Zur Zeit des Königs Nebukadnezar lag dicht an den Ufern des Euphrat in Borsippa bei Babylon der große Tempel Ezida. In prächtigen Terrassen voll dunkelroter Rosen stieg er empor bis zum breiten Dachturm, neben dem unter großem Purpurbaldachin der Oberpriester Belsarusur saß und die neuesten Tontafeln las; es waren alte Hymnen in sumerischer Sprache, die von jüngeren Priestern in der Tempelbibliothek abgeschrieben wurden – in Keilschrift – auf feuchtem Ton, der nach der Arbeit im großen Tempelofen gebrannt werden mußte. Der Ofen befand sich ganz oben unter dem obersten Dach des Tempels. Der Rauch stieg durch einen breiten Turm zum Himmel empor. Neben diesem Turm, der eigentlich ein Schornstein heißen konnte, saß der Oberpriester Belsarusur unter seinem purpurroten Baldachin.
Die Sonne stand schon tief im Westen. Der Oberpriester zog jetzt an einer langen Schnur, und es ertönte unten im Tempel eine Glocke. Zwei schwarze Sklaven kamen eilig herbei in gelben Röcken – mit rasiertem Gesicht, breiten Lippen und funkelnden Augen. Der blaue Himmel wirkte hinter den gelben Röcken unter dem Purpurrot des Baldachins sehr prächtig.
»Holt mir doch«, sagte der große Belsarusur, »den Priester Belikischa her; er muß unten am Wasser in der Bibliothek sein. Beeilt euch.«
Eilig stürmten die beiden davon.
Belsarusur saß auf seinem breiten Diwan in seinem langen weißen Rock und mit seinem Bart ganz still da und blickte geradeaus über den Euphrat hinweg ins weite Land hinein, auf dem die Abendsonne in die Kornfelder und in die grünen Wiesen hineinschien. In der Rechten hielt der Oberpriester eine braune Tontafel, die wie eine Tasche aussah.
Und dann kam der junge Priester Belikischa – bartlos – aber auch in weißem Gewande. Er verbeugte sich und stand ganz still. Aus dem breiten Turm qualmte brauner Rauch und stieg kerzengerade zum blauen Abendhimmel empor.
Belsarusur sagte mit scharfer Stimme:
»Ich verbiete dir jede Widerrede. Keine Silbe darf über deine Lippen kommen. Hier hast du eine Hymne an unsern großen Lichtgott Ninip abgeschrieben. Und es sind zwei Schreibfehler darin. Ich hörte, daß dir der große Tempel Esaggil bei Babylon noch ganz unbekannt ist. Du weißt nur, wie man mir sagte, daß man dort den großen Marduk verehrt. Du sprichst mit den andern Priestern nicht und weißt darum gar nichts. Und im Abschreiben bist du auch nicht groß. Diese Hymne an unsern Lichtgott hat zwei Fehler. Dafür will ich dich bestrafen – in furchtbarer Form. Du sollst fortan das erhabene Amt eines Schreibers nicht mehr verwalten. Ich will dich erniedrigen, wie du es verdient hast. Der Lichtgott Ninip soll dir in deinem Leben unvergeßlich bleiben. Und deshalb sollst du Lampenputzer werden – erbärmlicher Lampenputzer! Aber nicht hier bei mir – morgen bei Sonnenaufgang wirst du nach Babylon gerudert – zum Esaggil. Dort sollst du als Lampenputzer leben. Mach, daß du fortkommst, elender Lampenputzer! Pack die Tontafeln, die dir gehören, zusammen. Alles andere bleibt hier. Geh!«
Mit funkelnden Augen sah Belsarusur den jungen Mann an, in dessen Gesicht sich das furchtbare Entsetzen zeigte. Mit zitternden Knien schlich sich Belikischa fort, er stützte sich auf den Treppen immer wieder an den Wänden.
Aber Belsarusurs Gesicht verzog sich jetzt zu einem breiten Grinsen, und dann lachte er plötzlich kurz auf und strich sich wohlgefällig den langen schwarzen gekräuselten Bart.
Als Belikischa nach einer langen Zeit wieder in der Bibliothek anlangte, ging die Sonne unter. Belikischa sah in seinem kleinen Zimmer aus Miskanholz alle buntglasierten Tongefäße lange an, auch die farbigen Wolldecken und die beiden großen grünen Wasserflaschen. Dann packte er seine Tontafeln alle in Leinwandlappen und steckte sie in drei schwere Säcke. Da war's draußen ganz dunkel.
Und er ging hinaus zum Wasser; eine breite Steinmauer war davor. Man hörte das Wasser plätschern. Über dem Priester funkelten die Sterne des Weltenraumes. Und er warf sich auf die Knie, berührte mit der Stirn den harten Steinboden und flüsterte leise:
»Vergib mir, gewaltiger Ninip! Du Lichtgott, vergib dem Verbrecher! Ich weiß nicht, wie es gekommen ist. Ich habe deine Verse so lieb gehabt. Ich kann sie auswendig. Und doch – zwei Fehler in der Abschrift.«
Jetzt sprang er auf und breitete die Arme aus und sagte so leise, daß er selbst seine Stimme nicht hörte:
»Gib mir ein Zeichen, daß du mir vergibst!«
Da zog in der Ferne quer überm Horizont eine breite Sternschnuppe langsam dahin und erlosch ganz lautlos.
Dem Priester traten die Tränen in die Augen.
Er flüsterte:
»Ich danke dir, erhabener Lichtgott Ninip! Du bist mein Beschützer. Ich werde immer an dich denken, wenn ich die Lampen im Esaggil putzen muß.«
Hier brach er in ein klägliches Weinen aus. Und er fühlte, daß seine Wangen rot wurden vor Scham.
»Lampenputzer!« rief er ganz laut.
Und dann eilte er in sein Zimmer und warf sich auf sein Lager.
Und er träumte wüstes Zeug von Keilschrifttexten und brennenden Lampen. Diese Lampen flackerten immer heller, und er wollte sie auslöschen mit Keilschrift – Keilschrift in sie hineinschreiben. Doch sie brannten immer heller und heller. Und er schrie entsetzt auf – und da ging draußen die Sonne auf.
Er ging wieder zum Ufer. Da war auch schon das Ruderboot, das ihn nach Babylon bringen sollte. Er schleppte seine drei Säcke herbei und stieg ein und achtete nicht auf die prächtigen bunten Farben in den kleinen Wellen des Euphrat. Die Sonne ging auf in ungeheurer Lichtpracht. Und er achtete gar nicht darauf.
Als das Boot am Esaggil anlegte, stand die Sonne schon hoch. Mit gesenktem Haupt stieg Belikischa die Alabasterstufen empor. Da sah er plötzlich zehn Priester, die sich ehrfürchtig vor ihm verneigten. Er verneigte sich auch und war verwirrt.
»Was ist das?« dachte er. »Macht man sich über einen armen, erniedrigten Lampenputzer lustig? Will man mich verhöhnen?«
Die Herren aber blieben ganz ehrfürchtig und zurückhaltend und geleiteten den Belikischa viele Alabasterstufen hinauf und führten ihn oben in dem riesengroßen Tempel in ein kleines Zimmer, dessen Wände aus reinem Silber bestanden. Große, blau und grün glasierte Tonschalen standen neben einem Diwan, der mit Purpurstoffen bedeckt war. Eine Ampel aus bunten Steinen hing über dem Kopfende des Diwans. Und auf zwei kleinen Tischen lagen goldene Armspangen und goldene Ketten. Ein aus Elfenbein geschnitzter Schrank stand an der silbernen Wand. Und in dieser Wand waren kleine viereckige Löcher und davor buntes Glas, das man seitwärts schieben konnte. In jedem Loch befand sich eine kleine Öllampe aus glasiertem Ton.
Den ganzen Boden des Zimmers bedeckte ein Teppich, der aus schwarzen, blauen und grünen Fellen bestand. Und das Gitterfenster hinter einem großen Tisch aus spiegelblanken Achatstücken zeigte ganz Babylon, das bewegte Straßenleben der großen Stadt.
Belikischa glaubte, er träume.
Er sagte nichts, ließ sich schweigend umkleiden, mit gelben und blauen Gewändern umgeben – mit goldenen Armspangen und goldenen Ketten.
Die zehn Priester hatten sich verabschiedet. Zwei Tempelsklaven bedienten den Belikischa, und sie reichten ihm einen goldenen Becher mit Wein. Schweigend trank er den Wein und sagte:
»Wenn dieser Traum doch länger dauern möchte!«
Da öffneten die Sklaven hinten eine kleine Tür und schoben den Verwirrten da hinein.
Und da war er auf einer Galerie der großen Halle, in der das Standbild des Gottes Marduk aufragte – umgeben von fabelhafter Pracht – von Gold, Silber und Purpur – von glasierten Tonziegeln in allen Farben des Orients. Und große Schalen aus Chalcedon und Lapislazuli. Silberne und goldene Räuchergefäße mit allen Wohlgerüchen, die in Babylon zu haben waren. Das qualmte in seinen bläulichen Rauchwolken langsam durch die Gitterfenster durch.
Und – unzählige Lampen brannten – lauter ganz bunte – aus vielen bunten Gläsern zusammengesetzte.
»Die alle putzen!« dachte Belikischa.
Aber er sah, daß Tempelsklaven an den Gläsern putzten.
Belikischa ging die Alabasterstufen hinunter und warf sich vor dem Standbilde des Marduk auf den bunten Fußboden und berührte dreimal mit der Stirn den Fußboden und sah, daß er vor dem Gott aus blitzenden Rubinen und aus großen Perlmuttstücken bestand. Sehr fein geschnitzte wohlriechende Hölzer bildeten ein Geländer um den Gott. Und Purpurstoff bedeckte die Wände ringsum. Und die Wand hinter dem Gott bestand aus reinem Gold. Darin funkelten die bunten Lampen. Das furchtbar große Angesicht des Marduk leuchtete tiefbraun – und die Augen aus Glas funkelten im Lampenlicht.
»Ich danke dir, Ninip!« sagte Belikischa und wollte aufstehen. Dann berührte er nochmals mit der Stirn dreimal den köstlichen Fußboden und sagte:
»Vergib mir, Marduk, daß ich dich vergaß!«
Dann kam der Oberpriester. Und er begrüßte den jungen Belikischa voll Ehrfurcht und sagte ihm, daß er nun die Aufsicht über die Sklaven, die die Lampen putzen, übernehmen müsse.
Der Jubel erstickte die Stimme des jungen Priesters, daß er nichts sagen konnte.
»Es ist also keine Strafe!« sagte er zuletzt, als er wieder in sein Zimmer ging, zu einem ganz alten Priester mit weißem Bart.
»Eine Strafe«, rief der lachend, »soll unser größtes Ehrenamt sein?«
Als Belikischa allein in seinem Zimmer war, zog er an einer Schnur; eine Glocke ertönte in der Ferne, zwei Sklaven kamen. Und Belikischa bat um nassen Ton zum Schreiben.
Und dann blickte er durch die offene Tür hinaus und sah in das buntbewegte Treiben der Straßen von Babylon. Die Sonne stand ganz hoch. Er verspürte einen großen Appetit. Da fiel sein Blick auf babylonisches Zuckergebäck. Er aß davon und goß sich auch Wein in den goldenen Becher, der noch auf dem Tische stand.
Und dann blickte er wieder hinunter in die Straßen Babylons hinein, allwo viele Krieger in blanken, funkelnden Rüstungen dahingingen in gleichem Schritt.
Als der Ton kam, schrieb er rasch an den Oberpriester Belsarusur im Ezida:
»Ehrwürdiger Belsarusur, für Deine Strafe dankt Dir Belikischa, der Diener Ninips, des Lichtgottes. Hier ist es so herrlich, daß ich immer noch zu träumen glaube. Aber ich lebe, wenn Dich diese Tafel erreicht.«
Und sie erreichte ihn, und Belikischa bekam auch eine Tontafel von Belsarusur – in der stand:
»Bleibe so unberührt vom Leben, wie Du bis jetzt gewesen bist. Und Du wirst glücklich sein.«
Und dem Belikischa kam es immer wieder im Tempel Esaggil so vor, als träume er – als wäre all die Herrlichkeit nur ein Traum. Er sprach sehr selten und wurde sehr alt und blieb immer Aufseher erster Ordnung. Und die Lampenputzer gaben ihm niemals Anlaß zum Tadel.
Viele Hymnen schrieb der Belikischa – die meisten an Ninip, den Lichtgott.