Gesicht.) Ach so. Sie brauchen eh kane. Sie san eh identisch! Sie san der Guck, net?
Guck: Und ob! Aber das ist alles egal. Morgen nachmittag wird vielleicht ein Molekül Ihres Körpers einem meiner Moleküle im Weltraum begegnen ...
Wachmann: Herr, das verbiet ich mir! Ich als Amtsperson hab keine Moleküle, geschweige denn, daß ich wüßt, was das is!
Guck: Egal – egal ...
Wachmann: Dem is alles egal! Ein idealer Staatsbürger! Ach so, Sie meinen, weil morgen die Erd um d' Erd ghaut wird?
Guck: Ja. Um zwölf Uhr, Herr Inspektor. Große Geschäftssperre für den gesamten irdischen Betrieb ...
Wachmann: Segns, i glaub net dran!
Guck: Hab ich mir gedacht.
Wachmann: Sie ham nix zu denken!
Guck: Auch das weiß ich schon.
Wachmann: Sie ham nix zu wissen!
Guck: Auch das hab ich schon gelernt. Drum geht ja die Welt unter.
Wachmann: I glaub net dran, sag i! Es is noch keinerlei Dienstorder diesbezüglich ausgebn worn. Wissens, was Sie san, Herr?
Guck: Hoffnungslos.
Wachmann: Sehr richtig. Verrückt nämlich. Sie gehören nach Amerika!
Guck (aufhorchend): Amerika?
Wachmann: Dort sans alle grad so luftteppert wie Sie. Jetzt hams drüben a Weltraumschiff gebaut, wo si a paar Leut retten wollen. Aber i glaub net dran.
Guck (aufspringend): Weltraumschiff? Amerika? Natürlich! Amerika! Die Technik! Der Fortschritt!
Wachmann: I glaub net dran, sag i.
Guck: Die Freiheit!
Wachmann: I glaub net dran.
Guck: Die Oberhäupter haben versagt – die Untertanen haben versagt – die Technik wird die Zivilisation retten!
Wachmann: I glaub net an diesen Weltraumverkehr. Und wissens, warum? Weil no gar kane Weltraumverkehrsvorschriften da san. Ohne Verkehrsvorschriften – ka Verkehr!
Guck: Die letzte Hoffnung!
Wachmann: Der letzte Blödsinn!
Guck (ihn umarmend). Ich danke Ihnen. Sie sind ein Retter der Kultur!
Wachmann: Des waaß i sowieso! Auslassen!
Guck (ihn herumwirbelnd.): Amerika! Ich flieg nach Amerika!
Wachmann: Sie ghörn eher nach Steinhof!
(Dunkel.)
(Völliges Dunkel. Der Lautsprecher leuchtet auf.)
Lautsprecher: Hallo! Radio London! Wir geben das Zeitzeichen. (Glockenschläge.) Es ist 11 Uhr 30 Minuten. In genau einer halben Stunde geht die Welt unter. Wir bringen Nachrichten. Unverantwortliche Elemente haben das Gerücht ausgestreut, die behördlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung gegen den Weltuntergang seien ungenügend. Die Straßen Londons sind mit unruhigen Menschenmassen überfüllt. Die Redaktion der »Daily Mail«, welche sich in optimistischer Weise zum Ereignis geäußert hatte, wurde in Trümmer geschlagen. Eine Polizeiattacke hatte insgesamt fünfzehn Todesopfer zur Folge, davon vier auf seiten der Polizei. Die Zusammenstöße im East End haben ... (Bricht ab. Nach kurzer Pause:) Hallo! Hallo! Radio Paris! Die Präfektur dementiert energisch das Gerücht von einer angeblichen Erfindung des Professors Guck, welche zurückgewiesen worden wäre. Die Place de l'Opéra ist von erregten Menschenmassen überfüllt, welche unter den Rufen »Wir wollen leben!« und »Schutz vor dem Untergang!« den Gardes Mobiles Widerstand leisten. Disziplinwidrigkeit der Gardes Mobiles werden strengste Disziplinarverfahren zur Folge haben. Über Paris ist der Ausnahmezustand ... (Bricht ab. Pause.) Hallo! Radio Berlin! Das Reich sieht dem kommenden Ereignis kaltblütig entgegen. Alle Nachrichten über Protestkundgebungen in Hamburg, Köln, Frankfurt, Leipzig und Berlin sind aus der Luft gegriffen. Die Rede des Propagandaministers – »Der Weltuntergang – ein heilsames Stahlbad« – wurde mit Jubel aufgenommen. Alle Gerüchte von Revolten in ... (Bricht ab. Pause.) Hallo! Radio New York! Die Nachricht, ein Erfinder namens Williams habe ein Weltraumschiff gebaut und die fünfzig Passagierplätze à 30 Millionen Dollar vermietet, hat in den ganzen USA Erregung hervorgerufen. In allen Großstädten wurde der Generalstreik ausgerufen. Eine Delegation des Farmerverbandes richtete an den Präsidenten die Frage, aus welchem Grunde die fünfzig reichsten Amerikaner die Erde zu verlassen gedächten und ob die Vorkehrungen zum Schutze des Volkes gegen den Weltuntergang ...
(Während der letzten Worte erhellt sich die Bühne. W. W. Rockford, seine Frau, seine Sekretärin Violet, der Filmstar Winni Winston, eine Journalistin und der Schriftsteller Wood sind versammelt. Im Hintergrund sieht man das Weltraumschiff.)
Rockford: Miß Violet, stellen Sie den verdammten Apparat ab.
(Sekretärin tut es. Der Lautsprecher bricht ab.)
Mrs. Rockford: Sag, Honey, wo ist denn Mister Williams?
Rockford: Er kommt uns gleich holen. Er sieht nur die Motoren nach. Dann starten wir.
Wood: Wir haben ja noch fünfzehn Minuten Zeit. Sind Sie aufgeregt, Winnie Winston?
Winston: Ich habe mit Clark Gable gefilmt, lieber Wood. Seitdem regt mich niemand und nichts mehr auf.
Journalistin: Ist es wahr, Mister Rockford, daß Sie zehn Minuten nach dem Start außerhalb jeder Gefahr sein werden?
Rockford: Ja. Wer sind Sie, Fräulein, fahren Sie mit?
Journalistin: Nein. Ich bin von der »New York Tribüne«. Wir wollen fünf Minuten vor dem Weltuntergang eine Sondernummer herausbringen.
Sekretärin: Das Radio meldet, daß sie in Chicago das Gebäude des Gouverneurs gestürmt haben.
Rockford: Lassen Sie das verdammte Radio!
Mrs. Rockford: Und seien Sie kaltblütig, Miß Violet. Sie haben ja eine ganz rote Nase! Nehmen Sie Puder! Keep smiling!
Winston: Dieser schreckliche Weltuntergang! Ich habe gehört, im Weltraum ist es sehr kalt. Das ist verheerend für meinen Teint.
Wood: Winnie Winston. Sie müssen die Größe des Augenblickes erfassen. Wenn ich mir vorstelle, daß in zwanzig Minuten eine Million Kilometer unter uns die Erde mit ungeheurem Getöse an einen anderen Weltkörper prallen wird – die Weltstädte brechen donnernd zusammen – die Wolkenkratzer knicken ein wie Zündholzschachteln – Vulkane brechen aus – der Todesschrei Hunderter Millionen Menschen steigt zu uns empor – ein Flammenmeer verschlingt alles Lebendige – Ozeane überfluten ganze Kontinente – wenn ich daran denke, dann weiß ich nicht, soll ich ein Drama darüber schreiben oder nur ein einziges, gewaltiges Gedicht.
Journalistin: Wie lange gedenken Sie oben zu bleiben?
Rockford: Ich denke, drei Monate.
Journalistin: Was werden Sie inzwischen machen?
Mrs. Rockford: Wissen Sie, ich habe gehört, der Erde steht eine zweite Eiszeit bevor. Da werde ich Pulswärmer stricken für die armen Schneeschaufler.
Sekretärin: Mister Rockford, in Spanien und Frankreich sind Revolutionen ausgebrochen.
Rockford: Dort sind immer Revolutionen.
Sekretärin: Aber das Radio meldet aus allen Ländern, daß sich auf den Straßen Schreckensszenen ...
Rockford: Lassen Sie das verdammte Radio!
Mrs. Rockford: Mehr Kaltblütigkeit, Violet.
Winston: Mehr gute Erziehung!
Wood: Mehr ästhetische Großzügigkeit!
(Professor Guck tritt auf.)
Guck: Habe ich die Ehre, mit den Herrschaften zu reden, die sich in Sicherheit bringen werden?
Rockford: Wir retten in erster Linie nicht uns, lieber Professor. In erster Linie retten wir das, was die Menschen nach der Katastrophe brauchen werden, um ihre Kultur neu zu errichten. Falls überhaupt ein paar Menschen übrigbleiben.
Guck: Eben deswegen bin ich da. Ich habe da in einer Kiste einiges für die Menschen verstaut.
Journalistin: Was denn?
Guck: Oh, verschiedenes. Zum Beispiel eine Fibel.
Mrs. Rockford: Eine Fibel?
Guck: Die Kinder werden lesen lernen müssen. – Dann die wichtigsten wissenschaftlichen Lehrbücher ...
Wood: Lehrbücher?
Guck: Dann – die Erklärung der Menschenrechte aus der französischen Revolution von 1789 ...
Winston: Er ist lächerlich!
Guck: Und noch einige Bücher und Geräte – sehr komplizierte – sehr primitive – das alles wird man brauchen, nachher ...
Rockford: Professor, für Ihre Raritätensammlung haben wir keinen Platz. Unser Gepäckraum ist vollgestopft mit wichtigen Dingen: Unsere Aktien allein füllen ihn halb.
Guck: Aber Mister Rockford ...
Rockford: Keine Zeit. In drei Minuten müssen wir starten. Miß Violet, fragen Sie Mister Williams, ob wir einsteigen können.
(Die Sekretärin eilt ab.)
Guck: Fräulein ...
Journalistin: Keine Zeit. Muß den Bericht an die Redaktion telefonieren.
Rockford: Warten Sie! Schreiben Sie zu meinem Interview folgendes dazu: Amerikaner und Amerikanerinnen! Wir fünfzig Verantwortlichen müssen leider vor dem Weltuntergang die Erde verlassen, da wir zwecks besserer Übersicht die Ereignisse von höherer Warte aus betrachten müssen. Wir beneiden euch, die ihr beim großen Ereignis zurückbleiben dürft! Seid stolz darauf! Ihr werdet später einmal euren Kindern und Kindeskindern sagen können: Auch ich bin dabeigewesen! Haltet durch! Ihr sterbet für die USA! Solange aber noch Zeit ist, zeichnet Weltuntergangsanleihe! – So, das ist alles.
Guck (unbeholfen): Nein, das ist nicht alles! Sagen Sie ihnen noch, daß das, was hier geschieht – eine – eine – ungeheure ...
(Die Sekretärin stürzt herein.)
Sekretärin: Mister Rockford! Mister Rockford! Mister Williams ist nicht zu finden! Auf dem Pilotensitz war ein Brief für Sie!
Rockford (reißt ihr den Brief aus der Hand und liest): »An die fünfzig Passagiere meines Weltraumschiffes! Ladies und Gentlemen, ich danke Ihnen für Ihre Millionen Dollars. Sie haben mir die drei letzten Wochen meines Lebens sehr angenehm gemacht. Diese drei Wochen waren auch Ihre letzten. Mein Weltraumschiff erfüllt nicht einmal die bescheidenen Funktionen eines Kindertritons, geschweige denn das, was Sie von ihm erwarten. Es kann sich nicht von der Stelle rühren! Gute Nacht allerseits, und angenehmen Weltuntergang! Ihr ergebener P. Williams.« – Hm, dann allerdings ...
(Die Frauen schreien gellend auf. Die Bühne wird mit einem Schlag stockfinster. Ein heulendes Geräusch kommt näher. Aufschrei. Das Geräusch bricht ab, ertönt wieder, um sich dann in der Ferne zu verlieren.)
(Im Weltraum. Die Sonne auf ihrem Thron. Venus, Mars und Saturn tanzen. Der Komet tritt auf.)
Sonne (klopft ab, wütend): Da bist du ja!
Mars: Ja, sagen Sie einmal, was ist Ihnen eingefallen?
Venus: Wir stehen da, glauben, jeden Moment kommt's: Tschingbum ...
Sonne: ... da bremst der feine Herr Konrad lumpige zweitausend Kilometer vor dem Ziel ab ...
Mars: ... torkelt dreimal um die Erde herum – dreht sich um ...
Venus: ... und flattert schön gemütlich zurück!
Sonne: Verantworten Sie sich! Sie Unglückskomet!
Mars: Ach was! Er hat einfach Angst gehabt!
Saturn: Verzeihn schon, ich muß ihn in Schutz nehmen. Er hat sich gedacht, ein Zusammenprall ist eh überflüssig: Die Menschen rotten einander sowieso über kurz oder lang aus!
Venus: Warum glauben Sie das?
Saturn (weist Feldstecher vor): Ich habe so meine Beobachtungen gemacht. Na, stimmt's, Herr Konrad?
Konrad: Nein.
Sonne: Also warum, Himmelfixsternelement, haben Sie eigentlich die Erde verschont?
Konrad: Ich habe sie beim Näherkommen so ein bisserl kennengelernt.
Sonne: Und?
Konrad: Und – ich habe mich in sie verliebt.
Venus: Verliebt???
Konrad: Ja, verliebt. Meine Erde ... (Spricht das »Lied von der Erde«):
Denn nahe, viel näher, als ihr es begreift,
Hab ich die Erde gesehn.
Ich sah sie von goldenen Saaten umreift,
Vom Schatten des Bombenflugzeugs gestreift
Und erfüllt von Maschinengedröhn.
Ich sah sie von Radiosendern bespickt;
Die warfen Wellen von Lüge und Haß.
Ich sah sie verlaust, verarmt – und beglückt
Mit Reichtum ohne Maß.
Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß.
Denn nahe, viel näher, als ihr es begreift,
Steht diese Zukunft bevor.
Ich sah, wie sie zwischen den Saaten schon reift,
Die Schatten vom Antlitz der Erde schon streift
Und greift zu den Sternen empor.
Ich weiß, daß von Sender zu Sender bald fliegt
Die Nachricht vom Tag, da die Erde genas.
Dann schwelgt diese Erde, erlöst und beglückt,
In Reichtum ohne Maß.
Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß!