Simonetta stand auf der Terrasse ihres Villino bei Fiesole und spähte auf die Straße hinab, über die Giuliano de Medici kommen sollte. Sie trug ein schaumfarbenes Brokatkleid mit durchbrochenen Ärmeln und ihre große Perlenschnur vierfach um den Hals gewunden. Ihr blondes Haar, das in regelmäßigen Locken zu beiden Seiten des weißen langen Halses herabfiel, schien noch hellgoldener als sonst, denn Simonetta hatte in den letzten drei Tagen wieder Stunden auf dem Dache ihrer Villa in der glühenden Mittagshitze verbracht, Gesicht und Arme mit nassen Tüchern bedeckt, um sie zu bleichen. Um den kostbaren indischen Schleier zu erwerben, der ihr Haupt bedeckte, hatte sie sich wochenlang fast nur von Oliven und Brot genährt, denn man war nicht reich in Casa Vespucci. Und noch hatte ihr der türkische Händler freundlich grinsend versichert, daß er nur der schönen Geliebten Giulianos dei Medici einen solchen Preis mache, jede andere florentinische Dame müsse ihm das Doppelte bezahlen.
In nicht geringerer Aufregung als Simonetta befand sich Messer Vespucci. Gleich als Giulianos Botschaft gekommen war, daß er glücklich von Ferrara zurückgekehrt sei und noch heute bei seiner Heißgeliebten zu weilen gedenke, war er treppauf und treppab gestürzt und hatte seine Sorgfalt namentlich der Speisekammer zugewandt, denn die immer verträumte Simonetta kümmerte sich um dergleichen nicht. Wohl konnte sie nichts Häßliches in ihrer Umgebung ertragen, alles mußte ihrer eigenen Schönheit und Zartheit gemäß sein, aber ob es genug Braten und Kuchen, Früchte und Wein im Hause gab, daran dachte sie niemals. Messer Vespucci aber wußte wohl, daß, mochte auch Giuliano dem allen geringe Bedeutung zumessen, sein Gefolge aus kräftigen lebensfrohen jungen Leuten auf irdische Labsal weit mehr Wert legte.
Diese Hausführung war kostspielig und das alte Geschlecht verarmt. Messer Vespucci hätte es nicht ungern gesehen, wenn Giuliano dem Hause kräftigere Beweise seiner Gunst gegeben hätte, als seine eigenen Sonette und die seines Freundes, des hochberühmten Angelo Poliziano, die Simonettens Schönheit auf das Schwärmerischeste besangen. Das einzige Geschmeide, von freilich ungeheurem Werte, das er gewagt hatte, ihr darzubringen, war die große Perlenkette gewesen, die Simonetta bei Tag und Nacht nicht von sich ließ und die man auch nicht zu Gold machen konnte.
Messer Vespucci war nicht eifersüchtig. Er wußte, daß ein Handkuß die höchste Liebkosung war, die gefordert und gewährt wurde, daß es sich um eine rein ideale Liebe handelte, wie sie am Hof des Magnifico eben in der Mode war. Auch Lorenzo selbst hatte neben realeren solch eine ideale Geliebte und Messer Vespucci war stolz darauf, daß der »bel Julio«, der schönste Jüngling seiner Zeit, sich gerade sein junges Eheweib zu solcher Anbetung auserkoren hatte. Hätte Giuliano Simonetten verlassen, so wäre auch der Gatte in seiner Ehre gekränkt gewesen.
Messer Vespucci war schon längst über die Jugendjahre hinaus, als er in der Stadt der Venus, in Portovenere, die fünfzehnjährige Simonetta im Hause ihrer verarmten adeligen Eltern sah. Der scheue Reiz des Kindes bestrickte ihn und ihm ward, als sollte er in ihren Kinderarmen die längst erloschene Liebesfreudigkeit wiederfinden. Allein er täuschte sich. Als Simonetta Florenz betrat, war sie noch immer das junge Mädchen, nur in ihrer Seele Weib geworden, scheu und verschreckt, dem Gatten fremder denn je. Sie führte ein trauriges Leben in dem verfallenden Pallast der Vespucci, der zur Sommerzeit mit einem ärmlichen Landhäuschen bei Fiesole vertauscht wurde, ein trübes, ihrer Jugend und Schönheit wenig gemäßes Leben, bis eines Tages im Dome von Santa Maria del Fiore Giuliano ihrer ansichtig wurde.
Giuliano dei Medici war der jüngere Bruder des Magnifico und wenn Lorenzo sein Herz zu gleichen Teilen, der Stadt, der Kunst und den Frauen schenkte, so galten für Giuliano die Frauen allein. Keiner wurde geliebt wie er in Florenz. Sein Wuchs war schlank und so hoch, daß er die Augen senken mußte, wollte er den Menschen ins Gesicht sehen. Dieser Blick unter den gesenkten Lidern hervor gab ihm im Verein mit der schmalen, scharfgebogenen Nase und dem geraden kühnen Kinn einen gar hochmütigen Ausdruck, allein er bezauberte die Menschen, wenn er lächelte. Sein langes, weiches, schwarzes Haar fiel anmutig auf das dunkle Samtwams herab, das er bis unter das Kinn geschlossen zu tragen liebte. Sein Antlitz war von edelstem Bronzebraun und seine langen schmalen Hände von vollendeter Schönheit. Er konnte alle schönen Frauen von Florenz haben und hatte auch die meisten schon gehabt, aber in seiner Seele war eine Sehnsucht nach unverwirrbarer Keuschheit zurückgeblieben, die ihn immer wieder nach ihr suchen hieß. Als er Simonetten zum erstenmale sah, wußte er, daß er nun gefunden hatte, was er ersehnte. In glühender Schwärmerei legte er ihr seine Huldigung zu Füßen und die Künstler seines Gefolges überboten sich in Werken zu ihrem Preise, ja, Sandro Botticelli ließ sie auf seinem schönsten Bilde als Frühling erscheinen. Ganz Florenz sprach von der Liebe Giulianos zu Simonetten, selbst Lorenzo Magnifico widmete der Geliebten seines Bruders einen Zyklus von Sonetten. Und daß diese Liebe so keusch, so süß und unschuldig blieb, wie zwei Jahrhunderte früher die Liebe Dantes zu Beatricen, das machte die Sache so wunderbar anziehend und rührend auch für die Fernerstehenden.
Nun gab der Türhüter, ein prachtvoller Riese unbekannter Abkunft, den sie nur den Moro nannten, das Zeichen und Messer Vespucci, der trotz, der Hitze sein pelzverbrämtes samtenes Staatskleid trug, stürzte vor das Tor. Dort nahte auch schon die Kavalkade, Giuliano und sein Freund Angelo Poliziano voran, und dahinter der mutwillige, lachende Schwarm der andern. Giuliano sprang vom Pferd und drückte dem Hausherrn die Hand. Dann stürzte er hinauf, der Geliebten entgegen.
In atemloser Erregung hatte Simonetta seiner geharrt. Und nun geschah Seltsames. Statt ihm entgegenzuschreiten und ihn holdselig willkommen zu heißen wie sonst, stürzte Simonetta schluchzend in seine Anne und von ihrer tränenerstickten Stimme verstand man nur die abgerissenen Worte: »… so bang nach dir … so bang …«.
Giuliano stand ein wenig befremdet, die weinende Simonetta in seinen Armen. Er war auf solchen Empfang nicht gefaßt gewesen und sah etwas verlegen aus. »Beruhigt euch, Madonna«, sprach er, »ich bin ja nun hier in eurer holden Nähe und möchte euch den Sonnettenkranz zu Füßen legen, den mir die Sehnsucht nach euch eingegeben.« Aber Simonetta schluchzte weiter.
Da trat der Polizian herzu, der die ungeduldige Falte zwischen den Brauen seines Gebieters wohl bemerkt hatte. Sanft löste er Simonetta aus Giulianos Armen. »Denkt eurer Schönheit, Madonna,« bat er, »und daß wir ohne abzusitzen von Ferrara nach Florenz geritten sind, um eures süßen Lächelns teilhaftig zu werden.« Da kam Simonetta wieder zur Besinnung. Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und dachte, daß ihre Augen rot sein müßten, das zierliche Näslein verschwollen vom Weinen und die Locken wirr. Der Blick ihres Gebieters gab ihr die Fassung wieder. Sie bedeckte ihr Antlitz mit dem Schleier und bat um die Erlaubnis, sich einen Augenblick zurückziehen zu dürfen.
Als sie mit Hilfe ihrer Zofe Angelina sich das Angesicht gekühlt und die Haare gestrählt hatte, fand sie das Gefolge beim Wein. Giuliano aber mit dem Polizian und ihrem Gatten auf der Terrasse auf und ab schreitend. Sie lächelte nun ihr lieblichstes Lächeln und nahm mit ein paar zierlichen Wendungen am Gespräch der Männer teil. Schließlich trug Giuliano die Gedichte vor, die er erdacht und mit Hilfe des Polizian in Verse gebracht hatte und Simonetta riß ein Lorbeerreis von einem Strauch und schmückte damit, hold sich neigend, das Haupt des Dichters. Aber sie wurde bleich, als ihre Hand die schwarzen Locken des vor ihr Knieenden berührte und auch Giuliano erblaßte bis in die granatfarbenen Lippen. Er faßte ihre beiden Handgelenke und einen Augenblick schien es, als wollte er Simonetten wild an sich reißen, dann aber sprang er auf, rief sein Gefolge zusammen und sprengte, fast ohne Abschied zu nehmen, davon.
Messer Vespucci war dieses plötzliche Enteilen Giulianos schon gewöhnt und wußte sich auch den Grund davon zu deuten, aber Simonetta schien es, als werde sie aus ihrer eigensten Welt in eine andere, fremde und kalte gerissen. Verständnislos sah sie zu, wie ihr Gatte die Reste des Mahles überzählte, denn davon lebte das Haus Vespucci noch tagelang. Ein Blick brachte sie aus ihren Träumen zu sich. Es war der Moro, der braune Türhüter, der auch sonst allerhand Dienste im Hause verrichtete und der nun neben ihr stand, um die Weinkrüge fortzuräumen. Das Weiße seiner Augen und seiner Zähne blitzte sie so wild an, daß Simonetta auf den Tod erschrak. Sie eilte ins Haus zu ihrem Gatten, der eben sein Prunkkleid mit einem leichteren Gewand vertauschte. »Schick den Moro fort, er blickt so seltsam«, bat sie.
»Du bist ein Kind«, sagte Messer Vespucci und trocknete seinen kahlen Kopf. »Er ist ein gewandter Bursch und ein Riese an Kraft – dergleichen findet sich nicht zum zweitenmale.«
»Schick ihn dennoch fort«, bat Simonetta.
»Du bist unpäßlich heute wie es scheint«, sprach Messer Vespucci. »Wie seltsam warst du wieder mit dem Fürsten. Wir wollen Messer Pierleoni bitten, daß er dich wieder zur Ader läßt.« Und er küßte sie auf die Stirn zum Abschied, denn er verbrachte seine Abende zumeist in der Schenke der dicken Rosina bei San Gervasio deren Zoten ihn besser unterhielten als die Worte seiner Frau, die er ihrem Lautenspiel und der Unterhaltung mit ihrer Zofe Angelina überließ.
Simonetta stand auf der Terrasse mit Angelina und blickte sehnsüchtig auf das abendlich schimmernde Florenz zu ihren Füßen. Die olivenfarbigen Hügel mit den schwarz aufzüngelnden Zypressen hoben sich dunkel gegen den rosigen Himmel. »Nun mag der schöne Giuliano wohl bei seinem Söhnlein weilen«, sprach Angelina, die als Milchschwester Simonettens einige Vertraulichkeit genoß.
»Welches Söhnlein?« fragte Simonetta seltsam unruhig.
»Der schöne Giuliano ist seinem kleinen Giulio ein gar treuer Vater, wie man sagt«, sprach Angelina nicht ohne Bosheit. »Wie, Madonna, Ihr erbleicht? Wißt Ihr nicht, was ganz Florenz schon weiß? Wißt Ihr nicht von Fiamma aus dem Borgo Pinto?«
»Nein«, sprach Simonetta mit zitternder Stimme, »wie sollt’ ichs wissen? Wer ist diese Fiamma, wie du sie nennst?«
»Sie gilt als schön«, sagte Angelina. »O nicht so schön, wie meine süße Herrin. Sie ist ein groß, schwarzhaarig, handfest Ding. Vor nun vier Jahren hat sie dem Herzog ein Söhnlein geboren – damit hält sie ihn fest. Man vermeint, der Knabe sei zu großen Taten bestimmt, denn in der Stunde seiner Geburt verfinsterte sich die Sonne. Ihr wißt, solches geschieht nur, wenn ein großer Kirchenfürst geboren wird. – Was seht Ihr so bleich, Madonna? Gewiß, der Fürst liebt diese Fiamma nicht, sie ist ihm nur ein müßig Spielzeug seiner Sinne. Was kann sie sein gegen die große, reine, erhabene Liebe, die er für Euch hegt?«
»Geh! geh!« sprach Simonetta. Sie blieb in tiefster Erregung allein. »Sie hat ein Kind von ihm – und mich berührt er nicht …«
In dieser Nacht pochte ihr heißes Blut so heftig, daß sie keine Ruhe fand. Sie beschloß, mit der Gottesmutter Zwiesprach zu halten im Dom von Santa Maria del Fiore, allwo sie Giuliano zum erstenmale erblickt. Ganz allein machte sie sich des Morgens auf, einsam und auf ihren zarten Füßen wollte sie den für ihre Kräfte weiten und mühevollen Weg zurücklegen. Vielleicht würde dies das Herz der Madonna rühren und ihr eigenes heißes Blut kühlen. Allein, obgleich Simonetta allein und im schlichten Aufzug einer Bürgersfrau Florenz betrat, ward ihr Antlitz, das von den Bildern der großen Meister der Stadt herableuchtete, allenthalben erkannt und froher und ehrfurchtsvoller Gruß ward ihr zuteil. Mütter hoben ihre Kinder hoch und riefen: »Sieh, dies ist Simonetta, die schönste Frau in Florenz, die geliebteste, die tugendreichste!« Und Simonetta neigte sich nach allen Seiten und dankte mit ihrem süßesten Lächeln, von dem es ihr schien, als sei es auf ihrem Antlitz festgefroren, erstarrt, zu einer Maske geworden. Sie war erleichtert, als der Schatten des Domes sie umfing. Demütig kniete sie vor dem Bilde der schmerzensreichsten Mutter nieder und flehte: »Madonna, gib, daß ich mich an dieser Liebe nicht verblute. Ich weiß es wohl, als ein halber Scherz ist sie gedacht, als ein ritterlich Spiel, sonst nichts. Aber von meiner Seele hat sie schon zu tiefen Besitz ergriffen. Sieh, daß ich mir die Seele nicht verzehre, allerheiligste Mutter Gottes. Gib, daß ich ein Weib sein darf, nicht nur die lächelnde Kranzspenderin der Turniere! Amen!«
Da schrak sie zusammen. Es war ihr, als erblicke sie Giuliano auf derselben Stelle, da sie ihn zum erstenmale gesehen, als sähe sie sein Lächeln aufblitzen und den leuchtenden Blick seiner schwarzen Augen. Doch war es nur eine Täuschung gewesen und sie bemühte sich aufs neue zu beten. Da trat ein neues, weit schrecklicheres Bild vor ihr Auge: Abermals Giuliano, aber bleich wie der Tod, von Dolchen zerrissen, aus vielen Wunden blutend. Da schrie Simonetta entsetzensvoll auf, so wild, daß ein paar alte Mütterlein, die still in der Ecke des Domes ihr Gebet verrichteten, zusammenfuhren. Wie gejagt, floh sie hinaus, und erst als sie den sonnenüberfluteten Domplatz vor sich sah, und die schwarz und weiße Marmorpracht des Baptisteriums sich gegenüber erblickte, verließen sie die Gespenster. Sie atmete auf und zog den Schleier über ihr Antlitz.
Wie sie gegen den Signorienplatz zuschritt, eilte ein Mann an ihr vorbei. Sie hielt ihn an, es war der Polizian. »Madonna Simonetta«, rief er erstaunt, »Ihr in Florenz? Und so allein?«
»Wo ist Giuliano?« fragte sie atemlos.
»Ich habe ihn soeben zum Magnifico begleitet. Die beiden besichtigen köstliches, morgenländisches Geschmeide, das ihnen ein Venezianer zum Kauf angeboten hat.«
Da rang sich Simonettas tiefstes Leid von ihr los: »Messer Angelo, warum – o warum liebt mich Giuliano nicht?«
Der Polizian starrte sie ganz verblüfft an. »Madonna Simonetta, nie ist ein Weib tiefer, edler, ehrfürchtiger geliebt worden als Ihr! Und Euch will das nicht genügen?«
»Nein, es genügt mir nicht!« schrie Simonetta auf. »Ihr wißt wohl besser als ich, im Borgo Pinto! Das Weib – die Fiamma – sie hat ein Kind von ihm und das Gefühl für mich nennt der Falsche Liebe!«
»Ihr versündigt Euch, Madonna«, sprach ernst der Polizian.
»Jawohl, alle wissen von seinem Kinde, selbst der Magnifico. Nennt Ihr das einen Treubruch an Euch, die er mit keinem Blick, keinem Gedanken beflecken möchte? Zu dieser geht er, um Euch desto reiner, desto geläuterter gegenübertreten zu können.«
»Ach, Messer Angelo,« sprach Simonetta seufzend, »in meinen armen Frauenverstand will es gar nicht hinein, daß es zweierlei Liebe geben soll. Gibt ein Weib sich, so gibt es sich ganz. Und er sollte sich nur seine erhabenen Gefühle für mich sparen können und die niedrigen andern Weibern hinwerfen?«
»Merkt wohl, Madonna«, sagte Poliziano und neigte sich zu ihr herab. »Ich bin Euer Freund und Euch wohlgesinnt. Der Fürst ist flatterhaft und unbeständig, da wo er besitzt. Euch aber wird er treu sein für alle Zeiten, wenn er Euch nie ganz gekannt hat. Bleibt für ihn die Unerreichbare, die Zarte, die allzu irdische Leidenschaft zerbrechen würde. Steigt nicht selbst herab von dem Piedestal, auf das er Euch gestellt hat, mögt Ihr solches auch zuweilen wider die Natur finden. Laßt Euch durch die wilde Flamme des Begehrens, die zuweilen in seinem Auge aufblitzt, nicht verleiten, diesem Begehren nachzugeben. Dies spricht Euer Freund. Und nun gehabt Euch wohl. Madonna. Ich muß zum Botticelli, bei dem Giuliano ein neues Bild von Euch zu bestellen wünscht.«
Der weite Weg in der Hitze und die Erregungen des Tages waren Simonetta nicht wohl bekommen. Der trockene Husten, an dem sie wohl auch sonst litt, steigerte sich und einmal trat ihr gar das rote Blut auf die Lippen. Der Medicus meinte, dies sei ein Zeichen, daß ihr Körper mehr Blut enthalte, als er verarbeiten könne, aber auch ein Aderlaß verschaffte ihr keine Erleichterung. Allzuheiß pochte das Blut in ihren Schläfen und bei Tag und Nacht fand sie keine Erleichterung, obgleich sie von großer Schwäche war und das Fieber sie schüttelte. Giuliano geriet in eine schlimme Verzweiflung, als er von der Krankheit seiner Geliebten hörte. Fast täglich ritt er hinüber und brachte erlesene Früchte mit oder seltsame Blumen, die nur sein Gärtner in Poggio a Caiano zu züchten verstand. Der Magnifico sandte seinen Leibarzt an das Bett der Kranken und besser der irdischen Bedürfnisse eingedenk als der Jüngling, auch eine Summe Goldes, dem Messer Vcspucci über das Schwerste der Krankheit hinüber zu helfen. Denn auch Lorenzo liebte Simonettens zarten Reiz, und daß sie ein Schmuck seiner Stadt und seiner Feste war.
»Wenn sie mir nur nicht stirbt, Angelo«, sagte Giuliano angstvoll, »wenn sie mir nur nicht stirbt, denn dann habe ich sie getötet.«
»Ihr, mein Fürst?« fragte der Polizian erstaunt.
»Ja, ich – mit meiner Begierde hab ich sie geschändet. Erinnerst du dich des Abends, da wir von Ferrara kamen und sie mich mit heißem Schluchzen begrüßte? Erst fühlte ich mich von so Ungewohntem befremdet, fast abgestoßen, dann aber kam Gier über mich und kaum vermochte ich mich von ihr loszureißen. Am nächsten Tage wurde sie krank – das hat meine Wildheit verschuldet. Es war die Strafe der Madonna, Angelo, weil es mich nach diesem Weibe gelüstete, das Jungfrau bleiben soll – nun will sie es in eine reinere Welt entrücken.«
»Herr«, sagte der kluge Polizian, »wäre es wirklich so schlimm gewesen, wenn sie Euer geworden wäre? Weib ist am Ende Weib – vielleicht flammen auch heimlich heiße Wünsche in ihr!«
»Das ist doch nicht dein Ernst, Angelo«, rief der Jüngling zornig, »soll ich sie nehmen wie die Erstbeste, diese Lilienhafte? Soll ich sie zu Lug und Trug bestimmen, zu Schlichen und Kniffen oder sie am Ende ganz offen aus der Hand ihres kupplerischen Gatten empfangen, wie irgend eine von unseren florentinischen Damen? Und an was sollte ich dann glauben, wenn auch sie nicht rein ist? – Du schweigst, Angelo? Du siehst ein, daß es nichts anderes gibt, als das süße Leid dieser unerfüllten Liebe weiter zu tragen, mich an ihm zu reinigen und zu erheben – Lust mag anderswo gestillt werden.« Und er drückte eine Rose an seine granatfarbenen Lippen und ließ sie auf Simonettens Schwelle fallen.
Diesmal starb Simonetta noch nicht. Die Kräfte kehrten langsam wieder und es kam der Tag, da sie zum erstenmale ihr stickiges Gemach verlassen konnte, um auf der Terrasse Luft zu schöpfen. In schwerem Gluthauch kroch die Hitze von Florenz herauf, aber wohlig dehnte Simonetta den entkräfteten Körper darin und süßes Hoffen zog in ihre Seele. Den ganzen Tag über hatte sie auf ein wundersames Erlebnis gewartet und als der Abend nahte, kam es. Messer Vespucci war zur Stadt geritten und als Simonetta den leichten Hufschlag eines Rosses hörte, wußte sie, daß es nicht ihr Gatte war. Sie regte sich noch immer nicht, als sie des Jünglings heiße Lippen auf ihrer Hand verspürte. Dann fuhr sie mit der andern Hand über des Geliebten schwarze Locken. »Giuliano, Giuliano!« flüsterte sie, »wie bin ich glücklich heute!«
»Und ich, Simonetta – wie bin ich selig, dich gesund zu sehen! Wie hat die schwarze Angst mich gepeinigt, Euch zu verlieren!«
»Ich liebe dich, Giuliano – lange, lange schon hab’ ich es dir sagen wollen, aber die feige Angst ließ es nicht über meine Lippen. Angst, wovor – ich weiß es nicht. Ich bin dein, Giuliano, ganz dein, mit allem was ich bin – verstehst du mich wohl. Lege deinen Kopf an den meinen und laß uns das Glück dieser Stunde genießen.«
»Wie machst du mich glücklich, Simonetta. Du sollst deine süße Liebe keinem Unwerten geschenkt haben. Noch in fernen Zeiten sollen sie von Giuliano und Simonetta singen, soll der Ruhm deiner Schönheit und Tugend die Welt erfüllen.«
»Ach, Giuliano, mich gelüstet nicht nach Ruhm – ich will Glück, Giuliano, das große tiefe Glück, das ich nicht kenne.«
»Gibt es besseres Glück als Ruhm?«
»Ich meine, das Glück süßer Heimlichkeit muß größer sein«, sprach Simonetta träumend. Giuliano schüttelte das Haupt. Indem ward der Hufschlag eines Pferdes in der Ferne hörbar und Simonetta fuhr zusammen. »Mein Gatte!« sagte sie angstvoll, denn sie fürchtete, die süße Stunde möchte zu Ende sein.
»Fürchte nichts. Geliebte«, sprach Giuliano, »du bist sicher in meinen Händen – ich habe der Madonna gelobt, dich heilig zu halten und zu ehren für alle Zeiten«.
Da schrie Simonetta auf: »Du hast eine andere Geliebte, eine, zwei, ich weiß nicht wieviele!«
»Kann dies dich stören?« fragte Giuliano überrascht. »Auch du hast ja einen Gatten. Kann so Erhabenes, wie diese Liebe, wirklich von so kleinen Dingen abhängig sein? Große Künstler werden uns verherrlichen – schon arbeitet Poliziano an einer großen Dichtung zu unserem Preise und Sandro Botticelli will seinem Frühling noch ein weit schöneres Bild folgen lassen – das Bild von Mars und Venus, das deine und meine Züge tragen soll. Simonetta, begreifst du die Seligkeit des Ruhmes nicht, der der Seltenheit keuscher Liebe zuteil werden soll?«
»O, Giuliano, so klein will mir dies alles scheinen!«
»Klein? Du bist ein Weib, ich kann mit dir nicht rechten. Wir Medicäer aber schreiben unseren Namen an den Himmel und was wir wirken, sollen Spätere genießen, wie wir selbst. O Simonetta, könnte ich doch den Schleier von deiner Seele reißen und dir zeigen, wie wir zur Unsterblichkeit eingehen!«
Simonetta schwieg. In ihr schrie es: »Ein Spielzeug ist unsere Liebe für dich, ein Feuer, das dich anmutig erleuchten soll, ohne dich zu verbrennen. Du denkst an das, was die Nachwelt rühmen wird – und ich dagegen! Und ich!«
Giuliano stand auf. »Ich muß nun scheiden, Simonetta. Der Polizian bat mich in seine Villa gebeten, die dort herübergrüßt. Er will mir seinen Wein vorsetzen, wie selbst Pico von Mirandola keinen besseren hat und wir wollen uns an Platos Herrlichkeiten erfreuen. Hab Dank für diese unsterbliche Stunde! Wie will ich sie beim Polizian erzählend nachgenießen!« Er drückte die Lippen auf ihre Hand und bald verklang der Hufschlag seines Pferdes in der Ferne.
Sie hätte ihm nachrufen mögen: »Bleib! Ich liebe dich! Ich ersehne dich!« Aber sie vermochte es nicht. Ihr Herz schmerzte und ihr Blut schrie: »Was nutzt mir meine vielbesungene Schönheit, wenn mich keiner begehrt und ich die Liebe nicht kennen soll!«
Da hörte sie es rascheln neben sich im Gebüsch und vor ihr stand, groß und wild, mit Augen, aus denen die Gier glühte, der Moro. Sie hätte rufen können und rief nicht. Er streckte die Arme nach ihr aus und seine Zähne bleckten aus dem dunklen Gesicht. Sie hätte schreien können und schrie nicht. Sie fühlte seine zottige Brust und den falben Tiergeruch seines Körpers und plötzlich stieg die Erinnerung an Giulianos Antlitz vor ihr auf, an seine stolze Gestalt, seine edlen Hände. Da wollte sie schreien, aber es war schon zu spät und die Sinne vergingen ihr.
Daran starb die schöne Simonetta, an der Scham, daß sie sich an den halbwilden Knecht verschenkt hatte und nicht an ihrer kranken Brust, und daß der Arno in jenen Tagen seine Fieberdünste bis in die Berge geschickt hatte, wie die Ärzte meinten. Sie war nur wenige Tage krank und erlangte das Bewußtsein nicht mehr. Als sie starb, verschwand auch der Moro aus dem Hause, der bis dahin vor ihrer Schwelle gelegen hatte wie ein Hund.
Giuliano war in tiefster Seele zerbrochen. »Die Schönheit ist weg aus meinem Leben«, sprach er zum Polizian. »Sie war das Stärkste in mir – ich kann ohne Schönheit nicht leben. Du sollst sehen, sie zieht mich bald nach sich.« Er sprach wahr, denn auf den Tag genau ist er zwei Jahre später unter den Dolchen der Pazzi gefallen, im Dom zu Santa Maria del Fiore, wo er Simonetta zum erstenmal erblickt und wo ihr Traum ihn sterben sah.
Im offenen Sarge wurde Simonettas Leichnam zur Kirche getragen, damit die Menschen sich noch ein letztes Mal an ihrer vom Tode unberührten Schönheit erfreuen mochten. Lorenzo Magnifico widmete ihrem Scheiden vier seiner schönsten Sonette und ganz Florenz legte Trauer an um seine schönste, geliebteste und tugendreichste Frau.