Arthur Schnitzler
Die drei Elixiere
Arthur Schnitzler

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Er litt unendliche Qualen; nie konnte er sich mit einem Weibe glücklich fühlen, da die Zweifel ihn peinigten. Er mußte immer an die anderen denken, die dieses Weib vor ihm geliebt, die es nach ihm lieben würde. Und diese große, ewige Lüge marterte ihn, ohne die es nie abging, daß alles dahingeschwunden wäre wie ein Traum, daß sie nun erst in seinen Armen wüßten, was Leben und Liebe sei. Sie logen ihm eine Vergangenheit voll Irrtümer vor. Ach! sie hatten niemand gekannt – sie waren betrogen worden – sie hatten sich selbst betrogen – sie hatten ihn, ja nur ihn gesucht und waren unsäglich glücklich, da sie ihn endlich gefunden. Er aber hatte keine Ruhe; er mußte es wissen, wer vor ihm angebetet, wer vor ihm geschwelgt hatte – und er erbebte unter der Antwort, die ihm stets zuteil wurde: »Ich habe alles vergessen . . . !« – Denn er empfand es in tiefster Seele: während sie so sprachen, zogen Bilder der Vergangenheit durch ihre Erinnerung wie durch die seine . . . Er wollte Gewißheit – und darum zog er in jenes alte Wunderland, den Orient, wo für die Poeten, diese Wunderkinder der Erde, noch immer märchenhafte Blumen blühen, deren Geheimnis keinem andern kund wird . . .

 

Und nach langen, langen Fahrten hatte er die Blume gefunden, aus deren Säften er das herrliche Elixier bereitete. Das barg eine wunderbare, tückische Kraft. Wenn ein Tropfen davon über die Lippen eines Weibes kam, so mußten sie ihm das Bild nennen, das eben in ihrer Seele aufstieg . . .

Wie freudig war er heimgekehrt – nun nahte seiner Zweifel und seines Elends Ende. – Und er eilte zur Geliebten. In das erste Glas Wein, das sie an die Lippen führte, mengte er einen Tropfen seines Elixiers – da versank sie in Träume und schaute ins Leere mit matten, großen Augen. Er aber fragte sie bebend: »Woran 119 erinnerst du dich?« – Und sie erwiderte: »An den großen blonden Mann, der mich geküßt hat, bevor ich dich kannte!« Da schauerte er zusammen – und er fragte nicht weiter; aber er verließ sie am nächsten Morgen.

Und schon die nächste Frau, der er sich nahte, wagte er nicht zu fragen, obwohl er ihr von dem verräterischen Trank ins Glas gegossen. Sie saßen zusammen; er sah sie lächeln wie jene andere, aber er fragte nicht – er wollte glücklich sein. Als er jedoch mit ihr in das dämmerige Gemach schritt, wo er selig werden sollte, und die Bäume des Parkes hereingrüßten und die Frühlungswinde wehten, da konnte er nicht länger an sich halten, und er sprach: »Woran denkst du –?« Sie lächelte sehnsuchtsvoll: »Ach, des Sängers denk' ich, der im letzten Frühling an einem Abend wie diesem unter den Bäumen des Parkes wartete, bis ich kam, um ihn zu herzen und zu küssen!« – Und wieder zuckte er zusammen und verließ sie. – Er fluchte dem Elixier, und ihm war, als wäre er mit allen seinen Zweifeln noch tausendmal glücklicher gewesen als jetzt. Mehr als einmal war er daran, den Trank zu vernichten, aber kaum hatte er den Trieb davongescheucht, so behütete er den Saft sorglicher als je zuvor. –

Und nun kam eine lange Zeit, da er ihn nicht brauchen wollte. Er lebte mit einer wunderbar schönen Frau zusammen, die zu ihm aufschaute wie zu einem Gott. Er sah, wie aus diesem Herzen alles weggeflohen war, seit er darin herrschte. Ein ungeahntes Gefühl der Sicherheit kam über ihn, und es kam die Stunde, da er sich sagte: »Nun darfst du wohl dein Glück versuchen!« –

Sie weilten in Venedig, am Strande des Meeres; eben waren sie von einer Gondelfahrt zurückgekehrt. Der blaue Mondglanz kam über das Bett geschlichen, und sie flüsterten jene alten, immer gleich süßen Worte. Auf dem Balkon stand noch der Tisch mit den Resten ihres Mahles, auch das Glas, aus dem sie, ohne es zu ahnen, jenen Tropfen geschlürft hatte, den er hineingegossen. Und er fragte sie lächelnd, siegesgewiß: »Wessen denkst du?« Und sie erwiderte, mit einem feuchten Schimmer im Blick: »An den dunkeläugigen Gondoliere, der uns zu unserem 120 Heim gerudert . . .« Da bebte er und eilte davon, tiefe Bitternis im Herzen . . .

Und weiter suchte er, in fiebernder Hast. Er wollte das reine, holde Wesen finden, das noch keinem gehört hatte vor ihm. – Und er fand sie. Sie war so jungfräulich, so ohnegleichen süß und wahr. Sie liebte ihn, und er verführte sie. – Es war eine Nacht, duftend von Frühling und Liebe. An seinen Lippen hing das Mädchen, und er fühlte, daß diesen Mund noch keiner berührt hatte vor seinem ersten Kuß. Und auch sie fragte er: »Mein geliebtes Kind, woran denkst du?« Und da schaute sie mit träumerischen Augen über ihn weg und sagte: »Ach, an den braunlockigen Jungen, mit dem ich im letzten Sommer an einem dämmerigen Abend auf der grünen Wiese gespielt und den ich so gerne geküßt hätte . . .«

Da löste er sich aus ihrer Umarmung und verließ sie, ohne sich mit einem Blick nach ihr umzuwenden.

Und nun zog er von neuem auf die Wanderung, denn er wollte einen anderen Wundertrank suchen, den er finden mußte, um glücklich sein zu können. Und er fand den besten, den gebenedeitesten. Wenn ein Tropfen davon über die Lippen eines Weibes kam, da hatte sie mit einem Male alles vergessen, was sie jemals erlebt – und der Mann, der an ihrem Herzen ruhte, war der einzige und erste für sie. Oh, wie ließ es sich nun wonnig lieben; es gab keine Schmerzen mehr, denn es gab keine anderen. Nun besaß er Weiber, die ihres Mannes nicht mehr gedachten, ja sogar solche, die ihres letzten Liebhabers vergaßen; nun schwelgte er in den Armen von Gefallenen, die sich ihres Verführers nicht mehr erinnerten, und er las sich Dirnen von der Straße auf, die, unter seinen Küssen wieder rein geworden, in neuen ungekannten Entzückungen lachten und rasten. Er war ganz trunken vor so viel Keuschheit, die ihm entgegenkam auf allen Wegen. Nun empfand er bei der Verworfensten, was ihm bei der Reinsten niemals geblüht: er bedeutete den einzigen, er war Er!

Er wurde stolz. Ihm war beschieden, was keinem vorher. Er hatte nicht, wie wir andern Unglücklichen es tun müssen, die 121 Küsse von anderen wegzuküssen, die Träume von anderen wegzuscheuchen; nie klangen die Seufzer der Erinnerung in die tiefen Atemzüge der Liebe – und so durfte er der einzige sein auf der Welt, neben den Einfältigen, für den es keine Eifersucht gab.

Aber niemals verriet er einer Frau sein Geheimnis; denn ein brennendes Weh erfaßte ihn, wenn er dachte, daß man ihn vergessen könnte, so wie die anderen um seinetwillen vergessen worden waren. –

Aber noch war er nicht völlig glücklich. Wohl gehörte ihm jedes Weib mit ihrer ganzen Gegenwart, mit ihrer ganzen Vergangenheit an, aber über die Zukunft war er nicht Herr. Freilich sagte ihm jede: »Ich werde dir für ewig angehören.« Aber das sagen sie ja alle, und auch den Männern hatten sie es zugeflüstert, deren Gedächtnis ihnen heute entschwunden war . . .

Da machte er sich aufs neue auf die Wanderung und suchte und suchte. Wieder streifte er in den Wäldern des Orients herum und suchte einen Trank, der ihm das letzte größte Glück geben sollte – die Gewißheit, daß nach ihm keiner mehr geliebt würde.

Viele Tage und Nächte dauerte seine Wanderung; endlich gewahrte er, versteckt im Walde und keinem sichtbar als ihm, die seltene Blume, in deren Saft das Wunder schlief. Freudevoll wie nie zuvor eilte er der Heimat zu.

Da wartete seiner ein holdes Kind, schön wie der Lenz, an der sein Herz hing, so heiß wie niemals früher an einem anderen Wesen. Ach! für sie war er ja in die Ferne gezogen; sie war es ja, die er fürs ganze Leben sein nennen wollte, und darum mußte sie ihm so gänzlich gehören wie keine zuvor.

Schon der erste Anblick hatte ihn berückt, da er sie an einem trüben Herbstmorgen auf der Straße traf. Und eine Begierde quälte ihn, so heftig wie bei keinem anderen Weib, das er je besessen, alles zu wissen, was sie früher erlebt. Und da hatte er ihr den ersten Trank gegeben. Und nun plauderte sie ihm vor. Da gab es viel zu hören, und er lauschte ihr mit Tränen des Zornes in den Augen. Und sie erzählte von jungen Burschen, wildlockigen Dichtern, eleganten Kavalieren, grauen Wüstlingen, denen sie sich hingegeben, wie ihr eben die Laune kam . . . Da wollte er 122 fast wahnsinnig werden, er konnte es nicht ertragen. Er wollte schreien vor Schmerz, und eilig gab er ihr den zweiten Trank, der sie alles vergessen machte. Da hörte er es nun. Nur ihn, immer ihn, seit Anfang aller Zeiten; ihn hatte sie geliebt, der sie in seinen Armen hielt und berauschte. Es gab nur einen auf der ganzen Welt – ihn, ihn! Sie war sein mit Leib und Seele. Aber es war ihm nicht genug – auch ihre Zukunft wollte er haben, und darum brauchte er jenen dritten Trank, ohne den es kein vollkommenes Glück für ihn geben konnte.

Und als er zurückkam, da gab es ein Wiedersehen voll überirdischer Seligkeit. In heißer Sehnsucht hatte sie sein geharrt, sie wollte vergehen in inniger Freude, da sie wieder an seinem Herzen lag. Und nachts, während sie schlief, nahm er mit fiebernder Hand das kleine Fläschchen, das er von der Reise mitgebracht, und goß ihr langsam zwei Tropfen auf die halboffenen Lippen, die noch feucht waren vom letzten Kusse. Und mit einem Seufzer der Erlösung sprach er vor sich hin: »Nun bist du für immer mein und wirst keinen mehr lieb haben können nach mir! Und jetzt erst gehörst du mir ganz!«

Die zwei Tropfen zerflossen langsam auf ihren roten Lippen. Er saß ihr zu Häupten, während sie regungslos weiterschlief, und er atmete den Duft ein, der um ihre Locken spielte.

Der Morgen kam, aber das geliebte Mädchen wollte nicht erwachen. Und wie er sich zu ihr niederbeugte und den blassen Mund küßte, überkam ihn ein Frösteln, denn der war kühl, so seltsam kühl . . . Und das süße Kind konnte keinen anderen mehr lieben nach ihm – denn es war tot! 123

 


 


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