Franziska Gräfin zu Reventlow
Viragines oder Hetären?
Franziska Gräfin zu Reventlow

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No. 22 [Zweiter Jahrgang.] 1899.

Zürcher Diskußionen.

Viragines oder Hetären?

von

Fanny Gräfin zu Reventlow

(München)

»Tout cela est fâcheux. Et, dussé-je passer pour être d'une morale trop légère, j'en reviens volontiers à la ›galanterie‹, c'est-à-dire à cette chose mal définissable, où entraient le désir, le goût vif, l'esprit, la volupté, une pointe de tendresse, et qui se défendait de la douleur, de la mélancolie et des crises du désespoir. La vie moderne est si dure, si âpre, les idées générales ont de si cruelles invertitudes que je me risque comme un remède à conseiller, à louer l'amour sans inquiétude, sans souci du lendemain, sans drame ni crise, rieur et tolérant tout au plus une larme furtive qu'on peut ne pas voir sans être cruel . . .«

COLOMBA, dans l' Echo de Paris.

Darüber, was Frauen ziemt, sind die Ansichten wol noch nie so weit auseinander gegangen wie in unseren Tagen, wo die Emanzipazion und gleichzeitig die Modernität auf erotischem Gebiet immer weitere Kreise zieht und diesen beiden gegenüber hartnäkiger wie je das Filistertum auf seinen Zopfanschauungen und Zopfgebräuchen behart, wie die bekante hipnotisierte Henne, die sich nicht traut, über den Kreidestrich hinauszugehen.

Und all' diese verschiednen Anschauungen und ihre verschiedne Betätigung rufen allgemeine Streitstimmung hervor und verwirren manches harmlos neutrale Gemüt. Wer hat Recht und wer hat Unrecht? – Und was ist hier das Rechte, und was das Unrechte? – so halt es hin und wider, denn wir ordnungsliebenden Europäer halten es nun einmal für notwendig, das bei jeder Gelegenheit festzustellen.

Natürlich ist keine der streitenden Parteien auch nur einen Augenblik darüber im Zweifel, daß ihre Ansicht die alleinseligmachende ist. Diese Ueberzeugung gehört ja überhaupt zum Begriffe einer »Partei«, wie die Schale zum Ei. Das Einzige, worauf es in Wirklichkeit im realen Leben ankomt, ist: ob man als Partei stark genug ist, um die anderen Parteien unterzukriegen und mundtot zu machen.

Im großen und Ganzen ist das Filisterjum bis jetzt wol immer noch die stärkste geblieben und wird es wol auch immer bleiben, denn Ruhe, Ordnung und »erbärmliches Behagen« ist das, was den Menschen im Allgemeinen am meisten imponirt und ihnen als erstrebenswertestes Ziel des Lebens gilt.

In den Schichten der Gesellschaft, die man innerlich und äußerlich zum Filisterjum, zur Burschoisie rechnen kann, ist man sich völlig klar darüber, was der Frau ziemt und ansteht. Da gibt es keine Zweifel und keine entgegengesezten Meinungen. Vor allem handelt es sich darum, daß das Leben sich möglichst glatt und anständig ohne lärmende Konflikte abwikelt. Die erste Bedingung dazu ist, daß von der Frau möglichst wenig Wesens gemacht wird. Daß sie sich ihren tadellosen Ruf bewahrt und einen gutsituirten Mann, als eine auskömliche Versorgung bekomt. – In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesez und die Profeten.

Als kleines Mädchen artig in die Schule und manierlich mit Eltern oder »Fräuleins« spazieren gehn, als großes Mädchen je nach den Verhältnißen als Nuzobjekt oder Dekorazionsgegenstand im Hause figurieren, als Braut sittig errötend an der Aussteuer nähen, als Frau dem Gatten sorgend und liebend zur Seite stehen, den Pflichten des christlichen Ehebettes nach bestem Vermögen nachkommen und ihre Kinder zu derselben trostlosen Lebenslangeweile erziehen. Klar und deutlich ist der Weg ihr vorgezeichnet, etwaige Freiheits- oder Lustbestrebungen werden rechtzeitig unterdrükt, wo sie aber dennoch Oberhand behalten, wird das räudige Schaf bald möglichst aus der Gemeinde entfernt – zur Freude der Gottlosen, denen ein Sünder lieber ist wie 99 Gerechte.

Ein zweifellos intereßanteres Gebiet wie das eben berührte ist die Emanzipazion – dieses Heer von bewegten und bewegenden Frauen, die statt Kochlöffel und Nähnadel das Schwert der Rede und Agitazion ergriffen haben, und der ganzen Welt zum Troz sich selbst und ihre Mitschwestern »befreien« wollen.

Befreien – wovon und wozu? – Von der Sklaverei des Mannes, unter der das Weib seit Jahrhunderten schmachtet – so lautet die übliche Antwort – Von der sozialen und geschlechtlichen Sklaverei.

Die Frauenbewegung hat wie alle Dinge ihre zwei Seiten. Das Streben, die Frauen der arbeitenden Klaßen aus ihrer Misere zu befreien, ihnen beßere Lebensbedingungen, höhere Löhne zu schaffen, sich der Kinder und Wöchnerinnen, besonders der unehelichen, anzunehmen, Alles das ist der sogenante berechtigte Kern der ganzen Bewegung, dem wohl kein vernünftig und human denkender Mensch seine Anerkennung versagen wird. Es sind das Gebiete, wo ein Zusammenwirken mänlicher und weiblicher Kräfte geboten ist und durch dasselbe gewiß unendlich viel geleistet werden kann.

Aber die »kämpfenden Frauen« würden sehr empört sein, wenn man ihnen zumuten wolte, sich darauf zu beschränken. Die Hauptkraft der redenden, schreibenden und agitirenden Bewegung konzentrirt sich auf die Befreiung der gebildeten, gutsituirten Frau, auf den Kampf um die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter, die durch höhere geistige Schulung der Frau, durch Errichtung von Mädchengymnasien, Zulaßung zum Studium und zu den verschiednen Berufen erreicht werden soll.

Die extremsten Bewegungsdamen haben die Behauptung aufgestelt: Das Weib kann Alles, was der Mann kann, es ist nur durch jahrhundertelange Unterdrükung und Gewohnheit um die Möglichkeit zu fisischen und geistigen Kraftleistungen gebracht worden.

Man stelle doch nur einmal einen wirklichen normalen Mann und ein wirkliches normales Weib, wie sie Gott erschaffen hat, nebeneinander und frage sich: Können zwei Wesen, die so verschieden geartet, gebaut, in jeder Beziehung so verschieden konstruirt sind und so verschieden funkzioniren – können diese zwei Wesen jemals gleichberechtigt, d. h. mit dem gleichen Erfolg zur gleichen Betätigung gebracht werden? Hat es irgend einen Zwek und würde es sich in irgend einer Beziehung lohnen, das zu versuchen, eines von ihnen nach dem andern zu modifiziren, die Geschlechtsunterschiede, die alle andren bedingen, zu verwischen, damit Eines dem Andren ähnlicher wird? –

Wozu hat die Natur denn überhaupt mänliche und weibliche Wesen mit ihrer ewigen Verschiedenheit hervorgebracht? Wozu der anatomische Unterschied, der den Mann von vornherein zum Angreifenden, Ausübenden und das Weib zum Empfangenden, sich Unterwerfenden macht?

Die geschlechtliche Attake ist die Urleistung des Mannes, die nur er auszuüben vermag und von der aus sich sein ganzes Wesen und seine ganze Stellung in der Welt gebildet und entwikelt hat. – Das Weib erwartet, verlangt sie, gibt sich ihr hin. Das ist seine Funkzion. Und warum soll in dieser äußerlich paßiven Rolle etwas Erniedrigendes liegen? Für diejenigen Frauen, die der Psichjater als natura frigida bezeichnet, mag es ja sein. Gut, so sollen sie es eben bleiben laßen. Aber für jedes, wahrhaft erotisch empfindende Weib liegt gerade ein unendlich feiner Reiz darin, den stärkeren Gegner im Liebeskampf anzureizen, zu versuchen und sich ihm dann in selbstvergeßnem Rausch zu schenken. Und sie wird im entscheidenden Augenblik durchaus nicht das Gefühl einer Niederlage haben – im Gegenteil, die Bejahung des Lebens ist immer ein Siegesgefühl.

Wir haben vorhin gesagt, daß das Wesen und die Stellung des Mannes im Großen und Ganzen durch diese eine Urleistung bestimt wird. Alle Angriffsposizionen und Angriffsberufe haben von jeher ihm zugehört, Soldat, Preiskämpfer, Polemiker &c. Es heißt nicht umsonst im Sprichwort: »den Mann stellen«. Es wird niemand in den Sinn kommen, statt deßen zu sagen: »das Weib stellen«, oder »den Menschen stellen«.

Aehnlich verhält es sich auch mit anderen, auf anatomischen Unterschieden begründeten Leistungen, z. B. dem Baß- und Tenorsingen, das auf der mit der Geschlechtsdifferenz gegebenen Anlage des Kehlkopfes und der Stimmbänder beruht, oder dem Schnelllaufen, das auf der senkrechten Stellung der Oberschenkel beim Manne beruht. – Mit der häufigeren Uebung im Angriff und in allen gewaltsamen Leistungen ist dann selbstverständlich auch eine höhere Ausbildung (und Vererbung) der fisischen Kraft und der Muskulatur gegeben.

Wir wollen gewiß nicht bestreiten, daß es manche Leistungen gibt, deren beide Geschlechter fähig sind, wie mäßige Muskelanstrengungen, Holzspalten, Wassertragen, überhaupt alle häuslichen Arbeiten, die ja immerhin ziemliche Kraft erfordern, auch Radeln, Berge stetigen &c.

Wo es aber auf schwere körperliche Leistungen ankomt, liegt die Sache doch wesentlich anders. Man braucht ja nur einmal diese schwerarbeitenden Frauen der unteren Stände anzuschauen, die außerdem noch jedes Jahr ein Kind zur Welt bringen, um einzusehen, daß der weibliche Körper dem nicht gewachsen ist, daß er dabei aus der Form und allmählig zu Grunde geht. Uebrigens sieht man selbst bei dem Landvolk, wo doch die weibliche Arbeitskraft nach Möglichkeit ausgenuzt wird, nur selten, daß die Frauen zu gewißen Kraftleistungen, beispielsweise zum Pflügen, herangezogen werden, ebenso, daß unter den Akrobaten, Atleten &c. das weibliche Geschlecht nur in der Minderheit vertreten ist. Alle diese Tatsachen deuten doch darauf hin, daß das Weib, mit einigen wenigen Ausnahmen vor allen Leistungen, die ein hohes Maas von Muskelkraft, Schnellkraft und Behendigkeit erfordern, zurückschrekt. Und Ausnahmen stoßen bekantlich die Regel nicht um.

Wenn wir auf das geistige Gebiet übergehen, so klingt die Behauptung der Frauenrechtlerinnen, daß die Frau dasselbe zu leisten imstande sei wie der Mann, immerhin etwas plausibler, aber wol hauptsächlich deshalb weil das Gegenteil schwerer zu beweisen ist. Es komt ja schließlich heutzutage öfters vor, daß Frauen troz mangelhafter Vorbildung irgend ein Studjum glänzend absolviren, also auf einem der dem andren geistigen Gebiet dasselbe fertig bringen wie ein Mann. Aber, – es ist ein großes Aber dabei, das den ganzen Beweis zu nichte macht: das Leben komt zu kurz dabei. Der Mann ist neben seinem Studjum oder Beruf noch imstande zu genießen, zu lieben, seine Funkzjon als Mann auszuüben. Das kann die Frau nicht. Sobald sie zum Beispiel Mutter wird, ist es aus mit dem Studjum oder wenigstens legt die Mutterschaft ihr starke Beschränkungen auf. Die Frau, die mit dem Manne erfolgreich konkuriren will, kann also wiederum nicht als auf gleicher Stufe mit ihm stehend betrachtet werden. Greift doch nur in's volle Menschenleben hinein, denkt Euch einen fetten, fröhlichen Corpsstudenten, der Tag und Nacht im Wirtshaus sizt, trinkt, liebt, paukt und es doch schließlich zum Arzt, Anwalt oder sonst irgend einem Beruf bringt, und daneben eine Studentin, die Studentin trinkt nicht, liebt nicht, sie lebt nur in ihrer Arbeit und für ihre Arbeit, als Weib zählt sie gar nicht mehr mit. Der liebenswürdige Tipus der studierenden Geliebten, den Wolzogen in seiner Claire de Vries im »Dritten Geschlecht« schildert, begegnet uns im Leben fast nie. Wir lernen in der Praxis immer nur überarbeitete, nervöse Berufsfrauen kennen, die der Welt und ihrer Lust abhold sind, weil sie eben beides nicht miteinander vereinigen können. Es soll das nicht etwas eine Verhöhnung der arbeitenden Frauen, d. h. derjenigen, die wirklich arbeiten müßen, sein. Die Energie und die Selbstverleugnung, die manche von ihnen an den Tag legen, mag ja höchst anerkennenswert sein, aber ein erfreuliches Bild ist es nicht.

Dabei wird die Zulaßung zum mänlichen Studjum und den Berufen mit einer Vehemenz verfochten, als ob der Menschheit bedeutend auf die Beine geholfen würde, wenn es weibliche Aerzte, Anwälte, Richter &c. gäbe. Besonders weibliche Aerzte, »weil das Schamgefühl mancher Frauen sie hindert, sich einem mänlichen Arzt anzuvertrauen.« Warum sucht man nicht lieber den Frauen dieses falsche Schamgefühl abzugewöhnen, hinter dem doch nur Dummheit oder Lüsternheit stekt. Eine normal empfindende Frau schämt sich gewiß weit eher vor einem weiblichen Arzt.

Und weibliche Richter und Anwälte – ich glaube, der Gedanke, vor einem Forum von sittenstrengen Geschlechtsgenoßinnen abgeurteilt zu werden, möchte zahllose Sünderinnen zum Selbstmord oder zum Meineid treiben.

Das Argument, daß einer der genanten Berufe die Frau befähigen soll, sich eine günstigere, pekunjäre Lage zu schaffen, steht ebenfalls auf thönernen Füßen. Die blaße Möglichkeit, nach absolvirtem Studjum einen solchen Beruf überhaupt zu erlangen, ist wenigstens in Deutschland eine seltne Ausnahme. Es würden also viele Frauen studiren und nur wenige ihren Beruf ausüben können, somit eine Summe von Geld, Zeit und Kraft verloren gehn, die anderweitig beßer angewendet werden könten. Daß eine Frau überhaupt aus Not zum Studjum greift, komt schwerlich vor, sie studirt eben lediglich aus Begeisterung oder um die Welt von ihren Fähigkeiten zu überzeugen.

Bisher jedenfalls ist ausschließlich von der gleichen geistigen Befähigung geredet, geschrieben aber weiter nichts bewiesen worden, als daß eine verschwindend kleine Zahl von Frauen Gymnasien durchmachen, Examina ablegen und eventuell auch einen Beruf ausüben können. Voilà tout!

Weibliche Denker, Filosofen, Erfinder, kurz das »Weibschenie« auf geistigem Gebiet ist uns noch nicht vorgeführt worden. Wenn man dies nur auszusprechen wagt, so wird unfehlbar Sonja Kowalewska zitiert. Gewiß, sie hat mehr gekont und mehr geleistet wie mancher begabte Mann, aber ihre Lebensgeschichte ist der beste Beweis für das vorhin Gesagte – wie sie selbst förmlich unter ihrer Begabung und Wißenschaft gelitten und sich nach ganz andrem Lebensinhalt gesehnt hat. Und überdies ist die Kowalewska eine Erscheinung, wie sie in Jahrhunderten vielleicht ein einziges Mal vorkomt, während es fast zu allen Zeiten genial begabte Männer gegeben hat. Und daß von diesen Einer an dem Zwiespalt zwischen seiner eigentlichen Lebensanlage und seiner Wißenschaft zu Grunde gegangen wäre, ist mir nicht bekant.

In Kunst und Literatur ist es mit den weiblichen Leistungen vielleicht etwas beßer bestelt. Künstlerisches Gefühl, Geschmak &c. ist immerhin etwas, was sich bei der Frau noch eher findet wie überwiegendes Denken. Und doch, – was ist denn bis jezt auf künstlerischem Gebiet von Frauen geleistet worden? Hier und da ein gutes Porträt, eine fein empfundne Landschaft oder ein wirklich lebenswahrer Roman – aber wo ist etwas Hervorragendes, wovor man unwillkürlich stehen bleibt, was einen wirklich pakt und bis ins Innerste hinein durchschauert? Wie zum Beispiel bei Klinger, Rops, Dostojewsky, Garborg, Hamsun? –

»Ja, aber Marie Baschkirzew! erwidert der Kohr der Frauenrechtlerinnen. – Wieder nur Eine, eine Ausnahme, ein Fänomen, weil in ihr sich Schönheit, Erotik und leidenschaftliche Begabung vereinigt – ein Fänomen von dem man aber nicht weiß, was schließlich noch daraus geworden wäre: eine große Künstlerin, eine große Geliebte, oder beides – oder keines von beidem.

Eine Frau, die in der Kunst etwas leisten will, sich berufen fühlt, darin etwas zu leisten, hängt mehr wie bei allen andren Berufsarten davon ab, wie sie zum Leben steht. Wer das Leben nicht kent, wer nicht Schuld und Schmerzen, wer nicht Verzweiflung und schwindelndes Glük an sich selbst erfahren hat, wird nie und nimmer etwas schreiben oder bilden können, was in der Seele anderer die tiefen Schauer des Lebens auslöst. Wo das nicht der Fall ist, kann auch nicht von Kunst gesprochen werden.

Es gibt aber doch Frauen genug, die das Leben kennen gelernt haben in all seinen Höhen und Tiefen, wird man mir einwenden. Ja, die gibt es, aber meist bleiben sie als gebrochne Existenzen am Wege liegen, wenn sie nicht wenigstens die Mittel besizen, um ganz unabhängig zu leben, jeder Kritik und jedem Lästermaul die Stirne zu bieten, mit einem Wort: um auf die Gesellschaft zu pfeifen. Denn alle tiefgehenden Erlebniße nehmen die Frau, eben infolge ihrer fisischen Beschaffenheit mehr mit wie den Mann. Und dann: jede Frau die sich ausleben will, muß den Kampf gegen eine erdrükende Uebermacht, gegen die Gesellschaft aufnehmen. Eine Frau, die eine Vergangenheit und womöglich noch eine Gegenwart hat, ist vor der Gesellschaft gleich dem Manne, der im Zuchthaus geseßen ist.

Das einzige künstlerische Gebiet, wo die Frau wirklich Gleichwertiges mit dem Mann leistet, ist die Bühne – der eklatanteste Beweis, daß sie nur da etwas zu sein und zu leisten vermag, wo sie ihrem Geschlecht und ihrer aus demselben hervorgehenden Veranlagung keinen Zwang aufzuerlegen braucht. Und das ist von allen Künsten nur bei der dramatischen der Fall; das Materjal, mit dem sie hier zu arbeiten hat, ist sie selbst, ihr eigner Körper, ihre Stimme, ihre Bewegungen, und der Mann ist hier nicht der Konkurent, mit dem sie ihre Kräfte meßen soll, sondern wie im Leben der Partner, der Mitspielende. Und ferner, was von großer Bedeutung ist, die Schauspielerei ist keine eigentlich produktive Kunst, es handelt sich nur um die Auffaßung, das Sich-hineinleben, Nachempfinden. Wir haben große Schauspielerinnen und große Tänzerinnen, aber keinen bedeutenden weiblichen Komponisten oder Dramatiker.

Alles das zeigt uns so deutlich, daß die Natur sich nicht dreinreden läßt. Und wo man ihr dennoch dreinredet, da rächt sie sich. Was komt denn dabei heraus, wenn man es wirklich durch Gewohnheit und Training dahinbringt, daß es im nächsten Jahrhundert Frauen gibt, die ebenso schwere Lasten heben oder ( pardon, messieurs!) ebensoviel Ballast im Gehirn herumschleppen wie mancher hochgelahrte Mann? Daß die Frau selbst nichts von ihrem Leben hat, daß die Gaben des Genusses, die die Natur in sie gelegt hat, ungenoßen verkümmern, daß sie für den Mann allen Reiz verliert und die Welt immer langweiliger und geschlechtsloser wird?

Das Eine ist ja richtig, und das mag Jeder, der nicht die Gottesgabe besizt, die Dinge so zu nehmen, wie sie nun einmal sind, als Ungerechtigkeit empfinden. Der Mann hat die Stellung die ihm von Naturwegen zukomt, er ist überall der Herschende, Angreifende, in allen Lebenslagen, in allen Berufen. Er hat sozusagen das Element, und die Möglichkeit, in dasselbe zu gelangen, ist gegeben. Er kann leichter zu seinem Recht als Mann und als Mensch kommen wie die Frau zu ihrem Recht. Sie ist nicht zur Arbeit, nicht für die schweren Dinge der Welt geschaffen, sondern zur Leichtigkeit, zur Freude, zur Schönheit – ein Luxusobjekt in des Wortes schönster Bedeutung, ein beseeltes, lebendes, selbstempfindendes Luxusobjekt, das Schuz, Pflege und günstige Lebensbedingungen braucht, um ganz das sein zu können, was es eben sein kann. Für den harten Kampf mit dem Dasein sind wir nicht gemacht, das weiß auch jede Frau, die durch die Verhältniße zu solchem Kampf gezwungen ist. Sie leidet darunter, weil sie fühlt, daß es gegen ihre Natur ist. Wenn wir die kurze Zeit des Lebens damit ausfüllen, Männer zu lieben, Kinder zu bauen und an allen leichten erfreulichen Dingen der Welt teilzunehmen, so haben wir genug getan, und dafür, daß wir unsre Kraft und unsren Körper den Männern und Kindern geben, verdienen wir, daß man uns das Leben äußerlich so leicht gestaltet wie nur möglich. Wir sind dazu da, es gut zu haben und uns nicht plagen zu müssen. Aber statt deßen sind Tausende und Abertausende von Frauen gezwungen, sich um das tägliche Brod zu schinden und abzurakern, sich Körper und Geist durch übermäßige Anstrengungen zu zerstören und auf ihren Reiz und ihre Funkzion als Weib ganz oder teilweise zu verzichten. Darin liegt das Verkehrte, das Unmenschliche, die Grausamkeit gegen das Weib. Darüber solte man sich entrüsten und wehklagen, wenn doch einmal gewehklagt werden muß.

Vielleicht entsteht noch einmal eine Frauenbewegung in diesem Sinn, die das Weib als Geschlechtswesen befreit, es fordern lehrt, was es zu fordern berechtigt ist, volle geschlechtliche Freiheit, das ist, freie Verfügung über seinen Körper, die uns das Hetärentum wiederbringt. Bitte, keinen Entrüstungsschrei! Die Hetären des Altertums waren freie, hochgebildete und geachtete Frauen, denen niemand es übelnahm, wenn sie ihre Liebe und ihren Körper verschenkten an wen sie wolten und so oft sie wolten und die gleichzeitig am geistigen Leben der Männer mit teilnahmen. Das Christentum hat statt deßen die Einehe und – die Prostituzion geschaffen. Leztere ist ein Beweis dafür, daß die Ehe eine mangelhafte Einrichtung ist. In einem Teil der Frauen sucht man von Jugend auf durch die christlich-moralische Erziehung das Geschlechtsempfinden abzutöten oder man verweist sie auf die Ehe mit der Behauptung, daß die Frau überhaupt monogam veranlagt sei. Gleichzeitig richtet man die Prostituzion ein, zwingt also den andern Teil der Frauen poligam zu sein, damit den Männern geholfen werde, für die wiederum die Ehe unausreichend ist. Der Geschlechtstrieb und seine Befriedigung überhaupt wird als ein notwendiges Uebel hingestelt, dem so oder so abgeholfen oder gesteuert werden müße. In der Ehe wird er zur Pflicht gestempelt, außerhalb derselben verpönt oder seine Befriedigung in möglichst unästetische Formen, wie unsre heutige staatlich konzeßjonirte Prostituzion gebracht. So geht mir doch mit der Behauptung, die Frau sei monogam! – Weil Ihr sie dazu zwingt, ja! Weil Ihr sie Pflicht und Entsagung lehrt, wo Ihr sie Freude und Verlangen lehren soltet. Weil Ihr kein Schönheitsgefühl im Leibe habt. Was ist denn ästetischer und im wahren Sinne moralischer: wenn Ihr Eure blühenden Mädchen zu abgestorbenen Gespenstern macht und Eure Söhne ins Bordell schikt, oder wenn Ihr sie sich mit einander in Schönheit ihres Lebens freuen laßt?

Nun Gott sei Dank, unsere christliche Gesellschaftsmoral hat sich mehr wie gründlich überlebt, die lezten Jahrzehnte, die moderne Bewegung hat die junge Generazjon wieder etwas von der mutigen Frohheit des Heidentums gelehrt. Wir haben angefangen die alten Gesezes-Tafeln zu zerbrechen.

Warum solte da moderne Heidentum uns nicht auch ein modernes Hetärentum bringen? Ich meine, den Frauen den Mut zur freien Liebe vor aller Welt wiedergeben? In Frankreich ist man uns in dieser Beziehung, in der erotischen Kultur jedenfalls weit voraus. Wir Deutschen müßen uns erst das schwere Blut, das kalte nordische Schuldbewußtsein und Verantwortungsgefühl abgewöhnen.

Und um wieder auf die Frauenbewegung zurückzukommen: sie ist die ausgsprochne Feindin aller erotischen Kultur, weil sei die Weiber vermänlichen will. Sie will unsern blutarmen, höheren Töchtern durch Gimnasjum und Studjum das bischen Geschlecht noch völlig abgewöhnen, womöglich durch ihre idealen Forderungen à la Björnson's »Handschuh« auch die Männer zur Askese erziehen.

Es kann einem angst und bange werden, wenn man diese »Extremsten« in geteiltem Loden-Rok und gestärkter weißer Weste auf den Kateder steigen und mit einer Stimme wie eine Baß-Klarinette über »Das Woib« reden hört. Sie meinen ja gar nicht das Weib, sie wollen ja gar nicht das Weib. Gott weiß, was sie überhaupt wollen. Es ist uns aus guter Quelle bekannt, daß hier in München im vorigen Jahre eine Versammlung von Viragines stattfand, wo unter anderm auch die Frage aufgeworfen wurde, ob die Männer überhaupt noch zum Geschlechtsgenuß zugelaßen werden solten. Mit knapper Stimmenmehrheit, mit einer einzigen Stimme Majorität, wurde die Frage »für diesmal noch« bejaht, wenn auch unter manchen Einschränkungen. – Mein Gott, es fält uns ja nicht ein, die lesbische Liebe principiell zu »verdammen«. Der Verdammungsstandpunkt ist für uns moderne Heiden überhaupt ein überwundner. Unter der anmutigen Form, wie sie uns Pierre Louys in seiner »Aphrodite« schildert, sind wir gern bereit, sie als berechtigt anzuerkennen, als Bereicherung der Welt um ein graziöses Laster. Aber an den Viragines unsrer Tage mit Herrenwesten und Lodenröken irgend ein ästetisches Wolgefallen zu finden – das ist zu viel verlangt.

Darwin erzählt uns, daß die englischen Schafzüchter sexuelle Zwischenformen aus ihrer Herde ausmerzen, weil sie weder schöne Wolle noch gute Hammelrüken liefern. Die Natur hat unter den Menschen bereits dasselbe getan. Die neusten Lehrbücher der patologischen Anatomie konstatiren, daß die Hermafroditen im Aussterben sind. Die Viragines, die bei uns die Männer abschaffen wollen, sind also wol zum größeren Teil nur hermafroditische Geister, mit denen der gesund-erotische Geist des neuen Heidentums, dessen Sieg wir vom nächsten Jahrhundert erhoffen, bald aufräumen wird.