Zu jener Zeit, in welche die Dichter mit vollem Recht und Fug ihre Legenden verlegen dürfen, weil dazumal der Heiland und die Mutter Gottes noch ein Vergnügen hatten, die Menschen zu lenken – jungen Eltern gleich, denen die Kindererziehung noch Freude und Lust bereitet –, zu jener Zeit also stand abseits von der Heerstraße mitten im Walde ein weitläufiges, schönes Nonnenkloster von strengen Sitten, in welchem, fern vom Lärm und Hasten der Welt, die Nonnen ein beschauliches und ihrem himmlischen Bräutigam ergebenes Leben führten. Die Stille in diesem Kloster war eine so große und die einschläfernde Macht der Gewohnheit, unterstützt durch das gleichmäßige Rauschen des Waldes, eine so überwältigende, daß die Geißel an der Wand verstaubte und die frommen Frauen alt wurden und ehrwürdig dahinlebten, und daß eine Wolke der Heiligkeit über dem Kloster schwebte.
So ist es begreiflich, daß der Böse ein unabweisliches Verlangen fühlte, in diesem Kloster seine Künste zu probieren, und daß er der Madonna, als er sie einmal aus der Klosterpforte schreiten sah, in seiner Keckheit zurief, diese Burg der Frömmigkeit sei wohl auch nicht so uneinnehmbar, wie sie glaube.
Da sah ihn die Madonna mit ihren dunklen Augen – wie sie der göttliche Raffael uns überliefert hat – durchdringend an und sprach: »An der Schwelle dieses Klosters endigt deine Macht. Und so sicher bin ich meiner Sache, daß ich dir erlaube so lange darin zu verweilen, als ich hier ein Vaterunser sage.«
Der Böse erschauerte, da er den Namen ›Vaterunser‹ sprechen hörte, aber er faßte sich gar bald und entgegnete:
»Gut, ich bin mit dieser Erlaubnis zufrieden, verweile hier, und, ehe du dein Sprüchlein geendigt hast, will ich wieder bei dir sein und mich meiner Tat erfreuen.«
Und kaum, daß er es ausgesprochen, war er in ein altes, runzeliges Weiblein verwandelt, das an der Klosterglocke zog und hüstelnd im Tore verschwand.
Nun war gerade zu jener Zeit eine junge und ausnehmend schöne Nonne Pförtnerin geworden, Schwester Clarissa, die sozusagen ein Kind des Nonnenklosters war; denn man hatte sie als Säugling an der Klosterpforte, friedlich schlummernd, aufgefunden und erbarmungsvoll in den Schutz des heiligen Hauses aufgenommen. Hier wuchs sie in ihr Nonnenhabit hinein und war bisher ihren Pflichten so selbstverständlich und ohne Zweifel nachgekommen, daß die Oberin ihr den schweren Posten einer Pförtnerin übertragen hatte. Sie hieß also Schwester Clarissa und war blühender als je eine Nonne gewesen.
Nun, da es läutete, öffnete sie dem hüstelnden Weibe ihr Schiebfenster und fragte nach seinem Begehr.
»Die Oberin Berthilde vom nächsten Nonnenkloster schickt dies Gebetbüchlein der Pförtnerin Clarissa,« sprach das Weiblein, »daß sie es als Geschenk annehme. Aber, um sie von den Pflichten ihres Postens nicht abzulenken und als Erprobung ihrer Stärke gegen die Anfechtung der Neubegier wünscht sie, daß die fromme Schwester Clarissa das Tüchlein, drein das Geschenk eingepackt, nicht eher von dem Buche wegziehe, als bis der Mondschein durch ihr Fenster falle.« Sprach's, und ehe die Pförtnerin noch ein Wort antworten konnte, war die Alte verschwunden.
Der Böse stand aber gerade in dem Augenblicke wieder bei der Mutter Gottes, als diese ihren schönen Mund öffnete, um Amen zu sagen. Er machte eine höfliche Verbeugung, wie ein galanter Ritter, und dankte ihr mit einem höfischen Kratzfuß für die gütige Erlaubnis. Sein Werk sei vollendet. Die Madonna aber lächelte milde und sprach ihr Amen und schlug drei Kreuze. Da entlief der Böse mit lautem Geschrei. Sie aber machte sich auf und wandelte still ihres Weges.
Als nun das Abendglöcklein geläutet und das Tor des Klosters verschlossen war, bereitete die Schwester Clarissa ihr armseliges Nachtlager, entkleidete sich und nahm dann das Geschenk vor, als eben der Mond hell und träumerisch durch ihr Fenster leuchtete. Die ganze Stube flimmerte in weißem Silberlicht, so herrlich strahlte an diesem Abende der Mond vom gestirnten Himmel. »Ich hätte das Geschenk der Oberin zeigen sollen,« flüsterte sie in den Mondschein, »aber sie hätte es, fürchte ich, gegen den Wunsch der Spenderin im Sonnenlichte geöffnet! Ja, geöffnet! Ja gewiß,« beruhigte sie ihr ängstliches Gewissen, »und ich will es der Oberin gleich bringen!« Doch dabei nestelte sie schon an dem Tüchlein und da, o Wunder! lag das Gebetbuch vor ihr und leuchtete und schimmerte ihr entgegen, als wäre wahrhaftig ein Stück Mondes in das Tuch eingehüllt gewesen. Es war aber gar kein Gebetbuch, sondern ein Spiegel, den der schlaue Teufel in ihre Nonnenklause geschmuggelt hatte, und Clarissa hatte niemals einen Spiegel gesehen, da solch ein Werkzeug der Eitelkeit in einem Nonnenkloster unbekannt ist. Darum hielt sie das viereckige Stück leuchtenden Glases auch zuerst für den silbernen Beschlag eines wertvollen Buches, das sie morgen der Oberin übergeben müsse; als sie aber versuchte, es zu öffnen, und sich voll Neugierde darüber beugte, sah sie darin ein menschliches Gesicht, blühend schön und mit lachenden Augen, mit einem wißbegierig geöffneten Mund und bebenden Lippen, wie sie nie ein schöneres gesehen hatte. Das kurze Blondhaar flimmerte und schimmerte im Mondschein, als wenn es selbst aus Mondesstrahlen gesponnen wäre, und das Antlitz schaute sie mit kindischem Vergnügen an, da es sich bewegte wie ihr eigenes Gesicht, und lachte in den Spiegel hinein, zu sehen, ob es in dem Glase auch lache, und dabei vergaß sie ganz, daß sie damit etwas Sträfliches tue. Dann aber erinnerte sie sich plötzlich daran, wie sündhaft es sei, sich so am eigenen Gesichte zu ergötzen, und deckte schnell das Tüchlein darüber. Aber es ließ sie nicht in Ruhe. Denn das Bild, das sie gesehen hatte, war zu schön gewesen, als daß sie dem Zauber hätte widerstehen können. Sie lüftete das Tüchlein wieder, indem sie ganz laut vor sich hinsprach, daß dieses Geschenk ja von der bekannten und heiligen Berthilde stamme, die ihr gewiß nichts Unlauteres geschickt hätte! »Morgen früh geb ich es der Oberin,« sprach sie feierlich. Dabei lachte sie sich aber wieder mit glücklichen Lippen zu und nickte dem lieblichen Bilde im Spiegel freundlich entgegen und bewegte den Kopf hin und her und ordnete ihr Haar mit einem kleinen Seufzer, daß es so kurz sei. Und sie machte mit den Händen über den schönen, weißen Nacken eine streichelnde Bewegung, als fahre sie sich mit den Fingern durch dichtes Haar, als stelle sie sich vor, wie herrlich ein langes blondes Lockengewirr zu ihrem Gesichte passen müsse. Dann öffnete sie ihr grobes Hemd und sah nun die Herrlichkeit ihres weißen Busens im Spiegel und es war ihr, als ob die Mondesstrahlen jetzt noch heller leuchteten, weil sie sich mit dem blendenden Scheine ihrer Brust vermählten; und lachte, lachte laut vor sich hin!
So hatte sie an die ganze Welt und ihren himmlischen Bräutigam vergessen! Eine unbestimmte, drängende Sehnsucht war in ihr erwacht, daß sie lange mit dürstenden Lippen vor dem Spiegel saß und sich nicht satt schauen konnte. Denn wenn der Böse etwas unternimmt, das muß man ihm lassen, so tut er es ordentlich und keine Gesellenarbeit; so daß denn das fromme Gemüt der lieblichen Clarissa ganz verwirrt ward an diesem Abend und sie vom plumpen Kruzifix an der Wand das Kränzlein herabnahm, das sie aus dem Garten jeden Morgen holte, um ihren Bräutigam zu schmücken, und sich die schlichten Blumen in das Haar legte; daß sie den schwarzen Rosenkranz vom Bette nahm, ohne auch nur an Beten zu denken, und ihn um den weißen Hals legte, den Spiegel hin und her drehend, um nur ja keinen neuen Reiz ihrer Schönheit zu übersehen.
Es war eben ein teuflischer und kein gewöhnlicher Menschenspiegel, und ein so starker Zauber ging von ihm aus, daß, als der Morgen graute, das Gemüt der armen Nonne schon ganz verwandelt war und sie sich reisefertig gemacht und, ohne die Schwere ihrer Sünde zu empfinden, das Tor geöffnet hatte und daß sie einfach aus dem Kloster davonlief. Den Spiegel aber hatte sie in das Tüchlein eingeschlagen und trug ihn wie einen Schatz an ihrem Busen. Es war ihr, als ob der Spiegel sie in die Welt zöge, so lustig und glücklich hüpften ihre Füße den Weg in das Leben hinaus. Und sie eilte dahin bis in den leuchtenden Morgen.
Nun lebte zur selben Zeit auf seinem Schlosse Schwarzenburg, das prächtig und drohend auf einem waldigen Berge über ein ängstlich geducktes Dörflein gleichen Namens hinwegsah, ein melancholischer Graf Heinrich, der trotz seiner mannbaren Jugend von dreißig Jahren doch schon seit vielen, vielen schwarzen Tagen sein Leben abgeschlossen wähnte und in einer beklagenswerten Dürre des Gemütes sich für fertig und abgewirtschaftet hielt. Er war vor einigen Jahren noch einer der weltfreudigsten Ritter gewesen, der sich in Turnieren tummelte und die Farbe seiner Geliebten verteidigte, was nie ohne Sieg über den Gegner und das Herz der Erkorenen ausgegangen war; aber da er es vielleicht in diesen Jahren seiner strotzenden Kraft etwas zu sehr aus dem Vollen getrieben hatte, so war er bald in eine schwere und traurige Trübheit verfallen, in der er sich für ausgedorrt und jeder Erregung unfähig hielt, für einen Bankerotteur des Lebens und der Liebe, und hatte sich gekränkt und unhold auf seine Burg zurückgezogen, in das höchste Turmgemach, das er ganz schwarz hatte ausschlagen lassen. Hier saß er als ein Unnütz und Grillenfänger seine traurigen Jahre ab; doch war seine Melancholie nicht von der Art, die seufzt und betet, sondern er fluchte und war immerfort verdrießlich, so daß er eigentlich ein recht unlieber und abscheulicher Herr geworden war, der seinen alten seufzenden Diener quälte, daß es ein Jammer war. Wenn der ihn ob seiner Krankheit bedauerte, so fluchte er, und wenn er ihn nicht bemitleidete, so schimpfte er erst recht über Vernachlässigung, denn er hatte immerfort das Bedürfnis nach Martyrium, im Sommer, daß er schwitzen, und im Winter, daß er so frieren müsse, obgleich das Turmgemach während der heißen Monate recht angenehm kühl und im Winter so gut geheizt war, daß er wohl hätte zufrieden sein können. Hier oben saß er nun und war fest überzeugt, daß sein dürrer Stamm nun so langsam verdorren und nie mehr ein neues Reis ansetzen werde.
Oder war doch nicht so ganz überzeugt; darum wurden auch alle weisen Ärzte und Heilkünstler, deren man habhaft werden konnte, aus der ganzen Welt nach Schwarzenburg berufen und hatten sich nacheinander mit dem melancholischen Grafen eingeschlossen, um ihre Wunder an ihm zu probieren. Er war geschröpft worden, hatte allerlei Pillen und Pülverchen geschluckt, Kröten- und Eidechsenaugen zu Hunderten gegessen, trug Amulette auf der Brust in Lederbeutelchen und Leinwandsäckchen, daß kaum Platz für sie war und um seinen Hals von den hundert Schnüren, an denen sie hingen, sich mit der Zeit ein breites Halsband gebildet hatte, und alles dies, ohne daß seine verlorene Jugendkraft und Weltfreude sich neu eingestellt hätte. Und immer wieder, wenn eine Kur ohne Erfolg geblieben war, tobte er, daß man ihn hier oben verdorren und verfaulen lasse, daß kein Mensch sich um ihn kümmere und er elendiglich verrecken müsse als ein Auswurf der Menschheit, so daß sein alter Diener nur recht schnell einen neuen Arzt herbeischaffte, dessen Hokuspokus den Grafen wieder ein wenig aufheitere und neue Hoffnungen in ihm erwecke. Dabei war der melancholische Ritter, Gott sei Dank, bei recht gutem Appetit und war mit der Zeit da oben dick und schwammig geworden, was er freilich als Wassersucht aufgefaßt wissen wollte. Zu jedem Essen ließ er sich nötigen und drängen, und jeden Schluck Weins nahm er mit scheinbarem Widerwillen und schimpfend, daß man ihn verfolge, dann aber umso ordentlicher, so daß seine Mahlzeiten für einen melancholischen Grafen eigentlich recht genügend waren.
Gerade vierzehn Tage nun, ehe die liebliche Schwester Clarissa mit ihrem Spiegel aus dem Kloster entwich, war ein großer, berühmter Medikus auf Schwarzenburg gewesen, ein frommer und grundgelehrter Mann, der nicht wie die anderen mit Latwergen und Kräutern sein Heil versuchte, sondern der dem Teufel in dem traurigen Heinrich mit ganz anderen und wirksameren Mitteln auf den Leib rückte. Er hatte erst versucht, den bösen Verfolger durch Weihrauch auszutreiben, wobei er in dem Turmstübchen einen Qualm gemacht hatte, daß ihm sein Patient fast erstickt wäre. Dann hatte er drei Tage und Nächte lang die wirksamsten Gebete um den gerade dastehenden Heinrich herumgesprochen und ihn so gleichsam mit einem Walle von Heiligkeit umgeben, in dem es der Teufel gewiß nicht aushalten konnte. Aber als auch dies nicht flecken wollte, war er nach einer reichlichen Mahlzeit, die er sich wohl verdient hatte, einen Tag lang, in tiefes Nachsinnen und Brüten versenkt, dagesessen, um über den schwierigen Fall recht ordentlich zu meditieren. Endlich nach vierundzwanzig Stunden, weil er wohl wieder einen ordentlichen Hunger empfand, war ihm plötzlich die große Lösung der Frage wie eine Erleuchtung aufgegangen, und er erhob sich und legte seine Ansicht klar auseinander: daß nur ‹i›ein‹/i› Mensch auf dieser Erde den armen melancholischen Grafen heilen könne, und dies sei der heilige Vater in Rom. Zu dem müsse er pilgern, aber nicht allein, denn das sei zu einfach und könne daher die heilende Wirkung nicht haben, sondern es müsse sich eine reine Jungfrau finden, die in ihrer jungfräulichen Keuschheit ihn an die Stufen des heiligen Stuhles geleite, als Symbolum gleichsam, daß er sein früheres unchristliches und geradezu heidnisches Leben abgetan habe und nun wert geworden sei, wieder der göttlichen Gnade teilhaftig zu werden: denn es war gerade damals die Zeit, wo man gerne Jungfrauen zur Heilung aller möglichen Leiden benützte. Da nun der Arzt ein viel gewanderter und sehr gelehrter Heilkünstler war, so unterließ er es nicht, darauf hinzuweisen, daß auch ein anderer Ritter Heinrich von seinem Gebreste durch eine Jungfrau sei geheilt worden, wobei er sich, während der Diener ihm das Essen zutrug, kauend und trinkend in eine philosophische Auseinandersetzung über den verwunderlichen und höchst bemerkenswerten Umstand einließ, daß beide Ritter Heinriche waren, was vielleicht ein Zeichen Gottes sei und auf eine immanente Leiderwähltheit so benannter Menschen hinweise. Dann war er mit großem Aufsehen aus dem Schlosse geschieden.
Nun war es aber nach dem Abgange des berühmten Arztes mit dem melancholischen Heinrich rein nicht mehr auszuhalten. Die anfänglichen Heilmethoden des Doktors hatten den träge gewordenen Grafen recht angestrengt und in Schweiß gebracht, und seine Kehle war beleidigt von dem abscheulichen Weihrauch, da er um keinen Preis das Fenster seines Zimmers hatte öffnen lassen, von den dreitägigen Gebetumkreisungen fühlte er eine Art von Drehkrankheit, wie sie manchmal Schafe überfällt, und sein Magen war ausgedörrt wie ein Lederbeutel. Eine Woche lang brüllte er nun durch den Turm wie ein gereizter Eber, und ganz Schwarzenburg, Schloß und Dorf, zitterte vor Angst und Besorgnis, daß dem armen gnädigen Herrn nur das Essen gut behagen und der Wein und das Bier gut munden möge. Und nach allen Richtungen waren Boten nach einer sicheren Jungfrau ausgeschickt worden, die das beschwerliche Martyrium auf sich nehmen wollte, mit dem unholden Ritter gen Rom zu pilgern; der selbstverständlich zu einer Behandlung, bei der ein Weibsbild mitwirken sollte, kein großes Vertrauen empfand.
Indessen kam, da schon von allen Seiten die Boten mit leeren Händen zurückgekehrt waren, (weil jedes Mädchen, das seine Jungfrauenschaft beschwören sollte, entrüstet die Zumutung von sich abgewiesen hatte – mit dem unwirschen Grafen gen Rom zu pilgern) die holdselige Clarissa auf ihrer Wanderung bis gegen Schwarzenburg gepilgert. Ihr Nonnengewand war bestaubt und von Dornen zerrissen, so daß es gar nicht mehr als heiliges Gewand zu erkennen war, ihr Blondhaar war länger geworden und ihre Lippen wenn möglich noch blühender, weil ihr das Wandern in der frischen Luft wohlbekam und die bleiche Klosterfarbe einem frischen Rot weichen mußte. Sie hatte die ersten Tage ihrer Wanderschaft wie in einem Rausche verbracht, nur auf den Abend wartend, an dem sie ihr glückseliges Spieglein hervorholen und sich recht aus Herzensgrund an ihrem Anblick erfreuen konnte. Denn sie wußte in ihrer glorreichen Dummheit noch nicht, daß der Spiegel auch bei Tage imstande war, ihr Sehnen zu stillen, und kam erst am fünften Tage hinter dies Geheimnis, als sie ihren schneeweißen Leib in einem Waldbache gebadet hatte und ihn nun mit dem Tüchlein trocknete, das den Spiegel ansonsten verdeckte. Da sah sie nun im flutenden Sonnenlichte ihren Körper leuchten und merkte zu ihrer großen Freude, daß er ebenso wie ihr Gesicht bei dieser Beleuchtung noch viel schöner war als beim Mondenschein. Darüber freute sich das arme betörte Wesen nun umso inniger und dankte dem lieben Gott für das schöne und erquickliche Geschenk in stillen und herzlichen Worten, die sie zum ersten Male in ihrem Leben nicht aus dem Psalter, sondern aus ihrer reinen Mädchenseele hervorholte. Denn sie wußte nicht, daß der Böse ihr das freudenreiche Glas geschenkt hatte.
Und so wanderte sie als eine törichte Jungfrau mit dem Spiegel in der Hand durch die Auen, gleichsam ihrem reizenden Antlitz entgegen, das ihr immer freundlich zunickte und doch bei jedem Schritte wieder zurückwich, holdselig lachend und winkend; sie schmückte sich das Haar mit den Blumen, die sie auf den Wiesen pflückte, und sah so mit den roten Mohnblumen und blauen Cyanen im Haar aus, wie eine entzückende Prinzessin aus dem Märchen, die zum Reigen antreten will und dazu ein phantastisches Gewand angelegt hat. Und so verliebt war sie in aller Herzensreinheit und kindlichen Freude in das schöne Gesicht im Spiegel, daß sie ihn auch nicht senkte, wenn etwa ein paar Bauern ihr am Wege begegneten oder ein fahrender Geselle ihr entgegenkam, um mit offenem Munde dem lieblichen Wunder nachzustaunen. Sie war so über alle Maßen schön, daß keiner der Männer es gewagt hätte ihr nachzustellen, weil er ihr so lange nachschauen mußte mit offenen Augen, bis diese ihm übergingen und er die Lider senkte. Dann aber war das Wunder schon lange verschwunden, und er glaubte sicher geträumt zu haben; und wenn er ein Fabulant und Liedermacher war, setzte er sich hin und ersann gleich einen Reim auf den holdseligen Traum; so daß aus jenen Tagen eine ganze Zahl von Liedern stammen, die dieses wandelnde Wunder besingen: ›Tandarada, welches Wunder mir heute geschah!‹
Als sie nun also gegen Schwarzenburg gewandelt kam, hatte sich die Sonne eben zur Ruhe gelegt und der Mond war noch nicht aus dem Abendmäntelchen einer silberrandigen Wolke hervorgeschlüpft, so daß jene unbeschreiblich schöne Dämmerung herrschte, die ohne Schatten und ohne Glanz ist, und Clarissa endlich ihren Spiegel senkte. Sie trat in ein Haus ein und bat um einen Bissen Brot und einen Schluck Milch vor dem Schlafengehen. Der Bauer aber, bei dem sie eintrat, war einer von den Boten gewesen, die von der Jungfernsuche eben zurückgekehrt waren, und, ohne die holdselige Clarissa auch nur zu fragen, lief er spornstreichs aufs Schloß, so über jeden Zweifel sicher war er, daß jetzt die gesuchte Jungfrau von selbst gekommen sei, deren Erscheinen sie alle so sehnsüchtig erwarteten. Als er atemlos seine Botschaft auf dem Schlosse ausgerichtet hatte, erhob sich in dem abendlichen Schwarzenburg ein großer Jubel und Glückslärm, der fast den schnarchenden Ritter geweckt hätte, wenn er sich nicht einen so gesegneten Schlaf in seiner bösen Krankheit bewahrt hätte. Das ganze Gesinde und alle Dorfbewohner kamen in das Haus, in dem Clarissa mit dem Spiegel beim Fenster saß und im Mondscheine ihr Haar ordnete. Und ehe sie noch ein Wort hätte sagen können, wußte sie schon die ganze Geschichte von dem armen melancholischen Grafen, zu dessen Retterin sie vom Schicksale ausersehen war. Und, ohne daß sie sich dieses Gefühls ordentlich bewußt wurde, so rein und ohne Fehl war sie, freute sie sich doch, für ihre Flucht aus dem Kloster eine Art Buße auf sich nehmen zu können, und willigte ohne viel Fragen und Reden ein, mit dem kranken Ritter nach dem heiligen Rom zu pilgern. Und es war ein großer und aufrichtiger Jubel darüber in Schwarzenburg.
Schon am nächsten Tage wurden auf dem Schlosse mit großem Geräusch die Vorbereitungen zur Pilgerfahrt des melancholischen Heinrich in Angriff genommen. Und noch niemals haben Schneider und Schuster ihre Arbeit so rasch und prompt fertiggebracht und abgeliefert, wie nun für den Grafen, da alle eigentlich im innersten Herzen glücklich waren, den launenkranken Herrn auf so schöne und heilige Weise für eine Zeit los zu werden. Der aber jammerte jetzt um so mehr, da er sein Turmzimmer verlassen sollte, in dem er sich uneingestanden doch sehr wohlgefühlt hatte, etwa wie ein Junggeselle, der nicht duldet, daß sein Bett täglich aufgeschüttelt werde, weil er glücklich ist, sich eine behagliche Grube in den Strohsack gedrückt zu haben. Er seufzte und schimpfte ärger als ein Fuhrknecht und verfluchte hundertmal den Medikus, der ihm eine so beschwerliche Heilung vorgeschrieben hatte. Dabei überwachte er doch genau jegliches Stück seiner Reiseausstattung und gab den Schnitt seines Reisemantels sorgfältig an, puffte den Schuster, der es gewagt hatte, ihm ein Paar Bauernstiefel zu bauen, und rüstete sich überhaupt aufs allerbeste für die Reise, ohne auch nur mit einem Gedanken für die Jungfrau zu sorgen, die doch die gleichen Unbilden des Wetters und Beschwerlichkeiten der Wege aushalten sollte. Er bestellte ein Habit für Regenwetter und eins für Sonnenschein, Wettermäntel und eine Reisedecke, bis man ihm endlich bedeutete, daß ihn ja leider kein Diener auf dem Pilgerzuge begleiten könne, um die Sachen zu tragen. Das leuchtete ihm wohl auch ein, und so brachte man denn Clarissen einen Reisemantel, den der Graf für sich hatte fertigen lassen, damit sie sich darein kleide, und einen Pilgerhut, daß sie sich gegen die heißen Sonnenstrahlen Italiens schütze. Dann geschah eines Tages das Unerhörte, daß der dicke Ritter, auf die Schulter seines Dieners gestützt, die Treppen von seinem Turme herunterpolterte und in einem funkelnagelneuen Reisegewand im Schloßsaale landete.
Dorthin hatten sie auch Clarissa gebracht, daß sie den Grafen in Empfang nehme und mit ihm nach Rom wandere. Vorher, gleichsam als Wegzehrung, hatten sie aber dem Ritter eine Mahlzeit hergerichtet, die das Auserlesenste vereinigte, was je ein Rompilger geschmaust haben mag. Der unglückliche Heinrich saß nun in seinem Lehnstuhle und stopfte sich die Backen voll wie ein Hamster und merkte gar nicht, daß vor einem großen Wandspiegel seine Begleiterin stand, mit lachenden Augen ihr Antlitz und ihr neues Gewand bewundernd und ihren Spiegel hinter ihr Haupt haltend, so daß sie sich auch von rückwärts schauen konnte. Sie hatte kaum ihren Augen geglaubt, als sie beim Betreten des Saales an der Wand einen Spiegel gesehen, wahrhaftig einen Spiegel, nur daß er groß war und fest an der Wand hing. Und dieser große Spiegel machte ihr gleich den Saal vertraut, den Grafen wert und ihren Pilgerzug erfolgverheißend. Und so stand sie still vor dem schönen Spiegel und freute sich. Da sie nun der Graf, durch den Diener auf sie aufmerksam, erblickte, schlug er gleich derb mit der Faust auf den Tisch, daß die Teller tanzten und eine volle Kanne Weins überlief.
»Das kann eine schöne Reise werden,« fluchte er dann, »mit einem solchen eitlen Weibsbild zu wandern; verfluchter Medikus!«
Clarissa hatte sich umgewendet und sah ihn mit ihren holden Augen an, die jetzt, seit sie ihren Spiegel besaß, immer einen glücklichen Glanz hatten und vor Freude leuchteten, und sie kam nun, indem sie die Kutte, die ihren Leib umwallte, etwas hob und den viel zu großen Hut in den Nacken schob, auf den Ritter zugegangen, schön und neckisch, wie ein Fastnachtstraum, und setzte sich zu ihm. Dem blieb ob dieser zutraulichen Keckheit fast der Bissen im Hals stecken. Er mußte einen ordentlichen Schluck Weins zu sich nehmen, um ihn hinabzuspülen. Dann seufzte er tief auf, und endlich erhoben sich die beiden Pilger zu ihrer Wanderschaft. Und durch das Spalier der glotzenden Bauern, die vor Bewunderung über ihren Herrn fast das Grüßen vergaßen, wandelten sie den steilen Schloßweg hinab dem kühlen Tale entgegen. Und als sie im Tale angelangt waren und vom Turme, in dem der Ritter gehaust hatte, eine Trompetenfanfare ihnen den Reisegruß nachschmetterte, war es, als ob in diesen Trompetentönen alle Erlösungsjauchzer zusammenflössen, die Schwarzenburg heute ob des Auszuges seines Herrn ausstieß.
Weil er ja geheilt zurückkehren würde ...
So pilgerten die beiden, der arme Kranke mit seiner schönen Begleiterin, des Weges.
Der Ritter aber war ein viel zu selbstsüchtiger Mann, als daß er die Begleitung der Jungfrau als ein großes Opfer angesehen hätte, und nahm sie vielmehr als etwas Selbstverständliches und gar nicht Dankenswertes hin, indem er den Arm des Mädchens weidlich als Stütze ausnützte, jede Handreichung von ihr forderte und so ein unwirscher und lästiger Geselle blieb, wie er es immer gewesen war. Jeder Schritt war die erneute Ursache eines tiefen Seufzers für ihn, jede Speise, die ihm in den schlechten Herbergen geboten ward, eine Gelegenheit zur lauten Unzufriedenheit, so daß das arme Clarißchen in den ersten Tagen gar nicht dazu kam, ihren Schatz aus dem Mantel hervorzuholen und ihrer Lust zu frönen. Nur abends, ehe sie in irgend einer Dachkammer oder Scheune ihre müden Glieder auf das Lager streckte, während ihr dicker Herr und Gebieter das beste Bett des Wirts für sich in Anspruch nahm, glückte es ihr zuweilen, sich an ihrer Schönheit zu freuen und mit herzlicher Lust zu sehen, wie ihr Blondhaar länger wurde und sich zärtlich um ihre Schultern ringelte, oder wie ihre Wangen sich röteten in einem gesunden und bräunlichen Rot, das ihr gar lieblich anstand. Und es war überall, wo sie hinkamen, ein großes Aufsehen mit ihr, und immer wieder mußte der melancholische Graf zarte oder deutliche Anspielungen hören, was für ein herrliches Mädchen er sich auf die Reise mitgenommen habe.
Aber diese Worte fielen neben seinen Ohren nieder, ohne daß er sie einer Überlegung für wert hielt, da dem Armen ja jegliche Lust am Weibe geschwunden war und er nur immer an sein Unglück und sein Leid denken mußte; höchstens, daß er ein pfiffiges Gesicht machte, wenn ihn die Leute ob seines Geschmackes einmal recht ordentlich lobten, weil es ihm wohltat, als ein so überaus feiner und geschmackvoller Pilger angesehen zu werden. Denn so sehr er auch seufzte und jammerte, tat ihm die reichliche Bewegung im Freien doch wohl, und die Kräfte kehrten mit jedem Tage mehr in das Gebäude seines stattlichen Körpers wieder. Seine bleiche Farbe wich einem leichten Rot und die Wucht seines Armes lag immer leichter auf der runden Schulter seiner Stützerin, da er bald selbst ordentlich ausschreiten konnte, wenn er auch nicht unterließ über jeden Stein am Wege oder jeden Regentropfen, der ihn näßte, einen ordentlichen Fluch loszulassen. Die blühende Clarissa pflegte und betreute ihn wie eine Mutter, und ein ungemeines Glücksgefühl durchströmte sie dabei, daß sie einen kranken Menschen so warten dürfe und dieser große und gewaltsame Mensch wie ein Kind auf sie angewiesen war.
So wanderten sie erst schweigsam durch die Lande, nur daß die Flüche des Ritters und seine Verwünschungen ihre Schritte begleiteten. Denn er war gar nicht neugierig, nach dem Leben seiner Begleiterin zu fragen oder nach ihren Wünschen zu forschen. Aber nach einigen Tagen hielt es Clarissa nicht mehr aus, so stumm neben dem traurigen Ritter einherzugehen, und fing von selbst von ihrem Leben, das gar einfach war, zu berichten an, und der Graf ließ sie gewähren, weil ihm der Weg auf diese Weise minder eintönig wurde. Er vergaß dabei wohl auch etliche Male zu jammern und stellte sogar nach einigen Tagen, da der Redestrom seiner Begleiterin zu versanden anfing, Fragen, die sie in ihrer munteren und freundlichen Art beantwortete. Und dann kam es so weit, daß er dem Mädchen zögernd und unwirsch sein Leben erzählte, ohne viel Rücksicht auf ihr Jungfrauentum, also daß sie manches hören mußte, was ihr die verdiente Nachtruhe mit bösen Träumen störte und sie nachdenklich und schreckhaft machte. Dann tröstete sie nur ein Blick in den Spiegel, der ihr zeigte, wie gut ihr das dunkle Rot paßte, das plötzlich ihre Wangen durchglühte, und wie seltsam ihre Augen aufleuchteten und die Lippen sich schürzten, wenn sie an die Reden des kranken Ritters dachte. Sie konnte jetzt schon ihr Haar, das ihr über den Rücken herabflutete, in goldschimmernde Flechten drehen und vergnügte sich nun lange damit, sie in verschiedenen Windungen um den Kopf zu legen, Bänder und Blumen hineinzuordnen und ihrem breitrandigen Pilgerhute alle erdenklichen abenteuerlichen Formen zu geben, je nach ihrer Stimmung, hoffnungsvoll geschwungen oder kühn auf die Seite gedrückt wie ein weiblicher Rinaldo. Und immer war sie von neuem von ihrem Anblick entzückt. Bei Tage aber wanderten sie tapfer dem Süden zu und waren schon mitten in den Tälern der Alpen angelangt, als ihr eines Tages der Ritter erkrankte.
Es war aber nicht etwa eine schwere Krankheit, in die der Graf verfiel, sondern bloß die Ausbrüche seines Schmerzes und seiner Verstimmung über sein Leiden waren so gewaltige, daß Clarissa einen großen Schreck darüber empfand. Er mochte gestern abend in dem lieblich gelegenen Alpenhause etwas zu viel von dem saueren Landwein getrunken und ein wenig zu stark dem saftigen Fleische zugesprochen haben, also daß er sie in der Nacht an sein Lager rufen ließ. Er lag stöhnend und jammernd in seinem Bette und wälzte sich unruhig hin und her, ausrufend, daß dies nun seine letzte Stunde sei und er hier einsam und verlassen sterben müsse. Er zerriß das Bettlaken und kratzte den Bewurf von der Wand vor Wut und Schmerz und schrie, daß man ihn hierher gelockt habe, um ihn elendiglich verrecken zu lassen. Der Schuft von einem Bauer habe ihn sicher vergiftet, so brenne es in den Gedärmen und so rasende Schmerzen empfinde er. Dabei warf er von Zeit zu Zeit verstohlene Blicke auf die erschrockene Clarissa, ob sein Klagen nur auch die richtige Wirkung hervorrufe und sie begreife, was für ein gottverlassener Märtyrer er sei.
Clarissa war vom Lager aufgesprungen, als man sie wecken kam, und hatte nur eilig den Mantel umgeworfen, da sie zu dem durch das Haus brüllenden Ritter geeilt war. Nun stand sie bei seinem Lager und beugte sich über ihn, leise mit ihren Fingern über seine Stirn streichelnd, und der Mantel war ihr, ohne daß sie es merkte, von den Schultern geglitten. So stand sie da in ihrer Schönheit, die Fluten ihres goldenen Haares jauchzten über ihren schneeweißen Nacken und ihre vollen schimmernden Schultern, und ihr jungfräulicher Busen hob das groblinnene Hemde.
So beugte sie sich über den Grafen, der zum ersten Male seit langen, langen Jahren wieder mit Wohlbehagen und einiger Erregung eines Weibes Herrlichkeit anschaute. Aber er war ein zu verstockter Selbstling, als daß er darum weniger gestöhnt hätte, er wälzte sich vielmehr nur um so ungebärdiger auf seinem Lager und sparte nicht mit Flüchen und Schimpfworten, stieß die streichelnde Hand Clarissens von seinem Gesichte und warf das kalte Tuch, das sie ihm auf den Kopf legen wollte, weit in die Ecke. Da kniete das erschrockene Mädchen in tiefstem Mitleid neben dem Lager des kranken Grafen nieder und betete in ihrer Seelenangst inbrünstig zu Gott und rief die Mutter Gottes zu Hilfe, herzlich und innig, und nicht wie eine, die ein Geschenk des Teufels mit sich herumführt. Ihr Spiegel fiel ihr aber plötzlich in den Sinn, und weil er ihr wie ein Wunder und etwas Segensreiches und Heilkräftiges erschienen war erhob sie sich und eilte in ihre Kammer, um dem Ritter ihren Schatz zu bringen, damit auch er daran sein Herz heile.
Als der Ritter sie mit dem Spiegel in der Hand zurückkehren sah und sie ihm das Glas vor sein Gesicht hielt in ihrer Keuschheit und Herzensreinheit, da stieß er einen gräßlichen Fluch aus, weil er glaubte, daß sie ihn verspotten wolle, und warf dann den Spiegel mit aller Wucht auf den Boden, daß er in hundert Stücke zersplitterte; dann aber, als ob er seine letzten Kräfte ausgegeben hätte, sank er auf sein Kissen zurück, streckte sich und schlief ruhig und schmerzlos ein.
Clarissa war mit einem lauten Schrei in die Kniee gesunken und es war ihr, als ob mit ihrem geliebten Spiegel auch ihr Herz in Stücke bräche. Dann aber, als sie gegen das mondscheinerleuchtete Fenster sah, erschien es ihr, als stünde draußen die Mutter Gottes, genau so schön und lieblich wie auf dem Altarbilde im Kloster, an das sie jetzt zum ersten Male mit Wehmut und Reue dachte, und sie mit einem ernsten und langen Blicke ansähe. Da neigte sie die Stirn und betete lange, lange für das Heil ihres Ritters. Dann legte sie sich, als sie den Kranken so still und zufrieden schlafen sah, auf den Fußboden neben sein Lager hin und schlummerte bis in den Morgen.
Am nächsten Tage, als der Ritter morgens früher als seine schöne Begleiterin aufwachte, war ihm viel, viel wohler, als er sich eingestehen wollte. Und das erste, was ihm bei seinem Erwachen einfiel, war nicht sein Schmerz, sondern das Bild der holdseligen Pflegerin, wie sie sich über ihn gebeugt und seine Stirn gestreichelt hatte. Er sah das volle Blondhaar um ihren schönen Nacken fluten und die milden Hügel des Busenansatzes über dem sittsam geknüpften Hemde und schloß gleich wiederum als ein Schlemmer und Feinschmecker aus früheren Zeiten die Lider, um sich in dieses liebliche Morgenbild zu versenken. Als er dann die Augen wieder öffnete und die Maid auf dem Boden daliegen sah, den rechten Arm unter dem schönen Haupte, wie sie mit halb geöffneten Lippen friedlich schlummerte, da schaute er mit einigem Wohlbehagen auf die Schläferin und ward nicht satt, sie zu betrachten. Kaum aber, daß Clarissa die Augen aufschlug, als hätten die Blicke des Grafen sie geweckt, da schaute er schnell, wie ein trotziger Schuljunge, beiseite, die Augen schließend und Schlaf heuchelnd, bis er endlich mit einem tiefen Seufzer erwachte und mit Schmerzensausrufen den jungen Tag begrüßte. Nicht ein Auge habe er die ganze Nacht geschlossen, log er gleich in seiner alten Weise, wenn er auch vielleicht scheinbar den Eindruck eines Schlummernden gemacht habe. Ein Mann wisse sich eben zu fassen und winsele nicht herum wie ein Weib, wenn nur die Schmerzen ein wenig erträglich seien. Clarissa natürlich, sagte er giftig, sei da auf der Erde gelegen und habe geschnarcht wie eine Säge durch Querholz, daß er schon deshalb nicht hätte einschlummern können; und schon schrie er nach seinem Morgenimbiß, da ihm sonst sein Magen verbrenne.
Clarissa war aufgestanden und hatte den Mantel um sich gezogen, dann brachte sie dem Ritter sein Essen, las dann sorgsam die Spiegelscherben zusammen und trug sie traurig in ihre Kammer. Sie barg sie dort in ihr armes Tüchlein wie eine kostbare Habe, ohne auch nur die geringste Lust zu verspüren, in den Scherben ihr Antlitz zu beschauen. Denn es war ihr so seltsam im Herzen seit dieser Nacht, daß sie immerfort an den Grafen und seinen Schmerz denken mußte, mit einem tiefen, herzinnigen Mitleid und einem traurigen Gefühle darüber, daß er so barsch ihre Hand weggestoßen hatte; und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder ihre Hand auf seine Stirn legen zu dürfen. So machte sie sich rasch fertig und eilte dann wieder hinunter in die Stube des Ritters, um ihn zu pflegen, wenn er ihrer bedürfe.
Und er bedurfte ihrer gar sehr. Er nahm ihre Handreichungen hin wie etwas Selbstverständliches und war um so rauher, als er eine seltsame innere Nötigung empfand, sich immerfort von ihr pflegen und hätscheln zu lassen. Und je inniger und liebevoller sie sich seiner annahm, desto unebener und schlimmer ward er, weil es arme Menschen gibt, die nur dann glücklich sind, wenn sie quälen können. Im Herzen aber hatte er nur den einen Wunsch, daß bald wieder Nacht werden möge, damit er wieder Clarissa zu sich rufen und die Rundung ihrer Schultern und die Lieblichkeit ihres Leibes beschauen könne. Indessen lag er im Bette, aß und trank wie ein Gesunder, freilich, wie er sagte, ohne Hunger und Bedürfnis, nur um recht bald wieder aufbrechen zu können.
So war langsam Abend geworden und Clarissa hatte gefragt, ob sie sich neben ihn auf den Boden legen solle. Da war sie aber schlecht angekommen. Sie solle ihn in Ruhe lassen und sich in ihr Zimmer trollen, er wolle heute schlafen und da könne er ihr Schnarchen nicht brauchen. Er drehte sich der Wand zu und schwieg hartnäckig auf alle ihre Fragen, so daß sie es endlich aufgab, in ihn zu dringen, und sich leise aus dem Zimmer davonschlich.
Sie legte sich traurig auf ihr Lager und seufzte und seufzte und konnte lange keinen Schlummer finden.
Sie war aber kaum eingeschlafen, als auch schon wieder an der Tür gepocht wurde und die Wirtsleute sie holten, da der arme kranke Ritter wieder seinen Anfall habe. Sie hatte sich in ihrer Kammer gar nicht ausgezogen und nahm nun ihren Mantel um und eilte erschrocken und voll herzlichen Mitleids in das Zimmer des Märtyrers. Es schien in dieser Nacht noch schlimmer zu sein als in der vorhergehenden, wenigstens schrie der traurige Heinrich noch rasender und warf sich noch wütender im Bette hin und her. Es war aber nur ein ausgezeichnet durchgeführtes Schauspiel, das er sich selbst aufführte, weil er in uneingestandener Sehnsucht nach der lieblichen Pflegerin nicht hatte schlafen können und nur wünschte, sie möge ihm wieder wie gestern im bloßen Hemde, mit aufgelöstem Haare beistehen und sich liebreich über sein Lager beugen. Als er sie daher im Mantel und Kleid mit aufgesteckten Zöpfen in das Zimmer treten sah, zerrann seine Phantasie vor ihrem grauen Habit und er war ordentlich wütend darüber, daß sie seinem geheimen Wunsche nicht nachkam. Denn es hatte ihn zum ersten Male seit seiner Krankheit den ganzen Abend hindurch nur der eine Wunsch geplagt, sich recht innig an die Brust der holdseligen Clarissa anzuschmiegen, ihren Nacken zu streicheln und sich von ihren vollen Armen umfangen zu lassen.
Sie hatte ihr Lämplein auf den Tisch gestellt und beugte sich nun über den Armen, ihm die Stirn berührend. Er ließ sich das auch heute gefallen, nur daß er wie in einem plötzlichen Tollwerden des Schmerzes sich in ihren Mantel krallte und zerrte. Clarissa bebte und zitterte vor Mitleid mit seinem Schmerze und seufzte recht aus tiefstem Herzen, weil sie ganz untätig neben ihm stehen mußte und ihm sein Leiden so gar nicht abnehmen konnte. Sie strich ihm milde über das Haar und sprach zu ihm mit zärtlicher Stimme, als ob er ein krankes Kind wäre, das sie in den Schlaf wiegen wollte. Und als der Ritter aufstöhnte und mit klappernden Zähnen jammerte, daß ihn friere, da setzte sie sich auf den Bettrand zu ihm und breitete ihren Mantel über seine Bettdecke. Er aber umarmte sie wie in schrecklicher Angst und drückte sie heiß und fest an seine wogende Brust, daß ihr Hören und Sehen verging und sie in ihrer jungfräulichen Liebe zu ihm bereit war, ihm alles hinzuopfern, was er auch verlangte. Sie wehrte ihm nicht, als er an ihrem Kleide nestelte und sie zu sich ins Bett nahm. Und ein unbestimmtes und großes Glück und das heiligste Mitleid mit dem armen melancholischen Grafen, der aber in diesem Augenblicke schon ganz und gar nicht melancholisch war, durchströmte sie, daß sie die Augen schließen mußte und sich den Umarmungen des Ritters willenlos ergab.
Und als die Lampe früh erlosch und die Sonnenstrahlen in das Zimmer schauten, lagen die beiden in stillem Schlummer nebeneinander und der Arm des Ritters lag zärtlich unter dem schönen Haupte der Pilgerin.
Bald aber weckten sie die Sonnenstrahlen. Sie strich sich erst über die Stirn, als wolle sie sich auf etwas besinnen, so traumhaft war ihr zumute, dann aber übergoß eine tiefe Röte ihre Wangen, Tränen stürzten aus ihren Augen und ein Zittern durchlief ihren Körper. Sie war glücklich, daß der arme Graf neben ihr noch schlief und sie ihm nicht in die Augen schauen mußte, erhob sich rasch aus dem Bette und entkam in ihre Kammer. Dort warf sie sich vor ihrem ärmlichen Lager auf die Kniee, versteckte ihr Gesicht in den Kissen und verharrte so in grenzenloser Verwirrung, in die doch wie aus weiter Ferne ein feines Silberglöcklein des Glückes herüberläutete, und im Gefühle der glühendsten Scham, aber ohne die unwahre Ziererei der Reue, da sie dem Ritter in aufrichtigem Mitleid und inniger Liebe sich hingegeben hatte. Dann aber erhob sie sich und betete, daß die heilige Mutter Gottes ihr Opfer gnädig annehmen und zugunsten des Ritters verwenden möge, damit er endlich von seinem schweren Siechtum und seiner Melancholie erlöst werde.
Der Ritter war indessen mit dem Gefühle süßer Ermattung aufgewacht und dämmerte in seinem Bette vor sich hin. Er dachte auch nicht mit einem Gedanken an das Opfer der Jungfrau, sondern gab sich einem großen Stolze hin, daß er sein Stücklein so gut durchgeführt hatte, und träumte schon wieder von Abenteuern und Liebesunternehmungen, als ob die vergangenen Jahre nur ein böser Schabernack gewesen wären und alle Damen noch dasäßen und warteten, daß der schöne Heinrich sich ihrer Liebesnot erbarme. Dann aber, da der Hunger sich meldete, rief er nach seiner Pflegerin, die denn auch mit niedergeschlagenen Augen kam, um ihm seinen Morgenimbiß zu bringen.
Und wenn der Ritter nur ein wenig klug gewesen wäre, so hätte er vor Glückseligkeit bei ihrem Anblicke aufjauchzen müssen. Denn als sie nun mit gebeugtem Nacken an sein Lager trat und kaum den Morgengruß über die bebenden Lippen brachte, da flackerte das feinste Rot in ihren Wangen und sie war so unsäglich schön in ihrer Scham und Verwirrung, daß die Sonnenstrahlen vor Bewunderung ganz trunken ihre Gestalt umschmeichelten und ihr Blondhaar wie eitel Gold aufleuchtete. Der traurige Heinrich aber war durch sein jahrelanges Martyrium so verderbt und verstockt geworden, daß er ein großes Jammern anhob und ein über das andere Mal ausrief, daß diese Nacht seinen Pilgerzug und seine Heilung zunichte gemacht habe, da er ja mit einer reinen Jungfrau hätte nach Rom kommen sollen. Nun müsse er ewig krank und elend bleiben; das habe der verfluchte Medikus so fein eingefädelt und der Teufel habe ihm dabei geholfen.
Und er war in diesem Augenblicke, da er sich ja heil und durchaus gesund fühlte, wirklich schlecht und empörend in seiner Selbstsucht und Lust, andere zu quälen; und das erreichte er auch. Denn durch diese Reden ward die arme Clarissa aufs tiefste erschüttert und verlor völlig ihre Besinnung. In ihrer Scham und Glückseligkeit hatte sie den ganzen Morgen über vor sich hingeträumt, so daß es ihr jetzt schwer auf das Herz fiel, wie sie nun nicht mehr fähig sei mit dem Grafen vor den Papst zu treten. Sie fiel ihm zu Füßen, keines Wortes mächtig, und weinte, daß ihr Körper durch das Schluchzen erschüttert ward. Der traurige Ritter aber blieb verstockt und hart und legte nicht einmal die Hand auf das Haupt der Armen, bis sie sich endlich erhob und ganz verstört und unglücklich aus dem Zimmer davonwankte.
Es war ihr nicht klar, warum es sie in ihre Kammer zog. Dort beugte sie sich unter ihr Bett und zog das Tüchlein hervor, in dem die Scherben ihres zerschlagenen Glückes lagen. Dann ging sie die Treppen hinunter und der einsamen Kapelle zu, die sie von ihrem Fenster am Waldesrande gesehen hatte. Es war das erste Mal seit ihrer Flucht, daß sie vor dem Altar kniete und heiß und aus tiefster Seele zur Mutter Gottes in ihrem Hause betete. Es war in dieser Kapelle eine hölzerne Mutter Gottes, mit seltsamer Krone und allerhand Flitter geschmückt, die aus einem kindlich geschnitzten Angesicht freundlich in die Welt schaute und die Rechte tröstend und mild erhoben hielt. Clarissa lag nun weinend und betend zu ihren Füßen und erzählte ihr ihr Leid und wie sie nun des Ritters Heilung verwirkt hätte.
»Du innigst verehrte, gebenedeite Himmelsfrau, du herrliche, reine Magd und Mutter, neige dich meinen Schmerzen,« flehte sie mit hoch erhobenen Händen zu der stummen Heiligen empor, »und heile den armen Grafen, nimm mich statt seiner zum Opfer, denn er ist gut und krank, indes ich armselig und unwürdig bin. Ich habe gar nichts, was dich erfreuen könnte, du reine Himmelsmagd, als diese Scherben eines Spiegleins, die ich dir weihe, denn sie haben mich unsäglich glücklich gemacht.«
Dabei legte sie ihr Tüchlein mit den Scherben der Mutter Gottes zu Füßen. Sie schluchzte aus tiefstem Herzen auf, und heiße Tränen rollten aus ihren verzweifelten Augen, da sie nun den Blick senkte und rot vor Scham und fassungslos der Jungfrau Maria ihr Vergehen berichtete. Sie verhüllte ihr Haupt und traute sich nicht, zur liebreich lächelnden Gnadenmutter emporzuschauen. Dann aber erhob sie sich, und von den Tränen erschüttert, endete sie ihr Gebet: »Nimm mich zu dir und reinige mich, denn ich sterbe gern, da ich mich vergangen habe, ich stürbe so gern, wenn nur mein Ritter, mein armer, kranker Ritter leben bliebe!«
»Liebe! Liebe! Liebe!« sagte der Widerhall im Kirchlein oder die Mutter Gottes. Denn sie lächelte mild und hielt ihre feine Rechte tröstend und sanft der zerknirschten Beterin entgegen. Die aber schwankte, ohne emporzuschauen, aus der Kapelle.
Als sich aber abends Clarissa, nachdem sie noch einige Stunden bei dem Ritter gewesen, in ihrer Kammer auf das Lager warf, da fügte es die trostreiche Mutter Gottes, daß die Arme in einen tiefen Schlaf verfiel, in welchem sie Ruhe und Frieden fand. Und die gütige Madonna selbst saß bei dem Kopfende ihres Bettes und freute sich herzlich der reuigen Sünderin und hatte das Tüchlein mit den Spiegelscherben mitgebracht, vielleicht weil sie den Bösen unterwegs zu treffen gehofft hatte. Die gute Clarissa aber schlief fest und hörte nicht einmal, als der Ritter wieder in seiner unwirschen Weise um sie schickte und durch das Haus schrie. Da erhob sich die Jungfrau Maria und nahm ganz die Gestalt der schlummernden Clarissa an, legte ihren Mantel um die Schultern und ging mit dem Päcklein, darin die Scherben lagen, aus dem Gemache den Ritter aufzusuchen.
Als sie nun etwas langsamer als die eigentliche Clarissa in sein Zimmer eintrat, donnerte er ihr schon seine häßlichen Flüche entgegen, daß sie sich schon gar nicht mehr um ihn kümmere und gar kein Mitleid mit seinem Leide habe, und setzte einige abscheuliche Lästerworte hinzu, da ihn schon wieder die Leidenschaft erfaßt hatte. Da stellte sich die Madonna vor ihn hin und, nachdem sie ihn lange und ruhig mit ihren tiefen Augen angesehen hatte, sprach sie zu dem erstaunten Ritter also:
»Du eigennütziger und häßlicher Schelm, der du mich in der selbstsüchtigsten und abscheulichsten Weise gekränkt und beleidigt hast, bist du wirklich also verstockt und böse, daß dir die Scham nicht die Stimme verschlägt, so mit mir zu sprechen? Ich zog mit dir aus, ich stützte und pflegte dich und war dir zu Willen, weil du mich dauertest, nicht deiner eingebildeten Krankheit wegen, du Eigennutz, sondern um meiner Liebe willen, die ich dir nicht verhehlen kann. Und nun willst du mich von dir jagen, anstatt mir die Füße zu küssen und um meine Gnade zu bitten. Den Saum meines Gewandes solltest du fassen und winseln, daß ich dir beistehe in deiner unmännlichen und verachtenswerten Selbstsucht, du Abscheulicher!«
Der Ritter hatte sich in seinem Bett aufgesetzt und schaute, sprachlos über diese Kühnheit, die Jungfrau Maria an, da er Clarissa bisher nur untertänig und willenlos gesehen hatte. Er rang nach Atem, so wütend war er, als er sie so dreist sprechen hörte. Dann aber lachte er böse auf und wollte aus dem Bette, die Kühne zu züchtigen. Die aber hatte ihr Tüchlein geöffnet, darin die Scherben lagen, und, indem sie das Laken, das den Ritter bedeckte, aufhob, schüttete sie die hundert Scherben auf sein Lager, daß sie wie spitze Dornen rings um seinen Körper verstreut waren und er wie in einer Dornenhecke lag, daß ihn jegliche Bewegung verletzen mußte, so daß er jetzt ein wirklicher Märtyrer war. Er hatte sich aber viel zu lieb, als daß er sich etwa gestochen hätte und rührte sich nicht, sondern schaute ganz verwirrt und hilflos auf die stolze Maid, die ihn gebändigt hatte.
So gern nun diese auch gelacht hätte, da der verdutzte melancholische Heinrich in seiner Angst zwischen den Stacheln einen wahrhaft kläglichen Eindruck machte, so beherrschte sie sich doch und blieb ernst und streng und sprach auf den Ritter in ihrer hoheitsvollen und gebietenden Weise ein, und er war gezwungen, ihr zuzuhören, da sie sich über sein Lager gebeugt hatte und ihn sogleich recht unsanft aufrüttelte, falls er ihren Ermahnungen durch Einschlafen sich entziehen wollte. Es war für diesen selbstherrischen und gewalttätigen Mann, der durch Jahre hindurch seine Umgebung gepeinigt und ganz vergessen hatte, daß die anderen vielleicht auch einen Willen hätten, die lehrreichste Strafe, nunmehr in einem Dornenbette von einer Maid bezwungen dazuliegen, ohne sich rühren zu dürfen, und ihren salbungsreichen Worten, die nun sein ganzes Leben vor ihm aufrollten, zuhören zu müssen. Der Trotz aus seinen Augen wich allmählich der Verwunderung, dann einem ängstlichen Staunen und wirklicher Furcht, da ihm die gezwungene Lage höchst unangenehm wurde und die schöne Predigerin ihm auch nicht einen Augenblick der Unaufmerksamkeit vergönnte, sondern ihn gleich rüttelte, wenn er ihr unachtsam schien.
So wurde diese Rede die eindringlichste und längste Predigt, die je gehalten wurde, und als der Morgen graute, war der Ritter so windelweich geworden in seinem verhärteten und verstockten Gemüt, daß ihm zum ersten Male aufrichtige Tränen in die Augen traten und ihm jämmerlich und ganz elend zumute war. Da war die Jungfrau aber erst in ihrer Rede bei dem Augenblicke angelangt, da Clarissa in das Leben des traurigen Heinrich eingetreten war. Und sie füllte die Morgenstunde mit der Aufzählung aller Schandtaten, die er ihr auf der Pilgerfahrt angetan hatte, wobei der Ritter nur leise mit dem Kopfe nickte und seufzte, da er nunmehr schon selbst einsah, wie verliebt er in dieses herrliche Wesen sei, das ihn hatte gen Rom geleiten wollen. Er weinte recht aus tiefstem Herzen, da ihn jetzt jedes rauhe Wort und jede unwirsche Bewegung, durch die er die gute Clarissa verletzt hatte, selbst schmerzte und peinigte und er nur den einen Wunsch hegte, alles wieder gut zu machen, was er verbrochen hatte.
So kam denn die predigende Jungfrau zu dem Augenblicke, da der böse Heinrich Clarissa zu sich ins Bett gezogen hatte: aber nun vergaß er ganz der Stacheln und Dornen, die ihn umgaben und richtete sich im Bette auf und flehte inbrünstig um Vergebung, und sie solle um Himmels willen ihm nicht auch noch diese Schandtat noch einmal erzählen, er liebe sie ja, wie er noch nie im Leben geliebt, mit einer so heißen Verehrung und achtungsvollen Liebe, daß er sich selbst eines so reinen und heiligen Gefühles nie für fähig gehalten hätte. Er schluchzte und verbarg sein Gesicht in den Händen, so schämte er sich, und zwischen echten Tränen rief er immer wieder: »Wenn ich nur wüßte, wie ich deine Verzeihung erlange! Ich liebe, ich liebe dich ja so heiß und innig!«
Diesen Augenblick aber benützte die heilige Jungfrau, um aus dem Zimmer zu verschwinden, und dies um so mehr, als sie schon vor der Tür die Schritte der wahren Clarissa hörte, die denn auch im selben Augenblicke, da die Madonna ihr Platz gemacht hatte, an das Lager des Geheilten trat. So hörte denn die verwunderte, glückliche Clarissa seine reinen und wahrhaften Liebesbeteuerungen mit jubelndem Herzen an, in der schönsten Verwirrung des Gemütes, das sich vor Glückseligkeit gar nicht zu fassen wußte. Sie legte ihre Hand sanft auf das Haupt des Ritters, der sie erfaßte und mit glühenden und innigen Küssen bedeckte und mit seinen Tränen netzte. »Ich habe dir dein Spieglein zerbrochen,« sagte er da und seine Lippen wurden weich und sanft, so daß die Worte aus seinem Munde liebreich und hold zitterten, »aber was brauchst du jetzt auch einen Spiegel, da du dich nur immerfort in meinen Augen anschauen sollst; du wirst dich darin erschauen, du Liebe und Holde, und wirst noch durch meine reine und echte Liebe verschönt sein!«
Da sah sie schon lachend in seine Augen, sie erschaute sich darin und erschaute sich doch nicht, so erfüllt waren die Augen von Liebe.
Und auf einmal war es den beiden, als ob ein wundervoller Duft das Zimmer erfülle, und da der Ritter sein Bettuch verschob, so waren die Splitter verschwunden und er lag mitten auf einem dornenlosen Rosenlager zwischen weißen und roten duftenden Rosen; also, daß nie ein Brautpaar ein schöneres und lieblicheres Brautbett gehabt hat.
Sie umarmten und küßten sich lange und mit dankbaren und glücklichen Lippen und noch am selben Tage machten sie sich auf, – nachdem sie sich in der Kapelle der gnadenreichen Madonna für ewige Zeiten vereinigt hatten, – um nach Schwarzenburg heimzuwandern.
»Denn,« flüsterte er ihr ins Ohr, »nach Rom zu pilgern ...« worauf sie glutrot wurde und ihr Gesicht an seiner Brust verbarg.
»Mein liebes, holdes, einziges Weib!« jubelte er, und, da eine Lerche sich vor ihnen tirillierend in die Lüfte schwang, da war es ihm, als ob seine Seele auch Flügel hätte, und plötzlich sang er der beschwingten Sängerin seinen Gruß zu:
»Tandarada, Tandarada!
Welch ein Wunder mir doch geschah!«
Und er hat dieses Lied sein Leben lang weitergesungen!
Ihr lieben, guten Menschen aber, denen ich bis hierher wahrheitsgetreu und zu Gefallen diese Legende berichtet habe, nun seid mir nicht böse: ich weiß keinen Schluß dazu. Ich weiß nicht, wie sich der – Gott sei bei uns! –, wie sich der Böse mit der Mutter Gottes auseinander gesetzt hat! Und ob er auf seine gewonnene Wette sehr stolz ist! Denn ihr werdet doch gewiß, ihr guten und lieben Menschen, nicht verlangen, daß ich, nur um euch einen Schluß zu dieser Legende berichten zu können, mit ihm hätte sprechen sollen! Gott sei meiner Seele gnädig!
Aber eines ist wahr! In dem Kloster, daraus die Gräfin Clarissa von Schwarzenburg als Nonne entwichen, und fern, fern in der hohen Alpenkapelle, wo sie ihre armseligen Spiegelscherben der Mutter Gottes weihte, hängen zwei Bilder, von ‹i›einer‹/i› Künstlerhand gemalt und beide berühmt ob ihrer Schönheit und Wunderkraft für unglückliche Liebesleute: die Madonna, die in der Hand ein Spieglein hält und sich holdselig und lächelnd in dem Glase betrachtet ...