Franziska Gräfin zu Reventlow
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Franziska Gräfin zu Reventlow

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Franziska Gräfin zu Reventlow

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Eine dreistöckige Episode

Dritter Stock, elf Uhr vormittags.

Der letzte Oktobertag blickt grau und kalt durch die Atelierscheiben. Die russische Fürstin Dobrowalska raucht im Bett ihre erste Zigarette und trinkt Tee. Auf dem Tische vorm Bett liegen drei oder vier graublaue Couverts mit Firmenaufschriften. Es sind Rechnungen, die der Postbote heute früh gebracht hat. Die Couverts sind noch unerbrochen – sie weiß auch so, was drin steht, es sind nur Repetitionen. –

Es klopft dröhnend an die Tür.

»Kein Modell!«

Es klopft. –

»Kein Modell«, wiederholt die Fürstin in apathischem Tonfall und steckt die zweite Zigarette an.

Es klopft weiter. – Dumm, sie hat vergessen, wie sonst die Doppeltür von innen zu schließen, dann hört man das Klopfen nicht. Resigniert wirft sie sich in den abgetragenen, himmelblauen Schlafrock und fährt in die türkischen Pantoffeln, ihre schwarzen Haare hängen wirr in die Stirn hinein. Es klopft unentwegt weiter. »Wer ist denn da?«

»Ich bringe das Winterkostüm von Frey und Comp.«

»So, ist gut, legen Sie es da aufs Sofa. Haben Sie die Rechnung? Danke schön. Guten Morgen.« –

»Entschuldigen, die Rechnung ist quittiert –«

»Warum quittiert? Habe ich das verlangt? Wie kann man eine Rechnung quittieren, ehe sie bezahlt ist. Nehmen Sie sie nur wieder mit. – Einen Augenblick noch.« Die Fürstin sucht auf dem Tisch etwas Kleingeld zusammen, das zwischen Tassen, Malutensilien, Revolverpatronen und Brennscheren verstreut umherliegt. – Das noble Auftreten muß gewahrt werden. –

»So, guten Morgen, können mir die Rechnung nächsten Monat einmal wiederbringen, aber unquittiert.« – Der Mann ab.

»Hausmeister, Hausmeister!« – Niemand kommt. Greuliche Wirtschaft. Muß man selbst Wasser holen. Sie sucht einen Krug hervor und geht zur Wasserleitung. Das Wasser läuft nicht.

»Hausmeister! Endlich. – Ich brauche Wasser, Hausmeister –«

»Ja, das lauft jetzt net. Drunten im Stall tränken's grad d' Pferd'. Nachher wird's schon wieder laufen. Wir haben auch keins zum Putzen.«

Während der Debatte hat sich der Korridor belebt. Drüben vor der Tür des Studenten steht eine ganze Menschenmenge Queue. Alle rufen nach dem Hausmeister.

»Jesses, ich kann mi doch net zerteilen. Was wollen's denn?«

»Ist der Herr Doktor Bierhuber net z' Haus?«

»Der schlaft noch, vielleicht ist er noch gar net heimkommen. Suchen's ihn selbst, wann's ihn brauchen. I hab z' tun.« – Ab.

Plötzlich zerteilt sich die Menge. Die verschlossene Tür hat sich geöffnet: »Platz da!« – Der Korpsdiener drängt sich mühsam durch, ein großes Ölbild mit breitem Goldrahmen im Arm.

»Ah, das ist schön – der König Ludwig – ist der Herr Doktor nicht da drin?«

»Nun, Sie sehen's doch, ich muß das Bild da forttragen, der Herr Doktor zieht aus. Wohin ich's tragen muß, sagte er nicht, der Goldrahmen ist wertvoll.« – Der Korpsdiener verschwindet mit dem Bild treppabwärts.

Die Leute verziehen sich grollend und suchen wieder nach dem Hausmeister.

Die Fürstin Dobrowalska hat sich wieder in ihre Gemächer zurückgezogen. Sie steht vor ihrer Staffelei und betrachtet prüfend das angefangene Porträt, raucht gleichmütig eine Zigarette und wartet darauf, daß die Pferdetränkung zu Ende sein und das Wasser wieder laufen wird.

Es klopft wieder. »Was ist?«

»Gnädiges Fräulein schon auf?«

»Ja, kommen Sie nur herein.«

Doktor Bierhuber erscheint. Blonder Hüne. Bis auf einige abgerissene Westenknöpfe und eine schief gebundene Krawatte ist sein Äußeres von tadelloser Eleganz. »Guten Morgen, darf ich einen Augenblick herein. Ich hab' den Schneider kommen sehen. Ich bin nicht zu Haus. Haben Sie vielleicht einen Spiegel, Gnädige, habe meinen schon fortgeschickt?« –

»Gewiß, dort.« – Er bindet die Krawatte und ersetzt die fehlenden Knöpfe durch Sicherheitsnadeln, während sie diskret zur Seite blickt. »So, fertig.« –

»Schauen Sie, Doktor, wie gefällt Ihnen mein neues Winterkostüm?« –

»Tadellos, wird Ihnen brillant stehen –«

Man hört schwere Schritte die Treppe herauf, jemand klopft erst an der Tür des Studenten, dann an allen anderen Türen, ruft nach dem Hausmeister.

Beide drinnen horchen atemlos. »Er ist's«, seufzt der »Doktor« gequält.

Es klopft. Bierhuber verschwindet hinter einem japanischen Wandschirm, der kaum dazu hinreicht, seine Riesengestalt zu verbergen.

Die Fürstin an der Tür. »Was ist?«

»Können's mir nicht sagen, ob da der Herr Doktor Bierhuber wohnt?«

»Was wollen Sie? Ich bin Russin. Kennen nicht.« Der Mann ab.

Der Hausmeister klopft: »Gnä Fräulein –«

»Ja?«

»Ist der Herr Doktor da?«

»Pst – kommen Sie herein.« –

Vorige, der Hausmeister. »Herr Doktor, die Leichenfrau ist wieder da. Sie will mit Ihnen selbst sprechen. Die 5 Mark muß sie haben, hat's gesagt.«

Der Bierhuber reckt sich hinter dem Wandschirm empor. »Werfen Sie die Frau hinaus. Ich bin nicht zu Hause. Ich wohne nicht mehr da.«

»Herr Doktor, sie ist schon das dritte Mal da, sie sagt, sie hat das Grab von Ihrer Tante so schön hergericht für Allerheiligen.«

»Ich habe keine Tante, ich bin nicht zu Hause. – Warten Sie, Sie können ihr meinen alten Wintermantel geben, den Sie zum Ausklopfen haben.« –

Aus dem zweiten Stock ruft eine Donnerstimme:

»Hausmeister, Hausmeister!«

Zweiter Stock. Vormittags ½12 Uhr. Der Hausherr sitzt im Großvaterstuhl mit Fez und türkischem Schlafrock, raucht seine Pfeife und liest die Münchener Neuesten Nachrichten. Der Hausmeister tritt auf.

»Haben Sie endlich gehört? Ich rufe seit einer halben Stunde. Da sind die Quittungen für die Mieter. Bringen Sie mir den Zins nachmittags – Was machen Sie für ein dummes Gesicht? – Ist eins ausgerückt? Sie kriegen keinen Pfennig, ehe die Mieter gezahlt haben. Lassen Sie den Jungen, den Bierhuber nicht ausziehen, ehe ich sein Geld habe. Geben Sie acht auf seine Möbel. Die gehören mir, wenn er nicht zahlt. Sieben Monate rückständig, macht 140 Mark – wissen Sie, wo er hin will?«

»Ich weiß nichts – Herr Lesmüller.«

»Sie sollen es aber wissen. Und der Russin kündigen Sie auf ersten November. Wenn sie nicht ausziehen will, hängen Sie ihr Tür und Fenster aus. – Da, ich habe ihr die Zinsen für die letzten Monate dazugeschrieben, daß sie's nur weiß. Sonst tut sie wieder, als ob sie nicht rechnen könnte. Der Rückstand muß her. – Wissen Sie, ob die Einrichtung ihr gehört?«

»Ich weiß nicht, Herr Lesmüller, ich glaube, sie sagte, es ist vom Onkel.« –

»Dann muß der Onkel zahlen – verstehen Sie? – Der Hauptmann im ersten wird gesteigert, er will das Kaminrohr repariert haben. Das können Sie gleich machen. Ich will nicht ewig Handwerker im Haus haben. Ich zahl' Ihnen 'ne Maß dafür. Wollen Sie noch was? Sie bekommen Ihr Geld, wenn Sie mir die ganze Geschicht bringen. – 'n Morgen.«

Erster Stock. Vormittags. Der Hauptmann von Hennewitz kommt aus dem Dienst: »Na, Frauchen, wie geht's?«

»Du, der Hausmeister war eben da. Wir kriegen das Rohr repariert, aber der Hausherr will uns steigern.«

»Dummes Zeug, die Miete ist hoch genug. Ich muß gleich wieder fort. Bring du nur die Rechnung in Ordnung, aber steigern lass' ich mich nicht. Das kann der Hausmeister ihm ausrichten. Adieu, Schatz.«

»Adieu.«

Dritter Stock. Nachmittags.

Atelier der Fürstin Dobrowalska, die Herrin liegt auf dem Diwan und raucht. Drei Russen sitzen am Tisch, trinken Tee und rauchen ebenfalls. Doktor Bierhuber sitzt auf einer Tischecke, spielt Mandoline und wirft der Fürstin Blicke zu. Die Russen, denen man heute ihr letztes Mobiliar abgepfändet hat, debattieren unentwegt weiter über Nietzsche. Sie bewundern ihn, »aber er ist nicht Freund von Sozialismus und muß man lieben Volk und sein Freund von Sozialismus«.

Es klopft. Der Hausmeister tritt auf. »Gnä Fräulein, die Quittung vom Hausherrn, wann's ihn net zahlen, müssen's ausziehn. Er hat gefragt, ob die Einrichtung Ihnen g'hört?« Die Russen disputieren weiter, jetzt über Ethik.

Der Hausmeister konferiert an der Tür mit Doktor Bierhuber und geht dann mit beiden Quittungen wieder ab.

Zweiter Stock. Nachmittags. Hausherr am Schreibtisch, raucht Havanna und schreibt Rechnungen. »Herein.«

Der Hausmeister: »Herr Lesmüller, da ist das Geld vom Herrn Hauptmann, aber steigern will er sich net lassen. Er zieht sonst aus. Und da ist vom Herrn Anwalt und der Frau Ober-Offizial.« –

Hausherr: »Gesteigert wird er doch, und ausziehen wird er schon bleiben lassen, wenn wir ihm's Kaminrohr reparieren. Und der dritte Stock?«

»Die haben noch net zahlt, Herr Lesmüller, die drei Russen sind gepfänd't worden, der Herr Doktor Bierhuber läßt seine Möbel hier und –«

Hausherr: »Da haben Sie die Hälfte von Ihrem Gehalt, das andere bekommen Sie, wenn die Bande gezahlt hat. Verstanden? Bringen Sie mir das Geld morgen.«

Dritter Stock. Eine Stunde später.

Die Russen verlassen diskutierend das Lokal, sie müssen noch zu einem Klubabend und werden bei »gutes Freund« übernachten, weil sie keine Betten mehr haben. Die Fürstin liegt auf dem Sofa und raucht. – Doktor Bierhuber ist einer Vorladung aufs Gericht gefolgt. Es klopft. »Was ist?«

»Ich komme von Frey und Comp.«

An der Tür. »Was wollen Sie?«

»Ich habe da die Rechnung. Entweder muß zahlt wer'n oder ich muß das Kostüm wieder mitnehmen.« –

»Was fällt Ihnen ein? Ich bin Russin. Ich kann nicht.«

»Ich muß es mitnehmen. Ich darf nicht ohne das Geld oder das Kostüm wiederkommen.«

Sie streckt die Waffen, öffnet die Tür, der Mann nimmt das Kostüm über den Arm, entschuldigt und entfernt sich.

Die Fürstin Dobrowalska steckt sich eine Zigarette an und reißt das Fenster auf. Sie hat ganz vergessen, daß eine Scheibe gesprungen ist. In 1000 Splittern rasselt das Glas herab. Zwei bis drei tiefe Einschnitte am Handgelenk.

»Hausmeister, Hausmeister!«

»Was gibt's?«

»Gehen Sie doch fragen, ob der Herr Doktor wieder da ist und bitten Sie ihn um einen halben Meter Heftpflaster.«

Der Bierhuber ist glücklicherweise Tierarzt und Mensurflicker. Er holt seine vom Rost halbzerfressenen Instrumente und näht den Riß kaltblütig zu. Mit Odol wird desinfiziert. Ein Stück Vorhang dient als Handtuch, von welchem Gegenstand heut im ganzen Hause kein Exemplar aufzutreiben ist. Der Hausmeister macht den Assistenten.

Abends. Dritter Stock. Die Fürstin liegt auf dem Diwan, raucht und trinkt Tee. Draußen hört man Auf- und Abgehen schwerer Männertritte. Dann und wann Krachen von Mobilien.

Dann tiefe Stille. Es klopft. »Entrez.«

Der »Doktor«. »Abschied nehmen, gnädiges Fräulein, mit gebrochnem Herzen –«

Er setzt sich auf die Tischecke und spielt wehmütig auf der Mandoline.

»Schon fertig mit Umzug?«

»Ja, man hat meine Möbel abgeholt. Habe heute noch einen Käufer aufgetrieben, der den ganzen Rummel genommen hat. Bilder und Bettzeug habe ich zum Aufbewahren gegeben.«

Aus seiner Brusttasche ragen einige gelbe Zettel hervor. »Und der Hausherr?«

»Der sitzt drüben am Stammtisch. – Der Hausmeister repariert das Ofenrohr im ersten Stock, und der liebe Gott hat alles gesehen, wird aber nichts sagen.« –

»Herr Doktor, haben Sie nicht noch ein paar Gerichtsstempel übrig?« –

Stumme Szene. Er klebt die roten Zettel auf jeden dazu geeigneten Gegenstand. Sie leuchtet ihm dabei. Das Atelier macht einen total gepfändeten Eindruck. – Sie, aufatmend: »So, morgen wird's Ruhe geben.«

Zweiter Stock. Abends. Familienidylle. Der Hausherr im Sorgenstuhl, die Sprößlinge versammelt. Es sind wohlgenährte, intelligente Kinder, sie wissen, daß morgen der Erste ist. Karlchen möchte einen neuen Schulranzen, Marie wünscht sich ein Sportskostüm – alle ihre Freundinnen radeln jetzt –, und in Malys Brust ist das erste Sehnen nach Brillantboutons erwacht.

Herr Lesmüller hört zu, studiert dabei das »Vorabendblatt« der Münchener Neuesten und seufzt über die schlechten Zeiten. Die Gattin steht hinter ihm und glättet mit sanfter Frauenhand die Sorgenfalten auf seiner Stirn.

»Männchen, die Gardinen im Salon sehen nicht mehr ganz neu aus.«

Er lächelt milde. Es klopft. »Herein.«

Vorige, der Hausmeister. »Herr Lesmüller, das Ofenrohr ist repariert. Sie wollten –«

Hausherr (die Falten auf der Stirn erscheinen wieder): »Was wollte ich? Ich will, daß die Mieter zahlen, Ordnung will ich in meinem Hause. Wie steht's mit dem dritten. Ist der Bierhuber noch da?«

»Der ist schon fort, Herr Lesmüller.«

»Lassen Sie seine Sachen auf den Speicher schaffen. Da bleiben sie, bis er zahlt.«

»Herr Lesmüller, nachmittags sind Leute dagewesen, die seine Sach' geholt haben. Ich hab' gemeint, die hätt' der Herr Lesmüller geschickt g'habt.«

»Sie haben gar nichts zu meinen.« (Hausherr springt auf.) – »Seine Sachen geholt. Da soll doch gleich das Donnerwetter – Ich hab' Ihnen doch gesagt –«

»Herr Lesmüller, ich hab' doch das Ofenrohr zu reparieren gehabt, derweil sind's dagewesen.«

»Rufen Sie mir Ihren ›Doktor‹ her.«

»Der ist schon außen, Herr Lesmüller.« –

»Verfluchtes Pack – und die Russin, zahlt sie? Sonst schick' ich ihr den Gerichtsvollzieher auf den Hals und laß sie pfänden bis aufs –«

»Der ist schon dagewesen, Herr Lesmüller.«

»Dagewesen, wer ist dagewesen?«

»Man hat sie schon gepfänd't, lauter rote Zetteln hat's auf ihre Möbeln 'kriegt.«

Die Gattin zittert. Die Kinder verstecken sich. – Der Hausmeister ist Veteran von 71. Ein Soldat darf nie den Mut verlieren.

Herr Lesmüller ist fürchterlich in seinem Zorn. »Hausmeister, Sie stehen mir für die Leute. Wenn das Geld nicht morgen hier auf dem Tische liegt, will ich nie Hausherr gewesen sein. Ihre Maß zahl' ich Ihnen, wenn Sie's bringen. – Verstanden?«

Vorige ohne den Hausmeister. »Papa.« – –

»Himmelsakrament, schweige, haltet's Maul, ihr Rangen, ihr Bande! Wollt ihr mich auch noch an den Bettelstab bringen? Wollt ihr mich rasend machen? Habt ihr allzusammen einen Schimmer davon, was es heißt, Hausherr sein?«

Dritter Stock. Zur selben Zeit. Im Atelier. Dämmerszene.

»Leben Sie wohl, Herr Doktor, es muß ja denn wohl sein?«

»Küß die Hand, gnädiges Fräulein, hoffe auf Wiedersehen.«

Bierhuber ab. Fürstin allein. Brennt sich eine Zigarette an, legt sich auf den Diwan und seufzt: »Wenn's nur morgen einen ruhigen Tag gibt!«