Still war die Nacht. Die Sterne funkelten. Und große Pechfackeln qualmten auf den Dachterrassen der palmyrenischen Königsburg – in hohen Opferschalen, von denen jede von drei langen Speeren gehalten wurde; die drei Speere waren immer so zusammengebunden. daß sie ein festes Fußgestell bildeten – mit drei Füßen.
Neben dem einen dieser Gestelle stand der gewaltige Scharfrichter Aglibol. Nach altassyrischer Sitte trug er Haar und Bart gekräuselt; ein großes blankes Schwert blitzte an seiner Linken; es hing an einem Lederriemen, der seine linke Schulter umspannte. Ein gutmütiges Lächeln ging über seine breiten Lippen. Sein braunes volles Gesicht glänzte im Fackellicht.
Zum Henker Aglibol trat der Arzt Jaribol, der auch assyrisch frisiert war. Beide blickten schweigend in die große syrische Wüste hinein, und dann drehten sie sich langsam um und blickten nach Westen – zum Westmeere, wo die Sonne untergegangen war; man sah nichts mehr von ihr.
Die Christen schrieben das Jahr 269. Und Palmyra bildete ein mächtiges Königreich, das Zenobia, die große Königin, beherrschte – an Stelle ihres unmündigen Sohnes Vaballathus. Der Gatte der Königin war schon vor vielen Jahren ermordet. Niemand dachte mehr an ihn. Und sein Sohn blieb unmündig – sein ganzes Leben hindurch.
Zenobia jedoch liebte die Konfitüren und das gute Gebäck; ihr Küchenmeister Schemun spielte eine große Rolle am Königshof zu Palmyra.
Schemun kam weinselig lachend zu Aglibol und Jaribol und sagte:
»Die Sonne ist untergegangen. Die Königin Zenobia wird gleich aufstehen. Warten wir ab, was sie sagen wird. Die Nacht ist still. Wir verstehen hier jedes Wort.«
Und die Königin kam auf die Terrasse mit Tama, ihrer Lieblingssklavin.
Beide sagten gar nichts.
Da näherte sich langsam und ehrfurchtsvoll der Henker Aglibol der königlichen Majestät.
Aber die Königin warf sich mit finsterer Miene auf einen römischen Diwan.
Tama fächelte ihr kühle Luft zu.
Und die Königin Zenobia rief plötzlich ganz wild und heftig:
»Hau ihm den Kopf ab!«
Aglibol warf sich zur Erde und küßte den Steinboden der Terrasse, erhob sich und ging neben Rosengebüschen zurück zu Jaribol und Schemun.
»Kommt mit«, sagte er, »ihr habt gehört, was ich tun soll.«
»Hat sie den Namen«, fragte Schemun, »ganz leise gesagt? Wir haben den Namen nicht gehört.«
Aglibol antwortete nicht.
Sie kamen auf eine tiefer gelegene Terrasse, auf der sie nicht mehr gehört werden konnten.
Hier sagte Aglibol:
»Jaribol, dir soll ich den Kopf abhauen.«
»Du bist wohl«, versetzte Jaribol, der Arzt, »wieder berauscht. Ich werde dich kurieren, mein edler Freund. Zenobia hat keinen Namen geflüstert. Ich habe vortreffliche Ohren, höre jeden Laut. Tu hier nicht so wichtig.«
»Oho!« rief nun der Henker Aglibol, »die Königin hat den Namen nicht gesagt – also: dann kann ich doch dem den Kopf abschlagen, dem ich den Kopf abschlagen will – also auch deinen, mein lieber Freund! Mein lieber Leibarzt, du kannst mir leid tun.«
Da lachte Schemun.
Und der Leibarzt Jaribol lachte ebenfalls, daß ihm die Tränen in den gekräuselten Bart rollten.
Schemun sagte:
»Unsere Zenobia heißt die Konfitüren-Königin. Sie liebt aber die Männerköpfe noch mehr als das gute Gebäck. Wir sollten sie Männerkopf-Königin nennen. Ein Glück, daß sie kein Blut sehen kann.«
Da sagte Jaribol:
»Das ist wirklich ein Glück. Sonst würde Aglibol so oft zuschlagen, daß er Armschmerzen bekommen würde.«
»Fällt sie denn«, fragte Schemun, »immer in Ohnmacht, wenn sie Blut sieht?«
Doch da wurde es oben sehr laut. Sklaven stürmten treppauf und treppab. Und ein Sklave kam zu Aglibol und sagte hastig: »Die Königin hat einen Anfall und ruft nach dir – immerzu.«
»Sie ruft«, schrie Jaribol, »nach mir. Ich bin doch der Arzt. Der da schlägt hier nur alte Männerköpfe ab.«
Die beiden Herren gingen lächelnd zusammen wieder hinauf zur Königin, die noch immer auf dem Diwan lag. Als sie Aglibol und Jaribol erblickte, rief sie zornig:
»Eben Zwieback aus Damaskus gegessen mit sidonischer Erdbeerfüllung. Und – verfluchter Koch! – ranziges Öl war darin. Ausgespuckt hab ich alles. Wer hat gebacken solches Zeug?«
Jaribol sagte kalt:
»Das macht alles der Küchenmeister Schemun. Sonst ein so guter Kerl.«
Da rief die Königin sofort:
»Hau ihm den Kopf ab!«
Da nahm Aglibol sein Schwert, reichte es dem Jaribol und sagte:
»Schleife mein Schwert.«
Der fing gleich an mit einem dolchartig geformten Schleifstein das Schwert zu schleifen. Es rasselte nur so – durch die stille Nacht hindurch.
Nun rief aber die Königin, als Jaribol eine Pause machte:
»Ich will beim Kopfabhauen zusehen. Will sehen, ob ich noch ohnmächtig werde. Jaribol muß neben mir stehen. Während die Sonne aufgeht, wird's gemacht.«
Die Tama zwinkerte den Jaribol und den Aglibol mit den Augen an. Die beiden gingen langsam ab und schüttelten mit dem Kopf. Als sie Schemun wiedersahen, lachte der und fragte, was los sei.
Aglibol sagte weinerlich:
»Du hast keinen Grund zum Lachen. Du sollst bei Sonnenaufgang deinen Kopf verlieren.«
Schemun lachte abermals.
Da sagte aber Jaribol, der Arzt:
»Armer Freund, Königin will zusehen, will wissen, ob sie immer noch ohnmächtig wird.«
Nun war der Aglibol ein sehr gutmütiger Henker, und er schlug selten die Köpfe ab, die er abhauen sollte. Die Königin schaute ja nicht zu, und die anderen schwiegen – wie das Grab; ein gutmütigerer Henker regierte sehr selten in Palmyra.
Jetzt war der Gutmütige in der größten Verlegenheit.
Da kam aber die Tama zu den dreien und sagte leise zum Henker:
»Nimm ein Schaf, setz ihm Menschenkopfmaske auf und mach ihm Menschenleib aus Gewändern. Dem Schaf hau den Schafskopf ab. Dann denkt Frau Königin: Schemun ist auch wieder tot.«
Schemun fiel der Sklavin zu Füßen, küßte ihr ehrfurchtsvoll den Saum des Gewandes und weinte.
Da verschwand die Sklavin – lautlos, wie sie kam. Und sie lächelte.
Der Rat der witzigen Tama wurde beim Sonnenaufgang genau befolgt, und die Königin Zenobia fiel bei der Prozedur abermals in Ohnmacht; Jaribol, der Arzt, hatte viel Mühe, die königliche Majestät wieder zum Bewußtsein zu bringen.
Schemun war währenddem schon weit fort in einem Dorf nicht weit von Damaskus. Dort blieb er und trank auf Tamas Wohl so viel, daß er auch – ohnmächtig wie die Königin – in einen langen Schlaf fiel.
Tama jedoch kam abermals zu Aglibol und Jaribol und sprach:
»Ihr müßt machen heute abend Fackeltanz. Die ganze Leibwache muß mit Fackeln tanzen – drüben am Schloßteich, wo die Schwäne sind. Königin sitzt auf Thron so, daß großes Platz vor ihr ist. Nun müßt ihr zehn Sklaven wählen. Die so kleiden, daß man denkt, sie hätten den Kopf verloren. Ihnen Schweinsblasen mit Blut unter den Kleidern zu halten geben. Dann müssen die zehn, die auch Fackeln tragen, sich verbeugen und dabei aus Schweinsblase Blut rausspritzen lassen – aus Öffnung überm Kopf. Königin fällt wieder um. Sagt: das sind die Leute, die den Kopf verloren.«
Die Tama stammte aus Babylon und konnte noch nicht ordentlich palmyrenisch.
Aber Jaribol und Aglibol verstanden wohl und taten, wie die Listige sagte.
Und sie schickten auch Reiter aus, die den Schemun zurückbringen sollten – zur Tama.
Nun kam die nächste Nacht. Und die Krieger tanzten in ihren römischen Rüstungen vor ihrer Königin. Und da kamen plötzlich auch die Vermummten ohne Kopf – und als denen das Blut aus dem Rumpf spritzte und Ochsen- und Schafsblut den Thron besudelte, da fiel die königliche Majestät zum anderen Mal in Ohnmacht.
»Wer war das?« rief Zenobia weinend, als sie wieder zu sich kam.
»Das waren«, sprach hart der Aglibol, »ein paar von den Leuten, die in Palmyra den Kopf verloren.«
»War Schemun«, rief sie, »auch darunter? Oh – was gäbe ich darum, wenn er noch am Leben wäre!«
»Wie viel?« fragte Aglibol.
»Hundert Sekel!« erwiderte die Königin.
Da brachte man den Schemun – er lebte noch.
Aglibol schenkte die hundert Sekel der Tama und verließ den Hof der Königin von Palmyra schleunigst, Jaribol begleitete ihn. Tama verschwand mit Schemun zusammen.
Drei Jahre später führte man die gefangene Königin Zenobia im Triumphzuge durch die Straßen Roms.