Beim Anblick erhabenster Naturschauspiele empfinden wir neben aller Großartigkeit und Schönheit, mit der sie uns fesseln, oft eine Beengung, ein Fremdsein, ein leises Unbehagen; wir fühlen uns ihnen gegenüber gewissermaßen ausgelöscht, und wenn es eben noch schien, als könnte die Seele sie ganz in sich aufnehmen, sinkt sie im nächsten Augenblick vor dieser Aufgabe zurück, entmuthigt, dieses Gewaltige nicht zu begreifen, weil wir ihm nicht gleichen, ihm nicht zu gleichen, weil wir es nicht begreifen. Größten Menschen gegenüber ist es manchmal ähnlich; mag es ein Gefühl eigner Kleinheit sein oder das Mißbehagen an allem Unbegreiflichen, oder an einem Mangel, der uns in dem gewaltigen Gesammtbilde doppelt peinlich an alle menschliche Unzulänglichkeit erinnert – kurz, nicht immer kommen wir solchen Persönlichkeiten gegenüber zu der reinen Freude, mit der sich unser Gemüth oft minder großen Erscheinungen traulich und treulich hingiebt. Vielleicht wird sich Niemand mit Michelangelo eingehender beschäftigen können, ohne solchem Mischgefühl öfters zu unterliegen. Seine Werke reißen uns widerstandslos in eine Welt, in der wir dann plötzlich empfinden, daß wir so ganz heimisch in ihr weder sind noch auch sein möchten; während ihre nie erreichte Kraft des Ausdrucks zulangt, um uns gewissermaßen niederzuzwingen, fühlen wir, wie ihre Gedanken und Leidenschaften noch über den Stein hinausragen und daß der Künstler am wenigsten zur Versöhnung und Beruhigung gekommen ist, so daß sie namentlich schwächlichere Seelen in einer gewissen Entfernung halten, wie man sich nicht nahe an ein Schlachtgewühl heranwagt. Und so zieht uns auch seine Persönlichkeit mächtig an; schon wenn wir nichts Anderes von ihm wissen, als daß er den Moses, die Medicäergräber, die Decke der Sixtinischen Kapelle geschaffen hat, so ahnen wir den Reichthum seines Geistes, die Tiefe seines Gemüthes, die Reinheit seines Idealismus. Aber näher tretend werden wir von Manchem zurückgestoßen: ein düsteres, verschlossenes, herbes Wesen, das mehr war als die Folge jener Einsamkeit, zu der die Größe verurtheilt; Züge von Grobheit und von Malice bösester Art; dabei entschiedene Hypochondrie und Mangel an persönlichem Muth. Und doch waren dies nur Außenseiten, die bei ihm mehr als bei irgend einem gleich großen Menschen im Gegensatz zum Innern standen, mehr vielleicht noch als selbst bei Beethoven. Er erschien geizig und verschenkte im Geheimen Vermögen; er war Geistlichen und Päpsten gegenüber selbstbewußt und sogar grob, und doch ein tief gläubiger Sohn der Kirche; er war unliebenswürdig und ungehobelt in seinem Auftreten und zeigte doch in seinen Gedichten, wie weich und widerstandslos, von zartestem Empfinden durchgeistet, sein Inneres war; als sein Vater starb, der ihm das Leben durch launenhaftes Temperament, durch Undankbarkeit und Mißbrauch seiner väterlichen Autorität verleidet hatte und dem gegenüber er selbst oft genug kräftig und vielleicht heftig aufgetreten war, trotzdem er mit der That stets der aufopferndste Sohn war, sagte er:
So groß nur sind im Menschen Leid und Schmerzen,
Wie er sie tiefer oder leichter fühlt:
Mein Fühlen liest nur Gott in meinem Herzen.
Der innere Roman seines Lebens ist nur aus seinen Gedichten ersichtlich und in seiner vollkommenen Verinnerlichung, seiner überraschenden Weichheit und Hingegebenheit nun doppelt rührend. Bei einer lyrisch angelegten Persönlichkeit nehmen wir die Aeußerungen zarter und hingebender Empfindungen als selbstverständlich hin; wo aber eine unnahbare Titanennatur uns plötzlich ihr ganzes Innere zeigt, mit aller Weichheit, aller Hilflosigkeit selbstvergessenen Empfindens, vor dem ihr eherner Trotz geschmolzen ist – da ist der Kontrast geschaffen, durch den uns auch rein lyrische Aeußerungen mit tragischer Rührung ergreifen. Nur durch seine Gedichte bannt er jenen Hauch von Fremdheit und Uebermenschlichkeit, der uns sonst die liebende Hingabe an das Gesammtbild seiner Persönlichkeit zu versagen schien; so viel Dissonanzen des Lebens, so viel ungestillte Sehnsucht, so viel ungelöste Fragen in seinen Versen erklingen mögen – sie allein weisen doch den Weg, auf dem unser Herz mit ihm Zwiesprach halten kann.
Drei Gedankenkreise, die innerlichsten, die der Mensch überhaupt besitzt, bilden, vielfach sich schneidend und zusammenfallend, die Elemente seines Dichtens: seine Liebe, sein Leiden, seine Hinwendung zum Göttlichen – alle drei oft gekreuzt und umspielt von den Ideen und Idealen seines Künstlerthums. So innerlich aber sein Empfinden war, so konnte er doch der formelhaften Ausdrucksweise, die er gerade für erotische Empfindungen schon fest geprägt vorfand, sich nicht ganz entziehen. Die abgegriffene Form der Madrigale und Sonette, die einer oberflächlichen Galanterie und einem spielerischen Dilettantismus dienstbar war, füllte er zwar oft genug mit eigenstem, empfundenen Inhalt, aber ganz und gar ist er jenem Charakter der Zeitpoesie nicht entgangen. Wer will überhaupt die Grenze ziehen, an der das rein Individuelle sich über das Konventionelle erhebt? Wer wird ein Urtheil darüber wagen, ob ein großer Geist dem, was uns Alle bändigt, dem Trivialen, unterlegen ist, oder ob er es schöpferisch aus sich wiederholte, da es doch vielleicht nur auf Grund seiner tiefen und einfachen Wahrheit zum Gemeingut Aller geworden ist? Gerade der vornehmste Geist und der, in dem die Strahlen der Volksseele in ihrer größten Fülle sich schneiden, mag es am Meisten verschmähen um jeden Preis in originellen Formen zu reden, wenn schon die hergebrachten für den reichsten Inhalt die reinste Prägung sind. Als er Vittoria Colonna kennen und lieben lernte, muß es ihm eine besondere Gunst gewesen sein, daß eine gewisse Uebertriebenheit erotischer Ausdrücke, ein Herbeirufen von Himmel und Hölle, allgemein angenommene Form war, von der von vornherein vorausgesetzt wurde, daß sie ein sehr unstetiges Verhältniß zwischen Ernst und Uebertreibung, zwischen Leidenschaft und Konvention darstelle. So durfte er gewisse Dinge aussprechen, die weder er sagen, noch sie hätte hören dürfen, wenn sie nicht allgemeine konventionelle Münze gewesen wären, so daß ihm so zu sagen Niemand nachweisen konnte, wie ernst er sie meinte. So wenig die Frage, ob seine Empfindung für Vittoria Colonna Freundschaft oder Liebe war, scharf beantwortet werden kann, so wenig die, in wie weit seine Verse wahre oder erdichtete Empfindung aussprechen und in wie weit seine Bewunderung der Frauen ästhetisch oder erotisch war. Was man bei modernen Dichtern Gehirnsinnlichkeit genannt hat, jene Hindurchleitung sinnlich leidenschaftlichen Fühlens durch die Reflexion oder gar den Ursprung aus ihr – das war auch bei ihm vorhanden; aber auch umgekehrt die Versinnlichung rein geistiger Probleme durch die Leidenschaft, mit der er sie ergriff, und das künstlerische Vermögen, ihnen sinnlich greifbare Gestalt anzubilden. Es ist das falscheste Bemühen, solche Naturen und ihre Aeußerungen auf einheitliche Ausdrücke, auf die unzweideutigen Begriffe bringen zu wollen, die wir auf weit einfachere Erscheinungen hin geformt haben.
Wie sehr die Empfindungen der Liebe ihn zunächst quantitativ beherrscht haben, spricht er unzählige Male in seinen Versen aus. Schon viele Male sei sein Herz in Liebe entbrannt, sie sei ihm Gewohnheit vieler Jahre und wie sie ihn noch im späten Alter in Fesseln schlägt, so kann er aus diesen sich nicht befreien, weil er durch Gewohnheit, den mal uso, ihr zu sehr ergeben ist, wie denn allerdings auch ihm die Gewohnheit offenbar die Ketten verstählt hat, die die Liebe schmiedete; so fest, sagt er, hafte das Bild der Geliebten in ihm, wie das goldene Bildwerk in der Form in die es gegossen ist. Denn wie man jenes nur herauslösen kann, indem man die Form zerbricht, so würde sein Geist das geliebte Bild nur lassen können, wenn er selbst zerbrochen und zerstückt würde. Seinem ganzen Liebesempfinden, soweit er es dichterisch gestaltet hat, liegt ein Gedanke zu Grunde: der Gegensatz seiner Persönlichkeit gegen die der Geliebten. Er fühlt offenbar, was seiner Natur fehlt, das Leichte, Anmuthige, und etwas, was ich das Musikalische nennen möchte, das ihn um so mehr an den Frauen anzieht; daher offenbar das Aufschauen zu ihnen und nicht nur zu Vittoria Colonna, die Vorstellung, daß sie ihm etwas geben, was er nicht besitzt, ihn zu einer Höhe erheben sollen, die er für sich nicht erreichen kann. Seit diese Liebe über ihn gekommen, ist er sich selbst so viel mehr werth, wie ein Stein, aus dem ein Kunstwerk gebildet ist, mehr werth ist als er vorher war, wie das beschriebene Blatt werthvoller ist als das leere.
Du hebst mich himmelan,
Weit über meine Bahnen,
So hoch, daß kaum ich's ahnen,
Viel weniger noch es jemals sagen kann.
Es beherrschte ihn jene Empfindung, die durch die Lyrik aller Zeiten gehend, durch Rückert ihren klassischen Ausdruck gefunden hat. Vor allen Dingen scheint er, der Schönheitsfanatiker, seine eigene Häßlichkeit tragisch empfunden zu haben, an der wohl nicht ausschließlich jener Faustschlag Schuld war, der ihm als jungem Manne das Nasenbein zerschmetterte. In den Augen der Geliebten sieht er sein Spiegelbild – alt, häßlich, gebeugt von den Jahren und den Leiden, während sie sich glänzend und schön in den seinigen spiegelt. Dieser Gegensatz vermehre natürlich ihre Härte gegen ihn, denn Liebe wolle gleiches Aussehen und gleiche Jugend. Er ist sich bewußt, mit seinem alten und häßlichen Antlitz nur eine Folie ihrer Schönheit zu sein, damit sie um so strahlender, er um so armseliger erschiene; er bittet Amor, er möchte die Geliebte häßlich machen, damit sie ihm mißfalle und sich ihrerseits in ihn verliebe. Aber nicht nur seine Häßlichkeit, sondern auch sein Temperament, die düstere Melancholie seines Wesens, empfindet er in tragischem Gegensatz gegen die Person, die er nun doch einmal und vielleicht gerade um dieses Gegensatzes willen lieben muß und die ihn um eben desselben willen nicht lieben kann. Wie in dem Stoff des Kunstwerks sich das Schöne und das Häßliche, die Fülle und die Armseligkeit birgt und das Eine oder das Andere hervortritt, je nachdem der Künstler beschaffen ist, so, meint er, ruhe in ihr sein Leid und seine Lust; da er aber nur Trauriges darböte, so gewinne er auch nur solches aus ihr.
So klingt denn der unverholenste Pessimismus aus seinen Versen wider, die eigentlich nur ein einziges großes Buch der Klage sind. Sein Herz unterliegt der Liebe, sagt er, nur deshalb, weil es durch so viele Leiden geschwächt ist; und andererseits erscheint es ihm als das höchste Wunder, daß er, ein ausgedorrtes und verkohltes Holz, noch einmal Liebesblüthen tragen könne. Wenn er die Leerheit der irdischen Freuden, das Trügerische ihrer Versprechungen ausmalt, fügt er hinzu: ich sag' es und ich weiß es aus Erfahrung. Er nennt sich einen, der zum Elend geboren ist und mildert dies nur einmal dahin, daß es das höchste Elend wäre, geboren zu sein, wenn nicht die Schönheit den Geist himmelan zöge; es ist eine völlige Vorwegnahme des modernsten Pessimismus, wenn er ausspricht, daß tausend Freuden nicht hinreichten, um einen einzigen Schmerz aufzuwiegen. Nichts Ergreifenderes als damit die wenigen Verse zu vergleichen, die uns von Raphael aufbewahrt sind. Auch in ihnen freilich klingt die Klage um ein entschwundenes Glück, aber das ist nur ein Dunkel wie nach untergegangener Sonne, während es bei Michelangelo überhaupt nie zum blauen Himmel gekommen ist; das einzige Gedicht, das von einer vollständigen Vereinigung mit der Geliebten spricht, hat doch wieder nur zur Pointe, einen drohenden oder vollzogenen Bruch mit ihr ausgleichen zu wollen. Wie man von Raphael sagen könnte, daß er häßlichkeitsblind war, so scheint er auch mit dem sichern Schritte eines Göttersohnes oder eines Nachtwandlers an den Abgründen vorübergegangen zu sein, in denen ein Michelangelo sein Glück begrub, er, der die Häßlichkeit so scharf empfand, weil sie sich von dem Hintergrunde seines Schönheitsideales abhob. Und so ist denn seinem des Treibens müden Geiste die Nacht der dolce tempo:
Du Bild des Todes, Ende alles Bösen,
Mit dem die müde Seele streiten muß,
Bis daß dein Zaubertrank sie will erlösen.
Und mit einem Gleichniß, dessen Unverhülltheit in wunderlichem Kontrast zu seiner scholastischen Austüftelung steht, sagt er: alle anderen Wesen würden am Tage erzeugt, die Sonne ließe alle Pflanzen keimen; der Mensch allein würde in der Nacht empfangen und deshalb stände die Nacht über dem Tage, wie der Mensch über jedem andern Erzeugniß der Natur. Auch wo er an den Medicäergräbern eine Figur des »Tages« gebildet, ist es so zu sagen nur eine Nacht bei Licht geworden und vielleicht sind ihm wenige Verse so aus beziehungsreicher Tiefe gequollen, wie jene, mit denen er Giovanni Strozzi erwiderte, als dieser von der berühmten »Nacht« gesagt hatte, sie würde erwachen und reden, wenn man sie weckte:
Nun Schmach und Schande tödtlich uns betrafen,
Ist mir des Steines Starrheit höchstes Glück,
Ein Glück das taube Ohr, der blinde Blick,
Drum schweige still und laß mich schlafen, schlafen.
Wenn er aber auch sagt, daß, wie Jedem sein Schicksal von Anbeginn zugetheilt ist, so sei ihm die Nacht, der er selbst gleiche, als Lebensgebiet mitgegeben – so ist es denn auch völlig verständlich, daß er nicht trotzdem sondern deshalb ein gewisses Grauen vor der Nacht empfindet, daß sie – vielleicht besonders in späteren Jahren – sein Herz erstarren läßt, während nur der Tag noch es mit dem Lichte des Himmels erfüllt.
Aber auch ihm fehlte nicht der Ausgleich, den die Natur auf so leidensvollen Wegen mitzugeben pflegt: der Stolz und das Gefühl, wie gleichgiltig das Leiden gegenüber den höchsten Werthen des Lebens sei. In einem Sonett, das er Dante weiht, möchte er gern alles Leiden, das dessen Leben erfüllte, auf sich nehmen, würde das größte Glück der Erde hingeben, wenn er nur seinen Genius besäße. Besser sei es, sagt er einmal, wenn man verstände, viel zu verlieren als Geringfügiges zu gewinnen. Unter der Hülle der konventionellen Demuth, die sich der Geliebten gegenüber mit der kleinsten Gunst begnügen will, liegt doch das unbändige Gefühl des: Alles oder Nichts. Ja, wie ihm das Schönste gerade schön genug ist, wie er sich fragt, ob die Geliebte denn wirklich seine Liebe verdiene, da doch nicht Alles an ihr gleich schön sei, so spricht er sogar aus, daß alle Gunst, die sie ihm überhaupt gewähren könnte, nicht ausreichen würde, die Gluth seiner Leidenschaft zu stillen.
Nur der Vittoria Colonna gegenüber scheint er sich wirklich und innerlich gedemüthigt zu haben. Es ist bekannt, wie sehr sie dazu angethan war, selbst einem Michelangelo neue Ideale zu zeigen. Eine ungewöhnliche Naturanlage nach der gemüth-lichen wie nach der intellektuellen Seite hin, die Stellung in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die den individuellen Anlagen auch der Frauen freieste Entwickelung gewährte, die Berührung mit den damaligen bedeutsamen Versuchen einer religiösen Reform in Italien, endlich der große Schmerz ihres Lebens, der frühe Verlust ihres Gatten, der ihrem Wesen eine unvergleichliche Verklärung und Weihe gegeben haben muß – alles dies wirkte zusammen, um sie zu der ersten Frau Italiens zu machen, zu der Einzigen, von der Michelangelo sich verstanden wußte, und deren Freundschaft ihm das ganze nicht mehr gehoffte Glück gab, dessen Umfang natürlich die Jahre begrenzten, in denen sie sich fanden – er ein Sechsziger, sie eine Vierzigerin, die das Leben einer Nonne führte. Wer so lange unverstanden dahingelebt hat, wie es sein Schicksal war, immer nur von dem lebte, was er selbst gab, der empfindet den Segen einer Natur, die ihm nun auch etwas zu geben hat, unendlich viel stärker, als es in der Jugend der Fall ist, wo man im Geben schon Genügen findet und wo die Hoffnung auf das absolute Glück noch lebendig ist. Gerade aus seinen Gedichten geht hervor, wie oft er sich auf ein leidenschaftlich Stammeln beschränken mußte, in das allein ihm höchste Gedanken und tiefste Empfindungen ausflossen; gerade daraus aber wird verständlich, wie selten Menschen nur sein konnten, die ihn ganz verstanden, und was es ihm war, wenn er einen fand. Daß er jetzt, wo er so viel erhielt, die Vorstellung hatte, er erhielte Alles, er sei nichts und sie Alles – dies ist durchaus begreiflich; jedem, der ein großes Glück gefunden hat, geht es annähernd so, und ihm, alt, enttäuscht, hoffnungslos und einsam, ihm vor Allem mußte dieses Auslöschen des eignen Seins die nächstliegende Empfindung sein. Ich wähle die Schlußzeilen eines Sonettes, das zwar nicht sicher an diese Frau gerichtet ist, aber recht treffend die Empfindung charakterisirt, die er hundertmal ihr gegenüber ausgesprochen hat:
Dein Wille hohe Frau ist auch der meine,
Aus Deinem Herzen sproßet mein Empfinden,
Und wenn Du schweigst, spricht meine Lippe nicht.
Dem Monde gleich' ich, arm an eignem Scheine,
Den unsre Augen nicht am Himmel finden,
Strahlt Sonne ihn nicht an mit ihrem Licht.
Darum war er ihr so dankbar, weil ihr gegenüber der Riß zwischen seinem Innern und Aeußern, den der Widerstand der stumpfen Welt hervorrief, versöhnt wurde; indem er ihr, die ihn ganz verstand, sein Inneres auch nach Außen geben konnte, verhalf sie ihm insoweit zur Harmonie mit sich selbst. Das gelang ihr nicht nur, weil er sie liebte, sondern er liebte sie auch, weil ihr dies gelang. Er kommt sich vor wie ein erstes unvollkommenes Modell aus niedrigem Stoffe; die Vollendung zum Kunstwerk, zur Schönheit des Schöpfergedankens, der ihm zu Grunde liegt, erhofft er erst von ihren Händen. So war denn diese Liebe sowohl Ursache wie Folge einer Vergeistigung seines Wesens nach der religiösen, wie nach der philosophischen Seite hin. Wie diese Liebe unsinnlich war, so betonte er auch die Unsinnlichkeit des wahrhaft Schönen und der wahren Kunst. Wenigstens bildlich verwendet er jene platonische Idee von der Präexistenz der Seelen. Wie Petrarka von dem Bilde Laura's von Simone Martini sagte:
Doch war mein Meister wohl im Paradiese,
Daher die edle Frau herabgestiegen;
Dort sah er sie, daß von den schönen Zügen
Sein irdisch Werk ein himmlisch Zeugniß wiese –
so meint nun Michelangelo:
Du hast in Deinem Blick das Paradies;
Dorthin, wo unsre Seelen einst sich liebten,
Führt mich der Weg, den Deine Augen weisen.
Die Seele schwingt sich ihm, so berichtet er, oft nach den ersehnten Regionen auf, wo die Schönheit wohne, die nicht mehr an stolze Frauen gebunden sei – offenbar also jener überhimmlische Raum des platonischen Mythus, in dem die Ideen, die reinen Formen der Dinge wohnen, die himmlischen Gestalten, die nicht nach Mann und Weib fragen. Darum meint er, die Schönheit der Frauen sei der Erde nur verliehen, um uns zu zeigen, welches Leben unser wartet, wenn der Schleier der Körperlichkeit gerissen sei. Auch ein gewisses Schwanken zwischen der kirchlich religiösen und der pantheistischen Vorstellungsweise findet sich, das ebensowohl dem poetischen Reize eines solchen hin- und herspielenden Gefühles wie einer gewissen Unklarheit entsprießen mochte: er sehnt sich nach dem Zusammensein mit der Geliebten im Paradiese, wo er sich also zugleich des Gottes freuen wird, den er im Himmel und dessen, den er auf Erden anbetet – wenn ihm auch, scheinbar im Gegensatz und doch im tiefen Zusammenhange mit solchen Anschauungen der Gedanke kommt, ob nicht das Idealbild des Schönen, das sein Geist in sich gebildet, sich nur in der Geliebten wiederspiegele, so daß es gar nicht sie selbst, sondern ein Reflex seiner schönheitserfüllten Seele sei, was ihn bezaubere. Dies erinnert interessant an die bekannten Worte Raphaels, daß er, um eine schöne Frau zu malen, an denen in Wirklichkeit immer Mangel sei, sich einer »gewissen Idee« (certa idea) bedienen müsse, die in seinem Geiste entsteht.
Wie die Kunst ihn von der Sinnenschönheit durch die ewige Schönheit der Form hindurch zum Himmel weist, so trägt ihn die unsinnliche Schönheit der Geliebten vom Irdischen zum Ewigen; es ist der gleiche Prozeß, den er auf dem Gebiet der Liebe wie auf dem der Kunst durchmacht.
Will mir zur Sehnsucht Deine Schönheit taugen,
Es ist der Theil von ihr, der kaum geahnt
Im Jenseits erst sich bietet unsern Augen.
So oft er auch seine Begeisterung für die Schönheit ausspricht, so wird er doch nicht müde, die nur in den Sinnen wohnende Schönheit als niedrig und eines weisen und männlichen Herzens unwürdig darzustellen, und nur deshalb liebe er diese schöne Hülle, weil Gott in ihr und freilich deutlicher als in irgend Anderem sich spiegele. Und so weit führt ihn dieser Prozeß, daß er über alle irdische Verkörperung des Göttlichen hinaus schließlich ausruft:
Nicht Malen und nicht Meißeln stillt mein Sehnen;
Die Gottesliebe nur, die ihre Arme
Am Kreuze ausstreckt, uns darein zu schließen –
er, der früher gesagt hatte, daß die Schönheit, die zu malen und zu meißeln er sich anschicke, uns zum Himmel trage. Aber nicht ohne Kämpfe und Zweifel war er zu dieser religiösen Ergebenheit durchgedrungen. Wie ein skeptischer Trotz klingt jenes Sonett, das ich hier in der Uebersetzung von Sophie Hasenclever anführe:
Der Leib dem dürren Holze gleich zu schätzen,
Das Herz wie Schwefel, Werg das Fleisch und ach,
Vernunft erlahmt und blind, die Seele schwach,
Des Zügels los, bereit nur zum Ergötzen:
Dazu die Welt mit Ködern und mit Netzen!
Da ist's kein Wunder, denkst Du diesem nach,
Daß schon die erste Glut auf einen Schlag
Dem Blitze gleich mich mag in Flammen setzen.
Wenn für die Kunst, die aus dem Himmel stammt
Und die Natur besiegt durch Meisterhand,
Mir Aug' und Ohr bei der Geburt gegeben,
Wenn das ich sah, was mich mit Recht entflammt,
So trägt die Schuld von solchem Seelenbrand,
Der, der mich schuf, um in der Glut zu leben.
Und so fragt er denn, weshalb Gott eigentlich die Welt geschaffen hätte, wenn alle unsere Gefühle und Leidenschaften ihm mißfielen; so spricht er die Frau von Schuld frei, zu der die Liebe ihn vernichte, da eben der Himmel ihr zugleich mit der Schönheit die Waffen, ihn zu tödten, in die Hand gegeben hätte – und ein anderes Mal fragt er zweifelnd, ob der Himmel wirklich an uns denke und sich um uns kümmere. Und so schwer löst sich sein Herz von den irdischen Reizen, daß er selbst ganz spät, wo er voll Verzweiflung über die an die Lügen der Welt verschwendete Zeit sich nur dem ewigen Heile zuwenden will, Gott noch besonders um Kraft bitten muß, die Welt und ihre Schönheiten zu hassen, die er doch liebe und anbete.
Was ihn schließlich ganz auf die religiösen Wege führte, war nicht jenes Zukreuzekriechen, das so oft aus der Schwäche und Furchtsamkeit des hohen Alters hervorgeht; immer ist es nur das Allerinnerlichste, was er sucht, der Frieden der gequälten Seele, den die Welt ihr nicht gewähren kann; nur die tiefe Erlösungsbedürftigkeit bewegt ihn, wie sie auch ein Beethoven am Ende des Lebens in seiner Missa solemnis ausgesprochen hat. Wenn ich gesagt hatte, daß es ein Mangel an Harmonie, an innerlicher und äußerlicher Ausgleichung seiner Lebensmomente war, was seine Anbetung der Frauen, insbesondere der Vittoria Colonna, erklärt, so ist es nur der gleiche Zug, der ihn über alle Dissonanzen und Unzulänglichkeiten in ihm und außer ihm hinweg zu dem Höchsten aufsteigen ließ, indem sie ihre Versöhnung, ihren Ausgleich, ihre Einheit finden. Wir können nicht sagen, ob er in dieser Hinsicht den ganzen und dauernden Frieden gefunden hat oder ob er auf dem Wege dazu geblieben ist und ob das Schicksal der meisten seiner Bildwerke, nicht vollendet zu werden, nach dieser Richtung hin nicht auch das Schicksal seiner Seele geblieben ist, die er so oft seinem Kunstwerk vergleicht.