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Jura Soyfer

Der Lechner-Edi schaut ins Paradies

 

Personen

Edi Lechner, ein Arbeitsloser

Fritzi, seine Freundin

Der Elektromotor »Pepi«

Ein blinder Bettler Toni, Edis verstorbener Freund

Dr. Galvani

Galileo Galilei

Der Richter

Der Verteidiger

Christoph Kolumbus

Ein Matrose

Johann Gutenberg

Der Portier des Paradieses

 

Erstes Bild

(Die Szene stellt eine Donaukanalbrücke dar. Die Brücke ist spärlich beleuchtet. Ans Geländer gelehnt, sitzt auf dem Boden ein blinder Bettler mit schäbiger k. u. k. Militärkappe auf dem Kopf. Neben ihm führt eine Stiege zum Flußufer hinunter. Er spielt Harmonika, irgendeinen sentimentalen modernen Schlager. Neben dem Bettler, zum Großteil von ihm verdeckt, ist am Geländer ein Abfallkorb angebracht. Sehr deutlich ist eine Aufschrift sichtbar, deren Pfeil auf den Bettler weist: »Nicht wegwerfen, sondern ...« Eine Weile nach Aufgehen des Vorhanges treten auf: Edi und seine Freundin Fritzi. Ihr Gespräch wird vom Spiel des Bettlers leise begleitet.)

Edi: Aber vor sechs Jahr, da hättst mi kennen solln. Wiar i no a Arbeit ghabt hab.

Fritzi: Is do a Schmäh.

Edi: Gar ka Schmäh. In der Zeit habn die ganzen Spezi a Arbeit ghabt.

Fritzi: San ja Märchen.

Edi: Gar kane Märchen. Nur kannst du dir's halt nimmer vorstelln. Weilst zu jung bist. Jeden Erschten hab i meine hundertneunzig Schulung auszahlt kriegt.

Fritzi: Hundertneunzig?

Edi: Und wannst damals mei Freundin gewesen wärst, hätt i dir die rosa Kombinesch kauft, weißt eh ...

Fritzi: Is wahr?

Edi: Und den Schal – den garantiert Seide, weißt eh ...

Fritzi: Ja?

Edi: Da kannst Gift drauf nehmen.

Fritzi: Und den echten Persianermantel a? Weißt eh – den vom Kaufhaus »Zur Billigkeit«.

Edi: Auf Abstottern.

Fritzi: Sixt es, jetzn hab i di erwischt. Der is nämli bestimmt zu teuer.

Edi: Gar ka Schmäh. Du glaubst überhaupt nur das, was du im Kino siagst.

Fritzi: Na ja, mei Liaba, das is ja auch alles aus Hollywood.

Edi: Immer das Hollywood! Glaubst, i war net in Hollywood?

Fritzi: Wirkli wahr?

Edi: Freili – damals – auf der Urlaubsreise halt – und in Rio de Bombay war i a – und in San Singapore a – bei – bei – die Kaffern halt.

Fritzi (gläubig): Das hast mir aber no nie erzählt.

Edi: Weil's net der Rede wert ist – überhaupt, wann i's mit Haiti vergleich ...

Fritzi: Haiti?

Edi: Dort leben, wie du vielleicht weißt, die schönsten Frauen der Welt – herst, und anham tuns nix – nur Blumenkränze im Haar. Nimosien –

Fritzi: Warst ma untreu?

Edi: Aber wo – zwar, mir Burschen warn dort fesch beinand, in Haiti, alle ham a Arbeit ghabt –

Fritzi: Jetzt fängst wieder mit die Schmäh an –

Edi: Gar kane Schmäh, kannst den Franz fragen und den Ferdl und den Toni – Die Musik des Blinden bricht ab.) Na – den Toni kannst nimmer fragen ...

Fritzi: Ja, wann war denn das, wie er sich – wie er den ...

Edi: Vor drei Jahr. Zeigt auf die Stiege.) Da, die Stiegen ist er runtergangen, zum Ufer, und dann ins Wasser ...

Der Blinde: Edi, bist du's?

Edi: Freili, Herr Andraschek.

Blinder: Wie spät is denn schon?

Edi: No, auf zwölfe wird's gehn.

Blinder: Mir scheint, jetzn ham die wieder auf mi vergessen ...

Fritzi: Aber na, glei werns abgholt wern, Herr Andraschek. Spülns uns daweil was vor. »I'm in Heaven.« Ja?

(Der Blinde beginnt zu spielen, Edi und Fritzi lehnen sich ans Geländer, mit dem Blick hinaus.)

Edi leise): Du sollst mir's aber glauben, Fritzi.

Fritzi: Wann der Herr Andraschek spült, glaub i dir alles.

Edi: Ja?! Weißt, i hab in der Zeit an Elektromotor bedient. Du, das war a tulli Maschin. Die hat fast alles selba gmacht, direkt wie a Mensch. Glaubst du mir das?

Fritzi: Ja, Edi.

Edi: Vierzig Paar Schuh hamma in der Stund erzeugt. Bis dann natürlich zvül warn. Und dann bin i abbaut worn. (In Erregung geratend:) Und wer hat die Schuld? Weißt, wer die Schuld hat? Die Maschin, die verfluchte. Kruzifix, wann i's vor mir hätt – i tät's zamhaun! Jetzt auf der Stell! Glaubst mir des?

Fritzi: Ja, Edi.

Edi: Die sollt in mei Gassen kummen!

Fritzi ( lächelnd): In dei Gassen?

Edi: Also, du glaubst mir's net? Gar nix glaubst mir, weil i arbeitslos bin –

Fritzi: I glaub dir alles, Edi – alles –

Edi: Alles mußt mir glauben.

Fritzi: Aber Edi, mir scheint – sag, wann hast du zum letztenmal was gessen?

Edi: Du sollst net so viel fragen, glauben sollst mir. Seit fünf Jahr träum i davon. An jeden Pülcher, der mi beim Stoßspiel anschummelt, kann i die Meinung sagen – und dieser verfluchte Motor, der uns alle unglücklich gmacht hat, vor dem soll i zweiter sein, i, der Lechner-Edi? – Mach die Augen zu, Fritzi – er kommt – siehst du ihn?

Blinder: I glaub, jetzt kommens. (Er spielt leiser, man hört Schritte.)

Edi: Pst! (Horcht.) 's war a scho höchste Zeit, daß mir a Tram in Erfüllung geht. Hörst, er kommt!

Fritzi: Ja wer denn?

Edi: Der Motor. Glei wird er ums Eck biegen! In mei Gassen –

Fritzi: Aber –

Edi: Glaubst mir's net? (Flehend:) Du mußt mir's glauben, Fritzi, und wann's a net wahr is. Glaubst es?

(Schweigen. Musik spielt noch immer »I'm in Heaven«.)

Fritzi: Ja, Edi.

(Der Motor tritt auf. Fritzi greift mit einem unterdrückten Aufschrei an den Arm des Blinden. Musik aus.)

Edi (geht langsam und drohend auf den Motor zu. Mit unterdrückter Freude): A Momenterl, daß ka Justizmord is – is er's, oder is's a anderer. (Betrachtet den Motor.) Der stampfende Gang – der viereckerte Brustkasten – die glotzenden Signallichter, die schiankerten Griffhebeln – a bisserl rostig – a bisserl ramponiert, aber er is's. (Ballt drohend die Faust.) Gel ja, Bruader, des hättst dir net dacht, daß i di no kenna wer, nach sechs Jahr –

Fritzi (wirft sich zwischen sie): Edi! Mach di net unglücklich.

Edi (stößt sie zurück): Geh ma ausn Weg, das is a Privatangelegenheit.

Blinder (lächelnd): Lassns es raufen, Fräuln Fritzi, san ja beide junge, unverbrauchte Kraft.

Edi (den Motor anstänkernd): Was hast du in meiner Gassen umeranandzustrabanzen – ha?

Motor: Weißt, Edi, i bin nämli arbeitslos.

Edi (erschüttert): Was bist? (Greift sich an den Kopf.) Nocha – nocha – (Mit Hausherrngeste zögernd aufs Geländer weisend.)

Motor: Danke. Darf ich mich vurher der Dame vurstelln?

Edi (großzügig): Bitte sehr.

Motor (mit Verbeugung): Petersens elektrischer patentierter Industriemotor. Abgekürzt: Pepi. Fabrikationsnummer: zwoundachtzignullsiebenzwoundzwanzig.

Fritzi: Friederike Amalie Rosa Eilinger. Abgekürzt: Fritzi. Und das ist der Herr Andraschek.

Motor: Freut mich sehr.

(Sie nehmen mit baumelnden Beinen am Geländer Platz.)

Edi (bietet Zigarette an): Wüllst a Flirt?

Motor: Danke. Wir Elektromotoren sind Nichtraucher.

Fritzi: Sixt es, und du rauchst wie a Schlot. (Macht Konversation.) Sehr vernünftig, Herr Pepi, daß S' lieber die paar Groschen zsammsparen, statt daß S' Eana das Herz ruinieren.

Motor: Ich hab leider kein Herz.

Fritzi (aus der Fassung gebracht): Pardon.

Edi: Alstern erzähl. Was gibt's Neues im Betrieb? Is der Chef noch immer so grantig? Oder bist am End scho längere Zeit abgebaut?

Motor: Stillgelegt hams mi vor fünf Jahren. A Jahr nachdem du weg bist. Endgültig abgebaut hams mi erscht heut auf d' Nacht.

Edi: Und fünf Jahr bist durt allan gstanden, ungwaschen, ungschmiert, unversurgt? O Bruader!

Fritzi: Wann i dem Herrn Pepi mit an Schalerl Schmieröl aufwarten könnt?

Motor: Gnädigste sind die Liebenswürdigkeit selbst. Der Rost nagt mächtig an meinen Eingeweiden.

Edi (leise zu Fritzi): Woher nimmst es denn bei unserm üppigen Haushalt?

Fritzi (leise): Ums Eck steht a Straßenwalzen ...

Edi (leise): All right. Hutsch di.

Fritzi: Der Herr Pepi entschuldigen an Moment. (Ab.)

Edi: Aber sag amal, wieso bist du arbeitslos worn?

Motor: Da bist du schuld, mei Liaber.

Edi: I?

Motor: No – wann hast du das letzte Paar Schuh kauft?

Edi: Eh – wart amal – vur ans – zwei – drei – na, vor vier – na, vor –

Motor: Und davon soll i als Schuhmacher leben?

Edi: Das is wahr. Und i hab immer glaubt, du bist schuld – daweil bin i selber – oder na, i bin ja ah net – ah was. No was wüllst denn jetzt machen?

Motor: I glaub, i wer zum Militär gehn, mi auf Tank umkonstruieren lassen. Durt sans ja die einzigen, die heutzutag no an Bedarf auf frisches Material haben.

Blinder: Mir scheint, jetzn ham die wieder auf mi vergessen.

Edi: Aber na, Herr Andraschek.

Blinder: O ja, Herr Edi. (Beginnt leise zu spielen und zu singen: Braunes Isonzomädel.)

Fritzi (kommt mit Ölkännchen): Mahlzeit!

Motor: Küß d' Hand. (Trinkt.) Ah, das is gut fürs Kugellager. Gehns, sans so lieb und drückens mir den linken Kontakthebel herunter.

Fritzi: Wozu denn?

Motor: I wüll a bissel scharf nachdenken.

Edi: Was? Nachdenken kannst a?

Motor: Ah ja. Des hab i glernt in die fünf Jahr. (Geht einige Male auf und ab.)

Fritzi: Schau, wie fesch er wieder beinand is. Unserans brauchet dazu mindestens a Wiener Schnitzel und a Viertel Heurigen.

Motor: I hab's.

Edi: Was denn?

Motor: I was scho, wer schuld is an dem ganzen Jammer.

Edi (kampflustig): Da bin i aber gspannt.

Motor: Ein Italiener.

Edi: Ah?

Motor: Jawohl. Der Galvani.

Fritzi: Haßt der net anders?

Edi: Pscht! Wieso is der schuld?

Motor: Er hat die Kontaktelektrizität erfunden.

Edi: Die Elektrizität natürlich! Also Galvani heißt der Fallott?

Fritzi: Schimpf net, Edi, 's is sicher ein einflußreicher Herr. Vielleicht könnt ma bei ihm vorsprechen, wann er amal nach Wien kommt. Wanns mi nur ins Bristol einilasseten.

Motor: Aber is net nötig. Wißts was? Mir fahrn zu ihm hin.

Edi: Mir scheint, du hast a Radi zvül. Wie kommen wir nach Italien?

Motor: Wüllst mi beleidigen? Glaubst, was so a asthmatische Lokomotiv oder a buckletes Steyr-Baby zsammbringt, bring i net zsamm?

Fritzi: Herr Pepi, Sie wolln uns nach Italien führn? Am End nach Venedig? Sie ham a Herz für uns.

Motor: Ich hab leider ka Herz.

Fritzi: Pardon.

Edi (der nachgerechnet hat): Muaß aber scho a steinalter Herr sein, der Galvani.

Motor: Tot. (Fritzi und Edi sind entgeistert.) Tot is er. Vor hundert Jahren is er gsturbn.

Edi (starrt den Motor an, dann): Komm, Fritzi. Schad um jedes Wort. (Nimmt sie am Arm und zieht sie fort. Dann macht er kehrt und stürzt mit Tränen in den Augen auf den Motor zu.) Krippelgspül, ausrangiertes. Hundling, verdächtiger. Mi pflanzen wollen. Glaubst, weilst du a Maschin bist und i a Ausgsteuerter, glaubst, deswegen laß i mir alles von dir gfalln? Numerier deine Radln, aber gschwind. (Reibt auf.)

Fritzi: Edi!

Blinder: Lassens es raufen, Fräulein, san junge, unbenützte Kräft ...

Motor: Edi, wieviel Paar Schuh ham mir miteinander erzeugt?

Edi (ergriffen): Tausende und Tausende, Pepi. Aber deswegen hau i dir jetzt do a paar Zahnradln ein.

Motor: Und wer war der Stolz der Fabrik?

Edi: Mir zwa, Pepi. Aber häkeln derfst mi nimmer.

Motor: Hab i dir jemals an Grund geben, mißtrauisch zu sein? (Blinder beginnt leise »I'm in Heaven« zu spielen. Edi schüttelt stumm den Kopf.) Du sollst mir glauben, Edi. (Hat sich unmerklich in ihn eingehängt.) Wir Maschinen können viel mehr, als ihr Menschen glaubts. Ihr seids halt no net draufkommen. Fräulein, darf ich Ihnen meinen Arm anbieten? (Er hängt sich in Fritzi ein. Sie haben sich an den Rand der Szene gespielt.) Edi, sei so lieb und druck mir den klan Hebel runter, da, oberhalb vom dritten Brustkolben.

Edi (tut es): Den hast aber früher net ghabt.

Motor (während seine Augen in neuem Licht aufleuchten) Ja, der is mir zugwachsen. So. Und jetzt mach ma schön im Takt einen Schritt zruck. Achtung, fertig, los!

Sie treten einen großen Schritt zurück. Es wird a tempo hell, der Blinde spielt sein Lied in voller Stärke. Großstadtlärm hat eingesetzt.)

Fritzi: Jö, es is Tag!

Motor: Ja, der gestrige Tag.

Edi: Jetzt san mir alle narrisch.

Motor: O nein, wir reisen nur. Wir reisen in die Vergangenheit.

Edi: Aber ...

Motor: Nur Ruhe. Wir haben noch einen weiten Weg. (Er führt sie behutsam Schritt für Schritt zurück. Tag und Nacht wechseln in immer schnellerer Reihenfolge.)

Fritzi: Edi, Edi, der Donaukanal fließt zruck!

Motor: Freilich. Das Leben rollt ja zurück. Wie ein Film, der verkehrt abläuft, verstehts ihr?

In einem Augenblick, da es gerade Tag ist, kommt eine reichgekleidete Dame, rückwärts schreitend, auf die Bühne, nimmt aus der Büchse des Blinden ein Geldstück und geht, rückwärts schreitend, ab. Während dieses Vorgangs haben die Reisenden ihre Bewegung verlangsamt, sind aber nicht stehengeblieben.)

Fritzi: Herr Andraschek, sie hat Eana was gstohlen!

Edi: Aber im Gegenteil. Sie hat ihm was gschenkt. Der Fülm läuft halt verkehrt ab. Verstehst no immer net?

Blinder (der ununterbrochen gespielt hat): Beschenkt oder bestohlen, den Unterschied merk i schon lang nimmermehr.

Motor: Achtung, Kurve! (Führt sie, da sie am entgegengesetzten Bühnenende angelangt sind, immer rückwärts schreitend, im Halbkreis.) Jetzt hamma den ersten Monat zurückgelegt. (Sie bleiben stehen.) Schnaufts euch aus a bissel, weil jetzt wird das Tempo verhundertfacht.

Fritzi: Und jetzt stehn ma also in der Zeit still?

Motor: Nein, wenn ma stromaufwärts fahrt und ma hört a Zeitlang mit dem Rudern auf, steht ma ja a net still, sondern ma rutscht wieder a Stückerl stromabwärts. Jetzt hamma also a Minuten lang vorwärts glebt. Und jetzt geht's wieder mit einer Geschwindigkeit von fünftausend Jahren in der Stunde. Hoppauf. In mir erwacht der spurtliche Ehrgeiz. Vorwärts, vorwärts oder vielmehr rückwärts!

(Sie setzen den Weg fort. Der Tag-Nacht-Wechsel verdichtet sich zu einem eintönigen Grau. Die Musik des Blinden, die von laut auf leise hin und her gewechselt hatte, hält sich piano.)

Fritzi: Hui! Wie gschwind! I gspür direkt, wias mir um die Ohren zieht.

Motor: Das ist der Zug der Zeit.

Fritzi: Jessas!

Edi: Was hast denn scho wieder?

Fritzi (ängstlich): Herr Pepi! Um Gottes willn! Wann ma no lang in dem Tempo zruckleben, bin i in fünf Minuten a Baby!

Motor: Keine Angst. Wir Reisenden verjüngen uns nicht. Nur die Welt um uns.

Edi: Hoppauf, hoppauf! Wie weit san ma denn schon?

Motor: Jetzt wern's bald drei Jahr sein seit unserer Abreise.

Fritzi: Und san S' sicher, wann i jetzt aussteig, daß i kein fufzehnjähriger Backfisch bin?

Motor: Ja, aber aussteigen kommt nicht in Frage. Wann Sie jetzt aussteigen, dann lebens wieder normal im Strom der Zeit. Und wer weiß, ob ich Sie wieder außafischen kann.

Edi: Drei Jahr, sagst du, Pepi? Drei Jahr sans grad her, daß der Toni ... Da müßt er ja jetzt ...

Über das Brückengeländer kommt rückwärts Toni empor. Er lehnt sich mit dem Gesicht zum Strom hinaus ans Geländer. Die Reisenden machen halt, es ist Nacht.)

Edi: Toni!

(Stille. Der Blinde unterbricht die Musik.)

Blinder (leise): Bist du's, Toni?

Toni: Freili, Herr Andraschek.

Blinder: Wie spät is denn schon?

Toni: Auf zwölfe wird's gehn.

Blinder: Ja, mir scheint, jetzn ham die wieder auf mi vergessen.

Toni: Aba na, Herr Andraschek, glei werns abgholt wem.

(Nach einer Pause:) Adiö, Herr Andraschek.

Blinder: Wohin gehst denn, Toni?

Toni: Auf Reisen.

(Blinder beginnt wieder zu spielen. Toni schreitet die ersten Stufen hinab.)

Edi: Toni! Toni! Toni! (Zum Motor:) Fahr zruck! Er schwimmt davon! Du! Hol ihn zruck!

Motor: Gut, Edi. (Er schaltet Fahrtlicht ein, Toni kommt, rückwärts schreitend, über das Geländer, Blinder, der genau die vorige Musik gespielt hat, unterbricht sie an genau derselben Ställe. Wieder machen die Reisenden halt.)

Blinder (genau wie vorhin): Bist du's, Toni?

Toni: Freili, Herr Andraschek.

Blinder: Wie spät is denn schon?

Toni: Auf zwölfe wird's gehn.

Blinder: Ja, mir scheint, jetzn ham die wieder auf mi vergessen.

Toni: Aba na, Herr Andraschek, glei werns abgholt wem.

(Nach einer Pause:) Adiö, Herr Andraschek.

Blinder: Wohin gehst denn, Toni?

Toni: Auf Reisen.

(Blinder beginnt wieder zu spielen. Toni schreitet die ersten Stufen hinab.)

Edi: Toni! Toni! Toni! (Zum Motor:) Fahr zruck! Er schwimmt davon! Du! Hol ihn zruck!

Motor: Gut, Edi! (Er schaltet Fahrtlicht ein, Toni kommt, rückwärts schreitend, über das Geländer. Blinder, der genau die vorige Musik gespielt hat, unterbricht sie nochmals an genau derselben Stelle. Wieder machen die Reisenden halt.)

Blinder (genau wie vorhin): Bist du's, Toni?

Toni: Freili, Herr Andraschek.

Blinder: Wie spät is denn schon?

Toni: Auf zwölfe wird's gehn.

Blinder: Ja, mir scheint, jetzn ham die wieder auf mi vergessen.

Toni: Aba na, Herr Andraschek, glei werns abgholt wern.

(Nach einer Pause:) Adiö, Herr Andraschek.

Blinder: Wohin gehst denn, Toni?

Toni: Auf Reisen.

Edi: Toni! Wart! Tu's net!

Toni (wie immer, abgewendet): Das Leben hat kan Sinn, Edi.

Edi: Aber na, Toni, wart no zu. Zwei bis drei Jahrln, hörst du, Toni?

Toni: Weißt denn du, wie's sein wird in drei Jahren?

Edi: Freili weiß i, wia's sein wird.

Toni (wendet zum erstenmal den Kopf): Anders?

(Edi schweigt. Toni wendet sich ab.)

Blinder: Glückauf, Toni.

Toni schreitet wie vorhin die Stufen hinab.)

Edi: Toni! Toni!

Motor: Komm, Edi!

(Fahrtlicht, die Reisenden schreiten weiter.)

Edi (leiser): Toni! (Will sich losmachen.)

Motor: Nur net aussteigen. Wer weiß, ob i di wieder außafischen kann.

Fritzi: Warum machen Sie so große Schritt, Herr Pepi?

Motor: 's heißt antauchen. Wir nähern uns einer großen Zeit, wo jede Stunde doppelt lang ist und dreifach schwer zum Durchleben.

(Tag. Eine Menschengruppe zieht, rückwärts schreitend, über die Bühne.)

Eine Frau: Der Krieg ist aus!

Andere: Für immer!

Ein Mann: Wir schreiten vorwärts zu einer neuen Zeit des Friedens, des Fortschritts ...

(Die Gruppe, rückwärts schreitend, ab. Während dieser Episode hat der Blinde die Marseillaise gespielt. Die Reisenden haben nicht haltgemacht.)

Motor (leise): Das ist das Neunzehnerjahr gwesn.

Fritzi: Und wohin san die fortmarschiert?

Motor: Ins Vierzehnerjahr.

Edi: I hör was von Isonzo ausrufen. Mir dürften jetzt das Siebzehnerjahr passieren.

Fritzi: Und scho damals is der Herr Andraschek da auf sein Platzerl gsessen ...

(Der Blinde, der seit 1918 den Prinz-Eugen-Marsch gespielt hat, erhebt sich und reckt sich. Er ist bedeutend verjüngt, zirka 35 Jahre alt. Die anfangs verdrückte Kappe ist funkelnagelneu und mit einem Sträußchen geschmückt ... Die schwarze Brille ist verschwunden.)

Blinder: Hurra!

(Die Reisenden haben haltgemacht.)

Fritzi: Aber Herr Andraschek, wohin?

Blinder: An die Front! An den Isonzo geht's! Hurra!

Fritzi: Aba – aba – Sie san ja blind –

Blinder (lacht): Belieben zu scherzen? Ich bin volltauglich! Mi hams ghalten! Hurra!

Edi: Bleibens da, Herr Andraschek! Halt! (Reißt sich vom Motor los.)

Blinder: Komm mit, Kamerad! Braunes Isonzomädel! (Laut singend ab.)

(Fritzi weint).

Edi (traumhaft): Wein net, Fritzi, i komm gsund zruck.

Fritzi (aufschreiend): Du?

Edi: Wein net, i schreib dir jeden Tag an Feldpostbrief (Will ab.)

Fritzi: Edi! Geh net furt!

Edi: Aber wo denkst denn hin? Es geht ja ums Vaterland. Leb wohl, Fritzi. (Hinausrufend:) Wart auf mich, Kamerad! (Summt: Braunes Isonzomädel ..., schreitet nachtwandlerisch ab, wie von einer Strömung fortgerissen.)

Motor: Jetzt lebt er hier mit. Jetzt lebt er uns davon.

Fritzi (in die Kulissen blickend): Er marschiert zur Kasern! Mit dem Blinden! Mit den Toten! Edi!

Motor: Er wird uns davonsterben.

Fritzi: Nein! (Will sich losmachen.)

Motor: Steig net aus, Mäderl! Dich tät's grad so mitreißen.

Fritzi: Mi? (Reißt sich los und geht ab.)

Motor (ihr nachblickend): Jetzt schwimmen beide furt, im Hurrastrom. Die Reise is aus, Pepi. Was hast du von deine 10 000 PS? Die Zeit ist stärker wie du.

(Auftritt Fritzi, ihren Freund schiebend und schleppend.)

Fritzi: Haderlump! Vorwärts!

Edi (lallend): Laß mich, Fritzi. Ich bin ein Held! Die Würfel sind gefallen. Jeder Schuß ein Russ.

Fritzi: Das tät dir so passen, Fallott!

Edi: Siegreich wollen wir ...

Fritzi: An Schmarrn! (Stößt ihn in die Arme des Motors.) Fahr zu, Pepi!

(Fahrtlicht, sie reißen Edi in ihren Marschtakt zurück.)

Motor: Gegen den Strom! Das hätt i dir nie zugetraut, Mäderl!

Fritzi (küßt Edi): Dummer Bub, wann i auf di net aufpasset ...

Edi: Mir scheint, i hab tramt. Ja, i hab tramt, i geh in Krieg.

Fritzi (zum Motor): Hamma 'n schon hinter uns, den – Tram?

Stimme: Extraausgabe! Thronfolger in Sarajevo ermordet!

Motor: Jetzt fängt er grad an.

Andere Stimme: Abendausgabe, Erzherzog Franz Ferdinand und Gemahlin auf der Fahrt nach Sarajevo!

Motor: Und jetzt san mir schon im tiefsten Frieden.

(Die Uhrzeiger auf dem Brückenhäuschen drehen sich immer schneller in verkehrter Richtung.)

Fritzi, Edi und Motor (singen das »Wanderlied der Zeit«):

Der Weg ist weit
Und fern die Rast.
Es fliegt die Zeit,
Vom Sturm erfaßt,
Dir gellend um die Ohren.
Ein Flügelschlag
Streift dir durchs Haar –
War das ein Tag?
War das ein Jahr?
Verflogen und verloren.

Was du getan,
Geht über Bord.
Der Hurrikan
Reißt alles fort
Und reißt dein Kleid in Fetzen.
Was rings geschieht, Ist schnell verweht.
Du hörst das Lied
Und das Gebet
Kaum im Vorüberhetzen.

Zum Himmel stieg
Ein Mutterschrei!
Das war ein Krieg,
Nun ist's vorbei.
Weh allen, die's erwähnen.
Im Tod verklingt
Ein »Ça ira«,
Ein Stern versinkt,
Er schien so nah,
Nun regnet's rote Tränen.

Das Sterben jagt
Dem Leben nach.
Ein Morgen tagt,
Ein Mensch zerbrach,
Es blühn und dorren Saaten.
Es treten ab
Und fallen hin
Ins Massengrab
Die Kompanien
Der ewigen Soldaten ...

Es stürmt die Zeit
Und gibt nicht Rast.
Und Müdigkeit
Hat dich erfaßt,
Du willst die Augen schließen.
Und dennoch schließ
Die Augen nicht!
Dem Sturme sieh
Ins Angesicht!
Denn du sollst alles wissen.

 

Zweites Bild

Die Erfindung der Elektrizität

(Zwischenvorhang auf. Die Szene stellt eine Straße in Bologna dar. Galvani auf seinem Balkon macht sich an den Froschschenkeln zu schaffen. Edi und Motor treten auf.)

Edi (geht auf Galvani zu): Grüß Gott. Bittschen, vielleicht hättens irgendeine Arbeit für uns? Kurzschluß beheben? An elektrischen Kontakten reparieren? Nix?

Galvani: Bedaure. Die Elektrizität ist noch nicht erfunden.

Edi: Gott sei Dank. – Leider Gottes. I bin nämlich a Elektriker, der was seit dem zwanzigsten Jahrhundert zwölf Uhr mittags nix mehr gessen hat.

Galvani (achselzuckend): Vielleicht kommen Sie in zwei Wochen vorbei.

Edi: Mei lieber Herr. Wann i in hundertfünfzig Jahr vorbeikommen tät, kriaget i densölben Bescheid!

Motor: Du! Das is er ja sölber. Grad ist er mitten drin im Erfinden von der Elektrizität! (Zeigt aufs Türschild.) »Dr. Galvani, geboren 1737, gestorben 1798. Betteln und Hausieren verboten.« Und da san die berühmten Froschschenkeln!

Edi: Ah so! No dann braucht er's gar nicht erst erfinden!

Galvani: Was sagen Sie?

Motor (verlegen): Ja, das ist nämlich eigentlich der Zweck unseres Besuchs. Wir hätten eine Bitte an Sie. Nämlich – i trau mi net.

Edi: Wir meinen, Sie sollen's bleibenlassen. Sie sollen's halt net erfinden, die Elektrizität nämlich.

Galvani: Was? Das nenn ich eine Zumutung! Wovon soll ich als Akademiker leben? Wo jeder Greißler bessergestellt ist als unsereins. Und überhaupt, jetzt bei den unruhigen Zeiten, wo einem nicht einmal die Pension sicher ist! Jetzt soll ja drüben in Frankreich die jakobinische Volksfront die Bastille gestürmt haben! Man weiß ja als Staatsangestellter nicht mehr, was der nächste Tag bringt! Und übrigens, da (zeigt auf die Froschschenkel) – sie zucken schon wieder!

Edi: Wanns a reines Gewissen habn wolln, Herr, dann lassens es zucken, sovüls wollen.

Galvani: Ich denk nicht dran. Der technische Fortschritt –

Edi: – is schuld dran, daß mir zwa nix anderes zu tun ham als im achtzehnten Jahrhundert umanandzustrabanzen! Da schauns her! Wissens, was das ist? A Stromrechnung für September sechsunddreißig! Jetzt trauns Ihna die Elektrizität zu erfinden!

Galvani: Sie sind verrückt. Nein, Sie sind ein Jakobiner! Ein Agent Frankreichs! Der Schnitt Ihrer Hosen hätte mir gleich als Warnung dienen sollen!

Edi (verzweifelt): Er glaubt mir's net. Er sieht alles nur aus seiner Froschschenkelperspektive.

Motor: Glei wird er uns alles glauben. (Zu Galvani:) Schauns her! Ich hab Ihre unschuldsvollen Froschschenkeln direkt mit dem Jahr 1936 verbunden. Edi, dreh das Radio auf.

Galvani (beeindruckt): Radio, was ist das?

Motor: Das ist die Folge.

(Edi dreht das Radio auf. Radiostimmen, Montage, Voice-Band. Die Stimmen werden von einer konzertierenden Frauenstimme mit Klavierbegleitung durchwoben.)

Galvani: Genug! Genug! (Edi stellt das Radio ab.) Ich werde die Elektrizität nicht erfinden! (Vergräbt den Kopf in die Hände.) Ich könnt mir's nie verzeihen.

Motor: Bravo, Galvani!

Edi: Fritzi, Fritzi!

Fritzi: Du, die Gegend ist herrlich! Alles Rokoko. Noch viel schöner als das Hausgehilfinnenheim in Weißenbach an der Triesting! Direkt wie Hollywood!

Edi: Fritzi! Mir ham's gschafft! Mit der Elektrizität is's Essig.

Fritzi: Jessas, die Freid! Jetzt muß ma gschwind hamfahrn, a paar Kerzen kaufen!

Edi: Aber hörst, Pepi, jetzt hast du als Elektromotor ka Existenzbasis mehr.

Motor: Ah was, i wer mi halt einschränken auf a Nähmaschinendasein. Oder als Fahrradl lebt sich's a ganz schön.

Galvani: Furchtbar! Furchtbar!

Fritzi: Machens Ihna nix draus, Herr Erfinder! Der Pepi verrat Ihna irgend a anderes Patent, werns grad so berühmt damit! Schauns, erfindens zum Beispiel den Gillette-Rasierapparat!

Motor: Da hams an Katalog von der Wiener Messe 1936, damit sans Ihrem Jahrhundert um mindestens zwanzig Jahr voraus.

Galvani: Aber liebe Freunde, das nützt ja nichts.

Edi: Wia manens das?

Galvani: Wenn ich die Elektrizität nicht erfind, erfindet sie der Kollege Volta! Oder ein anderer.

Edi: Aber wieso denn? Viertausend Jahr seids ihr mit Kerzen auskommen, und jetzt habts es auf amal so gnädig?

Galvani: Die Theorie liegt in der Luft.

Motor: No, laßts es liegen!

Galvani: Nicht zu machen. Kein Akademiker läßt sich das freie Denken verbieten.

Edi: Da schau her! Das ist das Neueste!

Galvani: Allerdings, das Neueste. Im Mittelalter wäre es keinem Forscher eingefallen, so obstinat auf seinen Theorien herumzureiten.

Edi: So so. Und wer hat diesen Sport eingeführt?

Motor: Haltaus! I waß schon! ( Zu Galvani:) Könnens bitte a paar Minuten auf uns warten? Wir machen nur an sprung ins Jahr 1633.

Fritzi: Oh, wusch! Warum denn?

Motor: Werdts scho sehn! ( Zu Galvani:) Aber Sie müssen uns versprechen, daß Sie inzwischen keine so leichtsinnigen Erfindungen machen.

Edi: Jawohl! Daß mir nicht gezuckt wird!

Galvani: Ich werd mich hüten! ( Die Reisenden starten, Galvani ruft ihnen nach:) Aber als Akademiker muß ich Ihnen doch sagen...

(Zwischenvorhang fällt.)

 

Drittes Bild

(Vor dem Vorhang. Edi, Motor, Fritzi auf der Fahrt.)

Fritzi: Wo fahrn ma denn jetzn hin?

Motor: Zum Physiker Galilei.

Edi: Was, du willst ihm am End ausreden, daß die Erde sich dreht?

Motor: Zumindest soll er die Weisheit für sich behalten.

Edi: Aber hörst, auf die Art stelln ma der ganzen Naturwissenschaft a Haxl.

Motor: Klarerweise. Du hast ja selber gsagt, daß der Fortschritt an allem schuld ist.

Edi: I waß net, i hab a bisserl a schlechts Gwissen ...

Motor (ärgerlich): Da schau her, Katzenjammer?

Edi (der sich in Zorn geredet hat): Schrei net. Siagst net, daß die Fritzi schlaft?

Motor: Sei selber ruhig. Du hast für alles die Verantwortung.

Edi: Ach? Und wer hat uns auf die Reise verzahrt?

Motor: Und wer hat gsagt, daß die Maschinen schuld san? (Ruhiger:) Merk dir, Edi, wir Motoren sind dazu auf der Welt, daß wir euren Willen vollstrecken. Ihr druckts aufn Starter, wir parieren. Du hast an halben Gedanken ausgedacht – i hab ihn zu Ende gedacht und die Konsequenzen gezogen. Jetzt, wo ihr Menschen uns Maschinen geschaffen habts, müßts ihr halt vorsichtiger sein mitn Herumphantasieren. Auf ja und na wird die Phantasie zur Wirklichkeit. Wir sind die dienstbaren Geister, und ihr seids die Zauberlehrlinge. Verstehst du mich?

Fritzi (schlafend): San ja Märchen – san ja Schmäh –

Edi ( der Pepi nicht mehr zugehört hat, sondern Fritzi betrachtet): Hörst du's? Net amal im Traum glaubt sie's, daß i wieder a Arbeit kriegen kann. Aber sie wird schon sehn. Wann's kane großen Fabriken mehr gibt, wem ma alle was zu tun kriegen, gel Pepi?

Motor (kühl – er hat das Notwendigste gesagt, und alles weitere ist ihm gleichgültig –, mit einer Spur von Spott über Edis Verranntheit): Logischerweise.

Fritzi aufwachend): San ma schon beim Galilei?

Edi: Glei, Fritzi. Und dann fahrn ma standtepe wieder z' Haus. (Sehnsüchtig Und verzweifelt:) Und dann wird alles wieder gut. (Bestätigung suchend:) Gel, Pepi?

Motor (kühl, mit einem guten Schuß Ironie): Logischerweise.

 

Viertes Bild

Prozeß Galileo Galilei

(Verhandlungssaal. Im Hintergrund eine Büste der Justitia. Mitte: Richtertisch mit dem Vorsitzenden. Rechts vorne auf der Anklagebank Galilei. Dahinter sein Verteidiger. Links vorne auf der Zeugenbank Edi. Dahinter Publikum.)

Vorsitzender: Ich eröffne die Schlußverhandlung des Prozesses Galileo Galilei und lasse bei der geringsten Kundgebung den Saal räumen. (Mechanisch:) Angeklagter, schweigen Sie! Die bisherigen Zeugenaussagen haben Sie erheblich belastet. Die drei letzten Zeugen der Staatsanwaltschaft waren der Bergbewohner Giuseppe Stoißner, der Nachtwächter Heraklid Florentini und der Vorstand des Wiener Physikalischen Instituts, Professor Mollig. Der hundertzwölf Jahre alte Stoißner, der die Erde aus einer Höhe von zweitausendsechshundert Metern beobachtet, hat ausgesagt, zeit seines Lebens nichts davon bemerkt zu haben, daß sie sich drehe. Angeklagter, schweigen Sie! Florentini schnitt dem Angeklagten die letzte Rückzugsmöglichkeit ab, indem er unter Eid bestätigte, daß auch nachts von einer Erddrehung keine Rede sein könne. Angeklagter, schweigen Sie! Mollig, der hervorragende Wiener Gelehrte, machte durch ein geniales Experiment die allerletzten Zweifel zunichte. Er schleuderte einen Stein senkrecht in die Luft und erwartete den Fall, ohne sich von der Stelle zu rühren. Hätte sich während der vier Flugsekunden des Steins die Erde gedreht, so hätte Professor Mollig sich mitgedreht, und das Projektil wäre neben ihm zur Erde gefallen. Professor Mollig wurde jedoch mit einem komplizierten Schädelbruch aus dem Verhandlungssaal getragen. Seine letzten Worte waren: Es lebe Aristoteles! (Erhebt sich.) Professor Mollig ist einer der prominentesten wissenschaftlichen Märtyrer der Wiener Schule. Ich bitte um eine Schweigeminute. Angeklagter, schweigen Sie!

Verteidiger: Sie haben – (Verstummt in Anbetracht der Schweigeminute. Vorsitzender: setzt sich.) Sie haben meine Zeugen nicht erwähnt. Der Fuhrwerksbesitzer Romeo Medici hat ausgesagt, daß die Erde sich dreht.

Vorsitzender:: War aber als chronischer Trinker unglaubwürdig.

Verteidiger: Dieselbe Aussage gab die protokollierte Kurtisane Julia ab.

Vorsitzender:: Unglaubwürdig wegen nervöser Schwindelanfälle.

Verteidiger: Und Herr Cesare Lionardo Aenea Aurelio Gibellini?

Vorsitzender:: Der ist Karussellbesitzer. (Verteidiger zuckt zusammen.) Haben Sie zu dieser lückenlosen Indizienkette etwas zu bemerken? Angeklagter, schweigen Sie! Als Sachverständigen des zwanzigsten Jahrhunderts bitte ich nun den letzten Zeugen, Herrn Eduard Lechner, vorzutreten. (Edi tritt vor.) Angeklagter, haben Sie an den Zeugen Fragen zu stellen? Angeklagter, schweigen Sie! Herr Lechner, wollen Sie sich bitte zur Frage äußern: Dreht sich die Erde oder nicht? (Edi schweigt in innerem Kampf). Also bitte! Die Frage war doch deutlich genug. Bewegt sich die Erde oder nicht?

Edi mit großem innerem Widerstreben): Nein.

Verteidiger (der ununterbrochen japsende Redeversuche gemacht hat): Aha! Halt! Zeuge, wann sind Sie geboren? Ich erinnere Sie an Ihren Eid.

Edi: 22. August 1910.

Verteidiger: Aha! Und welches Jahr schreiben wir, Hohes Gericht? 1633!. Was folgt daraus mit messerscharfer Logik? Daß der Zeuge erst in zweihundertsiebenundsiebzig Jahren zur Welt kommen wird. (Pathetisch:) Ich stelle fest, daß die Staatsanwaltschaft mit ungeborenen Zeugen operiert!

(Bewegung im Saal.)

Vorsitzender: Ruhe! Ich lasse räumen!

Verteidiger: Ich stelle den Antrag, den Zeugen Lechner für unglaubwürdig zu erklären.

Vorsitzender: Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Angeklagter, schweigen Sie! (Ab.)

Galilei (zu Edi): Herr Lechner, das hätt ich nicht von Ihnen erwartet.

Edi (kläglich): Schauns, nehmen Sie mir's net übel, Herr Doktor. Für mi handelt sich's ja dtum, daß der Galvani net wegen Ihna die Elektrizität erfindet.

Galilei: Sie wissen, daß Sie sich mit Ihrer Aussage in die Front des Mittelalters stellen?

Edi: Schauns, Herr Doktor, nur daß i irgend a Arbeit krieg.

Galilei: (achselzuckend): Wenn Ihnen diese Entschuldigung genügt...

(Vorsitzender und Verteidiger treten auf.)

Vorsitzender: Angeklagter, schweigen Sie! Der Antrag der Verteidigung ist abgelehnt.

Verteidiger: Aha! Warum?

Vorsitzender: Mit derselben Begründung könnte der Angeklagte geltend machen, daß der Hohe Gerichtshof schon tot und vermodert ist, was unter Umständen geeignet wäre, unsere Kompetenz einigermaßen zu beeinträchtigen. Angeklagter, schweigen Sie! Herr Zeuge, ich wiederhole meine Frage: Bewegt sich unsere Welt oder nicht?

Edi (nach langem Schweigen): Nein.

Verteidiger: Aha! Und worauf gründen Sie diese Aussage?

Edi (verwirrt): Eh – – ich – – hm – – (Fast nachgebend:) Schauns, Herr Doktor, nur daß ich irgend...

Vorsitzender:: Hern – – hem – – Angeklagter, schweigen Sie!

Motor (auftretend): Der Zeuge bringt folgenden Beweis aus seinem Zeitalter.

(Licht aus. Dunkel. Ein Scheinwerfer beleuchtet einige Sekunden die Justitia. Licht. An Stelle des Vorsitzenden ein moderner Vorsitzender:, an Stelle Galileis ein modern gekleideter Mensch mit Galileis Gesichtszügen.)

Der Vorsitzende des 20. Jahrhunderts (in brutalem Kommandoton): Angeklagter – schweigen Sie!

(Licht aus. Dunkel. Scheinwerfer auf Justitia. Licht. Die Vorigen.)

Galilei: Wer war das?

Motor: Einer Ihrer vielen Kollegen aus dem zwanzigsten Jahrhundert.

Galilei (leise): Ist auch er angeklagt, weil er behauptet, daß die Welt sich bewegt?

Motor: So ungefähr.

Galilei: Dann – steht sie still.

Vorsitzender (erleichtert): Na alsoooo! So ein Geständnis ist eine richtige Erleichterung. Was? Und selbstverständlich ein Milderungsgrund. Wollen Sie eine Schlußerklärung abgeben?

Galilei: Nein. ( Nach kurzem Zögern:) Ja. (Schreit:) Und sie bewegt sich d ...

Motor hält ihm den Mund zu.)

Verteidiger (verzweifelt): Aber warum denn, um Gottes willen? Wo wir's uns schon so schön gerichtet haben.

Galilei: Weil kein Mensch den beschränkten Quatsch glaubt, seitdem unser Horizont durch Christoph Kolumbus – –

Verteidiger (zu Edi): Ach bitte, könnten Sie nicht mit dem Herrn Kolumbus ein vernünftiges Wort reden?

(Edi will unwillig protestieren.)

Motor: Aber selbstverständlich.

Verteidiger: Aha! Ich beantrage Vertagung!

Vorsitzender: Die Verhandlung ist vertagt. Angeklagter, schweigen Sie!

(Zwischenvorhang fällt.)

 

Fünftes Bild

(Vor dem Vorhang.)

Edi (düster): Bravo! Jetzt bin i meineidig.

Motor: Jessas, jetzt wurmt's ihn wieder. Ihr Menschen seids aber inkonsequente Geschöpfe. Ihr habts irgendwo an Konstruktionsfehler.

Edi (wie oben): A Verräter bin i! So bitter hat mi der Herr Doktor angschaut. Mit so einer Verachtung.

Fritzi (zu Pepi): Schau dir's an. Er is ja ganz krank. I mach dich aufmerksam, morgen zmittag müß ma wieder daham sein, weil er muß unbedingt zum Training von seiner Fußballmannschaft zurechtkommen. (Stolz:) Die finden in ganz Favoriten. Und i muß nachmittag wieder im Gasthaus sein, sonst verlier i mein Posten.

Edi (mißlaunig): A Zeitung hab i seit fünfhundert Jahr nimmer glesen.

Motor: Was ihr auf amal wieder für a Interesse an eurer Zeit habts! (Ärgerlich:) Bitte, wenn ihr wollts, mach ma kehrt euch. Einverstanden?

Edi (trotzig): Na – justament net! Das war die größte Blamage. Irgendwas muß i von dera Reise mitbringen. Auf meiner Brücken werns nie draufkommen, wer eigentlich an dem ganzen schuld is.

Fritzi: Seids do net so grantig. Glei samma beim Kolumbus. Der wird gwiß a Einsehen haben, und alles is in schönster Ordnung, gel?

Motor (kühl, ironisch): Logischerweise. Stehe wie immer zu Diensten.

Fritzi: Jö, i seh schon das Stationshäuserl vom Mittelalter.

Stimmen: Mittelalter! Heiße Würschteln! Umsteigen in die Neuzeit! Heiße! Heiße!

 

Sechstes Bild

Auf dem Deck von Kolumbus' Schiff

Pepi und Kolumbus gehen in lebhaftem Gespräch über die Bühne.)

Motor: Also, Herr Kolumb ...

Kolumbus: Nein, nein, nein!

Motor: Ein Moment, warten Sie, warten Sie, Herr Kolumb ...

Kolumbus: Nein, nein, nein!

Motor: Sagen Sie nicht immer nein, Herr Kolumb...

(Beide ab.)

Ein Matrose und Edi, an das Geländer gelehnt.)

Matrose: Herr Kolumb ... hat er gsagt, bis zum ... bus is er gar net kommen. Drei Tage rennt er ihm schon nach, er soll das Amerika nicht entdecken. Aber mein Kapitän, das ist ein Dickschädel.

Edi: Sag einmal, was habt ihr denn für eine Überfahrt gehabt, bevor ihr uns aufgefischt habt als blinde Passagiere?

Matrose: Scheußlich. Erst ist uns bei der Santa-Maria-Brucken ein Stückel vom Hauptmast abbrochen, weil wir vergessen haben, ihn rechtzeitig einzuziehen. Dann haben wir ein portugiesisches Faltboot tranchiert. Erst vom Praterspitz an hat uns eine Backbordbrise in ein günstiges Gewässer gebracht. Bis zum Kap von Bratislava hat sich der Weg ein bißl gezogen. Aber von dort habn wir bis zum Äquator das reinste Heustadelwasser ghabt.

Edi: Sag einmal, wie schaut's bei euch im Mittelalter mit der Arbeit aus?

Matrose: Mies. Wannst net als Lakai oder als Landsknecht gehst, kriegst keine ordentliche Hacken. – Und mit einem einzigen Fingerabdruck könnts ihr ganze Paläste taghell erleuchten?

Edi: Vorausgesetzt, daß die Stromrechnung bezahlt ist.

Matrose: Natürlich.

Edi: Fix noch einmal, jetzt steigt der Kolumbus schon wieder meiner Braut nach.

Matrose: No ja, derfst net vergessen: das italienische Blut. Und sie is halt die einzige Frau an Bord.

(Beide ab.)

(Auftritt Kolumbus und Fritzi.)

Kolumbus (leidenschaftlich): Ihr seid die schaumgeborene Aphrodite.

Fritzi: Aber na, wenn i Ihna sag, i bin das Aushilfskuchenmadel vom Dritten Kaffeehaus.

Kolumbus: Und eure Zeit hat wirklich die Träume des Meisters Leonardo erfüllt? Ihr könnt euch zu den Wolken aufschwingen?

Fritzi: I kann mi höchstens zu an Kino aufschwingen.

(Auf tritt Motor.)

Motor: Schon wieder find ich Sie in Weiberarmen. Noch dazu in illegitimen. Statt daß Sie über meine Warnungen nachdenken!

Fritzi benützt die Gelegenheit, um abzugehen.)

Kolumbus: Caramba! Also wenn Sie mich durchaus von meinem Plan abbringen wollen, dann entdecke ich nicht Westindien, sondern von mir aus Amerika.

Motor: Aber das is ja a Mißverständnis! I red seit drei Tagen von Amerika!

Kolumbus (wieder ganz Capitano): Der ist ein Nagel zu meinem Seemannsgrab. Machen wir ein Kompromiß. Ich entdecke nur Südamerika, und Sie kriegen als Provision einen Posten als Generaldirektor der Amazonas-Dampfschiffahrtsgesellschaft.

Motor: Ein merkantiles Gemüt. Gar nix sollns entdecken.

(Fritzi hat sich zu Edi gesetzt, der sie aber ignoriert.)

Kolumbus (fast flehend): Nur irgendwas! Wir zählen doch 1492! Wie soll man wissen, daß das Mittelalter aufhört, wenn ich nix entdeck?

Motor: Bildens Ihnen nix ein. Das Mittelalter hört no lang net auf.

Kolumbus: Nur eine ausrangierte Koralleninsel! Pro forma!

Motor: Nein, sag ich.

Kolumbus: Wollen Sie nicht, kriegen Sie gar nichts! Ich werd es justament ganz entdecken! Von oben bis unten. (Schaut auf die Uhr.) Es ist punkt 1492! (Zum Matrosen Obermaat:) Hallo, Ausguck!

Matrose (die Hand ausstreckend): Land! (Bevor er das Wort ausgesprochen hat, hat der Motor ihm den Mund zugehalten.)

Kolumbus: Aber das hilft doch alles nichts. Wenn ich's nicht entdeck, so findt's halt wer anderer.

Motor (schadenfroh): Aha, gneist was, Edi?

Edi: Ja wer denn?

Kolumbus: Ganz egal. Wie die Dinge heutzutage stehen, kann's jedem Uberseefuhrkapitän einfallen, Amerika zu entdecken. Da schaun Sie sich diese Reisebeschreibungen an! Die deutlichsten Hinweise auf einen neuen Kontinent! Das liegt in jeder Kneipe auf! Ja, wenn der Buchdruck nicht erfunden worden wär – – –

Motor: Er wird nicht erfunden werden, dafür sorg i schon.

Edi: Aber ohne mich.

Fritzi: Hast recht, Edi! I hab schon gnua von der Hetzerei.

Edi: (aufspringend) A so manst des! Willst bei dem Humanisten bleiben? Meinen Segen hast du dazu. Kumm, Pepi!

Fritzi: Aber Edi!

Edi (ohne sie zu beachten): Auf, zu Gutenberg! Mir is schon alles Wurscht.

Kolumbus (während der Zwischenvorhang fällt): Ich geh an diesem historischen Wendepunkt vor Anker und wart auf Sie! Ahoi!

(Zwischenvorhang.)

 

Siebentes Bild

Vor dem Vorhang.)

Edi (verzweifelt): Ich war ihr immer zwider! Und jetzt, wos an studierten Herrn gfunden hat, laßts mi natürlich stocken.

Motor: No – no – so vül Aufregung wegen an Madel mit a bissei Stromlinie.

Edi: Sei still, du Ausgeburt aus Stahl und Benzin! Du hast ja kein Herz!

Motor: Gott sei Dank. Meine Pumpvorrichtung ist viel exakter.

Edi: Kruzifix! Jetzt ist mir alles Wurscht!

Motor: Bei dem san alle Sicherungen durchgebrannt.

Edi: Jetzt hau i alles zsamm. Jetzt hau i den ganzen Furtschritt um die Erd. Mi sollst no kennenlernen! Wo ist der Gutenberg?

 

Achtes Bild

In Gutenbergs Werkstatt

Edi: ... Wo is er, der Gutenberg? ...

Motor: San Sö der Gutenberg, der was die Buchdruckerei erfunden hat?

Gutenberg: Erfinden, das geht nicht so schnell. Bin eben gerade daran, Gesell.

Edi: So. (Reicht ihm Telegraf-Nachtausgabe.) Da lesens aber vorher gschwind noch diese Druckschrift.

Gutenberg (liest, sinkt wie von der Tarantel gestochen auf einen Sessel):

Gesellen, schweißt die Lettern ein,
Ich lasse das Erfinden sein.
Bewahr uns Gott vor Teufelswerk.
Dies wünscht euch Johann Gutenberg.

Edi: Bravo! Dabei hat er nix gelesen wie nur den Fernspruch des Pariser Sonderkorrespondenten!

(Vorhang.)

 

Neuntes Bild

(Vor dem Vorhang. Edi und Motor auf Meilensteinen. Sie sind müde und heruntergekommen.)

Motor: Kann i denn was dafür, daß der Gutenberg a net zuständig war?

Edi: No und die unzähligen anderen Erfinder, wo ma inzwischen gwesen san? Zum Beispiel Kaiser Karl der Große.

Motor: Hab i ihm net überzeugend bewiesen, warum er die Deutsche Nation net erfinden soll?

Edi: Er war aber net zuständig. Und der Hagen von Tronje...

Motor: Den hätt ma gar net günstiger erwischen können. Grad in dem Moment ham ma'n überrascht, wie er dem Siegfried von hinten den Speer einirennen wollte – – –

Edi: Und ham ihn eindringlich gebeten, er soll die Nibelungentreue net erfinden. Hat aber nix gnutzt. Und der Dschingis-Khan, die Geißel Gottes ...

Motor: Wie hamma den gebeten, er soll die bilateralen Verträge net erfinden!

Edi: Der hat si aber a für nicht zuständig erklärt.

Motor: Und zuletzt der alte Archimedes, der Vater aller Erfinder – – –

Edi: Den hamma im Bad erwischt, grad wie er pudelnackert aufspringen hat wolln; bis zum »Heu« is er kummen, das »reka« hamma no unterdrücken können.

Motor: Aber was hat das gnutzt? Und was hat er gsagt? Wann ihr dem Menschen das Erfinden abgewöhnen wollts, dann müßts die Künstler abschaffen. Die ahnen jede Erfindung voraus. Am besten, ihr verhinderts die Erfindung der Musik.

Edi: Und so samma zum Orpheus kommen – – –

Motor: Im Wald is er gsessen, die Viecherln waren umadum versammelt, und grad war er dabei, die Musik zu erfinden –

Edi: Und da hamma ihm aufn Grammophon die »Schinkenfleckerln« vurgspült.

Motor: Spontan hat er erklärt, daß er sich hüten wird, die Musik zu erfinden.

Edi: Aber daß s' ganz bestimmt a anderer erfinden wird. Weil der Mensch singt, solang er lebt.

Motor: Wenns aber die Erfindung der Musik verhindern wollts, hat er gsagt, dann müßt ihr schon die Erfindung des Menschen verhindern.

Edi: Und jetzt samma da – vor der letzten Station. Vorm Paradies. So weit hast mi bracht.

Motor: Auf eigenen Wunsch. Und alle Erfinder warten auf uns. Die ganze Weltgeschichte ist ins Stocken geraten – fünfzig Jahrhunderte schauen auf uns und halten den Atem an – und du traust di net eini –

Edi: I möcht wissen, was jetzt die Fritzi macht –

Motor: Immer die Fritzi.

Edi: Die laßt sich's gut gehen mit ihrem Herrn Studenten. (Entschließt sich.) Fahr hin zu ihr, Pepi, und bring ihr meine Abschiedsgrüße.

Motor: Du gehst also doch eini? Du weißt, wenn's dir gelingt zu verhindern, daß der Mensch erfunden wird, dann is mit dir a aus. Und mit der Fritzi und mitn ganzen Menschengeschlecht. Und mit uns Maschinen auch. (Eindringlich:) Logischerweise.

Edi: Ka Arbeit. Ka Madl. Ka Hoffnung, 's gibt kan andern Ausweg als den. Alles muß hin wem. Der Toni hat recht ghabt. Und der Herr Andraschek a, wie er mit Hurra ausgezogen ist. Amal das Paradies sehn – und dann nix mehr sehn – nur Dunkelheit. – Geh zur Fritzi und sag, daß 's mit uns allen aus is.

Motor (ruhig): Wie immer zu Diensten. (Macht Miene, abzugehen.)

Edi (ruft ihn zurück): Du, Pepi!

Motor: Ja?

Edi: Willst du net vorher an Blick einiwerfen ins Paradies?

Motor: Danke, nein. Wir Maschinen brauchen ka seelische Aufpulverung. Mir brauchen nur a bisserl a Schmieröl, um die Zivilisation zu vernichten und die Menschheit dazu. (Eindringlich:) Wenn ihr wollts. I hab ja nie gezögert auf der Reise. Ich bin bereit, die Konsequenz zu ziehen. Servas, Edi.

Edi (scharf): Wann du willst, Servas.

Motor im Abgehen sich nochmals umdrehend): Du, Edi!

Edi: Ja?

Motor: Wie schaut's denn aus im Paradies?

Edi: I waß net. I stell mir's als eine große Fabrik vor, wo die Schöpfung produziert wird. (Sehnsüchtig:) Sechs Arbeitstage, dann ein Feiertag – und jeder hat alle Hände voll zu tun.

Motor: Und in der Mitten eine große Lichtfontäne von feinstem Shell-Oil ... Schöön. Servas.

Edi: Servas. (Motor ab. Leise:) Sturm aufs Paradies. Hurra! (Stürzt vorwärts, Vorhang a tempo auf.)

 

Zehntes Bild

Vor dem Paradies

(Edi prallt mit dem luxuriös gekleideten Fabrikportier zusammen. Portier hat feurigen Portierstab. Neben dem Eingang ein Täfelchen: »Arbeitskräfte gesucht.« Dumpfe Maschinengeräusche.)

Portier (im Ton sehr ruhig und vornehm, wenn auch etwas arrogant): Halt.

Edi: Wer ist hier der Maßgebende?

Portier: Für dich bin ich der Maßgebende.

Edi: Aber Sie san do nur der Portier.

Portier: No und wer bist denn du? Bist du vielleicht ein Aff?

Edi: Na.

Portier (ruhig): Dann bist du ein Teufel. Ihn betrachtend:) Und zwar ein armer Teufel. Für solche bin i da.

Edi: I bin a Mensch.

Portier: Wer's glaubt, wird selig. Den Menschen gibt's no net, und wann's ihn scho gibt, schaut er anders aus.

Edi (niedergeschlagen): Überall dasselbe. (Bittend:) Bittschön, könnt i net zur Direktion vorgelassen wem?

Portier: Die Direktion hat zu tun. Man ist gerade dabei, den Menschen zu konstruieren. Alle Gänge san voller Lehmpatzen. Die Nervosität is net zum Beschreiben. Höheren Orts scheint noch die entscheidende Idee zu fehlen. Sozusagen das letzte Tipferl auf dem »i«. Etwas, was den Menschen unterscheiden tut von allen Tieren, die wir kennen ...

Edi: I hab gmeint: edel, hilfreich und gut?

Portier: Das trifft jeder Foxterrier. Was wüllst du überhaupt?

Edi: Ja, nämlich (erblickt die Tafel »Arbeitskräfte gesucht« und vergißt alles andere) – Arbeit, Arbeit will i! Ihr brauchts ja Arbeiter! I könnt euch sehr nützlich sein bei der Erschaffung der Menschen! (Bittend:) I bin a erstklassiger Menschenkenner. I könnt sogar a paar wichtige Verbesserungsvorschläge machen!

Portier: Bedaure. Die Konjunktur hat bereits nachgelassen. Der irdische Markt ist mit Geschöpfen gesättigt. Wir bringen noch die Artikel »Adam« und »Eva« heraus, und ab Montag wird nix mehr geschaffen.

Edi (auf dem Höhepunkt der Verzweiflung): Wann's so is, nocha zu was schaffts ihr den Menschen? Laßts es doch bleiben!

Portier (baff): Was willst du?

Edi: Ein Gesuch vorbringen! An die Direktion. Man wird mich schon hören. (Singt die Moritat im Paradies:)

Greif, o Herr, nicht in den Lehm,
Den Du Adam willst benennen.
Was Du schaffst, wirst Du, nachdem
Du es schufst, nicht mehr erkennen.

(Ein Schieber geht über die Bühne.)

Sieh den Menschen an der Macht!
Dieser lobt Dich! Aber sage,
Ist's noch der, den Du erdacht,
Herr, an Deinem sechsten Tage?

(Ein Arbeitsloser geht über die Bühne.)

Sieh den Menschen in der Not,
Weggeworfen und vergessen!
Gilt für ihn noch Dein Gebot:
Arbeit um Dein täglich Essen?

(Eine Mutter geht über die Bühne.)

Sieh die Mutter! Sieh nicht fort!
Sprich, Du kannst sie nicht mehr kränken,
Gabst Du der das Abschiedswort:
Weib, du sollst ihm Kinder schenken?

(Eine Hure geht über die Bühne.)

Sieh Dir diese an und sag,
Eh sie schwindet im Getriebe:
Dachtest Du daran am Tag,
Als Du lächelnd schufst die Liebe?

(Ein Mann mit Gasmaske geht über die Bühne.)

Sieh den Menschen vor dem Tod,
Selbst als Mörder ohne Milde!
Ist's noch der, den Dein Gebot
Schuf nach Deinem Ebenbilde?
Greif, o Herr, den Lehm nicht an!
Schlag Dich nicht mit eignen Waffen!
Oder wenn Du's schon getan,
Mach ihn wieder ungeschaffen!

Portier: Das ist dein Vorschlag?

Edi: Das ist mein Vorschlag.

Portier: Liegt kein Gegenvorschlag vor?

Edi: Von wem denn? Die Viecherln wern sich hüten. Die wern a glücklicher sein ohne uns. Sogar die Schlange.

Portier: Also plädiert niemand für die Erschaffung des Menschen?

Edi Nein.

(Fritzi und Motor kommen eilig.)

Fritzi: Ja, ich.

Edi: Fritzi!

Portier: Ruhe, Ruhe. Begründung des Gegenantrags?

Fritzi ( verwirrt): Begründung? (Schweigt; sie hat Angst vor der eigenen Courage.)

Edi (heftig): Nein!

Fritzi (leidenschaftlich): Ja!

Portier: Nein – Ja – (Plötzlich auffahrend:) Ich hab's! Für das krieg i a Belobung und a Gehaltsaufbesserung! (Eiligst ab.)

Edi (schüchtern): Fritzi – eigentlich hab i net glaubt, daß du herkommst zu mir –

Fritzi: Edi –

Edi: Fritzi –

Fritzi: Edi –

Edi: Fritzi –

Fritzi (überwältigt): Oh, Edi, es is schöner wie a Film. (Umarmung.)

Motor: Na also. Tummelts euch mit der Versöhnung, daß das Ende der Menschheit wenigstens a Happy-End is.

Edi (schon protestierend): Wieso das Ende? – – –

Motor: Das ist die Höhe der Inkonsequenz. Du zweifelst do net dran, daß ein wohlbegründetes »Nein« auf die dort mehr Eindruck machen wird als das kindliche »Ja« von dem holden Baby da?

Fritzi (erschrocken): Also is's aus?

Motor: Logischerweise. I waß net, wie lang der Instanzenweg da is, aber genau so lang ham mir alle noch zu leben.

(Fritzi und Edi drängen sich erschrocken an ihn.)

Edi: Aber vielleicht doch?

Motor: Zum Leben sans zu schlecht – zum Sterben sans zu gut. Primitive Maschinen san diese Menschen.

(Sie warten.)

Portier (kommt freudig): Ich gratulier. Der Mensch ist soeben geschaffen worden.

Edi: Doch?

Portier: Tuns net so erstaunt. Ihr habts ja selbst den entscheidenden Konstruktionsvorschlag gemacht.

Edi: I?

Portier: Ihr beide zusammen. Nein und ja. Wir ham a Gmisch aus Nein und Ja gmacht, a Patzerl Lehm rundum gepickt, und auf ja und nein war der Mensch da.

Motor: Ja und nein, das is a Gegensatz. Da muß do wer logischerweise die Entscheidung ham?

Portier: Die is dem Menschen in die Hand gelegt worden. Und von dem Moment an war er lebendig. I bin höherenamts beauftragt, euch speziell zu beloben und euch anschließend außazstampern.

Edi: Warum denn?

Portier: Weil ihr vom Baum der Erkenntnis genascht habts; weil anschließend an den Menschen das Weekend geschaffen worn is. Schluß meiner Amtsstunden.

Motor: Also mit der Vernichtung der Menschheit is nix?

Portier: Bedaure. Vielleicht ein andermal. (Gebieterische Bewegung mit dem Stab. Zwischenvorhang fällt.)

Edi: Und des kommt a auf uns an?

Motor: Zu Diensten. Du schlagst an ganz an neuchen Ton an? I kriag direkt Lust, auf immer in deine Dienste zu treten.

Edi: Auch das kommt auf mi an. Alles kommt auf mi an. Kannst du uns wieder in die Gegenwart führen?

Motor: Zu Diensten. Mein Getriebe is eh scho ganz marod vom ewigen Rückwärtsgang.

Fritzi: Und in die Zukunft, Pepi?

Edi: Frag net so vül – auf uns kommt's an.

Fritzi: Fahr zu, Pepi!

Motor (respektvoll): Fahr ma, Euer Gnaden.

(Verwandlung. Edi und Fritzi stehen wieder mit geschlossenen Augen am Geländer wie im ersten Bild.)

Fritzi (öffnet die Augen. Leise): Wo ist der Pepi?

Edi( ebenso leise): Den seh i bald wieder.

Fritzi (leise): Bald? Wann?

Edi (leise): Frag net so vül – auf uns kommt's an!

(Vorhang.)

Ende.