Johann Gabriel Seidl
Stumme Rache
Johann Gabriel Seidl

Johann Gabriel Seidl

Stumme Rache

»Du hast etwas auf dem Herzen, Pietro, ich sehe dir's an!« sprach der Marchese Luigi zu seinem alten Diener, den als Erbstück von seinem Vater übernommen hatte. »Du schleichst mir so verdächtig im Hause herum, würgst immer an den Worten und verziehst die Mienen, als ob dir ein Bein im Halse steckengeblieben wäre. Ich mag das nicht alter Murrkopf! Wenn du ein Anliegen hast – heraus damit. Den Kopf wird's nicht gelten, weder deinen noch meinen. Ich habe schon manches Unangenehme im Leben erfahren das wird sich wohl auch noch ertragen lassen!«

»Nun denn in Gottes Namen, Signor«, begann der Diener, sichtbar im Kampfe mit seinem Innern, »weil's muß! Signor, es wird unerwartet kommen, aber leider ist so.«

»Nun, mach's kurz!«

»Ich kann's nicht sagen, Signor«, stotterte Pietro nach einer langen Pause, »ich will noch einmal abwarten – könnte mich doch irren!«

»Nun, so schweig, alter Rabe, und krächze mir nicht les Zeug vor, das keinen Sinn hat!«

»Ach, keinen Sinn«, brummte Pietro in den Bart, rieb die Stirn und entfernte sich kopfschüttelnd.

»Was er nur haben mag?« sprach der Marchese zu selbst. »Ei, vielleicht weiß er's selbst nicht. Solchen alten Träumern fährt oft allerlei durch den Kopf, und am Ende steckt nichts dahinter. Er war von jeher solch ein Zweifelskrämer.«

Aber verhehlen konnte sich's der Marchese doch nicht, daß ihn Pietros Kopfschütteln beunruhigte. Der alte Diener war seinem Hause von jeher treu und anhänglich; er nahm an allem innigen Anteil und würde, um die Ehre und das Glück der Familie zu retten, willig seinen grauen Kopf hergegeben haben. Wenn so ein biederer, schlichter Alter etwas auf dem Herzen hat, so bedeutet es zuletzt doch mehr, als man wähnt. Der Herr des Hauses übersieht manches, was den aufmerksamen Hütern der Schwelle nicht entgeht, und eine wohlgemeinte Warnung verdient immer Dank, selbst wenn sie aus übertriebener Vorsicht entsprang. Der Marchese bereute daher fast, seinen Diener so kurz abgefertigt zu haben, und erwartete den Augenblick, wo dieser wieder darauf anspielen würde, mit dem festen Entschlusse, sich gutwillig und genau unterrichten zu lassen.

Aber Pietro ließ sich nichts weiter anmerken, und selbst darauf hindeuten wollte der Marchese nicht. Es blieb also durch einige Monate beim alten.

Inzwischen kam die Zeit heran, wo sich der Marchese mit seiner Gemahlin, der reizvollen Signora Giulietta, auf seine Villa zu begeben pflegte. Pietro wurde jedesmal mitgenommen, denn der Marchese war von Jugend auf an ihn gewöhnt. Hier wurde fast die ganze Zeit mit Lustfahrten, Spaziergängen und anderen ländlichen Unterhaltungen recht angenehm hingebracht. Auch fehlte es nicht an Besuchen aus der Stadt, und oft war die schöne, herrliche Villa wochenlang von lebensfröhlichen Gästen bevölkert, zu deren Vergnügen der gastfreundliche Marchese und seine gebildete, überaus liebenswürdige Gemahlin ihr möglichstes beitrugen. Eine besondere Vorliebe hatte der Marchese für die Jagd. Fast wöchentlich einmal wurde eine Belustigung dieser Art veranstaltet. Er begnügte sich dabei nicht, die nächste Umgebung der Villa zu durchstreifen, sondern, da er fast das Jagdrecht im ganzen Bezirke pachtweise an sich gebracht hatte, so blieb er oft einige Tage aus und trieb sich wohlgemut und harmlos im Gebirge umher.

Dem alten Pietro schienen diese Streifzüge ein Dorn im Auge. Mehr als einmal äußerte er sich gegen den Marchese darüber, daß es ihm unbegreiflich scheine, wie man sich mühen und abquälen möge, um ein paar armen Hirschen oder Rehen den Garaus zu machen; wie man Vergnügen daran finde, durch Dick und Dünn zu brechen wie ein Wegelagerer, sich den köstlichen Schlaf abzusparen, Durst und Hunger zu leiden und wohl auch mancher Gefahr sich zustellen, und das alles, um einige Tiere zu töten, die uns nichts getan haben und die wir nicht einmal auf unserer Tafel benötigen. Er kramte alle Gründe aus, welche Jagdfeinde vorbringen, um die Weidmannslust in ein übles Licht zu setzen, und geriet beinahe in Eifer, wenn der Marchese darüber lächelte oder ihn scherzweise einlud, es selbst zu versuchen, ob die dumpfen Mauern des Schlosses gegen die frischgrünen duftigen Wände des Hochwaldes nicht rückständen.

»Jeder nach seinem Belieben«, sprach er. »Ich meinesteils bliebe lieber in meiner Villa, lustwandelte in meinem Garten, unterhielte mich mit meinen Freunden und suchte nicht auswärts, was ich zu Hause besser habe; zumal wenn ich Hause eine so liebenswürdige junge Gesellschafterin hätte als unsere Signora Giulietta!«

Wiewohl Pietro mit seinen jagdfeindlichen Ansichten durchdrang, so unterließ er es, wenn wieder eine Jagd angesagt wurde, niemals, sie wieder vorzubringen, so daß es zuletzt dem Marchese auffiel und er zu vermuten begann, daß diese Abneigung noch einen anderen Grund habe.

»Du kommst mir mit deinem Widerwillen gegen das Weidwerk geradeso vor wie mit deinem Geheimnisse, das du mir noch immer schuldig bist!« begann einmal der Marchese, als Pietro die Weisung, daß in zwei Tagen Jagd sei kopfschüttelnd mit dem ärgerlichen Beisatze erwiderte:

»Schon wieder eine so garstige. Jagd! Die Jagden, die Jagden!«.

»Dreht sich etwa dein Geheimnis auch um die Jagd?« fuhr der Marchese fort.

»Es geht auf eins hinaus!«

»Und darf man das eine, worauf Jagd und Geheimnis hinausgehen, nicht wissen?«

»Wollte Gott, Signor, Ihr erführet es nie! Und doch sollt Ihr es erfahren. Wenn's nur lieber ein anderer Euch sagte. Ich hätte schon lange gern gesprochen – aber ich – mag in meinen alten Tagen nicht brotlos werden.«

»Ist's von so arger Art?«

»Von der ärgsten Art!«

»Und warum solltest denn du brotlos werden? Wirst doch du dir nichts haben zuschulden kommen lassen?«

»Das gewiß nicht! Gott weiß, wie gut ich's mit Euch, Signor, und mit Eurem Hause von jeher gemeint habe. Habt Ihr aber nie gehört, daß ein Bote die üble Nachricht, die er, ohne darum zu wissen, überbracht hat, entgelten muß?«

»Also willst du mir etwas Übles sagen?«

»Ich will nicht, aber ich muß!«

»Nun, so rede. Wiewohl ich nicht ahne, was es sein soll, so bin ich doch auf' alles gefaßt! Mithin sprich frei heraus, was dir auf dem Herzen liegt. Ich weiß die Aufrichtigkeit eines alten Dieners zu schätzen.«

Pietro war in sichtbarer Verlegenheit. Die Schweißtropfen der Angst standen ihm auf der Stirne; scheu, als ob er fürchtete, belauscht zu sein, blickte er umher, hob mehrmals an und verlor das Wort wieder und brach endlich mit den Worten »Ich kann nicht!« in Tränen aus.

»Jetzt befehle ich dir zu sprechen!« sprach der Marchese, der nun selbst Arges zu ahnen begann. »Was es auch sein mag, deine Zukunft bleibt gesichert; sprich ohne Scheu!«

»Nun denn, in Gottes Namen!« flüsterte Pietro, besorgt umherschielend. »Rund herausgesagt: Signora Giulietta hintergeht Euch!«

»Du lügst!« fiel ihm der Marchese Luigi ins Wort. Eine lange Pause folgte. »Wie kannst du dich unterfangen«, fuhr der Marchese gefaßter und ruhiger fort, »mi ncr Gemahlin so Schändliches zuzumuten?«

»Wollte Gott» es wäre nicht mehr als Vermutung, Sign« Aber ich hörte – ich sah!«

»Du hörtest nichts! Du sah est nichts! Du bist ein halb tauber, halb blinder Tor!«

»Seht, Signor, sagt ich's nicht: Der Bote muß oft die Nachricht entgelten.«

»Was hörtest du, was sahest du?«

»Graf Forli –«

»– ist mein Freund!«

»Um Eurer Gattin willen!«

»Leider ist er jetzt so selten zu sehen.«

– »Weil Ihr, Signor, Eure Augen für die unselige Jagd braucht. Da könnt Ihr nicht sehen wer indessen in der Villa aus und ein reitet. Sooft Ihr auf die Jagd geht, geht Forli auch auf die Jagd!«

»Alter! Du bist keck! Weißt du, daß du die Ehre meines Hauses antastest?«

»Ich, Signor? – Ich will's nur nicht leiden, daß es ein an derer tut. Aber leider ist es so. Kaum kehrt Ihr der Villa den Rücken, so reitet Graf Forli zum Hintertore herein und verläßt unsere Signora nicht eher, als bis das Hifthorn, von den nahen Bergen tönend, Eure Rückkehr verkündet. Was getändelt und gescherzt wird – Signor, ich hab's belauscht, gehört, gesehen! Aber ich mag Eure Leidenschaft nicht reizen. Ich will Euch nur warnen, eh es zu spät ist, eh Ihr den Flecken nicht mehr von Eurem Namen waschen könnt.«

Der Marchese stand geisterblaß; das Blut war aus seine Wangen und Lippen gewichen, seine Wimpern zuckten krampfhaft. Seine Hände ballten sich unwillkürlich, sein Knie wankten. Dennoch wußte er seine Fassung zu behaupten und begann nach einer Pause mit erheuchelter Ruhe: »Pietro, ich danke dir für deinen guten Willen, sollt ich gleich über deine Voreiligkeit zürnen. Du weißt nicht welchen Brand du bei einem Leichtgläubigeren hättest schüren können. Zum Glück weiß ich; was ich will. Die Ehre meines Hauses geht mir über alles, merke dir das! – Meine Giulietta ist mir treu. Wenn Forli sie besucht, so tut er's mit meinem Wissen. Du aber wage es nicht mehr, vorlaut und unbesonnen Dinge zu behaupten, welche du nie wirst beweisen können. Geh und sei ein anderes Mal vorsichtiger!«

Pietro wußte nicht, was er denken sollte; Hatte er früher geträumt, oder träumte er jetzt? – Bittere Tränen vergoß er über die Verblendung des Marchese, welcher für seinen, wie es schien, felsenfesten Glauben auf die Treue seiner Gemahlin so schlecht belohnt wurde. Tief kränkte es ihn, sich so schnöde abgewiesen zu sehen. Die Ehre des Hauses, dem er diente, ging auch ihm über alles, der Marchese selbst konnte dafür nicht ernstlicher bedacht sein; und nun wurde eine Entdeckung die ihn manche schlaflose Nacht gekostet, zu der er sich erst nach so schwerem Kampfe mit sich selbst entschlossen hatte, so übel, ja, was ihn noch mehr verdroß, so leicht aufgenommen, – als ob es einen Spaß gelte. »Aber vielleicht«, sprach er zu sich selbst, »ist es dem Marchese mit seiner Gleichgültigkeit nicht ernst. Erschüttert war er, tief erschüttert; auf seinem Gesichte malte sich mehr als Unwillen gegen meine Vermutung. Er will vielleicht nur nicht glauben, bis er Überzeugung hat und handeln kann! Wohlan! Ist's auch ein undankbares Geschäft, der Rache und Vergeltung das Tor zu öffnen, so will ich's doch tun. Für einen Verleumder soll der alte Pietro nicht gelten!«

Der Marchese fand keine Ruhe. Pietros Entdeckung hatte ihm nun bestätigt, was er lange schon ahnte. Rasch entschieden, hatte er seinen Entschluß bald gefaßt. So leidenschaftlich er seine Gemahlin bisher geliebt, so schnell war diese Liebe wie durch einen Zauberschlag gebannt. Nur Gewißheit wollte er haben, um dann männlich sich zu rächen. Seine Gemahlin aufzugeben, wenn er von ihrer Untreue überzeugt wäre, stand unwiderruflich fest in ihm.

– Aber seines Hauses Ehre sollte darunter nicht leiden. Niemand, selbst nicht Pietro, sollte sagen können: –»Marchese Luigi hat ein treuloses Weib; er ist betrogen worden und hätte, ohne seines Dieners Wachsamkeit, nichts davon gemerkt.« Die schreckliche Katastrophe, wenn sie schon nicht zu vermeiden wäre, sollte auf den unbefleckten Glanz seines Hauses keinen Makel werfen. Über diesem Plane brütete er Tag und Nacht. In seinem Innern kochte und tobte es, aber sein Antlitz schien ruhig, und ein glücklich erborgtes Lächeln ließ den beißenden Hohn, der sich ihm oft willkürlich auf die Lippen drängte, nicht zum Durchbruch kommen.

Aber die Augen schuldbewußter Frauen sehen scharf und richtig. So hatte auch Giulietta längst bemerkt, daß in ihrem Gemahl eine Veränderung vorgegangen war. Fein und listig glitt sie über diese Vermutung weg, begegnete ihm zärtlich wie sonst, berührte alle seine schwachen Seiten und zuckte vorsichtig wieder zurück, wenn sie merkte, daß er von irgendeiner zugänglich zu sein aufhörte, um nicht durch auffallende Annäherung sich verdächtig zu machen. Manches Mal fiel die Rede auf Forli. Sie blieb Meisterin ihrer Mienen, ihres Errötens, ihres Atmens. Sie lenkte nie ab, wenn der Marchese von ihm sprach, heuchelte, ohne ungerecht zu sein, die größte Gleichgültigkeit und benahm sich ohne Zwang so, daß sie selbst die festeste Überzeugung von ihrer Untreue hätte zum Zweifeln bringen können.

Es war wieder Jagd angesagt. Tags vorher suchte Pietro in der größten Unruhe seinen Herrn überall auf, aber erst abends konnte er ihn allein finden. Er sprach nichts, sondern übergab ihm nur mit zitternder Hand einen Zettel.

Der Marchese entfaltete ihn. Es war die Hand seiner Gemahlin; keine Aufschrift, keine Unterschrift, kein Siegel; der Inhalt war folgender: »Der Marchese argwöhnt; ich möchte sagen: Er weiß alles! Fürchtet aber nichts, er ist meiner Hand. Klugheit ist nötig. Morgen ist Jagd. Kommt gewiß, damit wir uns besprechen können. Liebe scheut keine

Gefahr!«

Ruhig; steckte der Marchese den Zettel zu sich, maß den alten Pietro mit durchdringendem Blick, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach mit sanfter Stimme: »Alter; was hat dir mein armes Weib getan, daß du Komplotte gegen sie schmiedest?«

»Ich; Signor? – Um Gottes willen, ich begreife Euch nicht! Ihr seid fürchterlich verblendet oder fürchterlich – verschlossen.«

Der Marchese zuckte zusammen; dieser Blick des Alten in sein Herz kam ihm unerwartet. Er faßte sich schnell und fuhr fort: – »Gestehe aufrichtig, du hegst einen geheimen Groll gegen die Signora! Aber umsonst! – Giulietta ist treu, ich weiß es, und niemand wird mich des Gegenteils überführen können. Dieser Zettel ist dein Werk!«

»Wollte Gott, es wäre so! – Ich fand den Zettel. Signora streute ihn am Gartentore aus, weil sie sich unbelauscht glaubte. Im nahen Gebüsche rauschte es, ich streifte vorüber. Des Grafen Diener lag auf der Lauer. Ist's Euch genug?«

»Genug, Schwachkopf, um mir nichts zu scheinen! – Morgen ist Jagd wie gewöhnlich. Du aber merke dir's: Laß dieses Zeug! Giulietta ist treu, rein, unschuldig. Luigi ist nicht betrogen; die Ehre unseres Hauses hat niemand befleckt und wagt niemand zu beflecken.«

Er winkte dem Diener abzutreten. Dieser aber hielt sich nicht länger, fiel auf die Knie, ergriff krampfhaft des Marchese Hand und rief mit Schluchzen und Tränen: »Signor, ich bin ein alter Sünder, ich habe viel, viel auf meinem Gewissen! Der Gerechte fällt siebenmal am Tage! Aber so schlecht, so verworfen bin ich nicht, daß ich zum Verleumder geworden wäre am Hause meines Wohltäters. Nein, Signor, diese Schmach, erlaubt mir, diese Schmach kann ich nicht auf mir haften lassen! Was ich sage, ist wahr, leider wahr. Ich habe gehört, gesehen! Wenn's keinen Teufelsspuk gibt, wenn nicht Menschen andere Körper annehmen und zugleich da und dort sein können, so hab ich mich nicht getäuscht, so seid Ihr betrogen! – Gewährt mir nur eines: Schafft Euch Überzeugung! Es drückt mir das Herz wenn ich glauben soll, daß Ihr Euch von mir wähnt, während ich darauf sterben will, daß Ihr es von Signora, von Euerm Freunde seid! Stellt Euch morgen, als ihr auf die Jagd ginget, kehrt heimlich zurück, harrt des Zeichens, das ich Euch gehe, und überzeugt Euch dann, daß mir nur um Eure Ehre zu tun war und daß Pietro kein Verleumder ist!«

Der Marchese fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als ob er sich besänne. »Wohlan«, sprach er, »alter Knabe! Weil du nicht nachgibst, dich nicht belehren lassen willst, so geb ich nach und will den Schwank mitmachen; meine Giulietta kann ja dabei nur gewinnen! – Ich kehre morgen unvermutet zurück, erwarte dein Zeichen, lasse mich von dir führen und lenken, wie du willst. Aber das merke dir, wenn ich finde, daß du gelogen hast, daß meine Frau unschuldig ist – und ich bin überzeugt, ich werde das finden –,dann hast meinem Hause am längsten gedient, dann kannst du in Dienste eines andern Herrn treten, der deine Wachsamkeit besser zu würdigen weiß! Willst du es auf diese Gefahr wagen?«

»Ja!« rief Pietro nach kurzem Besinnen. »Es gilt die Ehre des Hauses, dem ich so lange treu gedient habe – und auch ein treuer Diener hat seine Ehre! Wenn ich Euch, falsch berichte, so will ich den Rest meiner Tage brotlos, in Jammer und Elend zubringen.«

Der Marchese hatte sich mit seinem Jagdrosse kaum hinter dem nächsten Hügel verloren, als wirklich der Graf Forli sich einfand. Vorsichtig schlich er dem Gartenpförtchen zu, welches er bereits geöffnet fand, und klatschte unter dem Fenster der Signora dreimal in die Hände. Ein kleiner Schlüssel flog herab und verschaffte dem Ehrenräuber Eintritt durch die Türe, welche aus dem Seitenflügel des Schlosses in die Hauptallee des Parks führte.

Pietro hatte mit Luchsaugen alles beobachtet. Ungeduld und Unwille verzehrte sein Herz. Mit aufmerksamen Blicken lauerte er, im Gebüsche verborgen, bis er seiner Sache so sicher wäre, daß niemand mehr der Signora Treulosigkeit leugnen könnte. Nichts entging ihm. Jede Türe kannte er am Zuklappen; er wußte, was jedes Fensteröffnen, jede Regung eines Vorhanges, jedes Verschieben eines Blumentopfes zu bedeuten habe. Aus Vorsicht beging Signora Giulietta, um jeden Verdacht von sich abzuwälzen, die Unvorsichtigkeit, nie eine Türe zu verriegeln. Übrigens machte sie aus des Grafen Besuchen kein Geheimnis, um die Dienerschaft glauben zu machen, daß es keine heimlichen seien, sondern daß ihr Gemahl darum wisse. Daher nahmen die Hausleute auch wenig – Rücksichten auf die Besuche. Nur Pietro ließ sich nicht täuschen. Er war ein alter Zeuge der Strenge, mit welcher im Hause des älteren Luigi über Verhältnisse dieser Art geurteilt wurde; er wußte, wie unverletzlich diesem die Ehre war und wie er jeden, der sie anzutasten gewagt hätte, fürchterlich bestraft haben würde. Jetzt aber – er konnte sich's nicht verhehlen – leitete auch Rache seine Schritte. Giulietta war Ursache, daß er für einen Verleumder gelten sollte. Das konnte der alte Hitzkopf nicht ertragen. Er mußte sich reinwaschen, und wäre es mit dem Blute seiner treulosen Gebieterin. Leise, als ob seine Schuhe mit Filz besohlt wären, schlich er ins Schloß, um den rechten Augenblick zu erlauschen.

Giulietta empfing den Grafen Forli wie gewöhnlich in einem Gemache im zweiten Stockwerke des westlichen Eckturmes. Ein Korridor, auf welchem ein kleines Pförtchen die Wendeltreppe verschloß, die in den Garten hinabführte, lief in einen geräumigen, durch eine einzige Türe zu schließenden Vorsaal aus, aus dem man in jenes Seitengemach gelangen konnte. Ein einziges Fenster erhellte dasselbe. Es gewährte die Aussicht auf das gegenüberliegende Waldgebirge, an dessen Fuße ein wildschäumender Strom vorüberrauschte der den Turm mit brausenden Wogen bespülte und, eingezwängt vom spitzigen Felsen, ungestüm dahinschoß. Hier dünkte sich die Schloßfrau sicher, denn aus demselben konnte sie jeden Menschen bemerken, der aus dem Gebirge, in welches die Jagd sich immer – tiefer verlor, herabkam und über die Brücke ging. Von dieser Seite hatte sie daher keine Überraschung zu befürchten, und Hausleute glaubte durch ihr zwangloses, unverstecktes Betragen für jeden Verdacht unzugänglich gemacht zu haben. Fern über die Berge her schollen die langgedehnten Klänge des Hifthorns, je Scheu verbannend; dumpf wie lüsternes Girren brauste der Waldstrom, und ein kühles Schmeichellüftchen wehte kosend durch das offene Fenster.

Pietro hatte sich unbemerkt bis zur Pforte jenes Gemaches geschlichen und das Paar belauscht. Seiner Sache gewiß, eilte er nun über den Vorsaal, den Korridor entlang und öffnete das Pförtchen zur Wendeltreppe, auf welche sich schon, der Verabredung gemäß, der Marchese versteckt hielt. Er war indes, ohne von irgend jemand gesehen worden zu sein, zurückgekehrt und durch eben jene Türe ins Schloß gekommen, welche Forli mit Giuliettas Schlüssel geöffnet und, um sich ungehindert wieder entfernen zu können offengelassen hatte. Pietro hatte diesen Weg ihm angedeutet.

Was in des Marchese Seele vorging, läßt sich leicht denken. Sein ganzes Herz – war Rache; sein Entschluß aber, diese Rache so zu nehmen, daß die Ehre seines Hauses selbst vor Pietros Augen unbefleckt blieb, stand fest.

»Signor, dort sind sie!« flüsterte Pietro; den Marchese n Zittern am Arme fassend.

»Wenn du lügst«, erwiderte der Marchese drohend, ist es um deinen Dienst geschehen !«

»Ich kann darauf schwören!«

»Keinen Meineid, denn ich wiederhole dir nochmals: Meine Giulietta ist unschuldig, der Graf ist nicht bei ihr! Besinne dich – noch ist es Zeit, deine Verleumdung zu widerrufen!«

»Ich bin kein Verleumder! Überzeugt Euch, Signor! Der Graf ist bei Signora !«

»Wohlauf, ich gehe! Schreibe dir die Folgen selbst zu!«

Mit diesen Worten schloß der Marchese das Pförtchen zur Wendeltreppe ab und zog den Diener zur Türe, die in den Vorsaal führte. »Hier bleibst du stehen und hältst Wache!«

»Das will ich gewiß gut!«

»Im Vorsaale ist keine Pforte, durch die er entkommen könnte, nicht wahr?«

»Keine.«

»Auch im Turmgemache ist kein Seitenpförtchen?«

»Keines!«

»Ich schließe hinter mir ab; wenn du Wache hältst, kann er unmöglich entrinnen.«

»Unmöglich.«

»Und er ist bei Giulietta, sagst du?«

»So wahr ich Pietro heiße, ich sah, ich hörte ihn!«

»Wohlan, ich will dich überzeugen» daß du lügst !«

»Behüt Euch Gott, daß Ihr den Anblick Eurer Schande gefaßt ertragt!«

Leise trat der Marchese in den Vorsaal und schloß hinter sich ab. Der Alte hielt Wache vor der Tür. »Nun hat er ihn«, sprach er zu sich selbst. Aber alles blieb still.

Der Marchese öffnete rasch die Türe des Turmgemaches und trat wie ein Rachegeist vor das von Schreck versteinerte Paar.

Der Marchese sprach kein Wort, sondern hielt seiner Gemahlin mit der Linken den Zettel vor, den sie an Forli geschrieben, und setzte diesem eine Pistole auf die Brust. Jetzt erhoben beide, von dem Bewußtsein ihrer Schuld entgeistert, bittend die Hände. Der Marchese winkte dem Grafen mit rollenden Blicken, aufzustehen und seinen Hut zu nehmen. Er gehorchte und wollte sprechen. Der Marchese hielt den Finger auf die Lippen, zum Zeichen, daß er schweigen solle, und drängte ihn mit vorgehaltener Pistole zum Fenster. Der Graf schien nicht zu begreifen, was jener wolle. Jetzt deutete der Marchese gebieterisch hinab in die Tiefe und hielt ihm die Pistole drohend vor die Stirne. Nun begriff ihn der Graf. Da war keine Wahl: hier Tod und unten Tod; hier sicherer Tod, unten mögliche Rettung. Mit einen Blicke der Verzweiflung auf Giulietta, die ohnmächtig zur Erde sank, schwang er sich aufs Fenster – und sauste hin in den schäumenden Strom.

Die stumme Rache war vollbracht. Mit kräftigem Armen hob der Marchese sein treuloses Weib vom Boden auf und legte es auf das Ruhebett, wo es in totenähnlicher Erstarrung dalag. Er selbst atmete tief auf, sammelte seine Sinne wieder und riegelte die Türe auf. Das alles war das Werk weniger Minuten gewesen.

Pietro stand erstarrt, als er den Marchese allein herauskommen sah. »Um Gottes willen!« rief er. »Ihr habt keinen Doppelmord begangen, weil alles so still ist?«

»Geh hinein«, fuhr ihn der Marchese drohend an, »suche du den Schänder meiner Ehre, ich hab ihn nicht gefunden. Aber wecke mir meine gute, treue Giulietta nicht, sie schläft.«

Pietro zögerte, aber der Marchese zwang ihn vor sich her mit den Worten: »jetzt will ich hier Wache halten!«

Mit geschärftem Blicke umherspähend, trat Pietro in den Vorsaal; er war leer. Er ging weiter, trat vorsichtig ins Turmgemach – aber der Graf war nicht da. Giulietta lag in festen Schlummer versenkt, wie es schien, und regte sich nicht. Mit ängstlicher Hast durchspähte Pietro jeden Winkel des Gemaches, öffnete mit leiser Hand jeden Schrank, zog den Vorhang von jeder Blende – Giulietta war allein, Forli nirgend zu finden! Wohl fiel Pietros Blick auf das offene Fenster, unwillkürlich sah er hinab in die grauenerregende Tiefe, aber Torheit schien es ihm, nach dem Flüchtling da zu spähen, wo kein Strauch auf kahlem Felsen, kein Grashalm an der glatten Wand des Turmes einen Anhaltspunkt darbot.

Wütend schlug er sich vor sein graues Haupt, wankte fast ohnmächtig aus dem Gemache und rief, als ihn der Marchese mit ironischem Lächeln fragte, ob er ihn gefunden habe, zähneknirschend: »Signor, mit dem ist der Teufel! Er – ist verschwunden!«

»Er war nie hier, Narr!« antwortete der Marchese. »Giulietta ist unschuldig, du bist entlassen. Da – nimm! Weil du meinem Vater treu gedient hast, so sollst du deinen Lebensrest nicht in Not und Elend verleben. Diese Börse sichert deine Zukunft. Aber merke dir's, daß die Frauenehre ein heiliges Gut ist, das man nicht unvorsichtig antasten soll. Bist du nun überzeugt, daß Giulietta unschuldig ist?«

»Signor, ich bin von nichts mehr überzeugt!« stammelte Pietro, dessen Haupt wüst und sinnlos war. »Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich der alte Pietro bin.«

Tief erschüttert verließ er das Schloß und verlebte den Rest seiner Tage in Abgeschiedenheit. Wiewohl er für sich selbst überzeugt war, wiewohl – sein Herz ihm sagte, – Giulietta sei treulos gewesen, so konnte er doch seinen Augen nicht widersprechen und hätte wider Willen Giuliettas Ehre vor aller Welt verteidigen müssen. Nur das Bewußtsein, nicht ganz ohne Rachegefühl gegen seine Gebieterin, die ihm minder hold war, gehandelt zu haben und insofern wenigstens zum Teil nicht ganz ohne eigenes Verschulden zu leiden, machte ihm diese kränkende Zurücksetzung erträglich. Nur von fern zuckte es manchmal durch seinen Kopf, daß er doch recht gesehen und der Marchese auf kluge Weise, welche zu ergründen er sich freilich umsonst bemühte, die ganze Ehrensache geräuschlos abgetan habe.

In dieser für sein Gewissen so tröstlichen Ahnung bestärkte ihn die Nachricht, daß Giulietta zehn Monden nach diesem Falle vom Marchese zu ihren Eltern gesendet worden und bisher nicht zurückgekehrt sei. Niemand fand darin etwas Arges; man erzählte sich, es sei aus Gesundheitsrücksichten geschehen. Auch sprach der Marchese fortwährend mit der größten Achtung und Liebe von seiner Gemahlin, reiste öfter ab, um sie, wie er vorgab, zu besuchen, und teilte das Geheimnis niemandem mit als seinem Tagebuche. Nur Pietro schöpfte Verdacht, aber er hütete sich wohl, irgend etwas davon laut werden zu lassen.

Was mit dem Grafen Forli geschehen sein mochte, wußte niemand. Er blieb verschollen und verschwunden.