aus: Georg Simmel: Philosophische Kultur
Alfred Kröner Verlag Leipzig, 1919 (2. Auflage) pp. 7-24
Jedes Stück unseres Tuns oder Erfahrens trägt eine doppelte Bedeutung: es dreht sich um den eigenen Mittelpunkt, es hat so viel an Weite und Tiefe, an Lust und Leid, wie sein unmittelbares Erlebtwerden ihm gibt; und es ist zugleich der Teil eines Lebensverlaufes, nicht nur ein umgrenztes Ganzes, sondern auch Glied eines Gesamtorganismus.
Beide Werte bestimmen jeden Lebensinhalt in mannigfacher Konfiguration.
Ereignisse, die in ihrer eigenen, nur sich selbst darbietenden Bedeutung einander sehr ähnlich sein mögen, sind gemäß ihren Verhältnissen zum Ganzen des Lebens äußerst divergent; oder, in jener ersteren Hinsicht vielleicht unvergleichbar, können ihre Rollen als Elemente unserer Gesamtexistenz zum Verwechseln gleich sein.
Wenn von zwei Erlebnissen, deren angebbare Inhalte gar nicht weit unterschieden sind, das eine als »Abenteuer« empfunden wird, das andere nicht – so ist es jene Verschiedenheit des Verhältnisses zum Ganzen unseres Lebens, durch die dem einen diese Bedeutung zufällt, die sich dem andern versagt.
Und zwar ist nun die Form des Abenteuers, im allerallgemeinsten: daß es aus dem Zusammenhange des Lebens herausfällt.
Mit jener Ganzheit eines Lebens meinen wir doch, daß in seinen einzelnen Inhalten, so kraß und unversöhnlich sie sich voneinander abheben mögen, ein einheitlicher Lebensprozeß kreist.
Dem Ineinandergreifen der Lebensringe, dem Gefühl, daß sich mit all diesen Gegenläufen, diesen Biegungen, diesen Verknotungen doch schließlich ein kontinuierlicher Faden spinnt, steht dasjenige, was wir ein Abenteuer nennen, gegenüber, ein Teil unserer Existenz freilich, dem sich vorwärts und rückwärts andere unmittelbar anschließen – und zugleich, in seinem tieferen Sinne, außerhalb der sonstigen Kontinuität dieses Lebens verlaufend.
Und dennoch ist es unterschieden von all dem einfach Zufälligen, Fremden, nur die Epidermis des Lebens Streifenden.
Indem es aus dem Zusammenhange des Lebens herausfällt, fällt es – dies wird sich allmählich erklären – gleichsam mit eben dieser Bewegung wieder in ihn hinein, ein Fremdkörper in unserer Existenz, der dennoch mit dem Zentrum irgendwie verbunden ist.
Das Außerhalb ist, wenn auch auf einem großen und ungewohnten Umweg, eine Form des Innerhalb.
Durch diese seelische Position bekommt das Abenteuer für die Erinnerung leicht die Färbung des Traumes. jeder weiß, wie schnell wir Träume vergessen, weil auch sie sich außerhalb des sinnvollen Zusammenhanges des Lebensganzen stellen.
Was wir als »traumhaft« bezeichnen, ist nichts anderes als eine Erinnerung, die sich mit weniger Fäden als sonstige Erlebnisse dem einheitlichen und durchgehenden Lebensprozesse verknüpft.
Wir lokalisieren unsere Unfähigkeit, ein Erlebtes eben diesem einzuordnen, gewissermaßen durch die Vorstellung des Traumes, in dem dies Erlebte stattgefunden hätte.
Je »abenteuerlicher« ein Abenteuer ist, je reiner es also seinen Begriff erfüllt, desto »traumhafter«. wird es für unsere Erinnerung. Und so weit rückt es oft von dem zentralen Punkte des Ich und dem von ihm zusammengehaltenen Verlaufe des Lebensganzen ab, daß wir an das Abenteuer leicht so denken, als ob ein anderer es erlebt hätte; wie weit es jenseits dieses Ganzen schwebt, wie fremd es ihm geworden ist, drückt sich eben darin aus, daß es sozusagen mit unserem Gefühl vereinbar wäre, ihm ein anderes Subjekt als jenem zu geben.
In einem viel schärferen Sinne, als wir es von den anderen Formen unserer Lebensinhalte zu sagen pflegen, hat das Abenteuer Anfang und Ende.
Dies ist seine Gelöstheit aus den Verschlingungen und Verkettungen jener Inhalte, seine Zentrierung in einem für sich bestehenden Sinn.
Von den Ereignissen des Tages und Jahres empfinden wir sonst, das eine sei zu Ende, indem oder weil das andere einsetzt, sie bestimmten sich gegenseitig ihre Grenzen, und damit gestaltet oder spricht die Einheit des Lebenszusammenhanges sich aus.
Das Abenteuer aber ist, seinem Sinne als Abenteuer nach, von dem Vorher und Nachher unabhängig, ohne Rücksicht auf diese bestimmt es sich seine Grenzen.
Eben da, wo die Kontinuität mit dem Leben so prinzipiell abgelehnt wird oder eigentlich nicht erst abgelehnt zu werden braucht, weil von vornherein eine Fremdheit, Unberührsamkeit, ein Außer-der-Reihe-Sein vorliegt – da sprechen wir von Abenteuer.
Ihm fehlt jene gegenseitige Durchdringung mit den benachbarten Teilen des Lebens, durch die dieses ein Ganzes wird.
Es ist wie eine Insel im Leben, die sich ihren Anfang und ihr Ende nach ihren eigenen Bildungskräften und nicht, wie das Stück eines Kontinentes, zugleich nach denen ihres Diesseits und Jenseits bestimmt.
Diese entschiedene Begrenztheit, mit der das Abenteuer sich aus dem Gesamtverlauf eines Schicksals heraushebt, ist keine mechanische, sondern eine organische: wie der Organismus sich seine Raumform nicht einfach dadurch, daß ihm von rechts und links eine Hemmung kommt, bestimmt, sondern aus der Triebkraft eines von innen formenden Lebens – so ist das Abenteuer nicht zu Ende, weil etwas anderes anfängt, sondern seine Zeitform, sein radikales Zu-Ende-sein, ist die genaue Ausformung seines inneren Sinnes.
Zunächst hierin liegt die tiefe Beziehung des Abenteurers zum Künstler, vielleicht auch die Neigung des Künstlers zum Abenteuer begründet.
Denn es ist doch das Wesen des Kunstwerkes, daß es aus den endlos kontinuierlichen Reihen der Anschaulichkeit oder des Erlebens ein Stück herausschneidet, es aus den Zusammenhängen mit allem Diesseits und Jenseits löst und ihm eine selbstgenugsame, wie von einem inneren Zentrum her bestimmte und zusammengehaltene Form gibt.
Daß ein Teil des Daseins, das in dessen Ununterbrochenheit verflochten ist, dennoch als ein Ganzes, als eine geschlossene Einheit empfunden wird – das ist die Form, die dem Kunstwerk und dem Abenteuer gemeinsam ist.
Und wegen ihrer werden beide, in aller Einseitigkeit und Zufälligkeit ihrer Inhalte, so empfunden, als ob sich in jedem irgendwie das ganze Leben zusammenfaßte und erschöpfte.
Und nicht schlechter, sondern vollkommener scheint dies darum zu geschehen, weil das Kunstwerk überhaupt jenseits des Lebens als einer Realität steht, das Abenteuer überhaupt jenseits des Lebens als eines ununterbrochenen, jedes Element mit seinen Nachbarn verständlich verflechtenden Verlaufes.
Gerade weil das Kunstwerk und das Abenteuer dem Leben gegenüberstehen (wenn auch in sehr verschiedener Bedeutung des Gegenüber), ist das eine und das andere analog der Ganzheit eines Lebens selbst, wie es sich in dem kurzen Abriß und der Zusammengedrängtheit des Traumerlebnisses darstellt.
Darum ist der Abenteurer auch das stärkste Beispiel des unhistorischen Menschen, des Gegenwartswesens.
Er ist einerseits durch keine Vergangenheit bestimmt (was seinen nachher zu behandelnden Gegensatz zum Alter trägt), andererseits besteht die Zukunft für ihn nicht.
Ein extrem charakteristischer Beleg dafür ist, daß Casanova, wie aus seinen Memoiren zu ersehen ist, so und so oft im Lauf seines erotisch-abenteuerlichen Lebens ernsthaft beabsichtigte, eine Frau, die er gerade liebte, zu heiraten.
Bei dem Naturell und der Lebensführung Casanovas war etwas Widerspruchsvolleres, innerlich und äußerlich Unmöglicheres nicht ausdenkbar.
Casanova war nicht nur ein vortrefflicher Menschenkenner, sondern ersichtlich auch ein seltener Kenner seiner selbst; und obgleich er sich sagen mußte, das er eine Ehe nicht vierzehn Tage ausgehalten hätte, und daß die allerjammervollsten Konsequenzen dieses Schrittes völlig unvermeidlich waren – so verschlang der Rausch des Augenblicks (wobei ich den Akzent mehr auf Augenblick als auf Rausch legen möchte)' die Zukunftsperspektive gleichsam mit Haut und Haaren.
Weil ihn das Gegenwartsgefühl unbedingt beherrschte, wollte er ein Verhältnis für die Zukunft eingehen, das gerade durch sein Gegenwartsnaturell unmöglich war.
Daß ein Isoliertes und Zufälliges eine Notwendigkeit und einen Sinn enthalten könne – das bestimmt den Begriff des Abenteuers in seinem Gegensatz zu allen Stücken des Lebens, die die bloße Fügung der Geschicke in dessen Peripherie einstellt.
Zum Abenteuer wird ein solches erst durch jene doppelte Sinngebung: daß es in sich eine durch Anfang und Ende festgelegte Gestaltung eines irgendwie bedeutungsvollen Sinnes ist, und daß es, in all seiner Zufälligkeit, all seiner Exterritorialität gegenüber dem Lebenskontinuum, doch mit dem Wesen und der Bestimmung seines Trägers in einem weitesten, die rationaleren Lebensreihen übergreifenden Sinne und in einer geheimnisvollen Notwendigkeit zusammenhängt.
Hier klingt die Beziehung des Abenteurers zum Spieler an.
Der Spieler ist zwar der Sinnlosigkeit des Zufalls preisgegeben; allein indem er auf dessen Gunst rechnet, indem er ein durch diesen Zufall bedingtes Leben für möglich hält und verwirklicht, stellt sich ihm der Zufall doch in einen Zusammenhang des Sinnes ein.
Die typische Abergläubischkeit des Spielers ist nichts anderes als die greifbare und vereinzelte, deshalb aber auch kindische Form dieses tiefen und umfassenden Schemas seines Lebens: daß in dem Zufall ein Sinn, irgendeine notwendige – wenn auch nicht nach der rationalen Logik notwendige – Bedeutung wohne.
Durch den Aberglauben, mit dem der Spieler den Zufall durch Vorzeichen und magische Hilfsmittel in sein Zwecksystem hineinziehen will, enthebt er ihn seiner unzugänglichen Isoliertheit, sucht in ihm eine zwar nach phantastischen Gesetzen, aber immerhin doch nach Gesetzen verlaufende Ordnung.
Und so läßt auch der Abenteurer den außerhalb der einheitlichen, von einem Sinn gelenkten Lebensreihe stehenden Zufall dennoch irgendwie von diesem umfaßt sein.
Er bringt ein zentrales Lebensgefühl auf, das sich durch die Exzentrizität des Abenteuers hindurchleitet, und gerade in der Weite des Abstandes zwischen seinem zufälligen, von außen gegebenen Inhalt und dem zusammenhaltenden, sinngebenden Zentrum der Existenz eine neue, bedeutungsvolle Notwendigkeit seines Lebens herstellt.
Zwischen Zufall und Notwendigkeit, zwischen dem Fragmentarischen äußerer Gegebenheit und der einheitlichen Bedeutung des von innen her entwickelten Lebens spielt ein ewiger Prozeß in uns, und die großen Formen, in denen wir die Inhalte des Lebens gestalten, sind die Synthesen, die Antagonismen oder die Kompromisse jener beiden Grundaspekte.
Das Abenteuer ist eine von ihnen.
Wenn der professionelle Abenteurer aus der Systemlosigkeit seines Lebens ein Lebenssystem macht, wenn er die nackten äußeren Zufälle. sucht, aus seiner inneren Notwendigkeit heraus und jene in diese einbauend – so macht er damit nur gleichsam makroskopisch sichtbar, was die Wesensform jedes »Abenteuers«, auch des nicht abenteuerlichen Menschen, ist.
Denn immer meinen wir mit dem Abenteuer ein Drittes, jenseits sowohl des bloßen abrupten Geschehnisses, dessen Sinn uns schlechthin außen bleibt, wie es von außen kam, als auch der einheitlichen Lebensreihe, in der jedes Glied das andere zu einem Gesamtsinne ergänzt.
Das Abenteuer ist nicht ein Gemengsel beider, sondern das unvergleichlich gefärbte Erlebnis, das sich nur als ein besonderes Umfaßtsein jenes Zufällig-Äußeren durch dieses Innerlich-Notwendige ausdeuten läßt.
Hier und da aber wird dieses ganze Verhältnis noch von einer tieferen inneren Gestaltung umgriffen.
So sehr das Abenteuer auf einer Unterschiedlichkeit innerhalb des Lebens zu beruhen scheint, so kann doch das Leben als ganzes wie ein Abenteuer empfunden werden.
Es ist dazu weder nötig, ein Abenteurer zu sein, noch viele einzelne Abenteuer durchzumachen.
Wer diese einzigartige Attitüde zum Leben hat, muß über dessen Ganzem eine höhere Einheit, gleichsam ein Über-Leben fühlen, das sich zu jenem verhält wie die unmittelbare Lebenstotalität selbst zu den einzelnen Erlebnissen, die uns die empirischen Abenteuer sind.
Vielleicht gehören wir einer metaphysischen Ordnung an, vielleicht lebt unsere Seele ein transzendentes Dasein, derart, daß unser irdisch bewußtes Leben nur ein isoliertes Stück gegenüber einem unnennbaren Zusammenhange einer über ihm sich vollziehenden Existenz ist.
Der Seelenwanderungsmythus mag ein stammelnder Versuch sein, diesen Segmentcharakter jedes gegebenen Lebens auszudrücken.
Wer durch alles reale Leben hindurch eine geheime, zeitlose Existenz der Seele spürt, die mit diesen Realitäten nur wie von der Ferne her verbunden ist – der wird das Leben in seiner gegebenen und begrenzten Ganzheit jenem transzendenten und in sich einheitlichen Schicksal gegenüber als ein Abenteuer empfinden.
Gewisse religiöse Stimmungen scheinen dies zu bewirken.
Wo unsere irdische Laufbahn als ein bloßes Vorstadium der Erfüllung ewiger Geschicke gilt, wo wir auf der Erde nur einen flüchtigen Gastaufenthalt, aber keine Heimat haben, da liegt offenbar nur eine besondere Färbung des allgemeinen Gefühls vor, daß das Leben als ganzes ein Abenteuer ist; womit eben nur ausgedrückt ist, daß die Symptome des Abenteuers in ihm zusammenrinnen: daß es außerhalb des eigentlichen Sinnes und stetigen Ablaufes der Existenz steht und dieser doch durch ein Schicksal und eine geheime Symbolik verbunden ist, daß es ein fragmentarischer Zufall ist und doch nach Anfang und Ende wie ein Kunstwerk geschlossen, daß es wie ein Traum alle Leidenschaften in sich sammelt und doch wie dieser zum Vergessenwerden bestimmt ist, daß es wie das Spiel sich gegen den Ernst abhebt und doch wie das Va banque des Spielers auf die Alternative eines höchsten Gewinns oder der Vernichtung geht.
Die Synthese der großen Lebenskategorien, als deren eine besondere Formung sich das Abenteuer verwirklicht, vollzieht sich weiterhin zwischen der Aktivität und der Passivität, zwischen dem, was wir erobern, und dem, was uns gegeben wird.
Freilich macht die Synthese des Abenteuers den Gegensatz dieser Elemente extrem fühlbar.
Wir reißen einerseits mit ihm die Welt gewaltsam in uns hinein.
Der Unterschied gegen die Art, wie wir ihr in der Arbeit ihre Gaben abgewinnen, macht das deutlich.
Die Arbeit hat sozusagen ein organisches Verhältnis zur Welt, sie entwickelt deren Stoffe und Kräfte kontinuierlich zu ihrer Zuspitzung im menschlichen Zwecke hin, während wir im Abenteuer ein unorganisches Verhältnis zu ihr haben; es bringt die Geste des Eroberers mit sich, das rasche Ergreifen der Chance, gleichviel ob wir damit ein zu uns, zu der Welt oder zum Verhältnis beider harmonisches oder unharmonisches Stück für uns heraustrennen.
Andererseits aber sind wir ihr im Abenteuer doch schutzloser, reserveloser preisgegeben als in allen Verhältnissen, die mit der Gesamtheit unseres Weltlebens durch mehr Brücken verbunden sind und uns deshalb gegen Chocs und Gefahren besser durch vorbereitete Ausbiegungen und Anpassungen verteidigen.
Die Verflechtung von Handeln und Leiden, in der unser Leben verläuft, spannt hier ihre Elemente zu einer Gleichzeitigkeit von Eroberertum, das alles nur der eigenen Kraft und Geistesgegenwart verdankt, und völligem Sich-Überlassen an -die Gewalten und Chancen der Welt, die uns beglücken, aber in demselben Atem auch zerstören können; daß die Einheit, zu der wir in jedem Augenblick unsere Aktivität und unsere Passivität der Welt gegenüber zusammenleben, ja, die in einem gewissen Sinne das Leben ist, ihre Elemente zu so äußerster Zuspitzung treibt und sich eben damit – als wären diese nur die beiden Aspekte eines und desselben, geheimnisvoll ungetrennten Lebens – um so tiefer fühlbar macht: das ist wohl einer der wunderbarsten Reize, mit denen uns das Abenteuer verlockt.
Es ist noch mehr als die Einstellung des gleichen Grundverhältnisses unter einen anderen Gesichtswinkel, wenn uns das Abenteuer weiterhin als eine Kreuzung des Sicherheits- mit dem Unsicherheitsmoment des Lebens erscheint.
Die Sicherheit, mit der wir – berechtigt oder irrend – um einen Erfolg wissen, gibt dem Tun eine qualitativ besondere Färbung; wenn wir umgekehrt unsicher sind, ob wir dahin gelangen werden, wohin wir aufgebrochen sind, wenn wir das Nicht-Wissen um den Erfolg wissen, so ist das nicht nur eine quantitativ herabgesetzte Sicherheit, sondern bedeutet eine innerlich und äußerlich einzigartige Führung unserer Praxis.
Der Abenteurer nun, um es mit einem Worte zu sagen, behandelt das Unberechenbare des Lebens so, wie wir uns sonst nur dem sicher Berechenbaren gegenüber verhalten.
(Darum ist der Philosoph der Abenteurer des Geistes. Er macht den aussichtslosen, aber darum noch nicht sinnlosen Versuch, ein Lebensverhalten der Seele, ihre Stimmung gegen sich, die Welt, Gott, in begriffsmäßige Erkenntnis zu formen. Er behandelt dies Unlösbare, als wäre es lösbar.)
Wo die Verwebung mit unerkennbaren Schicksalselementen den Erfolg unseres Tuns zweifelhaft macht, pflegen wir doch unseren Kräfteeinsatz zu begrenzen, uns Rückzugslinien offen zu halten, den einzelnen Schritt nur wie probeweise zu tun. Im Abenteuer verfahren wir direkt entgegengesetzt: gerade auf die schwebende Chance, auf das Schicksal und das Ungefähr hin setzen wir alles ein, brechen die Brücken hinter uns ab, treten in den Nebel, als müßte der Weg uns unter allen Umständen tragen.
Dies ist der typische »Fatalismus« des Abenteurers.
Gewiß sind auch ihm die Dunkelheiten des Schicksals nicht durchsichtiger als anderen, aber er verfährt so, als ob sie es wären.
Die eigentümliche Gewagtheit, mit der er sich immerzu aus den Festigkeiten des Lebens herausbegibt, baut sich gewissermaßen zu ihrer eigenen Rechtfertigung ein Gefühl von Sicherheit und Gelingenmüssen unter, das sonst nur der Durchsichtigkeit berechenbarer Ereignisse zukommt.
Von der fatalistischen Überzeugung, daß unser Schicksal, das wir nicht kennen, uns unentrinnbar sicher ist, ist dies nur die subjektive Wendung: daß der Abenteurer dieses Unerkennbaren dennoch für sich sicher zu sein glaubt; darum erscheint dem nüchternen Menschen das abenteuerliche Tun oft als Wahnsinn, weil es, um einen Sinn zu haben, vorauszusetzen scheint, daß das Unwißbare gewußt werde.
Von Casanova sagte der Prinz von Ligne: »Er glaubt an nichts, ausgenommen an das, was am wenigsten glaubwürdig ist.«
Ersichtlich liegt dem jenes perverse oder wenigstens »abenteuerliche« Verhältnis zwischen dem Gewissen und dein Ungewissen zugrunde.
Der Skeptizismus des Abenteurers – daß er »an nichts glaubt« – ist ersichtlich das Korrelat dazu: wem das Unwahrscheinliche wahrscheinlich ist, dem wird leicht das Wahrscheinliche unwahrscheinlich.
Der Abenteurer verläßt sich zwar in irgendeinem Maße auf die eigene Kraft, vor allem aber auf das eigene Glück, eigentlich auf eine sonderbar undifferenzierte Einheit beider.
Die Kraft, deren er sicher ist, und das Glück, dessen er unsicher ist, gehen subjektiv doch zu einem Sicherheitsgefühl in ihm zusammen.
Wenn es das Wesen des Genies ist, eine unmittelbare Beziehung zu den geheimen Einheiten zu besitzen, die in der Erfahrung und durch die Zerlegungen des Verstandes in ganz gesonderte Erscheinungen auseinandergehen – so lebt der geniale Abenteurer, wie mit einem »mystischen Instinkt« an dem Punkt, wo der Weltlauf und das individuelle Schicksal sich sozusagen noch nicht voneinander differenziert haben; darum hat überhaupt derAbenteurer leicht einen »genialischen« Zug.
Aus dieser besonderen Konstellation, in der er das Unsicherste, Unberechenbare seinem Handeln zu derselben Voraussetzung macht, wie ein anderer nur das Berechenbare, wird die »nachtwandlerische Sicherheit« begreiflich, mit der der Abenteurer sein Leben führt und die durch ihre Unerschütterlichkeit gegenüber jedem Dementi durch die Tatsachen beweist, wie tief jene Konstellation in der Lebensvoraussetzung solcher Naturen wurzelt.
Ist das Abenteuer eine Lebensform, die sich an einer unpräjudizierten Fülle von Lebensinhalten verwirklichen kann, so machen diese Bestimmungen dennoch begreiflich, daß ein Inhalt vor allen anderen sich in diese Form zu kleiden neigt: der erotische – so daß unser Sprachgebrauch das Abenteuer schlechthin kaum anders denn als ein erotisches verstehen läßt.
Zwar ist auch das zeitlich kurz begrenzte Liebeserlebnis keineswegs immer ein Abenteuer, sondern die besonderen seelischen Qualitäten, in deren Treffpunkt das Abenteuer liegt, müssen sich mit diesem quantitativen Moment vereinigen.
Ihre Tendenz zu diesem Hinzutreten wird sich Schritt für Schritt offenbaren.
Das Liebesverhältnis enthält in sich das deutliche Zusammen der beiden Elemente, die auch die Form des Abenteuers vereinigt: die erobernde Kraft und die unerzwingbare Gewährung, den Gewinn aus dem eigenen Können und das Angewiesensein auf das Glück; mit dem ein Unberechenbares außerhalb unser uns begnadet.
Eine gewisse Äquivalenz dieser Richtungen innerhalb des Erlebnisses, gewonnen auf der Basis ihrer scharfen Differenzierung, ist vielleicht nur auf seiten des Mannes zu finden; vielleicht hat es darum eine beweisende Bedeutung, daß das Liebesverhältnis in der Regel nur für den Mann als »Abenteuer« gilt, für die Frau aber ebendasselbe unter andere Kategorien zu fallen pflegt.
Die Aktivität der Frau im Liebesroman ist typischerweise schon von der Passivität durchwachsen, die entweder die Natur oder die Geschichte ihrem Wesen zugeteilt hat; andererseits, ihr Empfangen und Beglücktwerden ist doch unmittelbar ein Gewähren und Beschenken.
Die beiden, in sehr mannigfaltigen Färbungen ausdrückbaren Pole der Eroberung und der Gnade stehen für die Frau enger zusammen, sie spannen sich für den Mann entschiedener auseinander, und darum gibt ihr Zusanimenschlag im erotischen Erlebnis diesem viel unzweideutiger für den Mann das Cachet des »Abenteuers«.
Daß der Mann der werbende, der angreifende, oft der stürmisch ansichreißende Teil ist, läßt leicht das Schicksalsmoment in jedem – wie immer gearteten – erotischen Erlebnis übersehen, die Abhängigkeit von einem nicht Vorzubestimmenden, das sich jeder Nötigung entzieht.
Damit ist nicht nur die Abhängigkeit von der Gewährung seitens des Anderen gemeint, sondern ein Tieferes.
Gewiß ist auch jede Gegenliebe ein Geschenk, das nicht »verdient« werden kann, selbst durch kein Maß von Liebe, weil sich die Liebe jeder Forderung und Begleichung entzieht und prinzipiell unter einer ganz anderen Kategorie als der einer gegenseitigen Aufrechnung steht; ein Punkt, an dem sich eine ihrer Analogien mit dem tieferen religiösen Verhältnis ergibt.
Allein über das hinaus, was wir vom Andern als eine immer freie Gabe empfangen, liegt in jedem Liebesglück – wie ein tiefer, unpersönlicher Träger jenes Persönlichen – noch eine Gunst des Schicksals, wir empfangen es nicht nur vom Anderen, sondern daß wir es von ihm empfangen, ist eine Gnade der unberechenbaren Mächte.
In dem stolzesten, selbstgewissesten Ereignis dieses Gebietes liegt etwas, was wir in Demut hinzunehmen haben.
Indem sich aber nun die Kraft, die ihren Erfolg sich selbst verdankt und die allem Gewinn von Liebe irgendeinen Ton von Sieg und Triumph gibt, mit jenem anderen der Schicksalsgunst vermählt, ist die Konstellation des Abenteuers gewissermaßen präformiert.
In tieferen Gründen wurzelt die Beziehung, die sich von dem erotischen Inhalt zu der allgemeineren Lebensform des Abenteuers spinnt.
Das Abenteuer ist die Exklave des Lebenszusammenhanges, das Abgerissene, dessen Beginn und Ende keinen Anschluß an die irgendwie einheitliche Strömung der Existenz haben – während es dennoch, wie über diese Strömung hinweg und ihrer Vermittlung unbedürftig, mit den geheimsten Instinkten und mit einer letzten Absicht des Lebens überhaupt zusammenhängt und sich dadurch von der bloß zufälligen Episode, dem, was uns bloß äußerlich »passiert«, unterscheidet.
Wo nun das Liebeserlebnis sich zeitlich kurz begrenzt, lebt es in ebendieser Verwebung eines bloß tangentialen und eines dennoch zentralen Charakters.
Es mag unserem Leben einen bloß momentanen Glanz geben, wie ein Strahl, den ein außen vorüberhuschendes Licht in einen Innenraum wirft; dennoch wird damit ein Bedürfnis erfüllt, oder es ist überhaupt nur durch ein Bedürfnis möglich, das – mag man es als physisches oder als seelisches oder als metaphysisches ansprechen – in dem Fundamente oder Zentrum unseres Wesens gleichsam zeitlos besteht und- mit dem flüchtigen Erlebnis so verbunden ist wie jene zufällige und gleich verschwindende Helligkeit mit unserer Sehnsucht nach Licht überhaupt.
Daß die Möglichkeit dieses Doppelverhältnisses in der Erotik angelegt ist, spiegelt sich in ihrem zeitlichen Doppelaspekt; die beiden Zeitmaße, die sie zeigt: den momentan aufgegipfelten, steil abfallenden Rausch und die Unvergänglichkeit, in deren Idee sich das mystische Bestimmtsein zweier Seelen füreinander und zu einer höheren Einheit einen zeitlichen Ausdruck schafft – diese könnte man mit der Doppelexistenz geistiger Inhalte vergleichen, die zwar nur in der Flüchtigkeit des seelischen Prozesses, dem immer weiter eilenden Brennpunkt des Bewußtseins auftauchen, deren logischer Sinn aber eine zeitlose Gültigkeit besitzt, eine ideelle Bedeutung, völlig unabhängig von jenem Bewußtseinsaugenblick, in dem sie freilich für uns wirklich wird.
Das Phänomen des Abenteuers, mit seiner abrupten Pointiertheit, die das Ende in die Sehweite des Anfangs rückt, und seiner gleichzeitigen Beziehung auf ein Lebenszentrum, die es von jedem bloß zufälligen Begegnis trennt und ohne die die »Lebensgefahr« nicht sozusagen im Stil des Abenteuers liegen könnte – ist insofern eine Form, die durch ihre zeitliche Symbolik wie für die Aufnahme des erotischen Inhalts vorbestimmt erscheint.
Diese Analogien und gemeinsamen Formungen der Liebe und des Abenteuers legen es schon von sich aus nahe, daß das Abenteuer nicht in den Lebensstil des Alters hineingehört.
Das Entscheidende für diese Tatsache überhaupt ist, daß das Abenteuer seinen spezifischen Wesen und Reize nach eine Form des Erlebens ist.
Der Inhalt, der vor sich geht, macht das Abenteuer noch nicht: daß eine Lebensgefahr bestanden oder eine Frau zu kurzem Glück erobert wird, daß unbekannte Faktoren, mit denen man das Spiel gewagt hat, überraschenden Gewinn oder Verlust gebracht haben, daß man in einer physischen oder seelischen Verkleidung sich in Lebenssphären begibt, aus denen man wie aus einer fremden Welt wieder in die heimische zurückkehrt – das alles braucht noch nicht Abenteuer zu sein, sondern wird es erst durch eine gewisse Gespanntheit des Lebensgefühls, mit dem solche Inhalte sich verwirklichen; erst wenn ein Strom, zwischen dem Alleräußerlichsten des Lebens und seiner zentralen Kraftquelle hin und her gehend, jene in sich hineinreißt, und wenn diese besondere Färbung, Temperatur und Rhythmik des Lebensprozesses das eigentlich Entscheidende, den Inhalt eines solchen gewissermaßen Übertönende ist, wird das Ereignis aus einem Erlebnis schlechthin zu einem Abenteuer.
Dieses Prinzip der Akzentuierung aber liegt dem Alter fern.
Nur die Jugend kennt im allgemeinen solches Übergewicht des Lebensprozesses über die Lebensinhalte, während es dem Alter, dem jener zu verlangsamen und zu erstarren beginnt, auf die Inhalte ankommt, die in einer gewissen zeitlosen, gegen das Tempo und die Leidenschaft ihres Erlebtwerdens indifferenteren Art vorgehen oder beharren.
Das Alter pflegt entweder ganz zentralisiert zu leben,die peripherischen Interessen sind abgefallen und haben keine Verbindungmehr mit dem wesentlichen Leben und seiner inneren Notwendigkeit; oderdas Zentrum wird atrophisch, die Existenz geht nur noch in isolierten Kleinlichkeiten und den Wichtigkeitsbetonungen des bloß Äußerlichen und Zufälligen dahin.
In keinem von beiden Fällen ist das Verhältnis zwischen dem äußeren Geschick und den inneren Lebensquellen möglich, in dem das Abenteuer besteht, in keinem von beiden kann es ersichtlich zu der Kontrastempfindung des Abenteuers kommen: daß ein Tun ganz aus dem Gesamtzusammenhange des Lebens herausgerissen ist und dennoch die ganze Kraft und Intensität des Lebens in sich einströmen läßt.
Diesen Gegensatz zwischen Jugend und Alter, durch den das Abenteuer die Prärogative der ersteren wird und der dort den Akzent auf den Lebensprozeß, sein Metrum und seine Antinomien fallen läßt, hier auf die Inhalte, für die das Erleben immer mehr als eine relativ zufällige Form erscheint – diesen Gegensatz mag man als den zwischen dem romantischen und dem historischen Geist des Lebens ausdrücken.
Der romantischen Gesinnung kommt es auf das Leben in seiner Unmittelbarkeit, also auch in der Individualität seiner jeweiligenForm, seines Hier und jetzt, an; sie spürt die volle Stromstärkedes Lebens gerade am meisten an der Punktualität eines dem normalen Lauf der Dinge entrissenen Erlebnisses, bis zu dem nun dennoch vom Herzen des Lebens her ein Nerv sich spannt.
All dieses Sich-aus-sich-Herauswerfen des Lebens, diese Gegensatzweite der von ihm durchdrungenen Elemente kann sich nur aus einem Überschuß und Übermut des Lebens speisen, wie er im Abenteuer, in der Romantik und in der Jugend besteht.
Dem Alter aber, wenn es als solches eine charakteristische, wertvolle, gesammelte Haltung hat, eignet die historische Stimmung.
Mag diese sich zu einer Weltanschauung erweitern, mag ihr Interesse sich auf die unmittelbar eigene Vergangenheit beschränken, in jedem Falle gilt sie in ihrer Objektivität und retrospektiven Nachdenklichkeit dem Bilde der Lebensinhalte, aus dem die Unmittelbarkeit des Lebens selbst verschwunden ist.
Alle Geschichte als Bild im engeren, wissenschaftlichen Sinne entsteht durch solches Überleben von Inhalten über den unsagbaren, nur erlebbaren Prozeß ihrer Gegenwart.
Die Verbindung, die dieser Prozeß zwischen ihnen herstellte, ist zerfallen und muß nun im Rückblick und zu ideeller Bildhaftigkeit durch ganz andere Fäden wiederhergestellt werden.
Mit dieser Verschiebung des Akzentes entfällt die ganze dynamische Voraussetzung des Abenteuers.
Seine Atmosphäre ist, wie ich schon andeutete, unbedingte Gegenwärtigkeit, das Aufschnellen des Lebensprozesses zu einem Punkt, der weder Vergangenheit noch Zukunft hat und deshalb das Leben mit einer Intensität in sich sammelt, der gegenüber der Stoff des Vorganges oft relativ gleichgültig wird.
Wie für die eigentliche Spielernatur gar nicht der Gewinn von soundsoviel Geld das entscheidende Motiv ist, sondern das Spiel als solches, die Gewaltsamkeit des von Glück zu Verzweiflung und wieder zurück gerissenen Gefühles, die gleichsam tastbare Nähe der dämonischen Mächte, die zwischen beiden entscheiden – so ist der Reiz des Abenteuers unzählige Male gar nicht der Inhalt, den es uns bietet und den man, in anderer Form geboten, vielleicht wenig beachten würde, sondern die abenteuerliche Form seines Erlebens, die Intensität und die Gespanntheit, mit der er uns gerade in diesem Falle das Leben fühlen läßt.
Dies eben verbindet die Jugend dem Abenteuer. Was man die Subjektivität der Jugend nennt, ist nur dies, daß das Material des Lebens in seiner objektiven Bedeutung ihr nicht so wichtig ist wie der Prozeß, der es trägt, wie das Leben selbst.
Daß das Alter »objektiv« ist, daß es aus den Inhalten, die das entglittene Leben in einer besonderen Art von Zeitlosigkeit übriggelassen hat, ein neues Gebilde formt. der Beschaulichkeit, der sachlichen Abwägungen, der Freiheit von der Unruhe, mit der das Leben Gegenwart ist – das eben ist es, was dem Alter das Abenteuer entfremdet, was den alten Abenteurer zu einer Widrigen oder, stillosen Erscheinung macht; es wäre nicht schwer, das ganze Wesen des Abenteuers daraus zu entwickeln, daß es die dem Alter schlechthin nicht gemäße Lebensform ist.
All solche Bestimmungen und Lagen des Lebens, die seiner Abenteuerform fremd, ja feindlich sind, verhindern nicht, daß für einen allerallgemeinsten Aspekt das Abenteuer allem menschlich-praktischenDasein beigemischt erscheint, ein überall vorhandenes Element, das nur vielfach in der feinsten Verteilung, gleichsam makroskopischnicht sichtbar und von anderen in der Erscheinung überdeckt,auftritt.
Unabhängig von jener, in die Metaphysik des Lebenshinabreichenden Vorstellung, daß unser Dasein auf Erden als ganzesund als Einheit ein Abenteuer ist, vielmehr rein auf das Konkrete und Psychologische angesehen, enthält jedes einzelne Erlebnis irgendein Quantum der Bestimmungen, die es bei einem gewissen Maße die »Schwelle« des Abenteuers erreichen lassen.
Die wesentlichste und tiefste dieser Bestimmungen ist hier die Aussonderung des Ereignisses aus dem Gesamtzusammenhange des Lebens.
Tatsächlich erschöpft die Zugehörigkeit zu diesem die Bedeutung keines einzigen seiner Teile. Sondern auchwo ein solcher am engsten mit dem Ganzen verflochten ist, auch wo er wirklich ganz in das weiterflutende Leben aufgelöst scheint, wie ein für sich unbetontes Wort in den Verlauf eines Satzes – auch da läßt ein feineres Hinhören einen Eigenwert dieses Existenzstückes erkennen, mit einer in ihm selbst zentrierenden Bedeutung stellt es sich jener Totalentwicklung gegenüber, der es doch, von anderer Seite her angesehen, unablösbar zugehört.
Reichtum wie Ratlosigkeit des Lebens fließen unzählige Male aus dieser Wertzweiheit seiner Inhalte.
Von dem Zentrum der Persönlichkeit aus gesehen, ist ein jedes Urlebnis sowohl ein Notwendiges, aus der Einheit der Ich-Geschichte Entwickeltes, wie ein Zufälliges, zu dieser fremd, unüberwindlich abgegrenzt und von einer ganz tiefgelegenen Unbegreiflichkeit gefärbt, als stünde es irgendwo im Leeren und gravitierte nirgends hin.
So liegt ein Schatten von dem, was in seiner Verdichtung und Deutlichkeit das Abenteuer macht, eigentlich über jedem Erlebnis, ein jedes läßt seiner Eingliederung in die Lebenskette ein gewisses Gefühl von Eingeschlossenheit in Anfang und Ende zur Seite gehen, von einer sozusagen rücksichtslosen Pointiertheit des Einzelerlebnisses als solchen.
Dieses Gefühl mag zur Unmerklichkeit herabsinken, aber es liegt latent in jedem Erlebnis und steigt, oft zu unserem eigenen Erstaunen, daraus auf.
Man wüßte gar kein so geringes Maß solchen Abstandes von der Lebensstetigkeit zu nennen, bei dem nicht schon das Gefühl der Abenteuerlichkeit auftauchen könnte, freilich auch kein so großes, bei dem es für jedermann auftauchen müßte; es könnte nicht alles zum Abenteuer werden, wenn dessen Elemente nicht in irgendeinem Maße in allem ruhten, wenn sie nicht zu den vitalen Faktoren gehörten, wegen welcher ein Ereignis überhaupt als menschliches Erlebnis bezeichnet ist.
Ebenso steht es mit der Relation des Zufälligen und des Sinnvollen.
In jedem Vorkommnis, das uns begegnet, steckt so viel bloß Gegebenes, Äußerliches, Gelegentliches, daß es sozusagen nur eine Quantitätsfrage ist, ob das Ganze als etwas Vernünftiges, einem Sinne gemäß Begreifliches gelten kann, ,oder ob seine Unauflösbarkeit nach der Vergangenheit hin, seine Unberechenbarkeit nach der Zukunft hin die Färbung des Ganzen bestimmen soll.
Von der gesichertsten bürgerlichen Unternehmung führt bis zu dem irrationellsten Abenteuer eine kontinuierliche Reihe von Lebenserscheinungen, in denen das Begreifliche und das Unbegreifliche, das Erzwingbare und die Gnade das Auszurechnende und das Zufällige sich in einer Unendlichkeit von Graden mischen.
Indem das Abenteuer das eine Extrem in dieser Reihe bezeichnet, hat eben deshalb auch das andere an seinem Charakter teil.
Das Hingleiten unserer Existenz auf einer Skala, auf der jeder Teilstrich durch eine Wirkung unserer Kraft und eine Preisgegebenheit an undurchdringliche Dinge und Mächte gleichzeitig bestimmt ist, diese Problematik unserer Weltstellung, die sich in der unlösbaren Frage nach der. Freiheit des Menschen und: der göttlichen Bestimmung religiös wendet – läßt uns alle zu Abenteurern werden.
Innerhalb der Proportion, in die uns unser Lebensbezirk und die Aufgaben in Ziele und unsere Mittel stellen, könnten wir alle nicht einen Tag leben, wenn wir nicht das eigentlich Unberechenbare so behandelten, als wäre es berechenbar, wenn wir unserer Kraft nicht zutrauten, was doch nicht sie allein, sondern nur ihre rätselhafte Zusammenwirksamkeit mit den Schicksalsgewalten herbeiführen kann.
Die Inhalte unseres Lebens werden dauernd von durcheinanderwebenden Formen erfaßt, die so dessen einheitliches Ganzes zustande bringen: allenthalben lebt künstlerische Formung, lebt religiöse Auffassung, lebt die Färbung sittlichen Wertens, lebt das Wechselspiel von Subjekt und Objekt.
Vielleicht gibt es keine Strombreite dieser ganzen Flutung, in der nicht jede dieser und vieler anderer Gestaltungsarten wenigstens einen Tropfen ihrer.Wellen formten.
Aber erst wo sie aus dem fragmentarischen und vermischten Maß und Zustande, in dem das durchschnittliche Leben sie auf- und untertauchen läßt, zu einer Herrschaft über den Stoff des Lebens gelangen, werden sie zu den reinen Gebilden, mit denen die Sprache sie benennt.
Sobald die religiöse Gestimmtheit rein aus sich heraus ihr Gebilde, den Gott, geschaffen hat, ist sie »Religion«, sobald die ästhetische Form ihren Inhalt zu einem erst sekundär wichtigen gemacht hat, an dem sie ihr nur auf sich selbst hörendes Leben lebt, wirdsie zur »Kunst«, erst wenn die sittliche Pflicht nur weil sie Pflicht ist, erfüllt wird, gleichviel mit wie wechselnden Inhalten, die vorher ihrerseits den Willen bestimmten, sie sich erfüllt, wird sie »Sittlichkeit«.
Mit dem Abenteuer ist es nicht anders.
Wir sind die Abenteurer der Erde, unser Leben ist auf Schritt und Tritt von den Spannungen durchzogen, die das Abenteuer ausmachen. Allein erst wenn diese so gewaltsam geworden sind, daß sie über den Stoff, an dem sie sich vollziehen, Herr geworden sind, entsteht das »Abenteuer«.
Denn es besteht nicht in den Inhalten, die dabei gewonnen oder verloren, genossen oder erlitten werden: alles dies ist uns auch in anderen Lebensformen zugängig.
Sondern daß der Radikalismus da ist, mit demes als Lebensspannung, als das Rubato des Lebensprozesses fühlbar wird, unabhängig von seiner Materie und ihren Unterschieden; daß das Quantum dieser Spannungen groß genug wird, um das leben über jene Materie hinweg aus sich herauszureißen – das macht das bloße Erlebnis zum Abenteuer.
Es ist freilich nur ein Stück des Daseins neben andern, aber jenen Formen zugehörig, die, über ihren bloßen Anteil am Leben und über alle Zufälligkeit ihres Einzelinhaltes hinaus, die geheimnisvolle Kraft haben, für einen Augenblick die ganze Summe des Lebens als ihre Erfüllung und ihren Träger, der nur zu ihrer Verwirklichung dawäre, fühlen zu lassen.