Heinrich Seidel
Das alte Haus
Heinrich Seidel

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Heinrich Seidel

Das alte Haus.


I.

Mitten in einem behaglichen Sommeraufenthalt auf dem Lande traf mich plötzlich die Nachricht, daß meine Tante Dorothea gestorben sei und wider alles Erwarten nicht anderweitig über ihr sehr bedeutendes Vermögen verfügt habe.

Das Haus, das meiner Tante gehörte, liegt in Berlin »am Karlsbade«. Wer diese Gegend kennt, dem wird längst zwischen den reizvollen und wohlgepflegten Gärten, den prächtigen Villen und palastartigen Häusern dieser Straße ein Gebäude aufgefallen sein, das morsch und verfallen in einem gänzlich verwilderten Garten daliegt, wie ein vergessenes Ueberbleibsel aus alter Zeit. Hier hatte die alte Tante ein einsames Sonderlingsleben geführt, dessen Kernpunkt ein unbesiegliches Mißtrauen gegen alle Menschen und insbesondere gegen alle Verwandten bildete; weshalb ich kaum in meinem Leben Gelegenheit hatte, sie zu sehen, und noch weniger, sie kennen zu lernen.

Ich langte am Nachmittag in Berlin an, und nachdem ich mein Gepäck in Frederichs kleines, freundliches Hotel in der Potsdamer Straße gebracht hatte, machte ich mich sofort auf, das Haus »am Karlsbade« aufzusuchen. Die mürrische, alte Haushälterin empfing mich und führte mich in das Zimmer, wo die Verstorbene in ihrem letzten Ruhebette lag. Die Vorhänge waren niedergelassen und auf einem schwarzbehangenen Postament zwischen brennenden Lichtern stand der offene Sarg. Die Alte schlürfte wieder hinaus und ließ mich allein. Ich sah die harten, scharfen Züge, in denen doch noch die Spuren früherer Schönheit bemerklich waren, nun zum letztenmal. Es war mir, als wäre ein Zug des Friedens und der Milde darin, den ich im Leben nie bemerkt hatte. Ueber den Sarg, auf die Totenkleider und auf das schwarze Postament waren Blumen gestreut und zwar von einer milden Hand, die Verständnis für dergleichen hatte. Ich wußte mit Gewißheit, daß die Haushälterin das nicht gethan haben konnte.

Die Bestattung fand nach letztwilliger Bestimmung am Abend statt und verzögerte sich so lange, daß schon die Dämmerung eintrat, als der schwarzbehangene Wagen mit dem Sarge fortfuhr. Es war ein ödes Begräbnis. Sie hatte keine Faden ins Leben gesponnen und sich keine Herzen verknüpft, keine Teilnahme folgte ihr nach. Einsam rumpelte das schwarze Gefährt durch die Straßen, und nebenher wandelten sechs von den schwarzen Lohndienern des Todes, deren Beruf diese Beschäftigung mit sich bringt. Sie gingen zu beiden Seiten des Wagens und in ihren rötlichen Gesichtern trugen sie einen Ausdruck bezahlter Trauer, gemischt mit einem wehmütigen Zug ewig unstillbarer Sehnsucht nach geistigen Getränken. Hinterher folgte ich in einer schwarzen Trauerkutsche.

Es war ein dunkler, wolkenverhangener Sommerabend. Unterwegs fing es an leise zu regnen, und als wir am Kirchhofe anlangten, war die Dunkelheit ganz hereingebrochen. Der Totengräber kam mit einer Laterne, die in die Kronen der Bäume gar seltsame Lichter warf und sich in dem vor Nässe glänzenden eisernen Kirchhofsthor spiegelte, und knarrend thaten sich die Thorflügel auf. Der Totengräber ging mit der Laterne voran; die sechs Träger folgten mit dem Sarge. Ein langer Weg durch Gräber, Grabkreuze und Monumente, die vom Lichte der Laterne in nassem Glanze hervorleuchteten und wieder verschwanden. Endlich aus einer weißen Kapelle gähnte uns eine dunkle Thoröffnung entgegen. Der Totengräber stellte seine Laterne auf den Sarg des verstorbenen Gatten und ging fort. Die Träger setzten ihre Bürde ab und verschwanden ebenfalls, während ich die Kränze, die ich mitgebracht hatte, niederlegte und noch einen Augenblick verweilte. Es war ganz still ringsum, denn der Kirchhof lag ziemlich weit von der Stadt, nur das unablässige Rieseln des Regens war vernehmlich. Vor meinem Geiste sah ich es fließen und gleiten wie einen stillen dunklen Strom unablässig, und wir alle treiben mit ihm, weiter und weiter hinaus bis in das große unbekannte Meer, von dessen Ufern keine Wiederkehr ist.

Ich schickte den Wagen fort und wanderte zu Fuß langsam durch den rieselnden Regen in mein Hotel zurück.

II.

Geschäftliche Angelegenheiten, die Ordnung des Nachlasses betreffend, füllten die nächste Zeit aus. Dabei war es Sommer, glühender, regenloser, stauberfüllter Sommer, und wer solche Jahreszeit in Berlin kennen gelernt hat, der weiß, daß diese Stadt dann als ein klimatischer Kurort für Leute, die an zu großer Lebenslust leiden, von unschätzbarem Werte ist. Zuweilen rettete ich mich des Abends ins Freie und einmal sah ich das große Häuserwesen vom Kreuzberge aus vor mir liegen, eingehüllt in einen graublauen Dunst, aus dem nur die Türme wie luftschnappend hervorsahen. Das Rollen und Rauschen der Großstadt, das mir durch die Nachmittagsstille herüber drang, erschien mir wie das leise Brodeln und Schmoren eines Gerichtes, das man in seinem eigenen Dunste gar werden läßt. Der unablässig herniederbrennende Sonnenschein heizte Steinhäuser und Steinpflaster mit solcher Glut, daß keine Nacht mehr Abkühlung brachte; und als ich eines Morgens nach einer vor Hitze schlaflosen Nacht schon um drei Uhr ins Freie strebte, schlug mir noch immer die Wärme eines Backofens entgegen. Ich besah mir alle Tage zur Abkühlung auf der Karte die nördlichen Länder und schwelgte in der Vorstellung einer grönländischen Reise. Die Hochachtung, die ich sonst kühnen Polarfahrern entgegengetragen hatte, begann bedeutend zu sinken gegen den grenzenlosen Respekt, den mir die einzuflößen begannen, die, äquatoriale Hitze nicht scheuend, das Innerste von Afrika zu durchforschen trachteten.

In meinem Hotelzimmer hing die Darstellung einer Wassernymphe, die mit dem üblichen Kruge und dem gebräuchlichen Kleidermangel in der gewohnten Grotte am Wasser saß. Ich betrachtete sie Tag für Tag mit brennendem Neide darüber, daß ihre gesellschaftliche Sonderstellung, sowie ihr wässeriger Beruf es ihr gestatteten, so wenig anzuhaben. Die unzähligen Mengen von kühlenden Getränken, die ich in mich hineingoß und die in meinem Innern spurlos verzischten, spotten jeglicher Beschreibung. Dabei zogen sich meine Geschäfte so in die Länge, daß ich fürs erste ein Ende noch nicht abzusehen vermochte, und ich begrüßte deshalb mit Freuden den Vorschlag der alten Haushälterin, aus dem Hotel in das Haus »am Karlsbade« zu ziehen, denn in dem alten weitläufigen Gebäude und dem großen schattigen Garten hoffte ich ein kühleres Dasein zu finden. Bisher war es für mich nicht möglich gewesen, dort zu hausen, weil alle Zimmer, die meine Tante nicht direkt bewohnt hatte, sich in einem durchaus unbrauchbaren Zustande befanden und die anderen noch nicht zweckentsprechend hergerichtet waren.

An dem Nachmittage meines Umzuges war die Hitze auf den äußersten Grad gestiegen und hatte sich bereits der Innenräume des Hauses und des Schattens der Bäume bemächtigt. Ich verbrachte den Tag damit, mein neues Besitztum einer eingehenden Besichtigung zu unterwerfen. In den Räumen, die meine Tante bewohnt hatte, war alles in gutem Stande, und ein frischer Strauß Blumen aus dem verwilderten Garten zierte den Theetisch im Wohnzimmer. Wieder fiel mir die reizende und sinnvolle Anordnung der Blumen auf. Die übrigen Räume waren in dem Zustande des Verfalles geblieben, den meine Tante augenscheinlich begünstigt oder jedenfalls nicht gehindert hatte.

Ich durchwanderte die verstaubten und mit Spinnweben bedeckten Räume. Bis auf das Knirschen der fleißigen Holzwürmer in den alten verschnörkelten, krummbeinigen Möbeln war es totenstill dort; und alle die zahlreichen Uhren, für die meine Tante eine besondere Liebhaberei gezeigt hatte, waren abgelaufen, mit starrem Zeiger jede auf eine andre Stunde deutend. Ich öffnete die Fenster, um Luft und Licht einzulassen, allein es kam nur eine drückende Glut, und die Ströme des Sonnenlichtes erflimmerten von unzähligen Stäubchen. Ueberall lagerte jene dumpfe Schwüle unbewohnter Räume, überall war Moder und Staub. Alte künstliche Blumensträuße, die in chinesischen Vasen auf den Schränken standen, zerfielen bei der Berührung zu Pulver, und aus den Teppichen und Vorhängen erhoben sich in Scharen aufgescheuchte Motten, die dort bereits in unzähligen Generationen ungestört gehaust hatten. Ich schaute hinaus in den schweigenden, verwilderten Garten, der im Druck der Sonnenglut schmachtend dalag. Die Steige waren mit Gras bewachsen und auf früheren Blumenbeeten stand hohes Unkraut. Wilder Wein und Epheu waren, von keiner Menschenhand mehr gezügelt, ihre eigenen Wege gegangen und hatten sonderbare Guirlanden und Bogengänge gesponnen; die Obstbäume waren ohne Pflege ins Holz geschossen und Hecken und Sträucher, die früher unter der Schere des Gärtners gewesen waren, hatten wilde Triebe und Aeste in die Höhe gesendet und triumphierten in trotziger Ungebundenheit über die einstige Sklaverei.

Die brütende unheimliche Stille des bröckelnden Verfalls ward mir unbehaglich. Ich begann alle Uhren im ganzen Hause aufzuziehen, um nur eine Art Leben um mich zu haben.

Als ich hinaufging, um den Boden zu besichtigen, fand ich die Thüre zur Bodentreppe verschlossen. Da mir auch zugleich einleuchtete, daß unter dem Ziegeldach die Glut unerträglich sein müsse, beschloß ich, einstweilen das Extrem zu thun und mich in den Keller zu begeben. Hier ward mir eine fröhliche Ueberraschung zu teil. Aus den früheren Tagen meiner Tante lagen hier noch sehr ansehnliche Weinvorräte, und da dieser edle Stoff nicht zu den Schätzen gehört, die Motten und Rost fressen, sondern im Gegenteil Alter und behagliche Ruhe seine Güte bis zu einer gewissen Grenze vermehren, so hatte hier unten die Methode, die oben Zerstörung schuf, herrliche Vollendung gezeitigt. Ich nahm zwei Flaschen mit edlem Rheinwein hinaus, schickte die Alte nach Eis und nahm mir vor, den Akt meiner Besitzergreifung am Abend einsam zu feiern. Es fing bereits an zu dämmern und ich beschloß, ehe es dunkel wurde, in den Garten hinab zu gehen. Dabei wurde mir in einer dämmerigen Ecke des Vorplatzes der seltsame Anblick eines gelben Gartenstrohhutes mit blauem Bande zu teil, der an einem Kleiderriegel hing. Es wäre Frevel gewesen, diese Kopfbedeckung, die einen, wenn auch nur leisen Anflug der neuesten Mode zeigte, der alten Haushälterin zuschreiben zu wollen.

In dem verwilderten Garten brütete die Schwüle und der unbarmherzig klare und wolkenlose Himmel verhieß einen ungeminderten Fortbestand dieser erfreulichen Witterung. Am Ende des dürstenden und lechzenden Raumes schien es mir plötzlich wie eine grüne Oase entgegen. Ein kleiner Fleck in der Nähe eines Pumpbrunnens zeigte Pflege und die Spuren einer liebenden Hand. Um eine wuchernde Geißblattlaube herum waren einige wohlgepflegte, von Blumen leuchtende Beete; die Steige waren von Unkraut befreit und sauber geharkt. Dieses kleine Schmuckplätzchen machte einen seltsamen Kontrast gegen die sonstige Verwilderung. Mir fielen sofort die Blumen auf meinem Schreibtische und der geheimnisvolle gelbe Gartenstrohhut wieder ein.

Dort im Sande des geharkten Steiges, was war das? Zierliche Spuren eines Mädchenschuhes, die in die Laube hineinführten, leider aber auch wieder heraus, wie ich zugleich bemerkte. Man sah es an der Spur, wie elastisch und sicher der Schritt war, der sie hervorgebracht hatte.

Hier standen die Füßchen stärker abgedrückt, neben dem Levkojenbeet: offenbar hatte man sich zu den Blumen hinabgebeugt, dort wieder bei den Verbenen und dort zwischen den Nelken war er tief in das weiche Gartenland geprägt; das hatte offenbar den Monatsrosen gegolten, die die Mitte des Beetes zierten.

Es gibt nichts, was die Phantasie mehr anregt, als die Spuren eines zierlichen Mädchenfußes. Mich begann das Rätsel, das sich aus all diesen kleinen Anzeichen zusammensetzte, mit großer Teilnahme zu erfüllen. Ich horchte unwillkürlich in den Garten hinaus, mir war, als müsse ich ein seines silbernes Lachen oder das Rauschen eines Kleides in den Gebüschen vernehmen, allein nur das unablässige Geschwätz der Sperlinge, die in den Pappeln zur Ruhe gingen, und das Schrillen der Turmschwalben aus der hohen Luft drang an mein Ohr. Unterdes war es dunkel geworden und ich kehrte in das Haus zurück.

Ich fand mein Zimmer bereits erleuchtet und einen gedeckten Tisch meiner wartend. Wieder berührte mich anmutig die freundliche Art der Anordnung, mir war, als schwebe noch ein Hauch dieses geheimnisvollen und anmutigen Wesens in dem Zimmer. Ich stellte die Flaschen in Eis und harrte des Weiteren. Mir war, als müsse sich nun das Rätsel lösen. Endlich ward draußen ein Schritt vernehmlich, leider nur der wohlbekannte schlürfende der Alten: sie trug das Abendessen auf. Dabei keuchte sie so ausnehmend, daß ich ihr den freundschaftlichen Rat gab, sich doch eine jüngere Stütze beizulegen, da sie in ihrem Alter der Ruhe bedürftig sei.

»Das ist nur mein Asthma,« sagte sie, »es geht vorüber. Frau Geheimrätin hab' ich zwanzig Jahre bedient und keine Hilfe nötig gehabt, die Frau Geheimrätin litten auch an Asthma.« Dabei sah sie mich lauernd seitwärts an: mein guter Rat schien ihr Verdacht zu erregen.

»Sie pflegen so hübsche Blumen hinten im Garten, Brigitte,« sagte ich mit veränderter Taktik. Sie warf mir wieder einen lauernden Blick zu: »Ein paar Blumen fürs Haus und für die Vasen, das muß schon sein,« brummte sie; damit schlürfte sie wieder hinaus.

Ich entkorkte eine Flasche und bemerkte dann, daß die Alte vergessen hatte, ein Glas hinzuzusetzen. Es stand ein Schrank im Zimmer mit hundert Dingen von Porzellan und dergleichen, und es glückte mir, darin einen alten grünen Römer mit mattgeschliffenem Weinlaubkranz und hohem Fuß zu entdecken. Dabei mußte ich lächeln über die Unmasse von Tassen und Gläsern, die ich besaß. Dies bewegliche Eigentum stand allerdings in einem hervorragenden Kontrast zu dem Bierseidel mit Zinndeckel und der gemalten Tasse ohne Henkel, die früher meine einzigen Besitztümer dieser Art ausmachten.

Als ich nach dem Essen behaglich auf dem Sofa lag und eine Zigarre rauchte, spannen sich diese Gedanken weiter aus. Mir fehlte jetzt eigentlich weiter nichts als eine Frau. Alle sonstigen Dinge waren vorhanden und wenn Motten und Holzwürmer im Laufe der Zeit etwas weniger im Gebiete des Stoffwechsels gearbeitet hätten, brauchte sie nicht einmal eine Aussteuer. Aber in der großen Eisenkiste lagen ja unzählige Papiere, die besten Pflaster auf alle diese Wunden. Ich sah das Haus neu entstehen und freundlich und glänzend in wohlgepflegtem Garten liegen, ich sah eine anmutige Gestalt sich darin umthun, ich sah sie mit einem gelben Strohhut in den Garten gehen, wo in den frischgeharkten Steigen kleine zierliche Spuren hinter ihr zurückblieben; ich sah sie zwischen den leuchtenden Blumen stehen, den Kopf voll Anmut mir zugewendet, ich spürte den Levkojenduft – ja ich spürte ihn wirklich – er kam aus dem Blumenstrauße, der in dem zierlichen venetianischen Glase auf dem Tische vor mir stand.

Unterdes war es spät geworden, ich sah nach der Uhr, es war bereits elf Uhr vorüber. In der unbelebten Straße war es längst still, zuweilen fuhr mit fernem leisen Donner ein Zug der Potsdamer Eisenbahn über die Kanalbrücke oder einsame Schritte tönten hallend auf dem Steinpflaster vorüber. Ich beschloß zu Bette zu gehen.

Ein seltsames und ehrwürdiges Gebäude sollte mich diese Nacht aufnehmen. Ich hatte noch nie in einer solchen Pagode geschlafen, es bedrückte mich förmlich. Ein pyramidales Gerüst mit einer großen goldenen Kugel an der Spitze. Vier Löwenklauen hielten dort eine Flut von Gardinen, die sich bis auf den Boden ergossen und mit einem bunten Arabeskenwerk geziert waren, das von einer jegliche Naturwahrheit selbstschöpferisch verachtenden Phantasie des Künstlers Zeugnis ablegte. Ich schlug die Gardine zurück und erschaute über mir auf einem Gebirge von Kissen das Hochplateau, das mir zum Nachtlager dienen sollte. Nun ward mir auch die Bedeutung einer kleinen Trittleiter klar, die in der Nähe des Bettes stand und deren Stufen mit Teppichstreifen beschlagen waren. Ohne hervorragende turnerische Befähigung wäre es sonst nicht möglich gewesen, den Gipfel dieser Schlafeinrichtung zu erreichen.

Ich befahl meine Seele den himmlischen Mächten und stieg zur Probe hinauf. Eine Flut von weichen Kissen schlug über mir zusammen, als ich mich niederlegte. Sofort sah ich ein, daß ich bei der obwaltenden Hitze in diesem Kissenmeer kein Auge zuthun würde. Kurz entschlossen nahm ich die Decke und ein Kissen mit, kehrte in das Wohnzimmer zurück und legte mich dort halb ausgekleidet auf das Sofa.

War es nun der genossene Wein oder war es die dumpfe Schwüle, die im Zimmer herrschte, meine so glückliche Fähigkeit im Einschlafen hatte mich an diesem Abend verlassen. In der Stille der Nacht wurden alle die Töne hörbar, die das Geräusch des Tages sonst übertönt, und es bemächtigte sich meiner bald jene nervöse Spannung, die auf jeden Laut achtet, der sich hervorthut. Wer da weiß, über welche Fülle von knackenden und polternden, rieselnden und raschelnden Tönen ein altes vernachlässigtes Haus gebietet, der wird es begreiflich finden, daß ich bald vollauf zu thun hatte. Ein Knacken und Dehnen ging zuweilen durch die alten Möbel, als reckten sie die von langem Stehen versteiften Glieder; und wenn ich in dem ungewissen Dämmerdunkel des Zimmers auf die Schränke und Lehnstühle starrte, so schienen sie sich zu regen und die alten vermorschten Kugel- und Löwenbeine zu heben. Dann wieder kam ein Geraschel die Tapeten herab und ein leises Geriesel hinterher, dann knisterte es in den Ecken mit Papier, dann tappte es im Schlafzimmer auf dem Fußboden, dann war wieder ein Gepolter in den Räumen über mir oder ein Geräusch wie von leise schlürfenden Schritten. Ich versuchte zu schlafen; allein kaum hatte sich ein leichter Nebel um meine Sinne gebreitet, so riß mich ein neues seltsames Geräusch wieder zum Lauschen empor. Manchmal war es mir, als höre ich draußen leise Schritte im Gartenkies und flüsternde Stimmen. Mir fiel meine große eiserne Kiste ein, mit den unzähligen Papieren, die vielen Wertgegenstände, die in den Zimmern zerstreut waren, und zugleich die einsame Lage des Hauses. Einmal stand ich auf und sah in den Garten hinaus, der im dunstigen Mondlichte dalag. Es war nichts zu sehen als der einsame Mondschein und die tiefschwarzen Schatten der Bäume. – Wenn ich sonst nichts vernahm, so war immer das unablässige Ticken der unzähligen Uhren da: ich bereute jetzt, daß ich sie alle aufgezogen hatte. Von der Diele tönte der kräftige Pendelschlag der Wanduhr und im Zimmer tickte es unentwirrbar durcheinander, wie ein Geschwätz von vielen Stimmen. Es schien mir, als habe ich schon eine ewige Zeit schlaflos gelegen, und ich ließ meine Uhr repetieren. Sie schlug zwölf. Kaum waren die feinen Klänge verhallt, so fing eine alte ehrwürdige Uhr mit Alabastersäulen, die auf dem Sekretär stand, an zu knurren und zu murren, als halte sie dies für einen Eingriff in ihre Rechte, der Perpendikelschlag wurde ganz lautlos, als hielte sie den Atem an, dann schnurrte etwas in ihr und sie fing an, heiser und bedächtig ebenfalls zwölf zu schlagen. Aber eine andere kleine cholerische Uhr fuhr dazwischen mit hellem klingenden Schlage und ward noch eher fertig, als das alte würdevolle Gestell. Nun rief es dumpf wie aus weiter Ferne: kuckuck, kuckuck – zwölfmal. Dann fingen im Schlafzimmer zwei gleichzeitig an und liefen um die Wette, und als der Kampf noch nicht entschieden war, holte die alte Dielenuhr brummend aus und übertönte sie. Nach einer kleinen Pause kam noch eine hinterher mit scharfem, schnellem Schlage, als habe sie Versäumtes einzuholen, und dann blieb es still.

So oft ich auch früher die Geister- und Gespensterfurcht mancher Menschen belächelt hatte, in diesem Augenblicke fing ich an einzusehen, daß es Momente gibt, in denen der Mensch für das Uebernatürliche besonders empfänglich ist. Mit einem gewissen Schauder empfanden meine aufgeregten Sinne den Beginn der Geisterstunde. Ich ruhte zur Nachtzeit in den Räumen, die meine Tante täglich bewohnt hatte, und plötzlich nahmen alle Geräusche und Töne, die ich hörte, eine andere Deutung an. Im Schlafzimmer war es manchmal wie das leise Atmen eines Schlafenden; zuweilen fuhr ich im plötzlichen Schreck zusammen, denn es streifte mich ein Hauch wie von einer wandelnden Gestalt. Mir kam wieder in die Erinnerung, was ich in diesen Tagen schon öfter empfunden hatte, nämlich die außerordentliche Gleichartigkeit meiner Lage mit der Alexanders in der vortrefflichen Erzählung des alten E. T. W. Hoffmann: »Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde.« Wahrlich, es fehlte nichts, als daß die alte Tante des Nachts umginge und an ihrem Medizinschrank mit Gläsern klapperte, um die Aehnlichkeit vollständig zu machen. Endlich machte doch die Uebermüdung ihre Rechte geltend und ich verfiel in einen Halbschlaf aus Traum und Wachen gemischt, der vielleicht eben zum wirklichen Schlaf werden wollte, als das leise Knarren einer Thür und ein Lichtschein, der an die Wand fiel, mich jäh wieder weckte. Mein Herz, wie von einer eisigen Kralle gepackt, zog sich krampfhaft zusammen, als ich sah, wie die Thür nach der Diele leise und vorsichtig sich öffnete und der hereinfallende Lichtschein sich verstärkte. Dann kam eine helle weibliche Gestalt in einem Nachtgewande zum Vorschein, die eine Blendlaterne in der Hand trug. Sie lehnte vorsichtig die Thür wieder an und ging mit lautlosen Schritten quer durch das Zimmer zu einem kleinen Wandschrank, der unverschlossen war. Sie stellte die Laterne auf ein Pult, öffnete den Schrank und dann hörte ich ein leises Klingen und Klappern wie von Glas. Plötzlich rutschte der Stuhl, auf den ich meine Hand gestützt hatte, aus und gab ein lautes Geräusch, ich sah die Gestalt, ein junges schönes Mädchenantlitz, von der Laterne scharf beleuchtet, mir zuwenden, dann ein Schrei, ein dumpfer Fall, ein Gepolter der stürzenden Laterne, ein unterdrückter Seufzer hinterher und alles war dunkel und still.

Ich sprang eilend vom Sofa und machte Licht. Das junge Mädchen lag lautlos da und regte sich nicht. Ich beugte mich über sie und glaubte ein leises Atmen zu verspüren, es war also nur eine Ohnmacht. Anfangs war ich ganz ratlos und wußte nur, daß etwas geschehen mußte, aber die Verwirrung ließ mich zu nichts kommen. Endlich verfiel ich auf das Einfachste, nahm die junge Gestalt auf meine Arme und trug sie auf einen Lehnstuhl. Dann holte ich Wasser und spritzte es ihr ins Gesicht. In den Zwischenpausen riß ich so stark an der Klingel, daß der ganze Glockenzug mit Gepolter herabfiel. Die alte Haushälterin kam scheltend und hustend über die Diele; mit verzerrtem Angesicht sah sie, was vorging.

»Was ist das,« keifte sie, »was haben Sie ihr gethan?«

»Sehen Sie denn nicht, daß das Fräulein ohnmächtig ist,« rief ich, »hier heißt es helfen und nicht schwatzen!«

Die Alte ging zu dem Wandschrank und fingerte zwischen den Gläsern, dann brachte sie ein kleines Fläschchen herbei und rieb mit dem Inhalt die Stirn der Ohnmächtigen.

»Wie kommt das Mädchen hierher,« fragte ich, »zur Nachtzeit?«

»Es ist meine Nichte,« sagte die Haushälterin. »Heute nacht kam mein altes Asthma und die Frau Geheimrätin hatten ein Mittel dagegen in diesem Schrank. Und als ich so in der Angst lag, da erbot sich das junge Ding, hinzugehen und das Mittel zu holen. Wenn ich 's doch nicht gelitten hätte! Was haben Sie mit ihr gemacht, was haben Sie ihr gethan?«

»Sie muß geglaubt haben, einen Geist zu sehen,« sagte ich, »sie schrie auf und fiel hin in einem Moment.«

»Ja, ja,« sagte die Alte, fortwährend reibend mit unheimlichem Ernste, »die Frau Geheimrätin gehen um, sie haben keine Ruhe in der alten Kapelle. Ich höre sie oft des Nachts leise einhergehen, wie früher, wenn sie nicht schlafen konnten. Ich habe sie auch schon oft gesehen, sie nickten mir zu mit dem blassen Gesicht, dort aus der Ecke vorgestern abend, aber ich fürchte mich nicht,« kicherte sie, »habe die Frau Geheimrätin so lange gekannt. . . . Das arme Ding, wie sie sich erschrocken hat. Margarete, mein Kind, wach auf, komm zu dir, es ist ja niemand mehr da.«

Die Wangen des Mädchens röteten sich langsam, die Atemzüge verstärkten sich; und da ich fürchtete, daß mein Anblick ihr in dieser Lage peinlich sein würde, ging ich in das Schlafzimmer. Bald hörte ich die sanfte Stimme der Erwachenden, aber ohne zu verstehen, was sie sagte, dann zogen sich beide wieder in ihre Räume zurück.

Das Geheimnis des Hauses war auf eine seltsame Weise gelöst und zwar nicht zu Gunsten meiner Nachtruhe; – erst am frühen Morgen fiel ich aus einem unruhigen, oft unterbrochenen Traumschlaf in festen Schlummer.

III.

Als die Alte mir am Morgen den Kaffee brachte, hatte sie etwas Lauerndes; ich sah, daß sie mir etwas zu sagen hatte. Ich fragte sie nach dem Befinden ihrer Nichte.

»Sie ist schon fort, heute morgen abgereist,« versetzte sie schnell, »es war schon vorher so bestimmt, und da ihr der Schreck nichts geschadet hat, so ließ ich sie reisen.« Dabei spielte ein befriedigtes Lächeln um ihren alten welken Mund, und sie schielte mich von der Seite an, als wolle sie die Wirkung dieser Nachricht auf mich beobachten. Ich that ihr nicht den Gefallen, mich verwundert zu zeigen: »So?« sagte ich gleichgültig und vertiefte mich scheinbar eifrig in meine Zeitung.

Diese Nachricht berührte mich peinlich, denn ich muß gestehen, ich brachte das Bild dieses Mädchens nicht aus meiner Phantasie. Immer wieder fühlte ich die volle anmutige Gestalt in meinen Armen ruhen, immer wieder sah ich sie vor mir liegen, blaß, schön und hilflos, die eine schwere Flechte des dunklen Haares auf dem weißen Gewande ruhend. Alle die kleinen Anzeichen, die ihre Erscheinung eingeleitet hatten, und alle Phantasien, die ich daran geknüpft hatte, vereinigten sich mit der Wirklichkeit zu einem Bilde, das einen wunderbaren Zauber für mich hatte und nicht aus meinen Gedanken wich. Ich ging aus und streifte den ganzen Morgen im Tiergarten umher, allein das Bild und die Gedanken verließen mich nicht. Nachher stand ich zu Hause lange vor dem Lehnstuhl, ich rückte ihn mir zurecht, wie er in der Nacht gestanden hatte. Dann ging ich in den Garten und suchte die verblaßten Spuren in den Steigen wieder auf; ich kehrte ins Haus zurück und vergrub mein Angesicht in den duftenden Strauß, der auf meinem Tische stand. Darauf versank ich wieder in eine nachdenkliche Betrachtung des Lehnstuhls, als wolle ich seine verschollenen Formen und die verblaßte Farbe seines Ueberzuges für die Ewigkeit in mein Gedächtnis prägen. Ich glaube, kein Archäologe hat den Kaiserstuhl zu Goslar oder sonst eine historische Sitzgelegenheit jemals mit solchem Interesse betrachtet, als ich diesen alten wackeligen Lehnstuhl. Einmal war ich im Begriff, mich darauf zu setzen, aber ich that es nicht. Ich klingelte, denn ich empfand ein brennendes Bedürfnis, mit Brigitte über ihre Nichte zu sprechen; meine Seele sehnte sich nach Details. Die Alte mit ihrem lauernden Gesicht und ihrem schleichenden Wesen benahm mir sofort alle Lust, und meine Absicht erschien mir wie eine Profanation. Ich geriet in Verlegenheit, da ich nun gar nicht wußte, was ich ihr sagen sollte. In meiner Verzweiflung beauftragte ich sie, mir bei der nächsten Gelegenheit Zigarren zu bestellen, obgleich ich wohl wußte, daß noch gegen neunhundert Stück vorrätig waren.

Gegen diesen Zustand mußte etwas geschehen. Ich erinnerte mich, daß der Boden bis jetzt meiner Generalinspektion entgangen war, und beschloß hinaufzugehen, indem ich bei meiner Vorliebe, in altem Gerümpel zu stöbern, hiervon eine Ableitung meiner Gedanken erhoffte. Als ich hinaufging, sah ich die Alte sich im Garten zu schaffen machen.

Wem aus seiner Kindheit noch ein Stück Bodenpoesie in Erinnerung geblieben ist, der wird verstehen, welchen seltsamen Zauber alte Rumpelkammern, Invalidenanstalten für pensioniertes Hausgerät und ausgediente Mäntel auszuüben verstehen. Auf diesem Boden, unter der Glut eines von flammender Sonne bestrahlten Ziegeldaches, war das Ideal eines solchen Gerümpelheiligtums zu finden. Ich bedauerte fast schmerzlich, hier nicht meine Kindheit verlebt zu haben. Weitläufig, winkelig, verbaut und verstellt von tausend sonderbaren Gegenständen – mit dunklen, dämmerigen Ecken und kleinen plötzlichen Glasscheiben im Dach, die einen scharfen Lichtstrahl heraushoben, diese Einrichtung war märchenhaft. Meine Augen fielen auf zwei alte verstaubte Kisten mit schnörkelhaftem Eisenbeschlag, die meine Aufmerksamkeit erregten, und ich beschloß, sie näher zu untersuchen. Sie waren nicht verschlossen und der Inhalt bestand aus Büchern und Papieren. Alte vergilbte Manuskripte von der Hand meiner Tante, alte verschollene Gedichte, die sie abgeschrieben hatte, Gedichte mit kleinen niedlichen romantischen Gefühlen, die einst unsere Mütter begeisterten. Ich blätterte darin herum. Wie unersprießlich und verschimmelt erscheint die Poesie der Tagesmode nach fünfzig Jahren. Dann kamen unzählige Taschenbücher, die Vorläufer unserer illustrierten Journale, mit süßlichen Kupferstichen und mit Altären, Kränzen und Genien auf dem Titelblatt. Als ich so zwischen den Iris, Iduna, Euphrosyne und wie die Titel dieser Taschenbücher nun alle hießen, umherstöberte, hörte ich plötzlich den Schritt der Alten auf der Bodentreppe. Ich saß hinter einem Ofenschirm außer Dienst und zwischen einigen quiescierten Lehnstühlen auf einem Kasten und konnte ungesehen durch ein großes Mottenloch hinauslugen. Sie kam die Treppe herauf und ging quer über den Boden zu der Thür eines Mansardenzimmers, die mir bis jetzt noch nicht aufgefallen war, da alte Schränke, die daneben standen, ihren Schatten auf sie warfen. Sie verschwand hinter dieser Thür und plötzlich zuckte ich zusammen, denn ich hörte eine Stimme, deren Klang mir von der letzten Nacht her nur zu wohl im Gedächtnis haftete. Das junge Mädchen war noch hier, und die Alte hatte es verleugnet. Was war für ein Grund vorhanden, dies Mädchen in so geheimnisvoller Weise zu hüten und zu verbergen wie einen Goldschatz?

»Der Zug geht morgen um sieben Uhr,« hörte ich Brigitte jetzt sagen, »den Wagen habe ich schon bestellt.«

Die Thür war nicht ganz geschlossen und ich konnte, wo ich saß, jedes Wort verstehen.

»Warum soll ich denn aber so plötzlich fort,« sagte das Mädchen, »und warum muß ich heute hier oben eingesperrt sitzen und darf nicht hinunter? Ich bin jetzt wieder ganz wohl und es ist so öde hier, ich mag nicht immer den alten Giebel vom Nebengebäude ansehen.«

»Kind, du verstehst das nicht – und dann habe ich ihm gesagt, du seiest schon fort – wenn er nun dich doch sieht, was soll er von mir denken?«

»Aber ich verstehe es gar nicht, ich verstehe es durchaus nicht, weshalb er mich nie sehen sollte. Er hat doch so ein gutes Gesicht und so freundliche Augen« (wirklich, das sagte sie), »was sollte er mir wohl anhaben, ich glaube, der kann keinem Kinde etwas zuleide thun. Und kennst du ihn denn – du denkst dir doch nur, daß er so schlecht ist.«

»Du bist ein junges, unerfahrenes Ding,« schalt die Alte, »und kennst die Männer nicht. Selbst den guten soll ein junges Mädchen nicht trauen, wenn es arm ist und er reich, und wenn es umgekehrt ist, erst recht nicht. Die Armen angeln nach Gold und die Reichen nach Schönheit und Unschuld. Ich habe es gestern wohl gesehen, wie er mit den Augen dich nicht losließ, als du auf dem Lehnstuhl lagst. Heute morgen that er so gleichgültig, als er nach dir fragte . . .«

»Hat er nach mir gefragt?«

»Natürlich hat er, – und that so gleichgültig; allein mir macht er nichts vor. Ich habe ihm gesagt, du wärest abgereist.«

»Ich wäre so gern noch hier geblieben – es wird dir ja schon alles so schwer bei deinem Alter – und meine kleine liebe Ecke im Garten – laß mich doch bleiben, ich will mich auch nie sehen lassen, wenn er im Hause ist.«

»Nun geht es doch nicht mehr, da ich ihm heute das gesagt habe. Und wenn es auch ginge, ich leide es doch nicht. Warum hat die Frau Geheimrätin so ein verlassenes Leben geführt und ist einsam gestorben? Die Männer sind daran schuld. Wenn du die gesehen hättest, die hier im Hause aus und ein gingen, als sie eine blutjunge Witwe war, du würdest nicht mehr zweifeln. Und dann kam einer, der war anders als die übrigen, und die Frau Geheimrätin meinte das auch. Ich dachte, der könnte der Rechte sein, er hatte so etwas Gerades und Ehrliches und paßte auch von Größe, es hätte ein schmuckes Paar gegeben. Der war aber gerade der Schlimmste, er verstand nur sein Handwerk besser als die anderen. Als es herauskam, hat die Frau Geheimrätin sich's zu Herzen genommen, und so ist es gekommen, daß sie von den Menschen nichts mehr wissen wollte. – Es kann ja mal einer gut sein, wie dein Vater zum Beispiel, aber sicherer ist, man traut gar keinem.«

»Ich kann es nun einmal nicht verstehen und kann nicht denken, daß du recht hast,« sagte Margarete, »es mag wohl solche Menschen geben, aber daß er so ist, das kann ich nicht glauben. Wie traurig wäre es auf der Welt, wenn es nicht anders wäre, als du sagst. Mein Leben lang habe ich nicht geglaubt, daß es so viel Schlechtigkeit geben könnte – und du weißt von ihm nicht ein Beispiel zu sagen.«

»Ich habe lange genug in der Welt gelebt, um die Menschen zu kennen, und ich habe meine Augen offen gehabt. Er ist auch nicht anders als sie alle. Vor einigen Tagen stand er am Fenster, als er hier gerade im Hause war, und sah auf die Straße. Da kam da so ein leichtfüßiges Ding gegangen mit einer Musikmappe und mit langen, rotblonden Haaren, die so den Nacken herunterhingen, wie es jetzt die unordentliche Mode ist, so eine, die nach allen Männern sieht und die Augen vor und hinter sich hat. Die sah ihn am Fenster stehen und lachte ihn an, denn ein schmucker Mensch ist er, das muß man ihm lassen.« (Danke, alter Drache!) »Und er nickte ihr zu und lachte wieder, und sie sah sich fortwährend nach ihm um, und so nickten und lachten die beiden, solange sie sich sehen konnten. Ich sah alles recht gut, denn ich stand hinter dem großen Fliederbusch im Garten. Und den Tag darauf sah ich ihn mit dem hochbeinigen Ding gehen, und sie waren so laut miteinander, daß die Leute auf der Straße sich wunderten und ihnen nachsahen!«

Hiernach entstand eine kleine Pause, in der ich Zeit hatte, nach passenden Ausdrücken der Verwünschung für die alte Brigitte mich umzusehen, die eine unschuldige Begebenheit mit meiner kleinen rotblonden Cousine Hedwig, mit der ich auf dem harmlosesten Neckfuße der Welt lebte, also zu meinen Ungunsten ausnutzte.

»Wann geht doch der Zug?« fragte endlich Margarete mit gedrückter Stimme.

»Morgen früh um sieben Uhr,« sagte die Alte, »ich habe an deinen Vater telegraphiert, daß er dich von Waldenburg abholen läßt, denn allein darfst du mir nicht gehen.«

Dann öffnete sich die Thür wieder, die Alte schlurrte über den Boden und ging keuchend die Treppe wieder hinab.

Meine erste Regung war, hineinzugehen zu dem jungen Mädchen und mich zu verteidigen gegen die Vorwürfe, die man mir gemacht hatte. Aber die Scham über die Lauscherrolle, welche ich soeben gespielt hatte, und die Furcht, Margarete zum zweitenmal tödlich zu erschrecken, hielt mich davon zurück. Ein anderer Gedanke ging mir durch den Sinn. Ich stieg eilig und leise hinab in mein Wohnzimmer, indem ich unterwegs eine Thür im zweiten Stock mit Geräusch öffnete und schloß, um der Alten die Meinung beizubringen, ich habe mich dort aufgehalten. Dann holte ich das Kursbuch hervor und suchte Waldenburg auf. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß diese porzellan- und kohlenreiche Stadt Schlesiens mir damals ganz unbekannt war, dank einem wunderbaren Geographieunterricht, der mir sämtliche größere Nebenflüsse des Amazonenstroms und alle die buntscheckigen Staaten Amerikas nebst ihren bedeutenderen Städten unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt hatte. Es war eine Station der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn: der Personenzug ging um sieben Uhr morgens, und ein Expreßzug, der diesen in Sommerfeld einholte, um neun Uhr. Von Sommerfeld an Schnellzug, Ankunft in Waldenburg abends sechs Uhr fünfzig Minuten. Ich packte einige notwendige Gegenstände in einen kleinen Handkoffer und brachte diesen abends nach Dunkelwerden heimlich in einer Droschke nach dem Bahnhof, worauf ich in meine Wohnung zurückkehrte. Am anderen Morgen erwachte ich schon um fünf Uhr. Ich stand auf und vertrieb mir die Zeit so gut als möglich. Es war bereits lebendig im Hause. Ich hörte Thüren schlagen und die Alte auf der Vortreppe husten. Um sechs Uhr kam eine Droschke mit einem verschlafenen Kutscher und einem morösen Pferd angerollt und hielt vor dem Hause. Auf der Treppe ward ein leichter Schritt vernehmlich, eine wohlbekannte, anmutige Stimme schlug an mein Ohr, und dann trat die leichte Gestalt in einem grauen Sommermantel vor die Thür. Während der Kutscher verdrossen vom Bock kletterte und einen großen Reisekorb aus dem Hause holte, stand sie in dem verwilderten Vorgarten und ließ die Blicke wie Abschied nehmend über das Haus und die alten, morschen, mit Epheu besponnenen Mauern gleiten. Dann stieg sie ein, die Alte klappte den Schlag zu, der Kutscher schwenkte aufmunternd seine Peitsche und das alte würdige Pferd setzte sich in jenen Heucheltrab, durch den die Berliner Droschkengäule in geschickter Weise einen mäßigen Schritt zu maskieren wissen. Die Alte schaute dem Fuhrwerk befriedigt unter sanftem Reiben ihrer knöchernen Hände nach und kehrte in das Haus zurück. Um sieben Uhr brachte sie mir wie gewöhnlich den Kaffee. Ich lag auf dem Sofa, rauchte eine Zigarre und las eine Zeitung, scheinbar ohne mich weiter um sie zu bekümmern. Die alte Brigitte hatte heute etwas Wohlwollendes in ihrem Wesen, etwas übertrieben Freundliches, das ihrem Gesicht einen Ausdruck gab, als wenn die Sonne auf altes Gemäuer scheint. Sie erkundigte sich nach meiner nächtlichen Ruhe, sie zeigte ein so unnatürliches Interesse für mein Wohlbefinden und legte in ihre Worte eine so unglaubwürdige Sanftmut, daß ich wohl bemerken konnte, wie befriedigt ihre Seele von dem Ereignis des heutigen Morgens war. Ich schmunzelte innerlich und schwieg. Als sie fort war, schrieb ich eine Karte an sie des Inhalts, daß mich Verhältnisse zu einer plötzlichen Reise nach Mecklenburg bewogen hätten und ich wohl in den nächsten Tagen nicht zurückkehren würde. Dann gegen acht Uhr zündete ich mir eine Zigarre an und ging, harmlos ein Liedchen pfeifend, wie zu meinem gewohnten Morgenspaziergang aus dem Hause. Ich steckte die Karte in den nächsten Briefkasten an der Ecke der Potsdamer Straße, nahm eine Droschke und fuhr nach dem Niederschlesisch-Märkischen Bahnhof. Eine Stunde später saß ich in dem Expreßzuge auf dem Wege nach Schlesien.

IV.

Man mag Berlin verlassen, von welcher Seite man will, immer wird man die Entsagungskraft und die landschaftliche Bedürfnislosigkeit des Volkes bewundern müssen, das verstand, in einer solchen Gegend seine Hauptstadt zur Größe und machtvollen Blüte zu bringen. Aus Ursache dieses Mangels an anziehenden Außendingen ward ich um so weniger abgelenkt von den Gedanken, die mein Inneres erfüllten. Ich war allein in meinem Coupé, und konnte ihnen ungestört nachhängen. Was nun werden sollte, hatte ich mir noch wenig überlegt. Das Abenteuerliche der Sache, der Reiz, der in der Befolgung eines plötzlichen Entschlusses liegt, hatten mich bis jetzt gefangen gehalten; in der Unthätigkeit der Eisenbahnfahrt erwachten andere Gedanken. Was bewog mich, diesem Mädchen, das ich nur zweimal flüchtig gesehen, das ich weiter gar nicht kannte, nachzureisen in die weite Welt? Warum war ihre ganze Gestalt für mich in einen so anmutigen Schein gehüllt, daß es beseligend war, nur an sie zu denken? Es war etwas wie eine sanfte Musik in der Erinnerung an sie, und diese zauberischen Töne wichen nicht von mir. Nichts von Leidenschaft, von feuriger Glut fühlte ich, es war mehr eine sanfte, eindringliche Wärme des Herzens, und wenn dies Liebe war, so war sie gekommen wie der Mond in der stillen Sommernacht. Mir fiel ein Lied ein, das ich früher oft hatte singen hören, und unaufhaltsam summten mir die Strophen durch den Kopf:

Nimmer weiß ich, wie's gekommen,
War es doch, als müßt' es sein,
Daß mein Herz du hingenommen –
Gar so heimlich schlich es ein.

So wie Blumen still erblühen,
Wie im Lenz ergrünt die Au,
Wie nach heißen Tages Glühen
Hold und labend sinkt der Tau.

Nicht bestürmt mich wild Verlangen
Glutenvoller Sehnsuchtsmacht! –
Wie der Mond kam es gegangen
In der stillen Sommernacht!

Immerfort zu dem Takte der Räder bis zur Selbstqual wiederholte ich diese Verse. Ich habe dies Gedicht nie für ein besonderes Kunstwerk gehalten, allein heute war mein Geist in der Verfassung, eine Fülle von poetischem Honig daraus zu saugen.

Trotz alledem mußte ich mich fragen, was nun werden sollte. Ich konnte die Antwort nicht finden. Jedenfalls wollte ich Margarete nicht aus den Augen verlieren. Wußte ich nur ihren Wohnort, dann konnte ich alles der historischen Entwickelung überlassen.

Unter solchen Gedanken und Ueberlegungen verging die Zeit. Der Zug rannte unaufhörlich durch den glühenden Sommertag, eine Wolke von Rauch und heißem Staub hinter sich lassend. Zuweilen eine Station mit kurzem Aufenthalt und einigen gelangweilten Müßiggängern, die auf dem Perron der Ankunft des Zuges entgegenbrieten; endlich, nachdem mir die Zeit schon etwas lang geworden war, kamen wir in Sommerfeld an.

Ich vermied es auszusteigen und bekam deshalb meine schöne Verfolgte nicht zu Gesicht. Die Weiterreise nach Waldenburg verlief ohne besonderen Zwischenfall. Mir pochte das Herz und eine eigene Beklommenheit bemächtigte sich meiner, als ich in den Bahnhof von Waldenburg einfuhr. Ich übergab meine Sachen einem Bediensteten des »Schwarzen Rosses«, der auf dem Perron dem Gästefang oblag, und mischte mich dann spähend unter den Strom der Aussteigenden und Empfangenden.

Es war ein ausfallendes Gedränge auf dem Bahnhof, es mußte ein Sängerfest in Waldenburg stattfinden, denn buntbeschleifte Männer stiegen in Menge aus und wurden herzlich empfangen. Ich verwickelte mich in eine solche Empfangsgruppe, wurde irrtümlicherweise unter dem Ausruf: »Mein alter guter Schulze« von einem jovialen Sangesbruder, dessen Unterscheidungsvermögen in einer gehobenen Feststimmung bereits untergegangen war, umarmt, und ehe diese Verwechslung sich aufklärte und ich von dem Verdacht, der alte gute Schulze zu sein, gereinigt war, hatte sich ein großer Teil des Publikums schon verlaufen. Da ich Margarete auf dem Perron nicht fand, eilte ich nach dem Ort, wo die Wagen hielten, und kam gerade früh genug, um sie auf einem leichten kleinen Einspänner die Straße hinabfahren zu sehen. Neben ihr saß ein alter Mann und führte die Zügel. Ein Wagen war jetzt nicht zu haben, wegen der festlichen Ueberfüllung; ein Müßiggänger, den ich fragte, ob er nicht den Einspänner oder seinen Besitzer kenne, belehrte mich mit großstädtischer Ueberlegenheit, daß man in einer so bedeutenden Stadt wie Waldenburg nicht jeden Menschen kennen könne. Zu Fuße nachrennen konnte ich dem Wagen auch nicht, und so blieb mir nichts übrig, als mich in das festlich geschmückte Waldenburg und in das überfüllte »Schwarze Roß« zu begeben.

V.

Die nächsten Tage vergingen mit vergeblichen Ausflügen in die Umgegend, insbesondere nach der Richtung, wohin der Wagen damals wahrscheinlich gefahren war. Es dauerte nicht lange und mein Beginnen erregte Aufsehen und erzeugte allerlei Vermutungen. Die einen hielten mich für einen Engländer, der sich zur Ausübung einer jener Schrullen, die als ein Privilegium seines Volkes angesehen werden, hier aufhielte, und ein anderer, der in mir einen Beamten der Geheimpolizei vermutete, erzählte mir unter vielem Lachen und in sichtlichem Triumphe über seine bessere Einsicht, die Geschichte einer tollen Wette, die der Grund meines Aufenthaltes in Waldenburg und meines auffallenden Betragens sein sollte. Als er dann mit einer geschickten Wendung auf die vorzügliche Einrichtung der preußischen Geheimpolizei kam und ich mich dazu schweigend verhielt, weil der Mann anfing mich zu langweilen, lächelte er bedeutungsvoll und verständnisinnig, und brachte als ein Mann von Welt das Gespräch auf ein anderes Thema.

Ich hatte allmählich alle Dörfer in der näheren Umgegend von Waldenburg unter Hilfe einer jener vorzüglichen Karten abgestreift, die dem preußischen Generalstabe ihren Ursprung verdanken, und nirgends hatte ich eine Spur gefunden. Des Suchens herzlich müde, dachte ich zuweilen schon daran, nach Berlin zurückzukehren und einfach meine Alte zu fragen. Da sie ihre Nichte in Sicherheit vor mir dachte, hätte sie gewiß kein Hehl aus ihrem Wohnort gemacht. Aber ich scheute diesen Weg, setzte mir noch acht Tage fest und suchte weiter.

Eines Tages war ich in Friedland, einem kleinen Städtchen, zwei Meilen von Waldenburg. Ich war mit der Post hingefahren und dachte meinen Rückweg zu Fuße über den kleinen Kurort Görbersdorf zu nehmen, den ich bis jetzt noch nicht besucht hatte. Nach diesem Dorfe führt ein näherer Weg durch die Felder von Friedland und über einen kleinen waldbedeckten Hügel, von dem man das in einem schmalen windgeschützten Seitenthale liegende Görbersdors friedlich vor sich liegen sieht. Ich beschloß dort die Nacht zu bleiben. Nachdem ich mir in dem überfüllten Gasthof mit Mühe ein Quartier gesichert hatte, machte ich mich nach meiner Gewohnheit auf, die nähere Umgebung zu durchstreifen. Treffe ich in einem kleinen Gebirgsdorfe einen Bach, so habe ich die Methode bewährt gefunden, seinem Laufe entgegen zu gehen. Fast immer führt dieser Weg zu anmutigen oder anziehenden Punkten. Eines der letzten Häuser im Dorf fiel mir auf, als ich vorüber ging. Es gibt Dinge, die in Einfachheit und Schönheit daliegen wie ein Gedicht. Man weiß kaum den Grund anzugeben, allein ein wohlthuender Hauch berührt das Herz, es ist die Vollendung in der Beschränktheit, die uns so angenehm erscheint. Und außerdem war mir immer, als habe ich dieses kleine Schindelhaus schon einmal gesehen, als sei ich schon einmal in den sauberen Steigen zwischen den duftenden Blumen gewandelt. Selbst der alte Mann, der behaglich auf einem kleinen Bänkchen vor der Thür saß und sein Pfeifchen rauchte, erschien mir so bekannt, daß ich mich noch einigemal nach ihm umsah.

Ich kam in die Felder und schritt den sanft ansteigenden gewundenen Weg entlang. Der Lauf des Baches war mir wie ein spielendes Hündchen zur Seite. Zuerst ging er rieselnd und plätschernd zu meiner Rechten über steinigen Grund neben dem Wege her, dann schwang er sich in großem Bogen zur Seite und nur an der gewundenen Erlenreihe im ferneren Wiesengrund konnte ich seinen Lauf verfolgen. Nun kam er wieder in neckischen Windungen näher und näher, zuweilen einen funkelnden Sonnenblitz zu mir herüberwerfend, dann in herzhaftem Lauf quer durch den Weg, wo er zur Linken eine Zeit lang sittsam im Grunde weiterrieselte. Dann verlor er sich seitwärts an den Fuß der allmählich sich verengenden Thalwand, durch dunkleres Grün seinen heimlichen Lauf bezeichnend. Das Thal geht in zwei Spitzen aus, denn ein waldiger Berg schiebt sich mit schmaler Waldzunge zwischen die Thalwände und drängt es in zwei scharf ansteigende Rinnen zusammen. Grün und geheimnisvoll wölbte sich der Wald über den Eingang des Weges. Mein Freund, der Bach, hatte sich in die Tiefe verloren und blitzte kaum hervor und rieselte verstohlen unter feuchtbemoosten Steintrümmern und dichtem Farnkraut. Doch je höher ich stieg den steinigen Pfad hinauf, je mehr näherte sich mir der plätschernde Gesell, und endlich liefen Weg und Bach friedlich in der Thalrinne nebeneinander her. Auf den Feldern hatte zuweilen ein Mensch in der Ferne gearbeitet, hier war ich mit meinem rieselnden Gefährten allein. Eine angenehme Kühle herrschte in dem waldigen Grund, das Singen der Nadeln kam aus der Höhe und mischte sich mit dem Geräusch des Wassers zu anmutiger Waldmusik. Wo die schmale Thalrinne eine kleine Biegung um einen vorgeschobenen Felsen machte und vor mir ein sonniges Plätzchen war, ruhte ich eine Weile. Der Bach, des einförmigen Laufes müde, sprudelte hier über den Weg und blitzte zwischen den zerklüfteten Steinen in vielen rieselnden Fäden hervor. Ich stand an den Felsen gelehnt und lauschte in die Einsamkeit hinaus.

Nachmittagsstille war ringsum, die Farnkräuter hielten wie Hände ihre gefingerten Blätter dem Lichte entgegen, auf den rötlichen Fichtenstämmen standen goldklare Harztropfen und der kräftige Sonnenduft der Tannen füllte die Luft. Ein Schillerfalter kam mit hastigem Fluge und glättete seine atlasglänzenden Flügel auf einem warmen Stein, wie im stolzen Behagen über ihre schimmernde Pracht. Mein alter Schmetterlingsjagdeifer erwachte plötzlich. Die Schillerfalter waren in unserer Gegend selten und gehörten zu den größten Schätzen einer Schmetterlingssammlung. Als Knabe hatte ich nie einen erwischt. Ich nahm meinen Sommerhut und schlich mich leise näher. Aber der Schillerfalter gehört zu den scheuesten und schnellsten Schmetterlingen. Kaum hatte ich mich ihm genähert, so hob er sich auf und schwang sich mit hastigem taumelnden Fluge vor mir her. Doch dort saß er wieder auf einem sonnigen Stein mitten im Bach, der hier in breiterer Fläche langsam einherzog. Ich tappte über hervorragende Steine, allein wieder vergebens. Ein zweiter Schillerfalter war plötzlich da, und die beiden umwirbelten einander eine Weile in der Luft und ließen sich weiterhin auf einem alten Baumstamm nieder. Mir war, als hörte ich jetzt leichte Schritte den Pfad herabkommen, allein in meinem Jagdeifer achtete ich nicht darauf. Schon hatte ich meinen Hut in der Schwebe über den beiden Tierchen und wollte sie eben bedecken, da stäubten sie zu beiden Seiten auseinander, und während ich ihrem aufsteigenden Fluge mit den Augen folgte und ihnen nacheilte, rannte ich fast gegen ein junges Mädchen, das eben, um eine Felsecke biegend, den Pfad herunter kam. Ich prallte freudig erschrocken zurück, denn in demselben Augenblick sah ich, daß es Margarete war. Sie stand erstaunt und verwirrt vor mir, eine dunkle Röte stieg in ihr reines Antlitz und ihre Augen suchten den Weg, den ich ihr versperrte.

»Margarete,« sagte ich, »endlich habe ich Sie gefunden, seit vierzehn Tagen suche ich Sie!«

Sie trat zurück und wurde nun plötzlich bleich, ihre Augen spähten ängstlich an mir vorüber.

»Ich habe Sie nun gefunden,« fuhr ich fort, »und lasse Sie nicht eher, als bis ich weiß, ob ich vergebens gesucht und gefunden habe oder nicht. Tag für Tag habe ich diese Gegenden durchstreift mit dem Gedanken an den Augenblick, der nun vor mir liegt, nun entfliehen Sie mir nicht, ich habe nur wenig zu sagen!«

»Was wollen Sie von mir,« sagte sie zitternd, »ach, lassen Sie mich gehen, ich muß nach Hause. Sie meinen es nicht gut mit mir. Warum sind Sie mir heimlich gefolgt . . . Meine Tante schrieb mir, Sie seien nach Mecklenburg gereist!«

»Ich habe nur eine kurze Frage an Sie, Margarete. Sie wissen, ich habe in Berlin ein großes, altes, einsames Haus und ich bin ganz allein darin. Mäuse, Motten und Rost verzehren es, der Garten ist eine Wildnis und Anmut und Ordnung sind längst entschwunden. Margarete, ich möchte, daß es anders würde, daß Leben und Freude wieder einzöge, daß Ordnung und Frohsinn darin walte. Doch ich allein kann das nicht vollbringen, und könnte ich manches auch, so würde die Einsamkeit doch bleiben. Ich habe Sie nun gesucht, liebe Margarete, um Sie zu fragen, ob Sie mir dabei helfen wollen, ob Sie es versuchen wollen, mit mir vereint dies zu erreichen!«

Ein Leuchten wie im Frühling, wenn Sonnenschein und Wolkenschatten wechselnd über das Feld ziehen, zeigte sich in ihrem Antlitz. »Wie soll denn das geschehen?« fragte sie zaghaft.

»Werde mein, Margarete, werde mein!« rief ich und ergriff ihre Hand und zog sie sanft an mich, »mit dir vereint soll es gelingen, und ein Leben soll es werden, schön wie die junge Morgenröte und heiter wie ein Frühlingstag!«

Ich hatte sie allmählich an meine Brust gezogen, und sie lag dort, und ein heftiges Weinen erschütterte den jungen Leib. Plötzlich schlang sie beide Arme um meinen Hals und sah mir unter Thränen lächelnd ins Gesicht: »Nicht wahr,« rief sie, »du bist gut und edel – und deine Augen können nicht lügen. Sage es mir und ich will es glauben und will dein sein – dein – dein!« Ich beugte mich zu ihr nieder, meine Lippen fanden die ihren und gaben die Antwort.

Noch liegt das Haus am Karlsbade öde und verfallen in seinem verwilderten Garten. Aber nun kommt die Zeit, wo es erstehen soll zu neuem Glanz und neuer Schönheit. Und so Gott will, soll ein neues Geschlecht aus ihm hervorgehen, das den Fluch nehmen wird von dem alten Hause und ausbreiten wird von ihm neuen Segen und neues Leben!