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Johannes Schlaf

Frühlicht

An den himmelhohen Mauern nieder, durch das Fenster, zwischen den Gardinen das erste Morgenlicht.

Leise. Grau. Tot.

Hoch oben das arme Bißchen Himmel und die drei Sterne.

Und ich liege und brüte und würge an meinem blöden Leid.

Dich will ich! dich! ...

Und mein Wille und meine große Pein schreit in mir: dich will ich! dich! dich!

Nichts ist in der müden Welt als das Grauen und der Zweifel.

Und du und ich. Du und ich und unsre Sehnsucht.

Und unsre Sehnsucht will neuen Anfang. Unsre Sehnsucht, die nie sterben kann! Nie! –

Wo bist du?! Wie halt ich dich?!

Ich schreie nach dir durch meine einsame, einsame Nacht!

Meine Sehnsucht wird Angst und meine Angst wird Grimm!

Gieb dich mir!!

Du mußt dich mir geben!! Mußt!!

Wo bist du?!

Überall, überall bist du und überall flirrt meine Sehnsucht an dir hin.

Mit hundert dummen Masken hast du mich den Tag über geäfft.

Warum?

Du warst die Kinder, die am Brunnen Ringelreihen spielten. Und wie sie sangen und jauchzten, Wahn, ganz junger, seliger, helläugiger Wahn, da, einen Augenblick, hielt ich dich.

Aber hinter hundert thörichten Masken verlor ich dich wieder.

Alt, runzlich, gebückt, niedergezwängt von stummen Qualen wanktest du an mir vorüber. Verkrüppelt, häßlich, schmutzig. Du sahst mich an mit schielendem, ausweichendem Blick, mit feigem Haß, Stumpf, im Fron von taufend täglichen Hantierungen, in tausend Gestalten, sah ich dich keuchen und gegen deine Sehnsucht ringen. Du schaltst, logst, stahlst, beschimpftest Du verleumdetest, betrogst, weintest, lachtest, sangst und warst guter Dinge: und immer wolltest du dich um deine Sehnsucht betrügen. Deine Stimme war grell und ruh. Deine Geberden gemein und widerwärtig. Rauh deine Sprache. Und wieder sanft und mild und weich, und schwoll in köstlicher Fülle von deiner sehnenden Angst.

Hinter tausend dummen, thörichten Masken wolltest du dich vor mir verbergen.

Warum?

Meinen Augen bleibst du nicht verborgen.

Tief und scharf sehen sie in dich hinein und sehen deine suchende, hastende Angst und deinen Willen, der doch weiß, der ja doch weiß ...

Ach, warum sind wir so feig, du und ich?

Warum bin ich so feig?

*

Nächtig ist es überall und überall nur tausend irrende, grausige Fragen. Ach, ich kenne unsre Erlösung!

Denn ich sehe ein Licht, ein fernes Licht und höre einen Ton, von fern einen seinen, süßen Ton.

Irgendwo seh ich ein Licht, irgendwo hör ich einen Ton und irgendwo grollt ein Wille.

O, ich kenne unsre Erlösung!

Hier glimmt das Licht! In mir! In dir!

Wenn wir wollen, hellt es alle Nächte und gebiert Millionen freudiger Farben und Formen.

Hier lebt der Ton! In mir! In dir!

Und wenn wir wollen, so jauchzt er ungeahnte, nie gehörte Melodien.

Hier grollt der Wille! In mir! In dir!

Und er ist die morgenfrische Kraft neuer, junger, knospender Sinne.

In uns drängt das unermeßliche Glück einer Offenbarung.

Wann soll es hervorbrechen?

Wann lacht es unsre Feigheit zu Tode?

*

Weichst du mir aus? Weichst – du – mir – aus?!!

Wohin?

Komm! Komm mit!

Weit, weit durch die Nacht! Hinauf zu den Höhen!

Den Höhen! –

Ach, Hohn! Hohn! ...

Oben, hoch oben im weiten Zwielicht.

Hoch über den brausenden Wäldern, in der einsamen, schaurigen Frühe.

Hoch über den weißen, toten Nebeln, zwischen dem schwarzen, donnernden Grauen der Tiefen und den kalten, blassen Weiten.

Durch die frühlichtwitternde Öde geht ein Sausen, eintönig, ein weites, weites Sausen. Dumpf über Höhen und durch Schlünde.

Mein Gehör spannt sich ihm nach in alle Fernen hinein und meine Augen starren in weiter Angst und doch mit mutiger, wollender, zorniger Lust.

Mitten hinein in diesen furchtbaren Einklang.

Das ist die »Harmonie der Sphären«.

Die Harmonie! ...

Komm!

*

Dort oben die Himmel mit dem Wirrsal ihrer Weltenringe.

Ich fühle das eisige, tiefschwarze Grausen der endlosen Räume.

Ich sehe all' die gelben Welten und höre den gräßlichen Tumult ihres Umlaufs. Jahre, Jahrzehnte, Jahrtausende und Jahrmillionen in die Unendlichkeiten hinein das gleiche und ewig gleiche kalte, blöde Sausen ihrer Bahnen.

Feuer, Wasser und alle Elemente, werdender Weltenstoff in den unerhörten Empörungen seiner zahllosen Bildungen. Wogen als weltenweite Nebel, dichten sich und lösen sich wieder und härten sich zu Welten, zeugen, gebären und verschlingen sich wieder, rasen ewig zwischen Werden und Untergang.

Wozu?

Dieses Glitzerpünktchen zu erzeugen, das das erste Licht hier auf dem grauen Gestein weckt? Oder wozu? ...

Und hier, hier unten: immer der gleiche, tote Wechsel von Tag und Nacht, mit demselben Tumult tauber Farben, Formen und Töne? Und ...

Ach, alte Leier!

Soll ich dich wieder und wieder und noch einmal herunterleiern?

Dummes Rätsel! Dumme Zweifel!

Wissen wir nicht unser Glück?

Wissen wir nicht?

*

O, ich denke, ich sitze da oben unter meinem Buchenstamm und du bist bei mir. Und du bist in mir eine gelassene Ruhe.

Und du, meine Ruhe, mein Frieden, du: leise, leise machst du die taube Welt lebendig, und mit innerlichstem Jubel seh' ich, wie das Licht wird.

Hell, hell wird es in mir von dem lieben Getön eines erwachten Vogelliedes.

Durch die grünen Gründe flötet es herauf und jubelt in der Gewißheit des nahenden Tages.

Ich schlafe, schlafe nun mit weit offenen Augen und schlafend seh' ich mit weitoffenen, lachenden Augen die große Einheit, die alles ist, die wir sind, du und ich ...

Hinauf seh ich in die Höhe, hinein in die Breite, hinab in die Tiefe und sehe in mich hinein, wo das dreifach gedehnte einig ist, jetzt einig in einer friedevollen Einheit.

Und aus Schatten und Lichtahnungen werden Gedanken in mir und Lieder, laute, fröhliche, ausgelassene, stille, friedevolle Schlummerlieder.

Die sind nun meine Arme, meine weiten, riesenstarken Arme.

Mit denen will ich dich jetzt umfassen, und will dich an mein nun übermütiges, sonnenhelles Herz pressen. Mit denen heb' ich dich hinaus über den tausendgestaltigen Zwiespalt unserer Unrast, trotzig hinaus, hoch, hoch hinauf in einen goldigen, stillen Frieden, dich ...

*

Hier sitzen wir, du und ich, in Liebe eins, und spielen, und geben dem Getümmel der Welten einen Sinn, der uns genehm ist, und der untrüglichste, fröhlichste, ausgelassenste Wahrheit ist.

Aller Welten und alles Lebens Sinn ist er, dieser kleine, dumme Sinn, den unsere spielende Liebeskraft ihm giebt und mutig drängt er sich gegen das große, schaurige Rätsel, und so muß es uns Frieden lassen, dir und mir ...

So aber lacht unser Übermut und fabuliert:

Mit sehnenden und immer sehnenderen Bahnen kreisen die Welten, jede um einen Ursprung uranfänglicher Seligkeit und alle um einen, im ewigen Spiel ewigen Suchens, Findens und Verlierens.

Der blasse Mond, das stille, verlöschende Lichtwölkchen dort über den westlichen Wäldern, kreist um die mütterliche Erde in der Sehnsucht seiner Elemente nach aufflammender Vereinigung, und sie ist ihm unverweigerlich verbürgt nach unverbrüchlichen, mystischen Gesetzen.

Und die Erde um das liebe, gleißende Rund dort oben in der Sehnsucht ihrer Elemente nach aufflammender Vereinigung und sie ist ihr verbürgt unweigerlich nach den gleichen mystischen Gesetzen.

Der sehnende Zwang der Elemente aber dichtet sich in unergründlichen Mischungen, gestaltet sich und wird lebendig und seines selig-unseligen Geschickes sich bewußt in den unzähligen Generationen ungezählter Lebewesen.

In Milliarden von Krystallen formt sich ihre Sehnsucht und Seligkeit, in Kampf und Widerspiel, verfeinert sich zur ersten, dumpfen Lebensregung des Urschleims, wird Pflanze und Tier, wie die Zeitalter sich vollenden und das selige Ziel sich nähert.

Und das Tier wurde im Kreislauf der Entfaltungen erlöst zur Klarheit über sich selbst hinaus im Menschen. Und wie die Jahrtausende sich runden, werden die Elemente im Menschen durch unzählige Zeugungen hindurch zu herrlichen Erlösern, mischten und dichteten sie sich zu Confuzius und Zarathustra, zu Buddha und Christus, und alle, alle verkünden den einen Trost vom lachenden Ende, das unsterblicher Anfang ist.

Und enger und sehnender treiben und ziehen sich die Weltenbahnen gegen ihren Ursprung hin.

Neue Unruhe neuen Werdens und Erkennens.

Feiner mischen sich die Elemente und der letzten, hastenden Unrast des Erstarrenden entblühen neue, wissendere Geschlechter.

Sinn und Trost letzter, wilder Leiden, gieriger Genußwut, dumpfer, gellender Verzweiflung tod- und friedereifer Geschlechter und Erkenntnisse ist ein neuer Held und Heiland.

Und der wird schön sein und sein wie ein hellenischer Gott, mit weiten Sonnenaugen. Sein mächtiges Gehirn wird alle Weisheit Buddhas umspannen. Klug ist er und beweglich, ohne Falsch, gut, mild, edel, sich selbst eine Lust, ganz freudige, selbstsichere Kraft. Alle Weisheit wird in ihm zur heiteren, spielenden Thorheit eines Kindes geworden sein. Und er wird der Kaiser sein, der Kaiser einer goldigen, verjüngten Zeit ...

Verstehst du mich? Dies große Lied und diese große Geschichte?

Unser kleines Lied und unsere kleine Geschichte ist das. Die lachende, lustige Geschichte von zwei Leuten, die sich lieb haben, von dir und mir. Und wir singen sie uns jetzt zu unserem Spaß so, und wenn wir wollen, werden wir sie morgen mit einem anderen Text singen ...

*

Ich denke, ich liege nun an deiner Brust und schlummere und bin einen süßen Tod gestorben.

Mein Blut ist nun das morgenfreudige Tosen deiner Wälder. Weitgedehnte, hohe, blaue Berge in hundertfacher, freundlich wellender Bildung, tiefe, breite, grüne Thäler, blitzende Flüsse und trommelnde, donnernde Wildwasser: das alles bin ich in dir.

Meine Gedanken sind sanfte, blinkende Tautropfen, kleine, liebe, rote Blumen und unermeßliche Himmelsfernen, die entstammen in goldblauem Glanz, dunkle Wettertannen und zirpende, flötende Vogellieder, jähes Gestein mit gleißenden Rissen, umgoldet von den erwachten Lichtern der Frühe.

Mich, mich selbst seh ich mit trunkenen Augen. Klar bin ich meiner selbst mir bewußt, und mystisch verhüllt ahn' ich mich mit erschauernder Sehnsucht in meiner Unendlichkeit, in dir, als du ...

*

Höher und höher hebt sich die Sonne über die blauen Wälder und wärmt und lacht und wärmt und zeugt.

Denn jetzt ist die urbestimmte Mischung der Elemente da, die, gewärmt und befruchtet von dieser Sonne und der Wärme dieser Sonnensphäre, den übermenschlichen Heiland zeugen und gebären.

Tiefes, tiefstes Geheimnis!

Und doch wie meine Hand hier auf der grauen Stammborke liegt, spür' ich es mit verstehenden, wissenden Schauern.

Und ich fühle, fühle, wie es unzählige Rinnen und Röhrchen und Poren öffnet, in Sehnsucht, in Sehnsucht der lieben Wärme entgegen, wie es giebt und aufnimmt in wonnigen Spannungen und Entladungen.

*

Und in mir habe ich jetzt den Trost einer unerhörten Selbstschätzung.

Meine Poren saugen die himmlische Glut ein und wie sie durch mein Blut schauert, weiht sie jetzt mich, mich zu dem Helden, der da ist und kommen soll.

Siegfried bin ich und schlage einen mächtigen, alten Lindwurm tot.

Vor mir, in mir krümmt und schlingt und windet er sich mit tausend klammernden Schwänzen und klaffenden Rachen, gebannt, gebannt von meinen lachenden Blicken.

Und wie er sich auch feige windet mit unzähligen, schlauen Listen, mir beizukommen: mir bleiben sie nicht verborgen.

Da oben das liebe Licht durchbebt mich mit einem innerlichsten, frohen Gelächter: und dieses Gelächter ist mein Schwert. Mit dem schlag' ich ihn tot, den alten, müden, verzweifelten Lügner.

Schon blinzeln seine hundert Äugelchen und immer müder werden seine Kreise und seine böse Kraft dämmert hinüber in den seligen Frieden der Einheit, der auch ihm bestimmt ist.

Mit tausend Klammern umpreßt er das arme, junge Leben, und die nennen sich ehrbar Gesetze, Institutionen, heilige Vermächtnisse, Staat, Kirche, Sitte, Ehre, Moral, Gott.

Schlau trennt er die Natur, die ewig ungeteilte, in Geist und Fleisch, Sünde nennt er die Liebe und Teufel das Weib.

Tausend schnörcklige Phrasen pfaucht und dunstet er mir ins Gesicht, bläst mir tausend verzwickte Neunmalklugheiten ins Ohr und hakt nach mir mit seiner gefährlichsten Tatze, die Gewissen heißt und Pietät.

Aber ich lache und lache nur, und vor meinem Lachen vergeht er in einen dummen, blöden Dunst, vor meinem unwissenden Lachen.

*

Und ich sehe in ein fernes Thal.

Da lacht im weiten Sonnenglanz ein schönes Wunderland.

Noch verhüllt, leise verhüllt.

Das ist das verlorene und wiedergewonnene Paradies.

Da gehen Hand in Hand Adam und Eva im gütigen Sonnenlicht an breiten klaren Wassern über smaragdene Wiesen.

Da gehen Hand in Hand, wir beide, du und ich, im gütigen Sonnenlicht an breiten, klaren Wassern über smaragdene Wiesen.

*

An den stillen Wassern gehen wir hin durch den Garten. Und wir sehen alles Getier, das in den Lüften lebt und im Wasser und auf der grünen Erde, und nennen es mit neuen Namen. Und wir sehen die Menschen, und über sie erlöst, nennen wir sie mit neuen Namen und haben an ihnen unser staunendes Ergötzen. Wir sehen Bäume, Sträucher, Kräuter und Blumen und nennen sie mit neuen Namen. Und Lüfte, Winde, Wasser, Sonne, Mond und Sterne nennen wir mit neuen Namen. Denn alles, alles ist nun anders geworden und neu, und du und ich, wir sind zwei dumme Kinder, die spielen und staunen, und gaffen und lernen ...

*

Du?!

Hörst du mich durch alle deine Masken, deine thörichten Masken?

Das ist das Lied unserer Sehnsucht und unserer Ahnung.

Trüb' noch, trübe und zag.

Aber ich weiß und will noch ein anderes. Das ist das letzte und höchste. Das kümmert sich nicht um Himmel und Rätsel. Das ist das Lied von den Nähen, das Lied von den enthüllten Nähen.

Wann wird seine Zeit gekommen sein?

Wann werden wir wollen?

Leise, leise kommt der Tag und mit ihm die Feigheit und die Angst und – der Zorn! –