Markttag war in Babylon.
Aus dem Innern Arabiens kamen viele Beduinen an mit prächtigen Pferden, die sie in Babylon verkaufen wollten.
Und Bauern aus der Umgegend wollten Stiere und Kühe verkaufen, andere hatten Schafe und Ziegen auf den Markt gebracht. Und Händler standen mit Ballen farbiger Tuchstoffe da. Andere handelten mit Alabaster, Achat und Lapislazuli. In einem Zelt aus roten Tüchern führte ein Schlangenbändiger seine zahmen Schlangen vor. Andere farbige Zelte standen daneben. Und viel Gemüse gab's und viele kostbare Hölzer, Miskanholz, Tapranholz und Pistazienholz, auch viel Fichtenholz.
Und die vielen Früchte des Orients machten das ganze Marktbild bunt.
Der König Kurigalzu (regierte um 1400 vor Christo) fuhr auf einem Streitwagen durch die Menge. Reiter mit langen Bronzespießen ritten vor und hinter dem Wagen. Des Königs Eunuchen folgten zu Fuß. Pferde wollte der König kaufen.
In der Mitte des Marktes war ein runder Raum durch grüne Tücher abgesperrt. Was hinter den Tüchern vor sich ging, konnten die Marktleute nicht sehen, denn die Tücher ragten sehr hoch in den dunkelblauen Himmel empor. Die Sonne war eben erst aufgegangen.
Hinter den grünen Tüchern arbeiteten zwanzig Tempelsklaven an einem seltsamen Gestell, das ganz rund war und auf zwölf Rädern stand. Die Räder befanden sich in einem großen Kreise, das Gestell konnte sich um sich selber drehen – um einen Mittelpunkt; es war ein Karussell.
Wunderliche Figuren standen daneben – aus bemalter Pappe. Es waren zwei Widder, zwei große Fische, ein großer Krebs, ein Löwe, eine weibliche Figur, ein Steinbock, ein Stier, ein Skorpion und mehrere männliche Figuren.
In zwölf Abteilungen war das Karussell eingeteilt. Und in jede Abteilung wurden nun die Figuren hineingestellt und befestigt. Dann wurden die Wände dieser Abteilungen mit rotem Tuch ausgeschlagen, und auch viel schwarzes Tuch brachte man an zur Verzierung. Und an dem schwarzen Tuch hingen kleine silberne Glocken. Die klangen sehr hell durcheinander, als die Tücher befestigt wurden.
Mit einem großen gelben Tuch wurde das Ganze gedeckt. Das ragte spitz in die Höhe. Auf der Spitze stak ein siebenzackiger goldener Stern.
Viele Priester vom Marduktempel Esaggil standen ringsum und sprachen über das Karussell. In dessen Mitte stand auch ein starker Schimmel, der das Ganze drehen sollte.
Und Saruto, der Oberpriester vom Esaggil, sprach zu dem greisen Priester Salmusin:
»Wir haben uns zur Anfertigung der Figuren viel ägyptische Pappe aus Theben schicken lassen. Und die Pappe ist gut bemalt. Die Figuren zeigen jetzt alle Farben des Regenbogens. Es ist auch viel Schrift darauf. Mit roter und schwarzer ägyptischer Tinte ist der Text aufgezeichnet. Es ist unsere älteste Keilschrift nachgebildet. Die Tierkreisbilder stellen die Figuren vor. Wir wollen das dem Volke zeigen, damit es eine Ahnung bekommt von der Bedeutung des Himmels, in dem alles, was auf Erden geschieht, vorgezeichnet ist.Die gesamten religiösen Anschauungen der Babylonier sind auf astrale Dinge zurückzuführen. Man vergleiche »Die babylonische Geisteskultur« von Hugo Winckler (Prof. an der Berliner Universität). Das Wichtigste ist immer wieder der Tierkreis. Daher die Einteilung des Jahres in zwölf Monate – des Tages in zwölf Doppelstunden, so daß jedes Ziffernblatt unserer Uhren ebenso auf den Tierkreis der Babylonier zurückzuführen ist, wie viele andere Dinge. Die heiligen Zahlen 5 und 7 sind in der 12 auch eingeschlossen (Seni im »Wallenstein«). Daher die Bedeutung des Pentagramms und Heptagramms, die beide auf alten Keilschrifttontafeln zu finden sind. Da die Babylonier vom Himmel nur die Bewegung von 5 Planeten und von Sonne und Mond bemerken konnten, geht auch sehr vieles auf diese 5 und 7 zurück. Marduk ist der Planet Jupiter. Da nun die ältesten religiösen Anschauungen immer wieder feststellten, daß die Erde ein Spiegelbild des Himmels sei, so versuchte man ganz naturgemäß, das Geschick der Menschen in den Sternen zu lesen, den König als Vertreter des Gottes Marduk göttlich zu verehren, das »Vaterland« als Abbild des Himmels zu schätzen usw. Die Astrologie ist demnach ganz anders einzuschätzen, als es bisher geschehen ist. D. Verf.
Das Volk soll auch eine Ahnung bekommen von den großen Tierkreisbildern, die dort oben ebenso in ihren Häusern stehen wie hier unten auf dem Markt zu Babylon.«
»Ja«, versetzte der greise Salmusin, »ich sehe, daß sich hier ein Unglück vorbereitet. Die großen Götter des Himmels werden nicht erbaut davon sein, daß sie jetzt auf dem Markte zu Babylon ausgestellt werden. Die Götter gehören in die Tempel, aber nicht auf den Markt! Ich verlasse dich noch heute. Mögest du dein Schicksal kennenlernen! Warum habt ihr mich nicht früher gefragt? Ich hätte euch gleich ganz offen meine Meinung gesagt. Ich gehe wieder nach Echulchul zurück – zum großen Mondtempel in Charran. Dort wird man hoffentlich noch nichts wissen von diesem Marktgottesdienst. Ich verfluche ihn!«
Salmusin hob die Faust drohend zum Himmel. Und seine schwarzen Augen blitzten den Oberpriester furchtbar an. Der war so erstaunt, daß er gar nichts zu sagen wußte. Dieser Angriff und dieser Fluch kam ihm ganz unerwartet. Er sah, wie der alte Mann mit dem sorgsam gekräuselten Haupt- und Barthaar, das schneeweiß vor den farbigen Tüchern leuchtete, langsam, auf einen langen Stab gestützt, in gekrümmter Haltung durch die Menge der Priester und Sklaven dahinschritt und hinter dem grünen Tuche, das die Priester den Blicken der Marktleute entzog, verschwand.
Die Worte des greisen Priesters hatte Sarutos Haarkräusler, der Tempelsklave Balu, gehört. Und der Sklave hatte sich jedes Wort gemerkt. Und er zitterte jetzt; er sah scheu die bunt bemalten Tierkreisbilder an – den Mann mit der Waage in der Hand, die Zwillinge und die Jungfrau.
»Balu!« sagte der Oberpriester.
Doch Balu hörte nicht, daß er gerufen wurde.
»Balu!« rief der Oberpriester laut und heftig.
Jetzt hörte Balu und fiel auf die Knie nieder und legte die Hand ans Ohr.
Der Oberpriester Saruto sagte:
»Ich will jetzt in den Tempel zurück. Bleibe du hier und sorge dafür, daß die Lampen alle vorsichtig angebracht werden. Des Abends, wenn die Sonne untergegangen ist, komme ich wieder. Der König Kurigalzu wird dann auch zugegen sein. Laß die Sklaven mit meiner Sänfte kommen.«
Die Sklaven kamen. Und Saruto wurde zum Esaggil getragen. Er blickte finster geradeaus. »Der alte Narr«, flüsterte er plötzlich, »versteht nicht, daß das Volk auch etwas vom Leben der großen Götter verstehen möchte. Der Kreislauf alles Geschehenden wird dem Volke jetzt wohl verständlich werden durch das, was ich geschaffen habe.«
Währenddem erzählte der schwatzhafte Haarkräusler Balu den Tempelsklaven alles, was der greise Salmusin gesprochen hatte. Und die ergriff alle große Furcht. Und sie erzählten alles weiter, so daß bald alle Priester, die in der Nähe des Karussells waren, wußten, was Salmusin gesprochen hatte.
Dann kam der Abend.
Und die grünen Vorhänge verschwanden. Und in den Häusern der Tierkreisbilder leuchteten unzählige kleine Lampen.
Aber alles war ganz still. Alles hatte Furcht.
Da wurden die Sterne des Himmels sichtbar. Und die großen Tierkreisbilder leuchteten auch am Himmel.
Der Schimmel setzte das Karussell in Bewegung. Die silbernen Glocken klangen unheimlich durch die kühle Nachtluft. Die Beduinen sahen mit großen Augen das sich langsam drehende Schauspiel an.
Der König Kurigalzu kam auch herbei auf seinem Streitwagen. Sechzig Pferde hatte der König des Morgens gekauft. Auf denen saßen jetzt die Offiziere der königlichen Leibwache. Diese sechzig Offiziere umgaben den Streitwagen des Königs. Der Oberpriester Saruto mußte dem König alles erklären.
Zum Schlusse sagte Saruto:
»Alle fünf Planeten, Sonne und Mond – die großen Götter des Himmels – sind dort oben im Himmel immer in dem einen oder dem anderen Hause der zwölf Tierkreisbilder. Und so auch hier. Wir haben die sieben äußerlich durch besondere Lampen gekennzeichnet – durch Lampen aus Lapislazuli, das mit Gold geschmückt ist.«
Der König nickte freundlich und fuhr dann, umgeben von seinen sechzig Offizieren, sieben Mal um das Karussell herum und begab sich dann wieder nach Babylon in sein großes Schloß.
Saruto ließ sich wieder zum Esaggil tragen, von wo er den ganzen Marktplatz überschauen konnte; er saß noch lange auf der Dachterrasse des Tempels und blickte zum Karussell hinüber – als alle Lampen längst verlöscht waren.
Saruto schlief ein.
Und im Traum hörte er das leise Klingeln der silbernen Karussellglocken. Ihn fröstelte, und er machte die Augen auf. Da sah er auf dem Markt einen hellen Feuerschein. Und die Flammen schlugen im Kreise nach allen Seiten.
Das Karussell brannte.
»Balu!« schrie der Oberpriester.
Balu kam und sah das Feuer.
»Der Schimmel dreht das Karussell!« schrie der Haarkräusler. Und dann stürmten alle zum Markt mit Eimern und Kannen und gossen viel Wasser in das Karussell, das man allmählich zum Stillstehen brachte.
Der Schimmel war gerettet, da durch sein Rundherumlaufen die Flammen immerfort zur Seite geworfen wurden.
Die Figuren aus Pappe waren sämtlich zu Asche verbrannt. Das Gestell mit den Rädern war ganz verkohlt. Von den Tüchern sah man nichts mehr.
Der greise Salmusin verließ gegen Morgen die Stadt und fuhr in einem Ruderboot nach dem fernen Charran zum Mondtempel Echulchul.
Der alte Priester sagte:
»Hab' ich's nicht gleich gesagt, daß ein Unglück entstehen wird? Ein Glück nur, daß der Schimmel nicht verbrannte.«
Wer das Feuer angelegt hatte, wußte niemand. Saruto war sehr traurig, bestellte aber in Theben sofort neue Pappe. Und ein Jahr später drehte sich ein neues Karussell auf dem Marktplatz zu Babylon. Das aber wurde des Nachts so sorgfältig bewacht, daß es noch nach zehn Jahren da war, als König Kurigalzu nicht mehr lebte und sein Sohn Burraburiasch regierte.